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BERNHARD KOSCIUSZKO

»Man darf das Gute nehmen, wo man es findet«(1)

Eine Quellenstudie zu Karl Mays Südamerika-Romanen

Merk's: zweierlei muß der echte Dichter verstehen: brav = lügen können; & Excerpte machen! (Und aus Beidem dann = eben ein Neues = Ganzes gestalten.) Arno Schmidt(2)

Ob ich es aus dem Leben oder aus dem Buche genommen, das ist gleichviel, es kam bloß darauf an, daß ich es richtig gebrauchte!

Goethe zu Eckermann(3)

Daß Karl May nie in Südamerika war, steht ganzlich außer Zweifel. Um so erstaunlicher mutet die minuziöse Beschreibung von Land und Leuten der »Banda oriental« an. Ein Blick in das Verzeichnis der Bibliothek Karl Mays löst das Rätsel: Das Kapitel »Mittel- und Südamerika« weist 17, zum Teil mehrbändige Reisebeschreibungen dieses Weltteils auf. Da »Lopez Jordan« (El Sendador I) und »Der Schatz der Inkas« (El Sendador II) - als »Am Rio de la Plata« und »In den Cordilleren« Bd. 12 und 13 der »Gesammelten Reiseerzählungen« - sowie »Das Vermächtnis des Inka« in den Jahren 1889/90 und 1891 erschienen und einige der Reisobeschreibungen nur Mittelamerika und Mexiko betreffen, konnte die Suche nach den Quellen der frappanten Vertrautheit Mays mit südamerikanischer Geographie und Ethnologie eingeschränkt werden auf neun Werke(4), von denen sich zwei als Mays »Handexemplare« herausstellten:

Dr. Hermann Burmeister: Reise durch die La Plata-Staaten, mit besonderer Rücksicht auf die physische Beschaffenheit und den Culturzustand der Argentinischen Republik. Ausgeführt in den Jahren 1857, 1858, 1859 und 1860. 2 Bände. Halle 1861;

und

Hugo Zöller: Pampas und Anden. Sitten- und Kulturschilderungen aus dem spanischredenden Südamerika mit besonderer Berücksichtigung des Deutschtums. Berlin/Stuttgart 1884.


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May selbst zitiert zu Anfang von »Am Rio de la Plata« eine weitere Quelle: ich . . . vertrieb mir die Zeit miteinem Buche, dessen Inhalt sich auf das Land bezog, welches ich kennenlernen wollte . . . Ich war . . . so frei, mich nach dem Verfasser dieser Auslassungzu erkundigen. Er hieß Adolphe Delacour und war Redakteur des Patriote Français zu Montevideo gewesen.(5) Dieses Buch war bisher zwar nicht ausfindig zu machen, doch fand sich ein Auszug aus einem Delacour-Text aus dem Jahre 1881 in dem Sammelband

Amerika. Eine ethnographische Rundreise durch den Kontinent und die Antillen. Charakterbilder, Sittenschilderungen, Szenen aus dem Volksleben. Nach den besten und neuesten, deutschen und ausländischen Quellen bearbeitet von Dr. Johannes Baumgarten Stuttgart 1882,

der sich in Mays Besitz befand. Es sei noch auf ein letztes Werk hingewiesen, das May für seine Südamerika-Studien benutzte:

J. J. v. Tschudi: Die Ketchua-Sprache. 2 Bände. Wien 1853.

Aus dieser Quelle schrieb May für seine Erzählung »Christ ist erstanden!« (1893) - heute unter dem Titel »Auferstehung« in Bd. 26 - ein »Ave Maria« in Ketchua ab(6), und auch für die Ketchua-Wörter und -Begriffe, die sich in den drei Südamerika-Romanen verstreut finden, darf man Tschudi als Gewährsmann annehmen.

Über diese Literaturliste hinaus standen May für seine Ausführungen sicherlich noch aktuelle Zeitschriften- und Zeitungsberichte zur Verfügung. Dr. Max Finke berichtet im Karl-May-Jahrbuch 1921 anläßlich der Sichtung »Aus Karl Mays literarischem Nachlaß«, daß May »eifrig (war) im Sammeln von Zeitungsausschnitten und Aufsätzen«.

I .  P e r s o n e n  u n d  N a m e n

Die Historizität der politischen Szene der Südamerika-Romane Mays hat Ekkehard Koch ausführlich dargestellt (s. S. 142ff.).(7) Detaillierte Angaben über Latorre, Mitre, Sarmiento, Urquiza und Lopez Jordan


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konnte May bei Zöller finden. Er hat die dort gebotenen Daten und Fakten aber seltsamerweise nicht direkt verwertet. Die genannten Politiker dienen ihm offensichtlich ausschließlich zur Ausstaffierung des Hintergrundes seiner Erzählung. Daß May sich aber gerade Latorre zum Doppelgänger auswählte, mag seinen Grund u. a. auch in Zöllers Ausführungen haben:

»Ein höheres, wenn auch mit der zügellosen Energie eines Artigas oder Flores gepaartes Streben finden wir unter den neueren Machthabern Uruguays bloß bei einem einzigen, bei Latorre, und auf die Laufbahn dieses verhältnismäßig jugendlichen Mannes, der vielleicht noch einmal eine Rolle in seinem Vaterlande spielen wird, möchten wir etwas näher eingehen. Aus den ärmeren Volksschichten hervorgegangen, ernährte Latorre als ganz junger Mann seine alte Mutter in sehr ehrenwerter Weise zuerst als Zigarrenarbeiter, dann als Setzer in einer Buchdruckerei . . .

