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EKKEHARD KOCH

»Jedes irdische Geschöpf hat eine Berechtigung zu sein und zu leben« ·
Zum Verhältnis von Karl May und Johann Gottfried Herder

Jedes irdische Geschöpf hat eine Berechtigung, zu sein und zu leben; jede Pflanze, jedes Thier, jeder Mensch, jedes Volk und jede Nation darf nach der eigenthümlichen Weise, die ihm gegeben ist, sich entwickeln, damit am Baume der Menschheit verschiedene Blüthen treiben und verschiedene Früchte reifen, je nach dem Boden, dem sie entstammen, und dem Himmel, der sich darüber breitet. Karl May

(Es ist herrschendes Gesetz der Schöpfung), daß allenthalben auf unserer Erde werde, was auf ihr werden kann, teils nach Lage und Bedürfnis des Orts, teils nach Umständen und Gelegenheit der Zeit, teils nach dem angeborenen oder sich erzeugenden Charakter der Völker ...

In gewissem Betracht ist jede menschliche Vollkommenheit national, säkular und am genauesten betrachtet, individuell.

Johann Gottfried Herder



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Wie vielseitig Karl May als Mensch und vor allem als Schriftsteller gewesen ist, hat die Karl May-Forschung eigentlich erst in den letzten Jahren ergeben. Früher wurde er überwiegend nur als Jugendschriftsteller, nicht selten sogar als Kolportage- oder noch schlimmer als Schundschriftsteller angesehen, gefeiert von der Jugend, die ihn unter der Schulbank oder der Bettdecke versteckte, verdammt von vielen Eltern und Erziehern. Heute wissen wir: er hat ohne Zweifel Erzählungen für die Jugend geschrieben, die überdies - man darf es heute sagen, ohne der Lächerlichkeit anheimzufallen - bis jetzt nichts von ihrem bleibenden Wert verloren haben.(1) Heute wissen wir allerdings auch durch die modernen Forschungsergebnisse, daß es abwegig wäre, ihn auf das Niveau eines Jugendschriftstellers (was auch noch beachtlich genug wäre in


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Anbetracht der tatsächlich vorhandenen Schundliteratur) oder Volksschriftstellers (als der er in der Literaturgeschichte auch nicht wenig Ehre einlegen würde) zu beschränken. Karl May hat Abenteuergeschichten geschrieben, Kolportageromane, historische Erzählungen, Märchen, sarkastische Abhandlungen und pazifistische und surrealistische, ins Mystische vorstoßende Schlüsselromane von unstreitigem künstlerischem Wert.(2)

So vielfältig die Palette seiner Werke von Anlage und Struktur her auch ist, mit Fug und Recht kann man behaupten, daß sich wie ein roter Faden von seinen ersten bis zu seinen letzten Schriften, von Ausnahmen abgesehen, eine Weltanschauung zieht, eine Philosophie, die in vielen Werken mehr oder weniger klar, in einigen, vor allem den späteren, aber auch in einem der frühesten, sehr deutlich hervortritt.

Den Grundriß dieser Philosophie hat May in seinem letzten Lebensjahrzehnt im "Märchen von Sitara"(3) gegeben. "Sitara" gibt Antwort auf die Fragen nach dem Sinn des Lebens. Von Gott kommt der Mensch, und zu ihm soll er zurückkehren, im Leben von Ardistan, dem "ethischen Tiefland", durch Märdistan, das "Prüfland", bis nach Dschinnistan, dem "ethischen Hochland". Nicht blinder Zufall, nicht Chaos, regiert das Leben des Menschen, sondern die "Vorsehung", eine überirdische, letztlich göttliche Ursache. Nach dem Schöpferplan wird am Ende "das Gute" über "das Böse" siegen und jeder Mensch sich zum "Edelmenschen" entwickeln, wie auch die gesamte Menschheit am Ende das Ziel der Geschichte: Dschinnistan, erreicht haben wird. Man kann aus Mays Schriften, jedenfalls seinen späteren, nicht klar entnehmen, ob für den einzelnen Menschen nach seiner Ansicht Dschinnistan erst im Jenseits erreichbar sei; in seinem Werk "Und Friede auf Erden" liebäugelt er ein bißchen mit dem Gedanken der Seelenwanderung; für die Menschheit im ganzen scheint er aber doch ein irdisches Dschinnistan als Ziel angenommen zu haben. Dies bedeutete natürlich, daß aus seiner Sicht nicht nur Angehörige der weißen Rasse, sondern auch Indianer und Neger, Chinesen und Araber usw. alle auf dem Weg nach Dschinnistan unterwegs sind, dies bedeutete für ihn, daß alle Völker im Prinzip gleichwertig sind - niemand hat das Recht, vom Vorzug der eigenen Haut überzeugt zu sein, für alle hält der Schöpfer das gleiche Ziel bereit.


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Bei Mays Überzeugung handelt es sich nicht nur um eine "Welt-Anschauung", sondern um eine "Geschichtsphilosophie", über deren Naivität oder Nicht-Naivität von unserem heutigen Kenntnisstand aus natürlich diskutiert werden kann. Aber die Tatsache als solche kann nicht wegdiskutiert werden: Karl May hat der Geschichte eine (Natur-)Gesetzlichkeit zugrunde gelegt, wobei die Gesetzlichkeit selbst dem göttlichen Heilsplan entflossen sei.

Die Frage, die sich hier natürlich stellt, lautet, wo die Ursachen für Mays Weltsicht zu suchen sind. War er einfach ein Kind seiner Zeit? - Aber wer vertrat im Zeitalter des Kolonialismus schon den Standpunkt von der Gleichwertigkeit der Völker?! Lagen sie nicht vielmehr in seinem Wesen begründet, in seinen frühkindlichen Erfahrungen: War es die greise Großmutter, die dem blinden Knaben das "Märchen von Sitara" vorlas - eine allerdings nie bewiesene Behauptung des alten May? War es seine ständige Suche nach Liebe seit früher Kindheit? »Hier, in diesem Spannungsfeld aus Wirklichkeit und Zukunftswunsch, wird der Funke der Utopie gezündet«, schreibt Franz Baumer. »Dabei reicht der eine Pol des Utopischen tief in die Psyche, in Abgründe des Unbewußten hinab. Von dort steigen die großen Menschheitsträume als Ahnungen der Zukunft auf. Darum werden Utopien erst vom Hintergrund des Mythos aus verständlich. Mythen und Märchen sind Urschriften der menschlichen Seele, die nach Selbstverwirklichung drängt. Alle Utopien, auch die gesellschaftlichen und technischen, haben deshalb mythischen Grund.«(4) Und an anderer Stelle: »Es zeigt sich ..., daß das Utopische mit der Entwicklung des Bewußtseins in Verbindung steht. Je mehr aber das Bewußtsein zunimmt und die stärkste, ja eigentlich einzige Waffe des Menschen, die Ratio sich in die noch unerschlossenen Bezirke des Zukünftigen hinein vorwagt, desto schmerzlicher empfindet der Mensch auch sein Ungenügen und den Verlust einstiger vermeintlicher Geborgenheit. Er sehnt sich dann zurück auf eine naiv-magische Lebensstufe, auf der Ich und Welt noch eine Einheit sind. Der Wunsch zurück hinter das principium individuationis, zurück in den großen Uterus des noch ungeteilten einheitlichen Seins, steigt nunmehr aus den Tiefen unseres Unbewußten auf. Hier ist der Geburtsschoß, dem der Traum vom "Goldenen Zeitalter" entspringt ...«(5)

Entspricht diese Darstellung auch dem Mayschen Wesen? Die


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Entdeckungen von Bach und Wollschläger weisen in der Tat in diese Richtung.(6) Die Forschungen der letzten Jahre haben aber auch ergeben, daß May nicht nur ein Märchenerzähler gewesen ist, der allein aus tieferen Schichten seines Unbewußten geschöpft hat. Er besaß ein erstaunliches Tatsachenwissen, schrieb auch wacker aus Reisewerken und von anderen Erzählern ab, bewies viel Fingerspitzengefühl dabei, sich zeitgeschichtliche Ereignisse zunutze zu machen, um die Leser zu interessieren, und war im Umgang mit Verlegern durchaus geschäftstüchtig; kurzum, er war beinahe erschreckend häufig das gerade Gegenteil eines Träumers.(7)

Nun müssen sich beide Ansichten von Mays Wesen nicht widersprechen. Vielmehr machen die Forschungsergebnisse deutlich, daß - wie bei vielen Künstlern - die Spannweite seiner Psyche ungewöhnlich groß war. Deshalb trifft auch Wollschlägers Urteil: »Der Typus Dichter, dem May zuzurechnen ist, "denkt" ja im Grunde gar nicht oder kaum: er beschreibt die Gefühle, die ihn vor einem Begriff anfallen - und das dann allerdings mitunter in mächtig zelebrierten Bildern ...«(8) eben nur den "Träumer" Karl May, aber nicht den "Realisten", und es wäre in Anbetracht des vorliegenden Materials einseitig, Mays utopische Geschichtsphilosophie nur als Produkt tieferer Seelenschichten zu sehen und in dieser Richtung nach den Ursachen zu forschen. Eher scheint seine Psyche zwar wohl empfänglich für dergleichen Gedankengut gewesen zu sein; seine "Geschichtsphilosophie" war sicher durch sein Wesen, durch seine freudlose Kindheit, sein »gebrochenes Leben« geprägt - er bewies den "Aufstieg" des Menschen von Ardistan nach "Dschinnistan" für sich persönlich nicht nur einmal in seinem Dasein. Aber die Ursache dieser Weltsicht n u r hierin zu sehen, widerspräche dem inzwischen nachgewiesenen Bild vom "Realisten" Karl May. Hat er nicht vielleicht sogar von Philosophen "abgeschrieben", die seinem Wesen entsprachen? Roxin hat mit Recht darauf aufmerksam gemacht, daß Mays in seinen frühen Schriften geäußerten, umstürzlerischen Thesen an Feuerbach gemahnende Denkbemühungen seien(9), und Stolte hat nachgewiesen, welchen Nachhall die Philosophie Lessings, insbesondere seine Schrift "Die Erziehung des Menschengeschlechts" und das Schauspiel "Nathan der Weise", in Mays Denken und Werk gefunden haben.(10) Aus der "Erziehung des Menschengeschlechts" läßt sich eine Geschichts-


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philosophie allerdings nur nach reiflicher Überlegung und entsprechender Interpretation finden. May hat jedoch geschichtsphilosophische Gedanken schon als junger Schriftsteller an manchen Stellen sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. In seiner Erzählung "Der Boer van het Roer"(11) legt er seinem "Helden" Pieter Uys geschichtsphilosophische Äußerungen in den Mund, und seinen "Geographischen Predigten"(12) liegt ganz klar ein geschichtsphilosophisches Konzept zugrunde. Man kann die "Geographischen Predigten" je nach Geschmack noch immer als »gediegen nichtig« ansehen, die nicht viel mehr bewiesen, als daß May damals den »Umgang mit dem Konversationslexikon erlernte«(13), wenn sie auch mit Sorgfalt stilisiert seien, oder aber als Aufarbeitung psychischer Prozesse; oder man kann sich in der Überzeugung, daß Karl May eben auch ein "Realist" gewesen ist, auf die Suche nach dem geistigen Ahnherrn begeben. Dieser Weg soll im folgenden beschritten werden.

Der vorliegende Bericht wird sich zunächst etwas ausführlicher mit der Philosophie von Pieter Uys und den "Geographischen Predigten" befassen, weiter unten aber auch versuchen, den Bogen bis zu späteren Werken Mays zu spannen. Die Suche nach dem geistigen Ahnherrn führt m. E. zu Lessings Zeitgenossen und Goethes Freund Johann Gottfried Herder und seinen "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit". Die Ähnlichkeiten zwischen diesem Werk und den "Geographischen Predigten" sind zu auffällig, als daß sie übersehen werden könnten. Die These von der geistigen Verwandtschaft zwischen Herder und May soll im Rahmen dieses Beitrages zur Diskussion gestellt werden; weitere Forschungen mögen den hier mitgeteilten Hinweisen später noch mehr hinzufügen oder aber die These u. U. am Ende doch widerlegen.

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»Ich will Euch einmal ein großes weltgeschichtliches Gesetz sagen ...«, erklärt Pieter Uys.(14) »Es heißt: die Seeherrschaft - und also auch die Herrschaft über die Colonien - geht der Küste entlang.«

Später führt Uys seine Philosophie noch näher aus und weist insbesondere auf die weltgeschichtlichen Gesetze hin: »Unsere Naturkunde zerfällt in drei Theile: in die Kunde von den Naturerschei-


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nungen, den Naturkräften und den Naturgesetzen; ihre Aufgabe ist, zu zeigen, wie gewisse Naturkräfte nach gewissen unumstößlichen Naturgesetzen gewisse Naturerscheinungen hervorbringen. So auch die Geschichte. Sie hat zu lehren von den geschichtlichen Gesetzen, den geschichtlichen Kräften und den geschichtlichen Erscheinungen; sie hat nachzuweisen, daß gewisse geschichtliche Kräfte nach gewissen unumstößlichen geschichtlichen Gesetzen gewisse geschichtliche Erscheinungen zu Tage fördern ... Sagt mir, was findet Ihr in Euren Geschichtswerken? Eine Aufzählung derjenigen geschichtlichen Erscheinungen, derjenigen Ereignisse, welche sich in dem Zeitpunkte, von welchem aus wir erzählen können, theils wirklich zugetragen haben, theils zugetragen haben sollen. Ist das Geschichte? Das ist nur einfache Chronik; denn wo bleiben die geschichtlichen Kräfte und Gesetze? ... Was aber thut der Geschichtsforscher? Er sammelt die äußeren Thatsachen, reiht sie an einem beliebigen Faden auf ... und kann nichts über ihre Erzeugung und Entwicklung sagen ...«(15)

Diese Zitate weisen den May-Kenner unmittelbar zu den "Geographischen Predigten". Da heißt es an einer Stelle(16): Der Sterbliche wollte das Verborgene erkennen ...; deshalb mußte er den engen Horizont seiner ursprünglichen Heimath erweitern, mußte das Unbekannte suchen, nachdem er das Bekannte erforscht und begriffen hatte, mußte die Erde mit all' ihren Erscheinungen, Gesetzen und Kräften geistig zu erobern suchen ... Immer wieder ist von geschichtlichen Gesetzen die Rede: Wie das Dasein eines jeden einzelnen Menschen seinen Anfang, seine Richtung und sein Ende hat, so auch die Entwicklung ganzer Völker, des menschlichen Geschlechtes überhaupt, ja des großen irdischen Lebens im Allgemeinen.

