5 | Mein Glaubensbekenntnis oder 'Wider die Resignation und für eine offene Katholizität' |
Nach Beendigung seiner Arbeit an Babel und Bibel verfaßte May einen sehr kurzen, biographisch aber wichtigen und theologisch gewiß nicht belanglosen Text:1
MEIN GLAUBENSBEKENNTNIS. | |
Ich glaube an Gott, den allmächtigen und allweisen Schöpfer aller Himmel und aller Erden. Er thront von Ewigkeit zu Ewigkeit. Er ist der Herr aller Gesetze und Kräfte und der Vater aller fühlenden Wesen! Ich glaube an die himmlische Liebe, die zu uns niederkam, für die Sterblichen den Gottesgedanken zu gebären. Indem sie dieses tat, wurde sie für uns zur Gottesmutter. Sie lebt und wirkt, gleichviel, ob wir sie verehren oder nicht. Sie ist die Reine, die Unbefleckte, die Jungfrau, die Madonna! Ich glaube an den von ihr Geborenen, den Sohn des Vaters. Nur dadurch, daß er Mensch wurde, konnte er uns den Vater offenbaren. Und je tiefer er sich in die Menschheitsqual versenkte, um so überzeugender mußte diese Offenbarung sein. Er ist unser Führer, unser Ideal, der Weltenheiland, der Erlöser! Ich glaube an die göttliche Gnade, die diesen Heiland nun auch in unserem Innern geboren werden läßt, um uns wie ihn durch Leid und Tod zur Auferstehung und zur Himmelfahrt zu führen. Sie wird ausgegossen über alle Welt und spricht in allen Zungen. Sie ist der heilige Geist! Ich glaube an die einzige, alles umfassende katholische Gemeinde der Gläubigen, zu der ein Jeder gehört, der den Pfad des Erlösers wandelt. Das ist die christliche Kirche! Und ich glaube an das Gute im Menschen, an die Kraft der Nächstenliebe, an die Verbrüderung der Nationen, an die Zukunft des Menschengeschlechtes. Das ist das irdische Paradies, nach dem wir streben sollen, und in diesem Streben beginnt schon hier auf Erden die uns für dort verheißene Seligkeit! Das ist es, was ich glaube. Es ist nicht ein unzulänglicher, trügerischer Körper, sondern der Geist und die Seele, der Inhalt und das Wesen meiner Religion. Mehr kann wohl niemand geben! --- |
Dieser Text ist datiert vom 21. Dezember 1906. Über den - May sehr gewogenen - Redakteur Heinrich Wagner erschien er, Anfang 1907, in der katholischen 'Donau-Zeitung' (Passau). Am 18.12.1906 hatte May sein Credo, im Vergleich zur Endfassung kürzer und weniger präzise, in einem Brief an Prinzessin Wiltrud von Bayern vorformuliert.2
5.1 | Mays Credo und das Credo der Kirche |
Daß Mein Glaubensbekenntnis die wirkliche Überzeugung des Autors enthält, ist nicht zu bezweifeln. Mit den theologischen Inhalten der Mayschen Alterspoesie stimmt der Bekenntnis-Text voll überein. Des Schriftstellers - angebliche oder wirkliche - "Angst, vom offiziellen Familien-Katholizismus verlassen und offen befeindet zu werden" (Wollschläger),3 spricht nicht gegen die Echtheit seines Bekenntnisses.
Von einer 'captatio benevolentiae', einem nur taktisch motivierten Buhlen um die Gunst der katholischen Kirche, kann nicht die Rede sein. Um diesen Zweck zu verfolgen, hätte May, wie später zu Rentschka,4 einfach sagen können: "Ich bin katholisch gesinnt und glaube alles, was die Kirche lehrt." So sagte er, 1906, aber keineswegs. Nicht pauschal und nicht formelhaft, sondern mit eigenen, persönlich engagierten Worten bekannte er sich zu Gott und - wie Ernst Seybold in einer distinguierten, methodisch klaren und sachlich überzeugenden Analyse aufgewiesen hat5 - zur kirchlichen Glaubenstradition. Er wurde dazu von niemandem genötigt. Er bekannte sich zum Credo der christlichen Kirche, weil es ihn dazu drängte und weil es seinem eigenen Glauben entsprach.
