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Jahrbuch
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Verantwortliche Herausgeber:
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Claus Roxin, Dr. Florian Schleburg, Prof. Dr. Helmut Schmiedt, Prof. Dr. Hartmut Vollmer und Dr. Johannes Zeilinger.
Geschäftsführender Herausgeber 2016:
Dr. Florian Schleburg
Redaktion:
Wolfgang Böcker, Roy Dieckmann, Klaus Eggers und Ulrike Müller-Haarmann unter Mitwirkung von Gerhard Haarmann
May-Zitate und -Texte werden durch Kursivdruck gekennzeichnet; zitiert wird aus Gründen der Authentizität stets nach den originalen (also unbearbeiteten) Texten Mays, wie sie in der Klein-Oktav-Ausgabe des Verlages Fehsenfeld, Freiburg 1892-1910 (Reprint dieser Ausgabe Bamberg 1982ff.) und in der seit 2008 im Karl-May-Verlag erscheinenden (1987 im Verlag Greno begonnenen, 1990 im Haffmans Verlag und 1993 im Bücherhaus Bargfeld vorübergehend weitergeführten) historisch-kritischen Ausgabe sowie in Zeitschriften- und anderen Reprints vorliegen.
Frontispiz: "Vergnüglicher Abend in Villa Shatterhand bei Karl May (unten liegend)". (Aufschrift auf der Rückseite; Archiv Johannes Zeilinger) Im Hintergrund von links Pauline Ziller, Emma May und Klara Plöhn, stehend Max Welte und Paul Ziller, auf dem Stuhl Richard Plöhn, darunter Karl May, aufgenommen wahrscheinlich im Herbst 1897. (Auskunft von Hans-Dieter Steinmetz)
ISSN 0300-1989 ISBN 978-3-941629-16-5
Hansa Verlag Ingwert Paulsen jr., Postfach 1480, 25804 Husum
© 2016 by Karl-May-Gesellschaft e. V., Radebeul
Alle Rechte, auch die der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
In Sachtexten wie Romanen nimmt Karl May immer wieder Bezug auf astronomische Phänomene. Sternbilder, Auf- und Untergang von Gestirnen, Mondphasen und Finsternisse, Kometen und Meteore spielen oft eine wichtige Rolle für die Handlung. Auch mit astronomischen Geräten wie Sonnenuhren und Teleskopen, ja sogar mit dem Renommee eines Professors der Astronomie beschäftigt sich der Autor. Dieser Aufsatz geht der Frage nach: Stimmt die Astronomie bei Karl May?
Die Blutsbrüderschaft zwischen Winnetou und Old Shatterhand gehört zu jenen Motiven aus Karl Mays Romanen, die, losgelöst vom Handlungskontext, in das kulturelle Bewusstsein der Allgemeinheit eingegangen sind - obgleich es kaum Hinweise darauf gibt, dass die Sitte unter Indianern vorkam. Blutsbrüder treten bei May aber auch in anderen Kulturkreisen auf. Dieser Beitrag trägt die Erwähnungen im Werk zusammen, untersucht mögliche Quellen und Anregungen und wirft auch einen Blick auf die Nachwirkung der Szene aus ›Winnetou I‹ in Literatur und Film.
Der Beitrag verfolgt das Ziel, neue Lektüreoptionen für Thomas Manns Roman ›Joseph und seine Brüder‹ und Karl Mays Werke gleichermaßen zu erschließen. Insbesondere an bislang kaum berücksichtigten Beispielen aus der Unterhaltungskultur (Historienfilm, TV-Serien, Comics u. a.) wird die Verortung der Texte von Mann und May in einem gemeinsamen humanistischen Monomythus diskutiert. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei dem sozialhistorischen und biografischen Kontext und der zeitgenössischen wie aktuellen medialen Mythenkonkurrenz geschenkt, der Thomas Manns und Karl Mays Texte unterworfen sind.
