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EKKEHARD KOCH

Der Weg zum "Kafferngrab" ·
Zum historischen und zeitgeschichtlichen Hintergrund von Karl Mays Südafrika-Erzählungen



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Während die Eingeborenen des Caplandes dem Europäer bisher als unbefähigte Horden galten, erläutert Karl May zum geschichtlichen Hintergrund seiner Südafrika-Erzählung "Der Boer van het Roer", hat der jetzt noch wüthende Kampf zwischen den Engländern und Kaffern bewiesen, daß die Letzteren keineswegs zu verachtende Gegner seien; und wenn wir auch annehmen müssen, daß sie wie die Indianer Amerika's an dem grausamen Gesetze zu Grunde gehen werden, welches dem Kaukasier die Aufgabe ertheilt zu haben scheint, an dem Untergange seiner farbigen Brüder zu arbeiten, so steht zu vermuthen, daß der Anwohner der Kalahari sich ebenso wie der Wilde des amerikanischen Westens bis auf das Messer gegen seinen in jeder Beziehung übermächtigen Feind vertheidigen werde.(1)

Aber, so läßt May den Burenführer Pieter Uys schwermütig sagen: Auch die Buren »werden vom Cap verschwinden, weil wir uns an den Ureigenthümern desselben versündigt haben, und England wird uns folgen, und wenn seine Macht und Herrschaft hier Jahrhunderte lang im Wachsen blieb«.(2)

Die Geschichte hat bisher weder dem Erzähler noch Pieter Uys recht gegeben. Die Kaffern sind nicht verschwunden, sondern haben sich gewaltig vermehrt; und auch Buren und Engländer sind nach wie vor in Südafrika ansässig - eine Änderung ist nicht abzusehen, auch wenn die Vorgänge in Rhodesien möglicherweise auf einen Rückzug des europäischen Elementes in Südafrika deuten.

Es wäre natürlich abwegig und würde Karl May nicht gerecht, wollte man ihn an der historischen Elle messen. Doch ist es immer wieder interessant, neben dem psychologischen und geistigen Hintergrund seiner Erzählungen, wie er sich auch in seinen Südafrika-Abenteuern ausdrückt, auch dem historischen nachzuspüren.


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Unter Mays Abenteuer-Geschichten scheinen diejenigen, die in Südafrika spielen, kaum der Rede wert. Es handelt sich nur um zwei kleine Erzählungen. Die eine, "Der Africander", 1878 für die "Frohen Stunden" geschrieben(3), wurde zwar nicht vom Handlungskern her, aber um Einzelereignisse wesentlich bereichert und erschien dann 1879 unter dem Titel "Der Boer van het Roer" im "Deutschen Hausschatz".(4) Diese Erzählung wurde mit einigen wesentlichen Abänderungen 1897 in den Band XXIII der Gesammelten Reiseerzählungen "Auf fremden Pfaden" aufgenommen(5); darin befindet sie sich noch heute, nur heißt sie jetzt "Das Kafferngrab", aber ansonsten unterscheidet sie sich von der Vorlage nur geringfügig.(6)

Karl May hat sich mit dem Schauplatz Südafrika nur ganz kurz befaßt. Was ihm über die historischen Ereignisse bekannt war, hätte ausreichen können, eine Fülle von Abenteuern auf dem Südteil des Schwarzen Kontinents anzusiedeln. Aber wie seine Hinwendung zu Südamerika nur episodenhaften Charakter hatte(7), so fühlte er sich auch in Südafrika nicht heimisch. Einige historische Gestalten und Ereignisse kamen ihm als jungem Redakteur bei seiner Suche nach Sujets gelegen, als Staffage für seine Abenteuer zu dienen. Diese Arbeitsweise wurde schon früher im Zusammenhang mit der Erzählung "Der Kanada Bill" beschrieben, die zur selben Zeit entstand.(8) Mays Technik ist in beiden Fällen ähnlich. Die Kurzfassung beider Abenteuer findet sich in den "Frohen Stunden", die erweiterte und ausgefeiltere Form zeitlich danach im "Deutschen Hausschatz". Die Abenteuer sind jeweils um historische Gestalten gesponnen. Und wie die Erzählung "Vom Tode erstanden" teilweise von Gerstäcker übernommen ist(9), so hat auch die Südafrika-Geschichte Mays eine literarische Quelle, nämlich die Geschichte "Die Burenfamilie von Klaarfontein" von Pfarrer Wilhelm Örtel von Horn.(10)

Darüber hinaus gehört das Abenteuer sogar zu den Erzählungen, die dem Kritiker Pater Ansgar Pöllmann dazu dienten, May Plagiat zu unterstellen. Danach habe May aus dem "Handbuch der Geographie" von Hermann Albert Daniel (Leipzig 1870) abgeschrieben.(11)

So hätten - oberflächlich gesehen - die Darstellungen, die Kipp, Stenzel und neuerdings auch Hammer(12) von Mays Buren-Abenteuer gegeben haben, zusammen mit einem kurzen Hinweis auf die


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Ähnlichkeit der Mayschen Vorgehensweise zum "Kanada Bill" und den Südamerika-Erzählungen, genügen können, die Südafrika-Geschichten erschöpfend zu analysieren. Aber es fällt ohne weiteres auf, daß Mays Buren-Abenteuer einige Besonderheiten enthält, angefangen schon damit, daß seine Erläuterungen bezüglich der Geographie und Volkskunde in der Afrika-Erzählung breiter angelegt sind.

Wie der vorliegende Aufsatz erweisen wird, ist denn auch die Südafrika-Geschichte hintergründiger, als es auf den ersten Blick erscheint.

Im folgenden sollen der geschichtliche Rahmen sowie die schriftstellerische Bearbeitung des Themas näher untersucht werden; der geistige Hintergrund kann dabei nur angedeutet werden - hier führt nämlich Mays Südafrika-Intermezzo weit über den speziellen Schauplatz hinaus; und dieser Aspekt des Buren-Abenteuers muß einer eigenen Untersuchung(13) vorbehalten bleiben.

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Wie eine riesige Sphinx, deren Räthsel seit Jahrtausenden ihrer Lösung harren, liegt an der südlichen Spitze der alten Welt und bespült von zwei mächtigen Oceanen die an Gegensätzen ebenso wie an Geheimnissen reiche Ländermasse von Afrika.(14) Diese Geheimnisse zu entschleiern, brachen schon in alter Zeit Seefahrer von Europa nach Süden auf, bis es dann im 17. Jahrhundert zur Landnahme in Südafrika kam. Am Beginn seiner Erzählung macht Karl May den Leser ein wenig mit dem geheimnisvollen Kontinent vertraut, indem er einige Details über die geographischen Verhältnisse und die Erforschungsgeschichte berichtet. Seine Angaben dazu sind richtig; der ägyptische König Necho, der Karthager Hanno, der Kyzikaner Eudoxos - sie haben wirklich gelebt und die ihnen von May zugeschriebenen Taten vollbracht.(15) Auch den von Karl May erwähnten König Josaphat hat es gegeben; er war, wie May sowohl in der "Frohen Stunden"- als auch in der "Deutscher Hausschatz"-Fassung seiner Erzählung richtig angibt, ein jüdischer König. In die Buchfassung (Bd. 23) ist er allerdings - vermutlich infolge eines überlesenen Druckfehlers - als indischer König


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eingegangen, und da das auch die Bearbeiter - aus welchen Gründen auch immer - nicht mehr änderten, kann sich der aufmerksame Leser noch heute wundern, wie ein indischer König zu der Ehre gekommen ist, in der Bibel im 1. Buch der Könige genannt zu werden.(16)

Nachdem portugiesischen Seefahrern - Bartholomäus Diaz und Vasco da Gama, wie May richtig angibt - die Umschiffung des Kap der Guten Hoffnung gelungen war, kamen auch bald Kolonisten an das Kap. Es waren Holländer, Angehörige einer Nation, die zu jener Zeit den Portugiesen in Seefahrt und Handel ernsthafte Konkurrenz machte. Aber sie kamen nicht im Jahre 1600, wie May schreibt, sondern im Jahre 1602(17), und auch dieses Jahr gilt nicht als das entscheidende Jahr der Niederlassung im Kapland. Von 1617 bis 1645 versuchte die holländische Ostindienkompanie, in der nicht besonders günstigen St. Helena-Bucht Fuß zu fassen.(18) Doch als das Jahr der holländischen Besitznahme von Südafrika gilt 1652, als Jan van Riebeck das spätere Kapstadt gründete.(19) Mit seinem Namen, nicht mit dem eines Seekapitäns van Kisboek (oder Kisbock), den May erwähnt, wird die erste holländische Niederlassung in Südafrika verbunden bleiben.

Wie May richtig schreibt, warfen die niederländischen Einwanderer, Boers genannt, ... die Hottentotten zurück, drangen nach und nach bis zu den Kaffern vor und rangen auch diesen eine Strecke Landes nach der andern ab.(20) Aber nicht schon 1714 erschienen - wie er mitteilt - die Engländer auf dem Plan, sondern erst 1795, als Holland im Nachspiel zur Französischen Revolution zu einem Departement der Französischen Republik geworden war und die holländische Ostindienkompanie Großbritannien um den Schutz ihrer Seewege und Stützpunkte bat. Nach einigen Jahren des Tauziehens und verschiedener Vertragsabschlüsse gelang es den Engländern, im Jahre 1806 ihre Macht am Kap zu festigen. Im Londoner Vertrag 1814 - den May vermutlich meinte - wurden die Bürger Kapstadts Untertanen der britischen Krone. Und dies zog dann tatsächlich eine Zufuhr englischer Colonisten nach sich, welche die holländischen Boers in jeder Weise beeinträchtigten, und es entstand zwischen Beiden eine Feindseligkeit, die in den Kämpfen der Colonie mit den Eingeborenen eine sehr bedeutende Rolle spielt.(21)

