»A whole generation in Germany grew brutish and ran wild - partly through the evil influence of Karl May. ( . . . ) He had poisoned their hearts and souls with hypocritical morality and the lurid glorification of cruelty.( . . . ) He anticipated, in a quasi-literary sphere, the catastrophic reality that is now before us; he was the grotesque prophet of a sham Messiah.
The Third Reich is Karl May's ultimate triumph, the ghastly realization of his dreams. It is according to ethical and aesthetic standards indistinguishable from his that the Austrian house-painter, nourished in his youth by Old Shatterhand, is now attempting to rebuild the world.«(1)
Zwei Jahre später übernahm Sally Grosshut dieses Verdikt:
»Ja, der Vorlaeuferprophet kann sich heute wuerdig bestaetigt finden. ( . . . ) Die Erben [Winnetous] sind puenktlich erschienen. Sie operieren "In der Wueste" und "Am stillen Ozean".«(2)
Mochte der sächsische Webersohn durch manch dubiose Passage in seinem Werk oder sein ungeschicktes Taktieren in der Öffentlichkeit sicherlich die eine oder andere Patrone zu den publizistischen Hetzjagden der Jahrhundertwende selbst geliefert haben, diese literaturkritische Leichenfledderei zum Zwecke antinazistischer Agitation hatte er wohl doch nicht verdient. Und so wird es zur Hauptaufgabe der folgenden Ausführungen gehören, solche Urteile einer kritischen Betrach-
tung[Betrachtung] zu unterziehen. Manns und Grosshuts Anschuldigungen sind dabei durchaus keine pamphletischen Einzelleistungen. Vergleichbare Äußerungen, wenn auch mit unterschiedlicher Rigorosität, finden sich vielmehr bei zahlreichen emigrierten oder außerhalb des Deutschen Reiches lebenden Literaten. Beteiligten sich doch rund zwei Dutzend Schriftsteller und die meisten namhaften Exilzeitschriften am Halali auf den auch im Dritten Reich geschätzten Erfolgsautor oder nahmen zumindest an einer Karl-May-Debatte teil, die mit äußerst harten Bandagen geführt wurde.
Die folgende - sicherlich durch weitere Funde zu ergänzende(3) - Liste der Autoren, die sich während des Dritten Reichs in speziellen Artikeln, kurzen Kommentaren oder Pointen zu Karl May äußerten, gibt eine ungefähre Vorstellung vom Umfang und zeitlichen Ablauf dieser Diskussion:
1933: Karl Kraus
1933/35: Ernst Bloch
1934/35: Nachdruck von Fronemanns Anti-May-Artikel vom 1. 9. 34 in: PRAGER PRESSE und anderen tschechischen Zeitungen, dazu APPENZELLER ZEITUNG, WIENER REICHSPOST
1936: Heinrich Mann
Fritz Erpenbeck/Herwarth Walden (?), in: DAS WORT, Moskau
Peter Munk, in: DAS WORT
Leo Lania, in: DAS NEUE TAGE-BUCH, Paris/Amsterdam
Paul Elbogen, in: DAS NEUE TAGE-BUCH
Rudolf Olden
1937: Hans Habe
Walter Mehring, in: DAS NEUE TAGE-BUCH
Bernhard Menne, in: DIE NEUE WELTBUHNE, Prag/Zürich/Paris
1938: K.K.R., in: DAS WORT
Kurt Baumann, in: DAS WORT
Hervarth Walden, in: INTERNATIONALE LITERATUR,
Moskau
1939: Martin Joos, in: DAS NEUE TAGE-BUCH
1940: Klaus Mann
1941: Egon Erwin Kisch, in: FREIES DEUTSCHLAND, Mexiko
1941ff.: Bertolt Brecht
1942: Robert Lucas, in: BBC, London
Karl Otten
Friedrich Sally Grosshut, in: ORIENT, Haifa
1943: Johannes R. Becher, in: INTERNATIONALE LITERATUR
1945: Johannes R. Becher, in: INTERNATIONALE LITERATUR
Erich Kästner
Schon eine erste Musterung von Autorennamen und Zeitschriftentiteln ergibt, daß Mays Kritiker - denn um solche handelt es sich bei die-
ser[dieser] Aufstellung beinahe ausschließlich - weitgehend der linken oder (links)liberalen literarischen Moderne zuzurechnen sind. Dies ist ein Novum in der an Paradoxen nicht armen Rezeptionsgeschichte Mays, denn im Kaiserreich wie der Weimarer Republik erfolgten die Attakken fast durchweg aus dem konservativen Lager.(4) Die literarische Avantgarde hingegen, im Verein mit liberalen oder sozialdemokratischen Zeitungsredakteuren, hatte in den Auseinandersetzungen nach der Jahrhundertwende überwiegend seine Partei genommen.(5) Die Reihe damaliger Befürworter ist stattlich und enthält viel literarische Prominenz jener Tage(6), von Hermann Bahr bis Heinrich Mann, von Ehrenstein(7), Viertel(8) und Mühsam(9) bis Robert Müller(10), von Zuckmayer und Arnold Zweig bis Kisch und Franz Werfel. Die Ursachen dieser Sympathie mögen dabei im einzelnen durchaus verschieden gewesen sein. Da gab es exotistische Vorlieben (Heinrich Lersch) oder humanitäre Anliegen (Hesse(11)), (eskapistische) Trostbedürfnisse (Leonhard Frank(12)) oder schlicht die Faszination durch phantasievolle und spannende Handlungen (Roda Roda). Döblin wiederum argumentierte mit May in der Absicht einer provokatorischen Neubegründung der Ästhetik, während Ernst Bloch(13) das utopische Potential der Romane als gesellschaftsemanzipatorischen Anstoß hervorhob. Allen Stellungnahmen gemein war aber letztlich der mehr oder weniger explizierte Protest gegen soziale und politische, ethische wie ästhetische Verkrustungen des Wilhelminismus, was in Georg Heyms bewußt provokativen, antibürgerlichen "Notizen zu einer Rezension" besonders deutlich zum Ausdruck kommt:
»Ein Mann, namens Avenarius, von Beruf Wart der Kunst, nimmt es sich heraus, in seinem Käseblatt für literarische Geheimratstöchter den Dichter Karl May anzugreifen, und ihn als einen Schundliteraten seinem Leserkreise zu denunzieren. Karl May, dessen großartige Phantasie natürlich von diesem wöchentlichen Mist-Fabrikanten niemals begriffen werden kann. Sein Hauptargument für die Inferiorität Mays ist, daß Karl May einige Jahre - hu, hu, als Schmuggler und Räuber gelebt habe, - eine Tatsache, die dem Dichter von vornherein das Wohlwonen eines anständigen Menschen sichert.«(14)
Ein ähnliches Bekenntnis zahlenmäßig ins Gewicht fallender Minderheiten zu May wiederholt sich während der Hitler-Ära nicht. Die emigrierten (ehemals) avantgardistischen Autoren empfinden May jetzt zumeist als Schriftsteller des nazistischen Establishments. Es kommt daher - mehr oder minder expressis verbis - zu Revisionen früherer positiver Urteile, welche jetzt als leichtfertig, unausgewogen, ja, unverantwortlich empfunden werden. Eine kurze Zitatauswahl mag dies exemplarisch belegen, beginnend mit Ernst Bloch, dessen be-
rühmt[berühmt] gewordener Artikel von 1929 "Die Silberbüchse Winnetous"(15), ein flammendes Pläydoyer für Karl May und die Kolportage darstellte. Derselbe Autor hebt nun, nachdem die Nationalsozialisten die Macht in Händen haben, auch ihre Gefahren hervor:
»Es ist zwar menschlich richtig ( . . . ), zu sagen: Laßt dem armen Teufel sein Vergnügen, der bei seinem abendlichen Preßsack mit Kara ben Nemsi von Bagdad nach Stambul reitet. Doch politisch allerdings ist eine Kehrseite der Kolportage gerade heute nicht übersehbar ( . . . ). Denn Glücksbilder können auch stillen und irreal berauschen; dazu kommt, im eigentlich nationalsozialistischen Zweck und Gebrauch: Old Shatterhand trägt einen sehr deutschen Bart und seine Faust schmettert imperialistisch herab. So daß Hitlerisch ertüchtigter Gebrauch nicht fern scheint (und Hitler in der Tat auch diese Art Karl May liebt und dem "Volk" erfüllt).«(16)
Zu einer abschätzigen Neubewertung gelangt z. B. auch Heinrich Mann, der Karl May einst noch das Prädikat eines Dichters zugestehen wollte(17), in solcher Lektüre jetzt aber nur noch ein Kennzeichen von Banausentum erblickt(18), oder Leo Lania, der 1936 schreibt:
»Vor rund zehn Jahren hat Karl Zuckmayer in den Spalten des alten "Tage-Buch" für den verfemten Karl May eine Lanze gebrochen. Er plädierte für den Heros der Gymnasiasten, den Fabulisten der aufregenden Indianergeschichten. "Kunst hin, Dichtung her, - mir machts Spass, ihn zu lesen", so etwa lautete das Geständnis Zuckmayers. Und wir klatschten dieser fröhlichen Ehrenrettung Beifall. Man weiss eben nie, was dem ersten Schritt folgt, welch ein Küken aus dem Ei kriecht.«(19)
Dem unmittelbar folgenden Wortlaut nach bezieht sich die Küken-Metaphorik zunächst einmal nur auf die im Dritten Reich angelaufene akademische Karl-May-Forschung, doch läßt der weitere Kontext keinen Zweifel daran, daß Lania den May-Einfluß insgesamt jetzt deutlich negativ taxiert. Auch Bertolt Brecht desavouiert unter dem Eindruck des Zweiten Weltkriegs seine Kindheitsträume und -lektüren. Die ergänzten "Flüchtlingsgespräche" spiegeln diese Neueinschätzungen in Ziffels ironischer Reflexion:
»Ich kann nicht sagen, daß ich das Phänomen Nationalsozialismus begriffen hätt. Ich versteh noch zur Not den Karl May, wo der deutsche Übermensch als Old Shurehand den Amerikanern hilft, mit den Indianern fertig zu werden, und den Arabern, gewisse übelwollende Scheichs in ihre Schranken zurückzuweisen. Das ist diese echt jüdische Idee vom auserwählten Volk und schon bei den Juden nicht originell. Solche Listen, wie daß man in einem Teich, unter Wasser sitzend und durch ein Schilfrohr Luft schöpfend, den Feind täuscht, werden merkwürdig erst, wenn eine motorisierte Division, verkleidet als gesalzene Fische, in Transportdampfern nach Bergen geschmuggelt wird oder wenn aus dem Wunderpferd Rih ein Supertank und aus der Wunderreifel Soundso ein Stuka wird. Plötzlich ist die ganze moderne Wissenschaft für diese Ziele eingespannt und was Kindisches und Unheimliches hat sie alle ergriffen, merkwürdig.«(20)
Unter der redaktionellen Ägide von Arnold Zweig, der noch 1929 die genaue Kenntnis des Mayschen Gesamtwerks öffentlich bestätigt hatte(21), erscheint schließlich im "Orient" als vielleicht schärfster Widerruf Friedrich Sally Grosshuts Generalabrechnung. "Nachdenkliches über Karl May":
»Es ist bequem, ihn damit abzutun, er sei keine "Literatur". Er hat unzweifelhaft im deutschen Volk gewirkt. ( . . . ) Die Jugend war stets von ihm begeistert - und nicht nur die Jugend ( . . . ), sie spielte Indianer und Savannenlaeufer wie sie Raeuber und Gendarm gespielt. Man liess es laechelnd zu. Inzwischen ist einiges geschehen. Einer kam, knueppelte die Republik nieder, rief sich zum "Fuehrer" aus und erklaerte der zivilisierten Welt den Krieg. Wird die Jugend nach diesem Kriege ebenso begeistert sein, wenn sie hoeren wird, dass SA, SS, Gestapo, fuenfte Kolonne, handlungsreisende Generaele ( . . . ) etc. nur Spielarten der Apachen, Sioux May'scher Praegung waren? ( . . . )
Es geht ja gar nicht um die Indianer, vergessen Sie nicht. Es geht um das Indianerspielen eines einzelnen und seiner Clique, denen es vorlaeufig gelungen ist, ein Volk zu verdummen, dessen niedrigste Hass- und Zerstoerungstriebe zu entfesseln. Es hat seine guten Gruende, warum Karl May auf den derzeitigen Beherrscher des deutschen Volks wirken mußte. Fuer die deutsche Jugend ist er Old Shatterhand und Kara ben Nemsi.«(22)
Solchen Sinneswandeln in Sachen May unterliegen nun natürlich nicht alle ehemaligen Anhänger oder nicht alle gleichermaßen. Man denke hier stellvertretend nur etwa an Zuckmayers lebenslange Sympathie(23) oder an Hermann Broch, der, unbeeindruckt durch die Zeitereignisse, an seinem literarischen Steckenpferd festhält.(24) Doch die aktive Parteinahme in dieser Diskussion unter den Emigranten bleibt seltene Ausnahme, zumal unter den linken. Soweit ich sehen kann, bemühen sich an repräsentativer Stelle nur Bernhard Menne und Egon Erwin Kisch darum, May nicht noch nachträglich seine Popularität im Dritten Reich entgelten zu lassen. Beide argumentieren dabei bezeichnenderweise offensiv, indem sie nicht (nur) die Vorwürfe widerlegen, sondern Mays Leben und Werk nun ihrerseits als Antizipationen gegenfaschistischen Kampfes darstellen. Menne z. B. präsentiert ihn als Gegner des Lebius, den er wegen seiner Tätigkeit als Erpresser und Organisator der gelben Gewerkschaften zum Vorläufer Hitlers stempelt.(25) Kisch wiederum zeichnet sein romantisches Jugendidol(26) als frühen Propagandisten der mexikanischen Freiheitsbewegung. Gemäß seiner etwas angestrengten Beweisführung vertritt May im "Waldröschen" eine derart dem Faschismus zuwiderlaufende Tendenz, daß nur »mildernde Umstände« in Form literarisch manifestierter antifranzösischer Ressentiments ihn »vor einer Bücherverbrennung« in Deutschland zu schützen vermochten.(27)
