Nicht nur als Literat wäre er heute wohl längst vergessen, hätte er seinen Namen nicht mit dem Karl Mays verknüpft: Durch verbissene und später auch verschlagene Attacken, die er 1925 startet. Und fast bis zu jener Zeit muß man kurz zurückblenden, um die Karl-May-Tragödie in SBZ und DDR vollständig zu verstehen.
Unter dem Titel »Die Silberbüchse Winnetous« hatte Ernst Bloch im Literaturblatt der »Frankfurter Zeitung« vom 31. März 1929 sein berühmtes Plädoyer pro May geschrieben - mit dem Fazit: »Karl May ist einer der besten deutschen Erzähler, und er wäre vielleicht der beste schlechthin, wäre er keine armer, verwirrter Prolet gewesen.« Fronemann kontert am 12. Mai 1929 im »Königsberger Tageblatt«; um breitere Wirkung zu erzielen, läßt er seine »Geistige Bedürfnislosigkeit« - so die Schlagzeile - im Januar 1931 noch über das »Mitteilungsblatt der Vereinigten deutschen Prüfungsausschüsse« für Jugendschriften verbreiten. »Klangvolle Namen aus der deutschen Geisteswelt«, die sich für May engagieren, werden mit Häme überschüttet; ihnen wird, wie allen Lesern, »Stumpfsinn« und »geistige Flachheit« unterschoben.
Konnte man solche Unflätigkeiten vielleicht gerade noch der Grenze akademischer Artikulation zuordnen, so ändert sich das 1933: Jetzt wird politisch argumentiert. Mindestens zehn Denkschriften und Eingaben an Persönlichkeiten oder Dienststellen des NS-Regimes tragen die Signatur von Wilhelm Fronemann. Darunter ein zehnseitiges Schreiben vom 20. Juli 1938 an das Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda, in dem die meisten Grundgedanken vorheriger Vorstöße wiederkehren.
Für Dr. Joseph Goebbels formuliert Fronemann unter anderem folgende kernige Sätze:
»Dieses pazifistische Vorbild Karl May, das sich durch Verhöhnung der Rassenidee, durch Anfeindung völkischer Ausdehnungsbestrebungen, insbesondere des Kolonialimperialismus, abzurunden suchte, habe ich mit allen Mitteln bekämpft, verhöhnt und verspottet ...
Es war und ist ... vor allem darzulegen, daß der Marxist, Pazifist und Feind der Rassenidee Karl May vielleicht zum defaitistischen Pazifismus und den Völkerversöhnungs- und Völkerbundsgedanken der Systemzeit paßte, aber in der geistigen und
weltanschaulichen Umwelt des Dritten Reiches wie ein grimmiger Popanz wirkt ...
... lege ich Ihnen die angedeutete Seite Karl Mays, also den politischen Karl May, noch einmal ... dar.
1. Karl May war Marxist.« (Natürlich absoluter Unsinn, aber von dieser Unterstellung, noch zumal May laut Fronemann »den Beifall der roten Genossen« gefunden habe, erhofft sich der Denunziant offenbar eine besonders durchschlagende Wirkung.)
»2. Karl Mays Weltanschauung und sein gesamtes Werk sind extrem pazifistisch gerichtet ... Mays Helden ziehen immer als Anwälte für Gerechtigkeit und Frieden durch die Welt, kämpfen nicht als aus echter Kampfgesinnung heraus ... Wie kann man unsere Jugend zu kolonialen Gedanken erziehen, wenn man ihnen Bücher empfiehlt, in denen gegen Imperialismus, Gewaltpolitik, Machtstaat, Kolonialimperialismus usw. in der gehässigsten Weise losgezogen wird? ...
Diese Gefährdung der deutschen Jugend und primitiver Leserschichten ist umso bedenklicher, als mit Mays Pazifismus eine gehässige Bekämpfung der Werte, die sich aus Volk und Rasse ableiten, Hand in Hand geht ... 3. Karl May ist ein fanatischer Gegner des Rassegedankens ... Wenn man daneben hält, daß May Mischehen immer wieder schildert ... und etwa in >Und Friede auf Erden< der reiche Engländer Raffle eine Chinesin heiratet, die durch ihren Liebreiz die ganze adelsstolze Familie, die über die Mißheirat empört war, bezaubert, so kann man, ohne Widerspruch befürchten zu müssen, feststellen, daß Karl Mays krause Gedankenwelt zur Weltanschauung des Dritten Reiches paßt wie die Faust aufs Auge ...
Ich rate darum dringend, die Angelegenheit May nachzuprüfen, zum mindestens die genannten Bücher, die extrem pazifistisch gerichtet sind und den Rassegedanken bekämpfen, einzuziehen, und die Presse über den Fall Karl May mit den nötigen Weisungen zu versehen.«(1)
Die Einschränkung »zum mindesten« macht Fronemann, weil sein vorheriges Fordern, May total auf den Index zu setzen, erfolglos geblieben war. »Haben wir nicht unsere Schülerbüchereien von Juden, Pazifisten, Marxisten und sonst allem Undeutschen gereinigt? Ich halte es an der Zeit, daß die deutsche Jugendliteratur endlich auch von Karl May gereinigt werde«, hatte er beispielsweise am 22. Februar 1934 an den bayerischen Kultusminister und Reichsleiter des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB), Hans Schemm, geschrieben.
Wiederholt verwies er auch auf seine »Erfahrungen auf dem Gebiet der Jugendlektüre« und machte sich erbötig, am Umbau und an der nationalsozialistischen Ausrichtung des gesamten Jugendschrifttums mitzuwirken, das Ganze vielleicht auch selbst zu leiten. Alles mit staatlicher Zensur und mit Hilfe des »Ermächtigungsgesetzes« und »in der Art der Generalkommandos im Kriege«.
Erste konkrete Vorbilder hat er auch gleich zur Hand: Dohna, Mücke und Immelmann. Wie diese Kampfflieger des ersten Weltkrieges soll »die deutsche Jugend ... in die deutsche Zukunft marschieren.« Und selbstverständlich ohne jedes Karl-May-Buch!
In Sachen May ist Fronemann bei Schemm freilich an die falsche Adresse geraten. Denn der bayerische Minister und Reichsleiter war begeisterter May-Leser von Kindheit an. Gleiches galt noch für ein paar andere Größen des Dritten Reiches. Einschließlich Hitler.(2)
An ein Totalverbot ist somit nicht zu denken. Im Gegenteil: »Winnetou« und weitere klassische Abenteuerbände werden in den »Jugendschriftenverzeichnissen der Reichsleitung
des NSLB« als gute Lektüre empfohlen. Andererseits verschwinden einige pazifistische Titel, beispielsweise »Ardistan und Dschinnistan«, vom Büchermarkt; sie seien »vergriffen«, heißt es: Ob dies durch Fronemanns oder anderen Einfluß geschah, wissen wir nicht.
Alles in allem: Das Verhältnis des NS-Staates zu May bleibt ambivalent; Fronemanns Trachten erfüllt sich nur zum Teil. Daß er seinen Unmut darüber in etlichen Schreiben an exponierte Stellen artikuliert und sogar in der Presse(3) polemisiert, was wiederum ob der - trotz Gleichschaltung - ungewohnten kritischen Töne in ausländischen Zeitungen ein begieriges Echo findet, bringt ihm einige Vorwürfe, aber keinerlei Repressalien ein. Denn Fronemann versichert seine Treue zum »Nationalsozialismus und nationalsozialistischen Staat«; man nimmt ihm ab, »mehr Kämpfer als Diplomat« zu sein: Der erfahrene Schulmann, als der er poussiert, gilt flagrant als strammvölkischer Gefolgsmann, dem man einen Schuß über das Ziel hinaus schon mal nachsieht.
Ab S. Mai 1945 werden im Osten Deutschlands aus den roten Fahnen die weißen Kreise mit dem schwarzen Hakenkreuz häufig genug herausgetrennt, und beim symbolischen Farb- und Systemwechsel von Braun nach Rot mutiert Wilhelm Fronemann vom Nationalsozialisten zum Antifaschisten. Schon im März 1946 verfaßt er eine neue »Denkschrift« kontra May. Diesmal für die Landesverwaltung Sachsen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Und nunmehr mit genau entgegengesetzten Argumenten:
Waren dem Faschisten Fronemann Mays Friedfertigkeit und extremer Pazifismus suspekt, so kommt der Antifaschist Fronemann zum ungeheuerlichen Resümee: »Weiß Gott, die SS hat ihre Karl-May-Gesinnung auf den Wegen ihrer Taten zur Genüge bewiesen und ihre Lehrmeister waren ihres Helden Karl May gleichfalls würdig.«
Hätte dieser politische Salto mortale keine tragischen Folgen beflügelt, könnte man ihn als doppelbödigen Witz abtun. Besser noch als dümmliches attisches Doppelsalz, zumal Fronemann hier selbst einen Witz vernommen haben will. Einen »Treppenwitz der Weltgeschichte«, weil nun ausgerechnet May als »glühender Pazifist« und »angesagter Feind des Rassegedankens« - diese Attribute stellt Fronemann auch jetzt noch nicht in Frage - zum »Lehrmeister« der SS gekürt worden sei. Er bekennt sich sogar zu seinen Denkschriften an das Goebbels-Ministerium und an andere Stellen: Das sei sein »hohnvolles Vergnügen« gewesen - aber »was scherte das die Diktatoren?«
Was damals nicht geschah, müsse jetzt erfolgen: Es bestehe Aussicht, meint er, »daß der Radebeuler Vielschreiber mit seinem Gesamtwerk auf die staatliche Verbotsliste gesetzt wird.« Er warnt vor einem angeblichen Plan von Neuauflagen in der französischen Zone. Auch befürchte er, daß die sächsische Regierung aus »Geldnot ... die nichtswürdigsten Urheberrechte, die das deutsche Schrifttum kennt«, ausnutze. Den »Heros der geistigen Bedürfnislosigkeit« solle man »der geistigen sittlichen Denazifizierung anheimfallen lassen.«(4)
Da ein offizielles May-Verbot ausbleibt, richtet Fronemann weitere Schreiben nach Dresden. Adressat ist ab Oktober 1946, als die Landesverwaltung zur Landesregierung umgebildet wurde, das Ministerium für Volksbildung. Am 13. März 1947 antwortet ein Oberregierungsrat Naundorf aus diesem Hause: »Außerordentlich dankbar sind wir Ihnen jedenfalls, daß Sie uns von einem Versuch des Karl-May-Verlages, Lizenzen nach der französi-
schen Zone zu vergeben, unterrichteten.... In bezug auf Ihre Meinung über Karl May geht der Unterzeichnete mit Ihnen vollkommen konform.«
Auch das scheint ihm unbefriedigend gewesen zu sein. Denn als er im September 1948 Gelegenheit erhält, in der »neuen schule«, der Lehrerzeitung in der SBZ, den Neulehrern zu erklären, was von May zu halten sei, dazu noch als »erfahrener Schulmann« vorgestellt wird, legt er im rüden SED-Agitpropstil los: Der Nationalsozialismus habe »aus Karl May einen literarischen Popanz in Heldengloriole gemacht ..., den antifaschistisch eingestellte Zeiten mit allen Vorbehalten und sehr spitzen Fingern anfassen sollten.« Dieser sei ein »gefährlicher Verbrecher«, und »leider ist der Schluß berechtigt, daß die raffinierten Quälereien, die Karl May häufig schildert, an den Foltermethoden der SS nicht unschuldig sind.«(5) Kein Wort mehr vom »glühenden Pazifisten« und »Feind des Rassegedankens«, von dem er noch 1946 in der »Denkschrift« schreibt.
Johannes Feuer, Redakteur des Blattes, setzt noch einen drauf: »Daß die Nazis Karl May zum amtlich anerkannten Jugendschriftsteller stempelten, hat neben ihrer Absicht, wildes Schlägertum als höchste Tugend zu verherrlichen, auch seinen Grund darin, daß er ihrem Rassismus ganz entspricht. Als Beispiel für Mays typisch nazistischen Rassestandpunkt sei auf die >Sklavenkarawane< verwiesen. Der Held, ein edler Vertreter der Herrenrasse, ... wird dem minderwertigen, verbrecherischen Arabern gegenübergestellt.... Das bedeutet also: Freisprechung des räuberischen Imperialismus bei seinen kolonialen Ausbeutungs- und Unterdrückungszügen.« Und anderes mehr, »... worauf Wilhelm Fronemann mit Recht warnend hinweist.«(6)
Feuers starrsinniger Feuereifer ist nun schon ein Exempel jener Bösartigkeit, die bis 1981 häufig die May-Diskussion beherrscht: Prologe oder Epiloge werden zumeist von dümmlichen oder demagogischen Agitatoren gesprochen; entweder kennen sie Mays Werke überhaupt nicht oder sie verdrehen die Aussagen des Autors ins ganze Gegenteil.
Wenige Wochen später, im Dezember 1948, macht der Jenenser Professor Dr. Heinz Stolte in der in Weimar erscheinenden kulturpolitischen Zeitschrift »Schöpferische Gegenwart« auf das Doppelspiel des Fronemann aufmerksam. Er zitiert aus der »Kölnischen Zeitung«(3) von 1934 und aus der »neuen schule«(5) von 1948 und fragt unter dem Titel »Fronemann gegen Fronemann« ironisch, »welche seiner beiden Ansichten nun die richtige ist«.(7)
Eine Antwort bleibt Fronemann schuldig. Sie wäre ohnehin belanglos gewesen, denn zu diesem Zeitpunkt sind die Weichen längst gestellt und bleiben für fast dreieinhalb Jahrzehnte eingefroren.
