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WERNER ROTHER


›Ardistan und Dschinnistan‹ als Werk der Postmoderne*





Meine sehr verehrten Damen und Herren! Über die Alterswerke von Schriftstellern ist das Publikum oft verschiedener Meinung. Die einen glauben, in diesen Arbeiten das langsame Zerfließen und Verrinnen der literarischen Kräfte des Verfassers zu erkennen, und erklären, dies bei allem schuldigen Respekt vor den früheren Leistungen des alten Herrn bedauern zu müssen. Die andern erfreuen sich an dem Hervortreten von Weisheit, Abgeklärtheit, Güte, mitunter auch der seherischen Gaben des Verfassers, die sich nunmehr einem verständigen Kreis von Kennern in schöner Vollkommenheit darbieten. Unter den Autoren, deren Werke auf diese Weise kritisch-kontrovers gewürdigt werden, befindet sich auch der literarisch wenig erhöhte, aber dem Publikum sehr bekannte, vielgelobte und hart gescholtene Karl May. Dessen Spätwerk, bestehend unter anderen aus den Romanen ›Und Friede auf Erden!‹, ›Im Reiche des silbernen Löwen‹, ›Ardistan und Dschinnistan‹ sowie dem Drama ›Babel und Bibel‹, steht immer noch in der Diskussion und wird auch in der geistig diffusen Gegenwart angelegentlich erörtert.

   Dreierlei Arten der Stellungnahme sind zu unterscheiden:

   Seit dem Erscheinen des Romans ›Der Mir von Dschinnistan‹ in den Jahren 1907 bis 1909, zunächst als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift ›Deutscher Hausschatz‹, sodann (1909) bei Fehsenfeld in Buchform,1 ist einerseits der verdrossene Chor enttäuschter und ihren gewohnten Karl May auf den schwierigen Wegen der Erzählung vergeblich suchender Leser zu vernehmen, der zum Zerwürfnis des Autors mit dem Verlag und wohl schließlich auch zum Abbruch der Veröffentlichung in der Zeitschrift geführt hat. Diesen Stimmen steht einmal die Beteuerung des Meisters selbst entgegen, daß die Personen und die Ereignisse seiner späten Schriften ›symbolischen‹ und ›allegorischen‹ Charakter trügen und mit den bisherigen Maßstäben nicht zu messen seien.2 Was sich der rein negativen Beurteilung des Werkes ferner widersetzt, ist auch die Art, wie es May versteht, die Gebilde seiner Fantasie anschaulich zu machen, so daß alle die fremdartigen Landschaften, Erdformationen, Naturereignisse und Lebewesen einschließlich der architektonischen und städtebaulichen, geologischen, ethnologischen und stra-




* Vortrag, gehalten am 23. 9. 1999 auf der 15. Tagung der Karl-May-Gesellschaft in Hohenstein-Ernstthal


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tegischen Tatsachen und Vorgänge dem Leser so vor Augen geführt werden, daß sie ihm wirklich und zugleich unwirklich erscheinen und er sie, ob er will oder nicht, im Gedächtnis behält. Das ist nichts Geringes. Es wird von anderen nicht erreicht.

   Dagegen erfährt das Werk eine sehr kritische, aber auch eigenwillige Würdigung durch einen einzelnen Autor: Arno Schmidt. In seinem Buch ›Sitara und der Weg dorthin‹3 behauptet er und versucht zu beweisen, daß Karl May ein »große(r) Kenner der Erotik« und »unterschichtige(r) Homosexueller« gewesen sei,4 der aus »krankhaft gesteigerte(r) Sexualität«5 geschrieben und in allen seinen Werken, auch und vor allem in ›Ardistan und Dschinnistan‹ eine Fülle von »S-Wortspielen«6 untergebracht, insbesondere aber in den Landschaften und Bauwerken der beschriebenen Länder erotische Symbole dargestellt habe. Es sei eine »ekstatische Landschaft«,7 die er geschildert habe und in der die »Objektivation von Unterleibsorganen«8 zu erblicken sei - von weiteren, noch weniger erfreulichen Mutmaßungen9 abgesehen. Er sagt anderseits, daß dieses Spätwerk Karl Mays »unserer Hochliteratur«10 zuzurechnen sei, er vermutet in ihm »eine verschlüsselte Selbstbiographie«11 und gesteht dem Meister zu, daß ihm insbesondere die Fülle der sprachlichen erotischen Anspielungen selbst nicht bewußt gewesen sei,12 er aber jedenfalls »ein tolles literarisches Ur-Schauspiel«13 geboten habe. Man wird Schmidt nicht in allen Punkten folgen können, muß aber sagen, daß er unter den vielen Deutern des Werks eben durch seine Originalität einen hervorragenden Platz einnimmt.

   Eine dritte, neuere Gruppe von Beurteilern stellt in den Mittelpunkt ihrer Würdigung die wohlverfaßte Lobpreisung des Werkes und der vom Autor unternommenen allegorischen Darstellung großer Gedanken, der Weltfriedensidee insbesondere, sowie der Menschheitsfrage, der christlichen Nächstenliebe und der Entwicklung des Menschen zum Edelmenschen.14 Sie bewegt sich dabei in den Gedankenbahnen, die Karl May selbst in seinem Geleitwort und in seiner Selbstbiographie beschritten hat, und reagiert mit Befremden auf die Ablehnung durch Verlag, Leserschaft und einzelne Kritiker. Sie spricht aber ihrerseits nicht von der Zwiespältigkeit des Werkes und von den befremdlichen Eigenschaften, die ihm - jedenfalls in den Augen einer modernen Leserschaft - anhaften. Sie spricht überhaupt nicht gern von den Einzelheiten des Romans. Diese sind es aber gerade, die das Befremden des Publikums verursachen.

   Dem Leser des zu Ende gehenden 20. Jahrhunderts ist es überlassen, sich über die Dinge ein eigenes Bild zu machen und die Zweifel und Anfechtungen, die ihn wie schon seine Väter und Großväter bei Betrachtung des großen Werkes beschleichen wollen, auf moderne und wissenschaftliche Weise, das heißt insbesondere durch Vergleich mit der inzwischen angehäuften neueren Romanliteratur zu beheben. Hilfreich ist dabei vor allem ein Blick auf diejenigen kulturellen Phänomene, die unter dem Begriff ›Moderne‹


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und ›Postmoderne‹ im Laufe des Jahrhunderts ins allgemeine Bewußtsein getreten sind. Was ist die Eigenart dieser Erscheinungen?

   Mit dem Begriff der ›Postmoderne‹ werden außer den Produktionen der Architektur, der Philosophie und der Politik auch die der Literatur bezeichnet. Dabei zeigt ein Blick auf die vielfachen Stellungnahmen zu diesem Phänomen, daß es schwierig ist, dieses genau zu erfassen und unter feste Begriffe zu bringen. Die betreffenden Autoren (u. a. Bürger, Engelmann, Grimm, Huyssen, Lützeler, Ortheil, Renner, Scherpe, Türk, Welsch, Wittstock15) vermeiden es meistens, exakte personelle und sachliche Aussagen zu machen. Auch zeitlich und im Hinblick auf die Moderne läßt sich die Epoche nicht deutlich abgrenzen.16 Man sagt vielmehr, daß es schon um die Jahrhundertwende Anzeichen dieser neuen Auffassung gegeben habe. Man ist sich andererseits ziemlich einig, daß der Schwerpunkt der neuen Bewegung in den 60er und 70er Jahren des Jahrhunderts liege, daß insbesondere der Roman ›Der Name der Rose‹ (1980) von Umberto Eco und der Roman ›Das Parfum‹ (1985) von Patrick Süskind typische Produktionen der Postmoderne seien. Man will es auch nicht so verstanden wissen, daß die Postmoderne, wie es das Wort besagt, auf die Moderne folge oder diese gar ausschalte und überwinde, man sagt vielmehr, daß die Richtungen teilweise ineinander übergehen,17 oder auch daß die Postmoderne eine radikalisierte Moderne darstelle,18 und daß z. B. Joyce, Kafka und Musil mit ihren bekannten Werken jedenfalls zur Postmoderne überleiten, ja daß Nietzsche als ein Postmoderner gelten könne19 und daß sogar Lessing mit seiner berühmten Ring-Parabel als Befürworter der ›Pluralität‹ und damit eines wichtigen Anliegens der Postmoderne anzusehen sei. Feststehen dürfte bei alledem, daß die Werke dieser Art sich deutlich von den vorhergehenden unterscheiden, so daß es wiederum gerechtfertigt ist, sie mit einer neuen Gattungsbezeichnung zu belegen und sie als neue und besondere Stilrichtung anzuerkennen.