Solche leicht grobschlächtige Argumentationstaktik erwies sich insofern als angebracht, da offenbar damals schon die durch die Entwicklung der DDR verwirklichte Absicht einer radikalen kulturpolitischen Säuberung bestand. Was irgend als anfechtbar galt, sollte nach der »Stunde Null« nicht mehr zur Auferstehung gelangen. In kritischer Sichtung des literarischen Erbes beschäftigte sich z. B. der spätere Kultusminister Johannes R. Becher(28) auch mit Karl May und verbat sich in diesem Zusammenhang bereits 1943 jegliche Rehabilitationsversuche:
»Ein Karl Peters als Vorläufer gehört in die Galerie der Hitlerschen Unterweltsfiguren, sie mögen mit solch einer politischen Raubmördertype ihren Ahnenkult treiben, wir werden einem Karl Peters seinen Platz dort nicht streitig machen, ebensowenig wie wir es als eine Blasphemie empfinden, daß Hitlers Bibliothek im Berghof zu Berchtesgaden die gesammelten Schmöker Karl Mays zieren und daß niemand von uns dagegen Einspruch erheben dürfte, daß Hitler in seinen Mußestunden, wenn er nicht gerade mit Raumbewältigung und Raubordnung beschäftigt ist, diese verlogene Räuberromantik als Lieblingslektüre betreibt und Karl May zu seinem Berghofschriftsteller ernannt hat.«(29)
Bechers Hinweis auf Hitlers »Lieblingslektüre« ist übrigens ein beinahe stereotyper Bestandteil der Karl-May-Diskussion jener Jahre. Fast alle an ihr beteiligten Autoren verweisen darauf als vermeintliches Hauptargument. Die Öffentlichkeit hatte von der spektakulären Romanleidenschaft des neuen Kanzlers bereits 1933 durch den Schriftsteller Oskar Robert Achenbach erfahren, der nach einem Besuch auf dem Obersalzberg in der Münchener "Sonntag-Morgenpost" schrieb:
»Auf einem Bücherbord stehen politische oder staatswissenschaftliche Werke einige Broschüren und Bücher über die Pflege und Zucht des Schäferhundes, und dann, - deutsche Jungens, hört her! dann kommt eine ganze Reihe Bände von - Karl May!«(30)
Die polemische Chance, die sich aus dieser Kenntnis ergab, wurde (von den Emigranten) weidlich genutzt. Ließ sich doch auf diese Weise anscheinend die kulturelle Rückständigkeit des »Führers« trefflich aufs Korn nehmen. Das sei nun nicht gerade ein Zeichen von »besondere(m) Bildungshunger«(31), hieß es unterkühlt von »Adolfs Lieblingsklassiker«(32) oder von dem »Schutzheiligen der Nazideutschen Literatur von Hitlers Gnaden«(33) war die Rede. »Hindenburg«, schrieb Herwarth Walden, vor dem Ersten Weltkrieg übrigens gleichsfalls dem Lager der May-Verteidiger zugehörig(34), »hat sich gerühmt, keinen Dichter gelesen zu haben. ( . . . ) Hitler hat seinen Dichter, einen Dichter: Karl May.«(35) Und Leo Lania glossierte in diesem Zusammenhang die Formulierung der "Münchener Neuesten Nachrichten"(36), Karl May sei in Deutschland »geistige Großmacht« geworden:
»Die geistige Grossmacht hat ( . . . ) den Ehrenplatz in der kleinen Bibliothek des Führers in der guten Stube des Berchtesgadener Hauses. Dort steht der komplette Winnetou und Old Shatterhand ( . . . ) zwischen Rosenberg und Felix Dahn. Es ist kein Zufall! Weder dass sie dort stehn, noch dass ihr Autor nun geistige Grossmacht geworden ist. «(37)
Heinrich Mann schließlich gestand in der für ihn typischen karikaturistischen Zuspitzung Hitlers Halbbildung nicht einmal die politische, völkische oder kynologische Literatur zu und formulierte:
»Pachulke als Führer kann neben seinem Bett unmöglich andere Bücher haben als die von Karl May.«(38)
Mit gleicher Tendenz(39) hatte bereits "Das Wort" seine Polemik versehen:
»( . . . ) nachdem nun bereits die ganze deutsche Öffentlichkeit davon Kenntnis genommen hat, daß in einem gewissen Landhause auf dem Obersalzberg ( . . . ) außer dem Buch des Hausbesitzers selbst an Gedrucktem nur eine Gesamtausgabe der Werke des Radebeuler Weltreisenden zu finden ist, konnte die philosophische Fakultät der Universität Jena ja nun wirklich nicht anders, als dem Hofdichter eine posthume Reverenz zu erweisen.«(40)
Es ist dies ein ironischer Hinweis auf die erste Karl-May-Dissertation, die 1936 unter dem Titel "Der Volksschriftsteller Karl May. Beitrag zur literarischen Volkskunde" von Heinz Stolte vorgelegt wurde. Daß bei dieser Gelegenheit auch Stolte unter massiven satirischen Beschuß geriet, versteht sich fast von selbst. "Neues Tage-Buch" und "Wort" z. B. witzelten unisono über den vermeintlich abwegigen Forschungsgegenstand und den daraus ableitbaren Niedergang der deutschen Alma mater, insonderheit der Philosophischen Fakultät Jenas:
»Übrigens ist das dieselbe Fakultät, vor der ein Mann namens Ernst Haeckel einmal sein Doktorexamen abgelegt hat, und deren Mitglied vor hundertvierzig Jahren ein gewisser Geschichtsprofessor Friedrich von Schiller gewesen ist.
"Der Abfall der Niederlande" und "Das Heldische in Karl May"(41) - da wage noch einer davon zu sprechen, daß die faschistische Wissenschaft keine Fortschritte aufzuweisen hätte!«(42)
Man mag aus der Distanz von knapp 50 Jahren über den Enthusiasmus Stoltes, seine Parallelen und Wertungen geteilter Meinung sein, und so mußte er sich naturgemäß auch harscher Kritik stellen.(43) Die Einsicht aber, daß über den meistgelesenen deutschen Schriftsteller eine wissenschaftliche Arbeit längst überfällig war, durfte füglich bereits von damaligen Kritikern erwartet werden.(44) Angesichts dieser Pionierlei-
stung[Pionierleistung] in einem als Trivialliteratur für »seriöse Forscher« bislang tabuisierten Gebiet wirken die höhnischen Gesten der Rezensenten, bei denen wir uns natürlich immer vergegenwärtigen müssen, daß es sich im Grunde um Hitler- oder Nazismus-Polemik handelt, aus heutiger Sicht auffallend billig und unangebracht. Das gleiche gilt auch für Walter Mehrings spöttischen Hinweis auf die »Vereine für Karl-May-Forschung und Heuschnupfeninteressen« in seiner ansonsten gelungenen Satire über die Gleichschaltung der roten Waldameise.(45)
Nun sind solche snobistischen Peinlichkeiten antifaschistischer Publizistik nicht ganz unverständlich. Liegen ihre tieferen Ursachen schließlich in der bedrückenden Exil-Situation der meisten Literaten begründet. Als Emigranten war ihnen mit der deutschen Sprache nurmehr eine ideelle Heimat verblieben, und sie verstanden sich gerade in ihrer forcierten Bemühung um geistige Güter, die es vor nazistischen Verunstaltungen zu bewahren galt, als Repräsentanten des besseren Deutschland. Daß »Adolfs Lieblingsklassiker«, und wer sich positiv mit ihm befaßte, somit in die Mühlen einer überkompensierenden antinazistischen Sprachkritik gerieten, war beinahe folgerichtig. Kaum etwas hatte Hitler schließlich soviel Hohn unter den Rittern des Geistes eingetragen wie die stilistischen Entgleisungen in "Mein Kampf".(46) Und paßte nicht seine Vorliebe für May letztendlich in die gleiche Schablone? In dieser Beziehung war und dünkte man sich dem gefürchteten, gehaßten Diktator endlich einmal weitaus überlegen, was nicht selten Kurzsichtigkeit und elitäre Arroganz förderte.
Denn im Grunde ließ sich von Hitlers Karl-May-Lektüre ebensowenig auf mangelnde Bildung schließen, wie dies heute etwa das Lesefutter des durchschnittlichen Krimifreundes erlaubte. Ein derartiger Vorwurf ist bei Hitlers früheren und späteren Amtskollegen wie Hermann Müller, Konrad Adenauer oder Helmut Schmidt, der sich zumindest in der Jugend als Karl-May-Leser bekannte(47), nicht erhoben worden und trüge auch wenig zur Erhellung ihrer staatsmännischen Leistung oder Eigenart bei. Daß der May-Tick Hitlers gleichwohl besonderes öffentliches Interesse verdiente, wird nur dort evident, wo die bloße Polemik durch psychologisch-analytische Einsichten ergänzt wird. (Daß dabei manches bereits aus Mays Romanen herausgelesen wurde, was genuin hitlerisch ist, kennzeichnet die heuristischen Grenzen dieser Stellungnahmen).
Denn in der Tat war Hitler nicht wie Millionen von Jugendlichen oder Erwachsenen, die sich durch dieses literarische Faible ihre Jugendvisionen zu bewahren suchten, irgendein May-Verehrer, sondern in eigentlich allen Phasen seines Lebens ein selten fanatischer Adept.
Bemerkenswert ist nicht die bloße Tatsache, daß seine extreme Leidenschaft für die Romane des Sachsen die Pubertät überdauerte, sondern die Art, in der er vermeintliche Anregungen aufnahm und jenseits der Literatur zu realisieren trachtete. Doch beginnen wir zunächst mit gesicherten Fakten:
Hitler selbst äußerte sich verschiedentlich über seine intensive May-Lektüre als Jugendlicher, so z. B. am 17. 2. 42 während eines Tischgesprächs im Führerhauptquartier:
»Ich habe ihn bei Kerzenlicht gelesen und mit einer großen Lupe bei Mondlicht! Der "Lederstrumpf" und "Der letzte Mohikaner" war das erste. Fritz Seidl [ein Mitschüler] sagte mir später: Du mußt Karl May lesen, der "Lederstrumpf" ist gar nichts dagegen! Der erste Karl May, den ich gelesen habe, war "Der Ritt durch die Wüste". Ich bin weg gewesen! Dann stürzte ich mich drauf. Was sich sofort mit dem Sinken meiner Noten bemerkbar machte!«(48)
Daß die Faszination durch Romane dieses Autors auch später nicht nachließ, ist vielfach bezeugt. Sie bewährten sich als Muntermacher im Wahlkampfstreß(49) zur Zeit der ausgehenden Weimarer Republik oder als Trostspender »in anscheinend aussichtslosen Situationen«(50) bis in die Kriegsjahre hinein. Sie »richteten ihn innerlich auf«, gestand er Speer gegenüber ein, »wie andere Menschen ein philosophischer Text oder ältere Leute die Bibel.«(50) Er las sie z. B. 1932 im Wettstreit mit Goebbels' Stiefsohn, dem damals 11jährigen Harald Quandt, der sie auf den Berghof gebracht hatte und nun in »Onkel Adolf« einen verständnisvollen Gesprächspartner für sein Hobby fand.(51) Vom Berchtesgadener Bücherregal war oben schon mehrfach die Rede. Wie ausgiebig es benutzt wurde, enthüllt eine Mitteilung Otto Dietrichs, des Reichspressechefs der NSDAP, der angab, daß sein Führer in den Jahren 1933/34 Mays komplettes uvre nochmals gelesen habe.(52) »Hitler hat Karl May nie aufgegeben«(53), schreibt der Historiker Bradley F. Smith als Fazit; er verhehlte auch als Reichskanzler keineswegs die Freude, die ihm seine Erzählungen bereiteten, und sprach darüber mit fast jedem, der ihm nahestand, der Sekretärin, dem Kammerdiener oder alten Parteigenossen.(53)
Er zeigte sich dabei auch über Einzelheiten aus Mays Leben informiert. Im April 1943 z. B. wies er Albert Speer in Linz auf ein Hotel hin, von dem Hitler noch wußte, daß der Dichter darin 1901 ein knap-
pes[knappes] Jahr verbracht hatte.(54) Mays Verfehlungen waren ihm bekannt, er verteidigte sie aber als »sozialbedingt«.(55) Die publizistischen und pädagogischen Feldzüge gegen den Autor bewertete er als unberechtigte Angriffe auf ein verkanntes Genie.(56) Gerade in Mays Leidensgeschichte fanden sich für ihn Ansatzpunkte einer Identifikation, denn auch Hitler sah sich ja schließlich als Künstler unverstanden, als Politiker verfolgt oder seiner unbürgerlichen Erscheinung wegen abgelehnt.