Am 21. Juni 1948 hatte die Naundorf-Nachfolgerin im Sächsischen Volksbildungsministerium, Oberregierungsrätin Ilse Korn, zuständig für Bibliotheks- und Verlagswesen, eine Stellungnahme »Betrifft Karl-May-Verlag Radebeul« angefertigt: »Eine Karl-May-Produktion ist vom Standpunkt der Volkserziehung grundsätzlich abzulehnen. Sie verführt die Jugend zur kritiklosen Anhimmelung aller billigen Räuberromantik und trübt ihren Blick für die Auseinandersetzungen mit dem wirklichen Leben. Diese Literatur wurde von den nazistischen Machthabern bewußt in ihrer Jugenderziehung eingesetzt ,,,«(8)
Vorangegangen waren mehrere Lizenzanträge des Radebeuler Verlages. (»Daß der Karl-May-Verlag
nicht enteignet wurde, weil angeblich das Material nicht ausreichte«, klagt die Korn.) Der sächsische Volksbildungsminister Helmut Holtzhauer leitet den Text an die Zentralverwaltung für Volksbildung (Präsident: Paul Wandel) in Berlin weiter. Dort wird entschieden: »Keine Karl-May-Produktion!«
Karl May und seine Bücher werden in die für kommunistische Diktaturen typische breite Nebelzone rechtlicher Unsicherheit gedrängt: Nicht verboten und nicht erlaubt!
Ihrer verhängnisvollen Stellungnahme hatte die SED-Oberregierungsrätin Korn als Anlagen die »Denkschrift« des Fronemann vom März 1946 beigefügt. Die Verdächtigungen gegen die Landesverwaltung solle man ihm »nachsehen«, schreibt sie an den Minister. Denn: »Fronemann ist ein prächtiger Kämpfer gegen Karl May«!(4)
In Kenntnis der Vergangenheit des »alten Kämpfers« und der Auslassungen des Denunzianten zur NS-Zeit geht die rote Genossin mit dem braun-rot gefleckten Parteigenossen-Genossen auf Schulterschluß. Außerdem kann sie in einer zweiten Anlage noch einen weiteren »prächtigen Kämpfer« präsentieren: Er heißt Franz Naumann, ist Leiter des »Volksbuchhauses« in Meißen und vermutlich der erste, der nach dem Krieg in der Presse polemisierte. Oder besser - hetzte: Karl May sei einer der »übelsten literarischen Giftmischer«, schreibt er im November 1945, »dessen Schriften geradezu verheerend auf die leicht beeinflußbare Jugend gewirkt haben.« Und noch schlimmer auf Adolf Hitler. Denn er war »der Karl-May-Deutsche!« schlechthin.(9)
Die Zeitung lehnt den Druck eines zweiten Artikels ab, worauf sich Naumann am 4. Januar 1946 mit einer gehässigen »Denkschrift über Karl May als Jugendschriftsteller« an die Sächsische Landesverwaltung sowie KPD und SPD wendet: Daß May für die Jugend ungeeignet ist, sei längst entschieden, behauptet er. Und das wolle er noch »durch Stellen aus seinen Werken ... belegen.« Anderthalb Dutzend Zitate sollen dann »die Unwahrhaftigkeit und Rohheit des Inhalts der Mayschen Werke« beweisen.
Und zum Ausklang liefert Naumann noch folgendes nach: Für May »ist es ein Staatsverbrechen, wenn man seiner unverschämten Herrenmenschenanmaßung nicht die verlangte hündische Unterwürfigkeit zeigt ... Denn dieser sogenannte Volksschriftsteller vertrat in fast allen seinen Werken denselben Grundsatz, nach dem die verbrecherische Hitlerhorde handelte ... Wir gemaßregelten, beschimpften und bestraften Marxisten haben diesen Heuchler von Anfang seiner politischen Laufbahn klar erkannt. Aber wie viele, viele unserer Volksgenossen (ein bemerkenswerter Lapsus, womit die Frage, ob Naumann roter »Marxist« oder brauner »Volksgenosse« war,
wohl doch offenbleiben muß? C.H.) ließen sich durch seine demagogischen Reden, durch den Schein, die freche Lüge blenden ... So wurden seine Romane die wahren Lehrbücher ... für zynische Hinwegsetzung über alle Sitte, alles Recht und alle Menschlichkeit ...«
Schließlich die Ratschläge: Der sächsische Staat solle das Vermögen der Stiftung übernehmen und die Werke des Verlages den Papiermühlen übergeben. Anderenfalls würde die Jugend »den demagogischen Hetzreden eines neuen Hitlerscheusals nur allzuleicht verfallen, und die Welt ist aufs neue in Gefahr in einer Sintflut von Elend umzukommen .... Darum Verbot aller Karl-May-Werke!« Denn das ist »in echt demokratischen (sic.) Sinn ...«(4)
Solche Töne also wirken mit, als 1948 über Karl May »endgültig« entschieden wird. Und gegen derartige »Muster-Argumente« ist in SBZ und DDR nicht anzukommen. Gleichgültig, worüber diskutiert wird, immer dann, wenn sich Funktionäre in die Enge getrieben fühlen, stellen sie mit dem Holzhammer die »Machtfrage«; es kommt zur willkürlichen Verquickung des sachlichen Problems mit existentiellen Grundsätzen: Bist du für oder gegen den Frieden? Und dann wage sich einer für jene Variante auszusprechen, die mit dem Weltuntergangsruf nach Auslösung eines Atomkrieges gleichgesetzt wird!
Freilich kommt es nicht immer zu solchem Eklat. Denn durch vermeintlich »offene Aussprachen« soll angestauter Frust abgebaut werden. Aber wenn die SED ihre »Kader« zur »Arbeit unter die Massen« und an die »ideologische Front« schickt, wie das auf Parteichinesisch heißt, sind sie häufig genug überfordert. Und an jenen 185 SED-Kreis- und 15 Bezirksparteischulen, die als berüchtigte Zentren der Indoktrination schon frühzeitig existieren, werden die Adepten von auserwählten Scharfmachern auch nur auf die »Reinheit der Lehre« und auf den »Klassenstandpunkt« eingeschworen.(10)
Über Jahrzehnte hinweg prallen alle sachlichen und vernünftigen Argumente zu May ergebnislos an SED-Betonköpfen und -Betonmauern ab, wie beispielsweise bereits bei einer Veranstaltung, zu der die Bezirksjugendschule Dresden (später Juniorpartner der SED-Bezirksparteischule, C.H.) und der Kulturbund für den 6. August 1947 zum Thema »Für oder wider May?« nach Radebeul eingeladen hatten.
Rund 1200 Menschen kommen, zumeist May-Freunde, auch einige Gegner, die aber dann unter den Rednern die Mehrheit stellen: Sie sind vom Volksbildungsministerium mit Aufträgen und »Argumentationshilfen« ausgestattet worden - mit Material aus dem Fundus Fronemann-Naumann, das eine negative Antwort zur Streitfrage sichern soll. Wichtigster Kontraredner ist ein Professor Karl Trinks. Der Dresdner Stadtrat Rentsch will durch persönliche »Erlebnisse während der Nazizeit« erfahren haben, »daß die NS-Wachmannschaften aus den Karl-May-Schilderungen die Anweisungen für ihre Verbrechen genommen hätten. «
Als der Meißner Volksbuchhausleiter Franz Naumann seine Greuelgeschichten aus der »Denkschrift« ausbreiten will, zwingen ihn die Jugendlichen zum Abbruch seiner Tiraden. Ganz anders reagieren die Zuhörer auf das große May-Plädoyer von Heinz Stolte, der May unter anderem gegen den Vorwurf der Gewaltverherrlichung in Schutz nimmt und das Entstehen der abenteuerlichen Phantasiewelten aus den Lebensumständen des Schriftstellers heraus erklärt: Am Schluß der Veranstaltung wird der Jenenser Professor unter lauten Jubelrufen auf den Schultern begeisterter Fans aus dem Saal getragen.(11)
Die Veranstaltung hat nicht den von den Organisatoren geplanten Verlauf genommen, was den Professor Trinks zu einer »ernsthaften Überlegung über die Psychologie der Schundbekämpfung«(12) veranlaßt. Die Radebeuler Runde bezeichnet er als ein »Vorkommnis« und voller »Gefahren«: »Wie in den besten Zeiten der deutschen Radauversammlungen gab es einen beängstigend überfüllten Saal; zahlreiche Jugendliche vor der Tür waren durch einen Lautsprecher mit den Ereignissen im Raume verbunden. Die Versammlungsleitung hatte alle Hände voll zu tun, um die Ordnung aufrechtzuerhalten, Handgreiflichkeiten und unkluge Anträge (zum Beispiel eine Abstimmung für oder wider May, C.H.) zu verhindern. Obwohl mehr Gegner als Freunde Karl Mays sprachen, hätte eine vorgeschlagene Abstimmung eine erdrückende Mehrheit für Karl May ergeben. Das Ganze war ein Beispiel dafür, wie man es nicht machen soll ...«
Vor allem hätte man solches nicht im traditionsbeladenen Radebeul tun dürfen. Das sei »derselbe Fehler«, als wolle man im Schwangau für oder gegen Ludwig II. abstimmen lassen. Auch solle man nicht zu viel vor May warnen, denn in der Jugend lauere »der Reiz des Verbotenen«. Und damit ist der Professor mit seiner Psychologie schon am Ende; es folgen die bekannten Gedanken der Fronemann und Naumann.
Außerdem hofft Trinks, »es werde in unserem Zeitalter der Wirtschaftslenkung möglich sein, ein Vergeuden des wertvollen Materials an Papier und Druckerschwärze für einen Neudruck Karl Mays zu verhindern.« Noch vorhandenes wie auch die Bände von Cooper (!) müßten durch »eine Menge guter Abenteuerbücher« verdrängt werden, beispielsweise durch Werke von Bret Harte, Heinrich Seidel, Jack London, Traven, Poe und Plivier - der allerdings zu dieser Zeit, was Trinks vermutlich nicht weiß, der SBZ schon den Rücken gekehrt hat, bald darauf in Ungnade fällt und verteufelt wird. Mit ähnlichen psychologischen Ratschlägen hatte im übrigen Fronemann schon 1933 über den Rundfunk die Eltern gegen Karl May motivieren wollen: Gegen die »gefährlichen Bücher« müßten »gute Bücher« aufgeboten werden. Und nicht zuviel warnen: »Man darf niemals ein gelesenes Buch als absolut verwerflich und schlecht bezeichnen.«(13)
Während für Fronemann der Antifaschismus ganz offensichtlich nur ein gerade zeitgemäßes opportunistisches Hilfsmittel im Dauerkampf gegen May liefert, gibt es unzählige ehrliche Antifaschisten, die nach den schrecklichen Ereignissen der Nazidiktatur und des Krieges alles beseitigen wollen, was faschistisch eingefärbt erscheint. In Unkenntnis tatsächlicher Zusammenhänge rechnen sie häufig auch May zu den Wegbereitern oder Weggefährten des NS-Regimes. Denn es gibt einige bedenkliche Tatsachen.
Da hatte der Karl-May-Verlag Berichte über Hitlers May-Lektüre in sein Werberepertoire aufgenommen und die grünen Bände an einigen Stellen mit schlimmen Passagen be-
frachtet. Antisemitismen wurden eingebracht, im Band »Winnetou I« tauchte das böse Wort »Mischehe« auf.(14) Wer Mays Originalwerke nicht kannte, konnte glauben, dieser Unsinn stamme von ihm.
Klara May, die zweite Frau des Schriftstellers, bekundete nach 1933 ihre Sympathien mit den Nazis. Tragischer Höhepunkt Anfang 1942, als sie Richard Plöhn - ihren ersten Mann und Karl Mays besten Freund - aus der gemeinsamen Grabstätte in Radebeul exhumieren ließ, freilich unter teilweise erzwungenen Umständen: Weil er »Halbjude« war. Der Schriftsteller wurde ein weiteres Mal mit den Nazis in Verbindung gebracht..(15)
Optisch dokumentiert erschien solche Beziehung 1938 in der Festschrift »25 Jahre Karl-May-Verlag« durch Bild und Geleitwort des Gauleiters und Reichsstatthalters in Sachsen, Martin Mutschmann.(16) Im gleichen Jahr übernahm der ranghöchste sächsische NS-Funktionär die Schirmherrschaft über die Karl-May-Spiele in Rathen. Schon im Dezember 1933 hatte er das Karl-May-Museum in Radebeul besucht. Und es wird auch nicht verborgen geblieben sein, daß Klara May freundschaftlichen Umgang mit Angela Hammitzsch, der Halbschwester von Adolf Hitler, pflegte.(17)
Ein negatives May-Bild gehörte aber auch zu den »erziehungspolitischen Traditionen« der jetzt tonangebenden Kommunisten. Zwar hatte sich Karl Liebknecht noch als May-Leser bekannt, maßgeblicher in dieser Frage aber waren Werk und Wirken des Bildungstheoretikers der KPD, Edwin Hoernle (1883-1952). Mays Bücher, so legte er den Kurs fest, »sind samt und sonders Träger imperialistischer Gedankengänge, sie feiern insbesondere die Herrschaft der weißen Rasse und den Sieg des >Kulturmenschen< über den >Wilden<. Sie kennen keinen Kampf der ausgebeuteten Klasse gegen ihre Ausbeuter. Karl May ist der Typus des Jugendschriftstellers der beginnenden imperialistischen Periode ...«(18)
Kommunistischer Maßstab für Literatur wurde deren Wirksamkeit für kommunistische Umformung und Erziehung der Menschen. Als »Grundmethode des gesamten künstlerischen Schaffens« galt der von der Sowjetunion übernommene »sozialistische Realismus«, der das verordnete Erziehungsziel laut Statut des sowjetischen Schriftstellerverbandes durch »eine wahrheitsgetreue, geschichtlich konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung« verwirklichen sollte.
Um das so abgesteckte triste Bild zu beleben, wurden von den Autoren meisterhaftes Schaffen gefordert, auch Bücher gedruckt, die nicht voll auf der starren Linie, aber gerade noch innerhalb der jeweils opportunen kulturpolitischen Gasse lagen, und Werke des »kulturellen Erbes erschlossen.« Auch das mit wechselnder Opportunität.