Mays Credo lehnt sich im Aufbau und in zahlreichen Formulierungen an das Apostolische und Nizänische Glaubensbekenntnis an, das in den katholischen und evangelischen Gottesdiensten gebetet wird. Aber es gibt auch interessante Abweichungen von diesen offiziellen Texten. May fügte hinzu, ließ weg und änderte ab - nicht um eine neue Lehre zu verkünden, sondern um vor sich selbst und seinen Lesern über seinen PERSÖNLICHEN Glauben Rechenschaft zu geben.
Mays Ergänzungen entstammen in den meisten Fällen dem Neuen Testament oder anderen kirchlich anerkannten Texten. Auch seine Reduzierungen und Änderungen dürfen, wie Seybold betont, nicht überinterpretiert werden: als Distanzierung von der kirchlichen Tradition. Da der Dichter, wie seine Spätwerke beweisen, theologisch sehr wohl zu differenzieren vermochte, sind seine Abweichungen vom 'normalen' Credo aber genau zu untersuchen und auf ihre Legitimität hin zu befragen.
Auf den ersten Blick scheint sich May vom Inhalt des Apostolikums und Nizänums in mehreren Punkten zu entfernen. Im ersten Artikel wird Gott nicht nur als Vater aller Menschen, sondern als "Vater aller fühlenden Wesen" bezeichnet. Das mag, von der Wortwahl her, "spinozistisch"6 klingen. Es muß aber nicht im pantheistischen Sinne einer Identität von Gott und Natur, sondern kann - viel näherliegend - im Sinne des biblischen Schöpfungsglaubens7 verstanden werden.
Auch der "Gottesmutter"-Artikel, der im Zusammenhang mit Babel und Bibel schon interpretiert wurde, muß der christlichen Orthodoxie nicht notwendig widersprechen. Er klingt, wie gesagt, sehr merkwürdig. Aber er eröffnet, bei tieferer Betrachtung, interessante Perspektiven: auf das - in der Bibel ja durchaus bezeugte - 'mütterliche Antlitz Gottes'!
Daß May den "Sohn des Vaters" nicht namentlich als Jesus Christus bezeichnet, läßt keine besonderen Rückschlüsse zu. Denn andere, früher oder später entstandene, Partien seiner Werke belegen das Bekenntnis Karl Mays zu Christus als dem 'Sohn Gottes' eindeutig.8
Jesu Tod deutet May im Sinne des christlichen Dogmas: als Erlösung (von Sünde und Tod) für alle, die glauben. Die traditionelle Formel "Niedergefahren in die Hölle" bzw. - in der heutigen Übersetzung - "Abgestiegen in das Reich des Todes" ersetzt May allerdings durch die 'Versenkung' des Gottessohnes "in die Menschheitsqual". Wie ähnliche Formulierungen Karl Rahners9 bestätigen, liegt aber auch hier ein sachlicher Bruch mit dem Credo der Kirche natürlich nicht vor.
Beim Artikel von der "Auferstehung" läßt May, aus welchen Gründen auch immer, das "am dritten Tage" weg. Doch dieser, theologisch bedeutungslose, 'Mangel' fällt nicht ins Gewicht: weil die Auferstehung selbst - die Auferstehung Jesu und die Auferstehung aller Menschen - ja ausdrücklich betont wird.