Die Eindrücke durch diesen Schriftsteller blieben nicht rein rezeptiv. Bereits in Hitlers Leondinger Schulzeit fallen unermüdliche Neuinszenierungen seiner Indianergeschichten, wobei die Klassenkameraden als Komparsen dienten. Wenn ihr Interesse einmal nachließ, mußten jüngere Mitschüler oder auch Mädchen als Spielpartner herhalten.(57) Konrad Heiden, dessen zeitgenössische Darstellung, was die früheren Jahre betrifft, zwar z. T. korrigiert werden mußte, schreibt in diesem Zusammenhang glaubhaft:
»Es gibt genug Berichte von Lehrern und Mitschülern, Hausgenossen und Nachbarn, die den Buben von damals ziemlich übereinstimmend schildern: ein großer lndianerhäuptling, Raufbold und Anführer, stimm- und wortbegabt, plant mit den Kameraden eine Weltreise, bringt Mordinstrumente wie "Bowie-Messer" und "Tomahawk" mit in die Schule und liest unter der Bank Karl May.«(58)
Und es ist vielleicht nicht zu gewagt, Hitlers äußeres Erscheinungsbild zu Beginn der 20er Jahre mit Reitpeitsche, Velourhut und Revolver am Gürtel als bewußte oder unbewußte Stilisierung im Westmann-Look anzusehen? Der Historiker Karl Alexander von Müller, der ihm damals in München begegnete, legt immerhin diese Deutung nahe, wenn er Hitlers Aufmachung wie folgt kommentierte: »Das sah kurios aus und erinnerte an Karl May.«(59) Ähnliches berichtet Fritz Reck-Malleczewen von einem (angeblichen)(60) Besuch Hitlers bei Clemens von Franckenstein:
»Gekommen war er, damals noch ein unbekannter Outsider, sozusagen "en pleine carmagnole", hatte für diesen Besuch bei einem Unbekannten sich mit Reitgamaschen, Reitpeitsche, Schäferhund und Schlapphut ausstaffiert und wirkte auf diese Weise zwischen diesen Gobelins und diesen kühlen Marmorwänden seltsam wie ein Cowboy, der es für richtig befunden hatte, mit Lederhosen, Monstresporen und Coltrevolver sich auf den Stufen eines Barockaltars niederzulassen.«(61)
Es verwundert daher auch nicht, daß der Führer der NSDAP während
der Münchener Aufbaujahre von einzelnen Parteigenossen offenbar respektvoll »Winnetou« genannt wurde.(62) Auch Rudolf Olden sah übrigens zumindest für diese Zeit eine gewisse Anlehnung Hitlers an sein literarisches Vorbild, wenngleich man die saloppen journalistischen Wendungen analytisch nicht überschätzen sollte. So kommentiert er die berüchtigte Hofbräuhaus-Schlägerei vom November 1921 mit den Worten:
»Ein witziger Engländer hat Adolf Hitler eine Mischung von Karl Marx und Karl May genannt. Hier ist er ganz Karl May. Mit Beschämung muß man feststellen, daß seine Nachfolge des berühmten Wildwestschwindlers nicht wenig dazu beigetragen hat, eine Millionenpartei aufzubauen.«(63)
Mit einiger Plausibilität kann schließlich Johannes R. Becher im Frühjahr 1945 auch die wirklichen Taten des Politikers und Feldherrn Hitler als Reaktionen innerhalb eines von Karl May vorgegebenen Handlungsschemas interpretieren. Bechers unmißverständliche ideologisch-didaktische Absicht, der es um nichts weniger als ausgewogene Würdigung literarischer Traditionen zu tun ist, sollte uns dabei nicht den Blick verstellen für das grundsätzlich Erhellende seiner Einsicht.
»Der Spielcharakter der Hitlerpolitik, das Aufs-Spiel-Setzen einer ganzen Nation dieses Abenteuerliche, Hochstaplerische erscheint verklärt in der stählernen Romantik, in dem Begriff des gefährlichen Lebens. ( . . . ) Blut- und Räuberromantik aufgegipfelt durch vaterländische Phrasen. Auch die Vorliebe Hitlers für Karl May kommt nicht von ungefähr.«(64)
Von der Indianerspielerei des Jugendlichen über die (auch kleidungsmäßig manifestierte) Identifikation des Erwachsenen bis hin zu den konkreten kriegerischen Inszenierungen des Diktators scheinen sich tatsächlich gewisse abstrakte Verhaltensmuster zu wiederholen, die gemäß Erich Fromm - für Hitlers narzißtischen Charakter und manche realitätsfeindliche Neigung kennzeichnend sind:
»Man muß Mays Romane im Zusammenhang mit Hitlers Kriegsspielen und als Ausdrucksmöglichkeit für sein Phantasieleben sehen. Sie passen zwar gut in ein bestimmtes Alter, aber daß sie ihn auch weiterhin faszinierten, legt die Vermutung nahe, daß sie für ihn eine Flucht aus der Realität darstellten, eine Manifestation einer narzißtischen Haltung, in deren Mittelpunkt das Thema: Hitler, Führer Kämpfer und Sieger, stand. Gewiß gibt es hierfür nicht genügend überzeugende Belege. Aber wenn man Hitlers Benehmen in diesen Jugendjahren mit den Daten aus seinem späteren Leben in Beziehung bringt, dann ergibt sich ein bestimmtes Verhaltensmuster: das eines außergewöhnlich narzißtischen, introvertierten Menschen, dessen Phantasiewelt für ihn realer war als die Realität selbst.«(65)
Nach dieser Deutung figuriert Hitler also im Zentrum einer von May
geförderten Wirklichkeitsverleugnung zugunsten von Atavismus, Irrationalismus und romantischer Alltagsüberhöhung. Es hat solche Interpretationen - wie unten noch weiter ausgeführt wird - auch von zeitgenössischen Autoren mehrfach gegeben, meist im Zusammenhang mit der Infantilismus-Diagnose.
Hitler war von Mays literarischer Bedeutung zutiefst überzeugt. Er hielt ihn für den besten Schilderer der Indianerromantik(66) und schätzte die erzähltechnische Verknüpfung »von Reiseromantik und Krimi als liebenswerten Literatentrick«.(67) Mays konkrete Funktion sah er als Produzenten heroischer Erbauungsliteratur wie im erzieherischen Einfluß auf die Jugend.(68) Hans Severus Ziegler, dem späteren Generalintendanten des Weimarer Nationaltheaters, vertraute er 1932 an:
»Wissen Sie, ich halte von dem Karl May sehr viel. Was haben die Schulmeister ihn doch angegriffen, statt zu erkennen, wieviele positive Werte seine Bücher enthalten. Ein echter Jugendschriftsteller, wie jeder andere Schriftsteller, - May schreibt ja auch für den Erwachsenen - muß eine reiche Phantasie besitzen, anständige Gesinnungen vermitteln und zeigen, was Lebenstüchtigkeit bedeutet. Vor allem aber muß er Humor haben. Und den besitzt Karl May in ebenso hohem Maße wie die Gabe der plastischen Anschaulichkeit. Was will man mehr?!«(69)
Bei anderer Gelegenheit äußerte er einmal:
»Winnetou sei ( . . . ) seit je sein Vorbild eines edlen Menschen. Es sei ja auch notwendig, durch eine Heldengestalt der Jugend die richtigen Begriffe von Edelmut beizubringen, die Jugend brauche Helden wie das tägliche Brot. Darin liege Karl Mays große Bedeutung.«(70)
Ausfluß einer solchen Überzeugung waren Bemühungen, Karl May vor den propagandistischen Karren des Nationalsozialismus zu spannen. Hitlers Hang zur trivialromantischen Pfadfinderei, von dem Speer schreibt(71), ließ sich dabei in den Formationen der HJ mit gewünschtem pädagogischem Nutzeffekt ausleben. Doch auch die geistige Truppenbetreuung profitierte davon. Wie Ziegler berichtet, veranlaßte Hitler noch 1943 persönlich eine Neuauflage von 300 000 "Winnetou"-Exemplaren für die Feldbücherei, nachdem sich Harald Quandt mit einer entsprechenden Bitte an ihn gewandt hatte.(72)
Der literarische Einfluß Karl Mays auf Hitler läßt sich möglicherweise sogar in dessen Syntax feststellen, die bislang lediglich als Produkt
kleinbürgerlich-bürokratischen Imponierwillens gedeutet wurde. So enthält die von Zeitgenossen viel belächelte, in Rhetorikerkreisen verpönte Vorliebe für das flektierte adjektivische Prädikativum - »Zuweilen ist die Erfüllung der Prophetie eine geradezu wortwörtliche.« (Von wem stammt dies wohl?) - vielleicht ein wichtiges entsprechendes Indiz.
In seiner "Dritten Walpurgisnacht" äußerte sich Karl Kraus sarkastisch über den »Führer, dessen Ausdrucksvermögen keineswegs von Gundolf geschult wurde und dessen Weltbild nicht so sehr durch Freud als durch May geformt scheint«.(73) Die Kraussche Attacke lebt vom derben Kontrast, enthüllt aber dadurch zweifellos Essentielles, das zudem Hitler selbst kaum hätte zurückweisen wollen. Verdankte er doch nach eigenem Bekunden dem populären Romanschreiber erste Kenntnisse und die »Vorliebe für Geographie« wie »das Lesen geographischer Karten«.(74) Darüber hinaus beschränkte sich Mays Einfluß nicht auf bloße Wissensvermittlung. Die Werke dieses Autors, erklärte Hitler im Februar 1942, hätten ihm »die Augen für die Welt geöffnet«(75) - eine Aussage, die gar nicht schwer genug gewichtet werden kann. Denn als bare Münze, als Handlungsanweisung für das 20. Jahrhundert war die Wildwestromantik sächsischer Provenienz denn doch nur bedingt tauglich, und »realistisch« verabsolutiert mußte sie groteske Konsequenzen zeitigen. Was aber war es, das den skrupellosen Taktiker, den rigorosen Exekutor einer schrankenlosen Machtphilosophie mit dem Weltbild des schwärmerischen Webersohns verband?
Beide waren sozial Deklassierte oder Unangepaßte trotz bürgerlicher Sehnsüchte und starker Affinitäten zum auf Prunk und Pomp angelegten Wilhelminischen Zeitgeist. Als Reflex früher gesellschaftlicher Verunsicherung stand daher die Frage des Sich-Durchsetzens und Anerkannt-Werdens schon bald im Zentrum ihres Handelns bzw. Schreibens, was ständige Selbstbestätigungsrituale oder Dominanzgesten nach sich zog. Beide kompensierten ihre reale Außenseiterstellung durch Omnipotenz- bzw. Superman-Visionen, die nur in einem Fall literarisch gebändigt werden konnten. Beider Vorliebe galt Geheim- und Spezialwaffen, Kriegslisten und heroischen Attitüden. Beide waren von ihrem Erfahrungsbereich her letztlich Provinzler, dazu Autodidakten und - worauf Speer mit Nachdruck verweist - mehr oder weniger geniale Dilettanten:
»Er hatte auch eine tiefe Sympathie für alle Dilettanten, ( . . . ) von H. St. Chamberlain bis Walter Darre ( . . . ). Und den vermutlich größten von allen - Karl May - ( . . . ). Er mußte Hitler als Beweis für alles Mögliche dienen; so insbesondere dafür, daß es nicht notwendig sei, die Wüste zu kennen, um die Truppen auf einem afrikanischen Schauplatz zu dirigieren; das einem, Phantasie und Einfühlungsgabe vorausgesetzt, ein Volk gänzlich fremd sein könne, so fremd wie Karl May die Beduinen oder Indianer, und man doch von ihnen, ihrer Seele, ihren Gebräuchen und Lebensumständen mehr wissen könne als ein Völkerpsychologe, irgendein Geograph, der das alles an Ort und Stelle studiert habe. Karl May beweise, daß es nicht notwendig sei zu reisen, um die Welt zu kennen. Gerade die Darstellung des Feldherrn Hitler sollte den Hinweis auf Karl May nicht unterlassen. Die Person Winnetous beispielsweise habe ihn, so meinte er einmal, nicht zuletzt in der taktischen Wendigkeit und Umsicht, die Karl May ihr beigegeben habe, immer tief beeindruckt. Er sei geradezu das Musterbeispiel eines Kompanieführers.«(76)
Ähnliche Äußerungen taktischer Hochschätzung gibt es - laut Zeugnis des Oberst i. G. Loßberg - vom November 1939. Hitler hatte damals angeordnet, daß zur Erstürmung des Forts Eben Emael ein Teil der Angriffstruppen mit holländischen Uniformen auszustatten sei. Bei dieser Gelegenheit beklagte er einen Mangel an Kreativität seiner Generäle, den er auf übertriebene Korrektheit zurückführte (»Sie wurzeln in überholten Begriffen . . . ihnen fallen keine Listen ein. Sie hätten mehr Karl May lesen sollen!«(77)). Was Wunder also, daß seit Ende 1944 auf Befehl des Generalstabchefs des Heeres Guderian Karl-May-Lektüre behelfsweise für eine nicht mehr rechtzeitig fertiggestellte militärische Vorschrift zur Ausbildung des Volkssturms eingesetzt wurde?(78) Es liegt auf der Hand, daß diese Anweisung ganz im Sinne Hitlers war, wenn sie nicht vielleicht sogar seiner eigenen Initiative entsprang. Karl Mays Romane als Clausewitz-Ersatz? So skurril und abwegig dies klingen mag, Speers Hinweis verdient sicherlich einige Aufmerksamkeit, und dies gilt auch für die folgende Passage aus Grosshuts Streitschrift von 1942, die eine nicht unwesentliche Gemeinsamkeit (pseudo-) militärischen Denkens aufdeckt:
»Hitler verstand, wie er Karl May zu lesen hatte. In sein primitives Weltbild ordneten sich die 60 Baende May's zwanglos ein. Sie waren fuer ihn bester Anschauungsunterricht, Manoeverberichte, die den Ausbau einer "einzigartigen" Kriegsstrategie ermoeglichten. Setzt sich nicht bei Karl May "der Deutsche" trotz Tod und Teufel unueberwindlich durch? Schlaegt nicht Old Shatterhand muehelos jeden Feind mit seinem Schmetterhiebe vernichtend zu Boden? Besitzt er, Verkoerperung des neuheldischen Fuehrertyps, nicht die "Zauberwaffe" des Henrystutzens, die Winnetou'sche Silberbuechse?«(79)
Wenngleich man sich hüten sollte, den seit Stalingrad populär gewordenen karikaturhaften Verzeichnungen des Feldherrn Hitler(80) eine wei-
tere[weitere] hinzuzufügen, kann man wohl nicht völlig ausschließen, daß einige seiner spektakulären Erfolge und Mißerfolge im Letzten auch mit dem Wildwest-Tick des »Führers« zusammenhängen. Hitlers Vorliebe für Unkonventionelles, für Kriegslisten und Überraschungsangriffe, seine Überschätzung militärischer Coups und individueller Möglichkeiten im Gesamtverlauf des Krieges, seine Vernachlässigung logistischer Erfordernisse und zahlmäßiger Zwänge gründen zu einem Teil vielleicht doch in den strategischen Vorstellungen eines ungedienten Romanciers aus dem 19. Jahrhundert. Und Robert Lucas(81), der seinerzeit für die BBC den Gefreiten Hirnschal erfunden hatte, eine Art Schweijk des Zweiten Weltkriegs, ahnte vermutlich nicht im geringsten, wie nah er in seinem Spott Teilen der Realität gekommen war, als er in einer Propaganda-Sendung vom März 1942 die deutschen Rückschläge im Osten auf angebliche russische Übersetzungen der Karl-May-Romane zurückführte. Wie Hirnschal in einem Brief an seine »teure Amalia« mutmaßt, sei den Sowjets damit offenbar Hitlers strategisches Konzept bekannt. Lucas bestätigte somit am Beispiel Hitlers einmal mehr das Juvenalsche Diktum, daß es schwierig sei, keine Satire zu schreiben.