Die »Lenkung, Leitung und Planung der Literaturprozesse«, wie in der DDR Vormundschaft und Repression bürokratisch geschönt umschrieben wurden, begann schon zeitig. »Wir sind dabei«, stellte die SED-Oberregierungsrätin Ilse Korn bereits 1948 fest, »eine neue Jugendliteratur zu schaffen, um unsere Jugend nicht mehr zum Blutrausch und zum Kampf Mann gegen Mann zu erziehen, sondern durch die realistische Darstellung ihrer Daseinsfreude auf eine fortschrittliche Haltung hinzulenken. «(4)
Die abschreckenden Floskeln von Blutrausch und Duell fügt sie hinzu, weil sie sich neuerlich gegen Karl May überschlägt, diesmal bei der Antwort auf die simple Beschwerde eines Lesers, der gern Karl-May-Bücher kaufen möchte. Es gehe um die »Umerziehung der Jugend und auch
der erwachsenen Generation«, läßt sie wissen, und da »kann nicht zugestanden werden, die Bücher des Wortemachers und Schaumschlägers Karl May neu zu drucken.«
Das Bemühen um eine eigene Jugend- und Abenteuerliteratur und die damit verbundenen unsachlichen und teils verlogenen Rundumschläge gegen May lassen vermuten, daß man ganz einfach die übermächtige Konkurrenz des sächsischen Fabulierers fürchtete. Und weil solche Attacken noch ausgerechnet von einigen Schriftstellern des gleichen Genres kommen, könnte man dasselbe Motiv auch bei diesen Kritikern persönlich annehmen.
Eine Vermutung, die schon die renommierte Erzählerin Brigitte Reimann äußerte: »21.10.1955 - Das Kulturministerium veranstaltete eine Tagung für Abenteuerschriftsteller, dazu war ich eingeladen worden. Die Tagung war interessant, ... die Diskussion um Karl May hat mich nicht befriedigt - man lehnte ihn fast einstimmig ab; das ist ungerecht - wahrscheinlich befürchtet man seine Konkurrenz.«(19)
Jene Ilse Korn beispielsweise betätigt sich als Kinderbuchautorin, ab 1952 ist sie freischaffend. Unter den Schülern der DDR wird sie vor allem durch den mit Ehemann Vilmos Korn 1962 verfaßten Roman »Mohr und die Raben von London« bekannt; das Buch gehört fortan zur schulischen Pflichtlektüre.
»Immer noch wandern gefährliche >Schmöker< und >Schwarten< von Hand zu Hand, immer noch liest man Karl May«, lamentiert 1954 Götz R. Richter(20) (meistverbreitetes Werk: »Najok, der Perlentaucher«, 1952). Im Jahr darauf, 1955, legt Jugendbuchautor Kurt David lang und breit dar, weshalb man die Jugend besser »ohne Karl May zu brauchbaren Menschen heranziehen« kann.(21) Ein Spiel mit doppelter Moral, denn 1968 hat Kurt David offensichtlich keine Einwände, daß Karl-May-Herausgeber Roland Schmid seinen historischen Abenteuerroman »Dschingis-Chan« als Lizenzausgabe im Ustad-Verlag (= Karl-May-Verlag) Bamberg ediert.
Der in der DDR vielgelesene Verfasser politischer Abenteuerbücher Harry Thürk plädiert 1961, wenige Monate vor dem Mauerbau, für eine Abenteuerliteratur mit DDR-Profil. Und da hat Karl May natürlich nichts zu suchen.(22)
Auch die beiden bedeutenden »Indianerfrauen« der DDR, die Professorinnen Eva Lips (»Das Indianerbuch«, 1956) und Liselotte Welskopf-Henrich (»Die Söhne der großen Bärin«, 1951 ff.), äußern sich negativ zu Karl May; sie wenden sich gegen das von ihm verbreitete Indianerbild. Während sich Liselotte Welskopf-Henrich noch einigermaßen moderat zeigt - »Old Shatterhand: ein Tugendspiegel, ein Alleskönner, furchtbar. Winnetou ist immerhin ein bißchen erträglicher ...« (23) -, gibt es bei Eva Lips mitunter recht böse Töne, wenn sie ihre Ansichten durch autorisierte Schreiber kundtun läßt.
So wird im Nachwort zu ihrem Buch »Nicht nur in der Prärie ...« von 1974 das Maysche Sujet schlicht und einfach als »primitiver Held-Teufel-Tölpel-Schematismus« abgetan. Der Apachenhäuptling Winnetou sei »frei erfunden«, entbehre »jedes historischen Vorbildes« und May könne keine »wirkliche Geschichte der >Grenze<, der >frontier<« wie etwa Cooper oder Sealsfield erzählen, weil diese Kunst »seinem literarischen Untermaß versagt blieb.«(24)
Daß der Ausflug in Traumwelten mit mangelndem dichterischen Talent erklärt wird, mutet schon merkwürdig an: Eine abwegige Variante, die man kein zweites Mal findet.
Einmalig ist auch die hämische Verteufelung Mays in einer ihrer Lips-Porträts durch die Leipziger Publizi-
stin Christel Foerster - ohne jede Not und noch 1981 und vermutlich nur durch Wohlgefühl an dümmlichen Wortspielen.
Nicht nur dem Schriftsteller werden satte satanische Hiebe verpaßt: »Der Teufel, als er in Gestalt des Verlegers Fehsenfeld aus Freiburg i.B. auftrat, ist längst überführt, das große Geschäft mit dem falschen Zeugnis wider die Indianer nur in Gang gesetzt zu haben, 1893, mit der Herausgabe des allerersten >Winnetou<-Bandes von Karl May«, beginnt Fräulein Foerster ihren exorzistischen Exkurs. »In immer wieder neuen Verkleidungen, beileibe nicht nur als Buchverleger«, habe der Beelzebub dann das einträgliche Geschäft betrieben, »die Unwahrheit, oft getarnt als Teilwahrheit, unter die Leute zu bringen.«
Um »die ganze teuflische Wirkung« zu begreifen, müsse man alle Ausgaben »vom Werk des frommen Mannes aus Sachsen« berücksichtigen. »Aber dann war der Teufel ja auch in der Spielwarenindustrie tätig, ist es noch ... In der Freilufttheaterbranche konnte der Teufel ebenfalls kräftig kassieren.« Auch im Film nutzte er »ganz schamlos diese Möglichkeiten.«
»Warum ist das Interesse an Indianern so groß?«, wird gefragt und nicht beantwortet. »Und woher kommen die Legenden über die Indianer, die falschen Zeugnisse, der Unsinn?« Natürlich von Karl May: Seine »nicht nur dem kolonialen Denken der Kaiserzeit nützlichen Erfindungen ... stehen am Anfang von Fehlurteil, Vorurteil, Verklärung ... « Und »gegen die Lügen und Halbwahrheiten über die indianische Bevölkerung« habe Eva Lips seit 1925 einen »lebenslangen unnachsichtigen Kampf« geführt.(25)
In einem Gespräch mit Eva Lips 1971 erfuhr ich selbst von ihrer Abneigung gegen Karl May, freilich nicht von einem »unnachsichtigen Kampf«, aber rätselhaft blieb es für mich dennoch: Wenn in Deutschland die Liebe zu den Indianern stärker als anderswo ausgeprägt ist, dann wohl zu guten Teilen als Verdienst von Karl May. Sein Winnetou wurde zum Synonym für Indianer, der Name steht mittlerweile im Duden. Eine Ehre, die nicht einmal Tecumseh widerfahren ist.
Wer sich daran stößt, daß Traumbilder wie auch Märchen nicht mit der Realität konform gehen, müßte ja wohl auch die Gebrüder Grimm als diabolisches Duo disqualifizieren.
Im Novemberheft 1949 der »Urania« verkündet der später im Osten recht bekannte Literaturprofessor und Herausgeber, daß Karl May nun bald aus dem Bewußtsein verschwinden werde; er »lebt heute nur noch als Flüsterparole ... Die Bibliothekare können berichten, daß unsere Jugend sich erfreulicherweise mehr und mehr dem sachlichen Schrifttum erdkundlicher, naturkundlicher, technischer Art, den Fragen des Rundfunks, der Photographie, der Atomphysik zuwendet, und daß demgegenüber die phantastische Erzählung zurücktritt.«(26) Was sich als grandioser Irrtum des Professors herausstellen sollte!
Nochmals taucht hier der unsägliche Fronemann auf: Steiner reiht dessen Beitrag in der »neuen schule« in die
Rubrik der »bemerkenswerten Artikel« und seiner Quellen ein. Und dann das alles bestimmende Argument: »Unsere Situation« erfordere »eine Straffung aller Kräfte«, das Erkennen der »gesellschaftlichen Notwendigkeiten« und das Handeln »im Sinne ihrer Entwicklungstendenzen«. Und dafür war May, der in phantastische Traumwelten entführte, nun wahrlich nicht zu gebrauchen. Noch dazu mit einer Bezauberung, die den Leser so völlig in den Bann schlagen konnte, wie es keinem anderen Abenteuerautor gelang. Steiner bezeichnet das als »Narkotikumliteratur«, die die »Lebenstüchtigkeit schwächt«, »Traumbedürfnis« weckt.
Karl May konnte zu jener fernsehlosen Zeit noch zahllose Leser total faszinieren, ihr Leben auch außerhalb der Lektürestunden durch Tagträume prägen: Solche Fans schienen für Henneckebewegung, Timurtrupp und Subbotnik, sozialistischen Wettbewerb und »Kollektive der sozialistischen Arbeit« verloren. Helden wie Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi, die als grenzenlose Individualisten keine Obrigkeit anerkennen, aus sächsisch-deutscher Muffigkeit in ungebundene exotische Freiheit und Ferne hinausziehen und alle vermieften Normen mißachten, auf sich allein gestellt alle Gefahren triumphal meistern, das konnten keine Vorbilder für »sozialistische Persönlichkeiten«, für tumbe oder doppelzüngige Untertanen des SED-Regimes sein.
Als Karl May seine totale Faszination zunehmend mit immer neuen Helden und Idolen teilen muß, die dann zum großen Teil über ARD und ZDF ihren Weg auch in die Welt des angeblich real existierenden Sozialismus finden, darf die einstige Unperson auferstehen. In einer Vorlage für das Politbüro der SED vom 17. November 1981 »zur Herausgabe einiger Titel von Karl May im Verlag Neues Leben, Berlin« ist das so formuliert: »Alltägliche Gewöhnung des Lesers an Abenteuer in Literatur, Film und Fernsehen, die Karl Mays Texte z.T. blaß oder harmlos erscheinen lassen.«(27) Bis dahin aber kehrte das Furchtargument vor Mays Totalwirkung noch mehrfach wieder.
In seinem Urania-Artikel erwähnte Steiner ganz beiläufig, daß in der Bundesrepublik eine Neuauflage von Mays Werken vorbereitet wird. Wie die jetzt zugänglichen Archivakten(4) offenbaren - von Leipzig aus. Im gleichen November 1949, als sich der professorale Prophet »eine abschließende Betrachtung der Karl-May-Frage« anmaßt, enthüllt sich die heuchlerische Moral des ganzen Geschehens: Der Leipziger Kommissions- und Großbuchhandel bedankt sich beim sächsischen Ministerium für Volksbildung »für die Freigabe der Restbestände des Karl-May-Verlages Radebeul für Exportzwecke. «
In Leipzig hatte man halbfertige Bücher gefunden, die nunmehr durch Nachdruck fehlender Bögen komplettiert und gebunden werden. Als erstes geht eine Quote von 40.000 Exemplaren gen Westen, »damit wir wenigstens einen Teilbetrag in D-Mark ... erhalten.« Die Korn signierte ab, und die Schalck-Altvordern ließen grüßen. Was der Zoll der DDR fortan auf umgekehrtem Weg erspäht, wird beschlagnahmt. Und vielleicht ein zweites Mal verkauft.
als anderswo setzten hier KPD und SED ihren totalen und totalitären Machtanspruch durch. Schon 1945 gehören 61 von allen 107 sächsischen Oberbürgermeistern und Landräten der KPD an; der SBZ-Durchschnitt liegt noch deutlich unter 50 Prozent. 1948 beansprucht die kommunistische Führungsriege ganz offen »die führende Rolle im Land«.(28)
Der »Aufbau des Sozialismus« wird erst 1952 propagiert, bis dahin tönt die SED, das stehe nicht auf dem Programm, es gehe um eine »antifaschistisch-demokratische Politik«. Aber bereits am 1. Juli 1948 wird in Dresden ein »Sozialistischer Kulturtag Sachsen« durchgeführt.
Sächsische Justiz ist auch der Schrittmacher für politische Verfolgungen und Terror. Nach Auflösung der sowjetischen Konzentrationslager 1950 (bis 1945 zumeist NSKZs) finden in Waldheim die berüchtigten »Waldheimer Prozesse« statt: Von April bis Juni werden mehr als 3.000 Menschen- Schuldige und Unschuldige - in Schnellverfahren ohne Beweisaufnahme und Verteidigung abgeurteilt. Die Vollstreckung von 24 Todesurteilen erfolgt in der Nacht vom 3. zum 4. November 1950 im Minutentakt. (29)
Nach dem Verbot der Zeugen Jehovas im Oktober 1950 inszeniert das Landgericht Dresden den ersten Prozeß gegen diese Glaubensgemeinschaft. 22 Menschen werden zu dreimal lebenslangen beziehungsweise drei- bis zwölfjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Den Grund zur Anklage wegen »Spionage, Kriegshetze und hetzerischer Propaganda« liefert ihre Weigerung, sich an einer Unterschriftensammlung zur Ächtung der Atombombe zu beteiligen. 1951 bis 1953 schickt das Dresdner Gericht weitere 20 Gläubige zu Strafen zwischen zweieinhalb und zwölf Jahren ins Zuchthaus. Ab 1953 liegt die Junge Gemeinde im Visier der Christenverfolgung.