Latorre trat als gemeiner Soldat in die Armee und brachte es durch seinen niemals angezweifelten persönlichen Mut vor Schluß des Krieges bis zum Range eines Oberstleutnants. Sein weiteres Aufrücken zum Oberst hing mit einer der zahlreichen Revolutionen zusammen, bei der Latorre als Werkzeug diente, um, als ihm seine Zeit gekommen schien, das Spiel zu wiederholen.« (Zöller, S. 176f.)(8)

Der von Koch angemerkte Irrtum Mays, Lopez Jordan als Stiefsohn (statt Schwiegersohn) Urquizas zu bezeichnen, läßt sich wahrscheinlich ebenfalls auf Zöller zurückführen:

»(Urquiza) lebte . . . in stiller Zurückgezogenheit auf dem palastähnlichen Landsitze San Jose. Dort bewirtete er noch im Februar 1870 den Präsidenten Sarmiento und das diplomatische Korps, am 11. April aber wurde der neunundsechzigjährige Greis auf Veranlassung seines Stiefsohnes Lopez Jordan ermordet. Erst im Februar 1871 gelang es den Truppen der Regierung, eines Aufstandes Herr zu werden, den Lopez Jordan mit den reichen Geldmitteln seines Stiefvaters angezettelt hatte.« (Zöller, S. 165)(9)

Über Zöller hinaus müssen May noch weitere Quellen zur Verfügung gestanden haben; das läßt sich aus der so genauen Bezeichnung Oberst Glotinos als Schwager Mitres(10) und aus der bei Zöller nicht erwähnten Gestalt Alsinas(11) schließen.

Neben den Politikern tauchen in den Romanen weitere Namen auf, die ebenfalls nicht (oder nicht ganz) auf Fiktion beruhen: Der Paläontologe Dr. Morgenstern in »Das Vermächtnis des Inka« hat einen Namensvetter, den Österreicher Wisner von Morgenstern, der - wie Zöller (S. 61 und 64) erwähnt - in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in argentinischen Diensten als diplomatischer Berater tätig war. Der von Dr. Morgenstern mehrfach erwähnte Prof. Dr. Burmeister wurde schon von Ekkehard Koch vorgestellt (s. S. 140)(12);


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aus Burmeisters Buch läßt sich auch rekonstruieren, welche Bücher Dr. Morgenstern im Café de Paris in Buenos Aires mit sich herumschleppt: »Wir haben bereits mehrere verdiente Arbeiten über diesen Gegenstand (sc. "Geognostische Skizze eines Theiles der Banda oriental"), welche ich bei der Schilderung des von mir bereisten Stücks der Banda oriental zu Rathe ziehen konnte. - Die älteste Arbeit ist von W e i ß (In den Schriften d. Königl. Akad. d. Wissensch. zu Berlin aus d. Jahre 1827. Berl. 1830. 4. S. 217 flgde.)« (Burmeister I, S. 68. Hervorh. B. K.; der andere Band im Zitat unten).

Die von Dr. Morgenstern unter so dramatischen Umständen gesuchten und gefundenen vorsintflutlichen Knochen von Glyptodon und Megatherium hat Burmeister selbst in den Pampas gesammelt und in seinem naturwissenschaftlichen Museum in Buenos Aires ausgestellt:

Unter den Geschöpfen, die in der Banda oriental häufig gefunden werden, ist zuvörderst ein riesenmäßiges Armadill ohne Gürtel (Glyptodon s. Hoplophorus), dessen Panzer . . . durch S e l l o w bekannt und von W e i ß (a. a. O. S. 276), wie später von E. d' A l t o n (Abhandl. d. Königl. Akad. d. Wissensch. z. Berl. aus d. Jahre 1834.) nebst Theilen des Skelets beschrieben wurde. W e i ß hielt die Panzerreste, weil auch Knochen vom Megatherium in ihrer Nähe gefunden worden waren, für die Bedeckung dieses Thieres, und d' A l t o n, welcher die Panzerreste entschieden einem Gürthelthier zusprach, unterließ es, dessen Inhaber weiter zu benennen. (Burmeister 1, S. 79) (13)

Zum Schloß des Kapitels »Namen« eine Auflistung der Hotels bzw. Restaurationen, die Mays Helden bewohnen und besuchen: Für May war jeweils nur das Beste gut genug; so in Montevideo: »Die glänzenden Gasthäuser (H o t e l O r i e n t a l, Hotel de Paris usw.) sind in europäischem Stil gehalten . . .« (Zöller, S.32. Hervorh. B. K.) und auch in Buenos Aires: Das erste Zusammentreffen von Dr. Morgenstern mit Fritz Kiesewetter spielt sich im C a f é d e P a r i s ab, das Zöller (S.134) als den feinsten Gasthof in Buenos Aires bezeichnet - und Karl May übernimmt diese Klassifizierung wörtlich. Das Hotel L a b a s t i e, in dem der Stierkämpfer Crusada wohnt (»Das Vermächtnis des Inka«), gilt nach Burmeister (I, S. 91), der selbst dort abstieg, »mit der S t a d t R o m, f ü r den ersten (sc. Gasthof) und bewährte seinen Ruf in jeder Hinsicht; er kann mit den besten Hotels in Europa wetteifern«.


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II. L a n d e s n a t u r - W i r t s c h a f t - V e r k e h r

Während Burmeister auf seiner Reise hauptsächlich geologische und biologische Beobachtungen festhielt, interessierte sich Zöller stärker für Politik, Wirtschaft und Kultur der La-Plata-Staaten. May nutzte das geschickt aus. Für die Beschreibung der Landesnatur zog er Burmeisters Ausführungen heran und ging dann ohne Übergang zu Zöllers Beschreibung der Wohn- und Wirtschaftsverhältnisse über. Karl May wechselte bei der Benutzung der Quellen ständig die Methode: neben wörtlich übernommenen Passagen stehen leicht paraphrasierte oder vereinzelte eigenständige Sätze. Die von May hauptsächlich verwandte Weise der Vertuschung seiner Quellenschöpfung ist - neben der schon erwähnten, mehrere Quellen neben- und durcheinander zu Rate zu ziehen - die Textumstellung: Im folgenden Beispiel ist der May-Text in die Abschnitte a b c d e unterteilt; diesen Abschnitten entspricht bei Burmeister der Text in der Reihenfolge a c b e d (14):