Es könnte somit scheinen, daß auch Klaus Mann in seiner bereits eingangs erwähnten Schmähschrift bei aller engagierten Unfairneß einer bedeutsamen Erkenntnis auf der Spur war, als er so dezidiert die politisch-ideologische wie biegraphische Verbindungslinie von Ernstthal nach Braunau zog. Gehört es doch zu den Paradoxen dieser Karl-May-Diskussion, daß auch eine Polemik mit falschem Ziel und eine, was die Verantwortung des Autors anbelangt, unzulässig gefügte Kausalkette über Hitler selbst manch wertvolle Einsicht erbrachte:
»One of the most ardent Karl May fans was a certain goodfor-nothing from Br[a]unau, Austria, who was to rise to impressive heights. Young Adolf was seriously smitten by Karl May, whose works were his favorite, if not his only reading, even in later years. His own imagination, his whole notion of life, was impregnated by these Western thrillers. The cheap and counterfeit conception of "heroism" presented by Karl May fascinated the future F u e h r e r; he loved this primitive but effective shrewdness: the use of "secret weapons" and terrible tricks, such as carrying prisoners as shields, the brutal conning of wild animals in the jungle; he was delighted by the glorification of savages. Lazy and aimless, Adolf was perfectly at home in this grisly labyrinth created by a morbid and infantile brain. What the unsuccessful Austrian painter and potential dictator chiefly admired in Old Shatterhand, was his mixture of brutality and hypocrisy: he could quote the Bible with the greatest ease while toying with murder; he carried out the worst atrocities with a clear conscience; for he took it for granted that his enemies were of an "inferior race" and hardly human - where as he, Old Shatterhand, was a superman, called by god to destroy evil and promote the good. Being the militant incarnation of all good and noble principles, anything he did was necessarily good and noble: his cruelty was praised
as heroism, his lack of morals interpreted as admiriable ingenuity. The depraved ambitious youth from Br[a]unau was convinced that that was the way to be. He could see no reason why Old Shatterhand's convictions and tactics should not work if applied to national and international politics. One might conquer civilization by going back to the principles of the jungle. . . . It hard[l]y is an exaggeration to say that Karl May's childish an criminal fantisia has actually - though obliquely - influenced the history of the world.«(82)
Hatte demnach der vielgescholtene Literat aus Hohenstein durch sein Medium Hitler, wie offenbar Klaus Mann, Joos, Grosshut, Baumann oder andere Autoren annahmen(83), tatsächlich nun auch noch Weltgeschichte geschrieben, als Art »heimlicher Schmierenmephisto«?(83) Das allerdings, so meinte Wolf-Dieter Bach in seiner Replik auf Manns Pamphlet, sei »eine Idee, wie sie nur wiederum ein Literat ausdenken und glauben konnte, der Literatur für die Welt schlechthin hielt«:
»Die Irrealität des Konzepts liegt auf der Hand, heute zumal, da auch Schriftsteller gelernt haben, die materiellen Determinanten im Weltlauf schärfer zu sehen. Für Klaus Mann aber schien, wenn nicht der Geist, so doch der Ungeist Geschichte zu machen: der Ungeist in Gestalt eines Autors der Subliteratur.«(84)
Der Einwand gegen die Maßlosigkeit von Manns Vorwurf ist zweifellos erforderlich und bedenkenswert, doch scheinen hier ebenfalls einige Relativierungen angebracht. Man begibt sich dabei zugegebenermaßen in einen schwer auslotbaren psychischen Bereich, wo der Beweisbarkeit Grenzen gesetzt sind. Bach selbst aber gestand ja Manns Ausführungen eine Spur von Berechtigung insofern zu, als dieser eine Witterung für bestimmte gemeinsame (neurotische) Prägungen bei Hitler wie May gehabt habe. Er sah freilich nur vage Bezüglichkeiten, die er auf ähnliche familiäre Jugendeindrücke, nicht aber auf gegenseitige Beeinflussung zurückführte.(85) Hier ließe sich nach dem oben Gesagten zumindest vermuten, daß der Einfluß durch ganz bestimmte Verhaltens- und Denkschemata Karl Mays auch auf konkrete Handlungen Hitlers vielleicht nicht bestimmend war, aber immerhin verstärkend oder bestätigend gewirkt haben könnte.
Sowenig man nämlich die Wirkung von Büchern gegenüber den ökonomischen, politischen oder sozialen Faktoren überschätzen sollte, so wenig Anlaß besteht gerade im Fall Hitlers, der ja selbst die Leitbildfunktion des sächsischen Erzählers betonte, sie gänzlich zu ignorieren. Und ist es denn wirklich so unwahrscheinlich, daß er durch Mays Helden in seiner charakterlichen Disposition zu politischem und militärischem Hasardspiel bestärkt wurde, daß der holzschnittartige ethische Dualismus, die simplifizierte, durch Heroik bestehbare Romanwelt
ihm Modell für seine zwischen Wahn und Ratio schwankende Weltsicht waren? Was spricht gegen die eigenen Angaben, daß er zuweilen in Bedrängnis aufgerichtet wurde durch das Beispiel der germanisch-indianischen Übermenschen, die ihm durch infantile Regressionen bzw. romanhafte Scheinbeweise das Erreichen von schier Unmöglichem vorgaukelten?(86)
Nicht solche Annahmen sind das Provozierende, wenn nicht Skandalöse in Manns Aufsatz, sondern die aus der Retrospektive vorgenommenen leichtfertigen und abwegigen Bewertungen der Mayschen Texte selbst. Gewiß, einem Emigranten sollte man zu allerletzt verdenken, daß ihm die realen Schlachten des Weltkriegs die Lust an Indianerspielerei und Wildwestromantik vergällten. Auch ließ sich vieles vorbringen, was den an Gide und seinem Vater geschulten Schriftsteller Klaus Mann bei Karl May irritieren mußte: die ständigen Verstöße gegen primitivste Gesetze der Wahrscheinlichkeit, die Superman-Trivialitäten, und das skurrile Festhalten an der Fiktion der Authentizität, gespreizte Dialoge und Gefühlsschwulst, gemischt mit Hilfslehrer-Didaktik. Auch produzierte der Sachse als Kind seiner Zeit wahrlich keine ideologiefreien Texte. Die Deutschen-Verklärung, in der May als stellvertretender »Tagträumer der Nation« kollektive Minderwertigkeitskomplexe und staatliche Nachholbedürfnisse durch Uberlegensheitanmaßung kompensiert^, das Denken in - wenn auch durch Ausnahmen relativierten - Völkerstereotypen und eine zuweilen überstrapazierte Missions-Gebärde atmen den Geist der Kaiser-Ära. Aber Sadismus, Kriegstreiberei oder gar Rassismus im Sinne des Dritten Reiches - diese von Mann inkriminierte Ideologie vertrat der Schöpfer Old Shatterhands nun wirklich nicht. Es ist so offensichtlich, so verleumderisch falsch, daß man fast die Mühe scheut, sich nochmals damit auseinanderzusetzen. Wolf-Dieter Bach hat dies im übrigen bereits mit wünschenswerter Deutlichkeit getan. Er beschwor dabei die Fülle fremdrassischer Idealgestalten in Mays Werk, erinnerte an manch einschlägiges Zitat, erwähnte Werke wie "Ardistan und Dschinnistan" oder "Et in terra pax", um die Friedensliebe des Autors zu dokumentieren, und verwies zudem auf eine Reihe früherer May-freundlicher Urteile von Schriftstellern, die später zu leidenschaftlichen Gegnern des Nationalsozialismus wurden. Vielleicht sollte man darüber hinaus als weitere - unfreiwillige - Referenz noch das Wirken Wilhelm Fronemanns anführen(87), eines pathologischen May-Hassers, dessen Argumente zwar je nach politischer Lage wechselten (Weimarer Republik, Drittes Reich, DDR), der aber nichtsdestoweniger 1934 hellsichtig konstatierte:
»( . . . ) er war ein Verherrlicher jeder Rassenmischung, überzeugter Pazifist und Freund der Bertha von Suttner, seine Gesinnung paßt also zur nationalsozialistischen Gedankenwelt wie die Faust aufs Auge.«(88)
Klaus Mann sah es anders, fabulierte von Nazifizierung und Brutalisierung einer ganzen Generation Deutscher durch die Perversion moralischer Begriffe, namentlich die »Glorifizierung der Grausamkeit«. Er verstieg sich zur ungeheuerlichen Behauptung, das Dritte Reich mit Gestapo, Angriffskrieg und Pogromen sei Mays posthumer, sein »letzter Triumph«.
Solche Urteile zeugen schlicht von Unkenntnis der Texte. Die Lektüre eines einzigen der von ihm erwähnten "Winnetou"-Romane hätte ihn vor einigen offensichtlichen Unterstellungen bewahren können. Hier hätte er lesen können, was Mays Alter ego über Gefangenenbehandlung, Länderraub und Rassismus dachte, welchen Abscheu er Massenmord und blutiger Vergeltung entgegenbrachte und daß er Tötungsrituale und Grausamkeiten eher parodierte, denn verherrlichte (vgl. die Kiowa-Handlung in Winnetou III). Ein weiterer Blick hätte ihn belehren können, daß May zwar ständig vom mitleidlosen Gesetz der Prärie schwadronierte, in Wirklichkeit aber die Ethik der Bergpredigt einzuführen sich anschickte, daß seine Utopie zwar der Wilde Westen war, aber als Missionsland, als Hintergrund oder Folie zu Bekehrungs- und Belehrungstaten unter heroischem Beiwerk.
Nun hat es allerdings stets auch ernstzunehmende wissenschaftliche Bemühungen gegeben, die Maysche bzw. Shatterhandsche Tugendhaftigkeit zu relativieren oder als trügerisch und inkonsequent zu zeigen. Bereits Volker Klotz machte in seiner heute noch richtungsweisenden ersten May-Studie darauf aufmerksam, daß die von den Helden geübte beispiellose Nächsten- und Feindesliebe »nicht nur Sache des Ethos«, sondern auch der Erzählökonomie sei - »wer seinen Feind schont, spart ihn für weitere Abenteuer«(89) -, ohne damit allerdings die moralisch-didaktische Ausrichtung der Romane grundsätzlich in Frage zu stellen. Gravierender sind Gertrud Oel-Willenborgs(90) Einschränkungen, was Mays Sittlichkeit betrifft, wobei sie vom Hinweis auf vielfältige Diskrepanzen zwischen den Tugendproklamationen der Protagonisten und ihrem tatsächlichen Verhalten ausgeht. Solche Beobachtungen sind zweifellos stichhaltig und bewahren davor, May nun seinerseits als Volkserzieher zu verklären. Ein daraus gefolgerter prinzipieller Vorbehalt gegenüber Mays Hauptintention vernachlässigt aber was schon Helmut Schmiedt monierte - erzählerische Funktionszwänge wie ideologische Wertunterschiede von Normen und Handlungen je nach historischem oder geographischem Kontext.