Am 3. Oktober 1951 werden in Zwickau 19 Angeklagte - Oberschüler der »Alexander-von-Humboldt-Schule« Werdau und andere Jugendliche - zu insgesamt 130 Jahren Zuchthaus verurteilt. Erster Auslöser für das Schülerdrama ist die Anweisung des DDR-Volksbildungsministers Paul Wandel zur »Einrichtung von Jugend- und Kinderbuchabteilungen in allen Bibliotheken« vom 7. Juli 1950. Zuvor sollen Überprüfungskommissionen die Bestände säubern und insbesondere Werke von vier namentlich genannten Autoren Ury, von Felseneck, Marlitt und Karl May - entfernen.(30)
Einige wenige private Leihbibliotheken, die bis etwa 1960 bestehen, halten sich freilich, wie ich aus eigener Erfahrung in Leipzig weiß, nicht an diese Order; an der Humboldt-Schule in Werdau wird jedoch sofort rigoros »gesäubert«. Sehr zum Verdruß vieler Schüler. Der 15jährige Karl Heinz Eckardt erklärt öffentlich im Unterricht, daß ihm Karl-May-Bücher noch immer besser gefallen als Gedichte von Johannes R. Becher. Er erhält einen strengen Verweis und die ganze Klasse die Androhung von Strafen, sollte jemand mit einem May-Buch erwischt werde.
Eckardt und seine Mitschüler Theobald Körner und Siegfried Müller gründen eine »Interessengemeinschaft Karl May«, die sich rasch ausweitet. Einziges Anliegen: Die Ausleihe von May-Bänden. Aber bald wird auch diskutiert: über den Tod des Vaters eines Klassenkameraden im Sowjet-KZ, über die damals üblichen zahllosen Verhaftungen - in der DDR werden allein 1950 vermutlich mehr als 78.000 Urteile aus politischen Gründen gefällt(31) -, über alles mögliche und auch über die für den 15. Oktober 1950 angesetzten Einheitslisten-Wahlen.
Die Schüler wollen sich mit Terror und Manipulation nicht stillschweigend abfinden. Mit einem einfachen
Handdruckkasten stellen sie Flugblätter her, um sie in Häuser zu verteilen und an Wände zu kleben. Die Aktion läuft auch nach den Wahlen weiter, und erst im Mai 1951 kann die noch junge Stasi die Oberschüler festnehmen. Der nun 16jährige Heinz Eckardt bekommt 14 Jahre Zuchthaus, der 17jährige Joachim Gäbler 15 Jahre; insgesamt kommen für 16 Jungen und drei Mädels jene 130 Jahre zusammen.(32)
Terror gegen Oberschüler gibt es damals nicht nur in Werdau. An der »Goethe-Oberschule« im erzgebirgischen Olbernhau, die ich von 1950 bis 1954 besuchte, hatte unser Mitschüler Hermann Flade im Alleingang Flugblätter gegen die »Volkswahl« im Oktober 1950 hergestellt. Als er beim Verteilen in eine Polizeikontrolle gerät, zieht er ein Messer und will sich befreien, vergeblich freilich.
Weil er beim Schauprozeß in Gegenwart der Mitschüler - wer im Saal keinen Platz findet, muß es stehend im Freien per Lautsprecherübertragung verfolgen - nicht die erwartete reumütige Rolle spielt, vielmehr erklärt, das werde er jederzeit wiedertun, ergeht das Todesurteil. Eine Stunde, die ich nie vergessen werde. Hermann Flade wurde nach einer eindringlichen Rede von Bundeskanzler Adenauer im Bundestag und anderen Protesten zu lebenslangem Zuchthaus »begnadigt« und viele Jahre später, schwer an TBC erkrankt, aus Bautzen in den Westen entlassen.
Roten Terror pur und hautnah hat zu jener Zeit überdies viele Jahre lang jeder kennengelernt, der in Erzgebirgsregionen lebt, in denen die SDAG Wismut ab 1946 fündig geworden ist; in meiner Heimatstadt Lengefeld beginnt der Uranbergbau 1948. Binnen Stundenfrist müssen Wohnungen zur Hälfte geräumt werden, um Nachtlager für zwangsverpflichtete Kumpel zu schaffen. In die Ausweise kommen Stempel vom Sperrgebiet, Verwandtenbesuche werden genehmigungspflichtig. Rotarmisten patrouillieren, an Zahltagen und bei »besonderen Anlässen« rollen LKWs mit aufmontierten Maschinengewehren langsam durch die Straßen.
Bis Anfang 1956 blickt überall von übergroßen Bildern der große Stalin auf »unsere Menschen« (SED-Synonym für Bevölkerung) herab. FDJ-Chef Honecker beglückt bis 1955 eiferndes FDJ-Fußvolk mit Werken des »größten Menschen unserer Epoche« (O-Ton W. Ulbricht). »Für hervorragende Leistungen im Aufgebot zu Ehren des großen Stalin« lautet eine von E. Honecker unterzeichnete Widmung in den Gratulationsbänden.
Stalins »deutsche demokratische Republik« zeigt vor wie nach der Namensgebung in Sachsen ihr Profil besonders scharf. Hier herrscht kein Klima, in dem Karl-May-Träume reifen können. Wer sollte es wagen, von christlicher Toleranz zu sprechen? Oder andeuten, daß May in Waldheim eine unangemessen harte Strafe verbüßen mußte? (Das war aus dem Band »Ich« durchaus schon ablesbar.) Etwa ab 1955 erscheinen »sächsische Besonderheiten« nicht mehr so augenfällig.
Da haben sich 1955 Junge Pioniere erkundigt, warum es keine Karl-May-Bücher gibt. Offensichtlich kommen solche Fragen in größerer
Zahl, denn der Leiter der Zentralstelle für Kinder- und Jugendliteratur in Dresden, Helmut Schumann, antwortet in der »Sächsischen Zeitung«. May sei »ein eingefleischter Nationalist«, belehrt er die Kinder, und das Indianerleben kenne er nur aus Büchern. Er habe daraus sogar regelrecht abgeschrieben. »Ich frage Euch«, räsoniert »Helmut« mit oberlehrerhaftem Tremolo, »was gibt es in der Schule auf eine abgeschriebene Arbeit? ! «
Noch schlimmer erscheint, was er gleich an erster Stelle nennt. »Ein Schriftsteller, der zweimal für viele Jahre wegen Unterschlagung, Diebstuhls, Betrugs und Unterschriftenfälschung im Zuchthaus (nicht nur im Gefängnis) gesessen hat, kann nach unserer Meinung nicht als Vorbild für unsere Mädels und Jungen angesehen werden.«(34)
Der Schumann-Artikel vom Juni 1955 löst eine Welle von Leserzuschriften mit »leidenschaftlichen Erwiderungen« aus. Dem Karl-May-Verlag in Radebeul wird auf eine ausführliche Stellungnahme von der Abteilung Kulturpolitik der Sächsischen Zeitung mit wenigen Zeilen höhnisch mitgeteilt, daß man gegen einen Neudruck der May-Bücher sei, denn: »Wir haben eine große Anzahl von wertvollen Jugendbüchern, um die uns westdeutsche Schriftsteller beneiden.«(35)
Monate später, im September, bittet die Zeitung den Schriftsteller Joachim Kupsch (»Eine Sommerabenddreistigkeit«, 1959) um eine Stellungnahme - vermutlich zur Beruhigung der noch immer erregten Briefeschreiber. Dem »ungerechtfertigten Angriff« Schumanns setzt er positive Momente der Mayschen Bücher - »unbedingte Parteinahme für die Unterdrückten«, Ideen des Weltfriedens und der Völkerversöhnung, »Ethik und Moral seiner Helden«, Anschaulichkeit und Humor, »Ablehnung der Gewalt und des Verbrechens« - entgegen.
Als »ernstesten Einwand« nennt Kupsch den Gegensatz zwischen verführerischer Spannung und inhaltlicher Qualität. Bis heute habe man Mays Werk aber nicht gerecht eingeschätzt, kein Gesetz der DDR verbiete das Lesen und Besitzen seiner Bücher, in den Bibliotheken »sollten auch die besten Bände Mays ... nicht fehlen.« Eine Neuauflage habe jedoch »keine Eile«.(36)
Immerhin: Das waren neue, für May-Freunde erfreuliche Töne. Das erforderte Mut und war nicht ohne Risiko: Wie es das Beispiel des Hallenser Journalisten Roland Weise zeigt, für den aus dem Engagement für May fatale Folgen erwachsen.
In der Zeitschrift des DDR-Schriftstellerverbandes setzt sich Roland Weise schon im August 1955 für eine Neuauflage der Werke Mays ein »um unserer Jugend ihren Old Shatterhand und ihren Winnetou wiederzugeben.« Den Kritikern hält er entgegen, daß ihnen »mitunter noch kein Wort zu gemein ist, um nicht doch noch mit Karl May in Verbindung gebracht werden zu können.« Außer dem Namen wissen sie »anscheinend nichts über sein wirkliches Schaffen und seine Werke .... die keinen menschenfeindlichen oder verderblichen Einfluß haben.« Roland Weise analysiert die positiven Aspekte und die Wirkung der Werke, die »in elf Millionen Exemplaren in den Herzen der Völker verankert sind«, und er nennt etliche Urteile prominenter Befürworter.(37) Gegen Roland Weise werden drei Widerparte aufgeboten. Zuerst, im September, der schon erwähnte Kurt David.(21) Zwei Monate später folgt ein Mann, der bereits seit Ende der zwanziger Jahre von Stettin aus Karl May bekämpft und für einige Zeit zu den Anti-May-Protagonisten der DDR zählt: Mittelschullehrer Erich Sielaff. Er gehört zu jenen linientreuen »bewährten Praktikern«, die nach 1945 ohne Promotion und Ha-
bilitation zu Universitätsprofessoren berufen werden und nun zum ersten Mal eine Hochschule von innen sehen. Am Pädagogischen Institut der Rostocker Alma mater leitet Sielaff seit 1952 die Forschungsstelle für Jugendschriften.
In seine Kritik an Weise bezieht Sielaff auch David ein, der leider »nur auf den Menschen Karl May und auf seine Werke« gezielt habe. Man müsse aber auch die »gesellschaftlichen Zusammenhänge« offenlegen. Wie das durch den Professor »nachgeholt« wird, soll nur durch ein paar Kostproben belegt werden. Denn sich mit den Sielaffschen sachverstandsfreien Salbadereien auseinanderzusetzen, wäre wohl ein sinnloses Unterfangen.
»Als vielfach rückfälliger Dieb und Hochstapler« habe May beim Verleger »Münchmayer« die Blätter »Beobachter an der Elbe«, »Schacht und Hütte« usw. betreut: »Die Titel verraten, daß diese Zeitschriften für kleinbürgerliche Kreise bestimmt waren.« Die »nebenher« geschriebenen »Münchmayer«-Romane »wurden erst durch einen Prozeß bekannt, den May gegen den Verlag nach dem Tode Münchmayers angestrengt hatte ... Der Streit um das Für und Wider bei Karl May ging nicht von seinen Werken aus, sondern von dem Ehescheidungsprozeß ... im Jahre 1903«.
Egon Erwin Kisch sei es gewesen, der »die Wandlung des Verbrechers Karl May zum Schriftsteller mit den Mitteln der Psychoanalyse« erklärte. Als Kind habe May »alles Gedruckte ... wahllos verschlungen ... Diese Lesewut hätte dem Jungen fast das Augenlicht geraubt. In der Zeit der erzwungenen Enthaltsamkeit von jeder Lektüre waren die Märchen der Großmutter seine geistige Nahrung.« Und Heinz Stolte habe ein Preisausschreiben des Karl-May-Verlages» - bald nach dem Einbruch des Faschismus in Deutschland« - gewonnen: »1936 legte der Preisträger sein Buch der Philosophischen Fakultät der Universität Jena als Dissertation vor ... Der Lobredner Karl Mays war von nun an Dr. phil.... Der Faschismus zog, um die ihm gemäßen Termini anzuwenden, Karl May ganz groß auf.«
(In einem Brief vom 8. Januar 1957 an den holländischen May-Forscher Ferdinand C. de Rooy schreibt Sielaff: »Dabei darf ich noch betonen, daß ich mich sowohl mit dem Werk wie mit dem Leben und der Entwicklung Karl Mays sehr lange und gründlich beschäftigt habe, und meine Stellung gegen Karl May ist in jedem Satz begründet.«)(35)
»Man darf wohl annehmen, daß Roland Weise von diesen Tatsachen nichts wußte«, orakelt Sielaff am Ende seines Exkurses zu den »gesellschaftlichen Zusammenhängen«, um dann zu drohen: »Ist er immer noch dafür, Karl May neu aufzulegen?«(38)
Der ehemalige Agitpropleiter der KPD und nunmehrige Schriftsteller E. R. Greulich fügt noch einige Zeilen hinzu: »Literaturwissenschaftler und Experten« seien mit einer May-Analyse beauftragt worden, und »ohne dieser zu erwartenden Beurteilung vorgreifen zu wollen« wäre bereits klar, »daß kein Anlaß besteht, Karl May und sein Werk wieder auszugraben.« Habe man auf Leserfragen noch nicht »in genügendem Maße« geantwortet, »so wird es bald anders sein.«(39)
Jenes »genügende Maß« wird zunächst an Roland Weise erprobt. Im Oktober 1955 hatte das Kulturministerium 80 Schriftsteller und 26 Funktionäre zu einer Beratung über die »neue deutsche Abenteuerliteratur« eingeladen. Eine Genossin Dr. Nadeshda Ludwig, Dozentin für Sowjetliteratur an der Humboldt-Universität, agierte für eine »Jugendliteratur der kühnen und heroischen Tat« - Schilderungen, »wie Menschen am Marterpfahl gequält wer-
den und wie sie sich vor Schmerzen krümmen«, dürfe es dabei aber nicht geben - und gegen Karl May.