Karl May: 12/106f. Quellen: Burmeister I, S.43 f.
a Uruguay wird von den Bewohnern desselben die Banda oriental, d. h. die östliche Seite, genannt, und der Uruguayense bezeichnet sich infolgedessen gerne als »Orientale«. a »Das Gebiet der La Plata Staaten . . . führte schon bei den Spaniern den Namen der ö s t l i c h e n  S e i t e (Banda oriental) und bildet gegenwärtig, so weit es nicht zu Brasilien gehört, einen selbständigen Staat, die Republica oriental del Uruguay; ihre Bewohner nennen sich kurzweg: L o s  O r i e n t a l e s.« (Es folgt ca. 1/2 Seite Landesgeschichte).
b Das Land stößt im Norden an Brasilien, im Westen an den Uruguayfluß, von welchem es den Namen hat, im Süden an den La Plata und im Osten an den atlantischen Ocean. c »Mitten durch das Land strömt von Nordost nach Südwest, gleichsam wie eine Diagonale, der R i o  N e g r o, ein Fluß von der Größe unserer O d e r , welcher die Banda oriental in zwei etwas ungleiche Hälften scheidet;
c Es ist durchweg welliges Hügelland, durch welches von Nordost nach Südwest, also in der Diagonale, der Rio Negro fließt, ein Fluß ungefähr von der Größe unserer Oder. b die südliche größere Partie stößt an das Meer und den Rio de la Plata, die nördliche kleinere an den Rio Uruguay im Westen und beide im Norden an die Provinz Rio grande Brasiliens.
d Er läuft parallel einem Höhenzuge, welcher der Cuchillo grande genannt wird. Cuchillo heißt im Spanischen das Messer, und dieses Wort ist eine sehr treffende Bezeichnung für diesen schmalen, sich gleich einer Messerklinge erhebenden Gebirgszug. e Das Ganze ist eine etwas unebene, von schmalen Felsengebirgen mit geringer Erhebung durchzogene, buckelige, terrassirte, grasbewachsene Fläche ohne alle Waldungen; höchstens in
e Die von Flüßchen und Bächen zerrissene, wellenförmige Fläche des Landes ist meist mit Gras bewachsene Pampa. Höchstens in den Furchen der genannten Wasserläufe findet man niedriges


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Buschwerk, welches nach Norden in Wald übergeht, ohne aber den eigentlichen Charakter eines geschlossenen Waldes anzunehmen. den schmalen Thalfurchen der vielen kleinen Flüsse und Bäche, welche theils dem Meere und Rio de la Plata theils dem Rio Negro und Rio Uruguay zufließen, trifft man niedrige Gebüsche, die sich weiter nordwärts am Rio Uruguay allmälig zu förmlichen Wäldern verdichten und erheben aber nirgends einen so großartigen und vollständigen Waldcharakter erlangen, wie er in den tropischen Gegenden Brasiliens zunächst der Küste gefunden wird.
f Dörfer nach unserm Sinne giebt es in diesem Lande nicht, sondern nur größere Landgüter und einzelne Gehöfte. Unter diesen ersteren muß man eine Unterscheidung zwischen Estancias, das sind Viehgüter, und Haziendas, das sind Ackerbaugüter, treffen. So ein Gehöft besteht meist aus weiß getünchten Gebäuden und nimmt sich aus der Ferne recht stattlich aus, zeigt sich aber in der Nähe als ein höchst einfaches und aus mangelhaftem Materiale hergestelltes Bauwerk.

Ranchos sind kleinere Güter, in welchen die weniger wohlhabenden Leute wohnen. Die mit Stroh oder Schilf gedeckten Mauern eines solchen bestehen meist aus festgestampftem Rasen.

d Der Rio Negro . . . läuft einem in gleicher Richtung nach Südwest streichenden Höhenzuge, der C u c h i l l a  G r a n d e * parallel . . .«

*Anm. Burmeister: »Cuchilla heißt eigentlich ein Messer und dient zur passenden Bezeichnung dieser schmalen gratförmigen Gebirgszüge, welche sich gleich Messerklingen aus der Ebene erheben.«

g Der Viehstand des Landes ist sehr bedeutend. Wenn man durch dasselbe reitet oder fährt, so kann man nach jeder halben Stunde eine große Herde von Hornvieh, Pferden oder Schafen zu sehen bekommen. Ein ausgewachsener, vollwichtiger Schlachtochse kostet kaum fünfzig Mark . . . f Zöller: S. 17

»Dörfer in unsrem Sinne gibt es in Uruguay nicht, sondern bloß größere Ortschaften oder vereinzelte Gehöfte. Zuweilen sahen wir auf irgend einer Anhöhe die weißgetünchte Wohnung eines Estanciero, die sich aus der Ferne wie ein stolzes Schloß ausnahm, um in der Nähe zu einem einfachen, wenn auch etwas phantastisch mit Zinnen und Türmen angelegten Bauwerke ohne Garten, ohne Baum und Strauch einzuschrumpfen. Ebenso zahlreich waren die aus gestampftem Rasen erbauten und mit Schilf gedeckten Gehöfte der weniger wohlhabenden Leute . . . «

g Zöller: S. 18

»Überraschend wirkte auf mich die große Menge des Weideviehes, ich hatte mir kaum vorgestellt, daß eine bestimmte Strecke Landes dessen ohne Pflege und Stallfütterung so viel zu ernähren vermöge. Nur selten verfloß eine längere Spanne Zeit, ohne daß zur Rechten oder Linken große Herden (Majadas) von Hornvieh, Pferden oder Schafen... sichtbar gewesen wären. (Auslassung ca. 1/2, Seite.) (jedes Stück Hornvieh, das in den Saladeros verkauft wird, bringt 40-48 Mark ein) . . .«(15)