Daß der "Heiland nun auch in unserem Innern geboren werden" solle, steht so nicht im kirchlichen Credo. Diese Auffassung entspricht aber, selbstverständlich, dem biblischen Denken und der christlichen Frömmigkeit.10
Wenn May "an die einzige, alles umfassende katholische Gemeinde" glaubt, "zu der ein Jeder gehört, der den Pfad des Erlösers wandelt", so gibt diese - überkonfessionelle - Deutung der Kirche zwar nicht den vollen Wortlaut des Credos (daß die Kirche "heilig" und "apostolisch" sei, bleibt bei May unerwähnt), wohl aber "den ursprünglichen griechischen Wortsinn"11 von 'katholisch' wieder. Daß dieses - universale - Kirchenverständnis prinzipiell "gegen den Katholizismus"12 gerichtet sei, wies May mit guten Gründen zurück: Er war ein ökumenisch denkender Christ, der weder der römischen Kirche noch einer anderen Konfession ihre Christlichkeit absprechen wollte.
Über das kirchliche Credo hinaus schließt der Schriftsteller sein Bekenntnis mit dem Glauben "an die Verbrüderung der Nationen, an die Zukunft des Menschengeschlechtes". Auch dieser Passus ist weder häretisch noch (bloß) 'aufklärerisch' zu nennen. Denn "das irdische Paradies, nach dem wir streben sollen", wird von der Ewigkeit Gottes: der "für dort verheißenen Seligkeit" ja klar unterschieden.13
Ist die 'Orthodoxie' des Mayschen Bekenntnisses mit diesen Ausführungen schon erwiesen? Gibt es im Credo Mays, dogmatisch gesehen, keine ernsthaften Defekte? Wird die 'Göttlichkeit' Jesu Christi und des Heiligen Geistes genauso verstanden wie im Apostolikum und Nizänum? Wird die Trinitätslehre theologisch richtig interpretiert? Und - hat Mays Bekenntnis einen Bezug zur menschlichen ERFAHRUNG, zur Realität unseres Lebens? Wie ist sein Credo insgesamt zu beurteilen? Als Schrumpfform des christlichen Glaubens? Als "Entmythologisierung"14 des Trinitätsdogmas? Oder - als prophetische Vorwegnahme eines späteren Glaubensverständnisses der christlichen Kirchen?
5.2 | Der Glaube des einzelnen und die Erfahrung des Gottesvolks |
Um solche Fragen, jenseits von Polemik und Apologetik, sachlich beantworten zu können, sind grundsätzliche Überlegungen zum Wesen des christlichen Glaubensbekenntnisses nicht zu umgehen.
Zunächst muß bedacht werden: Der Glaube ist nicht nur das Fürwahrhalten bestimmter Sätze, sondern primär eine durch Gnade bewirkte Grundeinstellung des Menschen: das Vertrauen in einen letzten Sinn dieser Welt, in einen Sinn auch jedes einzelnen Schicksals - auch dort, wo alles dunkel und trostlos erscheint.
Der Offenbarungs-Glaube vertraut dem verläßlichen, als lebendig und 'treu' erfahrenen Gott, der den Menschen unendlich übersteigt. Dieser Gott wird geglaubt als 'Person'. Denn er 'redet' und teilt sich selbst mit: in einer Liebe, die alles durchdringen will. Er 'spricht' in vielfacher Weise (in der Natur z.B., in personalen Begegnungen, in der Kunst, in poetischen Werken, auch in nichtchristlichen Religionen, auch in Märchen und Mythen), einmalig und unüberbietbar aber - nach christlicher Überzeugung - in Jesus, dem 'Sohn' seiner Liebe (vgl. Hebr 1, 1ff.).