In der Diskussion, so heißt es im 75seitigen Protokoll, stimmte auch Roland Weise den Ausführungen zu, aber »in einem Punkt nicht, und das ist ihre Stellungnahme gegen Karl May.« Als die Schriftstellerverbands-Zeitschrift dann im November kurz über diesen Sachverhalt und breit über die eigenartigen Gedankengänge des Professors Sielaff berichtet, gibt es eine kleingedruckte Fußnote: »Inzwischen hat Roland Weise in einem Brief an die Redaktion unseres Verbandsorgans mitgeteilt, daß er seine bisherige Einstellung gegenüber den Werken Karl Mays revidiert hat.«(40)
Wie sich bald zeigen wird, hat Roland Weise seine Meinung mitnichten geändert, die »Stellungnahme« war erzwungen worden.
Nach der Einleitung der offenen Entstalinisierung auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 durch Chruschtschow deutet sich in der DDR kulturelles Tauwetter an. Am 11. Mai organisiert der Verlag Neues Leben eine weitere Beratung, und diesmal geht es nicht mehr um die DDR-heroische Abenteuerliteratur im allgemeinen, sondern nur noch um die Frage »Karl May - Ja oder Nein?«. An die reichlich 40 Teilnehmer wird ein vom Verlag eigens hergestellter 42seitiger Sonderdruck einer »kritischen Betrachtung« von E. Sielaff(41) verteilt, der aber jetzt eine zumeist »kritische Aufnahme« findet.
Die eine Hälfte der Redner sei für, die andere gegen May gewesen. Diskutiert wird darüber, ob man ihn in neubearbeiteter Form wieder drukken könne? Oder vielleicht nur als Nacherzählung? Gerhard Steiner, der Uraniaautor von 1949, gibt zu bedenken, daß sich May jede Bearbeitung seiner Werke verbeten habe. Eine Neuauflage könne aber auch »befremden«, wird eingeworfen.(42) Der milde Schlagabtausch endet wie das Hornberger Schießen.
Roland Weise nutzt die veränderte Situation zu einem neuen Vorstoß für Karl May. Er leitet die Bezirksredaktion der »Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten« für Halle und Magdeburg und startet in dieser NDPD-Zeitung am 7. Juli 1956 eine großangelegte May-Diskussion. Titel der Auftaktseite: »Old Shatterhand lebt noch!« In vier Ausgaben werden über 20 durchweg positive Leserzuschriften veröffentlicht.(43) Parallel dazu beginnt eine Serie über die Karl-May-Spiele in Bad Segeberg.(44)
Die in den NDPD-Blättern von Halle, Magdeburg und Leipzig laufende May-Aussprache findet breites Echo. Weitere Bezirkszeitungen greifen das Thema auf; Zuschriften kommen aus Westdeutschland und sogar aus dem Ausland.
Der Holländer Ferdinand C. de Rooy, der 1955 die erste fremdsprachige May-Biographie(45) veröffentlichte, erfährt erst spät von der Diskussion und schreibt am 11. September 1956 eine warmherzige Stellungnahme für May. Roland Weise antwortet am 17. September und 5. Oktober: Sein Beitrag solle trotz Beendigung der Leserumfrage noch erscheinen und er hoffe, man werde auch »in Zukunft in guter Verbindung bleiben«.(35) Dazu jedoch kommt es nicht mehr.
Nach den Arbeiterunruhen in Posen vom Juni und dem »polnischen Oktober« und nach der blutigen Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes Anfang November 1956 endet das kurze »liberale« Intermezzo in der DDR. Der Staatssicherheitsdienst leitet eine neue Verhaftungswelle ein, der Terror richtet sich vor allem gegen Studenten und oppositionelle antistalinistische Kommunisten. Schauprozesse gegen Wolfgang Harich, Walter Janka und andere werden vorbereitet.
Am 30. November 1956 findet im DDR-Kulturministerium eine schon seit längerem anberaumte neue Arbeitstagung in Sachen Karl May statt. Die Sowjetliteraturdozentin Nadeshda Ludwig erfindet das bislang hanebüchenste Argument: Mays Schriften seien »eine der Ursachen« für die »jüngsten Ereignisse« in den Volksdemokratien; Karl-May-Bücher also hätten in Ungarn die Volkserhebung ausgelöst! Roland Weise bezeichnet das in einem Bericht über die Tagung als »äußerst gewagte Kombination« und »an Primitivität nicht zu übertreffen ...«(46) Sein Einsatz für Karl May hat zunehmendes Mißfallen erregt - bei der »führenden Kraft« (=SED) wie auch in den Leistungsgremien der NDPD. Ihm wird nahegelegt, die DDR zu verlassen; diesen Ratschlag weist er von sich. Er verliert seine Stellung als Bezirksredakteur der »Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten« und wird »als letzter Mann in die Wirtschaftsredaktion der >National-Zeitung< nach Berlin versetzt.«(47)
Auf der Tagung des Kulturministeriums war weder rotes noch grünes Licht für Karl May gegeben worden. Hauptabteilungsleiter Peter Nell, der schon von Krankheit gezeichnet ist und wenige Monate später stirbt, zieht sich am Ende auf salomonische Weise aus der Affäre: Karl May war, ist und wird nicht verboten, und wenn ihn ein Verlag neu auflegen will, dann ist das, bitteschön, seine Sache!(35)
Daß Karl May mit Beginn der neuen politischen Eiszeit keiner neuerlichen Verdammnis anheimfiel, ist vermutlich auch dem Engagement vor Arnolt Bronnen zu danken. Der renommierte österreichische Dramatiker und Publizist war 1955 in die DDR übergesiedelt, und im September 1956 bricht er in der »Berliner Zeitung« eine Lanze für den »Webersohn von Hohenstein«:
Wenn man den Erziehungswert der Karl-May-Romane anzweifle, so möchte er nach der erneuten Lektüre von drei Bänden »freimütig sagen, daß sich auf diesen Seiten nicht eine Zeile fand, die ich meinen Kindern nicht vorlesen könnte - ganz abgesehen davon, daß diese Romane auch schriftstellerisch mehr gekonnt sind als vieles von dem, was heute als Unterhaltungs- oder Jugendromane in beiden Teilen Deutschlands erscheint ... Im demokratischen Schrifttum gebührt dem vielgeschmähten und vielgehetzten Webersohn aus dem Erzgebirge ein entsprechender Platz.«(48)
Wie nachhaltig dieser Appell wirkt, zeigt sich im Januar 1957, als der Verlag Neues Leben von der kurz vorher geäußerten Andeutung einer Neuauflage abrückt. Denn die »Begründung« zielt zugleich und vor allem gegen Bronnens Argumentation; im Widerspruch zu den Tatsachen wird einfach das Gegenteil behauptet: May werde man nicht drukken, »weil Besseres durch die Arbeit von Schriftstellern an seine Stelle getreten ist.«(35) Auch der Kinderbuch-Verlag läßt seinen Plan zur Herausgabe einiger May-Bände wieder fallen.
Die May-Fans freuen sich über das kleine Heft und hoffen, daß die Zeit der widersinnigen Reglementierungen vorbei ist. »Der Kampf ist beendet! Nun auch bei uns. Wenn auch vorläufig noch im kleinen Format, ist's doch ein echter Karl May!« So steht es auf einem Werbeplakat, mit dem der Leipziger Buchhändler Hans Kurze ein Schaufenster seines Geschäftes in der Karl-Heine-Straße gestaltet. Einige Exemplare des Heftes verstärken den Blickfang. Solche Hoffnungen werden durch rüde Attacken im »Börsenblatt für den deutschen Buchhandel« (Leipzig) jedoch ganz schnell zunichte gemacht.
Im Heft 1/1958 wird zunächst die Offerte aus dem VD (=»Vorankündigungsdienst«; Beilage zum »Börsenblatt«) unter der Überschrift »Kein Witz!« verhöhnt. Dann folgt im Heft 4 ein Foto vom Schaufenster der Buchhandlung Kurze. Darüber der Titel »So mußte es ja kommen« und darunter ein Text mit üblen Verdrehungen und Drohungen: Die »Kleine Jugendreihe« sei eingeführt worden, um »den westdeutschen Kriminalreißern und Comiks etwas Wertvolles entgegenzusetzen. Nun erscheint ausgerichtet in dieser Serie ein Buchtitel, der in Inhalt und Ausstattung wahrhaftig manchem Kitschheft nicht viel nachsteht ...«
Die angeblich abgeschmackte »Ausstattung« bestand aus vier ansprechenden Zeichnungen von Julius Junghans. Eine Illustration zeigt zum Beispiel die Szene, in der Kara Ben Nemsi als Hekim und Hadschi Halef Omar in das Haus von Abrahim Mamur geleitet werden.
»Das Kapitel Karl May«, tönt es im »Börsenblatt« weiter, »ist in der Deutschen Demokratischen Republik schon vor Jahren endgültig abgeschlossen worden.« Man hätte »nie annehmen sollen, daß ein Verlag ernsthaft daran gedacht hätte, Karl-May-Bücher wieder herauszubringen ... Wie dem auch sei, das Unglaubliche ist geschehen, nun ist es gar nicht verwunderlich, daß die ersten Folgen eintreten ...«
Nämlich im Schaufenster des Buchhändlers Hans Kurze, der »das Bedürfnis nach weiteren Titeln« wekken würde. Aber »nichts wäre falscher, als etwa in der Öffentlichkeit das Karl-May-Problem noch einmal aufzurollen. Der Kampf ist wirklich beendet. Allerdings nicht so, wie sich das der Buchhändler Kurze vorstellt.« Der Verlag wird aufgefordert, »zu seinem Fehltritt Stellung zu nehmen «(49)
Verlagsleiter Heinz Mißlitz kommt diesem Geheiß im Heft 7 nach. Von den Manuskripten der Gegenwartsautoren, schreibt er, »ist leider nur ein Bruchteil davon - oft erst nach langer Bearbeitung brauchbar.« Deshalb habe man auch auf »Klassiker« der Abenteuerliteratur wie London, Stevenson, Gerstäcker, Sealsfield und Mügge zurückgegriffen, gleichfalls Karl May überprüft, allerdings »wenig Brauchbares« gefunden, aus 60 Bänden schließlich »60 Seiten gewählt und die auch erst nach Überarbeitung. Von unserer Seite besteht deshalb nicht die Absicht, weitere Hefte dieses Autors herauszubringen. Wir hatten nicht das geringste Interesse, uns besonders für Karl May einzusetzen oder die Diskussion neu zu entfachen, das ist in spektakulärer und onkelhafter Form dem Börsenblatt gelungen.«(50)
»Auch eine Antwort« hat das »Börsenblatt« die Stellungnahme betitelt; die »onkelhaften« Inquisitoren sind mit der Stellungnahme zum »Fehltritt« offensichtlich unzufrieden.
Unzufrieden mit den Ereignissen ist auch Heinz Mißlitz selbst, der ursprünglich durchaus die Absicht hatte, »weitere Hefte dieses Autors herauszubringen.« Geplant noch für das erste Halbjahr 1958 waren zwei Bändchen mit dem Titel »See des Pharao« aus dem Werk »Durch die Wüste« und das Heft »Das sprechen-
de Leder« mit zwei Kurzerzählungen. Aber diese Vorhaben verschwinden dann schnell in der Versenkung.(35)
Am 23. August 1959 stirbt nach über 30 »Dienstjahren« der Leiter des Radebeuler Karl-May-Museums, Patty Frank. Das Mekka der May-Fans mußte zwar schon ab 1956 die Bezeichnung »Indianer-Museum« mit dem kleingedruckten Zusatz »der Karl-May-Stiftung« führen, aber nunmehr ist der Wallfahrtsort auch um die lebende Legende ärmer geworden.
Wenige Monate später, am 2. April 1960, kommt es zur Trennung zwischen der Stiftung und dem Karl-May-Verlag. Mit dessen Sitzverlagerung nach Bamberg werden aus Radebeul auch Karl Mays Bibliothek, die Einrichtung seines Arbeitszimmers und weitere bewegliche Habe abtransportiert. Wäre es möglich gewesen, so hätten die DDR-Behörden wohl auch den Namen von und die Erinnerung an Karl May aus dem Lande geschafft.
Fortan wird es still um Karl May. In Zeitungen taucht der Name nur noch selten auf. Das ändert sich schlagartig im Jahre 1965, als Diskussionen ein paar Hoffnungen wecken: In der Studentenzeitung »Forum« läuft der Vorabdruck von Hermann Kants Roman »Die Aula«, und im ersten Juliheft erschallt die Eloge: »O herrlicher sächsischer Lügenbold, gepriesen sei dein vielgeschmähter Name! ...«(51)
Anfang August tagt zum 26. Mal das »Professorenkollegium«, eine damals in Funk und Fernsehen der DDR gängige Sendung. Unter den mehr oder minder gelenkten Anfragen heißt es: »Wie denken die Professoren über Karl May?«
Ein Mitarbeiter aus dem Buchhandel will wissen, ob man nicht mindestens die besten Werke Mays »kürzen und raffen« könnte, um die »empfindliche Lücke in unserer Abenteuer- und Jugendliteratur« zu verkleinern. Eine ganz offensichtlich vorbereitete Anfrage, denn der Leiter der Gesprächsrunde, Hans Jacobus, kennt »zufällig«, wie er sagt, die bewußte Passage im »Forum« - exakt mit Nummer der Ausgabe und sogar mit Seitenzahl.
Und die Frau Professor Schubert von der Humboldt-Universität hat welch eine Fügung - ganz zufällig ein May-Buch in der Tasche: Als Kind habe sie acht bis zehn Bände gelesen, und jetzt wäre sie gerade mal dabei, sich zu testen, ob sie immer noch die gleiche Begeisterung empfinde. »Bißchen sentimental« sei May, meint sie, aber »nicht so schlimm«, das schleife sich ab. Aber ob nun gerade in Massenauflagen?