»Die Entwicklung der irdischen Verhältnisse folgt dem Laufe der Sterne, geht also von Osten nach Westen«, heißt das erste und oberste Gesetz, nach welchem sich alle fruchtbringende Bewegung auf unserem Planeten regelt.(17)

Letztere Weisheit allerdings stammt nicht von Karl May, sondern von einem Philosophen, den man als den "Geschichtsphilosophen schlechthin" ansehen kann, nämlich von Hegel(18); Karl May hat die Quelle, aus der er hier schöpfte, verschwiegen. Aber ist Hegel Mays Lehrmeister gewesen? Sicherlich ließen sich Parallelen in der Aussage finden. Doch sind die Gegensätze unüberbrückbar. »Die Geschichte ist für Hegel entgegen Herders eudämonistischer


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Geschichtsdeutung "nicht der Boden des Glücks". Endzweck der Geschichte der Menschheit im ganzen ist vielmehr die Verwirklichung der Vernunft als Freiheit. Diesem Zweck der als Geschichte sich zu sich selbst bringenden Vernunft dienen unwissentlich die Völker wie die Individuen. Sie alle sind Momente des einen Prozesses des Weltgeistes in seiner alle Widersprüche in sich aufhebenden Dialektik. Jedes Individuum, jedes Volk hat seine Zeit und Stunde als Werkzeug der Vernunft, deren List es ist, sich ihrer Kräfte und Leidenschaften zu bedienen.«(19) Für May war das Endziel der Geschichte nicht die Verwirklichung der Vernunft, sondern die des "Edelmenschentums", der Humanität. Daß für Hegel Europa »schlechthin das Ende der Geschichte«(20) darstellte, konnte für einen Schriftsteller, der in seiner Phantasie auszog, die gesamte Erde und ihre Völker dichterisch zu "erobern", und der stets für die Gleichwertigkeit dieser Völker eintrat, niemals annehmbar sein. Hat er auch hier von Hegel "abgeschrieben" - diese Art von Geschichtsphilosophie war mit seinem Wesen nicht vereinbar.

In der Geschichte Gesetze zu suchen, eine Geschichtsphilosophie zu begründen, ließen sich - von wenigen Vorläufern abgesehen - zum ersten Mal in der Kulturgeschichte die Denker der Aufklärung angelegen sein. So verkündete Voltaire, er wolle eine Geschichte schreiben, »die darüber Gewißheit schaffen soll, wie die Menschen im Kreis ihrer Familie lebten und welche Künste sie gemeinsam pflegten ... Mein Gegenstand ist die Geschichte des menschlichen Geistes und nicht die ausführliche Aufzählung unbedeutender Tatsachen; auch mit der Geschichte großer Herren will ich nichts zu tun haben ...; aber ich will wissen, über welche Stufen die Menschen vom Zustand der Barbarei zur Zivilisation übergingen.«(21)

Nach seiner Ansicht boten die Historiker kaum mehr »als Verwirrung, einen Schwall winziger Begebenheiten, ohne Zusammenhang oder Folgerichtigkeit, tausend Schlachten, die nichts geklärt haben.«(22) Vergleicht man diese Aussage mit der von Pieter Uys, wie sie oben zitiert wurde, dann kann man sich des Gefühls nicht erwehren, als habe May hier Gedanken von Voltaire übernommen. War May mithin von Voltaire beeinflußt, hat er von ihm "abgeschrieben"? Aber auch das erscheint nicht plausibel. Voltaire widersprach zwar der Sammlung von Einzelereignissen; er suchte demzufolge nach dem "Gesetz" in der Geschichte, nach den sie bewegen-


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den Kräften. Aber er fand die Gesetze in den gesellschaftlichen, kulturellen und geistigen Kräften - Herder dagegen fand sie im göttlichen Heilsplan. - Und May schloß sich Herder an.(23)

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Herder beginnt in seinen "Ideen" mit der Darstellung des Planetensystems, beschreibt die Himmelskräfte und wendet sich dann der Erde mit ihren Kontinenten zu, um anschließend auf die Lebewesen und insbesondere den Menschen zu sprechen zu kommen. Genau dieselbe Reihenfolge hält May in den "Geographischen Predigten" ein. Und wie Herder eine weltliche Darstellung der "Schöpfung" gibt, in der die Bibel nur einen Stellenwert als "Dichtung" hat, so ist auch May der Wissenschaft verbunden und zitiert nur die packende Macht der biblischen Poesie.(24) Für Herder ist die Erde ein Stern unter Sternen, und diese Ansicht vertritt auch Karl May.(25)

Aber Herder versucht nicht, das Göttliche aus der Natur zu verbannen, vielmehr offenbart sich nach seiner Anschauung Gott in der Natur - dies ist der Leitgedanke seiner Philosophie wie auch von Mays "Geographischen Predigten" und seinen späteren Werken bis hin zu seinen Schlüsselromanen und Märchen, die er im Alter schrieb. Geschichte ist für Herder ein Naturprozeß, der durch die Vernunft erhellt werden kann, wobei in der Vernunft der göttliche Wille zum Ausdruck kommt. Gott ist die »Urkraft aller Kräfte«.(26)

Auch May spricht vom göttliche(n) Funke(n) in der Wissenschaft, der, einmal in Brand gesteckt, nie wieder auszulöschen sei(27), vom Geist des Menschen als dem Odem Gottes(28); und er schreibt: Es giebt keine Erscheinung der irdischen Natur, welche nicht unter dem bestimmenden und leitenden Einflusse jenes großen, erhabenen Geistes stände(29), nämlich Gottes. Nicht seine Gesetze sind es, sondern er selbst ist das Gesetz ... Nicht ein blinder Zufall ist es ..., sondern die bildenden und umgestaltenden Kräfte der Natur müssen ... einem allweisen und allgütigen Willen gehorchen.(30) Die Natur kennt eben keine Bevorrechtung, heißt es an anderer Stelle; was in ihre Reiche gehört, muß sich ihren Gesetzen beugen ... Diese Gesetze sind ewig dieselben ... Unter ihrem Befehle bildet die Schöpfung ein engver-


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bundenes, zusammengehöriges Ganze, zu welchem ohne Ausnahme alle Gestaltungen von der niedrigsten Materie bis zur höchsten geistigen Form gehören ...(31)

Herder verweist auf den inneren Plan in der Schöpfung, der sich z. B. in der »vollkommenen Bestimmung« jedes Samens, sich auf geheimnisvolle Weise in jeweils einen genau festgelegten Organismus zu entfalten, verdeutlicht.(32) Und May schreibt: Die Zauberkraft, welche aus Einem und Demselben so Verschiedenes, ja Entgegengesetztes bereitet, liegt schon im Keime des Samenkornes verborgen ...(33)

Nach Herder ist die Materie nicht Ausgangspunkt des Lebens in dem Sinne, daß sich das Leben aus der Materie entwickelt habe, sondern die Materie selbst ist lebendig. Und das kann man auch bei Karl May nachlesen: Selbst im scheinbar todten Steine (klopft) der Puls der großen, allgemeinen Bewegung.(34)

Herder stellt den Menschen einerseits deutlich über das Tierreich; von den Tieren unterscheidet sich der Mensch vor allem durch aufrechten Gang, Vernunft und Sprache. Aber in ihm sind auch die Eigenschaften der niedrigeren Lebewesen enthalten, und er muß wie diese um seine Existenz kämpfen.(35) Der Mensch, schreibt May, lacht der Zumuthung, im Gorilla, Orang-Utang oder Chimpanse seinen Urgroßvater zu erkennen, und doch ist er aus nichts Anderem gemacht und gestaltet worden, als aus den Elementen, aus welchen auch der Stein, die Pflanze, das Thier zusammengesetzt wurde. All' seine sogenannten Vorzüge verdankt er einer in ihm vollzogenen Entfaltung der in den vorhergehenden Wesensordnungen schlummernden Kräfte und Fähigkeiten, und wie sein Leib nichts Anderes als nur eine Veredelung des thierischen Körpers ist, so läßt sich die in ihm thätige seelische und geistige Krafi in absteigender Folge und ... Deutlichkeit an der ganzen Reihenfolge der erschaffenen Wesen nachweisen.(36) Auch Tiere und Pflanzen haben eine Seele(37), bei den Tieren erweist sich die Anpassung an die Natur als sehr zweckmäßig(38), und jede Tierart hat eine ihr charakteristische Stimme.(39) Die Tiere haben ein berechtigtes und wohlbegründetes Dasein zu führen ..., um einem weisen Schöpfungsplane zu dienen.(40)

Die vielfältigen Erscheinungen in der Welt sind nach Herder Ausdruck von Gottes einem Schöpfungsgedanken. Wir können nicht leugnen, heißt es bei May, daß der große Geist des Weltenalls


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die kleinste Flechte ebenso durchdringt, wie den gewaltigen Riesen des Waldes...(41) Jeder Gedanke der göttlichen Allmacht (muß) sofort Gestalt und Wesen annehmen und als Erschaffenes, als Creatur sich offenbaren.(42) Am Ende steht der Schluß, wie ihn Bitterli zieht(43), daß die Welt in Herders Sicht eine »anschauliche Rechtfertigung Gottes, eine Theodizee« darstelle. Und so ist auch May zu interpretieren: Die Gesetze, Kräfte und Erscheinungen der Natur sind nichts Anderes, als in die Zeitlichkeit getretene Gedanken des Ewigen, durch eine unfehlbare und allweise Logik zu einer Predigt verbunden, welche ebensowohl den strengen Ernst einer allwaltenden Gerechtigkeit, wie das Evangelium einer unendlichen Liebe verkündigt ...(44)

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Herder wendet seine Philosophie auf die einzelnen Völker der Erde an und lobt an jedem bestimmte Eigenschaften. Sein hervorragendes Geschichtswissen und seine langjährige Beschäftigung mit der Poesie der Griechen und Römer, der europäischen und orientalischen Völker ließen ihn bei allen Völkern einen spezifischen "Volksgeist" erspüren; er erkannte die Eigentümlichkeit, die Individualität der einzelnen Völker und sah den Ursprung dieser Individualität in den Lebensverhältnissen, wobei ihm die Anpassung der Völker an die jeweiligen Umstände ins Auge fiel. So findet er das Gesetz, »daß allenthalben auf unserer Erde werde, was auf ihr werden kann, teils nach Lage und Bedürfnis des Orts, teils nach Umständen und Gelegenheit der Zeit, teils nach dem angeborenen oder sich erzeugenden Charakter der Völker«.(45) Jede Epoche und jede Kultur hat ein eigenständiges Daseinsrecht, spiegelt Gottes Wesen auf seine Weise und findet ihren Sinn und Zweck in sich selbst; jede Entwicklungsstufe innerhalb der Geschichte besitzt Eigenwert, und Geschichtsbetrachtung ist weit mehr als eine Rekonstruktion singulärer Ereignisse. »Die Geschichte ist ein Spiegel der Menschen und Menschenalter, ein Licht der Zeiten, eine Fackel der Wahrheit ...«(46), und jede Kultur ist einmalig durch Sprache und Religion, Literatur und Kunst, Moral und Charakter; jede Kultur entwickelt sich bis zu einem Höhepunkt, um danach wieder zu


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verfallen, und die Beiträge der einzelnen Kulturen bereichern das Erbe der Menschheit.

Herder hat den Schritt zur Anerkennung der kulturellen Eigenständigkeit aller Völker und damit verbunden zur Toleranz gegenüber den andersartigen Nationen mit aller Konsequenz getan. Die primitiven Gesellschaften werden von ihm sogar wegen ihrer relativen Glückseligkeit herausgestellt.

May trat von seinen ersten bis zu seinen letzten Schriften gegen nationale Vorurteile und europäische Barbarei und für die Belange der fremden Völker ein. Herders Gedanke von der Abhängigkeit der Kulturen von den Lebensverhältnissen findet sich auch bei ihm. »Jedes irdische Geschöpf ..., jeder Mensch, jedes Volk und jede Nation darf nach der eigenthümlichen Weise ... sich entwickeln ..., je nach dem Boden, dem sie entstammen, und dem Himmel, der sich darüber breitet«, erklärt Pieter Uys.(47) Und in den "Geographischen Predigten" heißt es: Daß der Mensch in gewisser Beziehung von dem Boden abhängig ist, auf welchem er lebt, wissen wir; in Folge dessen ist es ihm wohl auch nicht möglich, sich dem Einflusse derjenigen Producte zu entziehen, welche dieser Boden hervorbringt.(48) Kühn und getrost behauptet May auch(49), daß ohne diese Abwechselung in der Bodengestaltung die Erde kein höheres, kein geistiges Leben zu beherbergen vermöchte ..., und es ist eine längst bewiesene Wahrheit, daß der Mensch nach der Entwickelung seines äußern und innern Wesens abhängig ist von dem Boden, auf welchem er lebt und mit dem er um die Befriedigung seiner Bedürfnisse zu ringen hat. Daraus folgt nothwendig eine körperliche und geistige Verschiedenheit zwischen dem Gebirgs- und dem Tiefländer.(50) Hier scheint man direkt Herder zu hören, der auch das Wort »Bedürfnis« benutzt und der die außerordentliche »Vielgewandtheit von Sitten und Künsten« in Europa auf die Bodengestalt zurückführt. Und auch seine Philosophie vom Eigenwert der Kulturen ist bei May nachzulesen: Seine Anfänge (des Volkes) sind klein, und sein Ursprung führt meist in das Dunkel der Verborgenheit zurück. Aber die ihm innewohnende Lebenskraft treibt es vorwärts ... so hat auch jedes einzelne Volk an einer Aufgabe zu arbeiten.(51) Aber wo liegt das Ziel der Geschichte des Menschen und der Völker?


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Es ist ... das Gesetz aller irdischen Entwickelung, daß der Weg zur Wahrheit durch den Irrthum geht und nur aus der Finsterniß zum Lichte führt, schrieb May schon in den "Geographischen Predigten". Die alte Tradition, welche den winzigen Erdball zum Hauptbeziehungspunkte alles Erschaffenen machte ..., hat der Ueberzeugung weichen müssen, daß der »Staubgeborne« nicht das Recht habe, sich die höchste Daseinsform zu nennen und daß die Erde nichts Anderes für ihn sei als nur eine der Stufen, auf welchen er zur Vollkommenheit emporschreitet. Diese Ueberzeugung demüthigt die Vermessenheit, welche sich dünkt, Gott gleich zu sein, und ermuntert den Menschen, zu trachten nach dem »das droben ist«, nach dem »Reiche Gottes«, welches weder Confession noch Dogma, sondern nur das eine, große, allmächtige Gesetz der Liebe kennt ...(52) Nur eine Macht giebt es, schreibt May an anderer Stelle(53), welche, über allen Parteien stehend, nach Milderung und Versöhnung strebt, sich allen religiösen und politischen Zerwürfnissen von Tag zu Tage immer mehr überlegen zeigt und den Menschenfreund veranlaßt, den Gedanken eines Völker-, eines Erdenfriedens festzuhalten: die Humanität.