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Die zuletzt genannte Preisangabe für einen Schlachtochsen stimmt -im Gegensatz zu den sonstigen Angaben Mays zum Währungssystem: »In den Gasthäusern zahlt man für Wohnung, Licht und Beköstigung in französischem Stil, aber ohne Wein, etwa 50 Papierthaler (8 Mark) täglich . . . Das Bier, . . . die Flasche davon kostet im Wirtshause sechs, im Laden fünf... Papierthaler... der Haarschneider (verlangte) »zehn Thaler« . . .« (Zöller, S. 134ff.) Diese Zahlen übernimmt May wörtlich (12/26f.), übergeht dabei aber generös, daß Zöller an dieser Stelle vom Währungssystem Argentiniens spricht, das von dem Uruguays völlig verschieden war. Durch diesen Fehler bedingt, zahlt er für seinen Braunen (12/116) mehr als nötig; Zöller: »Eine Stute kostet hierzulande (jetzt ist Uruguay gemeint. B. K.) höchstens 16, ein gutes Reitpferd 40-64 Mark.« (S.15) Der Braune kostet aber nach May 500 Piasterthaler (!) (16) = 80 Mark. In der Eile der Niederschrift ist May zudem noch mit den verschiedenen Münzsorten durcheinander gekommen: Der Yerbatero benötigt für den Bankier 200 Papierthaler = 32 Mark. (May) hilft ihm aber mit »fünf Diez Pesos Fuertes« (12/37) aus (Zöller, S. 136: »Diez Pesos Fuertes (galt) 40 Mark«), also mit 1.250 Papierthalern.

Bedingt durch die niedrigen Preise, gilt ein Pferdeleben in der Pampa nicht viel, wie die Diligence-Episode drastisch vorführt. Neben Pferd und Ochsenkarren war die Diligence das einzige Beförderungsmittel, das dem Reisenden in den La-Plata-Staaten zur Verfügung stand.(17) Zöller, Burmeister - und auch Gerstäcker(18) - vertrauten sich einem solchen Gefährt an. May begnügt sich mit der Schilderung einer Begegnung mit diesem malerischen »Marterkasten« (Gerstäcker); seine Beschreibung (12/103ff.) ist wiederum ein Konglomerat aus Burmeister- und Zöller-Zitaten; selbst der Dialog der geplagten Fahrgäste wurde nur geringfügig geändert. Mehr Mühe hat May sich für die Jugenderzählung »Das Vermächtnis des Inka« gegeben: auch Dr. Morgenstern und Fritze Kiesewetter begegnen einer Diligence (Vermächtnis, S. 119ff.), hier jedoch wird die Episode weitgehend eigenständig, in lockerem Erzählton vorgetragen.

Die nachfolgende Quellenzusammenstellung entspricht der Textfolge des Bandes 12/103 ff., nur der Dialog wurde ausgespart:

»Die Einrichtung der Diligence, auf welcher ich Platz nahm, ist durchaus Europäisch; ein solid gebauter Wagen mit Cabriolet, Coupe und Rotunde, worin 12 Personen Platz nehmen können. Sieben Pferde, 4 in erster Reihe neben einander, 2 davor und 1 an der


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Spitze, ziehen den Wagen über Stock und Stein im sausenden Galopp, daß Einem die Sinne vergehen; das vorderste Pferd reitet ein Knecht (Peon) und das linke hintere ebenfalls; ein Reiter, welcher neben dem Wagen galoppirt, haut von Zeit zu Zeit mit einer großen Hetzpeitsche auf die Pferde los . . .« (Burmeister I, S. 45)

». . . dem Vorreiter liegt es ob, erstens das Gelände zu überschauen, zweitens dem ganzen unbeholfenen Fuhrwerke die gewünschte Richtung anzuweisen.« (Zöller, S. 12)

»Während der ganzen fünftägigen Postwagenfahrt habe ich nicht ein einziges Mal boobachtet, daß die Pferde Schritt gingen. Auch kennen sie bloß einen schlechten unregelmäßigen Trab, meist geht es wie das Donnerwetter im Galopp, sei es, wenn die Pferde bereits ermüdet sind, etwas langsamer, sei es namentlich an den schlechten Stellen mit Anspannung aller Kräfte.« (Zöller, S. 13)

»Binnen einer Stunde legt man 2 1/2-3 Leguas zurück, fährt also am Tage 20-25 Leguas, d. h. 12-15 deutsche Meilen, etwa 2 Meilen die Stunde. Von dieser Schnelligkeit der Fahrt hat man in deutschen Postkotschen keine Vorstellung . . . aber dafür fehlt auch alle Andeutung einer gebahnten Straße; der Weg, den man fährt, ist ohne alle Kunst, öfters gar ohne alle Spur; es geht über die natürliche Fläche hin, wie es gerade kommt; man traut seinen Augen kaum, wenn man zum Wagenfenster hinausblickt, daß auf solchem Boden gefahren werden könne. Stock und Stein, die ich vorhin erwähnte, giebt es freilich nicht; Holz ist selten im Lande und Rollsteine liegen nur in der Nähe der Cuchillas, oder in einigen Bächen . . . - doch Unebenheiten sind genug da, über welche der sausende Galopp den Wagen fortreißt, und dabei den Reisenden zusammenstößt, daß ihm Hören und Sehen vergeht.« (Burmeister I, S. 45f.)

Bei May folgt hier der Fahrgästedialog, den Zöller auf S. 12 bringt; May variiert nur unwesentlich.