Frau Professor Diersen, gleichfalls von der Humboldt-Universität, findet, daß das Sentimentale bei May doch »eine mehr äußerliche Schicht« bleibe: »Ja, ich muß sagen: Karl May - warum eigentlich nicht? « Professor Otto Reinhold vom Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED gibt zu bedenken, daß es vielleicht der bessere Weg wäre, »wenn es uns gelingen würde«, eine eigene Jugendliteratur zu schaffen, »die ebenso begeistert ...« Hans Jacobus meint, es sei eben Sache der Verlage, »sich der Sache anzunehmen oder es zu lassen.« (52)
Daß nun überhaupt wieder eine May-Diskussion in Gang kommt, bei den Zeitungen abermals Anfragen einlaufen, wann »er bei uns« er-
scheint, wird ganz stark dadurch stimuliert, daß es in der CSSR und in weiteren Ostblockstaaten schon seit einigen Jahren wieder Karl May-Bücher gibt. In Prager Kinos und anderenorts läuft der »Schatz im Silbersee«; weitere Filme folgen. Zahllose DDR-Touristen erleben die deutschen May-Filme nun in tschechischer Sprache. Und wer sich ein Buch in dieser Sprache gekauft hat, das er gar nicht lesen kann - vielleicht nur wegen der schönen Illustrationen von Zdenek Burian -, muß damit rechnen, daß es die DDR-Zöllner beschlagnahmen. Er darf aber, wenn er nach seiner »ersten Begegnung mit dem Buch<< befragt wird, durchaus sagen, daß er früher alles von Karl May »verschlungen« hat.
Diese Antwort geben einige bei der »aktuellen Umfrage«, die Prof. Dr. Horst Kunze im Septemberheft 1965 im »Magazin« auswertet. Der Generaldirektor der Deutschen Staatsbibliothek bezeichnet May als »Oberlügner«; sein Bucherfolg ist ihm ein »Geheimnis«. Aber Kunze weiß, was bei Lesern ankommt: Den eigenen Artikel stellt er unter die Überschrift »Von Winnetou bis Anna Karenina«.(53)
Eine wochenlange May-Diskussion entwickelt sich im Lokalblatt »Dresdner Kreis-Express«. In der Ausgabe Nr.32 vom 11. August 1965 war bemängelt worden, daß Radebeul zu wenig für Touristenwerbung tue, und dabei fällt ein einziges Mal der Name Karl May.(54) Für einen Genossen Paul Nowatschin Anlaß zur heftigen Replik: Bei May gäbe es »genügend Negatives«, Mutschmann habe die Schirmherrschaft über die Rathener Festspiele übernommen und - May sich den Nazis angeboten.
Mit diesem Argument ist schon lange nicht mehr geschossen worden, aber jener P. Nowatschin scheint sturer Beharrlichkeit verbunden zu sein; noch im Januar 1986 feiert er auf einer SED-Kreisdelegiertenkonferenz in Dresden die »Kontinuität unserer Schulpolitik«.(55)
Im Herbst 1965 löst Nowatschins May-Nazi-Verquickung eine Flut von Protestbriefen aus. Der »Dresdner Kreis-Express« veröffentlicht ein reichliches Dutzend Zuschriften, die durchweg eine Neuauflage von Karl-May-Büchern fordern.
In der Ausgabe vom 29. September tönt allerdings eine dissonante Stimme: Klaus Hoffmann argumentiert mit der lächerlichen Behauptung des unsäglichen Fronemann, »Karl May war Marxist«. Das ist natürlich Unsinn pur, damit kann nichts Positives für May bewegt werden. Manche May-Freunde glauben auch eher an eine Provokation.
Was sie damals nicht wissen: Nur wenig später, am 10. November 1965, unterschreibt K. Hoffmann die Verpflichtungserklärung als Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR. Perfiderweise wählt er den Decknamen »Karl«.(56) Über seine Spitzeltätigkeit wird ausführlich an anderer Stelle berichtet.
Am 24. November 1965 findet in der »Villa Bärenfett« ein Abschlußgespräch zur Leserdiskussion statt. Daran nehmen Mitarbeiter der Zeitung und der Sammelstiftungen beim Rat des Bezirkes Dresden, Museumsleiter Paul Siebert, Hainer Plaul, ich und der frischgekürte IM »Karl« teil. Ein Bericht über diese Gesprächsrunde ist nie im »Kreis-Express« erschienen. Plötzlich rundum eisiges Schweigen zum Thema May. Und Signale des Schreckens: Das kleine Blättchen »Burgstädter Monatsschau« hatte im Rahmen einer Schund- und -Schmutz-Diskussion für Karl May Partei ergriffen und noch in der Dezember-Ausgabe eine Fülle sachkundiger Informationen vermittelt,(57) worauf der renommierte May-Forscher Manfred Hecker, ehrenamtlicher Redakteur und Stadtrat für Kultur und Volksbildung
in Burgstädt, aus dem Rathaus gefeuert wird. Was war geschehen?
Vom 15. bis 18.12.1965 fand das berüchtigte 11. Plenum des ZK der SED statt. Weil einige wirtschaftliche Reformansätze möglicherweise am Machtmonopol der SED rütteln können, werden sie im vierten Jahr nach dem Mauerbau abgebrochen. Das gilt gleichermaßen im Kulturbereich, einige bescheidene Freiräume verschwinden wieder. Bekannteste Auswirkung ist das Verbot von 12 DEFA-Filmen. Beatgruppen werden aufgelöst, Theater müssen ihr Programm ändern. Eine angebliche Unmoral unter der DDR-Jugend wird auf dem Plenum gesichtet, unter anderem - verkürzt ausgedrückt - als Folge schlechter DDR-Literatur. Also müsse eine gute (=parteilinientreue) Literatur her, um eine hohe Moral (= volles Engagement für den DDR-Sozialismus) zu sichern.
Referent E. Honecker kollert gegen »nihilistische, ausweglose und moralzersetzende Philosophie in (der) Literatur«; alle sogenannten modernistischen, skeptizistischen, anarchistischen, liberalistischen, pornographischen Strömungen werden verdammt.
Wirtschaftschaot G. Mittag verkündet, künftig gäbe es nur noch Geld für »gute« Kunst. Der noch allmächtige W. Ulbricht höhnt im Schlußwort, daß das 3,5tägige Terrorspektakel »außerdem die demokratischen Methoden gezeigt hat, mit denen die Probleme im Zentralkomitee behandelt wurden ... (Langanhaltender Beifall)«(58)
Nach dem brutalen Eingriff der SED-Führungsriege in das Kultur- und damit auch Literaturleben der DDR scheint das Schicksal Karl Mays besiegelt zu sein; fortan gibt es keine öffentlichen Diskussionen mehr. Kunst und Literatur liegen im Visier der Stasi und an den Leinen der »Organe« von Partei und Staat. Ab und an freilich rutscht etwas am »Schild der Partei« vorbei, ohne daß das »Schwert« zum Zuschlagen kommt.
So erscheint 1967 in sechs Bezirkszeitungen der LDPD auf einer Abenteuerliteraturseite eine Kostprobe aus dem »Schatz am Silbersee«.(59) Schon ab 1966 kann Otto Häuser in vielen seiner Ottokar-Domma-Geschichten im »Eulenspiegel« ohne offene oder offizielle Einwände einen Schüler mit dem Spitznamen »Old Schätterhänd« auftreten lassen. Die satirische Zeitschrift und der Eulenspiegel-Verlag, der 1967 das Buch »Der brave Schüler Ottokar« und dann noch fünf weitere ähnliche Titel ediert, genießen eine kleine Portion Narrenfreiheit.
Bei zahllosen Lesungen vor Kindern stellt Otto Häuser ab 1966 fest, daß von Jahr zu Jahr mehr Jungen den richtigen Old Shatterhand kennen. Sie lesen Karl-May-Bücher aus den Beständen der Eltern und Großeltern und lassen sich die grünen Bände »von drüben« mitbringen.(60) Trotz machiavellistischer Intoleranz: Karl May lebt also weiter!
Tritt er allerdings aus dem Verborgenen hervor, sind Staat und Stasi zur Stelle. Da hatte sich 1966 in Hohenstein-Ernstthal ein Fähnlein von sieben Aufrechten zusammengefunden, um einen »Freundeskreis Karl May« zu gründen. Hans Zesewitz und Adolf Stärz sind dabei und Lothar Layritz - ein Nachfahre des einstigen Stadtrichters - und Alfred Münch, der Eigentümer des Geburtshauses; er will das Anwesen dem künftigen Freundeskreis zur Ausgestaltung und Bewirtschaftung schenken.
Am Vormittag des 25. Februar 1967, am 125. Geburtstag Karl Mays, bringen die Sieben am Geburtshaus eine grüne Girlande und ein handgeschriebenes Schild an. Nur »125« steht darauf. Für den Staatssicherheitsdienst ein »staatsgefährdener« Vorgang: Bis zum Mit-
tag müsse alles entfernt sein, sonst »gibt es Ärger!« Richard Fritzsch, Vorsitzender des Kulturbundes in der Karl-May-Geburtsstadt, versucht, den Freundeskreis als eine Arbeitsgemeinschaft dieser Organisation zu retten. Alles Bemühen ist vergeblich.
Am 25. Februar 1982, als im Politbüro bereits grünes Licht für die May-Renaissance geschaltet ist, muß Adolf Stärz die nun schon berühmte Girlande und das Schild »140« »augenblicklich« entfernen.(61) Die »örtlichen Staatsorgane« wußten noch nichts vom allerhöchsten Beschluß. Denn Geheimhaltung gehörte zum sinnlosen DDR-Ritual. Häufig und auch hier mit der lächerlichen »Begründung« - »dem Klassenfeind keinen Angriffspunkt« zu bieten!
Eingeleitet wird das Büchlein mit dem Beitrag von Alfred Kurella. »Karl May kam gar nicht erst ins Haus, weil wir schon durch Cooper eines Besseren belehrt waren«, schreibt der langjährige Leiter der Kulturkommission beim Politbüro des ZK der SED. Womit die »Linie« ein weiteres Mal bekräftigt ist.
May-Freunde, zu denen keine Tante aus Tuttlingen kommt und aus der Wäsche den »Winnetou« wickelt, freuen sich zu jener Zeit schon, wenn sie in der Zeitung lesen: »Winnetou klar überlegen« oder »Winnetou schießt im Frühbeet«. Denn da hatte der Leipziger Vollbluthengst, wie so oft 1973/74, auf der Rennbahn wieder mal die Nüstern vorn. Oder es wird für den Anbau des wohlschmeckenden Kulturträuschlings geworben; die Pilzbrut für den »Winnetou« gibts seit 1970 im Volkseigenen Gut Dieskau.
Wer ihn doch lieber liest statt verspeist, kann es mit einer Annonce in der »Wochenpost« oder bei einer Zeitung der LDPD oder CDU versuchen. Noch besser ist es, wenn jemand May-Bücher besitzt und etwas begehrt. Vielleicht ein Auto. Denn gegen 51 Bände und 4 Jahrbücher kann man, so eine Offerte am 2. Juli 1974 in der »Thüringischen Landeszeitung«, einen Trabant eintauschen. Das erspart die Wartezeit von 10, 12, 14 Jahren.
Mit der harten Ersatzwährung Karl-May-Bücher lassen sich auch Toupets und andere Produkte beschaffen, die es in der Mangelwirtschaft nicht gibt. Schlimm ist nur dran, wer weder das eine noch das andere besitzt und überhaupt nicht tauschen kann.
Verständlich somit, daß neuerlich gefragt wird, warum es die May-Bücher nicht einfach zu kaufen gibt. Im Oktober 1974 antwortet dazu ein Bibliotheksrat Rudolf Böhme in der »Sächsischen Zeitung«: Wir müßten, behauptet er, »Lizenzen zum Nachdruck erwerben oder die Bücher regelrecht importieren. Gegen harte Währung - selbstredend ...« Und das »Kontingent« (an Devisen) sei begrenzt. Überdies wäre es »gar nicht nötig, unbedingt zu Winnetou und Old Shatterhand zurückzukehren.« Denn »in unserer Verlagsproduktion« gäbe es Besseres, »mindestens
ebenso spannend« wie May, der »für unsere Jugend ... nicht gut genug« sei.(64)
Weil das mit den Lizenzen und Devisen eine Falschinformation ist nach damals geltendem Recht sind die Originaltexte Mays seit Anfang 1963 frei verfügbar -, schreiben etliche May-Freunde an die Zeitung und bitten um Richtigstellung.
Man wolle eine »Stellungnahme« des Kinderbuchverlages einholen, wird geantwortet, und der reagiere nicht. Die May-Freunde drängeln, die Korrespondenz weitet sich aus und zieht sich schließlich bis Ende April 1975 hin. Dann habe auch ich drei »Stellungnahmen« in der Hand - von Prof. Christian Emmrich vom »DDR-Zentrum für Kinderliteratur«, vom Literaturkritiker Günter Ebert und von Peter Krüger, stellvertretender Cheflektor des Kinderbuchverlages.(35)
Diese Unterlagen werden nur intern versandt, in der »Sächsischen Zeitung« ist nach den Auslassungen des Bibliotheksrates kein Wort mehr zum Thema erschienen; die Leser werden im Glauben gelassen, den schlechten May gibt es nur deshalb nicht, weil man keine guten Devisen hat.
Diese »Begründung« aber ist lediglich vorgeschoben, denn in den drei Schriftstücken tauchen sattsam bekannte und ein paar neuformulierte Ablehnungsgründe auf: May habe eine »traumhafte künstliche Gegenwelt zum elenden Alltag« geschaffen, meint Emmrich, und da gäbe es keine Klassenkämpfe, die »ökonomischen Triebkräfte des Kapitalismus« seien nicht sichtbar, kurzum: »May versucht, das Rad der Geschichte zurückzudrehen.« Und das liegt »nicht im Interesse der Weiterentwicklung unserer sozialistischen deutschen Nationalkultur ...«
Einen einzelnen May-Roman könnten die Jugendlichen schon mal lesen, wird eingeräumt, aber bedenklich wäre »die massenhafte Konsumtion seines Werks ...«(35)
Womit wieder einmal an den Kardinalkontraknackpunkt erinnert wird.