Die Selbst-Mitteilung Gottes in Christus ist 'greifbar' in den neutestamentlichen Büchern und der lebendigen - sich entwickelnden - Lehre der Kirche, die in der Bibel ihr Fundament hat. An diesem Fundament hat sich die Kirche stets neu zu orientieren und selbstkritisch zu prüfen.15
Der kirchliche Glaube vertraut jenem Gott, dem man vertrauen darf, weil er die Liebe ist (1 Joh 4, 8). Daß Gott WIRKLICH die Liebe ist, daß er sich mit-teilt und der Mensch seinem Wort vertrauen kann, wird bejaht in einer Grundentscheidung des Individuums. Diese 'option fondamentale' wird durch Gnade ermöglicht. Das kirchliche 'Lehramt' kann dem Glaubenden seine Grundentscheidung nie abnehmen oder ersetzen.16 Die Richtigkeit einer Glaubens-Entscheidung ist auch nicht zwingend 'beweisbar' im Sinne einer naturwissenschaftlichen Beweisführung.17 Sie muß erkannt und verifiziert werden in der Realität des Lebens (vgl. Joh 7, 17)!
Den Glauben an Gott kann die Kirche nicht 'machen'. Aber sie kann ihn fördern und stärken. Dazu dienen - im kognitiven Bereich - die 'Glaubenssätze': die Katechismen und Glaubensbekenntnisse.
Der Glaube als Grundhaltung des Vertrauens schließt konkrete Inhalte mit ein: Aussagen über das Wirken Gottes in der Welt und im Leben des Individuums.18 Solche Aussagen weisen zurück auf ERFAHRUNGEN, die Menschen mit Gott gemacht haben und die (besonders) in der Bibel ihren Ausdruck gefunden haben. Daß diese Aussagen glaubwürdig sind, ist im 'Urvertrauen' des Christen schon impliziert. Freilich gilt: Alles menschliche Reden von Gott - auch in der Bibel, auch in den Glaubenssymbolen (den 'Dogmen') der Kirche - ist vorläufig, gebrochen und immer ergänzungsbedürftig.19
Das Glaubensbekenntnis ist - so Hans Küng in seinem Buch Credo - "nicht der Glaube selbst", sondern "nur Ausdruck [...] des Glaubens"!20 Theologische Aussagen, auch das Apostolikum und das Nizänum, sind grundsätzlich 'analog' zu verstehen. Sie bleiben, so der achtzigjährige Karl Rahner, "in der Schwebe zwischen Ja und Nein"!21 Denn der gemeinten Wirklichkeit sind die Aussagen über Gott nie völlig angemessen.
Der unbegreifliche Gott bleibt immer größer als unser Verstehen und unsere Theologie. Daraus folgt: Die Glaubenssätze der Kirche können und müssen stets neu formuliert werden.22 Denn sie antworten, mit unzureichenden Begriffen,23 auf bestimmte Fragen einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Kultur. Neue Fragen aber verlangen auch neue Antworten. In der bloßen Wiederholung von alten Formulierungen kann sich die 'Rechtgläubigkeit' der Kirche also niemals erschöpfen.
Zum Glauben an Gott soll die Kirche die Menschen ermutigen. Das gelingt nicht immer sehr gut. Auch gutwillige Menschen haben mit der Kirche, ihrem Erscheinungsbild und ihrer Lehre, oft beträchtliche Schwierigkeiten. Viele verlassen die Kirche oder lehnen ihre Dogmen ab. Zudem gibt es - so klagen die Theologen - eine 'kryptogame': eine stillschweigende Häresie, die zwar Glaubenssätze nicht ausdrücklich verwirft, sie aber als unwichtig, als irrelevant und überflüssig betrachtet.
Mitschuldig an dieser 'kryptogamen Häresie' könnten auch kirchliche Amtsträger sein - sofern sie, phantasielos und starr, die Katechismus-Formeln nicht zu übersetzen versuchen: in eine neue Sprache und in neue Verstehenshorizonte hinein. Solche Unbeweglichkeit in der Kirche enthebt den mündigen Christen aber nicht seiner Verantwortung. Er muß, so gut er es kann, seinen eigenen Glauben vertiefen. Die Glaubenssätze der Kirche soll er selbst überdenken und - in ihrem 'wahren Kern' - dann auch annehmen.