Hier endet die Darstellung des historischen Hintergrundes in der


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Erzählung "Der Africander". In dieser Form übernommen, aber weiter ausgeführt wird er in der Version "Der Boer van het Roer" im "Deutschen Hausschatz": Der berühmte Kaffernhäuptling Tschaka, mit Recht der Attila Südafrika's genannt, hatte zahlreiche Kaffernstämme unter seine Botmäßigkeit gebracht und ihnen eine kriegerische Verfassung gegeben, welche ihre Widerstandsfähigkeit gegen die Europäer um das Zehnfache vergrößerte. Dingaan, sein Bruder, überfiel und tödtete ihn, um die Herrschaft an sich zu reißen, und nun begann zwischen ihm und den Boers eine Reihe von Kämpfen, in denen die Boers, außerdem noch angefehdet durch die Ungerechtigkeit und Vergewaltigung der englischen Regierung, Wunder der Tapferkeit verrichteten.(22) Am Ende der Erzählung heißt es: Später constituirten sich die Boers wirklich als Batavisch-Afrikanische Maatschappij, welche sich freilich gegen die heimlichen und offenen Angriffe der Engländer nicht lange zu halten vermochte. Der biedere, kraftvolle Boer wird verschwinden vom Caplande, wie es ... Uys ... geweissagt hat.(23)

Eine weitere Bereicherung des historischen Hintergrundes erfuhr die Erzählung schließlich in der Buchfassung. Um den Anschein eigenen Erlebens zu erwecken, mußte May seine Geschichte in den sechziger oder siebziger Jahren ansiedeln. Er ersetzte daher Dingaan durch den ebenfalls historischen, aber Ende der siebziger Jahre aktuellen Sikukuni und führte, nachdem er auf die von den Buren verrichteten Wunder der Tapferkeit verwiesen hatte, weiter aus: Später beabsichtigte die Transvaal-Republik den Bau einer Eisenbahn nach der Delagoabai; da sie aber durch diesen Schienenweg wirtschaftlich unabhängig geworden wäre, so suchte England die Ausführung dieses Planes unmöglich zu machen, indem sie den Kaffernhäuptling Sikukuni zum Aufstand gegen die Boers reizte, ihn mit den dazu nötigen Waffen versah und dann die dadurch geschaffene Lage als Vorwand nahm, »zum Schutze des Christentums« die Republik zu annektieren. Um diese Zeit geschah, was ich erzähle.(24)

Und das Ende der Erzählung wurde noch durch den Satz ergänzt: Daß die Boers dann den Engländern noch mehrere Schlappen beibrachten, ist bekannt; der dadurch gerettete Staat wurde »Südafrikanische Republik« genannt.(25)


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Werfen wir nun einen Blick auf die Chronologie der Ereignisse(26), um Mays Erzählung zeitlich richtig einzuordnen und entsprechend würdigen zu können.

Die Kriege zwischen Kaffern und Buren bzw. Engländern erhielten eine dramatische Wende mit dem Auftreten der Zulu. Dieser in früheren Zeiten unbedeutende Stamm, der am Ostabhang der Drakensberge im heutigen Natal lebte, errang sich plötzlich innerhalb weniger Jahrzehnte die absolute Vorherrschaft in weiten Teilen Südafrikas, vernichtete und zerstreute ganze Völkerschaften, verwüstete riesige und bis dahin fruchtbare Gebiete und löste Völkerwanderungen und damit verbunden zahlreiche blutige Kriege bis zum Kap im Süden und bis hinauf zum Viktoriasee im Norden aus.(27)

Zu Ende des 18. Jahrhunderts wurden die Zulu von Senzangakona geführt, dem 1787 ein Sohn namens Tschaka geboren wurde. Vom Vater verstoßen, wurde Tschaka von seiner Mutter zu dem benachbarten Stamm der Tetwa gebracht und damit wahrscheinlich vor dem Tod gerettet. Das Motiv der Flucht von Mutter und Kind vor einem brutalen Negerhäuptling, das sich in der Erzählung W. O. von Horns ebenso findet wie bei Karl May (vgl. Anm. 10), mag hierin eine Quelle haben.

Dingiswayo, der Tetwa-Herrscher, ließ Tschaka militärisch erziehen, und der Ruhm des jungen Mannes als Krieger war bald so groß, daß Tschaka nach seines Gönners Tod von der Armee zum Nachfolger gewählt wurde - wobei es allerdings wahrscheinlich ist, daß er sich vorher der eigentlichen Erben entledigt hatte. Dies geschah um 1816; 1818 kehrte er nach dem Tod seines Vaters (1816) zu den Zulu zurück und übernahm nach Ausschaltung seiner Brüder die Herrschaft. Tetwa und Zulu wurden miteinander verbunden, und zehn Jahre lang hatte Tschaka nun Zeit, mit unglaublicher Brutalität und Härte große Teile Südafrikas zu unterjochen.

Während seiner Herrschaft gab es kein "Volk" der Zulu mehr, keine Sippenverbände, kaum mehr Familien, sondern nur noch Heeresabteilungen, die vom Krieg und für den Krieg lebten. Jünglinge und junge Frauen wurden militärisch organisiert; die Frauen waren nichts als Konkubinen - ihre Kinder wurden meist getötet.


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Von Tschaka heißt es, daß kein einziges von ihm gezeugtes Kind und auch nicht immer dessen Mutter am Leben gelassen wurden. Die jungen Leute der unterworfenen Stämme wurden in die Zulu-Formationen gepreßt, während die älteren getötet oder versklavt wurden. Durch die Einführung des Kurzspeeres, des Sagaje, anstatt des Wurfspeeres und einer neuen Schlachtordnung gab Tschaka seinen Kriegern eine ungeheure militärische Überlegenheit. Er verfügte über etwa 100 000 Krieger, und mehr als eine Million Neger und Weiße kam durch seine Eroberungszüge ums Leben.

Tschaka, dessen Name "Schlachtbeil" bedeutet und der als "Schwarzer Napoleon", treffender aber als "Schwarzer Attila" oder "Hyänenmensch" bezeichnet wurde, wurde 1828 von seinen Brüdern Dingaan und Umthlangana ermordet. Zum neuen Zulu-Herrscher schwang sich Dingaan auf, nachdem er Umthlangana im Zweikampf getötet hatte, und es scheint, daß er - falls man hier überhaupt noch vergleichen kann - Tschaka an Grausamkeit noch übertraf, obwohl er sich im Gegensatz zu Tschaka nicht immer persönlich an die Spitze seiner Krieger in den Kämpfen stellte. Seine Herrschaft dauerte ebenfalls zehn Jahre. Ihr Ende schildert Karl May in der Erzählung "Der Africander" und der "Deutscher Hausschatz"-Fassung des "Boer van het Roer".

Seitdem die Engländer seit 1806 ihre Herrschaft in Südafrika mehr und mehr festigten, nahmen die Streitereien zwischen ihnen und den Buren immer heftigere Formen an. Zum Teil war der Grund dafür in der unterschiedlichen Haltung den Eingeborenen gegenüber zu suchen. Die Briten standen den Negern oft wesentlich großmütiger gegenüber als die harten Buren; das seit dem Eingreifen Englands veränderte Verhältnis zwischen Weißen und Negern wird auch in einem Manifest Pieter Retiefs von 1836/37 als Hauptursache für die Auswanderung der Buren aus der Kapkolonie und der nachfolgenden Gründung der Buren-Freistaaten genannt.

Etwa 10 000 Buren brachen 1837 im "Großen Trek" nach Norden auf. Die Führer der einzelnen Planwagenzüge sind uns aus Mays Erzählung bekannt. Andries Hendrik Potgieter (1800?-1853) überquerte den Oranje und schloß mit einem Häuptling einen Vertrag, in dem das Gebiet zwischen den Flüssen Vet und Vaal abgetreten wurde. Im nächsten Jahr gründete er am Mooi das spätere Potchefstroom, die erste weiße Niederlassung in der heuti-


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gen Republik von Südafrika, und ließ sich dort zum Chef einer Regierung wählen. Gleichzeitig erhoben die Buren Besitzansprüche auf das Land zwischen den Flüssen Vaal und Limpopo und zwischen der Kalahari und Rhenoster Poort.

Andere Burenführer brachten ihre Gesellschaften in dieselbe Gegend. Unter ihnen ragten vor allem Pieter Retief, Pieter Jacobs und Pieter Uys hervor. Pieter Uys war zweifellos die interessanteste Persönlichkeit von diesen dreien - nicht von ungefähr wählte May wohl gerade ihn als historischen Helden seiner Erzählung. Der Mann war von außerordentlich breiter, gewichtiger Figur und einem Gliederbau, von welchem man ganz bedeutende Kraftäußerungen erwarten konnte. Das breite Gesicht hatte trotz seiner Gutmüthigkeit einen höchst selbstbewußten Ausdruck, und das scharfe Auge ... konnte wohl bedeutend finsterer blicken als jetzt, wo er die Hand zum Gruße erhob ...(28) Das also war der berühmte Boersführer, welcher im Verein mit Potgieter und Pretorias die berühmte Schlacht bei Pieter-Maritzburg gegen die Kaffern gewonnen hatte!(29)

Zeitgenössischen Quellen zufolge(30) war Pieter Uys, richtiger Petrus Lafras ("Piet") Uys, der am 10. Juli 1797 im heutigen Swellendam zur Welt gekommen war, zwar nicht groß, aber ausgesprochen gut und stark gebaut; er hatte große braune Augen, braun waren auch seine Haare und sein dichter Vollbart; auffallend war seine kräftige Stimme. Schon 1834 hatte er sich mit einigen abenteuerlichen Grenzbauern nach Natal aufgemacht und von Dingaan die Erlaubnis erhalten, sich hier niederzulassen. Als der große Treck der Buren nach Norden zog - ein Teil auch geleitet von Pieters Vater, dem angesehenen Patriarchen Jacobus -, kam es unter den Anführern zu Rivalitäten. Retief sonderte sich von den übrigen ab und brachte einen Zug von tausend Wagen nach Natal, wo er mit Dingaan um Siedlungsland verhandeln wollte. Vergeblich warnte Pieter Uys seinen ehemaligen Gefährten davor mit dem Hinweis, daß nach der früheren Zusage Dingaans eine neue Bitte um Land nur Verwirrung stiften würde. Doch ließ sich Retief nicht abhalten, und während er in den Tod zog, schloß sich Uys Potgieter und Maritz an und schlug mit ihnen in einer neun Tage währenden Schlacht jenseits des Vaal Rivers die Matabele unter ihrem kriegerischen Häuptling Moselikatse (gest. 1868), der daraufhin nach Norden über den Limpopo ausweichen mußte.