Auch G. Ebert hat schwere Bedenken wegen fehlender klassenkämpferischer Ambitionen: Denn Old Shatterhand »ist weder im Auftrag einer Klasse noch eines persönlichen Unrechts wegen unterwegs.« Vielleicht aber im »verborgenen Auftrag der herrschenden Klasse ...«?(35) Auf alle Fälle steht fest: Old Shatterhand ritt nicht im Auftrag der Arbeiterklasse!
Cheflektorstellvertreter Krüger sieht das ebenso: »Das Geschichtsbild, das die Bücher Karl Mays vermitteln, hat mit dem nichts zu tun, auf dem in unseren Schulen der Geschichtsunterricht aufbaut.«(35) Aus dem Parteichinesischen ins Deutsche übersetzt: Karl May war kein Marxist. Als wesentlichste Einwände gelten jetzt weltanschauliche Gründe.
Wird hier noch mit dem Versuch intellektuellen Anspruches gefochten, fährt der Dresdner Parteijournalist W. Forner zur gleichen Zeit nochmals eine Dampfwalze auf: Im vierbändigen Roman »Im Reiche des silbernen Löwen«, der bekanntlich, wie es schon der Titel verrät, hauptsächlich in Persien spielt und 1898 beziehungsweise 1902/03 entstand, habe es May versäumt, »die imperialistischen Hintergründe der Kanonenbootpolitik« bei der Niederschlagung des »Boxeraufstandes« in China (1900/01) aufzudecken! Sein Wissen über das Geschehen »jenseits der Grenzen des Deutschen Reiches« hätte er »nicht bei Marx und Engels, Bebel und Liebknecht, sondern ... in bürgerlichen Nachschlagewerken« gefunden!(65) Und so weiter. Und so fort.
Solche Dummheit wird ein Jahr später nur noch durch die Infamie übertroffen, mit der ein Leitartikel im SED-Zentralorgan »Neues Deutschland« den tragischen Freitod von Oskar Brüsewitz kommentiert. Der unbeugsame Pfarrer hatte sich aus
Protest gegen kommunistischen Terror in den Schulen am 18. August 1976 vor der Michaeliskirche in Zeitz mit Benzin übergossen und angezündet. »Seine Handlungen«, schweinigelt die SED-Journaille, »entsprachen sehr oft mehr den Geschichten von Karl May als den Geboten der Kirche.«(66)
Karl May steht wieder weit im Abseits. Die sozialistische Literaturwissenschaftlerin Marianne Lange kann deshalb 1977 kurz angebunden unterschieben: »Eine kritische, zwischen Pädagogen, Literaturwissenschaftlern und Lesern geführte Auseinandersetzung um dieses Erbe brachte die nachdrückliche Distanzierung der sozialistischen Gesellschaft (damals der aufgeblasene Sammelbegriff für DDR-Bevölkerung, C.H.) von allem, was der apologetisch-chauvinistischen Literatur (MAY, STEUBEN) oder gar dem Schmutz und Schund imperialistischer Massenliteratur zuzurechnen ist.«(67)
1981 schließlich die »Ardennenoffensive« der May-Gegner. In einer Studie »Die deutsche Kinder- und Jugendliteratur zwischen Gründerzeit und Novemberrevolution« wird May als einzigem Autor ein eigenes und langes Kapitel eingeräumt. Denn nach 100 Jahren sei seine »Stellung innerhalb der trivialen Jugendliteratur ... beispiellos.«
Neben teilweise ausgewogener Darstellung zu einigen Lebensstationen und zur Wirksamkeit der Werke werden nochmals schwere Geschütze aufgefahren: Die Erzählungen würden »in jeder Weise das Weltbild der herrschenden Klasse« bestätigen und dem »chauvinistischen Erziehungsprinzip« entgegenkommen und seien rassistisch voreingenommen. Und natürlich fehle, wie bereits »trefflich von Erwin Hoernle formuliert: ... der Kampf der ausgebeuteten Klasse gegen ihre Ausbeuter.«
Zum Abschluß des Anti-May-Kreuzzuges wird noch eine Rauchbombe aus dem Uraltarsenal gezündet, mit dem alles begann: »Das Verhältnis des May-Helden zu seinen Gefährten entsprach aufs genaueste dem Führer-und-Gefolgschafts-Prinzip der Nazierziehung ...«!(68)
Nicht Hansgeorg Meyer, der Autor des Anti-May-Kapitels, sondern der Verfasser aller anderen Teile der »Studie«, Manfred Altner, will als Ausdruck eines »Sendungsbewußtseins« Karl Mays den »gebräuchliche(n) Vermerk >Für Jugend und Volk<« entdeckt haben. Das ist vermutlich eine glatte Unwahrheit, denn ich habe in jahrzehntelanger Beschäftigung mit May bei keinem einzigen von Tausenden verschiedenen Bänden diesen Hinweis gelesen.
Für jenen Altner wird seine dubiose Erfindung nun zum Ausdruck für »eine Haltung des Klassendünkels, der sich anmaßt, darüber zu befinden, was den als geistig unmündig Betrachteten an Lektüre darzubieten sei.«(69) Eine schon perverse Perfidie, wie und worüber sich die Apologie des vormundschaftlichen Staates hier aufheizt. Hatte doch das SED-Regime noch bis zum Absturz in den Orkus sich angemaßt zu diktieren, was »unsere Menschen« in ihrer Freizeit lesen dürfen und was nicht. Reichliche 37 Jahre galt Karl May als Giftdroge für das Wohlergehen der »sozialistischen Persönlichkeiten«.
samkeit dieses Werkes sollten verarbeitet werden.« Im Klartext: Gelesen werden sollen keine Werke von Karl May, sondern Bücher darüber, warum er so viel gelesen wird!
Dieses groteske Ansinnen ist zu jener Zeit - 1981 - schon längst kuriose Realität, und das sogar im weitergreifenden Sinne. Seit 1975 gibt es eine »Karl-May-Novelle«(70) von Erich Loest, die 1978 in zweiter Auflage erscheint und zu einem »Karl-May-Roman« ausgebaut wird.
Als »Swallow, mein wackerer Mustang«(71) 1980 in 20.000 Exemplaren in die Buchhandlungen zwischen Adorf und Ahrenshoop einreitet, gibt es kein langes Verweilen. Die Auflage ist sofort ausverkauft; das Buch findet verheißungsvolle Aufnahme: Wenn man schon etwas über May lesen darf, der Roman sogar in den Zeitungen durchweg gelobt wird, dann dürfte wohl die Zeit nicht mehr fern sein, bis die Karl-May-Bücher selbst in den Buchhandlungen stehen?
Zum positiven Urteil der Rezensenten trägt das mehrschichtige Bild bei, das Loest zeichnet: May erscheint in seiner ganzen Widersprüchlichkeit, und sein Werk wird in der sozialen und psychologischen Bedingtheit erklärt.
Jene Darstellung verläßt konsequent die häufigen Klischees jahrzehntelanger Diskussion mit den Weiß- und Schwarz-Standards für Pro und Contra. Durch diese Ausgeglichenheit hat das Buch vermutlich überhaupt die Hürde der »Druckgenehmigung« überwinden können. Damit aber dürfte der Roman auch an den höchsten Stellen neue Denkimpulse ausgelöst haben.
Mit welcher Wirkung, das erscheint 1980 freilich völlig offen. Denn im Januar ist Erich Loest gezwungenermaßen aus dem Schriftstellerverband der DDR ausgetreten und im März 1981 erzwungenermaßen nach der Bundesrepublik ausgereist.
Noch vor der »Swallow«-Sensation hatte 1979 schon ein anderes Ereignis für etwas Aufsehen gesorgt; die DDR präsentierte ihren - formulieren wir es mal ein wenig übertrieben - ersten »Karl-May-Film«: »Zünd an, es kommt die Feuerwehr« heißt die historische Moritat im sächsischen Siebenthal. Der Indianerverein im Städtchen feiert 25jähriges Jubiläum, und da hat sich ein Ehrengast angesagt: »Siebenthal grüßt Karl May - den größten Dichter Deutschlands.« Dann kommt er als Old Shatterhand, einmal für fünfzehn und noch einmal für drei Minuten. Eine kurze Reverenz der Filmemacher. Aber: Karl May ist bei allen Filmbesuchern in Erinnerung gebracht worden.
Als schließlich 1981 und damit bald nach dem Loest-Roman Hainer Plaul seine Anthologie »Leidenschaft und Liebe« zur Trivialprosa des 18. und 19. Jahrhunderts mit dem Kapitel »Auf Kundschaft« aus Mays Roman »Durch die Wüste« vorlegt und dazu in einem fundierten Nachwort das Genre Trivialliteratur im allgemeinen und Mays Schaffen im besonderen sehr differenziert untersucht(72), wird ein weiterer entscheidender Schritt zur Wende vollzogen. Nach fast einem Vierteljahrhundert ist erstmals wieder ein längerer May-Text erschienen - durch eine kluge Analyse gestützt, die nicht mit ein paar Federstrichen abgetan werden kann. Plaul hat die Gegner Mays gleichsam an der Stelle gepackt, wo sich eigentlich nichts mehr drehen läßt.
Zur Auferstehung der »Unperson« haben aber noch andere Faktoren beigetragen, so ein gewisser Wandel der gesamten Kulturpolitik der DDR im Gefolge innenpolitischer, innerdeutscher und außenpolitischer Veränderungen. Und nicht zuletzt ganz subjektive Entscheidungen.
So beginnt, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, im Herbst 1981 eine dramatische Entwicklung,
die am 1. Weihnachtstag 1982 ab 14 Uhr 15 im 1. Programm des DDR-Fernsehens zur offiziellen Wiedergeburt Karl Mays führt. Mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte es die zahllosen Unsäglichkeiten der Vergangenheit nie gegeben.
Die nachfolgende Renaissance zeigt sich in riesiger Vielfalt und offenbart enormen »Nachholbedarf«: Für die Literaturgeschichte wird damit ein bisher einmaliges Beispiel geliefert. Aber das sind bereits Kapitel, die eine gesonderte Darstellung erfordern - Kapitel, die schon genau so Geschichte sind wie die historischen Intermezzi SBZ und DDR.
Karl May hat die für ihn bösen Jahre von 1945 bis 1981 unbeschadet überstanden. Manche mögen dennoch auch heute nichts von ihm wissen. Dann sollen sie seine Bücher unbeachtet lassen und zu Werken ihrer Lieblingsautoren greifen. Aber niemals wieder sollen Menschen darüber befinden, was andere Menschen lesen dürfen und was nicht!
1 Zitiert nach: Sammlung 4 - Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst. Hg. von Uwe Naumann. Frankfurt a.M. 1981, S. 153f. Vgl. dazu auch: Lothar Bembenek: Der »Marxist« Karl May, Hitlers Lieblingsschriftsteller und Vorbild der Jugend? Die Karl-May-Rezeption im »Dritten Reich«, a.a.O. S.147 ff., und Erich Heinemann: »Karl May paßt zum Nationalsozialismus wie die Faust aufs Auge« - Der Kampf des Lehrers Wilhelm Fronemann. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1982, S. 234 ff.
2 Eine gute Darstellung dazu gibt Gerhard Linkemeyer: Was hat Hitler mit Karl May zu tun? Versuch einer Klarstellung. Ubstadt 1987.
3 Wilhelm Fronemann: Das Jugendbuch im Dritten Reich. In: Kölnische Zeitung, 1.9.1934, Beilage >Junge Nation<.
4 Staatsarchiv Dresden: Akte Landesregierung Sachsen, Ministerium für Volksbildung Nr. 2769.
5 Wilhelm Fronemann: Lieber Kollege! In: die neue schule, 3. Jahr, 1948, Nr. 18, S. 600.
6 Johannes Feuer: Der Kampf gegen die Schundliteratur ... In: die neue schule, 3. Jahr, 1948, Nr. 18, S. 603.
7 H. Stolte: Fronemann gegen Fronemann. In: Schöpferische Gegenwart. Kulturpolitische Zeitschrift Thüringens. Dezember 1948.
8 Wie 4. Siehe auch: Olaf Müntzer. Bannfluch über Old Shatterhand/Die Hintergründe des Karl-May-Verbotes in der ehemaligen DDR. In: Sachsenspiegel, 2. Jg., Nr.12, 22.3.1991, S.9; Christian Heermann: Für wen ritt Old Shatterhand? Karl May im Sperrfeuer der Diktaturen. In: Wochenpost, 38. Jg., Nr. 25, 12.6.1991, S. 32 f.; Hans-Dieter Steinmetz: Nachbemerkung. In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft (M-KMG), Nr. 89, Sept. 1991, S. 55 ff.
9 Franz Naumann: Ein Wort zur Jugendschriftenpflege. In: Volksstimme, 4./5.11.1945.
10 Hermann Weber: DDR - Grundriß der Geschichte 1945-1990. Hannover 1991, S. 54.
11 Wie 4 und persönliche Mitteilungen von Prof. Dr. Heinz Stolte am 5.5.1988 in Hamburg.
12 Karl Trinks: Methodik der Schundbekämpfung. In: Der Volksbibliothekar, Jg. 1948, Heft 2, S. 77 ff.
13 Wilhelm Fronemann: Funkmanuskript, Westdeutscher Rundfunk, 29.10.1933.
14 Christian Heermann: Der Mann, der Old Shatterhand war. Eine Karl-May-Biographie. Berlin 1988,1990, S.19 ff.
15 Christian Heermann: Karl May, der Alte Dessauer und eine »alte Dessauerin«. Dessau 1990, S. 124 ff.
16 25 Jahre Karl-May-Verlag Radebeul bei Dresden. Radebeul 1938, S. 3.