Das Stichwort ist gefallen: die Humanität. Die Quelle dafür ist - trotz Toleranzidee und "Nathan der Weise" - nicht bei Lessing zu finden, sondern bei Herder.(54)

Allerdings sei betont: diese Aussage bedeutet natürlich nicht, daß hier Stoltes Arbeit über Lessings Einfluß auf May in den Hintergrund gedrängt werden soll; sie bedeutet also kein: entweder Lessing oder Herder, vielmehr haben offensichtlich beide, jeder auf sehr spezifische Art und Weise, auf May ihren Einfluß ausgeübt.

Nach Herder ist zwar der Mensch Höhepunkt der Schöpfung, aber nicht das Ende, sondern das »verbindende Mittelglied« zu einer anderen, einer unsichtbaren Welt. Erst in dieser Welt, in der weiter entfaltete Geisteskräfte wirksam sind, wird sich des Menschen wahre Bestimmung ergeben: das Ziel der Schöpfung, d. h. der Geschichte und des Menschen, ist die Verwirklichung des Geistigen in der Humanität. So ist auch das Erdenleben nur »Übungsplatz und Vorbereitungsstätte«, nur Durchgangsstadium(55) - nur eine "Stufe", um Mays und Herders Wort zu gebrauchen. »Bei wenigen


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Menschen ist die göttliche Humanität im reinen und weiten Umfange des Worts eigentliches Studium des Lebens; die meisten fangen nur spät an, daran zu denken ...«(56) Aber nur dem Menschen, da er über Vernunft und Freiheit verfügt, ist der Drang zur Humanität gegeben; sein Geist, der das höchste Produkt Gottes bzw. der Natur darstellt, ist unsterblich. Dieser Alles bewältigende Geist hat seine siegreiche Macht nur einem einzigen irdischen Wesen, dem Menschen, verliehen.(57) Nur der Geist hat eine ewige Berechtigung(58), auf Erden wird der unsterbliche Geist für kurze Zeit in irdische Gewandung gehüllt, um ihn zum Erklimmen einer höheren Daseinsstufe zu befähigen ... Der Tod ist nicht ein Aufhören alles Lebens, sondern nur der Uebergang aus einer Daseinsform in die andere.(59) Nach Herder wird sich die im Erdenleben sich bildende Knospe erst im jenseitigen Leben zur vollen Blüte entfalten können.

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Die Ähnlichkeiten zwischen den "Ideen" und den "Geographischen Predigten" sind unübersehbar. Machen sie aber wirklich evident, daß May Herder gekannt hat und von ihm unmittelbar beeinflußt worden ist? Lag nicht vielmehr Herders Philosophie damals "in der Luft", so daß May Gedanken von ihm verwenden konnte, ohne auch nur ein einziges Wort von ihm gelesen zu haben? Erklären sich nicht solche Übereinstimmungen ganz einfach daraus, daß jene Ideen Herders zu einem ganz allgemein und von jedem Gebildeten aufgenommenen Weltanschauungsgut des Idealismus geworden sind? Dies alles konnte man vermutlich 1860 im Lehrerseminar lernen. Die humanitären Anschauungen über den Wert der Naturvölker können mithin auch einfach aus der weltanschaulichen Quelle kommen, die mit Begriffen und Namen wie Aufklärung, Rousseau, Herder, Romantik usw. verbunden ist. Auch von den Kirchenkanzeln waren zahllose solcher Predigten zu hören, wenn auch sicherlich kaum über den Eigenwert heidnischer Völker - vielleicht nicht zu Unrecht urteilte Wollschläger jedenfalls lapidar über die »gediegen nichtigen« "Geographischen Predigten": »... allenfalls auf deutschen Kanzeln könnten sie heute noch Ehre


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einlegen.«(60) Es wäre also geradezu ein Wunder, wenn solche Ideen nicht an den jungen May gelangt wären. Unter den zitierten May-Stellen gibt es einige, die fast wörtlich mit Äußerungen Spinozas in der "Ethik" und im "Politischen Traktat" übereinstimmen.(61) Unter Umständen hat May Spinoza nicht einmal dem Namen nach gekannt, und doch war er ein "Spinozist", was natürlich auch irgendwie via Lessing gekommen sein mag - und daß May Lessing verbunden war, hat Stolte zweifelsfrei aufgedeckt.

Man kann aber auch anders argumentieren: Warum soll auszuschließen sein, daß May auf dem Lehrerseminar Herder ebenso gelesen hat wie Lessing? Herder als protestantischer Theologe wird dort willkommener gewesen sein als der wegen seiner religiösen Haltung immerhin umstrittene, wenn auch nicht verdammte Lessing. Warum sollte May nicht sogar die Idee zu den "Geographischen Predigten" unmittelbar von Herder empfangen haben, der ja Prediger war, und in dessen Spuren er dann hätte wandeln wollen?

Man sieht, hier dreht sich die Argumentation im Kreise. Ein Haupteinwand gegen die Herder-These könnte jedoch darin bestehen, daß May Herder in den "Geographischen Predigten" gar nicht erwähnt. Aber er zitiert auch Hegel, ohne ihn zu nennen, und führt Gedichte auf, ohne den Urheber in allen Fällen nachzuweisen. Wäre der Gedanke abwegig, daß May als junger Autor seine Eigenständigkeit hervorheben wollte, ohne irgendeine Quelle zu nennen? Er hat ja auch später seine "Philosophie" nie wieder in einer Form wie in den "Geographischen Predigten" niedergelegt, sondern sie gewinnt immer mehr an Eigenständigkeit. Das konkrete Werk Herders mag bei ihm auch im Lauf der Jahre in den Hintergrund getreten sein; es muß nicht einmal zu seiner Lieblingslektüre gehört haben, und daß es sich nicht in seiner Bibliothek befand, besagt auch nicht viel. Schließlich hat er 1876, kurz nach der Entlassung aus der Strafanstalt, als er die "Geographischen Predigten" vollendete, wohl kaum eine große Bibliothek gehabt - er kann aber Notizen aus der Gefängniszeit besessen haben. »Daß sich der Erzähler May über seine eigene Faszination durch Lessing und insbesondere dessen Werk "Nathan der Weise" sonst so beharrlich ausgeschwiegen hat«, schreibt Stolte, »hat gewiß seinen Grund darin, daß dergleichen Phänomene eben zu den esoterischen Antrieben schöpferischer Abläufe gehören, wenn man will: zu den Werkstatt-


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geheimnissen eines Schriftstellers, die er um so hermetischer in sich verschließt, je wichtiger sie ihm sind.«(62) Sollte das nicht auch oder gerade dann gelten, wenn man ein Konzept übernimmt?

Und: wie soll man erklären, daß die "Geographischen Predigten" hinsichtlich des Aufbaues genauso beginnen wie Herders "Ideen"? Nicht nur allgemein gehaltene Sätze ähneln sich, was man aus der »allgemeinen weltanschaulichen Quelle« erklären könnte, sondern, wie an sehr vielen Beispielen gezeigt wurde, sehr spezifische, bei denen man sich des Gefühls nicht erwehren kann, daß May hier tatsächlich "abgeschrieben" hat - wie bei den Lincoln-Reden im "Kanada Bill" oder vielen Einzelheiten in seinen Südamerika-Erzählungen.(63) Auch ist die "Humanität" als Ziel der Menschheitsgeschichte so klar wohl nur bei Herder herausgestellt(64); daß sich diese These auch bei May findet, gibt m. E. einen nicht zu übersehenden Hinweis darauf, daß Mays Werk über Lessing hinaus auf Herder deutet. Daß es sich nicht um ein "entweder Lessing oder Herder" handeln kann, wurde schon erwähnt, und bezüglich Lessing fällt ja bekanntlich besonders die Tatsache ins Gewicht, daß May Lessing in seinem Werk erwähnt hat.(65) Leider war es mir nicht möglich, in Mays Werk ein Herder-Zitat zu finden, womit allerdings nicht ausgeschlossen ist, daß May Herder nicht doch an irgendeiner Stelle seines Werkes nennt. Leichter hat es der Leser, der nicht die Originalausgabe von Mays Schriften kennt, sondern nur die durch den Bamberger Karl-May-Verlag bearbeitete; er kann in Mays Traktat "Über Freundschaft", das er für die Zeitschrift "Schacht und Hütte" verfaßte, nachlesen: »Herder meint: "Im Unglück erkennt man die Freunde".« Nur stammt diese Passage nicht von May, sondern von seinen Bearbeitern, eine in diesem Fall besonders bedauerliche Manipulation des Mayschen Werkes.(66) Dennoch erscheint es lohnend, Mays Aufsatz über die Freundschaft noch etwas weiter nachzugehen.

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Es ist immerhin bemerkenswert, daß sich Herder in seinen "Ideen" auch sehr deutlich über die Freundschaft geäußert hat, und wenn May schon in der Gesamtkonzeption seiner "Geographischen Pre-


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digten" von den "Ideen" beeinflußt war, so erscheint es nicht ausgeschlossen, daß er sich die Anregung zu seinem Traktat ebenfalls von Herder holte. Ein Vergleich zwischen dem Herderschen und dem Mayschen Text zeigt in der Tat Übereinstimmungen in den grundsätzlichen Aussagen, die wir uns etwas näher ansehen sollten.

Herder schreibt: »Gemeinschaftliche Gefahren endlich erwecken gemeinschaftlichen Mut: sie knüpfen also das dritte und edelste Band der Männer, die Freundschaft. In Lebensarten und Ländern, die gemeinschaftliche Unternehmungen nötig machen, sind auch heroische Seelen vorhanden, die den Bund der Liebe auf Leben und Tod knüpfen. Dergleichen waren jene ewigberühmten Freunde der griechischen Heldenzeit; dergleichen waren jene gepriesenen Scythen und sind allenthalten noch unter den Völkern, die Jagd, Krieg, Züge in Wäldern und Wüsteneien oder sonst Abenteuer lieben. Der Ackermann kennet nur einen Nachbar, der Handwerker einen Zunftgenossen, den er begünstigt oder neidet; der Wechsler endlich, der Gelehrte, der Fürstendiener - wie entfernter sind sie von jener eigengewählten, tätigen, erprobten Freundschaft, von der eher der Wandrer, der Gefangne, der Sklave weiß, der mit dem andern an e i n e r Kette ächzet. In Zeiten des Bedürfnisses, in Gegenden der Not verbünden sich Seelen ...«(67)

May seinerseits grenzt die Freundschaft von der Liebe ab und kommt zu dem Schluß: es ist schwierig, einen wahren Freund zu finden, noch schwie(ri)ger aber, sich denselben auch zu erhalten.(68) Man könnte versucht sein, die Parallelen beider Abhandlungen als Zufall abzutun. Aber z. B. die Kenntnis der Umwandlung von Lincolns historischen Reden auf niedrigeres "Frohe Stunden"-Niveau im "Kanada-Bill"(69) legt es nahe, zu prüfen, ob May nicht auch bei seinem Traktat über Freundschaft ähnlich vorgegangen ist.

Freundschaft bezeichnet Herder als das »edelste Band der Männer« - bei May heißt es: »Ein treuer Freund liebet mehr und stehet fester, denn ein Bruder«, sagt Salomo in seinen Sprüchen und stellt mit diesen Worten die Freundschaft in das rechte, wahre Licht. Herder spricht vom »Bund der Liebe auf Leben und Tod«; auch May greift das Wort vom Bunde auf. Herder erinnert an die »ewigberühmten Freunde der griechischen Heldenzeit« und die »gepriesenen Scythen«, und auch May erinnert an frühere Zeiten: Man sagt, daß wahre Freundschaft jetzt so selten sei. Ist diese Klage


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begründet ? - Das Alterthum zeichnet sich, je weiter zurück in desto höherem Grade, durch die Herrschaft der Gewalt, der physischen Kräfte aus. Jedermanns Hand war gegen Jedermann, und gar in vielen Fällen war es nur durch die Vereinigung mit Anderen möglich, sich zu behaupten und seine Rechte zu wahren. Eine solche Verbindung führte natürlich sehr leicht zu persönlicher Freundschaft, zu Freundschaftsbündnisse(n), welche sich in Sturm und Noth bewährten (Herder: »In Lebensarten und Ländern, die gemeinschaftliche Unternehmungen nötig machen, sind auch heroische Seelen vorhanden, die den Bund der Liebe auf Leben und Tod knüpfen«). Weiter heißt es bei May: Die Gefühle des Menschenherzens bleiben immer und ewig dieselben ... So ewig ist auch die Freundschaft des Menschen, und wenn die Gegenwart mit Begeisterung von den zahlreichen Fällen echter und aufopfernder Freundschaft der vergangenen Zeit spricht, so wird sicher die Zukunft ganz dasselbe von unseren jetzigen Tagen thun.(70)

Es scheint, als habe May Herders Gedanken aufgegriffen, allerdings für seine Absichten wieder einmal einfacher formuliert und mit einigen eigenen Ideen angereichert. So läßt sich auch Herders Aussage: »Der Ackermann kennet nur einen Nachbar, der Handwerker einen Zunftgenossen ... - entfernter sind sie von jener eigengewählten ... Freundschaft« vom Grundtenor her mit den Mayschen Sätzen vergleichen: Die Gegenwart erfreut sich einer geordneten Gesetzgebung und einer großen Anzahl von Institutionen (Einrichtungen), welche in Folge ihrer menschenfreundlichen Zwecke die Nothwendigkeit des engen und persönlichen Aneinanderrückens Einzelner aufheben ... Das Leben eines Jeden ist in geordnete Bahnen geleitet ... - Solche Freundschaftsbünde, welche sich in Sturm und Noth bewährten, so schreibt May auch, wurden von dem Dichter besungen, von dem Geschichtsschreiber verzeichnet, und er weist daraufhin, daß die Freundschaft mit Selbstbewußtsein und unparteiischem Auge prüft und ... nur nach ernster und reiflicher Erwägung ihre Hand zum Bunde darbietet. Auch Herder spricht von der »erprobten Freundschaft«, und über einen Freundschaftsbund, der sich in »Sturm und Not« bewährte und der vom »Dichter besungen« und vom »Geschichtsschreiber verzeichnet« wurde, konnte May bei Herder ebenfalls nachlesen:

In seiner Zueignung an seinen »besondern vertrauten und treff-


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lichen guten Freund«, den »edlen, hochgerühmten, starkmütigen und ehrenfesten Franz von Sickingen« schrieb Ulrich von Hutten: »Ohn Ursach ist das Sprüchwort "In Nöten erkennt man den Freund" nicht in Gebrauch kommen. Wahrlich darf niemand sagen, daß er mit einem Freund verwahret sei, er hab denn den in seinen notdürftigen anliegenden Sachen, dermaßen, daß er ihn inwendig und auswendig kenne, versucht und geprüft. Wiewohl nun der glückselig zu achten, dem nie vonnöten ward, einen Freund dieser Gestalt zu probieren, mögen doch auch sich die der Gnaden Gotts berühmen, so in ihren Nöten beständige und harthaltende Freund' erfunden haben.« Dieses Zitat findet sich bei Herder in seiner Schrift über den Ritter und Dichter Ulrich von Hutten, der ein Zeitgenosse und Mitstreiter Martin Luthers war und der erst von Herder wieder entdeckt und bekannt gemacht worden ist.(71) Der Dichter, von dem May sprach, könnte mithin Hutten, der Geschichtsschreiber Herder gewesen sein. Hat May für sein Traktat über Freundschaft auch hieraus geschöpft - hat vielleicht Herders Aufsatz über Hutten Mays Interesse für Herder geweckt? Denn so abwegig erscheint folgende Gedankenkette nicht: Protestantisches Lehrerseminar: das brachte Martin Luther als Lehrstoff mit sich und damit sicher auch Ulrich von Hutten - der Name Hutten aber ist mit dem Herders für immer verbunden. Übrigens wurde Huttens 350. Todestag 1873 begangen, als May unter Kochtas Einfluß stand, und seine Wiederentdeckung durch Herder wurde 1876 gerade hundert Jahre alt!