Von der echten (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Häresie, die den Glauben verkürzt, verfälscht oder ad acta legt, unterscheidet Rahner den - legitimen - "Katechismus des Herzens".24 Er meint damit folgendes: Im gedruckten Katechismus, auch im Credo der Kirche, scheint jeder Satz das gleiche Gewicht zu besitzen; im Katechismus des Herzens, im Glaubensbewußtsein des einzelnen Christen, verhält es sich aber anders! Denn nicht jeder Glaubende (auch nicht jeder Theologe) hat zu jedem Glaubenssatz der Kirche
eine gleich intensive Beziehung. Es wird Glaubensinhalte geben, die der Christ, als treues Glied seiner Kirche, zwar nicht einfach verneint, die er aber - als ihm ferner liegend - auf sich beruhen läßt und über die er, wahrscheinlich, nicht allzu viel nachdenkt. Andere Glaubensinhalte liegen ihm näher, weil sie SEINER Erfahrung besser entsprechen.
DIESER Subjektivismus des Glaubenssinnes ist unvermeidlich. Solche 'partielle' Identifizierung mit dem Glauben der Kirche ist legitim - solange der einzelne den Glauben der Gesamtkirche nicht leugnet und solange er offen bleibt für die Möglichkeit: Von ihm selbst nicht Verstandenes, ihm Fremdes und Fernliegendes könnte, später, für ihn noch Bedeutung erlangen.
Um das Credo Karl Mays theologisch bewerten zu können, ist ein weiteres zu bedenken: Der kirchliche Glaube, der sich im Apostolikum und Nizänum artikuliert, spiegelt die Glaubensgeschichte nicht nur von Einzelpersonen, sondern eines ganzen Volkes: des alt- und neutestamentlichen Gottesvolkes. Der Glaube hat, wie das Leben selbst, eine kollektive und eine individuelle Dimension. Der Mensch ist seinem Wesen nach auf Gemeinschaft hin angelegt. Im Austausch mit anderen findet er zu sich selbst. Das Individuum geht im Kollektiv aber nicht auf. Es bleibt etwas Besonderes, ein einmaliger 'Gedanke Gottes'. Das gilt auch für die Erfahrung und die Artikulierung des Glaubens. Der einzelne wird getragen von der Glaubenserfahrung des Gottesvolkes als ganzen; er hat aber zugleich seine persönliche Erfahrung, die er in eigene Worte übersetzen darf und auch soll. Nur so kann 'das' Glaubensbekenntnis auch "Mein Glaubensbekenntnis" werden.
Der Glaubenssinn des einzelnen bedarf der ergänzenden Sicht durch andere Menschen. Erst die Erfahrungen ALLER ergeben das Ganze des Glaubens der Kirche: der einen, 'katholischen', alle Konfessionen umfassenden Kirche. Der einzelne lebt aus diesem Ganzen und - bereichert es zugleich: durch SEINE Erfahrung und SEIN besonderes Wort.
Der 'Glaubensschatz' der Kirche steht dem Individuum nicht nur gegenüber: wie ein fertiges Gebäude, sondern kann auch ergänzt werden - durch das persönliche Glaubensverständnis jedes Christen und jedes Menschen. Der Glaubenssinn des einzelnen kann das Glaubensbewußtsein des Kollektivs also 'verändern': Er kann es erweitern um einen neuen Beitrag, den die Kirche - wohlwollend und ohne Engherzigkeit - auf seine genuine Christlichkeit hin zu prüfen hat.
Eine Vertiefung des kirchlichen Glaubensverständnisses wird, wie gesagt, immer möglich sein. Dichter und Denker, Theologen und Künstler, gebildete und 'einfache' Glaubende haben - in ihrer Treue zur Kirche - deren Glauben angenommen und doch auch weitergeführt: durch ihr Fühlen und Denken, das ins künftige Glaubensbewußtsein der Kirche mit einfloß.25
5.3 | Mays Orthodoxie |
Mit diesen grundsätzlichen Überlegungen haben wir Kriterien gewonnen, nach denen das Credo Mays, über seine Einzelsätze hinausgehend, biographisch zu würdigen und theologisch zu beurteilen ist.