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Pieter Retief (geb. 1780?), der nach Überschreiten der Drakensberge in Natal das Reich des gefürchteten Dingaan betrat, ereilte ein schlimmes Schicksal, allerdings führten weder er noch Uys die ersten Weißen an, die in dieses Gebiet kamen. Die englischen Händler Farewell (1824) und Gardiner (1835) hatten es schon früher verstanden, sich mit Tschaka bzw. Dingaan gütlich zu einigen. Zu Tschakas Ratgebern gehörte ein Brite namens Fynn, und dem Matabele-Fürsten Moselikatse stand der englische Missionar Robert Moffat zur Seite. Dingaan erlaubte 1835 britischen und ein Jahr später amerikanischen Missionaren, Stationen in seinem Reich zu gründen. So konnte auch Retief hoffen, für sich und seine Leute Land abgetreten zu bekommen.

Im November 1837 erhielt Retief tatsächlich die Zusage Dingaans für ein großes Gebiet.(31) Am 4. Februar 1838 unterschrieb er mit Dingaan eine Art Vertrag und wurde mit 66 Gefährten zwei Tage später in Dingaans Hauptstadt eingeladen, wo die Abtretung groß gefeiert werden sollte. Aber er war allzu vertrauensselig - während der Festlichkeiten fielen die Zulu über die Buren her und brachten sie auf abscheuliche Weise um.(32) In der nächsten Zeit kamen durch Überfälle der Zulu noch 600 Siedler und ihre schwarzen Arbeiter - Männer, Frauen und Kinder - ums Leben; noch heute heißt die Gegend dieses schrecklichen Blutbades "Weenen" (Weinen). Der Kaffer hatte Recht, schreibt May.(33) Ich mußte an die fürchterliche Metzelei am Umuti-Fluß denken, wo Dingaun seinen Bruder, den großen Tschaka, ermordet hatte, an den ... Ort, wo er die Boersführer Pieter Rotief und Gert Maritz mit über sechshundert Holländern und Hottentotten treulos hingeschlachtet hatte, und an die Grausamkeit, mit welcher er bei Feierlichkeiten seine Gefangenen oder, in Ermangelung solcher, ganze Schaaren seiner eigenen Leute auf die qualvollste Weise abwürgen ließ.

Dingaan konnte sich allerdings seines Verrates nicht lange erfreuen. Nach Retiefs Ermordung brachen Uys und Potgieter auf, um ihren Freunden in Natal zu Hilfe zu kommen. Uys wurde zum Oberbefehlshaber in dem Feldzug ernannt und war damit der erste Bure, der jemals bis dahin ein vergleichbares Amt innegehabt hatte. Die hohe Achtung seiner Gefolgsleute, seine Erfahrungen aus den Grenzkriegen im Kapland 1834 bis 1835 und der Schlacht gegen die Matabele und wohl auch seine politischen und philosophischen


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Überzeugungen waren für die Wahl ausschlaggebend. May hat also mit seiner Darstellung durchaus den historischen Kern getroffen. Allerdings ging der Gang der Geschichte dann ganz anders, als wir bei May nachlesen können. Potgieter lehnte nämlich Uys Autorität ab; wieder einmal zersplitterte sich die Burenstreitmacht, und verschiedene Einheiten marschierten getrennt gegen die Zulu. Uys stieß bis zu Dingaans Hauptstadt Ungungundlovu vor, aber der Angriff mißlang, und Uys selbst fiel am 11. April 1838 in der Schlacht von Italeni, mit ihm einer der wenigen Burenführer, die ihre nahezu ausweglose Lage in Südafrika auch unter philosophischen Gesichtspunkten gesehen hatten. Auch darin hat May seinen Helden nicht idealisiert geschildert, und weiter unten wird darauf noch zurückzukommen sein.

Der Kampf gegen die Zulu strebte dem Höhepunkt entgegen. Retiefs Nachfolger, dem energischen Andries Pretorius (1799-1853), gelang es, eine zwar kleine, aber um so effektivere Burenstreitmacht auf die Beine zu stellen und mit ihr in Natal einzurücken, um Vergeltung zu üben. Dingaan versuchte, einem Angriff zuvorzukommen, indem er selber die Buren überfiel. Der 16. Dezember 1838 wird noch heute in Südafrika als Nationalfeiertag begangen - für die Zulu war "Dingaans Tag" ein schwarzer Tag. Etwa 12 000 Kaffern griffen bei Umslato am Blood River die Wagenburg an, in der sich 460 berittene Buren verschanzt hatten. Von den Buren wurden nur drei verletzt, aber über 3 000 Neger kamen ums Leben, und der Rest stürzte in wilder Flucht davon. Der Sieg der Buren war vollkommen.

Nicht lange, so drangen, dem belauschten Plane nach, die Kaffern ein und gingen sogleich gegen den Hintergrund vor. Hier wurden sie von unsern Büchsen empfangen. Wir hatten sie so vor den Rohren, daß von zweihundert Schüssen und von noch zweihundert wohl jeder seinen Mann traf: Sie stutzten nicht, nein, sie waren augenblicklich so entsetzt, daß sie zurückprallten und nach dem Eingange stürzten, wo sie in der gleichen Weise empfangen wurden. Wir hatten Zeit, wieder zu laden. Die arme, von den Engländern aufgehetzte Schaar, welche wohl aus zwei Regimentern zu je fünfzehnhundert Mann bestand, war dem Tode geweiht ... Im Verlauf von nicht ganz einer Stunde war die schreckliche Arbeit gethan, von welcher die Groote-Kloof noch heute das Kafferngrab genannt wird ...


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Als die Arbeit in der Kloof gethan war, stieg ich mit den Meinen, von denen Keinem auch nur ein Haar gekrümmt worden war, zur Ebene nieder...(34)

Wer diese Szene zum ersten Mal ohne Kenntnis des Hintergrundes liest, mag sie für eine typische Maysche Schilderung halten. Ähnlich Schreckliches kommt in vielfältigen Abwandlungen in Mays Erzählungen immer wieder vor. Am Ende werden die "Bösen" bestraft, den "Guten" wird nicht einmal ein Haar gekrümmt. Aber Mays Angaben, ohnehin relativiert durch die Aussage, die Kaffern seien von den Engländern verführt worden, sind hier historisch; die Schrecklichkeit der Realität hat diejenige seiner Erzählungen noch bei weitem übertroffen.

Nach seiner Niederlage fielen die Zulus zu hunderten von Dingaan ab. Die Buren verbrannten seine Hauptstadt, und sein jüngerer Bruder und erklärter Gegner Panda (auch: Umpanda, Mpande) schloß halb freiwillig, halb unter Druck mit den Buren eine Allianz. Immer mehr Zulu traten auf Pandas Seite. Aber dessen Herrschaft war noch nicht gesichert. Im Januar 1840 kam es zwischen Panda und Dingaan dann zur Entscheidungsschlacht am Umkuzi-Fluß. Viertausend Kaffern unter Panda und 400 burischen und englischen Siedlern unter Pretorius gelang es, Dingaan endgültig zu schlagen - er mußte fliehen und wurde - wohl noch im selben Jahr - im Gebiet der Swasi getötet, die sich unter Sobuza (gest. 1839) und Mswazi stets zäh gegen die Zulu behauptet hatten. - Am 10. Februar 1840 wurde Panda von Pretorius zum "König der Zulu" proklamiert.

Panda überließ den Buren das Gebiet Natal, aus dem sie einen Freistaat machten. Im November 1839 wurde die Republik ausgerufen und die "Batavisch-afrikaansche Maatschappij" mit der Hauptstadt Pietermaritzburg gegründet. Aber wie auch May schreibt, konnte sie sich nicht lange behaupten. Der britische Gouverneur der Kapkolonie, George Napier, unterwarf 1842 das Land, woraufhin die meisten Buren erneut auswanderten - diesmal nach Transvaal, dem Kernland der heutigen Südafrikanischen Republik. Andries Pretorius, nach dem die Hauptstadt Pretoria benannt ist, gelang es 1852 in der Sand River Convention, dem Vertrag am Sandfluß, von den Engländern das Recht zu erhalten, jenseits des Vaal-Flusses ("Transvaal") einen unabhängigen Staat zu schaffen.


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Die einzelnen, im Lauf der letzten Jahrzehnte entstandenen Buren-Freistaaten des Transvaal schlossen sich 1858 zur Föderation der Südafrikanischen Republik zusammen; ihr erster Präsident wurde Pretorius' Sohn Martinus W. Pretorius (1819-1901). Doch war diese Burenrepublik von außen und innen stark gefährdet.

Panda hat Zeit seines Lebens mit den Buren und Engländern Frieden gehalten. So hatten die Zulu ab 1840 die Ruhe, wieder ein wenig zu sich zu finden. Weniger friedlich gesonnen als Panda war allerdings sein Sohn Ketschwajo (Cetewayo, 1826-1884), der 1857 seinen Bruder Umbelasi in einer blutigen Schlacht besiegte. Sie fand am Tugela-Fluß statt und blieb natürlich auch auf das Verhältnis zu Panda nicht ohne Einfluß. Panda hatte sich in den Streit der Brüder nicht eingemischt, sah sich aber nun allmählich von Ketschwajo auf die Seite gedrängt. Immerhin blieb Pandas Einfluß bis zu seinem Tode 1872 maßgebend, und erst danach bahnte sich ein Umschwung im Verhältnis zu den Buren und Engländern an. Es wäre aber ungerecht, Ketschwajo die alleinige Schuld an dem Wiederaufflammen der Kämpfe zuzuschieben. Er war nicht nur ein intelligenter Herrscher, sondern charakterlich mit Panda weit mehr verwandt als mit Dingaan oder Tschaka; aber wie auch andere der Neger-Fürsten seiner Zeit wurde er ein Opfer von Kräften, die außerhalb seiner Kontrolle lagen. Die weißen Farmer in der Nachbarschaft der Zulu begehrten das Land der Schwarzen; deren Lebensweise standen sie verständnislos gegenüber, und überdies fürchteten sie Ketschwajos Truppenmacht, die 1877 etwa 40 000 Mann betrug. Der Kleinkrieg an den Grenzen hatte um diese Zeit bereits begonnen. Und Transvaal drohte damals im Innern in die Anarchie abzugleiten.

Für Südafrika war das Jahr 1867 entscheidend - in diesem Jahr wurde dort der erste Diamant gefunden, eine Entdeckung, die ein ganz neues Zeitalter einleitete.(35) Sie brachte auch die Auseinandersetzungen zwischen Engländern und Buren auf den Höhepunkt, weil der britische Imperialismus nicht mehr ruhte, bis er ganz Südafrika unter englische Oberhoheit gebracht hatte. Nun waren es machtpolitische und wirtschaftliche Interessenkonflikte, die zwischen Buren und Engländern entstanden und in dem großen Burenkrieg zwischen 1899 und 1902 gipfelten.