Der Aufsatz befragt Karl Mays Lieferungsroman ›Deutsche Herzen, deutsche Helden‹ nach der Funktion seiner Bezugnahmen auf Lyrik. Dabei wird die These vertreten, dass viele der von May anzitierten Gedichte und Lieder prominent im Kanon verankert und seinen Primärrezipienten geläufig gewesen sind, wie beispielsweise Heines ›Lorelei‹. Diese Referenzen auf Fremdtexte dienen der Erweiterung und Vertiefung des semantischen Raumes, wobei drei Funktionen sichtbar werden: Intensivierung, Konzentration und Realitätsverdopplung.
Ausgehend von der Figurationstheorie des Soziologen Norbert Elias und seines Schülers John L. Scotson wird an drei Erzähltexten, die im weitesten Sinne als ›Dorfgeschichten‹ gelten dürfen, das Interdependenzverhältnis zwischen Etablierten und Außenseitern untersucht. Angebliche Teufelsbündnerei (in Karl Mays ›Der Teufelsbauer‹), Ethnodiversität (in Ludwig Ganghofers ›Das Schweigen im Walde‹) und selbstbestimmt gelebte Sexualität (in Kuni Tremel-Eggerts ›Die rote Gina‹) führen zur Stigmatisierung von Individuen und Gruppen, die im erzählerischen Prozess entweder aufgehoben oder aber zur Katastrophe geführt wird.
Scheintod und Nahtoderfahrungen gehörten in mannigfaltigen Variationen zum narrativen Arsenal Karl Mays. Prägend für den Autor scheint die großmütterliche Erzählung eines Scheintoderlebens gewesen zu sein, das durchaus als authentisch gewertet werden kann. May selbst interessierte sich jedoch mehr für Erlebnisse am Übergang zum Jenseits, für Nahtoderfahrungen. Hier gelang es ihm, ein breites Spektrum an Erlebnissen und Visionen zu schildern, die er im Roman ›Am Jenseits‹ mit grundsätzlichen Sinnfragen zur individuellen menschlichen Existenz verknüpfte. In seinen Scheintodschilderungen spiegeln sich noch Reste einer kollektiven Phobie des aufgeklärten Abendlandes wider.
Person und Werk Karl Mays sind typisch modern, weil sich in ihnen Rationalität und Phantasie in besonderer Weise verbinden. So erlauben sie es den Leserinnen und Lesern, ihre kulturellen Kompensationsbedürfnisse auszuleben, ohne dafür zugleich ihre aufklärerische Selbstbindung an die Vernunft und das Wirklichkeitsbewusstsein zu opfern. In diesem Sinne befriedigt Karl May im Orientzyklus unser romantisches Verlangen nach ›Sehnsuchtsorten‹, verbindet aber deren suggestive Schilderung zugleich mit einem Realitätsvorbehalt: Er gibt deutliche Hinweise darauf, dass nicht alles ›realistisch‹ ist, was er beschreibt, ohne dadurch zugleich dieses Spiel mit der Phantasie kulturell zu entwerten.
Karl Mays Belletristik lässt sich - weit über das Alterswerk hinaus - in großen Teilen dem Genre der phantastischen Literatur zuordnen. Der Beitrag belegt diese These, die bislang erst sehr zögerlich diskutiert wurde, an zahlreichen Textbeispielen und betrachtet dabei den Text unabhängig von den Intentionen des Autors.
Die Phantasiewelten Karl Mays sind in erstaunlicher Dichte bevölkert von maskulin agierenden Frauen und feminin gezeichneten Männern; Verwechslung und Verkleidung der Geschlechter kehren als Handlungsmotive immer wieder. Auch in der Wahl von Namen und Vergleichen, sowie in der Verwendung historischer Vorbilder verrät der Autor eine subversive Lust am Verwischen und Vermischen sexueller Identitäten, die mit großer Wahrscheinlichkeit durch seine Erfahrungen während der Seminar- und Haftzeiten bedingt oder verstärkt wurde.