   Aus der Fülle der - nicht immer leicht verständlichen und ihre Unverständlichkeit oft in gewählten Vokabeln zur Schau stellenden - Äußerungen lassen sich auch einige Hauptmerkmale und Leitgedanken erkennen, die eine schärfere Konturierung des Begriffs der Postmoderne gestatten. Das Überraschende für uns ist nun, daß unsere Erzählung ›Ardistan und Dschinnistan‹ ihrerseits eine Anzahl von Merkmalen aufweist, die mit den erkennbaren Eigenarten der Postmoderne übereinstimmen, durch sie nachträglich eine literarische Rechtfertigung erfahren und damit eine hochmoderne Bedeutung erlangen. Ich darf - ohne mich mit dem Phänomen Postmoderne näher auseinandersetzen und zu seiner Verfestigung und allgemeinen Anerkennung Eigenes beitragen zu können20 - im folgenden einige dieser Wesenszüge aufführen und zeigen, in welchen Elementen und Passagen des rätselhaften Werkes von Karl May sie sich ebenfalls präsentieren.

   Wir stoßen hier zunächst auf den Begriff der ›Phantastik‹, unter den auch der Roman ›Ardistan und Dschinnistan‹ fällt, da seine Handlung in einem


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sonderbar erfundenen Raum, in dem ›Land der Sternenblumen‹ beginnt. Wir werden durch neueste Forschungen belehrt, daß diese Art des Phantasierens (durchaus ohne die Logik, die wir in einem literarischen Werk anzutreffen gewohnt sind) typisch für die Postmoderne sei.21 Die Wurzeln dieser Erzählweise - und das ist das Überraschende - reichen bis an den Anfang des Jahrhunderts und noch weiter zurück. Autoren wie Kubin, Meyrink, Artmann, Kafka, Perutz, Lernet-Holenia, Rosendorfer werden genannt.

   Ein Autor, der auch in diesen Zusammenhang gehört, obwohl er in der Fachliteratur nirgends erwähnt wird, ist Wilhelm Busch. Dieser hat gegen Ende seiner literarischen Laufbahn, in der er sich dem Publikum meist als heiterer Lebenskünstler vorstellte, zwei bitterböse, phantastische Prosawerke geschaffen, die das Befremden seiner Leserschaft erweckt haben und die deshalb kaum zitiert oder bearbeitet wurden, nämlich die Erzählungen ›Der Schmetterling‹ und ›Eduards Traum‹. - Auch Morgensterns Gedichte mit der Fülle phantastischer Gestalten und Dinge gehören in diesen Zusammenhang.

   Das gemeinsame Anliegen aller dieser Werke ist, daß sie den Leser in eine imaginäre Welt versetzen und ihn, wie man formuliert hat, in einem Zustand der Ambiguität, der Unschlüssigkeit, zurücklassen, in einem dauernden Konflikt zwischen Realität und Phantasie, der an sich unbefriedigend ist und doch anregend auf die Seele des modernen Menschen wirkt,22 wie denn überhaupt von Angst und Entsetzen eine ›reinigende Wirkung‹ auf den Leser ausgehen soll.

   Erstaunlich ist, daß die literarische Verwendung der Phantastik schon vor dem Ersten Weltkrieg, also in der sogenannten wilhelminischen Epoche stattgefunden hat. Die Erklärung eines Interpreten, daß dies auf eine »Umbruchs- oder Krisenstimmung« in dieser Zeit zurückzuführen sei,23 will nicht recht überzeugen. Andererseits ist gerade in der Ardistan-Erzählung eine solche zeitkritische Komponente festzustellen, wenn zum Beispiel gesagt wird, daß die Armee von Ussul im wesentlichen aus Invaliden und Krüppeln bestehe, die - wie es heißt - »für nichts Anderes zu brauchen« sind (I, 286).24 Das ist eine wahrhaft kontrawilhelminische Auffassung vom Militär, allerdings auch eine menschlich-humanitär ziemlich absurde Vorstellung, die aber wie alle Phantastik die Aufgabe erfüllt, den Leser zur unbewußten Rückbesinnung auf seine eigene reale Welt und zum fortwährenden Vergleich dieser Welt mit der ganz anders gearteten des Erzählers zu zwingen.

   Was die phantastische Literatur zum Teil unmittelbar charakterisiert, zum Teil aber auch unabhängig von ihr existiert, ist der Traumcharakter der Erzählung. In der Tat ist auch ein Hauptmerkmal von ›Ardistan und Dschinnistan‹ das ›Traumhafte‹ seines Inhalts, das sonderbar Unwirkliche des Geschehens, das sich sowohl in der Landschaft wie in den Personen, in den Tieren wie in den Naturereignissen des Romans manifestiert. Dieses Traumartige scheint daher zu kommen, daß die Gegenstände irgendwie aus


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der Tiefe der Seele des Verfassers in das Licht seines erzählerischen Intellekts getreten sind,25 keinem ordnenden und wählenden Verstande entstammend, sondern einem tieferen Zwang zur Äußerung folgend. Diese ›Fülle der Gesichte‹, die zum Teil noch auf Kindheitserinnerungen beruhen mögen, führte auch unserem Autor die Feder und ließ ihn die merkwürdigsten Vorgänge erfinden, für die es sonst keine Erklärung gibt. Traumhafter Natur ist z. B. die Gestalt des Pferdes Smihk,26 das mit hartnäckiger Konstanz durch den zweibändigen Roman trabt, das - wie es auch bei Traumerscheinungen der Fall ist - nicht weichen und verschwinden will, sondern sogar zuletzt auf dem Höhepunkt der dem ›Panther‹ verderblichen Wasserschlacht wieder zugegen ist, einen Überschlag im Wasser vollführt (das Pferd!) und damit den Untergang des Schurken besiegelt (II, 649).

   Dieses Traumhafte aber ist ebenso ein Merkmal der modernen und postmodernen Romanschreibung.27 Es findet sich besonders bei Kafka, dessen Erzählungsinhalte, wie bekannt, diesen Charakter eines nicht enden wollenden bösen Traums tragen (›Die Verwandlung‹, ›Der Prozeß‹, ›Das Schloß‹), so daß der Leser, gebannt und zugleich gequält von der Nichtauflösbarkeit der Fabel, in ständiger Spannung gehalten und zuletzt mit der Anheimgabe entlassen wird, selbst weiter nach dem Sinn des Erzählten zu suchen.