Weil er sich mit den Inhalten des christlichen Glaubens intensiv beschäftigt hat, gelingt es May, die Vielzahl der 'Glaubenssätze' in einer - dem Credo der Kirche analogen - 'Kurzformel des Glaubens'26 mit eigenen Worten zusammenzufassen. Sein Credo läßt (wie das Gesamtwerk des Autors) eine persönliche Glaubensentscheidung, ein unbeding-
tes und grenzenloses Vertrauen in die "himmlische Liebe", in Gottes Allmacht, Weisheit und Güte erkennen.
In einer Zeit schwerster Existenznot und extremer Bedrängnisse hat der Schriftsteller sein Bekenntnis verfaßt. Vor allem auch deshalb verdient es Respekt. Den Glauben an Gott und das Gute im Menschen "nicht verloren zu haben nach all den Erfahrungen eines so geplagten Lebens, [...] ist wohl das Äußerste an Gottvertrauen, das der geplagte Hiob sich hat bewahren und vor dem 'Herrn da droben' hat bewähren können. "27
Mays Glaube orientiert sich am Wort und am Geist der hl. Schrift. Seine Erweiterungen zum Apostolikum und Nizänum sind, wie erwähnt, im wesentlichen dem Neuen Testament oder anderen (dem biblischen Denken verpflichteten) kirchlichen Texten entnommen.28
Als Christ erkennt der Dichter die Offenbarung - die Selbstmitteilung Gottes in der Welt - vor allem in den Heilsmysterien des Lebens, des Sterbens und der Auferstehung Jesu, den er als "Erlöser", als "Weltenheiland" und "Sohn des Vaters" im Himmel bekennt.
Die in den Glaubenssymbolen der Kirche enthaltenen Erfahrungen des Gottesvolks übernimmt Karl May; er bestätigt und ergänzt sie durch die Glaubenserfahrung des eigenen Schicksals mit seinem Leid und seiner unendlichen Zukunftshoffnung, die den Frieden "auf Erden" mit einschließt.
Weil der Schriftsteller um die Vorläufigkeit der menschlichen Sprache - auch der kirchlichen Amtssprache - weiß, nimmt er sich die Freiheit, das Alte mit veränderten Worten zu sagen und neue Gedanken (über die "Gottesmutter") der Kirche vorzulegen: der 'katholischen' - universalen - Kirche, zu der er sich grundsätzlich bekennt, die er zugleich als 'werdende' betrachtet und zu deren "Werden" er selbst etwas "beizutragen" gewillt jst.29
Mays vom offiziellen Bekenntnis - scheinbar oder wirklich - abweichende Formulierungen könnten ungenau oder falsch sein, ohne daß die subjektive Kirchentreue des Autors damit widerlegt wäre. Widerlegt wäre sie erst dann, wenn May zentrale Glaubenssätze der Kirche eindeutig abgelehnt hätte. Dies aber ist, mit Sicherheit, nicht der Fall.30
Gleichwohl bleibt die Frage: Ist Mays Christentum, objektiv, in allen Punkten theologisch korrekt? Entspricht sein Credo dem trinitarischen Gottesglauben der Kirche? Wie Ernst Seybold gezeigt hat,31 kann man diese Frage bejahen und wird doch einschränken müssen: Die exakte Wiedergabe des trinitarischen Dogmas ist das Hauptanliegen des Schriftstellers nicht.