»Die Norm "Achtung vor dem Leben" kann in einer stets gefahrenreichen, von wilden Kämpfen bewegten Umwelt auch dann mit guten Gründen immer wieder vertreten werden, wenn die Praxis dazu zwingt, häufig gegen sie zu verstoßen. Werte, die von einer Gesellschaft in eine ganz andere übertragen werden, verändern ihren Charakter. Autorität in der Wildnis ist, trotz aller Anlehnung an deutsche Zustände, etwas anderes als in der Heimat, und wenn den Kritikern, die allein das liberale Element freiwilliger Gefolgschaft in den Beziehungen zwischen dem obersten Helden und seinen Freunden sahen, entgegenzuhalten war, daß sich die Herrschaft Shatterhand/Karas tendenziell verselbständigt, so ist gegen Oel-Willenborg einzuwenden, daß sie den Aspekt der freien Entscheidung und die Rechtfertigung der Macht durch höhere Tugend und Leistung übersieht. «(91)
Schmiedt seinerseits aber formulierte den gewichtigsten Einwand gegen die ethische Grundsubstanz der Romane, indem er in intensiver Textarbeit den Nachweis eines durchgängigen weltanschaulichen Antagonismus' führte. Es macht den erheblichen heuristischen Wert dieser Abhandlungen aus, das Heterogene und Ambivalente bei May auch in seiner Bedeutung für den Massenerfolg herausgearbeitet zu haben. Seine Darstellung der ideologischen Brüche als Indiz für Mays Pendeln zwischen progressiven und regressiven Einflüssen, zwischen revolutionärer Utopie und konservativer Idylle, überzeugt, nicht aber sein allzu relativistisches Fazit der Rezeption, das nazistischen Interpretationen des Mayschen Werkes immerhin zubilligt, sie irrten »kaum weniger als die, die in May nur den Pazifisten und Kosmopoliten sehen.«(92)
Ganz so gleichwertig, wie Schmiedt es hier nahelegt, nehmen sich die Tendenzen in Mays Werk nämlich trotz weitgehender Offenheit für unterschiedliche Deutungen keineswegs aus; die dominierende Haltung läßt sich durchaus bestimmen, und mag auch der Autor sich im erzählerischen Gestrüpp abenteuerlicher Aktionen und quasi übermenschlicher Normen zuweilen selbst verirren, der rote Faden humanitärer Gesinnung gerät bei abwägender Deutung nie außer Blickweite. Schmiedt selbst hat dies zuvor nuancierter gesehen, wenn er feststellte, daß alle »grundlegenden Reflexionen des Helden uneingeschränkt von Toleranz und Vorurteilslosigkeit zeugen.« (144) Darüber hinaus lieferte er für einzelne ideologische Entgleisungen selbst plausible Erklärungen, indem er auf Heldenstilisierung (140), Handlungszwänge (142), allgemeine zeitgenössische Befangenheiten (147) oder ethnographische Kenntnisdefizite (148) hinwies. Hinzuzufügen wäre wohl noch Mays literarische Effekthascherei, ein auch quantitativ nicht zu unterschätzendes Motiv grotesker Völkerklischierung.
Doch dies alles führt nicht zum Nationalsozialismus, und wo es doch so rezipiert wird, bedarf es voluntaristischer wie eklektizistischer An-
strengung[Anstrengung]. Denn in Mays zuweilen kuriosem Gemisch aus privater Humanität und angelesenem Vorurteil, das ihn wiederum als Kenner fremder Welten ausweisen soll, widerspricht zwar manches manchem, die ethische Grundstruktur aber schwankt kaum trotz vielfältiger ideeller Brüche. Sie wurzelt offenbar in einem tiefen, aus seelischer Verwundung erwachsenen Empfinden für das jeweilige Opfer historischer oder gesellschaftlicher Vorgänge und ist daher viel weniger disponibel als so manche politische oder kulturelle Überzeugung. Gerade dieser antidarwinistische Zug, nicht als Lehre, sondern als Gesinnung, trennt May am deutlichsten vom Faschismus. Mag ihm daher bei der Fingierung exotischer Völker und Sitten auch manch unkritische Widerspiegelung des Zeitgeistes unterlaufen(92a), ein Chauvinist ist er nirgends, ein Sadist schon gar nicht, und vom Rassismus trennt ihn bei aller nationaler, zivilisatorischer oder missionarischer Überhebung dessen eigentlicher Kern: der Apartheidgedanke.
Ohne also in May-Apologetik zu verfallen und ohne die geistesgeschichtliche Tradition des Dritten Reiches zu ignorieren, das ja keineswegs zum völlig losgelösten historischen Einzelfall dämonisiert werden soll, wird man gut daran tun, die ungebetenen, posthumen Freundschaften des wackeren Sachsen nicht überzubewerten und die (scheinbaren) ideologischen Parallelen mit größter Skepsis zu betrachten. Liegt doch die ernstzunehmende Richtung kritischer Einwände ganz woanders. Denn in der Tat wurde Karl May durch die Nationalsozialisten mißbraucht. Er war - darüber sollte man nicht hinwegsehen - eine feste Größe in ihrer Jugendpolitik, und zwar nicht weil seine ideologische Eignung so einzigartig gewesen wäre, sondern weil man seine bereits bestehende Popularität ausnutzen wollte. Bekanntlich blieb Karl May auch im Dritten Reich beliebtester Jugendautor, während sich das faschistische Jugendbuch nicht überall durchsetzen konnte.(93) Bereits das 1. Jugendschriftverzeichnis des NSLB vom November 1933 empfahl den Autor mit 10 Bänden. Nazigrößen wie Hess, Goebbels, Göring und der bayerische Kultusminister Schemm sahen in May ein Erziehungsideal.(94) 1936, im gleichen Jahr übrigens wie Günter Eichs Hörspiel "Fährten in der Prärie", erschien mit Karl Junghans' "Durch die Wüste" der erste May-Tonfilm, die Presse beging mit einigem Aufwand seinen 25. Todestag, und schließlich stellten 1938 die "Winnetou"-Aufführungen der Festspiele im sächsischen Rathen und sudetendeutschen Bürgstein propagandistisch ausgebeutete Höhepunkte offiziöser May-Verehrung dar. Die Beteiligung des Staates an ihnen war dabei gleich dreifacher Art: SA- und SS-Organisationen wirkten als Akteure mit, die HJ stellte das
Gros des Publikums, und zur Premiere erschien die Prominenz aus Partei, Wehrmacht, Kunst und Wissenschaft.(95)
Dies alles geschah, obwohl der agitatorische Wert Karl Mays auch unter NS-Funktionären nicht unumstritten war. Galt es schließlich, massive weltanschauliche Ungereimtheiten aus dem Weg zu schaffen, welche die Erbaneignung des christlichen Indianerfreundes mit sich brachte.(96) Zuckmayer z. B. hatte noch 1930 ganz anders geartete ideologische Qualitäten bei May entdeckt und dessen Lektüre in volkspädagogischer Absicht der zeitgenössichen Jugend anempfohlen. Hätte diese nämlich erst »Old Shatterhands brennendes Rechtsgefühl und seine Liebe zu den roten Männern« in sich aufgenommen, so meinte er voller Optimismus, seien künftig bessere Politiker zu erwarten, die dann auch »auf der richtigeren Seite« stünden.(97) Ob also die "interpretatio Germana" Karl Mays nach 1933 durchweg und überall so reibungslos vonstatten ging, wie Grosshut es in seiner feuilletonistischen Polemik nahelegt, muß füglich bezweifelt werden:
»Lernen wir von dem "Heldenepos" der roten Rasse, wie Grausamkeit und List im verzweifelten "Existenzkampf" uns, wenigstens auf Zeit, den Urwald erhalten. Wir sind wie die Indianerstaemme in "Rassennotwehr" ( . . . ).
Vergessen wir nicht, dass der Wagnersche Mythos, in grauer Vorzeit spielend, zeitgemaess ergaenzt werden musste, sollte auch er wirksame Waffe werden. Mit Karl May gelang die Einheit vom Ring der Nibelungen bis zum "Schatz im Silbersee". Hitler verstand, wie er Karl May voelkisch zu interpretieren hatte.«(98)
Immerhin schienen dem Propagandaministerium einige Eingriffe in die Radebeuler Verlagsarbeit geboten. Es kam in diesem Zusammenhang seit 1939 zu z. T. einschneidenden Textveränderungen und Zensurmaßnahmen, in deren Folge zwei Drittel der Werke auch nach Bearbeitungen nicht wieder aufgelegt wurden.(94) Auch können lebhafte Karl-May-Diskussionen auf der Braunschweiger Rüstwoche der HJ als Symptome gewertet werden. Bemängelt wurde damals Mays Idealisierung einer fremden Rasse bei Verteufelung der weißen sowie seine Irrealität. Aber schließlich erteilte man offiziellerseits einen Lesedispens mit der Begründung, »der Nationalsozialismus könne darauf verzichten, der Jugend mit dem pädagogischen Zeigefinger zu drohen und ihr jede Romantik zu rauben.«(99)
Für diese Art Romantik war man allerdings im Lager der Emigranten verständlicherweise etwas hellhöriger geworden; man sah jetzt genauer auf die Zielsetzung, wog penibler:
»Karl May zu lesen ist an sich kein Verbrechen ( . . . ). Verdächtig wird die Sache erst, wenn man versucht, daraus eine Weltanschauung, ein Programm zu machen.
Und so ist es in der Tat. Hie Karl May, hie pädagogischer Zeigefinger, das heißt doch nichts anderes als: wir brauchen diese Bücher ( . . . ), damit die Jugend lernt, "gefährlich zu leben" (Goebbels) [um] sich auf das letzte, große Wildwest-Abenteuer, nämlich den Krieg, vorzubereiten.«(100)
Die Härteprüfungen und Tapferkeitsrituale an Marterpfählen, die Blutsbrüderschaften und exotisch-heroische Sehnsüchte bekamen in dieser Phase bedrohlichere Konturen, und ihre Abwertung durch Regimegegner wird erklärlich. So läßt Hans Habe z. B. in seinem 1937 erschienenen Roman "Drei über die Grenze" den im Exil lebenden ehemaligen Abgeordneten und Marineoffizier Holl folgendes Urteil sprechen:
»Phantasie und Romantik. Aber kennen Sie den Unterschied zwischen Novalis und Karl May? Drüben liest man jetzt nicht Novalis. Sondern "Winnetou", soviel ich höre. Es gibt edle Romantik. Gibt auch Bauchkriech-Romantik. Piff-paff-puff-Phantasie. Mit Romantik kann man Volk führen. Edler Romantik. ( . . . ) Aber Braunhemden? Frei nach Karl May. Kranke Phantasie. Bleicher Ehrgeiz. Mittelschüler-Ehrgeiz. Pubertäts-Romantik. Verzeihen Sie den harten Vergleich - Liebesphantasie und Onanisten-Phantasie.«(101)
Bereits ein Jahr zuvor war Paul Elbogen aus psychoanalytischer Warte zu ähnlichen Ergebnissen und Wertungen gelangt, die er, feuilletonistisch verpackt, im "Neuen Tage-Buch" publizierte. Er erklärte Mays Popularität im damaligen Deutschland wie seine Wirkung auf die neuen Machthaber als Resultat einer seinen Werken inhärenten knabenhaften Bisexualität, »aus der, wie allbekannt, eben dieser Infantilismus samt der Männerbündelei in Deutschland stammt.«(102) Und auch Karl Otten registrierte die Gefahr eines ständigen Wildwestrauschs. Uber die Erziehung in der Hitlerjugend schrieb er 1942:
»German children should become dominated by the idea that they are "Red Indians" in actual fact, and that they ought to remain "Red Indians" throughout life; we may mention the pertinent fact that Hitler's favourite author is one Karl May, the writer of Red Indian stories ( . . . ) which represent ( . . . ) the most unadulterated type of Americanism, namely the "achievement of the impossible".«(103)
Vergleichbare und weiterführende Reflexionen stellte Erich Kästner angesichts nazistischer Tätowierungspraktiken an. Auch für ihn tragen die Amtshandlungen der neuen Machthaber und allen voran ihr Karl May lesender Führer Spielcharakter, der allerdings in blutigen Ernst übergeht. Ihre exzessive Lust an Organisation und Staffage, an Ritualen, Dekorationen, pubertärer Witzelei und weihevollem Geschwätz sieht er als Ergebnis einer bis zur Selbsttäuschung reichenden pervertierten Jugendromantik:
»Tätowierung der Lagerhäftlinge am Unterarm, Tätowierung der Wachtposten und Henker unter der Achsel, einmal als angebliche Schande, einmal als angebliche Ehre, wahnwitziges Indianerspiel germanischer Karl May-Leser, groteske Verwechslung von Tausendjährigem Reich und unabwaschbarer Tinte.
Schon im September 1934, anläßlich meiner ersten Verhaftung durch die Gestapo, fiel mir die infantile Indianerlust der Leute auf. ( . . . ) Sooft jemand das Haustelefon benutzte, nannte er nicht etwa seinen Namen, sondern sagte: "Hier ist F., ich möchte L. sprechen". Noch viel lieber, schien es mir, hätten sie sich "Adlerfeder" und "Falkenauge" tituliert.