»Steil bergab in den Fluß hinunter stürzt die wilde Schaar durch das Wasser, überall spritzen Tropfen umher, der Fluß schäumt auf von der rasenden Eile des Durchschnitts; - und ebenso schnell geht es an der anderen Seite mit furchtbarem Geschrei der Knechte und Peitschenhiebe der Treiber wieder in die Höhe. Die arme Bespannung arbeitet mit gewaltiger Anstrengung, und bleibt, ihr erliegend, nicht selten einzeln todt auf der Stelle . . . Niemand nimmt sich der armen Thiere an, oder denkt nur überhaupt an ihre Leiden; wer es wagen sollte, sich darüber zu äußern, würde von allen Anwesenden als ein Narr ausgelacht werden.« (Burmeister I, S. 46)

III.  B e v ö l k e r u n g

Die interessanteste Bevölkerungsgruppe der La-Plata-Staaten bilden (neben den Indianern natürlich, die E. Koch auf den Seiten 155ff. dieses Jahrbuchs ausführlich behandelt(19)) die G a u c h o s. Zöller steht ihnen gänzlich ablehnend gegenüber: »Diese Gauchos sind... ein gemeines, feiges, grausames, erbärmliches Geschlecht . . .« (S. 210); Burmeister dagegen hatte »niemals Gelegenheit gefunden, mich über das Benehmen der Leute zu beklagen . . . Und so wurden auch die Gauchos bald meine Freunde«. (I, S. 119) May schließt sich Burmeister und Adolphe Delacour, den landeskundigeren, an und zeichnet ein positives Bild dieser malerischen Gesellen:


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»Der argentinische Gaucho (spr. Ga = utscho) zeigt in seinem Charakter die unabhängige und wilde Entschlossenheit des indianischen Stammes der Guarani und den Stolz, den Anstand, die edle Freimüthigkeit und das gewandte und vornehme Betragen des spanischen Caballero.... Die Bewaffnung des Gaucho bildet der L a z o, ein langer lederner Riemen mit einer Schlinge, die B o l a s, drei bleierne Kugeln an ledernen Riemen, ein Messer und außerdem in Kriegszeiten eine Lanze . . .

Seine Hauptleidenschaft ist das Spiel; die Karten gehen ihm über alles. Auf den Fersen hockend, sein Messer neben sich in die Erde gesteckt, um einen unehrlichen Gegner sogleich zu bestrafen, wirft er das Kostbarste, was er besitzt, kaltblütig auf's Gras, wagt es und verliert es mit Ruhe.... In der E s t a n c i a (Meierei) arbeitet der Gaucho nur wenn es ihm gefällig ist, gibt seinem Dienstverhältnisse ein Gepräge von Unabhängigkeit, und würde es niemals dulden, daß der Herr so unhöflich wäre, in ihm die Eigenschaft eines Caballero nicht anzuerkennen, deren er sich durch seine Bescheidenheit, sein anständiges, nicht stolzes Betragen und seine stets ruhige und höfliche Haltung würdigt.« (Adolphe Delacour, S. 13 f ) (20)

Im Kapitel »In der Estancia« der Jugenderzählung »Das Vermächtnis des Inka« beschäftigt May sich abermals mit den Gauchos. Er lehnt sich hier stärker - jedoch nicht wörtlich oder eng - an Burmeister an. Daß May mit dem ehrlichen Gauchotypus (Delacour beschreibt auch den »Gaucho malo«) nicht nur sympathisiert, sondern sich mit dessen Lebensideal geradezu identifiziert - schließlich sind die Hauptmerkmale des erträumten Lebens der großen Mayhelden ebenfalls Unabhängigkeit, Anstand und Freimütigkeit - zeigt die Erzählung von der verlorenen Uhr, die ein Gaucho nach tagelanger, mühevoller Suche dem Verlierer wiederbrachte(21): Szenen, in denen gestohlene/verlorene Uhren vorkommen, deuten bei May stets auf innere Beteiligung.

Das typische Äußere eines Gaucho schildert May effektvoll indirekt, indem er es leicht parodiert: Der kleine, schmächtige Dr. Morgenstern versetzt durch seine »Verkleidung« als Gaucho mit Büchern das volle Café de Paris in Buenos Aires in staunendes Schweigen.(22) Die Kleiderkammer für die Ausstaffierung des deutschen Gaucho fand May bei Burmeister:

»Ihre Kleidung ist eine höchst abenteuerliche Mischung europäischer und indianischer Kleidungsstücke, welche sich nach und nach zu einem festen, unabänderlichen Typus ausgebildet hat. Hemde und Hose hat der Gaucho vom Europäer angenommen oder beibehalten, aber die letztere schon etwas verändert, indem er sie sehr weit macht und unten mit einem Franzenbesatze schmückt . . . Der Gaucho trägt zwei Beinkleider, ein gröberes unteres und ein feineres, decorirtes darober; beide weiß. Aber das Hemd kann farbig und bunt sein, obgleich das weiße für eleganter gilt. Das Uebrige in der Tracht des Gaucho stammt vom Indianer, namentlich zuvörderst der C h i r i p a, eine bunte, mit Thieren, Hunden, Pferden, Hirschen etc. decorirte. . . Decke, welche zwischen die Beine genommen, hinten und vorn in die Höhe gezogen, so um den Leib gelegt und


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durch einen Leibgurt festgehalten wird. . . . Ueber alle diese Unterkleider hängt nun noch von den Schultern der P o n c h o herab, gleichfalls eine große Decke, aber in der Regel eine wollne, welche mit einem 1 Fuß langen Längsspalt in der Mitte versehen ist, durch den man den Kopf steckt. Er hat stets eine lebhafte, grelle Farbe, am liebsten roth, demnächst blau oder hellbraun, seltener gelb oder grün und ist mit drei abweichend farbigen Längsstreifen geziert, von denen eine in der Mitte läuft, wo der Kopfspalt sich befindet . . . Den Fuß läßt der gemeine Gaucho gewöhnlich unbekleidet, oder er zieht darauf einen ledernen Strumpf, aus dessen offener Spitze nur die Zehen hervorragen. Einen solchen Strumpf, bota de potro genannt, macht sich der Gaucho selbst aus der Haut der Pferdebeine, welche beim Abziehn des Felles oben am Rumpfe abgeschnitten wird; er weicht sie im Wasser, bis die Haare heruntergehn, und zieht sie nun naß über seinen Fuß bis zur Wade hinauf, sie darauf trocknen lassend. Der fest angeschmiegte Strumpf bleibt sitzen, bis er zerrissen ist und vom Fuße fällt.... Ein ungeheuer großer, theils eiserner, theils silberner Sporn, der auf eine hinten angebrachte runde Scheibe sich stützt und ein Rad von 3-4 Zoll Durchmesser mit starken aber stumpfen, über 1 Zoll langen Stacheln trägt, ziert den Fuß, selbst den nackten und fehlt nie, wenn er auch oft nur an dem einen Beine gesehen wird. Ohne diesen Sporn geht der Gaucho nicht auf die Reise . . . Auf dem Kopfe endlich haben alle Gauchos beständig einen Hut, theils von Filz, theils von Stroh, aber er ist klein und verdeckt nicht das ganze Gesicht. Daher hängt man sich ein buntes Taschentuch über den Kopf, setzt den Hut darauf, und bindet die am Rücken herabhängenden Enden vorn vor dem Halse zusammen. Dies Tuch schützt vor dem Sonnenbrand und giebt Kühlung, indem es die beim Reiten von vorn zuströmende Luft fängt und dem Nacken zuführt.« (I, S. 122-124)