   Mit der Phantastik und dem Traumartigen eng verbunden ist ferner eine Vorliebe der Postmoderne für das Grausige, Schaudererweckende, Gruselige des Geschehens und die Spekulation auf die geheime Anziehungskraft solcher Qualitäten auf den Leser. Wir finden im ›Parfum‹ von Süskind und im ›Namen der Rose‹ von Eco genügend Beispiele dafür. In ›Ardistan und Dschinnistan‹ sind es vor allem die Schilderungen der Vorgänge in den Dschemmahs (der Lebenden und der Toten), die diese Wirkung hervorrufen. May selbst, als Erklärer sich über seinen Text erhebend, spricht von dem Eindruck eines Panoptikums, das aber nicht abstoßend auf ihn gewirkt habe (II, 404f.), und begründet dies ausführlich. Wir Heutigen würden den Vergleich mit einer Geisterbahn wählen und sind erstaunt, daß der Autor sich gerade dieses Stilmittels im Rahmen seiner doch eher idealistischen Erzählweise bedient hat.

   Was für ›Ardistan und Dschinnistan‹ ferner typisch ist und was den schwerstwiegenden Grund für das Befremden bildet, mit dem die engagierte Karl-May-Leserschaft dem Spätwerk des Meisters begegnete, das ist die Diskrepanz, das Widerspiel, der Widerstreit der dargestellten Dinge und Geschehnisse selbst, man könnte sagen: die Stilbrüche, müßte aber hinzufügen, daß die Brüche auch den Inhalt der Erzählung betreffen. Mitten in den phantastischen Vorgängen und diese durch den ganzen Roman begleitend finden sich höchst realistische Beschreibungen der Helden des Geschehens, der technischen, architektonischen, zoologischen, botanischen Eigenschaften der Dinge ihrer Umgebung, aber auch der Sitten und Gebräuche der Menschen. Alles dieses ist, wiewohl im Land der Sternenblu-


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men angesiedelt, äußerst irdischer Natur und scheint mitunter in das ferne Land ›überhaupt nicht hinzugehören‹ und einer ganz anderen Gattung von Literatur zu entstammen.

   Es beginnt schon bei der Art, wie der im Orient der Erde wohlbekannte Kara Ben Nemsi mit seinem Diener Halef Omar in das unbekannte Land eintritt (I, 1) und seine erstaunlichen Heldentaten ungeachtet aller möglichen Einwendungen des Lesers (›Wieso? Wie denn? Warum? Woher weiß man das?‹) vollbringt. Es setzt sich fort bei Betrachtung der Art, wie in Ardistan regiert und gewirtschaftet wird, was meist nicht dem Orient, sondern dem in Europa liegenden Deutschland entstammt. Obendrein beschränkt sich der Erzähler auch nicht auf eine objektive und distanzierte Schilderung der Dinge, sondern er tritt immer wieder ›vor den Vorhang‹, erläutert dem Leser dieses und jenes und betont seine Wahrheitsliebe, die es ihm verbiete, rein imaginäre Stoffe, die er gar nicht erlebt habe, vor sein Publikum zu bringen.

   Was den Widerspruch zwischen Imagination und Realität noch vertieft, ist die häufige Mitteilung von sehr banalen Einzelheiten über die Menschen und Dinge, ihre Bekleidung und Ausrüstung, ihr Verhalten und ihre Gefühle und Anschauungen.

   Auch in den großen modernen und postmodernen Romanen ist es oft die historische und wissenschaftliche Realität, die in breiten Passagen vor dem Leser ausgebreitet wird:28 ›Ulysses‹ von James Joyce bringt ausgedehnte Beschreibungen der Örtlichkeiten und historischen Vorgänge, ebenso Umberto Eco in ›Der Name der Rose‹, hier vermischt mit tiefgründigen kunstgeschichtlichen und bibliographischen Bemerkungen. Von Patrick Süskind erfahren wir genau geschilderte Einzelheiten des Lebens im alten Paris. Bei Karl May tritt im Rahmen der fantastischen Geschehnisse in dem Land Sitara eine stupende Menge von höchst irdischen Fakten auf, ob es sich nun um geologische und geophysikalische, um technische,29 militärische, botanische Tatsachen, um die Zubereitung der Speisen, die Fütterung und Tränkung der Tiere, die Tracht und Bewaffnung der verschiedenen Völkerschaften, auch um die Verhandlungstaktik und psychologische Redeführung oder die architektonische Gestaltung von Schlössern, Burgen oder Gefängnissen handelt. May läßt es bei der Beschreibung dieser Dinge an nichts fehlen. Er zwingt den Leser, ihm in allen Einzelheiten zu folgen, wie er es schon in seinen Abenteuergeschichten getan hat. Wie das alles aber mit dem imaginären oder Traumcharakter des Werkes zusammenpaßt, bleibt eine nicht zu lösende, das Publikum insgeheim in Spannung haltende Unstimmigkeit.

   An einzelnen Stellen gewinnt diese Mitteilung von Banalitäten fast humoristischen Charakter. Daß zum Beispiel der Held Kara Ben Nemsi, der sich zu Anfang seiner Reise zunächst eingehend aus Büchern und Dokumenten über die Eigenart der Völker und Staaten unterrichtet hat, die er besuchen soll, plötzlich auf dem Schiff ›Wilahde‹ feststellen muß, daß er


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alle Aufzeichnungen vergessen und bei seiner Auftraggeberin liegengelassen hat, ist eine solche, gerade wegen ihrer Simplizität bestürzende Einzelheit (I, 45). Man bedenke: Was gibt es für einen Gebildeten Schrecklicheres als die Feststellung, daß er seine Unterlagen vergessen hat!30 Derselbe zum Schmunzeln anregende Eindruck entsteht, wenn kurz nach der gruseligen Dschemmah-Sitzung mitgeteilt wird, daß Kara und Halef eingeladen wurden, bei dem Mir von Ardistan und seiner Familie das Frühstück einzunehmen (II, 475).

   Ein Abgleiten aus der Idealität in die Trivialität31 scheint uns auch gegeben zu sein, wenn Kara Ben Nemsi und Halef Omar im Palast von Ussul nicht rauchen dürfen, obwohl sie es gern getan hätten (I, 317), wenn sich die Ussul einen »Pfiff«, »Schwips« oder »Affenrausch« (I, 324) antrinken - auch wenn die Männer beim Eindringen in die unterirdischen Räume des Brunnenschachtes die wichtigen Utensilien zum Feuer- und Lichtmachen vorfinden, die sie aber nicht brauchen, weil sie Zündhölzer (!) bei sich hatten (I, 501), und wenn sie die Zündhölzer auf dem Weg nach Dschinnistan zu ihrem Glück wieder mit sich führen (II, 262). Dies sind nur Beispiele aus der großen Menge von realistischen Fakten, die zum phantastisch-imaginären Gesamtcharakter des Werkes in Widerspruch stehen.

   Die Konsternation des Lesers über diese Einzelheiten wird dadurch erhöht, daß der Autor dabei von ausgesprochen sächsischen Eindrücken, Bildern, Reminiszenzen, auch Redeweisen geleitet wird. Darauf sei an diesem Ort besonders hingewiesen. Da ist zum Beispiel die merkwürdige, auch als ›nicht hingehörig‹ erscheinende Zelebrierung des Weihnachtsfestes in typisch deutscher Weise mit Weihnachtsbäumen und deutschen Weihnachtsliedern, die auf einem alte(n), sogenannte(n) Regalharmonium aus früherer Zeit begleitet werden (II, 171), mit einem »Weihnachtsbureau« (II, 168) und dem Lichterdillen drehenden Kara Ben Nemsi (II, 170) und vielen weiteren Einzelheiten, die für den Verlauf der Handlung an sich ohne Bedeutung sind, hier aber sehr angelegentlich ausgebreitet werden.