Wie sie miteinander die Aufträge für den Nachmittag koordinierten, die geeignete Reihenfolge der Verhaftungen und Haussuchungen und wie sie die Frage erörterten, ob zwei Autos ausreichen würden oder ein Lastwagen vorzuziehen sei, das klang nicht, als sollten sie nach dem Berliner Westen, sondern in den Wilden Westen. Als säßen sie nicht an Bürotischen in der Prinz-Albrecht-Straße, sondern am Lagerfeuer in der Steppe. Als wollten sie, ein paar Stunden später, nicht etwa in Mietwohnungen einer Viermillionenstadt eindringen und überraschte Steuerzahler drangsalieren, sondern als seien sie auf verbarrikadierte Blockhäuser und auf Kunstschützen und Pferdediebe aus. ( . . . ) es waren ( . . . ) Trapper und Indianer, Karl-May-Leser wie ihr Führer ( . . . ), Pfadfinder mit blutigem Fahrtenmesser, braune Rothäute als blonde Bestien. Europa als Kinderspielplatz, mutwillig zertrampelt und voller Leichen.«(104)
So unbestreitbar das Recht, ja, vielleicht sogar die moralische Pflicht der politisch Klarsichtigen war, vor den Gefahren und dem Endzweck dieses kollektiv gelenkten Spieltriebs zu warnen, so verführerisch und vielleicht sogar vordergründig wirksam damit die Gleichsetzung von May und Drittem Reich sein mochte, so untauglich und falsch war sie zur Kennzeichnung der tatsächlichen Umstände. Die heutige Forschung darf deshalb bei aller Würdigung auch der fehlgelaufenen Rezeption zur Beurteilung Mays die e i n e, die Grundfrage nicht aus dem Auge verlieren. Und sie lautet: Legten seine Romane ihrem wesentlichen Gehalt nach einen Gebrauch im Sinne des Nationalsozialismus nahe oder nicht, förderten sie aggressive, sadistische oder einschlägige infantile Anlagen?
Die ideologische Ausbeutung dieser (für manches offenen) Texte, die ja nun in der Tat stattgefunden hat, allein ist noch kein hinreichendes Indiz. Dies passierte damals schließlich sämtlichen Ritterepen des Mittelalters, desgleichen Störtebecker, Rudolf Caracciola oder Homer. Auch Coopers "Lederstrumpf"-Romane erfüllten ihre entsprechende Aufgabe, wobei übrigens der stärkere Verzicht auf Idyllisierungen und Teile der konservativen Ethik einer Einverleibung ins NS- Konzept nicht ganz soviel Widerstand entgegensetzten. So wie mit Karl Mays Werken jedenfalls verfahren wurde, ließ sich Parzival zum SS-Führer stilisieren oder die "Robinson"-Lektüre als Vorbereitung für Einzelkämpferlehrgänge im HJ-Lager verwenden. So hatte man be-
reits[bereits] im Ersten Weltkrieg den "Struwwelpeter" umfunktioniert und im Zweiten den "Jud Süß" oder den "Schimmelreiter".'(105) Und welch herrliche Möglichkeiten systemkonformer Jugendbeeinflussung für findige Demagogen rein theoretisch in "Emil und die Detektive" stecken, sei hier aus Pietät gegenüber Kästner nicht einmal angedeutet.
Wo immer Literatur, die nicht gegenwartsfixierte politische Stellungnahmen enthält, in Aktion und Idolen die Aufmerksamkeit der Herauwachsenden bindet, ist ihre ideelle Substanz manipulativen Tendenzen ausgesetzt. Bis zu einem gewissen Grade handelt es sich bei dieser Problematik also nicht um eine spezifisch Karl May berührende Streitfrage. Sie betrifft vielmehr das grundsätzliche Dilemma, daß jeglicher Idealismus mißbraucht, jegliches Vorbild ausgebeutet werden kann. Die Gegenwart glaubt dieser Kalamität mit dem Kursverfall der sogenannten Sekundärtugenden begegnen zu sollen. Mit welchem Erfolg, bleibt abzuwarten. Man überspannt jedenfalls die Verantwortung eines Autors für seine Leserschaft, wenn man ihn das verstümmelte und verkürzende Textverständnis der nächsten Generation und den programmatischen Opportunismus seiner selbsternannten Jünger entgelten läßt. Das ging im Fall Nietzsches oder gar Luthers schon nicht ohne Simplifizierungen und intellektuelle Unredlichkeiten vonstatten, das ist bei Karl May, dessen Aneignung im Dritten Reich und dessen Wirkung auf Hitler ein symptomatisches Beispiel eklektizistischer Traditionsbildung bzw. selektiver Wahrnehmung darstellt, schlicht fehl am Platze.
Wer May durch die Begeisterung der Naziführer, allen voran Hitlers, für ideologisch überführt hält, vergißt, daß der Autor von ganzen Generationen verschlungen wurde, und zwar mit durchaus anderem Resultat. Wer Heinemanns Sammelband mit Aussprüchen über den Autor zur Hand nimmt, wird von der Vielfalt seiner Anhänger überrascht (von Bergengrnen bis Einstein, von Kissinger bis Liebknecht, von Heuß bis Kardinal Frings), denen man wahrlich nicht allen Wirklichkeitssinn oder humanitäre Gesinnung absprechen kann. Des Diktators Leseerlebnis und die von mir mit allem Vorbehalt unterstellten Folgen waren offensichtlich nur e i n e Form dichterischen Effekts. Die geträumten Exotien, der Wilde Westen oder die orientalischen Wüsten, konnten zweifellos auch anders gedacht und realisiert werden als in Aggression und Eroberung. Lag dem Textsinn nicht viel näher, sie als Aufgabe zu betrachten, als missionarisch-karitative Herausforderung, wie Albert Schweitzer(106) es tat? Nein, Hitlers Affinität war keineswegs zwingend. Sie verriet letztlich mehr über ihn als über Karl May, über seinen taktischen Relativismus, der ihm zuweilen beden-
kenlose[bedenkenlose] Einverleibungen aus dem Katholizismus oder Sozialismus anempfahl, oder seine an Halsstarrigkeit grenzende Neigung, Dinge zu ignorieren, die seiner ursprünglichen Vorstellung widersprachen. Ohne diese Indolenz hätten ihm die fundamentalen ideologischen Differenzen ins Auge springen müssen; denn just die Grundüberzeugungen Hitlers, die keinem opportunistischen Kalkül mehr unterlagen, desavouierte May doch in beinahe jedem Kapitel.
Sondert man die Konstanten in Hitlers Weltbild von den taktischen Programmpunkten, so ergibt sich folgende Liste:
1. Nationalismus (nach der Devise: »right or wrong, my country«)
Da bleibt nicht viel Gemeinsames: Rassismus wie borniert-völkischen Nationalismus, dazu Kriegsbegeisterung lehnte der Pazifist May entschieden ab. Zwar zollt auch er dem Zeitgeist so manchen Tribut, indem er offenbar die Welt durch deutsches Wesen genesbar wähnt, doch geschieht dies ohne kriegerische Aggression oder imperialistische Konsequenz - erst recht nicht im Sinne von Hitlers Raumordnung. Wie May über Eroberungen dachte, ist in "Winnetou I" nachzulesen; statt sozialdarvvinistischer Bejahung des Faustrechts findet sich dort elegische Trauer angesichts eines unaufhaltsamen Schicksals. Ehrfurcht und Respekt vor fremden Sitten, Toleranz, Verzeihung, Milde, soziales Mitleid und christliche Nächstenliebe - Eigenschaften, welche zumindest die Mayschen Protagonisten auf Schritt und Tritt vorweisen und bis zur Unglaubwürdigkeit vorleben, finden in Hitlers machttaktischem und ressentimentsbehaftetem Denken keinen Platz. Die fortgesetzte Schonung auch erbittertster Gegner galt seinem Verständnis als unangebracht-sentimentale Gefühlsduselei. Und es bereitet daher einige psychologische Schwierigkeit, sich konkret vorzustellen, wie Hitler sich Abend für Abend bei Karl May erholen konnte, ohne von dessen Humanitätsappellen jemals auch nur irritiert worden zu sein.(107) Wenig oder fast nichts aus dem ungeheuren Hitlerschen Haßpotential konnte in den Schilderungen Old Shatterhands und Winnetous seine
Entladung finden, denn May verordnet seinen Helden ja selbst dort humanitäre "Beißhemmungen", wo die meisten Leser bereit gewesen wären, ihrer "berechtigten Empörung" freien Lauf zu lassen. (Die poetische Gerechtigkeit, die sich durch Eigenverschulden der Täter oder Dritte schließlich doch noch einstellt, ist nur unzulänglicher Ersatz für spontane Gefühlswallungen, zumal gelegentlich noch in letzter Minute Einsicht, Bekehrung und Buße den Rachegedanken verdrängen können.) Mit Mays moralischem Arsenal war wirklich kein Hitlerscher Staat zu machen.
Angesichts solcher Beobachtungen, angesichts der Tatsache, daß Mays Intentionen auf Versöhnung, Ausgleich, Rechtsbewahrung und friedlichen Wettstreit abzielen, gehört Hitlers Geständnis, daß Winnetou schon immer sein Vorbild eines edlen Menschen gewesen sei, wohl zu den provozierendsten und was die begrenzte Wahrnehmung des Diktators betrifft, zu den charakteristischsten Aussprüchen(107a), und es läßt sich darauf eigentlich nur entgegnen: Hätte er sich doch diesem Idol tatsächlich zu nähern versucht und sich nicht nur das Häuptlingsprinzip, das zuweilen überstrapazierte heldische Tugendsystem und den nationalen Dünkel herausgeklaubt, die Welt hätte einen anderen Verlauf genommen. Nicht der May-Einfluß auf Hitler, sondem der unzulängliche May-Einfluß ist somit das eigentlich Fatale. Wenn schließlich bei May der vorbildliche Westmann als potentielle Legitimation des Führergedankens, der Heroismus als politisch ausbeutbar und gefährlich diagnostiziert wurde, so sollte man nicht übersehen, daß Verhaltensweisen wie Kampf- und Opferbereitschaft in der damaligen Situation auch auf seiten der Emigranten gefragt sein mußten. Die Polemik gegen diesen Teil in Mays Werk vergißt leicht, daß gerade die antifaschistische Opposition u. U. mehr noch als die national-sozialistischen Nutznießer dieser Erziehung auf solche Ideale angewiesen waren. Habes "Drei über die Grenze" zeigt dies exemplarisch, indem Holls oben zitiertes Urteil durch - wenn auch selbstironische - emotionale Reflexe des im Untergrund tätigen Helden relativiert wird:
»Sergius empfindet ( . . . ), dass er darauf wartet, nach Deutschland abberufen zu werden. Mit herber und trutziger Bitterkeit möchte er die gefahrvolle, die waghalsige, die verhängnisvolle Pflicht erfüllen ( . . . ). Mehr als lächerlich ist, weiss Sergius, ein solcher bubenhafter Heroismus: und er muss daran denken, was Holl über die Karl May-Romantiker gesagt hat. Winnetou, der edle Indianer, fühlt Richard - wird man nie alt genug, um sich freizumachen von solchem bunten Heroentum? Er lächelt in Gedanken«.(108)
Es enthält diese Textstelle ein vorsichtig andeutendes erstes Zugeständnis, daß man mit May in damaliger Zeit auch hätte anders verfah-
ren[verfahren] können. Schließlich erhielt ja auch der Jugendprotest der »Navajos« und »Edelweißpiraten« seine Nahrung durch Karl May. Auch regten sich unter der organisatorischen Decke des 1942 gegründeten »Deutschen Karl-May-Bundes«, dessen eigentliche Aufgabe darin bestand, den nichtnazifizierten Dichter zu pflegen, erste Keime eines (geistigen) Widerstands.(109) Doch sah man im Ausland das brachliegende Propagandafeld offensichtlich nicht. Zu keiner Zeit war man sich von seiten der Emigranten bewußt, welche Chance zur ideellen Beeinflussung in der Popularität Mays lagen.
Warum sonst gab es - von wenigen Ausnahmen abgesehen - eigentlich nur Polemik, kaum(110) den agitatorisch verwertbaren Nachweis, wie mühsam und notdürftig May ins NS-Korsett gezwungen worden war, wie er durch die jetzige Jüngerschaft verhunzt, sein ideeller Gehalt auf den Kopf gestellt wurde? Lohnte sich das nur bei Goethe und Schiller? Und war man im letzten eigentlich ganz zufrieden mit den scheinbaren Sinnfälligkeiten, daß es die Nazis zur Trivialliteratur getrieben hatte, daß somit die Identität von Kitsch und Unmoral wieder einmal bewiesen war? Pachulke-Hitler las Karl May, das klärte die Fronten. Opferte man May also - wie Bach bereits im Fall Klaus Manns vermutete - auf dem Altar literarischen Snobismus'? Oder handelte es sich nur um eine Form von Emigrantenpsychose, die den Kritikern die vorurteilsfreie Sicht weitgehend versperrte? Schließlich forderte der antifaschistische Kampf auch andernorts unübersehbar seinen Preis, drängte den Opponenten ihrerseits eine Freund-Feind-Haltung, ja, vielleicht sogar eine Selektion der Wahrnehmung auf. Feststeht jedenfalls die abnehmende Bereitschaft, zwischen Hitler und seinem belletristischen Prügelknaben zu differenzieren.
Nun mochte dieses verkürzende Verfahren - was schwer zu beweisen wäre - zur NS-Ära seinen begrenzten agitatorischen Nutzen haben, einen heuristischen Wert besitzt es nicht, hat es nie besessen. Vielleicht ist die jüngste Entscheidung in Ost-Berlin auch eine Frucht dieser Erkenntnis.