Mag der Denker unter dem Bannfluche seufzen und zum Märtyrer seiner Ueberzeugung werden, so ist es doch unmöglich, die Errungenschaften seines Geistes mit dem Interdicte zu belegen und die Idee, die ihn erleuchtete, lebt fort und geht auf andere Geister über, um unter Sturm und Drang immer weiter entwickelt und ausgebildet zu werden. So schreibt May schon zu Beginn seiner "Geographischen Predigten".(72) Es fällt das Stichwort vom Sturm und Drang - Herder wird der literarischen Epoche des "Sturm und Drang" zugerechnet -, ist das Zufall oder aber ein "durchgegangener", unbewußter Hinweis auf die Quelle?


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Wir können Mays Verhältnis zu Herder nicht beschreiben, ohne über Herder selbst wenigstens ein paar Sätze notiert zu haben. Daß er der literarischen Epoche des "Sturm und Drang" zugerechnet wird, ist eben erwähnt worden; wahrscheinlich war er sogar der bedeutendste Theoretiker dieser Ära. Die Urteile über ihn sind vielfältig. Neben Wilhelm von Humboldt (1767-1835) und Friedrich Heinrich Jacobi (1743-1819) galt Herder als der "dritte" und zugleich einflußreichste "Glaubensphilosoph" seiner Zeit - als vierter wurde Friedrich Schleiermacher (1768-1834) bezeichnet; neben Lessing wird er aber auch als der große Vorbereiter der deutschen Klassik und Romantik angesehen, als Verkünder und Klärer des christlichen Humanitätsideals. Er war all das und im Grunde noch vieles mehr.

Herder (1744-1803) stammte aus Ostpreußen; sein langjähriger Freund Goethe vermittelte ihm 1776 eine Stellung als Generalsuperintendent in Weimar; später wurde er Erster Prediger an der Stadtkirche in Weimar und Präsident des Oberkonsistoriums. Seine idealistische Humanitätsphilosophie hat den "Geist von Weimar" entscheidend mitgeprägt. Er war Dichter, Sprachforscher und Philosoph; im nachhinein betrachtet überwog bei ihm wohl der Philosoph, und seine Hauptverdienste liegen zweifellos in seiner Geschichtsphilosophie und seiner philosophischen Betrachtung der Sprache. Im Gegensatz zu früheren Auffassungen, nach denen die Sprache als übernatürliche Eingebung angesehen worden war, verteidigte er den Standpunkt, daß die Sprache menschlichen Ursprungs sei. Herder war biblischer Theologe, aber er suchte die dogmatische Theologie mit der historisch-kritischen zu verbinden. Er wurzelte natürlich in der Aufklärung, aber es ging ihm um die Versöhnung von Rationalismus und Supranaturalismus, und im Gegensatz zur Aufklärung entdeckte er auch im scheinbar Regellosen und Willkürlichen, wie es sich in mancher Kunst und Dichtung offenbarte, eine Schönheit; indem er aufzeigte, wie sie entstanden waren, welche geschichtlichen Voraussetzungen für ihre Bildung entscheidend gewesen waren, lehrte er gleichzeitig, sie zu verstehen; damit ebnete er auch den Weg für ein tieferes Verständnis der "Individualität" der einzelnen Völker, ihrer Kultur und Kunst.


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»Was ihn auszeichnete, war in erster Linie eine Begabung zum intuitiven Erfassen des Individuellen, Besonderen, Lebendigen in Geist, Geschichte und Sprache der Völker. Herder sammelte und übersetzte die Volkspoesie der Griechen, Römer, der orientalischen und europäischen Völker. Überall wußte er den besonderen individuellen oder Volksgeist zu erfassen. Diese seine Arbeiten hatten für das erwachende Nationalgefühl der Völker Osteuropas eine kaum zu überschätzende Wirkung.«(73)

Man hat Herder aber auch ganz negativ gesehen. So urteilt Rossmann über ihn: »Herder ist der enthusiastisch-naive Prediger einer physiologischen Theologie, mit der er gegen die Verstandeskultur der Aufklärung sich wandte. Mit seinen "Ideen ..." hat er dem Prinzip nach vorweggenommen, was allen späteren totalen Geschichtsauslegungen gemeinsam zugrunde liegt: die Determination des Menschen als Moment und Resultat zugleich eines anonymen Geschichtsprozesses im Ganzen. Seine physiologische Determination des Menschen als geschichtlichen Wesens bildete den Berufungsgrund zumal der nationalistischen und anthropologischen Ideologen von Carlyle und Gobineau über Houston Stewart Chamberlain bis in unsere Gegenwart und bewahrheitete Grillparzers Wort: von dieser Humanität zur Nationalität und Bestialität sei nur ein kleiner Schritt. Denn in Herders Reich der reinen Humanität, mit dem für ihn die Menschheitsgeschichte ihre vorgebliche Erfüllung findet, ist für den Menschen selbst kein Platz mehr.« Und an anderer Stelle: »Seinem Ideal der Humanität opferte Herder mit dem transzendenten Gottes- und Wahrheitsbegriff auch den Begriff der menschlichen Freiheit, ohne freilich dieser Konsequenzen seines ästhetisch-erbaulichen Monismus bewußt zu sein.«(74)

Mich aufs Glatteis der unterschiedlichen Auffassungen über Herder zu wagen, steht mir als Naturwissenschaftler gewiß nicht zu. Dennoch sei mir die Randbemerkung gestattet, daß die Kritik Rossmanns in dieser Einseitigkeit nicht zutrifft. Herder hat sich nämlich an einer Stelle sehr klar über das Spannungsfeld zwischen Determinismus und Freiheit geäußert.(75) Danach erscheint der Gegensatz auf höherer Ebene aufgehoben: der Mensch ist zwar in seinen Handlungen »frei«, aber dennoch wird er von einer überirdischen Ursache her gelenkt. Eine ähnliche Aufhebung des Gegen-


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satzes muß wohl auch Karl May vorgeschwebt haben, wenn er sich auch darüber nur selten konkret geäußert hat. Immerhin gibt es eine Stelle, an der es heißt: »Wohl dem Menschen, welcher dann erkennt, daß er zwar selbstbestimmend auf sein Schicksal einzuwirken vermag, daß aber doch eine mächtigere Hand ihn immer hält und leitet, selbst dann, wenn er diese Hand von sich zu stoßen vermeint!«(76)

Für Herder gleichermaßen wie für May und alle entsprechenden Geschichtsphilosophen gilt natürlich der Einwand Kants, »daß im Grunde jede Deutung der Menschheitsgeschichte im Ganzen als Bewegung zu einem Ziel in der Welt, zu einem imaginären Heilszustand auf Erden, ebenso müßig wie unmöglich ist.«(77) Doch ist es nicht Aufgabe des vorliegenden Aufsatzes, die Richtigkeit bzw. Nicht-Richtigkeit von Herders oder Mays Geschichtsphilosophie zu erweisen, sondern, Parallelen in den Anschauungen beider Geschichtsdeuter zu finden, und in dieser Hinsicht läßt sich noch weiteres Material beibringen.

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Kehren wir noch einmal zu Mays Erzählung "Der Boer van het Roer" zurück. An anderer Stelle(78) wurde darauf verwiesen, mit wieviel Herz der schwarze Begleiter des Ich-Erzählers, Quimbo, hierin geschildert wird. Auch in späteren Werken Mays taucht immer wieder ein "Quimbo" auf, ein humorvoller, etwas ungeschickter, aber um so treuerer Kamerad verschiedener "Herren". Gegen die Sklaverei hat sich May nicht nur in frühen Erzählungen, wie z. B. im "Kanada Bill", wo eine Farbige, eine "Freigelassene", eine Rolle spielt, gewandt, sondern mehrfach klagte er an, daß auf jeden brauchbaren Sklaven durchschnittlich drei andere Menschen kommen, welche dabei ermordet werden. Afrika verliert auf diese Weise jährlich zwei Millionen Geschöpfe, welche ebenso Gottes Ebenbild sind und Freude und Leid nicht weniger tief empfinden als wir, so heißt es in einer späteren Reiseerzählung(79); und die für die Jugend verfaßte Abenteuergeschichte "Die Sklavenkarawane" spricht als Anklageschrift gegen die Sklaverei für sich.

Es wäre sicher nicht gerechtfertigt, wollte man jede persönliche


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Überzeugung Mays auf einen "geistigen Ahnherrn" zurückführen. Es ist aber besonders auffallend, wie strikt sich gerade Herder gegen die Sklaverei gewandt hat. »In Europa ist die Sklaverei abgeschafft«, schreibt er sarkastisch(80), »weil berechnet ist, wie viel diese Sklaven mehr kosteten und weniger brächten als freie Leute. Nur eins haben wir uns noch erlaubt, drei Weltteile als Sklaven zu brauchen, zu verhandeln, in Silbergruben und Zuckermühlen zu verbannen; aber das sind nicht Europäer, nicht Christen, und dafür bekommen wir Silber und Edelgesteine, Gewürze, Zucker - und heimliche Krankheit ...« Aber ich klage die ganze sich »zivilisiert« nennende Menschheit an, daß sie trotz aller Religionen und trotz einer achttausendjährigen Weltgeschichte noch heutigen Tages nicht wissen will, daß dieses »Zivilisieren« nichts anderes als ein »Terrorisieren« ist! - So heißt es im gleichen Tenor bei May.(81)

Herder hat auch mehrere Gedichte geschrieben, in denen er gegen Kolonialismus und Sklavenhandel polemisiert, dies allerdings nicht allgemein oder theoretisierend, sondern am konkreten Fall. In jedem dieser Gedichte(82) steht ein Neger im Mittelpunkt, der sich durch besondere Treue gegenüber seinem Herrn auszeichnet oder aber von den Weißen grausam behandelt wird. So sind die "Neger-Idyllen" an Sarkasmus vielfach kaum zu überbieten; in dem Gedicht "Der Geburtstag", in dem geschildert wird, wie ein Sklave als Geschenk die Freiheit erhält, dagegen heißt es friedlicher(83):

Zum Guten auf und stirb in Friede. - Frei
Bist du und mußt es sein. Die Freiheit ist
Das höchste Gut. Gott ist der Menschen, nicht
Allein der Weißen Vater. Gäb er doch
In aller meiner Brüder Sinn und Herz,
Nach Afrika zu handeln, nicht daraus
Euch zu entwenden, euch zu kaufen und
Zu quälen! ...

In unserem Zusammenhang am interessantesten ist das Gedicht "Die Brüder".(84) Hierin wird geschildert, wie ein Neger und ein Weißer zusammen aufgezogen werden (»e i n e Brust / Hatt sie genährt«). Der Neger hält dem Weißen stets die Treue und glaubt sich auch von ihm geliebt. Aber irgendwann kommt der Zeitpunkt, da dieser aus nichtigem Anlaß dem Neger mit Folter droht und sich auf ihn, seinen bisher besten Freund, stürzt. Im Zweikampf wird er


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jedoch vom Neger besiegt - allerdings, statt seinen "Bruder" umzubringen, gibt sich der Neger im Triumph des Sieges selbst den Tod.

Mehrere Punkte in dem Gedicht sind auffällig. Die gemeinsame Erziehung der beiden erinnert an das Verhältnis von Mietje und Jan van Helmers. Der Name des Negers ist Quassi, und das ist von Quimbo nicht so weit entfernt. Und eine Stelle in dem Gedicht lautet:

... Doch als sein Herr ihn sah,
Ergrimmet wie ein Leu, der Blut geleckt,
Sprang er auf ihn. Der Arme floh. Der Tiger
Erjagt ihn; beide stürzen; stampfend kniet
Sein Herr auf ihm, ihm jede Marter drohend.

In der Erzählung "Der Boer van het Roer" ist aus Quassi ein "quasselnder Quimbo" geworden, der sich vor "Löwen" fürchtet, der von einem Straußen angegriffen wird und dessen "Herr" - der Erzähler - einen Zweikampf mit einem tatsächlichen "Tiger", in diesem Fall einem Leoparden, zu bestehen hat. Wer Mays Arbeitsweise bei seinen frühen Erzählungen kennt, wird diese Gemeinsamkeiten nicht ohne weiteres als Zufall abtun.(85) Seine Einstellung gegenüber den Negern hat sich zeit seines Lebens nicht mehr geändert. Alle seine sympathischen Negergestalten sind mehr oder minder "quasselnde Quimbos" geblieben.