Schon bald nach den ersten Diamanten-Funden brach Streit


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zwischen der Kap-Kolonie und dem Oranje-Freistaat über die Diamantenfelder rund um Kimberley aus, die zum Oranje-Freistaat gehörten. Ohne die Rechte der Buren zu beachten, stellte England das Gebiet ganz einfach unter seinen "Schutz".

Noch rigoroser griff England in Transvaal ein und erneuerte die alten Ansprüche auf das Land, nachdem der Reichtum der Republik an Edelmetallen bekannt geworden war. Der damalige Präsident in Transvaal, Pfarrer Thomas F. Burgers (1834-1881), war nicht stark genug, den Übergriffen von außen entsprechend zu begegnen. Ihm lag mehr an der Förderung der Volksbildung und Kultur sowie an der Sicherung des Handels und des Geldwertes im Lande. Aber dies erforderte auf die Zukunft bezogene Maßnahmen, die bei den Buren auf wenig Verständnis stießen.

In Burgers Amtszeit fiel auch der von May in der Buchfassung seiner Erzählung erwähnte Plan, eine Eisenbahn zur Küste von Mozambique zu bauen, um Transvaal aus seiner isolierten Lage zu befreien und wirtschaftlich abzusichern. In der Tat gelang es den Engländern, durch endlose Verhandlungen den Bau dieser Linie bis 1895 zu verzögern und damit den Buren-Staat über mehr als zehn Jahre wirtschaftlich klein zu halten.

Von außen bedrohten die Zulu, wenn auch noch nicht offen, die Republik; sie befanden sich in starker Position, weil Ketschwajo im Grenzstreit mit Transvaal von einer britischen Kommission Recht bekommen hatte. Kämpfe hatten die Buren während Burgers Amtszeit aber mit den Bapedi zu führen, und die Auseinandersetzungen mit anderen Stämmen nahmen kein Ende. Der Häuptling der Bapedi war der gefürchtete Sikukuni; gegen ihn tauschte Karl May wie erwähnt in der Buchfassung des "Boer van het Roer" den Zuluhäuptling Dingaan aus.

Sikukuni wurde 1814 geboren und 1861 Nachfolger seines Vaters Sekoati. Die Bapedi, die zwischen den Flüssen Olifant und Steelport in Transvaal lebten, setzten sich aus dem Rest von verschiedenen, von den Zulu zerschlagenen Stämmen zusammen und zählten etwa 75 000 Menschen. 1861 begannen deutsche Missionare unter ihnen zu wirken; Sikukunis Bruder Dinkoanjane ließ sich taufen, mußte aber mit seinen Anhängern fliehen (erneut begegnen wir hier dem historischen Motiv der Flucht eines Häuptlings vor


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seinem Bruder), als Sikukuni sich von allem christlichen und burischen Einfluß befreien wollte.

Die Kämpfe gegen Sikukuni brachten den Buren ihre erste große Niederlage in ihren Auseinandersetzungen mit den Kaffern. Als Sikukuni 1876 aufhörte, Abgaben an die Buren zu zahlen und statt dessen begann, Siedler zu überfallen, wurde ihm am 16. Mai 1876 vom Volksraad in Transvaal der Krieg erklärt. Da sich kein anderer Befehlshaber fand, mußte sich Präsident Burgers notgedrungen selbst an die Spitze einer Strafexpedition stellen. Zwei Abteilungen, insgesamt 1100 Mann, zogen gegen Sikukuni zu Felde, doch war die Kampagne unzureichend vorbereitet, und viele Buren hielten nichts von Burgers. Dennoch gelang es, am 4. Juli die Feste von Häuptling Mathabi zu erobern, und der Vormarsch gegen Sikukunis Kraal wurde mit Unterstützung von Swazi, tödlichen Feinden der Bapedi, fortgesetzt. Aber der Angriff am 2. August endete kläglich, der Widerstand der mit Gewehren bewaffneten Kaffern war zu hartnäckig, und obwohl es gelang, den Kraal in Brand zu stecken, mußten die Buren demoralisiert zurückweichen; Burgers liefen die Leute davon, und am 16. August mußte er nach Pretoria zurückkehren. Da die Buren von ähnlichen Abenteuern erstmal genug hatten, heuerte Burgers Freiwillige gegen Bezahlung an. Der ehemalige deutsche Captain C. von Schlickmann baute mit einem Teil dieser Leute, früheren Goldgräbern, Forts nahe dem Kafferngebiet und bedrängte die Neger so sehr, daß Sikukuni Anfang 1877 um Frieden bat, auch wenn Schlickmann selbst im November 1876 gefallen war.

Den Engländern kam der Zustand in Transvaal sehr gelegen. Sikukuni wurde von ihnen als autonomer Häuptling behandelt, und daß er - wie May angibt - von ihnen unterstützt wurde, erscheint bei der Kenntnis der damaligen Zustände sehr wahrscheinlich. Je wirrer die Verhältnisse in Transvaal wurden, desto leichter war es den Briten möglich, als "Schutzmacht" und mit dem Argument, ihre eigenen Kolonien seien gefährdet, einzugreifen. Und so ist es auch geschehen. Burgers ließ es an energischen Maßnahmen mangeln. Viele Buren wandten sich von ihm ab. Einige Fanatiker verweigerten die Steuern, andere wanderten erneut aus. England nutzte die Gunst der Stunde und annektierte Transvaal am 12. April 1877, allerdings mit dem Versprechen, dem Land nach


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seiner Stabilisierung die Autonomie zurückzugeben. Burgers Proteste und seine Versuche, in Europa Hilfe zu erhalten, blieben vergeblich.

Nach der Umwandlung der Lage zu ihrem Vorteil waren den Briten natürlich sowohl Sikukunis als auch Ketschwajos Machtbereich gefährlich. Ketschwajo wurde von den englischen Behörden aufgefordert, seine Truppenmacht aufzulösen. Als dies verweigert wurde, rückte eine britische Streitmacht gegen die Zulu vor. Verschiedene ernste Schlappen der Briten 1879 - bei einem Gefecht wurde der einzige Sohn Napoleons III. und der Kaiserin Eugenie von einem Zulu erschlagen - konnten die schließliche Niederlage der Zulu nicht aufhalten: am 28. August 1879 mußte Ketschwajo bedingungslos kapitulieren.

Nicht besser erging es Sikukuni. Er hatte sogar noch eine Kriegsschuld bezahlt, allerdings statt der geforderten 2000 Stück Vieh nur 245 geliefert, und 1878 flackerten die Kämpfe wieder auf. Die Buren hielten sich in Anbetracht der Annexion Transvaals von den Kriegszügen fern. Die Engländer, die mit 1200 Mann Infanterie und 600 Mann Kavallerie ins Feld zogen, erlitten zunächst Niederlagen, aber dann ereilte auch Sikukuni das Schicksal: am 28. November 1879 wurde seine Feste gestürmt, und er geriet kurz danach in Gefangenschaft.

Auch wenn die Buren an den Kämpfen im allgemeinen nicht teilnahmen, so spielte doch bemerkenswerterweise ein berühmter Name noch einmal eine Rolle. Es handelte sich um Petrus Lafras ("Piet Hlobane") Uys, einen Sohn des großen Pieter Uys, der 1838 gefallen war. Der Tod des allseits geachteten und geliebten Vaters muß den damals noch nicht ganz elf Jahre alten Piet so getroffen haben, daß er mit 52 Jahren, als der Zulu-Krieg ausbrach, ein eigenes Freiwilligenregiment aufstellte, um den Tod seines Vaters zu rächen und für die "Sache der Zivilisation" zu kämpfen. Obwohl er die britische Annexion Transvaals strikt ablehnte und daher auch jegliche Bezahlung seiner Dienste durch die Engländer von sich wies, schloß er sich den britischen Einheiten an. Wie sein Vater wurde er unter den Buren zum Helden und Märtyrer - er stürmte eine Zulu-Feste, die bis dahin als nahezu uneinnehmbar gegolten hatte, aber fiel bald danach am 28. März 1879 am Hlobane Berg bei einem Zulu-Überfall. Ein Denkmal wurde zu seinen Ehren errich-


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tet. Bekannt ist sein Name noch heute, und dank Karl May sind er und sein Vater sogar noch zu literarischem Ruhm gelangt.

Vorläufig war die Negergefahr in Transvaal beseitigt. Ketschwajo wurde ins Exil geschickt und durfte erst 1883 zurückkehren, Sikukuni wurde in Pretoria gefangengesetzt. Entgegen ihrer Zusage aber zögerten die Engländer die Rückgabe der Autonomie von Transvaal hinaus. Erbost griffen darob die Buren zu den Waffen und zwangen die Briten nach mehreren entscheidenden Siegen, 1881 ihr Wort einzulösen. Dieser erneute Umschlag der politischen Lage brachte Sikukuni die Freiheit, doch lebte er nicht mehr lange. Am 13. August 1882 fiel er einem Anschlag seines Halbbruders Mampoer zum Opfer, der erneut den Krieg suchte, aber nach längeren Kämpfen von den Buren besiegt und 1883 in Pretoria gehenkt wurde. Transvaal blieb den Engländern ein Dorn im Auge, aber es mußten noch zwanzig Jahre vergehen, bis es ihnen gelang, die Unabhängigkeit der Buren endgültig zu zerschlagen.

4

Als May seine Südafrika-Erzählungen schrieb, war der Schauplatz aktuell, und man kann davon ausgehen, daß damals in den Zeitungen viel über die Vorgänge in den Burenstaaten berichtet wurde. Gerade die Annexion Transvaals durch England 1877 war geeignet, in der Presse ein lebhaftes Echo hervorzurufen, und sicher wurde in diesem Zusammenhang auch die Geschichte Südafrikas geschildert. Für May war es nicht schwer, genügend Informationen für seine Arbeit zu erhalten. Das rücksichtslose Vorgehen Englands in seiner Südafrika-Politik war überdies dazu angetan, für die Buren in Übersee Sympathien zu schaffen, zumal ja auch Präsident Burgers in Europa um Hilfe bat. May konnte davon ausgehen, daß seine Südafrika-Erzählungen bei seinen Lesern auf Interesse stoßen würden und er ihnen Bekanntes in abenteuerlichem Gewand vermitteln konnte.