2 [Friedrich] Sally Grosshut: Nachdenkliches zu Karl May. In: Orient, Haifa,3 (1942), Nr. 10, S. 10/11. Umfangreicher Auszug in: Lothar Bembenek: Der »Marxist« Karl May. Hitlers Lieblingsschriftsteller und Vorbild der Jugend? In: Sammlung. Jb. f. antifaschistische Literatur und Kunst. Frankfurt 4 (1981), S. 154f.
3 Die Suche beschränkte sich weitgehend auf 10 der namhaftesten Exil-Zeitschriften und repräsentative während der NS-Herrschaft im Ausland lebende Schriftsteller.
Der innere Emigrant Kästner, der übrigens in den letzten Tagen des Regimes aus Schutzgründen auch eine Art österreichisches Exil durchleben mußte, gehört sinngemäß in diesen Zusammenhang. Die Literatunenweise finden sich im Laufe des Aufsatzes. (Für weitere Hinweise im Rahmen des Themas wäre der Verf. dankbar.)
4 Vgl. zur Rezeption den grundsätzlichen Aufsatz von Hainer Planl: Literatur und Politik. Karl May im Urteil der zeitgenössischen Publizistik. In: Jb-KMG 8 (1978), S. 174-255
5 Plaul a. a. O. S. 240-46; dazu: Hartmut Vollmer: »Er kommt weit her, aus Urklängen . . . « Karl Mays Wirkung auf den Expressionismus. In: M-KMG 52 (1982), S. 17-22
6 Vgl. für die im folgenden aufgeführten Namen, wenn nicht zusätzliche Hinweise gegeben werden, die jeweiligen Zitate in: Erich Heinemann: Über Karl May. Aussprüche namhafter Persönlichkeiten. Ubstadt 1980
7 Vgl. Jb-KMG 2 (1971), S. 234f.
8 Jb-KMG 2 (1971), S. 226-29; M-KMG 9 (1977), S. 21
9 Plaul a. a. O. in: Jb-KMG 8 (1978) S. 245f.
10 Jb-KMG 1 (1970), S. 98-109; Jb 2 (i971), S. 221-25; Franz Cornaro: Robert Müllers Stellung zu Karl May. In: Jb-KMG 2 (1971), S. 236-45
11 Vgl Claus Roxin: Hermann Hesse, Karl May und der Pazifismus. In: M-KMG 5 (19iO), S. 11-14; dazu Franz Cornaro in: M-KMG 6 (1970), S. 28f.
12 Beispielhaft für eine solche Funktion ist der Roman "Die Räuberbande". Plaul (a. a. O. S. 242) weist in diesem Zusammenhang zusätzlich auf Arnold Zweigs Novelle "Die Untenwerfung" hin.
13 Vgl. stellvertretend: Ernst Bloch: Urfarbe des Traums. In: Die literarische Welt, Berlin, 3. 12. 26, abgedruckt in: Jb-KMG 2 (1971), S. 11-16; dazu: Erbschaft dieser Zeit. Zürich 1935, S. 111-15,280-88. Zu Blochs Verhältnis zu May s. auch: Gert Ueding: Glanzvolles Elend. Frankfurt a. M. 1973
14 Georg Heym: Dichtungen und Schriften, Bd. 2. Hamburg-München 1962, S. 181
15 Zuerst erschienen im Literaturblatt der "Frankfurter Zeitung" vom 31. 3. 29, aufgenommen in: Erbschaft a. a. O. S. 111-15; Neufassung in: Karl May. Hrsg. von H. Schmiedt a. a. O. S. 28-31
16 Erbschaft a. a. O. S. 121. Vgl. dazu ders.: Indianerroman u. Faschismus. In: Frankfurter Zeitung, 20. 12. 31
17 Jb-KMG 1 (1970), S. 79
18 vgl. unten Anm. 38
19 Leo Lania: »Karl May, richtig gesehen«. In: NTB 4 (1936). S. 1007
20 Bert Brecht: Bruchstücke zu Flüchtlingsgespräche [entstanden 1941-47], in: Gesammelte Werke, Bd. 14. Frankfurt a. M. 1967, S.1505f.; zur frühen Karl-May-Begeisterung Brechts s. Heinemann a. a. O. S. 21
21 Vgl. Plaul a. a. O. in: Jb-KMG 8 (1978), S. 254, Anm. 177
22 Grosshut a. a. O. S. 9/11
23 Vgl. dazu: Dieter Sudhoff: Als wär's ein Stück von ihm. Carl Zuckmayer und Karl May. In: M-KMG 38 (1978), S. 21-25; C. Zuckmayer: Karl May: Ein Phänomen. In: Bl. d. Zuckmayer-Ges. 6 (1980), H. 2, S. 107f.
24 Vgl. seinen Brief an Werner Richter vom 2. 9. 43 (in: H. Broch: Briefe,2. Bd. Frankfurt a. M. 1981, S.344): »( . . . ) im Bett zu liegen, krank zu sein, nicht in die Schule zu gehen und Karl May lesen zu dürfen, hat ja stets seine trostreichen Reize in diesem Leben gehabt. Und wenn ich Ihnen sage, daß ich selten seit Winnetous und Old Shatterhands und Old Surehands Tagen so gefesselt und beglückt von Geschriebenem und Gedrucktem gewesen bin, wie eben von Old Werner Richter, so werden Sie zwar vielleicht beleidigt sein, weil Sie vielleicht von Karl May nichts halten, aber wenn Sie dies täten, so mögen Sie versichert sein, daß Sie von wahrer Dichtung nichts verstehen, sondern rein snobistische Ansichten darüber haben. «
25 Bernhard Menne: Karl May und der Nationalsozialismus. In: NWB 33 (1937), S. 473f
26 Vgl. zum Verhältnis Kisch-May Manfred Heckers Aufsätze sowie diverse Neuabdrucke von Kisch-Texten und Miszellen in: M-KMG 12 (1972), S. 17-19; 13 (1972),
27 E. E. Kisch: Karl May, Mexico und die Nazis. In: F. D., 1 (Nov. 1941), Nr. 1, S. 11 Nenabdruck des Manuskripts in: M-KMG 13 (1972), S. 10-13; dazu Hecker in: 32 (1977), S. 32
28 Der Einfluß, den marxistische Emigranten auf die Nachkriegsrezeption Karl Mays genommen haben, wie insbesondere die DDR-Rezeption wären eigene Untersuchungen wert. Die Rolle, welche in diesem Zusammenhang Becher oder der ewig linientreue Kurella - vgl. auch Heinemann a. a. O. S.69 - gespielt haben dürhen, ist sicher nicht zu unterschätzen.
29 Johannes R. Becher: Deutsche Lehre. In: I. L., H. 4 (1943), S. 34; auch in: ders.: Publizistik, II, Berlin-Weimar, 1978, S. 278
30 O. R. Achenbach: Auf dem Obersalzberg. In: Sonntag-Morgenpost, München, 23. 4.33
31 Peter Munk: Vom Leben der Pimpfe. In: Wort 2 (1936), V, S. 108
32 K. K. R.: Tschechoslowakei. In: Wort 9 (1938), X, S. 136
33 Kurt Baumann: Sein Gesamtkunstwerk. In: Wort 9 (1938), XI, S. 154
34 Walden publizierte in seiner Zeitschrift "Der Sturm" am 12. 5. 1910 das nachdrückliche Bekenntnis des Schriftstellers Rudolf Kurtz zu Karl May, als diesem von Presse und Justiz gerade hehig zugesetzt worden war (Offener Brief an Karl May, abgedruckt in: Jb-KMG 2 [1971], S. 230-33).
35 Der Dichter des Führers. In: I. L., H. 9 (1938), S. 132
36 e.: Karl May, richtig gesehen. In: M. N. N. vom 27. 9. 36
37 Lania a. a. O. (Mit diesen Worten endet die Glosse.)
38 Heinrich Mann: Es kommt der Tag. Zürich 1936, S. 68. Die vorangehenden Zeilen lauten: »Ein Pachulke weidet sich zwei Jahre lang an dem, übrigens leeren Gedanken, daß er seine Feinde ins Lager geschickt hat; dann lädt er sie zum Frühstück und bietet ihnen die Hand zur Versöhnung, ganz Tertianer-Mohikaner.« Zur Erklärung: Pachulke ist ein von H. Mann geprägter Typus des dummdreist-brutalen, nationalbornierten Deutschen, aus dem sich die NS-Anhängerschah rekrutiert, zuweilen auch ein Gegenbegriff für den besseren Deutschen oder eine Bezeichnung für Hitler selbst.
39 Einen späten ironischen Reflex dieser Einschätzung enthält auch Erich Maria Remarques "Die Nacht von Lissabon" (Köln-Berlin 1962, S. 48f.): »Es war bekannt, daß der Mann, der den Zweiten Weltkrieg begonnen hat, als Lektüre in seinem Schlafzimmer die dreißig oder mehr Bände eines Schrihstellers über Indianer Trapper und Jäger stehen hatte, die man als Junge von fünfzehn Jahren bereits als leicht lächerlich zu empfinden begonnen hatte.«
40 Old Shatterhand, Doctor Philosophiae. In: Wort 1 (1936), I, S. 104. Die Glosse enthält keinen Namen. Nach Angaben des Herausgebers des Reprints stammen diese Art von Beiträgen zu 20 Prozent von ihm, Fritz Erpenbeck, die übrigen mit wenigen Ausnahmen von Herwarth Walden.
41 Der vom "Wort" insinuierte Titel der Dissertation Heinz Stoltes ist ebenso falsch wie der angeführte Name »Karl Stolize«. Ob Irrtum oder bewußte Falschmeldung, diese unkorrekten Angaben fanden auch Eingang in Walter A. Berendsohns "Die humanistische Front" (I, Reprint [Zürich 1946] Worms 1978, S. 45), das ansonsten ein eher abwägendes Urteil über May enthält. Die Abwertung des Forschers Stolte ist allerdings auch hier - en passant - gegeben und fand schließlich ihre Fortsetzung in den Diffamierungen der jüngsten Tage.
42 Old Shatterhand, Doctor . . . a. a. O. Lania (a. a. O. S. 1006) beginnt übrigens in ähnlich spöttischem Ton: »Die Wissenschaft des Dritten Reiches hat endlich eine Leistung aufzuweisen die ihr niemand streitig machen kann und die den Geist, der ihre Universitäten erfüilt, in hellem Lichte erstrahlen lässt.«
43 Ein Beispiel dafür wäre Paul Elbogens Besprechung (Noch einmal: Karl May. In: NTB 4 [1936], S. 1052f.) und sein Haupteinwand, Stolte halte »die Heroik a u s d r i t t e r H a n d für e c h t e Heroik«. (1052)
44 Vgl. Paul Rillas Statement von 1930 (zit. nach Heinemann a. a. O. S.93): »Von seiner
Wirkung, von seinem Publikum her . . . gehört Karl May zu den interessantesten literarischen Erscheinungen der letzten fünfzig Jahre. Wer heute daran geht, diese Wirkungen und Voraussetzungen systematisch zu untersuchen, braucht sich nicht mehr zu entschuldigen. Er leistet wichtige Arbeit.«
45 Walter Mehring: Formica rufa. In: NTB 5 (1937), I, S. 381
46 Es ist dies, um stellvertretend nur einen Schriftsteller zu nennen, ein Hauptthema Lion Feuchtwangers in zahlreichen literarischen und publizistischen Hitler-Porträts. Vgl. z. B. die Romane "Die Geschwister Oppermann. oder "Die Brüder Lautensack".
47 Vgl. zu den genannten Personen Heinemann a. a. O., S. 15, 83, 124
48 Adolf Hitler. Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Die Aufzeichnungen Heinrich H e i m s. Hrsg. v. W. Jochmann. München 1980, S. 281
49 Aussage des später in Ungnade gefallenen Kaufmanus Kurt Luedecke (zit. nach Joachim C. Fest: Hitler. Frankfurt a. M. u. a. 1973, S. 481)
50 Albert Speer: Spandauer Tagebücher. Frankfurt a. M. 1975, S. 523. Zu Speers Aufzeichnungen vgl. auch Volker Berlin: Der »Feldherr« Winnetou. In: M-KMG 28 (1976), S. 33-35.
51 Hans Severus Ziegler: Adolf Hitler aus dem Erleben dargestellt. Göttingen 1965, S. 76f.
52 vgl. Fest a. a. O. S. 615
53 Bradley F. Smith: Adolf Hitler. His Family, Childhood and Youth. Stanford Univ. 1967, S. 67, zit. nach Erich Fromm [s. Anm. 65]
54 Speer a. a. O. S. 259
55 Kommentar Henry Pickers (Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier. München 1976, S. 125) zum 10. 3. 42
56 Ziegler a. a. O. S. 76, Speer a. a. O. S. 259f.
57 John Toland: Adolf Hitler, I. Bergisch Gladbach 1977, S. 31. Inwieweit die späteren Karl-May-Dramatisierungen von 1938 nicht vielleicht (indirekt) durch Hitler angeregt oder persönlich gefördert wurden, wäre zu untersuchen.
58 Konrad Heiden: Hitler. Das Leben eines Diktators. Zürich 1936, S. 26
59 zit. nach Fest a. a. O. S. 198f.