Noch ein Beispiel sei als Hinweis dafür angeführt, daß May von Herder inspiriert gewesen sein mochte. In seinen Südamerika-Erzählungen spielt der Indianerstamm der Abipones eine wichtige Rolle.(86) Über ihn konnte May an mehreren Stellen in Herders "Ideen" nachlesen; hierin ist der Pater Dobritzhofer, der "Apostel der Abipones", zitiert, bemerkenswerterweise im Zusammenhang mit Schamanismus und Aberglauben, und wieder fällt das Stichwort "Tiger", das in diesem Fall als "Jaguar" zu interpretieren wäre und die Assoziation vom "Bruder Jaguar" nahelegt: »Ihr Väter«, sagt ein tapferer Abipone zu Dobritzhofer, »habt von unsern Sachen noch keine echten Begriffe. Die Tiger auf dem Felde fürchten wir nicht, weil wir sie sehen; da erlegen wir sie ohne Mühe. Die künstlichen Tiger (verkörpert durch einen Zauberer!) aber setzen uns in Angst, eben weil wir sie nicht sehen und also auch nicht zu töten vermögen.«(87)

Aber nicht nur über die Abipones, sondern im Grunde über alle


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Völker der Erde konnte May bei Herder nachlesen. Um ein Konversationslexikon zu gebrauchen, muß man die Stichworte kennen, unter denen man nachlesen will - die Stichworte und eine Fülle von Informationen hätte May unschwer aus Herders "Ideen" beziehen können. Ein detailliertes Studium von Herders Gesamtwerk würde wahrscheinlich noch mehr Übereinstimmungen zu Tage fördern, als im Rahmen der vorliegenden Arbeit zusammengestellt werden konnten. Wichtiger als solche Einzelheiten, die ohnehin nur "Hinweise" und keine "Beweise" sein können, erscheint mir die Übereinstimmung in der moralischen Grundhaltung, die in den "Geographischen Predigten" schon vorhanden ist und sich wie ein roter Faden durch Mays Gesamtwerk zieht. Wenn Herder schreibt(88): »Billig müssen wir, wenn wir zum Lande der Schwarzen übergehn, unsre stolzen Vorurteile verleugnen und die Organisation ihres Erdstrichs so unparteiisch betrachten, als ob sie die einzige in der Welt wäre. Mit eben dem Recht, mit dem wir den Neger für einen verfluchten Sohn Chams und für ein Ebenbild des Unholds halten, kann er seine grausame Räuber für Albinos und weiße Satane erklären, die nur aus Schwachheit der Natur so entartet sind, wie, dem Nordpol nahe, mehrere Tiere in Weiß ausarten. "Ich", könnte er sagen, "ich, der Schwarze, bin Urmensch. Mich hat der Quell des Lebens, die Sonne, am stärksten getränkt ... Alle Elemente wimmeln bei mir von Leben, und ich ward der Mittelpunkt dieser Lebenswirkung."«, so kann man ihm getrost Karl May mit einer Fülle an Zitaten an die Seite stellen: Man sage nicht, der Neger fühle nicht so wie wir; er fühlt sogar leidenschaftlicher als wir und kann dem Unglücke nicht den Trost entgegensetzen, den uns der Glaube an einen Gott der Liebe und der Weisheit gibt, heißt es im "Mahdi"(89); oder im "Surehand" läßt May seine Gestalt Harbour ausrufen: »Geht mir mit einer Civilisation, die sich nur vom Länderraub ernährt und nur im Blute watet! Wir wollen da gar nicht etwa nur von der roten Rasse reden, o nein. Schaut in alle Erdteile, mögen sie heißen wie sie wollen! Wird da nicht überall und allerwärts grad von den Civilisiertesten der Civilisierten ein fortgesetzter Raub, ein gewaltthätiger Länderdiebstahl ausgeführt, durch welchen Reiche gestürzt, Nationen vernichtet und Millionen und Abermillionen von Menschen um ihre angestammten Rechte betrogen werden?«(90) Und sarkastisch, im Tonfall an die "Neger-Idyllen" gemahnend, sagt Old


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Shatterhand zu Old Wabble: »Ich bin nicht höflich gegen Leute, welche ihre Nebenmenschen verachten. Wenn man Euch einmal in die Erde scharrt, wird aus Eurem weißhäutigen Leibe grad und genau so ein stinkiger Kadaver wie aus einer Negerleiche.«(91)

Bei der Würdigung dieser Zitate darf man nie übersehen, daß sie zu einer Zeit geschrieben wurden, als man allgemein über die farbigen Rassen im Zeitalter des Kolonialismus ganz anders dachte als Karl May. Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, daß es in dieser Zeit einiger Zivilcourage bedurfte, um Sätze wie die folgenden zu Papier zu bringen: »Ich ... habe unter den schwarzen, braunen, roten und gelben Völkern wenigstens ebenso viel gute Menschen gefunden wie bei den weißen, wenigstens sage ich, wenigstens!«(92) Oder an anderer Stelle: »Ein roter Mensch, sagen Sie? Das klingt wie verächtlich! Ich sage Ihnen, daß Gott der Vater und Schöpfer aller Menschen ist (»Gott ist der Menschen, nicht/Allein der Weißen Vater«, heißt es in dem oben zitierten Gedicht Herders); die Farbe der Haut macht keinen Unterschied. Ich habe Indianer kennen gelernt, vor denen sich tausend und hunderttausend Weiße schämen müßten«(93). Daß Herder die Indianer mit besonderer Sympathie beschreibt, braucht eigentlich gar nicht mehr sonderlich betont zu werden, und wenn May im Vorwort zu seinem "Winnetou" fragt: Was hätte diese Rasse leisten können, wenn man ihr Zeit und Raum gegönnt hätte, ihre inneren und äußeren Kräfte und Begabungen zu entwickeln?(94), dann scheint hier hinsichtlich der Begriffswahl wieder die Philosophie Herders Pate gestanden zu haben. »Jedes Volk hat nicht nur das Recht, sondern auch die volle Kraft, sich auszuleben. Und jedes Volk hat die heilige Pflicht, andere Völker sich ausleben zu lassen«(95). - Hier war sich May mit Herder einig. Aber May zog mit seinen Reiseerzählungen nicht nur aus, die Erde und ihre Völker mit seiner "Phantasie zu erobern" und die Achtung vor den Mitmenschen und -völkern zu predigen, sondern er hatte sich auch die Aufgabe gestellt, in seinen »Reiseerzählungen nachzuweisen, daß es in jedem Konflikt des Lebens keine dauernde Siegerin geben kann als nur die wahre Humanität, die wahre Menschlichkeit«.(96) So jedenfalls sah er es im Alter. Aber war es nicht doch Herder gewesen, der ihm das Ziel mit auf die Reise gegeben hatte? Hatte hier vielleicht die "Vorsehung" ihre Hand im Spiel gehabt?


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Wenn man Herders und Mays Gedanken über die "Vorsehung" vergleicht, wird man ein weiteres Mal durch die Ähnlichkeit überrascht. »Die Zeiten rollen fort«, schreibt Herder(97), »und mit ihnen das Kind der Zeiten, die vielgestaltige Menschheit. Alles hat auf der Erde geblüht, was blühen konnte, jedes zu seiner Zeit und in seinen Kreisen, es ist abgeblüht und wird wieder blühen, wenn seine Zeit kommt. Das Werk der Vorsehung geht nach allgemeinen großen Gesetzen in seinem ewigen Gange fort, welcher Betrachtung wir uns jetzt mit bescheidenem Schritt nähern.« Und an anderer Stelle: »Die Vorsehung selbst ist die beste Bekehrerin der Völker, sie ändert Zeiten, Denkarten, Sitten, wie sie Himmel und Erde, Kreise von Empfindungen und Umstände ändert ... Da die Vorsehung ... nie ohne Mittel handelt, so sind eben auch zu dieser "Umbildung der Kenntnisse durch Empfindungen" Menschen die edelsten Werkzeuge.«(98)

In Mays Werk spielt die "Vorsehung" eine außerordentliche Rolle; immer wieder wendet er sich dagegen, die Geschehnisse im Leben der Menschen als "zufällige Ereignisse" abzutun. Wie wunderbar die Fäden des menschlichen Lebens gesponnen werden! So fern die Maschen von einander liegen, es kommt ganz unerwartet ein Faden, der sie eng vereinigt. Wer sind die Arbeiter, die an unsern Webstühlen sitzen? Wir selbst? Wer liefert uns das Garn? Wer bringt es auf die Spule? Wer legt die Kette um den drehenden Rahmen? Wer legt die Muster auf? Wer lenkt das unermüdliche Schiffchen Tag für Tag, Stunde für Stunde, vom ersten bis zum letzten Augenblicke unserer Erdenzeit?(99), so schrieb May im Alterswerk. Aber sein Glaube an die Vorsehung, an den göttlichen Plan, läßt sich, wie geschildert, bis zu seinen ersten Schriften, wie den "Geographischen Predigten", zurückverfolgen, und damit wohl zu Herder: »Der Gott, der in der Natur alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet, der darnach das Wesen der Dinge, ihre Gestalt und Verknüpfung, ihren Lauf und ihre Erhaltung eingerichtet hat, so daß vom großen Weltgebäude bis zum Staubkorn, von der Kraft, die Erden und Sonnen hält, bis zum Faden eines Spinnengewebes nur e i n e Weisheit, Güte und Macht herrschet, Er, der auch im menschlichen Körper und in den Kräften der menschlichen Seele alles so wunder-


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bar und göttlich überdacht hat ... dieser Gott sollte in der Bestimmung und Einrichtung unsres Geschlechts im ganzen von seiner Weisheit und Güte ablassen und hier keinen Plan haben?«(100)

So ernsthaft Herder die These von der "Vorsehung" vertrat, so ernst war es ihm auch mit seiner Meinung von der "gerechten Strafe": »Das Gesetz der Wiedervergeltung ist eine ewige Naturordnung«, schreibt er in seinen "Ideen"(101), und der May-Kenner wird genügend Stellen finden, an denen May diese Überzeugung, die auch die seine gewesen ist, dichterisch umgesetzt hat. Der Tod Old Wabbles oder die Bestrafung der Mörder in der Erzählung "Ein Blizzard" sind nur zwei Beispiele dafür.

Freilich, hier ist abermals der Einwand am Platz, daß derartiges Gedankengut zu dieser Zeit allgemeines, von den Kanzeln herab gepredigtes Gedankengut gewesen sei; aber wir dürfen bei all diesen Hinweisen nie aus den Augen verlieren, mit welcher Konsequenz May solche Gedanken lebenslang vertrat und daß er sie schon zu Beginn seiner Schriftstellerkarriere seinen "Geographischen Predigten" zugrunde legte, die doch offensichtlich stark von Herder beeinflußt waren. Das Ziel der "Vorsehung": die Humanität hat May auch schon klar in diesem Werk herausgestellt, und an diesem Ziel der Menschheitsgeschichte hat er ebenfalls bis zu seinem Tode festgehalten.

11

Allmählich schließt sich der Kreis; der Bogen vom Alterswerk, vom "Märchen von Sitara" zu den "Geographischen Predigten" und wieder zurück ist geschlagen. »Nicht Krieg also, sondern Friede ist der Naturzustand des unbedrängten menschlichen Geschlechts«, schreibt Herder(102) sehr optimistisch. Und May ließ seine Gestalt Harbour ausrufen: »... Eure einzige Waffe soll nur die Liebe sein, und auf Eurem Banner darf man nur das Wort Versöhnung lesen. Wie es einen Menschen gab, welcher die erste Mordwaffe erfand, so wird es dereinst, so wahr ein Himmel über uns ist, auch einen Menschen geben, der die letzte Waffe zwischen seinen Fäusten zerbricht.«(103) Wenn Herder schreibt: »In großen Staaten müssen Hunderte hungern, damit einer prasse und schwelge; Zehntausende werden ge-


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drückt und in den Tod gejaget, damit ein gekrönter Thor oder Weiser seine Phantasie ausführe«(104), so äußerte er einen Gedanken, der auch May nicht fremd war; auch indem Herder eine Universalreligion und Universalkirche verkündet, in der »kein Jude noch Grieche, kein Knecht noch Freier, kein Mann noch Weib« sei, sondern in der »wir alle eins und einer« seien(105), so werden wir an Mays Alterswerk erinnert.

Die Stellen, an denen May in den den "Geographischen Predigten" folgenden Werken die "Humanität" als Ziel des Menschen und der Menschheit anspricht, sind zahlreich und werden im Alterswerk besonders häufig. Das Alterswerk insgesamt ist dem Gedanken des Friedens, der Menschenliebe und der Humanität gewidmet. Hier fand May endgültig zu seinen "Geographischen Predigten" zurück. Am Ende stehen Dschinnistan, das Reich Shen - der große Bund aller Derer, die sich verpflichtet haben, nie anders als stets nur human zu handeln(106) - und der sich über ganz Amerika und auch darüber hinaus verbreitende(n) »Clan Winnetou«, der von seinen Gliedern weiter nichts verlangt, als edle Menschen zu sein, die nur Liebe geben, weil nur diese allein den Menschen edel macht.(107)

Es wäre nun schon beinahe verwunderlich, wenn man ähnliches Gedankengut nicht auch bei Herder finden würde. »Die menschenfreundliche Denkart Christi«, so heißt es in der Tat bei ihm, »hatte brüderliche Eintracht und Verzeihung, tätige Hilfe gegen die Notleidenden und Armen, kurz, jede Pflicht der Menschheit zum gemeinschaftlichen Bande seiner Anhänger gemacht, so daß das Christentum demnach ein echter Bund der Freundschaft und Bruderliebe sein sollte«.(108) Auch Dschinnistan, Shen und Winnetou-Clan sind am Ende Synonyme für ein von Dogmen freies, wahrhaftiges und recht verstandenes Christentum, das für May wie für Herder vor allem aus der Ethik heraus lebt. "Zum ewigen Frieden" hieß im Anschluß an Kant auch ein Abschnitt in Herders "Briefen zu Beförderung der Humanität", der 1797 in der 10. Sammlung erschien.(109) Herder gliederte sich damit in die Reihe der Aufklärer ein, die bei dem Abbé de Saint-Pierre (1713-1717) begonnen und einen vorläufigen Abschluß bei Kant (1795) gefunden hatte. Dabei bediente sich Herder zur Umrahmung seines Entwurfes bestimmter Geschehnisse aus der Geschichte indianischer Stämme, nämlich der Irokesen. Diese hatten es im 16. Jahrhundert fertiggebracht, aus fünf ver-


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wandten, aber rivalisierenden Stämmen einen Bund mit einer föderativen Verfassung zu schaffen, von der sich die Väter der amerikanischen Verfassung in mancherlei Hinsicht inspirieren ließen. Bemerkenswerterweise spielen die Irokesen, speziell die Seneka, in Mays Reiseerzählung "Winnetou IV" eine Rolle. Die Führung dieser Stämme lag zum Gutteil in den Händen der Frauen. Und Herder beginnt seinen Entwurf mit den Worten: »Meine große Friedensfrau hat nur einen Namen: sie heißt allgemeine Billigkeit, Menschlichkeit, tätige Vernunft.« Und ihre Gesinnungen sind: Abscheu gegen den Krieg; verminderte Achtung gegen den Heldenruhm (»Wahrhaft große Männer pflegen nicht eher zu sterben, als bis sie wenigstens innerlich das erreicht haben, was sie erreichen wollten oder sollten«, sagt Old Shatterhand in "Winnetou IV" und fügt ironisch an: »Die sogenannten Helden des Krieges und der Schlachtfelder sind hiervon natürlich ausgenommen«(110)); Abscheu der falschen Staatskunst; geläuterter Patriotismus; Gefühl der Billigkeit gegen andre Nationen; über Handelsanmaßungen; Tätigkeit.