Die Handlungszeit der Geschichten "Der Africander" und der "Deutscher Hausschatz"-Fassung "Der Boer van het Roer" ist klar: entweder 1838 oder 1840. Hammer neigt zu der Ansicht, die Abenteuer spielten 1838.(36) Mehr Argumente ließen sich aber wohl dafür


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finden, daß sie im Jahre 1840 spielen; denn sie haben die Entscheidungsschlacht zwischen Panda und Dingaan zum Inhalt, in der Buren und Zulus, die auf Pandas Seite standen, gemeinsame Sache machten. Aber die zeitliche Einordnung erscheint nicht so wesentlich als vielmehr ein anderer Gesichtspunkt:

"Der Boer van het Roer" ist eine "historische Erzählung". Darin liegt der Unterschied zum "Kanada Bill". Bei diesem sind um zwei historische Gestalten - Abraham Lincoln und Kanada Bill - bunte, spannende Abenteuer gesponnen, die noch ein paar geschichtliche Bezüge aufweisen, aber ansonsten mit der Historie nicht mehr viel gemeinsam haben.(37) In der Burengeschichte dagegen stimmt im großen und ganzen nicht nur der geschichtliche und geographische Hintergrund, auch die auftretenden historischen Gestalten sind weitgehend richtig dargestellt. Natürlich sind nicht alle Details historisch getreu wiedergegeben. Uys wird durch den Handlungsablauf besonders hervorgehoben, obwohl er weder die Schlacht 1838 noch diejenige von 1840 mitgemacht hat; zu der Zeit lebte er schon nicht mehr. Aber er war tatsächlich eine Zeitlang Oberbefehlshaber der Burenstreitmacht. Außerdem werden - im Gegensatz zur "Frohe Stunden"-Fassung - Potgieter und Pretorius, die im Verlauf der Erzählung ebenfalls in Erscheinung treten, als gleichrangige "Helden" bezeichnet. Auch Dingaan und Panda erscheinen historisch nicht unglaubwürdig. Und bei der Schilderung der entscheidenden Schlacht gegen die Kaffern stimmen sogar historische Details (einschließlich des Flankenangriffs durch zweihundert Buren), wenn auch der Rahmen ausgeschmückt wurde.

Karl May hat für seine Geschichte mehrere historische Elemente zusammengefügt. Das Ende der Dingaan-Herrschaft 1840 wird verknüpft mit historischen Details des Jahres 1838, und die Schlacht gegen die Matabele, an der Uys maßgeblich beteiligt war, spiegelt sich ebenfalls wider. Doch das ist die Freiheit, die dem Schriftsteller zuerkannt werden muß. So ist ja auch Coopers Erzählung "Der letzte Mohikaner" angelehnt an die historische Belagerung von Fort William Henry im französisch-indianischen Krieg (Oberst Monroe und General Montcalm sind bekanntlich historisch), oder Sealsfields Roman "Tokeah" ist eine "historische Erzählung" um das Schicksal der Creek-Indianer und führt bis zur histo-


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rischen Schlacht von New Orleans, ohne bis in jedes Detail historischer Wahrheit zu entsprechen.

Viele Erzählungen Mays enthalten historische Bezüge, Hinweise oder sogar kurze historische Abrisse. Die wenigsten davon sind bislang näher untersucht. In diesem Rahmen gebührt der Burengeschichte besondere Aufmerksamkeit, weil in ihr geschichtliche Abläufe als Erzählung gestaltet sind. Um so bedauerlicher ist, daß May diese Geschichte - die noch aus anderen Gründen bemerkenswert ist - für die Buchfassung überarbeitet und dabei ihre Einheitlichkeit durchbrochen hat.

Als May die Buchausgabe vorbereitete, erkannte er, daß er die ursprüngliche Erzählung in einer Zeit angesiedelt hatte, die so weit zurücklag, daß er unmöglich den Anschein eigenen Erlebens aufrechterhalten konnte. Warum er überhaupt bei der ersten Niederschrift die Handlungszeit 1840 gewählt hatte und nicht Ende der siebziger Jahre, kann verschiedene Gründe haben, über die nur Mutmaßungen angestellt werden können. Sicherlich wird dabei eine Rolle gespielt haben, daß zu der damaligen Zeit die Sympathien Europas auf Seiten der Buren waren, aber gerade die Jahre 1876 bis 1880 für die Buren nicht besonders rühmlich waren: die entscheidenden Siege gegen die Kaffern erfochten die Briten. Zu Zeiten eines Uys und Pretorius sah das ganz anders aus ...

Im Jahre 1897, als May die Buchfassung erstellte, fanden die südafrikanischen Ereignisse in Deutschland wieder ein breites Echo; der Zeitpunkt für die erneute Veröffentlichung der Buren-Geschichte konnte nicht glücklicher gewählt sein. Damals waren die Spannungen zwischen den alteingesessenen Buren und den zahlreichen englischen Einwanderern, den "Uitlanders", sehr gestiegen. In der Kap-Kolonie regierte der berühmte Cecil Rhodes (1853 - 1902), der der Vision eines großen südafrikanischen Reiches nachhing und der durch seine Handelsbeziehungen und Monopolstellungen im wahrsten Sinne Herr nicht nur am Kap, sondern auch im Betschuanaland und in den Gebieten nördlich des Sambesi bis zum Njassa- und Tanganjikasee war. Sein Gefolgsmann "Doktor" Leander S. Jameson (1853-1917) sicherte der Rhodes'schen Handelsgesellschaft die Herrschaft in Rhodesien, indem er den Matabele-Häuptling Lobengula (gest. 1894) erst vertraglich übertölpelte und ihn dann, als er es gemerkt hatte, mit Maschinengewehren aus


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seiner Hauptstadt Bulawayo vertrieb. Ähnliches schwebte Jameson wohl auch in Transvaal vor, wo der alte Präsident "Oom Paul" Stephanus J. Paulus Krüger (1825-1904) sich bemühte, zwischen den Volksgruppen zu vermitteln. Jameson verschaffte den Uitlanders heimlich Waffen und ließ in Johannesburg - die Stadt existierte gerade 10 Jahre - Vorbereitungen für einen Aufstand treffen. Sowohl die britische Regierung als auch die Kolonialverwaltung in Kapstadt ließ er wissen, daß man sich auf Ereignisse in Transvaal und auf die Proklamation einer Zollunion von Transvaal und Kapkolonie einstellen solle. Mit 800 Mann rückte Jameson, der sich - man sollte es der Vollständigkeit halber erwähnen - nach dem Burenkrieg noch um die Südafrikanische Union verdient machen sollte, dann Ende des Jahres 1895 in Transvaal ein. England war schon daran gegangen, Truppen nach Südafrika zu entsenden; aber die geschickte Haltung Krügers entzog der Aktion den Boden. Selbst der ehrgeizige Rhodes erkannte, daß der Schritt vor der Weltöffentlichkeit in keiner Weise zu rechtfertigen sein würde, und sagte das Unternehmen ab. Jetzt war es aber schon zu spät; Jameson konnte nicht mehr rechtzeitig informiert werden und fiel am 2. Januar 1896 den Buren in die Hände. Der Aufstand in Johannesburg hatte keinen Erfolg, weil die verschiedenen Volksgruppen unentschlossen und uneins waren und vor allem die Deutschen zu den Buren hielten (wie Mays "Ich" in seiner Erzählung). Um in England das Gesicht nicht zu verlieren, wurde Jameson von einem britischen Gericht verurteilt. In Kapstadt bestritt man jede Beziehung zu dem "Jameson Raid", aber Rhodes trat als Premierminister der Kapkolonie und Direktor seiner Gesellschaft zurück - Kaiser Wilhelm II. sandte an "Oom" Krüger die berühmte "Krüger-Depesche" (3. Januar 1896) und beglückwünschte ihn zu seinem Erfolg; Deutschland verkaufte an die Buren Waffen; 1897 kam als britischer Hochkommissar Sir Alfred Milner nach Kapstadt mit dem Auftrag, den Burenfreistaat zu beseitigen, und am 12. Oktober 1899 brach der entsetzliche Krieg aus, der endgültig die Entscheidung bringen sollte: Die Kolonialpolitik eines großen europäischen Staates hatte wieder einmal vielen Tausenden von Menschen das Leben gekostet.(38) Aktuell war also der Schauplatz Südafrika 1897 in der Tat, und May brauchte seine ursprüngliche Erzählung nur in etwas spätere Zeit zu versetzen.


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Karl May historische Fehler anzulasten wäre - wir sagten es bereits - gewiß verfehlt. Es sollte aber nicht verschwiegen werden, daß ihm bei seiner Südafrika-Erzählung der historische Rahmen durcheinander geriet, als er die Buchfassung erstellte.

Im Fall seiner "Kanada Bill"-Erzählung erkannte May den Anachronismus der ursprünglichen Geschichte. Es gelang ihm, sich mit Geschick aus der Affäre zu ziehen, indem er das Abenteuer in eine Rahmenerzählung einbettete, die dem Leser deutlich zu verstehen gab, daß es sich um nicht viel mehr als eine Münchhausiade handeln konnte.(39) Bei der Südafrika-Story war ihm daran gelegen, die frühere Version aktuell zu machen. Aber, wie er wahrscheinlich selber auch spürte, war es ihm nur schlecht möglich, sein Buren-Abenteuer in eine andere Erzählung einzubauen, denn eine Verbindung zu den Orientgeschichten wäre sicher auch dem geduldigsten Leser etwas merkwürdig erschienen. May half sich damit, daß er für die Buchausgabe andere historische Gestalten wählte. Da er ansonsten an den Elementen der Handlung nichts änderte, entstand dadurch leider in der Buchfassung ein dem Kenner der Verhältnisse sofort auffälliger Anachronismus.

May wählte anstelle Dingaans Sikukuni und ersetzte Panda durch den der Geschichte unbekannten Somi. Aus Pieter Uys machte er dessen Sohn Kees Uys - und hiermit traf er trotz allem nochmals ein historisch interessantes Detail -, aus Potgieter wurde Zingen und aus Pretorius wurde van Hoorst.(40) Außerdem ergänzte er den historischen Hintergrund (vgl. S. 140) und veränderte ein paar geographische Namen. Ansonsten ließ er alles unverändert. So erscheint in der Buchfassung Sikukuni als Bruder und Mörder Tschakas sowie als Mörder von 600 Buren und Hottentotten; den Hinweis auf die Burenführer Pieter Retief und Gert Maritz hat May dabei vorsorglich gestrichen. Hätte er den Hinweis auf Tschaka abgeändert und den Satz über die Gründung der Batavisch-Afrikanischen Maatschappij weggelassen, und hätte er statt Somi Mampoer geschrieben(41), wäre auch der geschichtliche Hintergrund im Rahmen der "dichterischen Freiheit" wieder einigermaßen richtig gewesen.