In einer dogmatischen Abhandlung über Gott wäre die genaue Unterscheidung zwischen 'trinitarischem' und 'unitarischem' Gottesbegriff unumgänglich. Für das Glaubensbewußtsein Mays ist diese Unterscheidung jedoch von untergeordneter Bedeutung. Er glaubt an Gott. Auch Christus ist ihm wichtig und auch der göttliche Geist. Eine Klärung der Relationen aber liegt außerhalb seines besonderen Interesses. Das überläßt er, getrost, den Fachtheologen.
Für May ist, wie sein Gesamtwerk belegt, vor allem wichtig: Gott lebt! Er ist da für die Menschen und alle Geschöpfe. Er vergibt jede Schuld, sofern sie bereut wird. Er errettet (durch Christus) aus Sünde und Tod. Er führt das Gute zum Sieg und nimmt dem Bösen die Macht. Er befreit zum verantwortlichen TUN: in dieser Welt, die er einst zur Vollendung führt.
In diesen Aussagen - so wichtig und wesentlich sie auch sind - erschöpft sich nicht das Ganze des kirchlichen Glaubens. Doch May ist bemüht, dieses Ganze für sich persönlich
zu übernehmen und zu bekennen. Gewiß, wie jeder andere Christ hat auch May zu manchen Glaubensartikeln eine schwächere Beziehung. Es gibt Glaubenssätze, die er - mehr 'pflichtgemäß' - aufzählt und lediglich 'nachbetet'. Und es gibt andere Glaubenssymbole, für die er sich - weit deutlicher - engagiert.
Zusammenfassend können wir sagen: Mays Credo spiegelt die Glaubensgeschichte eines mündigen, selbständig denkenden, sich mit der Lehrtradition der Kirche (mehr oder weniger) intensiv auseinandersetzenden Christen. Sein Glaubensbekenntnis ist ein Plädoyer 'wider die Resignation und für eine offene Katholizität'!32 Der Resignation eines glaubens- und hoffnungslosen Daseinsgefühls setzt er sein Plädoyer entgegen: für die Zukunft der Welt und des Menschen, für eine offene - geschwisterliche - Kirche, die die Not und die Sorgen, die Fragen und Sehnsüchte der Menschen versteht und - im Vertrauen auf Gott - den Menschen zu dienen versucht.
Anmerkungen |
1 | Karl May: Mein Glaubensbekenntnis. In: Donau-Zeitung. Passau, 117. Jg. (4.1.1907). Wiedergegeben in: Schriften zu Karl May. Materialien zur Karl-May-Forschung, Bd. 2. Ubstadt 1975, S. 245f. |
2 | Karl May: Briefe an das bayerische Königshaus. In: JbKMG 1983, S. 76-122 (S. 100f.). |
3 | Hans Wollschläger: Einführung zu Karl May: Briefe an Karl Pustet und Otto Denk. In: JbKMG 1985, S. 15-18 (S. 16). |
4 | Vgl. oben, S. 526. |
5 | Ernst Seybold: Plädoyer für Karl Mays Christlichkeit. In: MKMG 68 (1986), S. 11-17; Fortsetzung in: MKMG 69 (1986), S. 31-38 - Ders.: Karl Mays Glaubensbekenntnisse von 1906. In: Ders.: Karl-May-Gratulationen. Geistliche und andere Texte zu und von Karl May II. Ergersheim 1989, S. 49-73. |
6 | Walther Ilmer: (Werkartikel zu) Mein Glaubensbekenntnis. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 551f. (S. 552), mit Bezug auf Heinz Stolte: Hiob May. In: JbKMG 1985, S. 63-84 (S. 79f.). |