   Auch die Engel-Statuen in der Wüste sind in ihrer Konstruktion den erzgebirgischen Weihnachtsengeln in ihrer alten Form (nicht in der neumodischen Fortentwicklung dieser Form) auffallend ähnlich. Sie stehen wie diese auf der breiten Fläche des Gewandes, ohne daß die Füße aus demselben hervortraten (I, 489), haben zwei Flügel (I, 480) und sind »in der rohen, kunstlosen« Weise aus dem Stein gehauen (I, 485). Und warum überhaupt ›Engel‹? Als Kennzeichnung von Wasserreservoiren hätten es einfache Säulen oder Türme auch getan, als Objektivation der von Arno Schmidt vermuteten Phallen ebenfalls. Die von May selbst gegebene Erklärung »Das Wasser in der Wüste gleicht einem Rettungsengel« (ebd.) macht den Eindruck einer nachträglichen Begründung.

   Da sind weitere Einzelheiten der Landschaftsschilderung. Die Wassermassen, die auf dem Weg nach Dschinnistan eine so bedeutende Rolle spielen, könnten aus der Anschauung der Elbe und ihrer, zu Mays Zeiten noch


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sehr mächtigen, Hochwasser entstanden sein. Die Schilderung der paradiesischen Villen mit zahlreichen Balkonen, Erkern, Zinnen, Türmen und Spitzen (II, 612), am Berghang im hochgelegenen El Hadd samt Treppen und Gärten könnte der Betrachtung der Villen am Elbufer bei Dresden entstammen. In der Tat heißt es, daß im Talkessel von El Hadd von früheren Zeiten her Kähne oder vielmehr Flußschiffe lagen, die die Länge und Breite unserer großen Rhein- oder Elbkähne hatten, wenn sie auch nicht von derselben Gestalt waren (ebd.). Daß aber zum Schlusse des Romans auf dem neu entstandenen See ein Schiff auftaucht, in dem Marah Durimeh und Schakara zur Teilnahme an der großen Schlußszene eilen (II, 629f.), und daß auf der letzten Seite der Schiffsverkehr als Verbindung zwischen El Hadd und den abwärts liegenden Gegenden (II, 651) aufgenommen wird, weist für den Kenner der Lokalität sehr deutlich auf die Elbschiffahrt hin, die zwischen den Felsenmassen des Elbsandsteingebirges und den abwärts liegenden Gegenden betrieben wird und im Bewußtsein der Dresdener stets einen Gegenstand des höchsten ästhetischen Wohlgefallens bildet.

   Diese Anlehnung an sehr deutsche Reiseerinnerungen tritt noch stärker hervor, wenn auf dem Höhepunkt der geologischen Phantasmagorie gegen Ende des Werkes die übermächtige Höhe des sich auftuenden Berggipfels durch einen touristischen Vergleich mit dem Berner Oberland erläutert wird (nämlich im Lauterbrunnertal, beim Alpenglühen, wo ich den Gipfel der Jungfrau zuerst nicht fand und nicht sah, weil er nicht da, wo ich ihn suchte, sondern scheinbar grad über meinem Kopfe erglänzte; II, 645).

   Eine merkwürdige mundartliche Banalität zeigt sich auch in solchen Passagen, in denen ausgesprochen sächsische Formulierungen mehr oder weniger deutlich und den Nerv des Rezipienten berührend hervortreten. Wenn es zum Beispiel heißt: Das ergab einen Spektakel (I, 299), so ist dies die sächsische Verwendung des Wortes ›Spektakel‹ im Sinne von ›Lärm‹ und ›Radau‹. Oder wenn es heißt »Das Wasser ist alle« (II, 342), oder daß alles schnappte und klappte (II, 463), so ist dies ein Sich-Abgleiten-Lassen des Erzählers in sehr schlichte, volkstümelnde Diktion, und wenn es vom ›Panther‹ ferner heißt, daß bei dem »eigenwilligen, überspannten Hanswurst« (II, 552) der Wahngedanke seines ganzen Lebens, ein großer Herrscher zu werden, unter den gegenwärtigen Verhältnissen zum ›Ueberschnappen‹ kommen mußte (II, 619), so ist auch dies sächsisch erzählt, was bis in die Betonung ›Hanswurst‹ auf der ersten Silbe (nicht bayerisch auf der zweiten!) zu beachten ist.

   Der über alles das etwas erstaunte Leser muß sich nun aber sagen lassen, daß eben dieses Widersprüchliche, Frappierende, auch Konsternierende, zum Teil auch schmerzhaft Umkippende des Berichts ein typisches Zeichen der Moderne und (in gewissermaßen konzentrierter Form) auch der Postmoderne sei.32 Eben die Konfrontation des Idealen und Geistigen mit den Realitäten der Welt ist ein Anliegen des postmodernen Romanciers. Exemplifiziert wird es wiederum bei Eco und Süskind. Der eine bringt im Rah-


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men einer mittelalterlichen Kriminalgeschichte eine Fülle von kunsthistorischen, bibliographischen und bibliothekarischen Einzelheiten, ohne daß dies erzähltechnisch und für den Aufbau und Fortgang der Handlung erforderlich wäre, der andere unterrichtet das Publikum im Rahmen der ›Geschichte eines Mörders‹ über Rezepte, Methoden und Gerätschaften der Parfumherstellung und über die Realitäten des Lebens im Frankreich des 18. Jahrhunderts. In beiden Fällen erwächst wiederum aus diesen ausufernden Beschreibungen die ungeheure Spannung, die den Romanen ihre Auflagenstärke garantiert. Allerdings muß auch festgestellt werden, daß solche Ausführungen leicht in das Gegenteil dessen umschlagen können, was sich der Autor an Publikumsverhalten gewünscht hatte: Der Leser überschlägt solche Stellen,33 oder er durchläuft sie diagonal und läßt den Erzähler mit seinen Quisquilien allein, bleibt aber anderseits in dem Zustand der Spannung, in den ihn der Autor versetzen wollte.

   Die Frage ist berechtigt, ob denn ein solcher Gegensatz der Elemente dem Wert des ganzen Romans nicht abträglich ist. ›So genau wollten wir es gar nicht wissen!‹ könnte der Konsument mit einem modernen Wort sagen. Er wollte es jedenfalls von Karl May in diesem Werk nicht wissen, das sich nach eigener Bekundung des Autors philosophische Ziele gesetzt hatte und in Gleichnissen34 spricht. Da aber lehrt uns wieder die Literaturwissenschaft, daß gerade diese Widersprüchlichkeit das Besondere und, wenn man so sagen will, das Fortschrittliche der Postmoderne sei. ›Pluralismus‹ ist das Stichwort,35 und dem Leser bleibt es überlassen, sich mit den beiden oder mehreren möglichen Betrachtungsweisen auseinanderzusetzen. Er wird zur verstärkten Mitarbeit animiert36 und darf sich nicht mehr wie bei den alten Erzählern darauf verlassen, bei der Hand genommen und durch eine schlüssig aufgebaute Handlung zu einem erfreulichen Ergebnis geführt zu werden. Auch der Karl-May-Leser hatte seine große Sympathie dem Autor gegenüber gerade auf den Umstand gegründet, daß ihn dieser so verläßlich und einleuchtend einem Happy-End entgegenleitete. Im Spätwerk des Dichters fällt dieses Moment weitgehend weg. Der Leser soll bei der Lektüre mehr und mehr innehalten, den allegorischen Hintergrund des Mitgeteilten zu erkennen suchen und die feineren gedanklichen Zusammenhänge ausmachen, die ihm der Roman bietet.37

   Damit hängt zusammen, daß viele moderne und postmoderne Texte einen sonderbaren ephemeren, vorübergehenden Charakter tragen. Wir sehen sowohl im ›Namen der Rose‹ wie auch schon in den Romanen Kafkas, daß wir nur einen Ausschnitt aus einem Geschehen gezeigt bekommen, das vor dem Beginn der Erzählung schon stattfand und sich nach deren Ende fortsetzt. Dies ist auch bei ›Ardistan und Dschinnistan‹ der Fall; denn Kara Ben Nemsi wird auf einer Reise in den Dienst der Marah Durimeh berufen, und es heißt am Schluß, daß sich die Personen unsrem hohen, weiteren Ziele entgegenbewegen (II, 651).