Im Fall des "Kanada Bill" wurde die Maysche Fassung für die


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heutige Bamberger Ausgabe "rückbearbeitet": der Anachronismus, den May einst beseitigt hatte, sticht dem nichtsahnenden und von näheren May-Kenntnissen unbelasteten Leser heute wieder deutlich ins Auge.(42) Anders gingen die Bearbeiter im Fall des Buren-Abenteuers vor. Sie ließen es nämlich so stehen, wie es May für die Buchausgabe abgeändert hatte, aber fügten Fußnoten und Hinweise an, die den Leser auf Entstehungs- und Handlungszeit aufmerksam machen sollen. Wenn man auch das Anliegen an sich begrüßen muß, so kommt man nicht umhin, festzustellen, daß der Inhalt der Hinweise unzureichend ist. Einige der Fragen, die Hammer offen läßt, sind in der Tat darauf zurückzuführen.

Nach den Anmerkungen in Bd. 23 der heutigen Ausgabe wurde die Erzählung "Das Kafferngrab" 1879 geschrieben, und die in dem Band zusammengefaßten Erzählungen spielen in den »sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts«. Aber weder die eine Angabe noch die andere ist ganz richtig. Die Erzählung, die May 1879 verfaßte, spielt 1840; die Erzählung aber, die in den siebziger Jahren angesiedelt ist, erhielt ihre endgültige Form erst 1897.

Karl Mays Werk ist von seinen Herausgebern so viel bearbeitet und gekürzt worden. Bei der Erzählung "Das Kafferngrab" hätte die Streichung oder Abänderung von ein paar Sätzen genügt, die Geschichte historisch ins reine zu bringen. Die Informationen, die es den Bearbeitern ermöglicht hätten, den Lesern zum rechten Bilde zu verhelfen, wären damals schon alle vorhanden gewesen.(43) Wenn man die Bearbeitungen z. B. des "Kanada Bill", der Südafrika- und der Südamerika-Erzählungen vergleicht, wird man gemeinsame Kriterien dafür allerdings vergeblich suchen.

Dagegen weisen die ursprünglichen Erzählungen durchaus eine bemerkenswerte Gemeinsamkeit auf: die Achtung vor den Eingeborenen. Im "Kanada Bill" heiratet ein Weißer eine Farbige(44), in den Südamerika-Erzählungen wird die Gleichwertigkeit von Weißen und Indianern mehrfach hervorgehoben(45), und auch in den Südafrika-Erzählungen werden die Neger keineswegs als "Untermenschen" dargestellt. May betrachtete von seinen frühen Schriften bis hin zu seinem Alterswerk die andersfarbigen und andersartigen Völker in Amerika, Asien und Afrika mit einer Sympathie und Toleranz, die teilweise dem "Zeitgeist" direkt widersprachen.


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Die Schilderung, die May im "Boer van het Roer" von dem Begleiter des Erzählers, nämlich dem Neger Quimbo, gibt, ist ausgesprochen wohlwollend. Die rassischen Besonderheiten werden geradezu liebevoll herausgearbeitet - man meint, nicht eine frühe Erzählung, sondern ein Reiseabenteuer aus Mays "reiferer" Schriftsteller-Zeit vor sich zu haben. Auch der den Weißen freundlich gesonnene Kaffernhäuptling Panda (bzw. Somi) wird ausgesprochen sympathisch geschildert. Noch auffälliger ist, daß dem "Boer van het Roer", Jan van Helmers, das schwarze Pflegekind Mietje zur Frau gegeben wird: »Es wurde getauft und neben Jan erzogen, der es nicht anders als sein Schwesterchen nannte, bis er auf den Gedanken kam, aus der angenommenen Schwester sein Weib zu machen.« - »Waren die Eltern damit einverstanden?« - »Natürlich! Ihr dürft nicht glauben, daß wir dieselben Vorurtheile hegen, wie Ihr daheim. Mietje ist ein ganzes Mädchen und wird eine Frau werden, wie Jan unter den Ansiedlern keine bessere finden kann.«(46)

Mays Eintreten gegen Rassenvorurteile gehört zu seinen bleibenden und achtunggebietenden Leistungen. Im Falle der Verhältnisse in Südafrika mußten seine Äußerungen geradezu provozieren. Den Buren galten die Neger keineswegs immer als gleichberechtigte Menschen. Andererseits wäre es historisch abwegig, in eine Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen und die Buren in ihrer Haltung den Negern gegenüber einseitig zu verurteilen. Man denke in diesem Zusammenhang nur an die oben geschilderte Geschichte der Hottentotten und Griqua ...

Die holländischen Ansiedler in Südafrika waren sicherlich ein eigentümlicher, in gewisser Weise sogar bewundernswerter Menschenschlag. Afrikander im weiteren Sinne nennt man alle Ansiedler niederländischen Ursprunges, im engeren Sinne aber versteht man hierunter nur diejenigen Boers, welche gut mit der Büchse umzugehen verstehen, treu an ihren alten Traditionen hangen, in Folge dessen unerbittliche Feinde der Engländer sind und vor keiner Gefahr zurückzubeben pflegen.(47)

Die Afrikander waren teilweise den Negern gegenüber von unglaublicher Härte und Brutalität und verachteten sie aus tiefstem Herzen. Darin ähnelten sie z. B. den Virginiern in deren Haltung


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den nordamerikanischen Indianern gegenüber. Die Haltung der Buren charakterisiert auch May an einer Stelle treffend: Als der Kaffern-Verräter Tschemba entlarvt ist, stimmen die meisten der Boers für seinen augenblicklichen Tod, und nur das energische Eingreifen von Jan und dem Erzähler kann die Hinrichtung verhindern.(48) Andererseits muß man einräumen, daß die Buren in ständiger Furcht vor den übermächtigen schwarzen Nachbarn lebten, die ihnen nur selten freundschaftlich gesonnen waren. Räubereien der Kaffern wurden mit Gewalttaten der Buren heimgezahlt, die nicht selten in grauenhafte Massaker ausarteten. Bei einer Gelegenheit vernichteten die Buren einen ganzen Kaffernstamm, der in einer Höhle Zuflucht gesucht hatte. Solche Massaker sind nicht zu entschuldigen, auch wenn eine gerechte Geschichtsbetrachtung einräumen muß, daß die Buren mit diesen Grausamkeiten nicht allein dastehen, daß z. B. die Amerikaner in Nordamerika, die Russen in Zentralasien oder die Engländer in der Südsee ganz ähnliche Greueltaten verübt haben. Der Zusammenstoß zwischen Eingeborenen und der europäischen "Zivilisation" ist auf der ganzen Erde schrecklich gewesen.(49)

Europäische und amerikanische Missionare versuchten, den Haß zwischen den Volksgruppen zu mindern. Als die Engländer die Herrschaft am Kap übernahmen, bemühten sie sich um ein besseres Verhältnis zu den Eingeborenen. 1795 verdankte es die Herrnhuter Mission unter den Hottentotten ihrem rechtzeitigen Eingreifen, daß sie von den Buren nicht vertrieben wurde.

In England waren die Buren unbeliebt; die Missionare trugen durch ihre nicht immer wahren Berichte dazu bei. 1809 wurde die Zwangsarbeit der Hottentotten für die Weißen aufgehoben, wodurch den Buren ihre Arbeitskräfte genommen wurden. Im Jahre 1828 gestattete ein Erlaß es den Hottentotten, Buschmännern und Griqua, eigenen Grund und Boden zu erwerben, und fünf Jahre später schaffte das englische Parlament die Sklaverei ab. Damit waren die Buren endgültig ihrer Arbeitskräfte beraubt. Die Erbitterung der Afrikander gegen die Engländer hatte in dieser Maßnahme ihren wichtigsten Grund. Wie Pieter Retief in seinem Manifest festhielt, war die Forderung, die Eingeborenen als Mitmenschen anzusehen, eine der Hauptursachen für den "Großen Trek" der Buren nach Norden.


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Allerdings hat auch die tolerante Haltung der Briten gegenüber den Negern manche Probleme geschaffen, und sie wurde auch nicht konsequent beibehalten. An einer Hungersnot, die 1857 fast 70 000 Kaffern das Leben kostete, waren die englischen Behörden nicht unschuldig, und ihre Brutalität in den Kriegen gegen die Buren läßt sich mit der Härte der Buren gegenüber den Eingeborenen durchaus vergleichen.

Die Abneigung der Buren gegen die Schwarzen, die noch heute nicht überwunden ist, dürfte Karl May nicht verborgen geblieben sein. Man kann ihm in dieser Angelegenheit schwerlich Weltfremdheit unterstellen. Die Philosophie, die in seiner Südafrika-Erzählung enthalten ist, verdient daher um so genauere Betrachtung; der Rahmen einer reinen Abenteuergeschichte wird dadurch gesprengt.

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Bei der Lektüre des "Boer van het Roer" fällt die stilistische Sorgfalt auf, mit der die Erzählung verfaßt wurde. Man denke an die Erläuterung des historischen Hintergrundes, die detaillierte Vorstellung Quimbos, die fesselnde Schilderung des Kampfes mit dem Straußen oder dem Leoparden. Das lustige Kauderwelsch der Neger, die hochmütige Art der Engländer, das bieder-freundliche Verhalten der Buren - all das zeugt davon, daß sich May bei der Wortwahl große Mühe gegeben hat. Die zur selben Zeit entstandene Erzählung "Three carde monte" fällt stilistisch und von der Handlung her gesehen dagegen ziemlich ab.

Bemerkenswerter noch erscheint aber die Philosophie, die May Pieter Uys in den Mund legt. Auf ihre Einzelheiten wird an anderer Stelle eingegangen.(50) Was hier diskutiert werden sollte, ist der historische Bezug, und dabei wird noch einmal deutlich, daß May in der Tat eine "historische Erzählung" geschrieben hat.