Irgendwie kann man sich des Gefühls nicht erwehren, alle diese Grundsätze auch in Mays Werk wiederzufinden. »Ja, die Geschichte sollte die Mutter der Politik sein!« ruft Pieter Uys aus.(111) »Was sind Eure sogenannten Politiker? Sie streiten sich um die Früchte von Bäumen, die sie nicht gepflanzt haben ... Ich sage Euch, Mynheer: erst dann, wenn unsere Erkenntniß hinuntergedrungen ist in jene geheimnißvollen Tiefen, aus denen von dem allmächtigen Schöpfer selbst angeordnete weltgeschichtliche Gewalten nach unumstößlichen weltgeschichtlichen Gesetzen weltgeschichtliche Thatsachen emporwachsen lassen aus dem Boden, dessen Produkte wir bisher hinnahmen, ohne uns ihrer Erzeugung zu bemächtigen, dann erst können wir sagen: wir haben Geschichte. Dann werden wir Herren der Ereignisse sein; dann werden wir dieselben zu machen, zu fabriziren verstehen, wie der Handwerker sein Werk und der Poët sein Gedicht. Dann wird die Geschichte das Kind Politik gebären, welches als Königin des Erdkreises demselben den ewigen Frieden (!) bringt und das Schwert in die Pflugschar verwandelt, denn der Streit, der Krieg wird zur Unmöglichkeit werden, da Jeder die Gesetze und Kräfte kennt, nach und mit denen der Andere wirkt und handelt.«

Aber Herder war auch wieder nicht zu optimistisch: »Wenn, wie


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ich fast glaube, ein ewiger Friede f ö r m l i c h erst am Jüngsten Tage geschlossen werden wird, so ist dennoch kein Grundsatz, kein Tropfe Öl vergebens, der dazu auch nur in der weitesten Ferne vorbereitet.«(112) Auch May kam in seinem Alterswerk zu dem Schluß: »Die Erde sehnt sich nach Ruhe, die Menschheit nach Frieden, und die Geschichte will nicht mehr Taten der Gewalt und des Hasses, sondern Taten der Liebe verzeichnen«(113) - Dschinnistan schien ihm also noch weit entfernt, und beklemmend fragt er immer wieder: »Wo ist die Humanität, die wahre christliche Liebe und Barmherzigkeit? Soll sie auch noch in der Gegenwart nur dem ketzerischen Samariter überlassen bleiben?«(114) Oder: »Ja, was lehrt man denn bei Euch sonst außerdem? Nicht Humanität? Nicht Menschenliebe und Menschenachtung?«(115) Beschwörend hatte er immer wieder betont: »Der Menschengeist hat nach höheren Zielen zu streben«(116), »das ganze Leben des Menschen soll ein Gebet zum Himmel sein.«(117) Aber er wußte am Ende seines Lebens auch, daß es nur ein frommer Wunsch gewesen war, daß die Menschen ganz anders geartet sind, als er es sich erhofft hatte; zum Schluß hat er sogar den Ersten Weltkrieg geahnt.

Vor dieser Diskrepanz hatte May schon bei der Abfassung der "Geographischen Predigten" gestanden, in denen er die Erreichung des Zieles in das Jenseits verlagerte - wie vor ihm schon Herder, der den Widerspruch zwischen Utopie und Wirklichkeit deutlich ahnte: »Bei wenigen Menschen ist die gottähnliche Humanität im reinen und weiten Umfange des Worts eigentliches Studium des Lebens ... Entweder irrte sich also der Schöpfer mit dem Ziel, das er uns vorsteckte, und mit der Organisation, die er zur Erreichung desselben so künstlich zusammengeleitet hat, oder dieser Zweck geht über unser Dasein hinaus, und die Erde ist nur ein Übungsplatz, eine Vorbereitungsstätte«(118), eben jenes Märdistan, von dem May geschrieben hat. »Der Mensch ward ein Pilger auf Erden, um ein Bürger des Himmels zu werden«, so heißt es entsprechend in "Am Jenseits"(119), und auch Dschinnistan ist - wie anfangs angedeutet - wohl erst im Jenseits zu suchen. Hier würde die "Menschenseele" ihr Entwicklungsziel erreichen.

May fühlte sich einerseits als Schriftsteller, der seine Werke nur in der Absicht schreibt, ein Prediger der ewigen Liebe zu sein und das Ebenbild G o t t e s im Menschen nachzuweisen(120), aber er wollte ande-


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rerseits über und für die "Menschenseele" schreiben - das Wort "Seele" stand für ihn vor allem in seinen letzten Lebensjahren im Mittelpunkt des Werkes - und auch hierbei klingt noch einmal Herders Gedankengut an.

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»Denn die Natur des Menschen ist K u n s t«, sagt Herder.(121) »Alles, wozu eine Anlage in seinem Dasein ist, kann und muß mit der Zeit Kunst werden.« Konkreter über die Dichtkunst äußerte er sich an anderer Stelle(122): »Jetzt bitte ich einige Dichter etwas beiseit, mit denen ich ein Wort zu sprechen habe. Wenn bei sinnlichen Begriffen, bei Erfahrungsideen, bei einfachen Wahrheiten und in der klaren Sprache des natürlichen Lebens der Gedanke am Ausdrucke so sehr klebt, so wird für den, der meistens aus dieser Quelle schöpfen muß, für den, der gleichsam der Oberherr dieser Sphäre gewesen (...), für ihn muß der Gedanke zum Ausdrucke sich verhalten nicht wie der Körper zur Haut, die ihn umziehet, sondern wie die Seele zum Körper, den sie bewohnet, und so ist's für den Dichter ... Nun, armer Dichter, und du sollst deine Empfindungen aufs Blatt malen ..., du sollst deine ganze lebendige Seele in tote Buchstaben hinmalen und parlieren, statt auszudrücken. Hier sieht man, daß bei dieser Sprache der Empfindungen, wo ich nicht sagen, sondern sprechen muß, daß man mir glaubt, wo ich nicht schreiben, sondern in die Seele reden muß, daß es der andre fühlt - daß hier der eigentliche Ausdruck unabtrennlich sei ... Wie sehr klebt hier alles am Ausdrucke, nicht in einzelnen Worten, sondern in jedem Teile, im Fortgange derselben und im Ganzen. Daher rührt die Macht der Dichtkunst in jenen rohen Zeiten, wo noch die Seele der Dichter ... nicht schrieb, sondern sprach und auch schreibend lebendige Sprache tönete; in jenen Zeiten, wo die Seele des andern nicht las, sondern hörte und auch selbst im Lesen zu sehen und zu hören wußte, weil sie jeder Spur des wahren und natürlichen Ausdrucks offenstand.«

Hier "horcht" der May-Kenner natürlich auf. Soll ein Buch seinen Zweck erreichen, so muß es eine Seele haben, nämlich die Seele des Verfassers. Ist es bei zugeknöpftem Rock geschrieben, so mag ich es


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nicht lesen, so heißt es kürzer, aber ähnlich bei Karl May.(123) Mehr als einmal hat er betont, daß ihm das, was er schrieb, einfach aus der Feder floß; er korrigierte auch nicht mehr, was er zu Papier gebracht hatte - es war ihm aus der "Seele" gekommen, und in die "Seele" seiner Leser wollte er auch eindringen, sie zum Mitschwingen anregen, für und über die "Menschenseele" und die "Menschheitsseele" wollte er schreiben - so jedenfalls sah er es in seiner Autobiographie: Der Geist ist das verzogene, eingebildete Lieblingskind, die Seele das zurückgesetzte, hungernde und frierende Aschenbrödel ... Für den Geist werden Millionen Bücher geschrieben, wie viele für die Seele? ... Wohlan, sage ich mir, so will ich es sein, der für die Seele schreibt ...!(124)

Interessant, was Herder über das "Hören" der Seele schreibt - stand nicht bei May auch das "Hören" so oft im Vordergrund seines Lebens und Werkes, angefangen von den Erzählungen der Großmutter für das blinde Kind bis hin zu den "Teufelskanzeln" in "Winnetou IV"? - Reichhaltiger Stoff jedenfalls für weitere Forschungen auf diesem Gebiet. Tatsächlich meint man, an dieser Stelle habe Herder den überwältigenden Leseerfolg Karl Mays schon vorab erklärt. Im Anschluß an das oben gegebene Zitat heißt es nämlich weiter: »Daher rühren jene Wunder, die die Dichtkunst geleistet, über die wir staunen und fast zweifeln, die aber unsre süße Herren verspotten und närrisch finden; daher rührt alles Leben der Dichtkunst, was ausstarb, da der Ausdruck nichts als Kunst wurde« (eine Kunst, zu der sich zugehörig zu fühlen, May am Ende seines Lebens von sich gewiesen hat, offensichtlich über seine eigene "Seele" besser im klaren als viele, die ihn zu deuten versucht haben), »da man ihn von dem, was er ausdrücken sollte, abtrennete; der ganze Verfall der Dichterei, daß man sie der Mutter Natur entführte, in das Land der Kunst brachte und als eine Tochter der Künstelei ansah ...«(125) Herder wußte um den Erfolg jener Dichtung, die, aus der "Seele" des Künstlers emporsteigend, zur "Seele" des Lesers spricht! In Mays Werk, so möchte man Herder beinahe ergänzen, erlebte dieser Typus von Dichtung eine Renaissance, einer Dichtung, die, wie es auch Hermann Hesse in Übereinstimmung mit Herder erahnte, »zu den ganz ursprünglichen gehört«.(126)


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Wir können die Frage, ob May Herder detailliert gekannt hat, nicht abschließend beantworten. Daß er von seinem Gedankengut beeinflußt war, erscheint aufgrund des hier vorgelegten Materials zumindest sehr wahrscheinlich. Auf jeden Fall bleibt die geistige Verwandtschaft, die Parallelität im Denken beider Persönlichkeiten, die mir zweifelsfrei erwiesen scheint, als ein denkwürdiges und rätselhaftes Phänomen bestehen. Die "Seelenverwandtschaft" zwischen beiden wird als eine in dieser Form wohl einmalige Erscheinung von der Literaturgeschichte zur Kenntnis genommen werden müssen. Beiden ging es darum, in der Geschichte der Menschheit eine Gesetzlichkeit nachzuweisen, beide verfochten als Ziel der Geschichte das "Reich der Humanität". Niemals, weder vor noch nach Herder, ist dieses Ziel von einem Schriftsteller ein zweites Mal so klar herausgestellt worden wie von Karl May. Am Ende seines Lebens hat May mit "Dschinnistan" den Angelpunkt der Weltgeschichte gefunden; aber schon zu Beginn seines Schaffens ließ er Pieter Uys ausrufen: »Statt der Concurrenz der Waffe wird die Concurrenz des Friedens walten, und die Entwickelung des Menschengeschlechtes wird auf Bahnen geleitet werden, die so hoch über unserer jetzigen Kenntniß liegen, daß wir von ihnen nicht die mindeste Ahnung besitzen. Bis dahin aber wollen wir eifrig nach jenen Tiefen forschen und in Demuth bekennen, daß wir noch Stümper sind!«(127) Auch in letzterer Aussage war sich May mit Herder einig; denn dieser bekannte: »... die Gedanken, die der Ewige uns in der Reihe seiner Werke tätlich dargelegt hat, ... sind das heilige Buch, an dessen Charakteren ich zwar minder als ein Lehrling, aber wenigstens mit Treue und Eifer buchstabiert habe und buchstabieren werde«.(128)

Bescheiden meinte Herder zum Abschluß der Vorrede zu seinen "Ideen": »Glücklich, wenn alsdenn diese Blätter im Strom der Vergessenheit untergegangen sind und dafür hellere Gedanken in den Seelen der Menschen leben.«(129) Und auch May, der die Herderschen Gedanken in populärer Form in die Seelen der Menschen gebracht hat, verweist am Ende seines Lebens auf einen besseren Nachfolger: »Was man Dir, dem Lebenden, nicht glaubt, das wird man mir, dem Verstorbenen, glauben müssen. Und wenn man das, was


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Du schreibst, nicht begreifen will, so gib ihnen das zu lesen, was ich geschrieben habe.«(130)



Mein besonders herzlicher Dank gilt den Herren Prof. Dr. Claus Roxin, Stockdorf, und Prof. Dr. Heinz Stolte, Hamburg, ohne deren kritische Hinweise und Anregungen die vorliegende Arbeit nicht in dieser Form zustande gekommen wäre. Zum Dank bin ich auch Herrn Hansotto Hatzig, Mannheim, verpflichtet, ohne dessen Zitatensammlung »Wer sich die Rose wünscht ...« (KMG-Presse, Ubstadt, 1976) die Zusammenstellung der Zitate für diesen Aufsatz wesentlich erschwert worden wäre. Schließlich danke ich auch Herrn Dr. W. Vinzenz, Maisach, der mich - wie stets - mit Rat und Tat unterstützt hat.

Die Zitate aus Karl Mays "Gesammelten Reiseerzählungen" entstammen der Freiburger Ausgabe 1892-1910 (jeweils abgekürzt mit den römischen Ziffern dieser Edition). Die Herder-Zitate entstammen den angegebenen Ausgaben. Auf die von Herder häufig verwendeten Hervorhebungen im Text wurde verzichtet, soweit sie nicht für den Sinn-Zusammenhang wichtig waren.



1 Vgl. hierzu z. B. Hans Wollschläger: Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens. Diogenes Verlag Zürich 1976, 70 f.; Heinz Stolte: Ein Literaturpädagoge. Untersuchungen zur didaktischen Struktur in Karl Mays Jugendbuch "Die Sklavenkarawane". Jb-KMG 1972/73, 1974, 1975, 1976.

2 Diese Meinung ist inzwischen in einer Vielzahl von Arbeiten vertreten worden, angefangen von Arno Schmidt in verschiedenen Veröffentlichungen, über Wollschläger a. a. O. (Anm. 1) bis zu den einschlägigen Publikationen der Karl-May-Gesellschaft in ihren Jahrbüchern. Auch in modernen Nachschlagewerken hat sich diese Ansicht mittlerweile durchgesetzt.

3 In: Karl May: Mein Leben und Streben. Freiburg i. Br. (1910); vgl. hierzu auch: Ekkehard Koch: Winnetou Band IV. Versuch einer Deutung und Wertung, Jb-KMG 1970 und 1971

4 Franz Baumer: Paradiese der Zukunft. Die Menschheitsträume vom besseren Leben. München-Wien 1967, 31

5 Baumer a. a. O. 34

6 Wolf-Dieter Bach: Fluchtlandschaften. Jb-KMG 1971, 39-73; Hans Wollschläger: »Die sogenannte Spaltung des menschlichen Innern, ein Bild der Menschheitsspaltung überhaupt«. Materialien zu einer Charakteranalyse Karl Mays. Jb-KMG 1972/73, 11-92, u. a.

7 Karl May wurde von verschiedener Seite Plagiat vorgeworfen. Sein Umgang mit Verlegern und benutzten Quellen ist in verschiedenen Arbeiten veröffentlicht worden, die in den Jb-KMG erschienen sind, zuletzt z. B. im Jb-KMG 1979 in den Arbeiten von Koch und Kosciuszko über Mays Südamerika-Erzählungen.