Den typischen Gaucho traf man allerdings nur in der Pampa und in den kleineren Städten; in den beiden Metropolen des La-Plata-Gebietes tauchte er nur selten auf. Buenos Aires und Montevideo waren Städte europäischer Art; May bietet - nach Zöller - genaue Angaben über Herkunft und Habitus der Einwohner der argentinischen Hauptstadt. Daß er diese Angaben(23) auch in »Am Rio de la Plata« verwendet hat, ist zwar nicht korrekt, da er sie auf Montevideo überträgt, in Anbetracht der weitgehenden Ähnlichkeit beider Städte kann das jedoch toleriert werden:

»Von den 200 000 Einwohnern der argentinischen Hauptstadt mag etwa die Hälfte europäischen Ursprungs sein; man berechnetdie Zahl der Italiener auf 50 000, diejenige der Spanier auf 20 000, diejenige der Franzosen auf 15 000 und diejenige der Deutschen auf 3000; über die ebenfalls recht zahlreichen Schweizer und Engländer habe ich keine zuverlässigen Angaben erhalten können. Ist es nun aber auch selbstverständlich, daß die in Europa geborenen Kaufleute, Handwerker und Gewerbetreibenden ganz europäisch aussehen, so herrschen doch auch bei den Argentinern, Männern sowohl als Frauen, französische Moden vor. Zuweilen sieht man zwar einmal eine Dame in Mantilla, das aber ist selten, und bei den Männern könnte höchstens von einer eigenartigen Haar- und Barttracht die Rede sein. Sie vereinigen nämlich Schnurrbart und Knebelbart zu einem spitzen Zipfel nach abwärts, während das lange schwarze Haar in losen, etwas aufgebauschten Locken nach rückwärts gestrichen wird. Im allgemeinen sind die »Porteños« der argentinischen Hauptstadt . . . ebenso wie die übrigen Argentiner ein hochgewach-


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sener, wohlgebildeter Menschenschlag, dessen Charaktereigenschaften man allerdings nicht durchweg loben hört.« (Zöller, S. 130f.)

Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen stellt May uns aber nicht nur nach exakten Quellen referierend vor; in den einzelnen Gestalten und Gruppen der Romane finden wir sie beispielhaft lebendig geworden wieder; als Vertreter der Großstadt-Porteños z. B. die Bankiers Tupido (Bd. 12) und Salido (Das Vermächtnis des Inka), wobei Tupido negativ und Salido positiv gezeichnet ist; typische Gauchos ehrlicher Art sind der Yerbatero und seine Kameraden sowie die Gauchos im Kapitel »Auf der Estancia« (Das Vermächtnis des Inka); und als Beispiel für den Gaucho malo können die Bolamänner der Armee Lopez Jordans gelten. Einen eigenständigen Beitrag zur Charakteristik der Bevölkerung der La-Plata-Staaten bietet May mit der Schilderung einer glänzenden Soiree im Provinznest San Jose.(24) May hatte unverkennbar eine Begabung zur Satire; solange er sympathische Einzelpersonen in ihren charakterlichen oder habituellen Sonderlichkeiten leicht karikierend zeichnet, bleibt er im Bereich des Humoristischen, schildert er aber Typen oder Gruppen mit anmaßendem, aufgeblasenen Auftreten, greift er zum stilistischen Mittel der beißenden Satire: so vorzugsweise bei uniformiertem Chargenhochmut(25), überheblicher oder heuchlerischer Geistlichkeit und zuweilen auch im Bereich der sogenannten »feineren Gesellschaft«. Da die Familie Rixio und ihre Gäste dem Helden aber freundlich gesonnen sind, wenngleich sie ihm reichlich lästig fallen, bestand zur beißenden Karikatur kein Anlaß: Die Schilderung der Tertullia steht gerade auf der Grenze zwischen humoristischer Übertreibung und satirischer Karikatur:

Ich sah die zierlichsten Füßchen mit Schuhen Nummer Null; aber an diesen Schuhen war irgend eine Naht geplatzt oder die Sohle klaffte los. Zarte Damenhände mit schwarzgeränderten Fingernägeln, rauschende Seide mit Brüchen und die Säume ausgefranst, falsche Steine in kunstvoller Fassung . . .(26)

IV. D i e R e i s e r o u t e

Geplant war eine Reise quer durch Südamerika: »Ich will nach Santiago und Tucaman . . .«(27) Ein Umweg wird nötig, um El Sendador, den angeblich besten Führer durch den Gran Chaco, zu treffen. So reitet man zunächst durch Uruguay und Entre Rios, um dann mitten durch


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den Gran Chaco bis hinauf in die bolivianischen Kordilleren zu gelangen.

May konnte sich auf solch ein Unternehmen gut einlassen: Die Reiseroute durch Uruguay bis zur Hacienda Montesos (genauer: bis Mercedes) stimmt bis in Einzelheiten hinein mit einer Reise Burmeisters überein. Für den weiteren Verlauf des Rittes durch den Chaco konnte May dann die Karten benutzen, die Burmeister seinen beiden Bänden beigefügt hat. Für »Das Vermächtnis des Inka« wählte May einfach den Reiseweg durch den Gran Chaco noch einmal.