Der geschichtliche Pieter Uys war nicht nur ein berühmter Burenführer und "Held" in den Kaffernkriegen, sondern hob sich von seinen Zeitgenossen auch dadurch ab, daß er für staatspolitische und philosophische Ideen offen war. Am 7. August 1837 sandte er einen langen Brief an Gouverneur Benjamin D'Urban, in dem er


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die Gründe für die Emigration der Buren schilderte. Im Gegensatz zu Retief, der die bessere Behandlung der Eingeborenen durch die Briten als Hauptgrund ansah, argumentierte Uys mit den "ineffektiven" Gesetzen, denen die Buren zu gehorchen gehabt hätten, obwohl sie keinen Sitz in der Legislative hätten. Eine Woche später schrieb Uys in ähnlicher Weise an Retief und äußerte ebenfalls wieder demokratische Gedanken. Offensichtlich hatte er zu Ohren bekommen, daß Retief zum "Gouverneur und Oberbefehlshaber" gewählt worden war und daß »einige wenige Personen« gewisse Resolutionen verabschiedet hätten. Uys sah damit heraufbeschworen, daß die Buren nach ihrer Auswanderung vom Zustand der Verbannung in den Zustand der Sklaverei geführt würden, und er weigerte sich, derartigen Vorgängen zuzustimmen. Ihm schwebte Gedankengut vor, wie es in den Vereinigten Staaten wirksam geworden war - die alte Sache der menschlichen Freiheit; in Natal, so glaubte er, würde es freigewählte Volksvertreter geben - die Schlacht von Italeni indes sollte mit ihm den neuen Wind der Freiheit, wie er sie vertrat, auf Jahre hinaus begraben.

Der Pieter Uys in Mays Erzählung spricht nicht von Freiheit im staatspolitischen Sinn, aber manches, was er sagt, erinnert an den historischen. Im "Kanada Bill" legte May der historischen Gestalt Abraham Lincoln Reden in den Mund, die im Grundsatz aus tatsächlichen Reden übernommen waren(51); aber das Niveau des Mayschen Lincoln ist niedriger als das des historischen. Umgekehrt verhält es sich in der Erzählung "Der Boer van het Roer". Die Überzeugungen des historischen Uys, die May allem Anschein nach im Prinzip gekannt hat, werden angereichert, ins Philosophische erhöht. Wenn Uys in der Erzählung sagt: »Jedes irdische Geschöpf hat eine Berechtigung, zu sein und zu leben ...«, dann liegt dieser Aussage der Gedanke der Freiheit zugrunde, wie er dem historischen Uys vielleicht schon nicht mehr vorschwebte; und wenn Uys bei May ausruft: »Ja, die Geschichte sollte die Mutter der Politik sein! ... erst dann, wenn unsere Erkenntniß hinuntergedrungen ist in jene geheimnißvollen 'Tiefen, aus denen von dem allmächtigen Schöpfer selbst angeordnete weltgeschichtliche Gewalten ... weltgeschichtliche Thatsachen emporwachsen lassen ..., dann erst können wir sagen: wir haben Geschichte. Dann werden wir Herren der Ereignisse sein ... Dann wird die Geschichte das Kind Politik


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gebären, welches als Königin des Erdkreises demselben den ewigen Frieden bringt ...«(52), dann geht das schon weit über das hinaus, was der historische Uys gedacht haben mag; es sind Gedanken, wie sie May in den "Geographischen Predigten" ähnlich formulierte, Gedanken, die auch über May selbst hinausweisen, nämlich in den Bereich der deutschen Geschichtsphilosophie: zu Lessing und zu Herder.



Ich danke herzlich Herrn Prof. Dr. Claus Roxin, Stockdorf, und Herrn Prof. Dr. Heinz Stolte, Hamburg, für verschiedene Hinweise sowie Herrn Dr. W. Vinzenz, Maisach, der mir die May-Originalausgaben zur Verfügung stellte.

1 Der Boer van het Roer. Ein Abenteuer aus dem Kaffernlande von Karl May. Deutscher Hausschatz, 6. Jahrgang, Nrn. 8-12 (Nov. - Dez. 1879), im folgenden abgekürzt als DH, 123

2 DH 126

3 Der Africander. Ein Abenteuer aus Südafrika von Emma Pollmer. Frohe Stunden II, Nrn. 35-37, 1878 (Reprint der Karl-May-Gesellschaft 1972); heute in Ges. Werke Bd. 71 unter dem Titel "Der Afrikaander" (S. 354-368). Dazu ist zu bemerken, daß die von den Bearbeitern gewählte Überschrift "Afrikaander" als Bezeichnung für die holländischen Einwanderer richtig ist, die Maysche Version "Africander" eine Verdeutschung darstellt.

4 vgl. Anm. 1

5 Der Boer van het Roer. In: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. XXIII. Verlag F. E. Fehsenfeld, Freiburg 1897

6 Das Kafferngrab. In: Auf fremden Pfaden. Ges. Werke Bd. 23, Karl-May-Verlag, Bamberg

7 vgl. Ekkehard Koch: Zwischen Rio de la Plata und Kordilleren. Zum historischen Hintergrund von Karl Mays Südamerika-Erzählungen. In: Jb-KMG 1979, 137 ff.

8 vgl. Ekkehard Koch: Der "Kanada Bill". Variationen eines Motivs bei Karl May. In: Jb-KMG 1976, 29 ff.

9 Ebd. S. 37 f., S. 45, Anm. 11

10 W. O. von Horn: Die Burenfamilie von Klaarfontein. Union Deutsche Verlagsgesellschaft ("Universalbibliothek für die Jugend") 1890. Erstausgabe "Die Boerenfamilie von Klaarfontein": Kreidel und Niedner, Wiesbaden 1855.

Auf diese literarische Quelle verweist: Rudolf W. Kipp: Auf fremden Pfaden. In: Randolph Braumann (Hrsg.): Auf den Spuren von Karl May. Reisen zu den Stätten seiner Bücher. Econ, Düsseldorf 1976, Fischer TB. 1978.

Nähere Mitteilungen zum Inhalt macht Alfons Stenzel: W. O. von Horn, eine literarische Quelle Mays, M-KMG, Nr. 34/Dez. 1977, 18 f.

In der Erzählung "Der Africander" suchen zwei Engländer die Buren-Ansiedlung Klaarfontein auf, wo nach ihrer Information ein sehr hübsches Negermädchen - Hannje - als Pflegekind der Niederländer lebt. Herr in Klaarfontein ist der Africander Piet van Holmen, die rechte Hand von Pieter Uys, der sich gegen den Zulahäuptling Dinguun rüstet. Die Engländer nutzen die Gastfreundschaft der Buren schamlos aus und entführen Hannje, Piets Braut. Piet ist zu dieser Stunde


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nicht daheim, sondern trifft sich mit Pieter Uys und Dingaans Bruder und Todfeind Panda, um Dingaans Sturz vorzubereiten. Wie sich herausstellt, ist Hannje Pandas Tochter. Kaum erfahrt Piet von ihrer Entführung, macht er sich schon an die Verfolgung. Er fällt dabei dem berüchtigten Dingaan in die Hände, kann aber durch einen verwegenen Handstreich entkommen. Dabei befreit er Hannje und schleppt Dingaan mit sich fort. Nach dem Sieg der Buren über die Kaffern wird Panda neuer Zuluhäuptling, und Piet kann seine Hannje heiraten und erhält obendrein noch von Panda wertvolle Diamanten als Brautschatz.

In der Ich-Erzählung "Der Boer van het Roer" ist das Abenteuer wesentlich breiter und dramatischer erzählt, bleibt aber im Kern dasselbe. Der Erzähler ist mit seinem schwarzen Diener Quimbo in Transvaal unterwegs, um das Land kennenzulernen. Dabei trifft er mit dem berühmten Burenführer Pieter Uys zusammen und gerät in die Auseinandersetzungen zwischen Buren einerseits, Kaffern und Engländern andererseits hinein. Hauptpersonen der Erzählung sind Jan van Helmers, der "Africander", und seine schwarze Braut Mietje, die sich im Verlauf der Erzählung als Tochter des Zulufürsten Panda erweist. Der Erzähler greift auf Seiten der Buren in die Geschehnisse ein, entlarvt einen englischen Kurier und trägt am Schluß zum Sieg über den berüchtigten Zuluhäuptling Dingaan, Pandas Bruder, bei. Während der Entscheidungsschlacht, die in eine Metzelei ausartet, gerät Dingaan durch einen tollkühnen Akt des Africanders in Gefangenschaft, und Jan kann seine Mietje heiraten, nachdem durch Pandas Übernahme der Häuptlingsschaft zwischen Buren und Zulus Frieden eingekehrt ist.

Bei W. O. von Horn heißt die Burensiedlung ebenfalls Klaarfontein; Hauptpersonen sind Jan van Daanen und die von ihm geliebte schwarze Pflegeschwester Mietje. Diese war von seinen Eltern als Kleinkind bei ihrer toten Mutter in der Wüste gefunden und in ihr Haus aufgenommen worden (wie auch May über Pandas Tochter Mietje berichtet). Da die Eltern dem Verhältnis ablehnend gegenüberstehen, geht Mietje fort. Erst viele Verstrickungen führen Jan und Mietje wieder zusammen; Mietje verhindert einen Krieg zwischen den Buren und den Kaffern, und dann steht der Heirat zwischen ihr und Jan nichts mehr im Wege.

Stenzel schreibt (a. a. O. 19): »Karl May muß diese Geschichte gekannt haben. Die Parallelen - wenn auch verhältnismäßig nicht allzuviele - ... sind zu stark als daß man sie übersehen könnte ... Es steht ... (jedoch) fest, daß es sich bei Mays Buren-Erzählung nicht um ein Plagiat handelt, sondern, daß er eine ... eigenständige und reizvolle Geschichte aus dieser Quelle geformt hat.«

11 vgl. Jb-KMG 1976, 276

12 Wolfgang Hammer: "Der Boer van het Roer" und sein geschichtlicher Hintergrund. In: M-KMG 44 (Juni 1980). Hammer geht bei der Behandlung des geschichtlichen Hintergrundes der Erzählung von der letzten Fassung (1897) aus, während in der vorliegenden Arbeit der umgekehrte Weg beschritten wird. Damit werden auch Fragen, die Hammer aufwirft, aber nicht zufriedenstellend beantworten kann, gelöst. Der Aufsatz Hammers kam mir zur Kenntnis, als die vorliegende Untersuchung schon weitgehend fertiggestellt war.