17 Hans-Dieter Steinmetz: Karl Mays Grabmal in Radebeul' Manuskript, September 1993, S. 46.
18 Edwin Hoernle: Schulpolitische und pädagogische Schriften. Berlin 1958, S. 234.
19 Brigitte Reimann in ihren Briefen und Tagebüchern. Berlin 1988, S. 25 f.
20 Götz R. Richter: Aufgaben der neuen Abenteuerliteratur. In: Sächsische Zeitung, 18.2.1954.
21 Kurt David: »Zur Frage des Jugendbuches - Mit oder ohne Karl May«. In: Der Schriftsteller, Nr. 18 / 1955, 2. Septemberheft, S. 9 ff.
22 Harry Thürk: Sind solche Bücher gegenwartsfern? Zur Vorbereitung des V. Schriftstellerkongresses - Meinungsstreit um »Gegenwartsliteratur und Gegenwartsthematik«. In: Das Volk, 21.3.1961.
23 Zitiert nach: Erich Heinemann: »Dichtung als Wunscherfüllung« Eine Sammlung von Aussprüchen über Karl May. Ubstadt 1992, S. 157.
24 Eva Lips: Nicht nur in der Prärie ... Von der Vielfalt der Indianer Nordamerikas. Nachwort von Helmut Rein. Leipzig 1974, S. 216 f.
25 Christel Foerster: »Vergeßt die Indianer nicht«, Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel (Leipzig), Nr. 9, 3.3.1981, S. 169 f.
26 Gerhard Steiner: Karl May oder Das Verhängnis der Phantasie. In: Urania, 1949, Nr. 11, S. 433 ff.
27 Rudolf Chowanetz: Notiz zur Herausgabe einiger Titel von Karl May im Verlag Neues Leben, Berlin. Gutachten gerichtet an das Politbüro der SED vom 17.11.1981, S. 3.
28 Frank Zschaler: Nur kurze Zeit konnte sich der Pluralismus entwickeln. In: Sächsische Zeitung, 18.12.1992.
29 Anonym: »Das waren Blutrichter«. In: Der Spiegel, 37/1992, S. 93 ff.
30 Anweisung des Ministeriums für Volksbildung der Deutschen Demokratischen Republik zur Einrichtung von Jugend- und Kinderbuchabteilungen in allen Bibliotheken. In: Der Bibliothekar, 4. Jg., Heft 7, Juli 1950, S. 396 ff.
31 Wie 10, S. 44.
32 Wie 10, S.291 und anonym: 130 Jahre Zuchthaus für 19 Schüler in Werdau / Sa. In: Verfolgt - verhaftet - verurteilt. Demokraten im Widerstand gegen die rote Diktatur - Fakten und Beispiele. Hg. von Günther Scholz. Berlin / Bonn 1990, S. 69 ff.
33 Eine Übersicht zu zahlreichen Diskussionen gibt Ralf Schnell: Die Schwierigkeiten zu erben. Karl Mays Abenteuer in der DDR - Materialien zu einer Rezeptionsgeschichte. In: Harald Eggebrecht (Hg.): Karl May der sächsische Phantast. Studien zu Leben und Werk. Frankfurt am Main 1987, S. 264 ff.
34 Helmut (d.i. Helmut Schumann): Wir antworten unseren Jungen Pionieren - Warum gibt es keine Karl-May-Bücher? In: Sächsische Zeitung, 30.6.1955.
35 Archiv Dr. Heermann: Akten betr. Schriftwechsel von Behörden, Organisationen, Personen, Redaktionen und Verlagen zur May-Rezeption 1945 ff.
36 Joachim Kupsch: Nochmals: Warum gibt es keine Karl-May-Bücher? In: Sächsische Zeitung, 29.9.1955.
37 Roland Weise: Zur Frage des Jugendbuches - Mit oder ohne Karl May. In: Der Schriftsteller, Nr. 16, 2. Augustheft 1955, S. 21 ff.
38 Erich Sielaff: Zur Frage des Jugendbuches - mit oder ohne Karl May. In: Der Schriftsteller, Nr. 22, 2. Novemberheft 1955, S. 10ff.
39 E. R. Greulich: Fragen des Jugendbuches - aber keine Exhumierung. Ebenda S. 13 f.
40 Siegfried Dietrich: Für eine Jugendliteratur der kühnen und heroischen Tat. Fußnote. Ebenda S. 16.
41 E. Sielaff: Karl May - sein Leben und seine Bücher. Eine kritische Betrachtung. o.O., o.J.
42 M.P.: Karl May - und Kein Ende? Aussprache im Verlag Neues Leben. In: Der Bibliothekar, 10. Jg., Heft 7, Juli 1956, S. 417 ff.
43 Die »Diskussion um Deutschlands meistgelesenen Schriftsteller« erfolgte in den Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten (Ausgaben in Halle, Magdeburg, Leipzig) vom 7. und 20.7. sowie 3. und 29.8.1956.
44 Rolex Bely (d.i. Roland Weise): Halt! Giaur - du Hundesohn! Impressionen unseres Reisekorrespondenten. In: Mitteldeutsche Neueste Nachrichten, 10. und 25.8., 1. und 8.9.1956.
45 F.C. de Rooy: Old Shatterhand - Kara Ben Nemsi - Ook voor U! De boodschap van Karl May de idealist uit het Avondland. Tilburg 1955.
46 RW (d.i. Roland Weise): Karl-May-Bücher nicht verboten. Erweiterte Arbeitstagung im Kulturministerium / Neuauflage bleibt Angelegenheit der Verlage. In Mitteldeutsche Neueste Nachrichten, 13.12.1956.
47 Persönliche Mitteilungen von Roland Weise am 11.4.1992.
48 Arnolt Bronnen: Der Webersohn von Hohenstein. Betrachtungen zum Thema »Karl May«. In: Berliner Zeitung, 6.9.1956.
49 Anonym: So mußte es ja kommen. In: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel (Leipzig), Nr. 4, 25.1.1958, S. 58 f.
50 H. Mißlitz: Werte Kollegen! Ebenda, Nr. 7, 15.2.1958, S. 105.
51 Hermann Kant: Die Aula, 15. Fortsetzung. In: Forum, Nr. 13, 1. Juliheft 1965, S. 14. Buchausgabe: Berlin 1965, S. 422.
52 Das 26. »Professorenkollegium« wurde am 4.8.1965 vom Deutschlandsender und Berliner Rundfunk, am 7.8.1965 von der Berliner Welle und am 8.8.1965 vom Deutschen Fernsehfunk ausgestrahlt.
53 Horst Kunze: Unsere aktuelle Umfrage: Von Winnetou bis Anna Karenina. In: Das Magazin, Heft 9/1965, S.42 ff.
54 Anonym: Touristenstadt Radebeul aber ... In: Dresdner Kreis-Express, Nr. 32, 11.8.1965. Die Beiträge zur May-Diskussion erschienen in den Ausgaben 35, 37, 39, 40, 41, 42, 43, 45, 46 und 47 vom 1.9. bis 24.11. 1965.
55 Paul Nowatschin: Stolz auf die Entwicklung der ehemaligen Schüler. In: Neues Deutschland, 25./26.1.1986.
56 Anonym: Karl May, die Staatssicherheit und die Moral. In: Dresdner Neueste Nachrichten, 8.7.1993.
57 Anonym: Für oder wider Karl May? Notwendige Reminiszenzen unter dem Strich. In: Burgstädter Monatsschau, Nr. 31, Dezember 1965.
58 Kahlschlag. Das 11. Plenum des ZK der SED 1965. Studien und Dokumente. Berlin 1991, passim.
59 Karl May: Ich bin Winnetou. In Sächsisches Tageblatt (Leipzig, Dresden, Karl-Marx-Stadt), 30.7.1967; Norddeutsche Zeitung (Schwerin, Rostock, Neubrandenburg), 6.8.1967.
60 Persönliche Mitteilungen von Otto Häuser am 20.4.1992.
61 Wolfgang Hallmann: Aus für den Freundeskreis Karl May. Manuskript 1992.
62 Das schönste Buch der Welt. Wie ich lesen lernte. Berlin-Weimar 1972/73, passim.
63 Wie 51. Buchausgabe, S. 423.
64 Rudolf Böhme: Spannung auch ohne Winnetou? In: Sächsische Zeitung, 26./27.10.1974.
65 Willy Forner: Dresdner Pitaval. Kriminalfälle aus vier Jahrhunderten. Berlin 1975, S. 78 ff.
66 A.Z.: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden. In: Neues Deutschland, 31.8.1976.
67 Sozialistische Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Berlin 1977, S.99.
68 Manfred Altner: Die deutsche Kinder- und Jugendliteratur zwischen Gründerzeit und Novemberrevolution. Berlin 1981, S. 61 ff. (Kapitel 3.1.2 Karl May - von Hansgeorg Meyer).
69 A.a.O., S. 16 f.
70 Erich Loest: Karl-May-Novelle. In: Etappe Rom. Berlin 1975, S. 5 ff.
71 Erich Loest: Swallow, mein wackerer Mustang. Berlin 1980. (Eine textgleiche Ausgabe erschien 1980 in Hamburg.)
72 Hainer Plaul: Leidenschaft und Liebe. Trivialprosa des 18. und 19. Jahrhunderts. Rostock 1981.
Inhaltsverzeichnis der Horen 178
Veröffentlichungen zu Karl May
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Die »Machtfrage«
Die Bücher werden - von einem kleinen Heft abgesehen - nicht mehr gedruckt, aus Bibliotheken - nach Eigentumsform und regional unterschiedlich - verbannt, von Lehrern bei Schultaschenkontrollen konfisziert, vom Zoll beschlagnahmt; zu den Dienstvorschriften der Zöllner gehören keine Listen der verbotenen, sondern der erlaubten Bücher! Wer sich öffentlich zu Karl May bekennt, sich gar für eine Neuauflage seiner Werke einsetzt, muß fortan zu manchen Zeiten wohl nicht den Kopf, aber zumindest den halben Kragen riskieren. Von Glück kann reden, wer aus solcher Affäre nur mit rüder Demütigung herauskommt. Und das, obwohl Karl May in SBZ und DDR zu keiner Zeit per Gesetzestext verboten ist.
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Ehrlicher Antifaschismus, sozialistischer Realismus und Exorzismus
Wenn im Geschehen nach 1945 immer wieder der Name Fronemann auftaucht und vieles aus seinen Aktivitäten als »erfahrener Schulmann« vor 1945 über den Zusammenbruch herüberwirkt, so wäre es dennoch eine beträchtliche Überschätzung, wollte man die ganze Entwicklung allein seinem verheerenden Einfluß zurechnen. Denn seit Kriegsende wirken noch weitere Faktoren mit nicht minderer Intensität.
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Der Kardinalkontraknackpunkt
Viele der Kontraargumente zu May wirkten wie an den Haaren herbeigezogen, waren leicht widerlegbar und bestimmten dennoch das doktrinäre Denken der SED-Kulturfunktionäre - aus meiner Sicht deshalb, weil es ein prädominierendes Motiv gab, dem für lange Zeit der höchste Stellenwert zukam. Es wird zum ersten Mal von Gerhard Steiner formuliert, als die DDR gerade einen Monat alt ist.
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Todesurteil und Zuchthaus für sächsische Schüler
Möglicherweise hätte die Tragödie um May einen weniger verhängnisvollen Verlauf genommen, wäre der Schriftsteller kein Sachse und nicht in Dresdens Nähe ansässig gewesen. Denn von den fünf Ländern der SBZ wird Sachsen das sowjetische Modell am schnellsten übergestülpt, rascher
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Karl May und der Volksaufstand in Ungarn
Im März 1950 will das Leipziger Börsenblatt das May-Thema - steinergleich wie 1949 - endgültig vom Tisch fegen. Aber immer wieder flammen Diskussionen auf - in der Presse und in offiziellen Gremien (hinter verschlossenen Türen).(33) Ab und zu tauchen dabei neue Kontranuancen auf.
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»... das Unglaubliche ist geschehen«
Die exemplarische Probe, ob May tatsächlich »Sache der Verlage« sei, kommt aber dennoch und noch von einer Seite, von der man das am wenigsten erwartet. Der Verlag der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft »Kultur und Fortschritt« ediert im Januar 1958 im Rahmen seiner »Kleinen Jugendreihe« die unverfängliche Erzählung »In Abrahim Mamurs Gewalt« (64 Seiten, 35 Pfennige, Auflage beachtliche 200.000 Exemplare); es sind die Kapitel 3 und 4 (»Im Harem« und »Eine Entführung«) aus dem Band »Durch die Wüste«.
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Das Jahr 1965:
Nach dem Eklat von 1958 handelt der SED-Staat nach einem Prinzip, das der Professor K. Trinks schon zehn Jahre zuvor formulierte: »... das Übersehen und Ignorieren dessen, was man vermeiden will, ist immer noch besser als der laute Kampf ...«(12)
Zerschlagene Hoffnungen
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Winnetou im Frühbeet
Etwas Aufsehen erregt im Jahre 1972/73 ein kleines Bändchen des Aufbau-Verlages mit Berichten von 18 DDR-Autoren über ihre ersten Leseerlebnisse. Günther Deicke, Günther Rücker, Helmut Sakowski, Helmut Baierl und Wolfgang Kohlhaase erinnern sich dabei mehr oder minder wohlwollend an Karl May.(62) Bei Hermann Kant hingegen, inzwischen zum Vizepräsidenten des Schriftstellerverbandes aufgestiegen, kein Wort mehr vom »herrlichen sächsischen Lügenbold«. »Es war ein sympathischer Mensch, der Karl May liest«, hatte er 1965 geschrieben, »und ein unsympathischer Kerl, der 's leugnet.«(63)
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Swallows Signal
Hansgeorg Mayer resümiert das letzte Aufbäumen mit einem dialektischen Windei: »Aufzuheben, um es weiterzuführen«, will er festklopfen, »gilt nicht für die Bücher von Karl May, sondern die Erkenntnisse über die literaturhistorisch beispiellose Wirk-
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PS.: Dieser Beitrag ist die gekürzte Fassung einiger Abschnitte aus dem Manuskript zum gleichnamigen Buch, das demnächst erscheint.
Anmerkungen:
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