Die Quellentexte im einzelnen zu zitieren ist unnötig; man lese die May-Texte und gehe davon aus, daß May sich eng an die in der folgenden Aufstellung bezeichneten Quellen gehalten hat:

Örtlichkeit May-Text Quelle
Montevideo 12/16f. Zöller, S.31 (geographisch)
Zöller, S.131 ff. (ethnographisch)
freies Feld mit Kaktushecken 12/127 Burmeister I, S.48
Poststation/Flußübergang 12/129 Burmeister I, S.54f. (der »entfallene« Name des Ortes ist »Canelon Grande«)
San José 12/152 Burmeister I, S.56
Vorinformation Perdido 12/172 Burmeister I, S.56 / S.62
Posthaus/Kramladen 12/172 Burmeister I, S.57
Cuchilla grande/Distelfeld 12/173 Burmeister I, S.58
Perdido 12/173 Burmeister I, S. 62
Rio Negro bei Mercedes 12/185 Burmeister I, S.62
(Nandu-Episode) 12/185 f. Burmeister I, S.58f.

Die Abenteuerhandlung hat sich bei Ankunft auf dem Besitztum Monteses so weit entwickelt, daß May sich von der Quellenkrücke lösen und abenteuerförderndere, allgemeinere Landschaftstopoi (Flußniederungen, Sümpfe, Hügelland, Urwald etc.) verwenden kann. Erst im letzten Kapitel »Der Pampero« greift er für die Schilderung der Paranafahrt wieder zu seinen Gewährsmännern:


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Örtlichkeit May-Text Quelle
La-Plata-Mündung 12/532 f. (keine Quelle gefunden)
Barranca-Ufer 12/535 f. Zöller, S.43
Preis der Fahrt: ca. 100 Mark = 700 Seemeilen 12/536 Zöller: 1048 Seemeilen = 163, 26 Mark - einfaches Billet, S. 40
Fauna: Cuervo/Wasservögel/ Lobo/Jaguar/Jacarés 12/537 f. Zöller, S. 51 ff.
(Jacaré-Jagd S.53)
Burmeister I, S.102-105 (Vögel)
Pampero 12/543 f. Zöller, S.43

Der Pampero unterbricht die beschauliche Fahrt und damit auch die Quellenabhängigkeit Mays: Es geht nun wieder querfeldein. Der Band 13 - »In den Cordilleren« - ist nahezu ohne Quellenbenutzung geschrieben worden. Lediglich der Anfang: Stadt Palmar (13/1), der Beginn des 2. Kapitels: Dickicht und Triebsandstellen (13/156ff.) und der Beginn des letzten Kapitels: Bolivianische Andenformation (13/ 478ff.) lassen auf vorgegebene Texte schließen. Für alle drei Stellen fand ich bei Zöller und Burmeister keine Belege. May muß hier (und für die Beschreibung der La Plata-Mündung) eine andere Quelle ausfindig gemacht haben.

Die Jugenderzählung »Das Vermächtnis des Inka« enthält ebenfalls nur sehr wenige Stellen, die auf Quellenstudien verweisen:

Örtlichkeit May-Text(28) Quelle
Buenos Aires Vermächtnis/18 f. Zöller, S. 120-128 (geographisch)
Zöller, S.131 ff. (ethnographisch)
Santa Fe Vermächtnis/73 Burmeister II, S. 12
Dichter Wald Vermächtnis/143 Burmeister II, S.26
Ombu-Baum Vermächtnis/171 f. Burmeister I. S.195
Anden-Formation Vermächtnis/485 f. (keine Quelle gefunden - vgl. Bd. 13/478 ff.)

Die vorliegende Quellenstudie ist nicht ganz vollständig, führt jedoch die meisten und wichtigsten quellenabhängigen Stellen der Südamerika-Romane Mays an.(29) Man kann davon ausgehen, daß alle -auch ein- oder zweisätzige - Passagen geographischer, botanischer, zoologischer und ethnographischer Schilderung, soweit sie über Allgemeines hinausgehen, entweder Zitat oder Paraphrase (zu mehr als 90 Prozent aus Burmeister und Zöller) sind.


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V. D i e  F u n k t i o n  d e r  Q u e l l e n b e n u t z u n g  b e i  K a r l  M a y

Im März 1881 teilt der »Deutsche Hausschatz« in seiner Leserbriefecke einem Leser aus Westfalen mit: »Der Verfasser der Reiscabenteuer hat a l l e  L ä n d e r, welche Schauplatz seiner Erzählungen sind, s e l b s t  b e r e i s t.«(30) Diese Beteuerung wird im Laufe der Jahre mehrfach wiederholt.(31) Gegenüber der Lesergemeinde hatte May also eine Verpflichtung einzuhalten: die der peinlich genauen Schilderung von Landschaft, Bevölkerung, Fauna, Flora etc. Er mußte schließlich immer damit rechnen, daß irgendeiner seiner Leser die geschilderten Schauplätze kannte - und ihm Fehler öffentlich ankreiden könnte.(32)

Diesem äußeren Zwang stehen Gründe, die May und sein Schreiben selbst betreffen, zur Seite: Mays Erzählungen sind Abenteuergeschichten besonderer Art: Sie sind im Abenteuerbereich unrealistisch wie Märchen, sind im Grunde reine Münchhausiaden. Daß dem Leser das während der Lektüre (meist) gar nicht auffällt, liegt einmal an der starken emotionalen Beteiligung, die May erzwingt (z. B. durch die Ich-Perspektive; durch die spannungserzeugenden Dialoge, in denen Erzählzeit und erzählte Zeit zusammenfallen(33); und durch grobe Schwarz-Weiß-Malerei im Bereich des Ethischen: dem Leser bleibt gar keine Wahl, mit wem er sich identifizieren soll), zum anderen liegt das an der bis ins kleinste Detail gehenden Schilderung des Schauplatzes. Der Leser wird in Sicherheit gewiegt: Wer so genau und - an einschlägigen Werken und Lexika im Groben nachprüfbar - wahrheitsgetreu beispielsweise das Straßenleben in Montevideo schildert, wer dem Leser jede Kaktushecke und jedes Posthaus am Wegesrand mitteilt, der lügt auch nicht, wenn er die Abenteuer bei Lopez Jordan oder im Gran Chaco erzählt.