13 vgl. Ekkehard Koch: »Jedes irdische Geschöpf hat eine Berechtigung zu sein und zu leben ...«. Zum Verhältnis von Karl May und Johann Gottfried Herder. (In diesem Jahrbuch)

14 DH 122

15 vgl. z. B. Encyclopedia Americana

16 In Ges. Werke, Bd. 71, Der Afrikaander, ist entsprechend der Originalfassung vom jüdischen König die Rede.

17 H. Schurtz: Afrika (überarbeitet v. V. Hantzsch u. A. Schachtzabel). In: Weltgeschichte (9 Bde. 1913 - 1922), begründet von H. F. Helmolt. Bibliographisches Institut. Leipzig - Wien; Bd. 3 (1914), 27

18 Pierre Bertaux: Afrika. Von der Vorgeschichte bis zu den Staaten der Gegenwart. Fischer Weltgeschichte Bd. 32, 56.-60. Tsd. 1978, 143


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19 Schurtz a. a. O. 27, 107; Bertaux a. a. O. 143, 157

20 DH 123. Die erste Maßnahme Jan van Riebecks war die Anlegung eines Forts zum Schutz vor den im Kaplande lebenden Hottentotten und Buschmännern. Mit dem Hottentotten-Führer Kora wurde ein Vertrag geschlossen, den die Buren brachen. Schon 1659 kam es zum Krieg, der - wie alle späteren - für die Buren nicht rühmlich war, und Kora fiel in den Kämpfen.

Unterscheiden muß man - wie es auch May tut - zwischen den Kriegen gegen die Hottentotten und Buschmänner und den Kriegen gegen die Kaffern. Die Hottentotten wurden von den Buren nicht ausgerottet, sondern verdrängt oder mehr noch in ihr Volkstum aufgesogen. Die Hottentotten waren überwiegend friedliche Viehzüchter, daher »sprengten ihre Scharmützel mit den Buren nur selten den Rahmen lokaler Polizeiaktionen« (Bertaux a. a. O. 161), und eine Zeitlang wurde auch den anpassungsfähigen weißen Ansiedlern vorgeworfen, ein Leben wie die Hottentotten zu führen. Erst im 19. Jahrhundert gab es einige sehr kriegerische und barbarische Hottentotten-Kapitäne.

Schwieriger gestaltete sich das Verhältnis zu den Buschmännern, deren sehr ursprüngliche Lebensform selbst den kriegerischen Bantu geheimnisvoll erschien und die die Weißen vor große Probleme stellten. Während die Hottentotten von den Buren teilweise zivilisiert werden konnten - die erst Bastards genannten Mischlinge bildeten zwischen 1803 und 1813 als Griqua eine selbständige ethnische Gruppe und gründeten, nachdem sie aus dem Kapland ausgewandert waren, eigene Republiken im "Griqua-Land" -, wurden die Buschmänner, die keinen Begriff von Eigentum, also auch nicht von Diebstahl hatten, grausam verfolgt, verjagt oder ausgerottet. Den Buren galten die Buschmänner als »Rohlinge, voller Doppelzüngigkeiten, eingefleischte Lügner und Diebe, grausam, niedrig unter den Niedrigen, unwürdig, den Namen Mensch zu tragen«, und ein Reisender berichtete: »Die Jagd auf diese Leute bedeutet für viele Siedler eine Art Vergnügungspartie.« Zwischen 1785 und 1795 sollen mindestens 10 000 Buschmänner getötet worden sein. (Bertaux a. a. O. 160 f.; Schurtz a. a. O. 28)

Gefährlichere Gegner indes waren die Kaffern. Der Name "Kaffern" stammt von den Arabern und bedeutet einfach "Ungläubige". Er wurde von den Buren auf verschiedene Stämme angewandt, die zur großen Sprachfamilie der Bantu gehören. Zur selben Zeit, da sich die Holländer vom Kap her nach Norden ausbreiteten, verlagerten sich Bantu sprechende Völker langsam von Norden nach Süden. Die Südost-Bantu unterteilt man in die drei Gruppen Thonga, Sotho-Tschuana (ihre Nachfahren leben heute im Basuto- und Betschuanaland) und die Ngoni, zu denen u. a. die Xhosa, Swasi und Zulu gehören. Die Xhosa, mit denen die Buren um 1775 zum ersten Mal zusammenstießen, waren ein gut bewaffnetes und organisiertes, auf Unabhängigkeit bedachtes Hirtenvolk. Zwischen ihnen und den Buren entwickelten sich blutige Kämpfe um die Weideplätze, wobei beide Völker sich gegenseitig das Vieh stahlen.

Die Feindseligkeiten zwischen Kaffern und Buren gehen allerdings schon auf das Jahr 1736 zurück, als eine weiße Jagdgesellschaft im Gebiet der Neger ermordet wurde. Seit 1754 entwickelten sich Kämpfe, aus denen 1780 der erste Kaffernkrieg entstand. Der Kriegszustand sollte über hundert Jahre andauern. Ebenso wie die Buren hatten sich die Engländer mit den Kaffern im östlichen Kapland auseinanderzusetzen. Noch zwischen 1850 und 1857 machten die Xhosa, die von "Medizinmännern" ("Zauberdoktoren") zum Aufstand verleitet wurden, den Briten größte Schwierigkeiten. Den bedeutendsten Feind der Europäer jedoch stellten die Zulu unter Tschaka und seinen Nachfolgern.

21 DH 123, fast wortgleich in den "Frohen Stunden"

22 DH 123

23 DH 189

24 XXIII, 55 f.

25 Ebd. 195

26 Die Angaben zur Geschichte sind u. a. entnommen aus: Kipp a. a. O. (vgl. Anm.


//164//

10); Schurtz a. a. O. (vgl. Anm. 17); Bertaux a. a. O. (vgl. Anm. 18); Jacques Maquet/Herbert Ganslmayr: Afrika. Die schwarzen Zivilisationen. Magnus Kulturgeschichte. Essen 1975; Urs Bitterli: Die »Wilden« und die »Zivilisierten«. München 1976; H. A. Bernatzik (Hrsg.): Neue Große Völkerkunde. Einsiedeln 1974; Pierre Bertaux: Afrika bis zum Kommen der Europäer. In: Propyläen Weltgeschichte (Universalgeschichte, 11 Bände, 22 Halbbände), hrsg. v. Golo Mann. Frankfurt/M. - Berlin - Wien 1976, Bd. 8; Encyclopedia Americana; Standard Encyclopedia of Southern Africa (1971); Meyers Kontinente und Meere, Bd. 1: Afrika. Mannheim - Zürich 1968

27 Versprengte Völkerteile und Reste der Amasingu und Ngwana sowie der Tyrannei Tschakas entronnene Zulu flüchteten nach Süden und bildeten den von May im "Africander" erwähnten Stamm der Fingu. Die Engländer siedelten 1835 ca. 16 000 Fingu östlich des Großen Fischflusses an. In den Kriegen gegen die Xhosa in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts hielten die Fingu zu den Weißen.

28 DH 125

29 DH 126

30 Vgl. Standard Encyclopedia of Southern Africa (s. Anm. 26), Art. Uys, Petrus Lafras sr.

31 Dingaan stellte Retief die Bedingung, er solle dafür sorgen, daß die Zulu gestohlenes Vieh zurückerhielten. Retief zwang daraufhin den Häuptling der Batlokwa, Sekonyela (ca. 1804-1856), mit dem er kurz vorher einen Freundschaftsvertrag geschlossen hatte, geraubte Rinder an Dingaan zurückzugeben.

32 Vgl. zu der Ermordung Retiefs auch Hammer a. a. O. (Anm. 12)

33 DH 125

34 DH 188 f.

35 1867 fand der Württemberger Karl Mauch (1837-1875) die ersten Spuren von Gold in Südrhodesien. Von Mauch stammt auch der erste Bericht eines gebildeten Europäers über die rätselhaften Ruinen des Maschonalandes in Südrhodesien, Zeugen einer uralten, untergegangenen Kultur in diesem Gebiet, die unter dem Namen Simbabwe bekannt wurde. Kipp (vgl. Anm. 10) vermutet, daß May bei seiner Erzählung ein wenig Karl Mauch als Vorbild für sein "Ich" betrachtete. Nicht nur die Ähnlichkeit im Namen spricht dafür. Andererseits findet sich in der Erzählung kein Hinweis auf die von Mauch bereisten Gebiete oder Taten einzelner Afrika-Forscher im 19. Jahrhundert.

36 Hammer a. a. O., vgl. Anm. 12

37 Koch: Kanada Bill, a. a. O. (vgl. Anm. 8)

38 XXIII, 195

39 Koch: Kanada Bill, a. a. O. (vgl. Anm. 8), 40

40 Vgl. z. B. XXIII, 133

41 Mampoer hatte schon 1861 dagegen opponiert, daß Sikukuni seinem Vater Sekoati folgen sollte, und zwanzig Jahre später gelang es ihm dann, ihn zu beseitigen. Aber Ober-Häuptling wurde nicht er, sondern ein anderer Halbbruder von Sikukuni namens Kgoloko (Sikukunis Sohn und Erbe Morwamotshe war - wie auch Dinkoanjane - in den Kämpfen gegen die Briten gefallen, und Morwamotshes Sohn, der auch Sikukuni hieß, war noch zu klein). 1885 räumte man den Bapedi ein tausend Quadratkilometer großes Gebiet zwischen den Flüssen Olifant und Steelport ein.

42 Koch: Kanada Bill, a. a. O. (vgl. Anm. 8), 42

43 So schrieb ja schon E. A. Schmid (Wahrheit und Dichtung, in: »Ich«. Karl Mays Leben und Werk. Bamberg 1958/63, 342), daß auch Sikukuni zu den historischen Gestalten in Mays Werk gehöre, »über die man in jedem größeren Konversationslexikon nachschlagen kann.« Die Behauptung ist zwar übertrieben, aber es hätte sich ohne weiteres Material über ihn beibringen lassen.

44 Vgl. Anm. 8

45 Vgl. Anm. 7

46 DH 132

47 Ebd.


//165//

48 DH 170

49 Die Untaten der Amerikaner im Kampf gegen die Indianer, angefangen 1622 in Virginia bis hin zum Blutbad von Wounded Knee 1890, sind sattsam bekannt. Weniger bekannt sind die Schandtaten der Engländer (z. B. Ausrottung der Ureinwohner Tasmaniens), und unbekannt sind in der Öffentlichkeit die Gemetzel der Russen in Zentralasien geblieben (bei der Niederwerfung der Turkmenen 1880/81 kamen an die 10 000 Eingeborene ums Leben, und bei der vorhergehenden Eroberung Usbekistans hatte jede Erstürmung einer größeren Feste ein paar hundert oder gar tausend der Ureinwohner das Leben gekostet).

50 Vgl. Anm. 13

51 Koch: Kanada Bill, a. a. O. (vgl. Anm. 8), 35

52 DH 126, 127


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