8 Wollschläger a. a. O. (Anm. 1), 140

9 Claus Roxin: Das zweite Jahrbuch. Jb-KMG 1971, 8

10 Heinz Stolte: Auf den Spuren Nathans des Weisen. Zur Rezeption der Toleranzidee Lessings bei Karl May. Jb-KMG 1977, 17 ff.

11 Der Boer van het Roer. Ein Abenteuer aus dem Kaffernlande von Karl May. Deutscher Hausschatz, 6. Jahrgang, Nrn. 8-12 (Nov.-Dez. 1879). Vgl. hierzu auch: Ekkehard Koch: Der Weg zum "Kafferngrab", in diesem Jahrbuch.

12 Karl May: Geographische Predigten, Ges. Werke, Bd. 72 "Schacht und Hütte", Bamberg 1968, 313 ff.; zit. nach Reprint, Hildesheim 1979

13 Wollschläger a. a. O. (Anm. 1), 49

14 Der Boer van het Roer, (vgl. Anm. 11) 126

15 Ebd. 127


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16 Geographische Predigten, im folgenden abgekürzt mit GP, vgl. Anm. 12, 424 ff., Reprint 262

17 Ebd. 429 f., Reprint 271

18 Vgl. hierzu: Deutsche Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers. Herausgegeben und eingeleitet von Kurt Rossmann. Sammlung Dieterich. Verlag Schibli-Doppler, Birsfelden-Basel, o. J., LV.

19 Rossmann a. a. O. LIII

20 Ebd. LV

21 Zit nach H. J. Störig: Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Stuttgart 1968, 253

22 Ebd.

23 Für die vorliegende Arbeit wurden folgende Werke Herders benutzt: Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 2 Bde. Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1965; im folg. abgek. als "Ideen", Herders Werke in fünf Bänden, ausgewählt und eingeleitet von Regine Otto. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 5., neubearbeitete Auflage 1978.

Die Interpretation der Philosophie Herders orientiert sich vor allem an: Urs Bitterli: Die "Wilden" und die "Zivilisierten". Die europäisch-überseeische Begegnung. München 1976; ferner an:

Will und Ariel Durant: Kulturgeschichte der Menschheit. Rousseau und die Französische Revolution, Bd. 31, Der protestantische Norden. Rencontre. Lausanne o. J.;

H. J. Störig a. a. O. (vgl. Anm. 21);

Kurt Rossmann a. a. O. (vgl. Anm. 18);

H. A. und E. Frenzel: Daten deutscher Dichtung. Chronologischer Abriß der deutschen Literaturgeschichte, 2 Bde. dtv 31966;

Fritz Schalk: Die europäische Aufklärung. In: Propyläen-Weltgeschichte (Universalgeschichte, 11 Bde., 22 Halbbde.) hrsg. v. Golo Mann. Frankfurt-Berlin-Wien 1976, Bd. 7

Lexikon der Ethik, hrsg. v. Otfried Höffe, München 1977;

Der Große Brockhaus u. a.

24 GP 325, Reprint 126

25 GP 319, Reprint 118

26 Es ist unmöglich, in diesem Rahmen alle dargestellten Thesen Herders ausführlich durch Zitate zu belegen. Hier wie im folgenden mögen einige wenige für eine Vielzahl stehen. Zur Quelle der Zitate vgl. Anm. 23!

"Ideen", Bd. 2, 248: »Dem sinnlichen Betrachter der Geschichte, der in ihr Gott verlor und an der Vorsehung zu zweifeln anfing, geschah dies Unglück nur daher, weil er die Geschichte zu flach ansah oder von der Vorsehung keinen rechten Begriff hatte.« Bd. 2, 249: »Der Gott, den ich in der Geschichte suche, muß derselbe sein, der er in der Natur ist; denn der Mensch ist nur ein kleiner Teil des Ganzen, und seine Geschichte ist, wie die Geschichte des Wurms, mit dem Gewebe, das er bewohnt, innig verwebet.« S. 250: »Vernunft heißt dieser Charakter der Menschheit; denn er vernimmt die Sprache Gottes in der Schöpfung; d. i., er sucht die Regel der Ordnung, nach welcher die Dinge zusammenhangend auf ihr Wesen gegründet sind. Sein innerstes Gesetz ist also Erkenntnis der Existenz und Wahrheit, Zusammenhang der Geschöpfe nach ihren Beziehungen und Eigenschaften. Er ist ein Bild der Gottheit, denn er erforschet die Gesetze der Natur, die Gedanken, nach denen der Schöpfer sie verband ...« S. 254: »Ich beuge mich vor diesem hohen Entwurf der allgemeinen Naturweisheit über das Ganze meines Geschlechts um so williger, da ich sehe, daß er der Plan der gesamten Natur ist. Die Regel, die Weltsysteme erhält und jeden Kristall, jedes Würmchen, jede Schneeflocke bildet, bildete und erhält auch mein Geschlecht ... Alle Werke Gottes haben ihren Bestand in sich ..., denn sie beruhen alle in ihren gewissen Schranken auf dem Gleichgewicht widerstrebender Kräfte durch eine innere Macht, die diese zur Ordnung lenkte. Mit diesem Leitfaden durchwandre ich das Labyrinth der Geschichte und sehe allenthalben


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harmonische göttliche Ordnung: denn was irgend geschehen kann, geschieht; was wirken kann, wirket. Vernunft aber und Billigkeit allein dauren, da Unsinn und Torheit sich und die Erde verwüsten.«

Bezüglich der Gesetze und Kräfte in der Natur heißt es in den "Ideen" u. a.: Bd. 2, 150: »In der physischen Natur zählen wir nie auf Wunder: wir bemerken Gesetze, die wir allenthalben gleich wirksam, unwandelbar und regelmäßig finden; wie ? und das Reich der Menschheit mit seinen Kräften, Veränderungen und Leidenschaften sollte sich dieser Naturkette entwinden?« - S. 151: »Die ganze Menschengeschichte ist eine reine Naturgeschichte menschlicher Kräfte, Handlungen und Triebe nach Ort und Zeit.« S. 206: »In der Naturwelt gehört alles zusammen, was zusammen und ineinander wirkt, pflanzend, erhaltend oder zerstörend, in der Naturwelt der Geschichte nicht minder.« - Bd. 1, 337: »Sofort werden uns auch die Prinzipien dieser Philosophie offenbar, einfach und unverkennbar, wie es die Naturgeschichte des Menschen selbst ist: sie heißen T r a d i t i o n und o r g a n i s c h e  K r ä f t e.«

Schon in der Vorrede zu seinen "Ideen" schreibt Herder (Bd. 1, 12 f.): »Gang Gottes in der Natur, die Gedanken, die der Ewige uns in der Reihe seiner Werke tätlich dargelegt hat: sie sind das heilige Buch, an dessen Charakteren ich zwar minder als ein Lehrling, aber wenigstens mit Treue und Eifer buchstabiert habe und buchstabieren werde ... Überall hat mich die große Analogie der Natur auf Wahrheiten der Religion geführt, die ich nur mit Mühe unterdrücken mußte, weil ich sie mir selbst nicht zum voraus rauben ... wollte ... Die Natur ist kein selbständiges Wesen, sondern G o t t  i s t  a l l e s  i n  s e i n e n  W e r k e n.«

27 GP 316, Reprint 117

28 GP 322, Reprint 125

29 GP 341, Reprint 149

30 GP 342, Reprint 149

31 GP 368, Reprint 181

32 Hierzu auch: "Ideen" (vgl. Anm. 23), Bd. 1, 54 ff.: »In den verschiednen Perioden der Menschheit, die ihr Schöpfer voraussah und die er selbst nach dem Bau unsrer Erde zu befördern scheinet, lag auch der Zustand, da der Mensch unter sich graben und über sich fliegen lernte ... Das Gewächsreich ist eine höhere Art der Organisation als alle Gebilde der Erde ... Die Pflanze hat eine Art Leben und Lebensalter, sie hat Geschlechter und Befruchtung, Geburt und Tod ... Es fällt in die Augen, daß das menschliche Leben, sofern es Vegetation ist, auch das Schicksal der Pflanzen habe. Wie sie wird Mensch und Tier aus einem Samen geboren, der auch als Keim eines künftigen Baums eine Mutterhülle fordert ... Unsre Lebensalter sind die Lebensalter der Pflanze: wir gehen auf, wachsen, blühen, blühen ab und sterben ... In alle diesem muß der Mensch höhern Gesetzen folgen, über die er so wenig als die Pflanze Aufschluß erhält, ja denen er beinah wider Willen mit seinen stärksten Trieben dienet ... Die Natur braucht Keime, sie braucht unendlich viel Keime, weil sie nach ihrem großen Gange tausend Zwecke auf einmal befördert ...«

33 GP 362, Reprint 173

34 GP 361, vgl. auch 381 f., Reprint 173 und 205

35 "Ideen" (vgl. Anm. 23), Bd. 1, 143: »Der Mensch hat den Königsvorzug, mit hohem Haupt, aufgerichtet weit umherzuschauen, freilich also auch vieles dunkel und falsch zu sehen, oft sogar seine Schritte zu vergessen und erst durch Straucheln erinnert zu werden, auf welcher engen Basis das ganze Kopf- und Herzensgebäude seiner Begriffe und Urteile ruhe; indessen ist und bleibt er seiner hohen V e r s t a n d e s b e s t i m m u n g nach, was kein anderes Erdengeschöpf ist: ein Gottessohn, ein König der Erde.« (Vgl. auch Anm. 32)

36 GP 369, Reprint 181

37 GP 417, 369, 373, Reprint 247, 181, 182. Ähnlich hat sich May auch noch in späteren Werken geäußert, z. B. XXV, 474 (Am Jenseits): Wahrlich, der Mensch sollte doch stets beherzigen, daß das Tier auch eine denkende und fühlende Seele besitzt, welche Liebe und Härte vielleicht tiefer empfindet und besser zu unter-


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scheiden weiß als wir alle denken! XVII, 78 (Mahdi II): Ein Tier ist ebenso Gottes Geschöpf wie der Mensch.

38 GP 388 f., Reprint 213, dazu auch Herder, "Ideen", Bd. I, 66: »Ich will mich in die allgemeinen Sätze nicht einlassen, daß jedes Tier sein Element, sein Klima, seinen eigentümlichen Wohnplatz habe ...«, sondern er wird sehr konkret wie auch May in den "Predigten".

39 GP 397 ff, 402, Reprint 222, 230

40 GP 411, Reprint 246

41 GP 373, Reprint 182

42 GP 380 f, Reprint 205

43 Bitterli a. a. O. (vgl. Anm. 23), 325

44 GP 381, Reprint 205

45 "Ideen", Bd. 2, 88; Herder bezeichnet das Gesetz sogar als »Hauptgesetz«; hierzu auch S. 150: »Was im Reich der Menschheit nach dem Umfange gegebner National-, Zeit- und Ortumstände geschehen kann, geschiehet in ihm wirklich ...«

46 Zit. n. Bitterli a. a. O. (vgl. Anm. 23), 320

47 Der Boer van het Roer, (vgl. Anm. 11), 126

48 GP 367, Reprint 174

49 GP 353, Reprint 158

50 GP 355, vgl. auch 356 f., 448, Reprint 165 f, 302

51 GP 432, Reprint 271. Bei Herder heißt es u. a. ("Ideen", Bd. 1, 263): »Da unsre Erde eine Kugel und das feste Land ein Gebürge über dem Meer ist, so wird durch vielerlei Ursachen auf ihr eine klimatische Gemeinschaft befördert, die zum Leben des Lebendigen gehöret.« - S. 264: »Durch den Bau der Erde an die Gebürge ward nicht nur für das große Mancherlei der Lebendigen das Klima derselben zahllos verändert, sondern auch die Ausartung des Menschengeschlechts verhütet, wie sie verhütet werden konnte.« - S. 308: »Der Boden gehörte jetzt nicht mehr dem Menschen, sondern der Mensch dem Boden.«

52 GP 318 f., Reprint 118

53 GP 468, Reprint 334

54 Über die "Humanität" hat sich Herder verschiedentlich in seinem Gesamtwerk geäußert, sehr klar speziell in seinen "Briefen zu Beförderung der Humanität", die 1793 bis 1797 erschienen. Hier soll jedoch nur aus den "Ideen" (Bd. 1) zitiert werden: S. 152: »Ich wünschte, daß ich in das Wort Humanität alles fassen könnte, was ich bisher über des Menschen edle Bildung zur Vernunft und Freiheit, zu feinern Sinnen und Trieben, zur zartesten und stärksten Gesundheit, zur Erfüllung und Beherrschung der Erde gesagt habe; denn der Mensch hat kein edleres Wort für seine Bestimmung, als er selbst ist, in dem das Bild des Schöpfers unsrer Erde, wie es hier sichtbar werden konnte, abgedruckt lebet.« Die Merkmale der Humanität sind: Friedlichkeit; »die Liebe zwischen zwei Menschen sollte human sein«; Mitgefühl mit anderen; Mutterliebe; (»Der Mensch ist also zur Gesellschaft geboren, das sagt ihm das Mitgefühl seiner Eltern, das sagen ihm die Jahre seiner langen Kindheit« (S. 157); Gerechtigkeit und Wahrheit (»ohne strenge Billigkeit und Wahrheit ist keine Vernunft, keine Humanität denkbar«); Wohlanständigkeit des Körpers; Religion (»Endlich ist die Religion die höchste Humanität des Menschen ... Religion ist also, auch schon als Verstandesübung betrachtet, die höchste Humanität, die erhabenste Blüte der menschlichen Seele. - Aber sie ist mehr als dies: eine Übung des menschlichen Herzens und die reinste Richtung seiner Fähigkeiten und Kräfte. Wenn der Mensch zur Freiheit erschaffen ist und auf der Erde kein Gesetz hat, als das er sich selbst auflegt, so muß er das verwildertste Geschöpf werden, wenn er nicht bald das Gesetz Gottes in der Natur erkennet und der Vollkommenheit des Vaters als Kind nachstrebet ... Der wahre Mensch ist frei und gehorcht aus Güte und Liebe, denn alle Gesetze der Natur, wo er sie einsiehet, sind gut, und wo er sie nicht einsiehet, lernt er ihnen mit kindlicher Einfalt folgen ...«) (S. 159 ff.)