7 | Vgl. Ernst Seybold: Karl May und Martin Luther. In: MKMG 64 (1985), S. 12-24 (S. 16) - Ders.: Plädoyer I, wie Anm. 5, S. 12 - Ders.: Karl Mays Glaubensbekenntnisse, wie Anm. 5, S. 56. |
8 | Vgl. oben, S. 598f. u. unten, S. 683. |
9 | Vgl. z.B. Karl Rahner: Verborgener Sieg. In: Ders.: Schriften zur Theologie VII. Einsiedeln, Zürich, Köln 1966, S. 150-156 (S. 152). |
10 | Vgl. Seybold: Plädoyer I, wie Anm. 5, S. 13 - Ders.: Karl Mays Glaubensbekenntnisse, wie Anm. 5, S. 66. |
11 | Ilmer, wie Anm. 6, S. 552 - Vgl. oben, S. 227. |
12 | May: Briefe an Pustet und Denk, wie Anm. 3, S. 39, 43, 45 u. passim. |
13 | Vgl. oben, S. 626 u. unten, S. 703ff. |
14 | Stolte, wie Anm. 6, S. 79. |
15 | Vgl. Zweites Vatikanisches Konzil. Konstitution über die göttliche Offenbarung ("Dei Verbum"). |
16 | Vgl. Karl Rahner: Bietet die Kirche letzte Gewißheiten? In: Ders.: Schriften zur Theologie X. Zürich, Einsiedeln, Köln 1972, S. 286-304. |
17 | Auch die 'Gottesbeweise' sind letztlich nur für denjenigen einsichtig, der ohnehin schon glaubt und sich seines Glaubens nachträglich vergewissern will. - Vgl. José Gómez Caffarena: Gottesbeweise. In: Herders theologisches Taschenlexikon, Bd. 3. Hrsg. von Karl Rahner. Freiburg 1972, S. 168-176. |
18 | Vgl. Ernst Seybold: Aspekte christlichen Glaubens bei Karl May. SKMG Nr. 55 (1985), S. 32 (Anm. 187). |
19 | Vgl. Karl Rahner: Erfahrungen eines katholischen Theologen. In: Vor dem Geheimnis Gottes den Menschen verstehen. Karl Rahner zum 80. Geburtstag. Hrsg. von Karl Lehmann. Freiburg, München, Zürich 1984, S. 105-119. |
20 | Hans Küng: Credo. Das Apostolische Glaubensbekenntnis - Zeitgenossen erklärt. München 1992, S. 23. |
21 | Rahner: Erfahrungen, wie Anm. 19, S. 106. |
22 | Vgl. Hermann Wohlgschaft: Mays Friede-Roman und die Lehre der Kirche. In: MKMG 83 (1990), S. 18-24 (S. 20f.). |
23 | Der vom Ersten Vatikanischen Konzil gewählte - mißverständliche - Begriff 'Unfehlbarkeit' ist nicht gleichbedeutend mit 'Vollkommenheit'! - Vgl. Wohlgschaft, wie Anm. 22. |
24 | Vgl. z.B. Karl Rahner: Perspektiven für die Zukunft der Kirche. In: Ders.: Schriften zur Theologie IX, Einsiedeln, Zürich, Köln 1970, S. 541-557 (S. 551). |
25 | Vgl. Wohlgschaft, wie Anm. 22, S. 21. |
26 | Vgl. Karl Rahner: Reflexionen zur Problematik einer Kurzformel des Glaubens. In: Ders.: Schriften zur Theologie IX, wie Anm. 24, S. 242-256. |
27 | Stolte, wie Anm. 6, S. 81. |
28 | Seybold: Karl Mays Glaubensbekenntnisse, wie Anm. 5, hat dies im einzelnen genau belegt. |
29 | Karl May in einem undatierten Brief (1906) an Sascha Schneider. In. Hansotto Hatzig: Karl May und Sascha Schneider. Dokumente einer Freundschaft. Beiträge zur Karl-May-Forschung 2. Bamberg 1967, S. 110ff. (S. 111). |
30 | Vgl. Wohlgschaft, wie Anm. 22, S. 22f. |
31 | Seybold, wie Anm. 5, passim. |
32 | Die berühmt gewordene 'Kölner Erklärung' (Anfang 1989) deutscher katholischer Theologen ist so überschrieben. |