   Die Problematik des Romans tritt übrigens auch dann zutage, wenn von


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seinem Sinn und seiner tieferen Bedeutung die Rede ist. Es fehlt nicht an Interpreten, die - angeregt von dem allegorischen oder Symbolcharakter des Werkes, auf den der Verfasser selbst hinweist - in tiefgründigen Deutungen die Hintergründe, Querverbindungen, Leitgedanken, möglicherweise auch die geistigen Quellen der Erzählung aufzudecken suchen und den Verfasser dabei an Tiefsinn zu überbieten streben.38 Diese Betrachtungsweise wird aber von anderen Lesern nicht immer geteilt und stimmt jedenfalls die einfacheren Konsumenten von vornherein bedenklich.

   Dem entgegen steht die Auffassung einer jüngeren, eher skeptischen Generation, die von den Ideen des Verfassers, insbesondere der Weltfriedensidee und dem Wunsche, daß sich die Menschheit vom Niederen zum Höheren entwickeln möge, nicht mehr voll angesprochen wird. Solche Beurteiler laufen wiederum Gefahr, in dem schwierigen Verlauf der Erzählung ein mehr oder weniger beliebiges Getümmel von Personen zu sehen, die mit ihren Gedanken und Taten das nicht zu ersetzen oder gar zu übertreffen vermögen, was der Verfasser seinem Publikum vor Jahren im ›Wilden Westen‹ oder im geheimnisvollen Osten vorgeführt hatte. Die Frage nach dem Sinn des Werkes beherrscht auch die gesamte Diskussion. Karl May selbst sagt, hinter der Handlung stehe die Menschheitsfrage und die Menschheitsseele.39 Dieser Erklärung ist der Respekt zu zollen, der einem großen Schriftsteller gegenüber am Platze ist. Karl May braucht jedenfalls die Kästnersche Frage, wo denn ›das Positive‹ bleibe, nicht zu scheuen oder ironisch zu überspielen. Er gibt von seinem Standpunkt aus die Antwort. Anderseits ist es das Recht einer jüngeren Generation, daß sie sich nach weiteren achtzig Jahren europäischer Geschichte ihre eigene Meinung zum Gang der Dinge bilden will. Was die Menschheitsfrage ist, erst recht, was mit der Menschheitsseele gemeint ist, bleibt ihr weitgehend unklar. Vor allem was die ›Weltfriedensidee‹ betrifft, hat der Erdenbewohner der Gegenwart erhebliche Bedenken, ob diese Idee stark genug ist, um den Menschen auf Dauer so zu prägen, daß der Frieden in der Welt gewährleistet ist. Was die Leserschaft im Laufe der letzten Jahrzehnte selbst erfahren und als Individuum, Familie, Volk und Völkerverband schmerzlich erlitten hat, spricht nicht dafür. Der ›Erfolgsautor‹ Karl May selbst hat übrigens in seinen Werken, den früheren, aber auch den Altersschriften, den Verzicht auf kämpferische Gewaltanwendung keinesfalls überzeugend praktiziert. Das ergibt einen Widerspruch, der in ›Ardistan und Dschinnistan‹ erneut und zusätzlich zu den anderen hervortritt. Zumal wenn es an die Bekämpfung von Schurken, Verrätern und Übles wollenden Machthabern geht, bleibt die Friedlichkeit der Auseinandersetzung entweder Schein oder bloßer Vorsatz.40

   Hier verhilft aber wiederum die Betrachtung der Postmoderne und die Prüfung der Stellungnahmen ihrer Interpreten zu einer überraschenden Lösung. Die ganze Frage nach dem Sinn und der Vernünftigkeit der Handlung, so wird uns versichert, sei schon an sich und vom literarischen Stand-


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punkt aus unzulässig. Eben die Sinnlosigkeit sei das Anliegen der modernen Kunst,41 und zwar nicht nur der literarischen, sondern auch der bildenden und darstellenden Kunst. Sie sei übrigens das Mittel, um den Leser auf besondere Weise zu faszinieren.42 Das erweist sich sehr eindrucksvoll an den Werken Kafkas und denen von James Joyce, ebenso aber z. B. auch im ›Warten auf Godot‹ von Beckett und in den postmodernen Romanen von Eco43 und Süskind, die alles literarische Welterfolge sind, die aber der Tendenz unterliegen, die aus den Zeiten der Aufklärung und des bürgerlichen Realismus überkommene Achtung vor der Rationalität zu verleugnen und den Leser statt dessen im Zustand nachdenklicher Verwirrung zurückzulassen.

   Eine solche Tendenz, besser gesagt, eine unterschwellige, erst bei genauerem Hinsehen erkennbare Eigentümlichkeit ist auch den Mayschen Altersromanen eigen. Das handlungsreiche Geschehen, die Kämpfe der Machthaber, die geologischen und physikalischen Vorgänge erscheinen, insgesamt gesehen und auf ihren tieferen Sinn geprüft, alle in sonderbarer Weise vom Zweckdenken gelöst in einem freien Raum zu schweben und der modernen Frage ›Was soll's?‹ nicht mehr standzuhalten. Was sollte aber statt dessen das Agens des mächtigen Werkes gewesen sein? Von allein und völlig unmotiviert kann eine solche Fülle der Handlung und Beschreibung wohl nicht entstehen?

   Von der Literaturwissenschaft wird diese Frage wiederum im Wege der geistigen Umgehung beantwortet. Es sei, so könne man sagen,44 die schriftstellerische Betätigung und erzählerische Entfaltung  a l s  s o l c h e, die den Wert des postmodernen Werkes ausmache. Es seien das Schreiben und Berichten  u m  i h r e r  s e l b s t  w i l l e n  und auf der anderen Seite das Lesen, das geistige Mitgehen und die Suche nach der Bedeutung  a n  s i c h, die den Fortschritt der Literatur darstellten und dem Leser das eigentliche Vergnügen bereiten.45 Auch May schreibt, weil er schreiben muß46 und weil man von ihm erwartet, daß er schreibt, und weil die Menschen, zu denen er spricht, wie man heute sagen würde, ihr ›Lesevergnügen‹ haben wollen.47 Kein Zweifel auch, daß May das Talent besitzt, die sonderbare Spannung zwischen reiner Imagination und genauer Schilderung der Wirklichkeit herzustellen und durchzuhalten. Er leistet in dieser Beziehung Bewunderungswürdiges und beweist dabei erheblichen Mut. Er verschreckt seine, ihn ganz anders kennende Leserschaft und fordert sie auf, seine Ideen weiter und zu Ende zu denken und sich damit über die Verfassung eines bloß rezeptiven Publikums zu erheben.48