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55 Im Anschluß an das in Anm. 54 gegebene Zitat heißt es weiter unten: »Wahre Religion also ist ein kindlicher Gottesdienst, eine Nachahmung des Höchsten und Schönsten im menschlichen Bilde, mithin die innigste Zufriedenheit, die wirksamste Güte und Menschenliebe.« Hieraus leitet Herder (S. 162) die »Unsterblichkeit der Seele« ab. »Denn eben diese unsre edelsten Kräfte sind so wenig für diese Welt: sie streben über dieselbe hinüber, weil hier alles der Notdurft dienet ... Hier knüpfte die Religion alle Mängel und Hoffnungen unsres Geschlechts zum Glauben zusammen und wand der Humanität eine unsterbliche Krone.« Weiter unten spricht Herder von der aufsteigenden Organisation zum Menschen hin. Vernunftfähigkeit, Freiheit und Humanität nennt er als Charakteristika des Menschen. »Je organisierter ein Geschöpf ist, desto mehr ist sein Bau zusammengesetzt aus den niedrigen Reichen.« Sind »unsichtbare Kräfte« für die Organisation verantwortlich? »Es herrscht also allerdings nicht nur ein Zusammenhang, sondern auch eine aufsteigende Reihe von Kräften im unsichtbaren Reich der Schöpfung, da wir diese in ihrem sichtbaren Reich, in organisierten Formen vor uns wirken sehen.« (S. 166) - »Was dies für die Unsterblichkeit der Seele tue? Alles, und nicht für die Unsterblichkeit unsrer Seele allein, sondern für die Fortdauer aller wirkenden und lebendigen Kräfte der Weltschöpfung. Keine Kraft kann untergehn«. An späterer Stelle heißt es (S. 185 f.): »Wir sahen, daß der Zweck unsres jetzigen Daseins auf Bildung der Humanität gerichtet sei ... Bei wenigen Menschen ist die gottähnliche Humanität im reinen und weiten Umfange des Worts eigentliches Studium des Lebens ... Entweder irrte sich also der Schöpfer mit dem Ziel, das er uns vorsteckte, und mit der Organisation, die er zur Erreichung desselben so künstlich zusammengeleitet hat, oder dieser Zweck geht über unser Dasein hinaus, und die Erde ist nur ein Übungsplatz, eine Vorbereitungsstätte ...« Und schließlich (S. 191): »Alles ist in der Natur verbunden: ein Zustand strebt zum andern und bereitet ihn vor. Wenn also der Mensch die Kette der Erdorganisation als ihr höchstes und letztes Glied schloß, so fängt er auch eben dadurch die Kette einer höhern Gattung von Geschöpfen, als ihr niedrigstes Glied an; und so ist er wahrscheinlich der Mittelring zwischen zwei ineinander greifenden Systemen der Schöpfung«, daraus folgt: »... also muß ihm eine Stufe bevorstehn, die so dicht an ihm und doch über ihm so erhaben ist, als er, mit dem edelsten Vorzuge geschmückt, ans Tier grenzet. Diese Aussicht, die auf allen Gesetzen der Natur ruhet, gibt uns allein den Schlüssel seiner wunderbaren Erscheinung, mithin die einzige Philosophie der Menschengeschichte.«

56 Vgl. das in Anm. 55 gegebene vollständige Zitat ("Ideen", Bd. 1, 186)

57 GP 443, Reprint 294

58 Ebd.

59 GP 492 f, Reprint 367. Vgl. hierzu auch die Herder-Zitate in Anm. 54 und 55

60 Wollschläger a. a. O. (Anm. 1), 49 f.

61 Persönliche Mitteilung von Herrn Prof. Dr. H. Stolte, Hamburg, an den Verfasser.

62 Stolte a. a. O. (Anm. 10), 30 f.

63 Vgl. Ekkehard Koch: Der "Kanada-Bill". Variationen eines Motivs bei Karl May, Jb-KMG 1976, 29-46; ders.: Zwischen Rio de la Plata und Kordilleren. Zum historischen Hintergrund von Mays Südamerika-Romanen. Jb-KMG 1979, 137-168

64 Bemerkenswerterweise wird im Lexikon der Ethik (vgl. Anm. 23) unter dem Stichwort "Humanität" bei den Quellenhinweisen nicht Lessing genannt, sondern Herder (ferner von den Zeitgenossen noch Kant). Auch bei den in diesem Band aufgeführten "Quellen der Ethik" erscheint Lessing nicht, sondern Herder (neben Kant und Schiller). Hier sollen noch einmal einige Zitate folgen, in denen Herder das Ziel der Menschheitsgeschichte besonders klar herausstellt: Bd. 2, S. 214 ff: »Ist indessen ein Gott in der Natur, so ist er auch in der Geschichte, denn auch der Mensch ist ein Teil der Schöpfung ... betrachten wir die Menschheit, wie wir sie kennen, nach den Gesetzen, die in ihr liegen, so


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kennen wir nichts Höheres als Humanität im Menschen« - »Was also in der Geschichte je Gutes getan ward, ist für die Humanität getan worden, was in ihr Törichtes, Lasterhaftes und Abscheuliches in Schwang kam, ward gegen die Humanität verübet, so daß der Mensch sich durchaus keinen andern Zweck aller seiner Erdanstalten denken kann, als der in ihm selbst, d. i. in der schwachen und starken, niedrigen und edlen Natur liegt, die ihm sein Gott anschuf ... blieb das Hauptgesetz der Natur kenntlich: "Der Mensch sei Mensch! Er bilde sich seinen Zustand nach dem, was er für das Beste erkennet"« - S. 224: »Der Verfolg der Geschichte zeigt, daß mit dem Wachstum wahrer Humanität auch der zerstörenden Dämonen des Menschengeschlechts wirklich weniger geworden sei, und zwar nach innern Naturgesetzen einer sich aufklärenden Vernunft und Staatskunst.« S. 244: »Alle bisherige Tätigkeit des menschlichen Geistes ist kraft ihrer innern Natur auf nichts anderes als auf Mittel hinausgegangen, die Humanität und Kultur unsres Geschlechts tiefer zu gründen und weiter zu verbreiten.«

65 Vgl. Stolte a. a. O. (Anm. 10), 30

66 Ges. Werke, Bd. 72, 263 f. Der Originaltitel des May-Aufsatzes lautet: »Freunde in der Noth / Gehn hundert auf ein Loth«, Schacht-und-Hütte-Reprint, 62-63.

67 "Ideen" Bd. 1, 322 f.

68 GW 72, 264, Reprint 63

69 Vgl. Koch: "Kanada-Bill" (Anm. 63)

70 GW 72, 264, Reprint 62-63

71 Herders Hutten-Aufsatz erschien in verschiedenen Versionen, zuerst 1776 im "Teutschen Merkur", später noch einmal 1793 in der fünften Sammlung seiner "Zerstreuten Blätter" als "Denkmal Ulrichs von Hutten". Das Zitat stammt aus der "Merkur"-Fassung (Herder in fünf Bänden, vgl. Anm. 23, Bd. 2, 327).

72 GP 316, Reprint 117

73 Störig a. a. O. (Anm. 21), 308

74 Rossmann a. a. O. (Anm. 18), 30 und XLI f.

75 "Ideen" (Anm. 23), Bd. 1, 144 f.: »Um die Hoheit dieser Bestimmung (ein "Gottessohn", ein "König der Erde" zu sein) zu fühlen, lasset uns bedenken, was in den großen Gaben Vernunft und Freiheit liegt und wieviel die Natur gleichsam wagte, da sie dieselbe einer so schwachen, vielfach gemischten Erdorganisation, als der Mensch ist, anvertraute. Das Tier ist nur ein gebückter Sklave ... (seine) noch nicht zur Vernunft gereifte Seele muß notdürftigen Trieben dienen ... Der Mensch ist der erste Freigelassene der Schöpfung: er stehet aufrecht. Die Waage des Guten und Bösen, des Falschen und Wahren hängt in ihm: er kann forschen, er soll wählen ... so hat er auch in sich die Macht, nicht nur die Gewichte zu stellen, sondern auch, wenn ich so sagen darf, selbst Gewicht zu sein auf der Waage ... Indessen ist er, auch seiner Freiheit nach und selbst im ärgsten Mißbrauch derselben, ein König. Er darf doch wählen, wenn er auch das Schlechteste wählte; er kann über sich gebieten, wenn er sich auch zum Niedrigsten aus eigner Kraft bestimmte. Vor dem Allsehenden, der diese Kräfte in ihn legte, ist freilich sowohl seine Vernunft als Freiheit begrenzt; und sie ist glücklich begrenzt, weil, der die Quelle schuf, auch jeden Ausfluß derselben kennen, vorhersehen und so zu lenken wissen mußte, daß der ausschweifendste Bach seinen Händen nimmer entrann; in der Sache selbst aber und in der Natur des Menschen wird dadurch nichts geändert. Er ist und bleibt für sich ein freies Geschöpf, obwohl die allumfassende Güte ihn auch in seinen Torheiten umfasset und diese zu seinem und dem allgemeinen Besten lenket ... so ist der Mensch im Irrtum und in der Wahrheit, im Fallen und Wiederaufstehen Mensch, zwar ein schwaches Kind, aber doch ein Freigeborner; wenn noch nicht vernünftig, so doch einer bessern Vernunft fähig; wenn auch nicht zur Humanität gebildet, so doch zu ihr bildbar.«

76 V, 87 (Skipetaren)

77 Rossmann a. a. O. (Anm. 18), XLII


//205//

(78) Koch: Der Weg zum "Kafferngrab", in diesem Jahrbuch

(79) X, 442 (Orangen und Datteln)

(80) Herder in fünf Bänden (Anm. 23), Bd. 3, 104 (Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit, 1774.)

(81) XXX, 278 (Und Friede auf Erden)

(82) Herder in fünf Bänden (Anm. 23), Bd. I, 30 ff: "Neger-ldyllen": Die Frucht am Baume; Die rechte Hand; Die Brüder; Der Geburtstag; Der Gastfreund. Ferner gehört noch das Gedicht "Zimeo" dazu. Die Gedichte wurden von Herder mit Ausnahme des "Gastfreundes", das erst 1801 in dem von Leopold Freiherr von Seckendorff herausgegebenen "Ostertaschenbuch von Weimar" erschien, im Rahmen des 114. Humanitätsbriefes veröffentlicht (1797).

(83) Ebd. 36

(84) Ebd. 33 f.

85 Vgl. hierzu auch die in Anm. 63 angegebene Literatur. Ferner sei daran erinnert, daß in der frühen Erzählung "Inn-nu-woh" (1875) ein Kampf zwischen dem Indianer und einem Tiger im Mittelpunkt steht. Zu Beginn der Erzählung wird der Indianer als "Nigger" beschimpft und erhält einen Peitschenhieb ins Gesicht. In dem Gedicht droht der Weiße dem Neger mit "Karrenstäupe", der entehrendsten Negerstrafe, die mit einer "Schändung der Haut" verbunden ist, wie es Quassi ausdrückt. Daß May in jungen Jahren, als es ihm noch an Erfahrung mangelte, aus den verschiedensten Quellen schöpfte, um sich Sujets zu besorgen, ist mittlerweile bekannt. Es ist also keineswegs auszuschließen, daß er sich auch von solchen Gedichten inspirieren ließ. Auch in späteren Jahren kam ähnliches noch vor. Man denke an die "Seehundsjagd" von 1891, bei der um einzelne Bilder eine Geschichte gesponnen ist, oder an die Reiseerzählung "Saiwa tjalem" (heute: "Der Talisman", in GW 23) von 1883, der ganz eindeutig ein Gedicht Heinrich Heines zugrunde liegt: »Am Ganges duftet's und leuchtet's / Und Riesenbäume blühn / Und schöne, stille Menschen / Vor Lotosblumen knien. / ln Lappland sind schmutzige Leute, / Plattköpfig, breitmäulig und klein; / Sie kauern ums Feuer und backen / Sich Fische und quäken und schrein.« Und bei den Lappen spielt denn auch die Geschichte. Daß Herder auch lappländische Gedichte in Deutschland bekannt gemacht hat, sei hier nur am Rande vermerkt.

86 Vgl. Koch: Zwischen Rio de la Plata und Kordilleren (wie Anm. 63)

87 "Ideen" (Anm. 23) Bd. 1, 295

88 Ebd. 221 f.

89 XVIII 152 (Mahdi III)

90 XIX, 127 (Old Surehand III)

(91) XIV, 241 f. (Old Surehand I)

(92) Ebd.

(93) May: Der Ölprinz (Stuttgart 1897), 82

(94) VII, 4 f (Winnetou I)

(95) XXX, 137 (Und Friede auf Erden)

(96) XXXI, 561 (Ardistan und Dschinnistan I)

(97) "Ideen", Bd. 2, 210

(98) Herder in fünf Bänden (Anm. 23), Bd. 3, 381 (Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele, Zweiter Versuch, insgesamt 3 Fassungen, 1774, 1775 und 1778)

(99) XXVIII, 288 (Silberlöwe III)

(100) "Ideen" (Anm. 23), Bd. 1, 10 f

(101) Ebd. Bd. 2, 184

(102) Ebd. Bd. 1, 313

(103) XIX, 128 (Old Surehand III)

(104) "Ideen", Bd. 1, 331 f.

(105) Herder in fünf Bänden (Anm. 23), Bd. 5, 46 (Briefe zu Beförderung der Humanität, Erste Sammlung, 1793)

(106) XXX, 324 (Und Friede auf Erden)


//206//

107 XXXIII, 617 (Winnetou IV)

108 "Ideen" (Anm. 23), Bd. 2, 298 f.

109 Herder in fünf Bänden (Anm. 23), Bd. 5, 180 ff., 183 ff.

110 XXXIII, 152 (Winnetou IV)

111 Der Boer van het Roer (vgl. Anm. 11), 127

112 Herder in fünf Bänden, Bd. 5, 189 (Briefe zu Beförderung der Humanität, Zehnte Sammlung 119)

113 XXXII, 633 (Ardistan und Dschinnistan II)

114 XXVIII, 341 (Silberlöwe III)

115 XXX, 321 f. (Und Friede auf Erden)

116 VIII, 510 (Winnetou II)

117 XIX, 468 (Old Surehand III)

118 "Ideen" Bd. 1, 185 f., vgl. auch Anm. 55

119 XXV, 303 (Am Jenseits)

120 XIX, 308 (Old Surehand III)

121 Herder in fünf Bänden, Bd. 5, 68 (Briefe zu Beförderung der Humanität, Zweite Sammlung 25)

122 Herder in fünf Bänden, Bd. 2, 45 ff. (Über die neuere deutsche Literatur, Dritte Sammlung, »In der Dichtkunst ist Gedanke und Ausdruck wie Seele und Leib und nie zu trennen«, 1767)

123 XIX, 342 (Old Surehand III)

124 Mein Leben und Streben (1910), 142 f.

125 wie Anm. 122, S. 47

126 Zit. n. Hans Wollschläger: Karl May. Reinbek 1965, 157

127 wie Anm. 111

128 "Ideen", Bd. 1, 12 f

129 Ebd. 14

130 XXXIII, 265 (Winnetou IV)


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