60 Die Ausführungen dieses - in mancher Hinsicht an Karl May erinnernden - Pseudologen sind, was den realgeschichtlichen Gehalt betrift, zwar generell mit einiger Vorsicht zu genießen. Hinsichtlich der Äußerlichkeiten dürfte der Kenner Münchener Szenerie jedoch halbwegs korrekt berichten.
61 Friedrich Percyval Reck-Malleczewen: Tagebuch eines Verzweifelten. Bonn 1981, S.24
62 Vgl. Ernst Alker: Die deutsche Literatur im 19. Jahrhundert. Stuttgart 1969, S. 314
63 Rudolf Olden: Hitler. Amsterdam 1936, S. 80f.
64 Johannes R. Becher: Zur Frage der politisch-moralischen Vernichtung des Faschismus. In: ders.: Publizistik II, a. a. O. 423
65 Erich Fromm: Anatomie der menschlichen Destruktivität. Darmstadt 1974, S. 348. Vgl. dazu auch den soeben erschienenen Beitrag von Martin Lowsky: Die Erwähnung Mays in Erich Fromms Hitler-Analyse. In: M-KMG 57 (1983), S. 19-22
66 Heims a. a. O. S. 398
67 Picker a. a. O. S. 125
68 Bezeichnenderweise schenkte er seinem Neffen Heinz Karl Mays Gesamtausgabe (Werner Maser: Adolf Hitler. Legende-Mythos-Wirklichkeit. München 1980, S. 181).
69 Ziegler a. a. O. S. 76
70 Speer a. a. O. S. 523
71 Ebd. 465
72 Ziegler a. a. O. S. 77. Auf solche persönlichen Eingriffe läßt auch Heims Notiz vom 17. 2. 42 schließen (a. a. O. S. 281), er, Hitler, »würde den Karl May wieder erscheinen lassen.«
73 Karl Kraus: Die dritte Walpurgisnacht. München 21955, S. 42 (geschrieben 1933)
74 Picker a. a. O. S. 125; Heims a. a. O. S. 281
75 zit. nach Fest a. a. O. S. 615
76 Speer a. a. O. S. 523
77 David Irving: Hitler und seine Feldherrn. Berlin 1975, S. 57
78 Der Volkssturm. Berlin-O, S. 63f., zit. nach Inform. Beil. d. M-KMG 57 (1983), S.7f.
79 Grosshut a. a. O. S. 10
80 Vgl. zu dieser Thematik z. B. David Irving a. a. O. Hans-Heinrich Wilhelm: Die Prognosen der Abteilung Fremde Heere 0st 1942-i945. In: Hans-Heinrich Wilhelm/ Louis de Jong: Zwei Legenden aus dem Dritten Reich. Stuttgart 1974; Manfred Kehrig: Stalingrad. Stuttgart 1974
81 Robert Lucas: Teure Amalia, vielgeliebtes Weib. Die Briefe des Gefreiten Adolf Hirnschal an seine Frau in Zwieselsdorf. Wien u. a. 1945, S. 76f. (Sendung vom 2.3.42)
82 Klaus Mann a. a. O. S. 392f. Vgl. auch das eingangs angeführte Zitat (Anm. 1)
83 Mann und Grosshut sprechen von erfüllten Prophezeiungen, Baumann (a. a. O. S. 153) ironisiert Hitler als Handlanger (»Ich habe getan, was Du nur schmiertest.«) und Martin Joos (Er hatt' einen Kameraden. In: NTB 7 [1939], I, S. 474) gibt ernsthaft zu bedenken: »Welches Unheil diese Romane, auch politisch in ihm angerichtet haben, wäre der Analyse wert.«
84 Wolf-Dieter Bach: Hitlers Schatten zwischen Klaus Mann und Karl May. In: M-KMG 27 (1976), S. 14
85 Ebd. S. 16
86 S. auch Karl Ottens Hinweis auf die Illusion des Unmöglichen (Zitat zu Anm. 103)
$86a$ Vgl. Rolf Breuer: Karl May. Tagträumer der Nation. In: Psychologie heute. Weinheim, Mai 1982, bes. S. 44f.
87 Vgl. dazu den Aufsatz von Erich Heinemann: »Karl May paßt zum Nationalsozialismus wie die Faust aufs Auge«. Der Kampf des Lehrers Wilhelm Fronemann. In: Jb-KMG 12 (1982), S. 234-44; dazu Bembenek a. a. O. bes. S. 153f.
88 Heinemann: Fronemann a. a. O. S. 238
89 Volker Klotz: Durch die Wüste und so weiter. In: Karl May. Hrsg. v. H. Schmiedt a. a. O. S. 89
90 Gertrud Oel-Willenborg: Von deutschen Helden. Eine Inhaltsanalyse der Karl-May-Romane. Weinheim-Basel 1973
91 Helmut Schmiedt: Karl May. Studien zu Leben, Werk und Wirkung eines Erfolgsschriftstellers. Königstein/Ts. 1979, S. 246
92 Ebd. S. 243
92a Besonders penetrant wirken solche negativen Völkerklischees im Fall der Armenier. Vgl. dazu Rainer Jeglin: Karl May und die Armenier. In: M-KMG 6 (1970), S. 20-24; 7 (1971), S. 22-25.
93 Vgl. die Andeutungen einer gewissen Resistenz der Jugendlichen gegenüber Parteiliteratur in: Peter Aley: Jugendliteratur im 3. Reich. Hamburg 1969, S. 208ff.; Bembenek a. a. O. S. 148
94 Vgl. zu diesem Komplex Bembenek a. a. O. S. 148f.; Heinemann: Fronemann a.a.O.S.236,242
95 Berendsohn a. a. O.; vgl. auch Baumanns (a. a. O.) satirische Beschäftigung mit den Festspielen von 1938
96 Vgl. den Hinweis auf rassenpolitische Einwände bei Hans Laqua (Warum Karl May? Vortrag gehalten im NS-Lehrerbund Habelschwerdt, Nov. 1937, Radebeul 1939) oder die von Fronemann ausgelösten Diskussionen (s. Anm. 86). Dessen im 3. Reich entstandene May-Philippica, nicht ohne Sachkenntnis und Akribie verfaßt, stellen unfreiwillige, aber einzigartige Plädoyers für den humanen May dar. Noch bedeutsamer ist Will Vespers vehemente Ablehnung der Indianerpoesie, die er als mit germanischen Rassevorstellungen unvereinbar ansah. So formulierte der einflußreiche Herausgeber der "Neuen Literatur" im Februar 1939: »Wir sind ein weißes Volk. ( . . . ) Die weiße Rasse ist in Gefahr. ( . . . ) Es sei uns Warnung genug, daß das Judentum überall Schrittmacher der farbigen Vermischung und Zerstörer der weißen Wachsamkeit ist. Und so wollen wir der farbigen Gefahr, die für unser Volk zunächst und hauptsächlich eine seelische Gefahr ist, mit aller Schärfe dort begegnen, wo sie uns bedroht, in der Farbigenschwärmerei der europamüden Literatur.« (S. 102, Unsere Meinung).
97 Carl Zuckmayer: Palaver über Karl May. In: Ja und Nein, Berlin 2 (1930), S. 86
98 Grosshot a. a. O. S. 10
99 Zitat nach Munk a. a. O. S. 108. Den Bericht der "Frankfurter Zeitung" über die Braunschweiger Rüstwoche bringt Inform 9 (1974), S. 36 als Faksimile-Abdruck. Text auch bei Bembenek a. a. O. S. 148. Die Datumsangabe 28. 7. 35 war allerdings in der Reichsausgabe der "F. Z" nicht zu verifizieren.
100 Munk a. a. O. S. 108
101 Hans Habe: Drei über die Grenze. Genf 1937, S. 363
102 Elbogen a. a. O. S. 1053. Elbogen wie Habe sprechen es zwar nicht direkt aus, aber bei dieser Diagnose war eine Anspielung auf den »Führer« mitbedacht, dessen Sexualität - zumindest gemäß antinazistischem Ondit - gestört sein sollte. Vgl. zu diesem Komplex z. B. Werner Masers (a. a. O. S. 305-69) Kapitel "Frauen".
103 Karl Otten: A Combine of Aggression. London 1942, S. 206. An anderer Stelle des Werkes heißt es in diesem Zusammenhang: »The whole life is nothing but a continuous mechanized "playing at Red Indians".« (S. 102)
104 Erich Kästner: Notabene 45, (Mayrhofen 22.5.45), in: ders.: Gesammelte Schrihen für Erwachsene. München-Zürich, Bd. 6, S. 172-74
105 Vgl. Karl Ewald Olszewski: Der Kriegs-Struwwelpeter. München 1915; zu Storms Interpretation im 3. Reich s. Aley (a. a. O. S. 157-59). Ganz in diesem Sinne erfolgte ja auch die Verfilmung des "Schimmelreiters".
106 Die Tatsache, daß Albert Schweitzer sich nachdrücklich zu May bekannt haben soll scheint mir denn doch keineswegs unglaubhaft oder zufällig, sondern beinahe folgerichtig: »Was mich am stärksten an seinem Schriftum gefangennahm, war das herzhafte Bekenntnis zur Friedfertigkeit und gegenseitiger Verständigung, das fast alle seine Bücher belebt und uns wilde Rüpel nachdrücklicher als vieles Hochgeschraubtes belehrt hat, Großmut umd Nachsicht zu üben, kurz gesagt: im Nebenmenschen selbst wenn er auf Irrwegen geht, den Bruder in Christo zu sehen - - und gerade das halte ich für das Unvergängliche an seinem Werk!« (zit. nach Heinemann S. 102). Vgl. auch Hatzig: Karl May und Albert Schweitzer. In: M-KMG 6 (1969), S. 3 - 7
107 Groteskerweise teilte Hitler offenbar nicht einmal Old Shatterhands einzige Leidenschaft, in der er seinen Tötungstrieb ungehemmt ausleben konnte: das Erlegen von Tieren. Nach Fromm (a. a. O. S. 367; vgl. auch Erich Ebermayer: Denn heute gehört uns Deutschland . . . Hamburg-Wien 1959, S. 529) zeigte Hitler eine Antipathie gegen die Jagd. Das gilt ebenso für das Vertilgen von Fleischmengen bzw. das Rauchen, während er sich mit Winnetou wenigstens in der Mißachtung des Alkohols einig war. In Mays Spätwerk findet sich allerdings hinsichtlich der Konsumgewohnheiten manches Vergleichbare.
107a Vgl. das hellsichtige Urteil George L. Mosses (Was die Deutschen wirklich lasen. In: R. Grimm/J. Hermand: Popularität und Trivialität. Frankfurt a.M. 1974 S. 116f.), auf den Walther Ilmer (M-KMG 33 (1977), S. 24 - 26) aufmerksam machte: »Hitlers manichäisches Weltbild steht in einem absoluten Gegensatz zu den Tugendvorstellungen, wie sie in diesen Romanen gepredigt werden. Und doch war es für den Nationalsozialismus leicht, diese Art von Literatur zu seinen Zwecken heranzuziehen, ja, die Popularität des Nazischriftums beruht zum Teil auf der skrupellosen Ausbeutung dieser Tradition. Wie bezeichnend, daß Hitler nicht nur Mays blühende Phantasie, sondern vor allem auch jene vollendete "Würde" bewunderte mit der dessen Helden das Leben zu meistern verstehen. Mays Tugenden waren genau die gleichen, die auch Hitler gegen seine Feinde verteidigen wollte. In diesem Punkte sind beide, May und Hitler, typische Produkte der bürgerlichen Moralität und Kultur des wilhelminischen Deutschland. Hitler sah keinen Widerspruch darin seinem Neffen Winnetou als Vorbild absoluter Lebensmeisterschaft zu empfehlen und zugleich ein absolut rassistisches Weltbild zu vertreten.«
108 Habe a. a. O. S. 370f.
109 Der Bund wurde zwei Jahre später von der Gestapo aufgelöst. Vgl. dazu: Erich Heinemann: Jubiläumstagung in Hannover. In: Jb-KMG 10 (1980), S. 213
110 Ansätze einer solchen Bemühung finden sich lediglich 1934/35, als der Fronemann-Streit in einigen umliegenden Ländern von der Presse aufgegriffen wird (vgl. Heinemann: Fronemann a. a. O. S. 238)
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1 . D e r L e k t ü r e - E i n f l u ß
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2 . K a r l - M a y - S p i e l e
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3 . L i t e r a r i s c h e W e r t s c h ä t z u n g u n d P r o p a g a n d a i d e a l
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4 . M a y a l s L e h r e r f ü r s L e b e n
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2. Rassismus (Herrenmensch- und Untermenschideologie, Germanenvergötzung und Antisemitismus)
3. Lebensraumideologie (Eroberung im Osten)
4. (Bejahter) Sozialdarwinismus
5. Führerprinzip
6. Faszination durch Krieg als »Vater aller Dinge«
7. Antichristliche Ressentiments
8. Die Vorstellung, daß Macht vor Recht gehe und Toleranz Schwäche sei,
9. Antisozialistische, antikapitalistische und antibürgerliche Affekte, wobei hier die größten opportunistischen Wandlungen zu verzeichnen sind.
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1 Klaus Mann: Karl May Hitler's Literary Mentor. In: The Kenyon Review, Autumn 1940, S. 399f. Das erste Drittel dieses Aufsatzes ist in der Übersetzung von Walther Ilmer abgedruckt in: Karl May. Hrsg. v. Helmut Schmiedt. Frankfurt a. M. 1983, S. 32-34
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