   Ein weiteres kulturgeschichtliches und soziales Phänomen, das in den Abhandlungen über die Postmoderne auftaucht, ist das der Emanzipierung und Herrschaft der Frauen, also des Feminismus. Ein Aufsatz von Craig Owens ›Der Diskurs der Anderen - Feminismus und Postmoderne‹ legt dar, daß feministische Kritik des Patriarchats und die moderne Kritik an der staatlichen Repräsentation zusammenfallen und die Präsenz weiblicher


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Stimmen eine der hervorstechendsten Erscheinungen unserer postmodernen Kultur seien.49 Auch die weiblichen Gestalten in Ussul, Ardistan und Dschinnistan stehen der ganzen Erzählung auf stille Weise zu Häupten. Marah Durimeh herrscht über Ardistan und Dschinnistan. Schakara ist ihre Gehilfin. Taldscha, die Gattin des Häuptlings der Ussul, regiert durch Vernunft den Gatten und das Land. Die Mutter des Dschirbani erscheint in geisterhafter Weise und nimmt den Sohn am Ende in Empfang. Dazu das muntere Mädchen Merhameh. Die Kritik hat zwar mit Recht betont, daß sowohl die »Alterspräsidentin« Marah Durimeh (so Arno Schmidt50) wie auch die anderen weiblichen Gestalten in seltsamer Weise unwirklich bleiben und nicht die Anschaulichkeit der übrigen Personen besitzen. Anderseits - sie sind da, die Damen, werden vom Autor mit viel Aufmerksamkeit und Respekt geschildert und erfüllen in der langen Geschichte eine wichtige, durch alle Abwechslung der Handlung bestehen bleibende Funktion - im Gegensatz zu den meisten Abenteuergeschichten Karl Mays, in denen die weiblichen Personen kaum besondere Bedeutung gewinnen.

   Mit dieser Schilderung sind die Aspekte, die der Begriff ›Postmoderne‹ eröffnet, keineswegs erschöpfend aufgeführt. Verstreut in zahlreichen Abhandlungen finden sich noch weitere interessante Unterscheidungen, von denen einige auch für die Betrachtung von ›Ardistan und Dschinnistan‹ wertvoll erscheinen. Es heißt zum Beispiel bei Lützeler,51 der Spannungszustand zwischen elitärer Absonderung und publikumsfreundlicher Affirmation, zwischen verzweiflungsvoller Überprüfung utopischer Positionen und spielerischem Umgang mit der Tradition seien die Besonderheit der jüngsten deutschsprachigen Literatur. Derselbe Autor hatte zudem52 auf die Mischung von Hoch- und Alltagskultur, von Autobiographischem, Geschlechtlichem, Multikulturellem in der Postmoderne aufmerksam gemacht. - Auch was Welsch53 als Eigentümlichkeit der postmodernen Philosophie bezeichnet, kann hier angeführt werden: Abrücken vom Primat der Logik, Abrücken von der Monokultur des Sinns und - übertragen auf die Literatur - Verschmelzung von Elite- und Massenkultur, Ersetzung der Rationalität durch irrationale Momente: Vision, Mythos, Ekstase und Betonung pluralistischer Lebensformen54 und überhaupt das Bestreben, nicht eindeutige, sondern vieldeutige Werke zu schaffen.55

   Wir stehen am Ende unserer vergleichenden Betrachtung und befinden uns in der Tat in jenem Zustand der Ambiguität oder Unschlüssigkeit, im Bewußtsein der Widersprüchlichkeit der Elemente des Romans und der Unlösbarkeit der darin angesprochenen Probleme, aber eben in einem Zustand, von dem die Literaturwissenschaft sagt, daß er die erwünschte und zu begrüßende Folge postmoderner Erzählkunst sei.

   Die Frage bliebe, ob und wie unser Autor den Zugang zu jener Kunstrichtung der Postmoderne gefunden haben soll, die eigentlich erst in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts voll hervorgetreten ist. Wir greifen, um dies zu erklären, zurück auf die Erkenntnis, daß sich eine


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genaue Trennung der Postmoderne von der Moderne nicht durchführen lasse und daß es mithin erlaubt sei, schon in den literarischen Werken um die Jahrhundertwende postmoderne Züge auszumachen, demnach in einer Zeit, in der May sein Werk ›Ardistan und Dschinnistan‹ verfaßt hat. Darüber hinaus würden wir es unserem Meister ohne weiteres zutrauen, daß er mit der intuitiven, seherischen Kraft seiner Phantasie bereits zu seiner Zeit den Übertritt in jene spätere Kunstauffassung vollzogen hat, in der dann keine Homogenität der Stilarten, keine Autorität eines allwissenden Erzählers mehr herrschen, sondern der Leser durch die harte, mitunter fast ärgerliche Diskrepanz des Stils und der Inhalte zur eigenen Weiterverarbeitung des Textes angeregt wird. Dieses Ergebnis wäre nicht zu tadeln, und die Offenkundigkeit der Widersprüche in ›Ardistan und Dschinnistan‹, die Lebhaftigkeit der anhaltenden Diskussion und die Anteilnahme, mit der Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, meinen Ausführungen gefolgt sind, wären ein Beweis für die Richtigkeit dieses Ansatzes. Wir könnten also mit einem kurzen ›Quod erat demonstrandum‹ schließen und den Zweifel auf sich beruhen lassen, ob die gesamte Postmoderne wirklich ein Fortschritt in eine bessere literarische Zukunft oder vielmehr ein Zeichen der Auflösung echter gestaltender Kunst sei.

   Es stünde uns aber ebenso frei (in der Freiheit des Geistes nämlich, die uns die besagte Kunstrichtung selbst gewährt), die Würdigung des Werkes ›Ardistan und Dschinnistan‹ mit einem weitaus schlichteren Urteil zu beschließen. Es scheint uns, daß der von uns verehrte Autor alles das aus der Tiefe seiner Seele herausgehoben und in seine Phantasmagorie hineingeflochten hat, was er nach einem bewegten Leben als anrührend, als schön, als der literarischen Verfestigung würdig, eben als ›positiv‹ erkannt hat: die große Natur mit der Pflanzen- und Tierwelt, den Menschen in seiner Zwiespältigkeit, den Sieg über die Feinde, treue Gefährten und treue Tiere, die Religion in ihren verschiedenen Ausprägungen, aber auch die Gunst und stille Wirksamkeit schöner und kluger Damen und die Liebenswürdigkeit fröhlicher Mädchen, und ganz allgemein die stete einerseits störende, andererseits belebende Doppelpoligkeit der Gegebenheiten, in die der Erdensohn gestellt ist: Licht und Finsternis, vernichtende Trockenheit und lebenspendende Nässe, Ruhe und Bewegung, menschliche Güte und ebenso menschliche Schufterei, alles getragen von der Sehnsucht des unruhigen Erdensohnes, daß Frieden kommen und bleiben möge. Auch so betrachtet würde ›Ardistan und Dschinnistan‹ seinen Platz als geheimnisvolle Darstellung menschlichen Strebens behaupten und übrigens die Schlußbemerkung rechtfertigen: ›Hättet ihr, Völker der Erde, doch auf ihn gehört, den Erzähler, den Hakawati, den Seher, den Phantasten, den Ireniker und Großmystiker aus Hohenstein-Ernstthal!‹



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1 Zur Entstehung des Romans vgl. Ekkehard Bartsch: Ardistan und Dschinnistan. Entstehung und Geschichte. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft (Jb-KMG) 1977. Hamburg 1977, S. 81-102.

2 Siehe hierzu: Karl May: Briefe an Karl Pustet und Otto Denk. Mit einer Einführung von Hans Wollschläger. In: Jb-KMG 1985. Husum 1985, S. 15-62; Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg o. J. (1910), S. 141; Reprint Hildesheim-New York 1975. Hrsg. von Hainer Plaul.

3 Arno Schmidt: Sitara und der Weg dorthin. Eine Studie über Wesen, Werk & Wirkung Karl May's. Karlsruhe 1963; siehe auch ders.: Abu Kital. Vom neuen Großmystiker. In: ders.: Dya Na Sore. Gespräche in einer Bibliothek. Karlsruhe 1958, S. 150-93.

4 Schmidt: Sitara, wie Anm. 3, S. 12; Schmidt zitiert (zustimmend) mit diesen beiden Wendungen Friedrich Salomo Krauss bzw. Paul Elbogen.

5 Ebd., S. 12; auch dies ein Krauss-Zitat

6 Ebd., S. 209 (›S-‹ steht für ›Sexual-‹.)

7 Ebd., S. 327

8 Ebd., S. 329

9 Siehe die Vermutungen Schmidts über Mays Verhältnis zu seiner Großmutter, ebd., S. 254-60.

10 Ebd., S. 235

11 Ebd., S. 306

12 Vgl. ebd., S. 325.

13 Ebd., S. 329

14 Vgl. Heinz Stolte: Der Volksschriftsteller Karl May. Radebeul 1936, S. 99-104 (Reprint Bamberg 1979); ders.: Das Phänomen Karl May. Bamberg 1969; ders.: Karl Mays ›Ardistan und Dschinnistan‹ und sein Weltfriedensgedanke. In: Jb-KMG 1988. Husum 1988, S. 83-98; ders.: Werkartikel ›Ardistan und Dschinnistan I/II‹. In: Karl-May-Handbuch. Hrsg. von Gert Ueding in Zusammenarbeit mit Reinhard Tschapke. Stuttgart 1987, S. 308-20; Hartmut Wörner: Wüste und Wasser. Ein Ritt nach der Stadt der Toten. In: Jb-KMG 1985, 152-59; Hans Wollschläger, Das »eigentliche Werk«. Vorläufige Bemerkungen zu ›Ardistan und Dschinnistan‹ (Materialien zu einer Charakteranalyse III). In: Jb-KMG 1977. Hamburg 1977, S. 58-80. Siehe auch die Angaben bei Bartsch, wie Anm. 1, über die ersten Rezensionen von Ozoroczy und Sättler von 1910; vgl. die ›Einleitung‹ der Herausgeber in: Karl Mays »Ardistan und Dschinnistan«. Hrsg. von Dieter Sudhoff/Hartmut Vollmer. Paderborn 1997, S. 7-29.

15 Siehe Wolfgang Welsch: Unsere postmoderne Moderne. Weinheim 1987; ders.: Ästhetisches Denken. Stuttgart 1990; Hans Joachim Türk: Postmoderne. Mainz 1990; Thomas Bross: Literarische Phantastik und Postmoderne. Essen 1990; Rolf Günter Renner: Die postmoderne Konstellation. Freiburg 1988; Marianne Wünsch: Die fantastische Literatur der frühen Moderne. München 1991; ferner die Sammelbände Postmoderne: Alltag, Allegorie und Avantgarde. Hrsg. von Christa und Peter Bürger. Frankfurt a. M. 1987; Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Hrsg. von Andreas Huyssen/Klaus R. Scherpe. Reinbek 1986; Spätmoderne und Postmoderne. Hrsg. von Paul Michael Lützeler. Frankfurt a. M. 1991; Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur. Hrsg. von Uwe Wittstock. Leipzig 1994; Postmoderne und Dekonstruktion. Hrsg. von Peter Engelmann. Stuttgart 1990; Aufklärung und Postmoderne. Hrsg. von Jörg Albertz. Berlin 1991.

16 Vgl. Paul Michael Lützeler: Einleitung. In: Lützeler: Spätmoderne, wie Anm. 15, S. 13: Eine genaue Grenze zwischen Moderne und Postmoderne gebe es nicht, und die Suche nach einem gemeinsamen Nenner sei zwecklos.

17 Vgl. die Erläuterungen von Rolf Günter Renner (Postmoderne und Moderne. In: Literaturlexikon. Hrsg. von Walther Killy. Bd. 13: Begriffe, Realien, Methoden.


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Gütersloh-München 1993, S. 227f.): Die Postmoderne sei keine »Epoche«, sondern eine »Konstellation« und »kulturelle Dominante«, eine »historische Strategie«. Zusätzliche Stichworte: Aufhebung der Grenze zwischen dem Wirklichen und dem Imaginären, Destruktion von Sinn und Kausalität, Rekonstruktion des Verlorenen im Gestus des Spiels. Weitere Begriffe zur Kennzeichnung des Phänomens bei Renner: Konstellation, wie Anm. 15, S. 9: »metahistorischer Manierismus«, »Kunstwollen« (nach Eco).

18 Vgl. Bross, wie Anm. 15, S. 26.

19 Wiebrecht Ries: Aufklärung und Postmoderne im Blick auf Nietzsche und Kafka. In: Albertz, wie Anm. 15, S. 53: »Beide, Nietzsche wie Kafka, reichen tief in die Postmoderne, auf die sie einen noch gar nicht völlig abschätzbaren Einfluß ausüben.« Hierzu wiederum vom christlichen Standpunkt aus Türk, wie Anm. 15, besonders S. 15.

20 Verwiesen sei auf die Gemälde von Werner Tübke, in denen die Postmoderne verkörpert und gewissermaßen anschaulich gemacht wird. Vgl. Euduard Beaucamp: Zeremonien des Abschieds. In: F. A. Z., 24. 7. 1999, Beilage ›Bilder und Zeiten‹.

21 Vgl. Bross, wie Anm. 15, S. 174-77; Wünsch, wie Anm. 15, S. 249. Siehe auch: Helmut Schmiedt: Karl May und die phantastische Literatur. In: Fantasia 74/75. Passau 1993, S. 107-15. Wieder in: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft 102/1994, S. 57-65.

22 Manche Autoren sprechen von »Mystik« und erkennen auch hier die Verbindung zur Postmoderne. Vgl. Reinhard Margreiter: Mystik - moderne Verdrängung, postmoderne Wiederkehr. In: Albertz, wie Anm. 15, S. 117. Vgl. auch Hanns-Josef Ortheil: Postmoderne in der deutschen Literatur. In: Wittstock: Roman oder Leben, wie Anm. 15, S. 209: ausschweifende Bildlichkeit, Faszination durch das Fremde - das Phantastische und Magische.

23 Bross, wie Anm. 15, S. 32

24 Zitatnachweise von der Form ›I, 286‹ beziehen sich auf: Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXI: Ardistan und Dschinnistan I. Freiburg 1909 und ders: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXXII: Ardistan und Dschinnistan II. Freiburg 1909.

25 Siehe Andreas Kilb: Die allegorische Phantasie. Zur Ästhetik der Postmoderne. In: Bürger, wie Anm. 15, S. 88: Traum, Vision, Ekstase als Kennzeichen der Postmoderne.

26 Schon seine Beschreibung mutet traumhaft-übertrieben an. Das Tier habe einem ausgeartete(n) Nilpferd, einem entartete(n) Tapir, einem vorweltliche(n) Riesenhirsch ohne Geweih, einem überfütterte(n) Kamel mit Elefantenbeinen und weggefallenem Höcker geglichen (I, 66).

27 Vgl. Horst Steinmetz: Moderne Literatur lesen. Eine Einführung, München 1996, S. 66.

28 Vgl. Wolfgang Welsch: Aufklärung und Postmoderne. In: Albertz, wie Anm. 15, S. 41 (Anm. 1): »Postmoderne Literatur berücksichtigt alle Sphären der Wirklichkeit und spricht alle sozialen Schichten an. Sie verbindet beispielsweise Realismus und Phantastik, Bürgerlichkeit und Outsidertum, Technik und Mythos.«

29 In eigenartiger Weise überzeugend wirkt ein Zitat von Leslie Fiedler, das Welsch: Postmoderne Moderne, wie Anm. 15, S. 16, anführt: Der postmoderne Schriftsteller sei für Fiedler ein »Doppelagent«. Er sei »gleichermaßen zu Hause in der Welt der Technologie und im Reiche des Wunders«; »Mehrsprachigkeit« sei das Stichwort.

30 Auch Kara Ben Nemsi wurde es ganz schlimm (I, 46). Jedoch dient der Vorfall dazu, die etwas ermüdende Folgerung, wonach Kara immer der Gescheite und Halef der Dumme ist, jedenfalls vorübergehend in ein amüsantes Gegenteil zu verkehren.


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31 Vgl. Hans Sanders: Postmoderne: Alltäglichkeit als Utopie. In: Bürger, wie Anm. 15, S. 79f.: Eine zentrale Erfahrung der späteren Moderne sei die Trivialität des Bestehenden.

32 Ausgeführt z. B. von Uwe Wittstock: Einleitung. In: Wittstock: Roman oder Leben, wie Anm. 15, S. 8: Aufeinanderprallen gegensätzlicher Kulturen, Vielheit heterogener Konzeptionen, Sprachspiele und Lebensformen. - Vgl. auch Türk, wie Anm. 15, S. 38: Elitäre Kultur und triviale Massenkultur sollen ineinander übergehen. Alles Banale darf ausgesprochen werden. Die Kluft zwischen Fiktion und Realität, dem Mythischen und dem Wirklichen, der Traumwelt und der Maschinenwelt wird geschlossen.

33 Sehr aufrichtig Helmut Schmiedt: ›Ardistan und Dschinnistan‹, Seite 1-3. In: Sudhoff/Vollmer, wie Anm. 14, S. 107

34 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 211

35 Von Wolfgang Welsch (Welsch: Postmoderne Moderne, wie Anm. 15; ders.: Ästhetisches Denken, wie Anm. 15; ders.: Postmoderne - Pluralität als ethischer und politischer Wert. In: Albertz, wie Anm. 15, S. 9, 19, 38) in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt.

36 Steinmetz, wie Anm. 27, z. B. S. 89, S. 201

37 Karl May hat dies in der Selbstanzeige seines Buches (im ›Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel‹ 1909, wiedergegeben bei Sudhoff/Vollmer, wie Anm. 14, S. 32f.) deutlich ausgesprochen: Er will Aeußeres schildern, um Inneres zu erklären. ... Er bricht gewaltige, zentnerschwere Blöcke aus dem Gestein ... und rollt sie dann den Zukünftigen zur feineren Ausmeißelung und künstlerischen Vollendung zu.

38 Z. B. auf hoher Ebene Jürgen Hahn: »aber ich kenne die Schrift und das geheime Zeichen des letzten Wortes«. Prolegomena zu einer Sprache der Zeichen und Bilder in Karl Mays Roman ›Ardistan und Dschinnistan‹. In: Sudhoff/Vollmer, wie Anm. 14, S. 205-49

39 May: Mein Leben und Streben, wie Anm. 2, S. 209, S. 212

40 Vgl. die bezeichnende Gegenüberstellung »Gewaltphantasien und ästhetischer Friede« bei Renner: Konstellation, wie Anm. 15, S. 264.

41 »Absolutes Sinndefizit« laut Hanns-Josef Ortheil: Zum Profil der neuen und jüngsten deutschen Literatur. In: Lützeler: Spätmoderne, wie Anm. 15, S. 44

42 Über den Sinnverlust der modernen Literatur oder, anders formuliert, die Tatsache, daß moderne Werke vom Leser ›nicht mehr verstanden werden‹, nachdrücklich Steinmetz, wie Anm. 27 - Interessant ist die Feststellung, daß bereits Goethes ›Leiden des jungen Werthers‹ zu solchen nicht verstandenen und trotzdem hochberühmten Werken gehöre und daher »auch das erste moderne literarische Werk« (ebd., S. 140) sei.

43 Vgl. Teresa de Lauretis: Das Rätsel der Lösungen - Umberto Ecos ›Der Name der Rose‹ als postmoderner Roman. In: Huyssen/Scherpe, wie Anm. 15, S. 624: »Denn es gab keinen Schlüssel. Jedes Verbrechen hatte einen anderen Urheber oder vielleicht gar keinen, es gab keinen Plan, sondern eine Vielgestalt von Ursachen, deren Verbindung untereinander - von der Deutung des Lesers hergestellt wurde.«

44 Vgl. Steinmetz, wie Anm. 27, S. 77, 157, 172 (»L'art pour l'art«, die Literatur sei »autonom«), 202, 255 (»Selbstrelativierung«).

45 Vgl. ebd., S. 159, 190, 191.

46 Daß dieser Zwang zum Schreiben auch aus der persönlichen Situation Mays verständlich ist und eine Art Selbstbefreiung aus den schweren Bedrückungen bildet, denen der Autor durch Prozesse und Anfeindungen ausgesetzt war, und daß die Art, wie ihm dies gelungen ist, Bewunderung verdient, ist oft hervorgehoben worden. Vgl. Stolte: Werkartikel, wie Anm. 14, S. 318, 320; Claus Roxin: Mays Leben. In: Karl-May-Handbuch, wie Anm. 14, S. 121.


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47 Judith Ryan (Pastiche und Postmoderne. Patrick Süskinds Roman ›Das Parfum‹. In: Lützeler: Spätmoderne, wie Anm. 15, S. 93) weist auf die Verwandtschaft von ›Pastiche‹, Parodie und Postmoderne hin, die bei Eco und auch bei Süskind festzustellen sei. Dadurch würden verschiedene Lesergruppen angezogen. »Eine Beunruhigung des Lesers« sei die Folge.

48 Vgl. z. B. Ortheil: Postmoderne in der deutschen Literatur, wie Anm. 22: Der Leser soll nicht Einfühlung, Nachvollziehen, Entziffern betreiben, sondern den durch den Text eröffneten Raum eigenmächtig besetzen, ihn verändern, erweitern, seine Unbestimmtheit mit eigenen Vorstellungen füllen (S. 203).

49 Craig Owens: Der Diskurs der Anderen - Feminismus und Postmoderne. In: Huyssen/Scherpe, wie Anm. 15, S. 172-77

50 Schmidt: Sitara, wie Anm. 3, S. 268 - auch als »komische Alte Dame« (S. 239) und »allerbefremdlichste kosmogonische Afrodite« (S. 273) wird Marah Durimeh hier bezeichnet.

51 Lützeler: Einleitung, wie Anm. 16, S. 20

52 Ebd., S. 13

53 Welsch: Ästhetisches Denken, wie Anm. 15, S. 79-82

54 Ebd., S. 202f., 214

55 Ebd., S. 81 - Vgl. auch Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden. 17. Bd. Mannheim 1992, S. 410, 413: Postmoderne bedeute u. a. Rückkehr zum Mythos, zum auf Spannung bedachten Erzählen, zur Lust am Narrativen, zur Wiederbelebung der Allegorie und der Ästhetik des Erhabenen, zusammen mit Heiterkeit und der Überzeugung, daß sie die Trauerarbeit der Moderne abgeschlossen habe.




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