Nun muß aber - so seltsam das klingen mag - nicht nur der Leser überzeugt und eingewickelt werden: Der Autor selbst muß auch an seine Geschichte glauben können, muß sich in sie hineinversetzen können, und zwar in die Landschaft genauso wie in die Handlung. In die Handlung kann er sich - und gerade für May ist das besonders charakteristisch - hineinträumen. Aber der Schreibende wird im Gegensatz zum Schlafenden mit seinem Traum nachträglich Schwarz auf Weiß konfrontiert; er träumt zudem (bei längeren Erzählungen) »in Raten«. Da meldet dann der Verstand seine Einwände an:

Arno Schmidt, der in »Zettels Traum« Edgar Allan Poe und dessen


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Werke seziert, verweist darauf, daß auch Poe häufig für seine Erzählungen auf exakte Quellen zurückgriff - gleichfalls ohne diese zu zitieren. Schmidts Theorie bezüglich des psychischen Hintergrundes methodischer Quellenbenutzung bei Autoren des Traumschreibertyps erscheint plausibel - und auf May ebenso anwendbar wie auf Poe:

»Die . . . Zweiteiligkeit seiner Schreibe, könnte der literarische Ausdruck einer, recht weit gegangenen, Entmischung der Persönlichkeitsinstanzen sein; und da entsprächen eben die 'theoretischen Einleitungen' einer 'Verbeugung', besser einer' Entschuldijunk durch Verallgemeinerung', zum Über=Ich hin. 'ubw' war Er sich durchaus im Unstatthaft=Klaren, was Er da=so Trieb; und Sein Verfahren ergo das àller=DP's(34): näm'ich daß durch seiten=langes, furchtsam-prälndirendes Theoretisieren(35), das Überich erstma 'abgefundn' (deutlicher: d ü p i r t) werdn mußte -: e r s t=d a n n durfte Er Seine Träumungen repetierengenießnausliefern. «(36)



1 Karl May: Mein Leben und Streben. Reprint der Ausgabe Freiburg o. J. (1910). Hg. von Hainer Plaul. Hildesheim-New York 1975, S.223

2 Arno Schmidt: Zettels Traum. Frankfurt a. M.1973. Studienausgabe Bd. l, S.48

3 J. P. Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens. Zürich 1949. (Bd.24 der Gedenkausgabe, Hg. von Ernst Beutler), S.140 (18. 1. 1825) Vgl. auch Karl May: Mein Leben und Streben, S.225

4 Reinhold Beruhard Brehm: Das Inka-Reich. Jena 1885 Wilhelm Harnisch: Alexander von Humboldts Reise in Südamerika und Waller's Kreuzerfahrten in Westindien. Leipzig 1832

A. v. Humboldt u. A. Bonpland: Reise in die Äquinoctial-Gegenden des neuen Continents in den Jahren 1799-1804. 1. und 3. Band. Wien 1825

C. v. Koseritz: Bilder aus Brasilien. Leipzig 1885

Clements R. Markham: Zwei Reisen in Peru. Leipzig 1865

George Chaworth Musters: Unter den Patagoniern.2. Auflg. Jena 1877 A. W. Sellin: Das Kaiserreich Brasilien.2 Bde. Leipzig 1885

Hermann Burmeister: siehe Text

Hugo Zöller: siehe Text

Alle Angaben nach Karl-May-Jahrbuch 1931, S.234 f.

5 Karl May: Gesammelte Reiseerzählungen Bd. 12 ~Am Rio de la Plata«, S.1 und S.4, im folgenden zitiert als 12/ . . .

6 J. J. von Tschudi, a. a. O., Bd. 1, 1. Abtheilung, S. 3f. Direkt vor dem »Ave Maria« steht bei Tschudi das »Vater unser«. Auch hier also die bemerkenswerte Vorliebe des Protestanten May für das »Ave Maria«. - Vgl. dazu auch Fritz Maschke: Ave Maria Protectrix, in: M-KMG Nr. 34/1977. Der Erstdruck von »Christ ist erstanden!« erschien in Benziger's Marienkalender 1894.

7 Daß sich die politischen Verhältnisse am Rio de la Plata auch heutzutage nicht grundlegend geändert haben, zeigt Ulrich Bergers Reportage »Am Rio de la Plata« in Randolph Braumann (Hg.): Auf den Spuren von Karl May. Reisen zu den Stätten seiner Bücher. Düsseldorf 1976 (jetzt auch als Fischer-Taschenbuch 3004).

8 Hierzu eine Stelle aus Karl May: Mein Leben und Streben: Ich wurde Zigarrenmacher (im Zuchthaus Waldheim), S.170. - Dazu H. Plauls Ausführungen im Jb-KMG 1976, S. 133

9 Vgl. 12/16, 446 u.485

10 Karl May: Das Vermächtnis des Inka. Stuttgart 1895; Reprint Bamberg-Braunschweig 1974. Im folgenden zitiert als »Vermächtnis«.

11 Zu Alsina vgl. E. Kochs Ausführungen S.151 ff. dieses Jahrbuchs.


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12 Burmeister dürfte wohl auch Vorbild für die Gestalt Dr. Morgensterns sein - und nicht, wie Michael Koser im Nachwort zu Retcliffes »In Sibirien« (Fischer Taschenbuch 1745) behauptet, der »tumbe deutsche Professor der Paläontologie«, Dr. Peterlein, aus Retcliffes Roman.

13 Vgl. »Vermächtnis«, 155: »Man hat diesen Panzer auch wohl, aber irrtümlicherweise für die Bedeckung des Megatheriums gehalten, weil auch Knochen dieses letzteren Tieres in der Nähe solcher Fundorte angetroffen wurden.« - May muß sich aber noch darüber hinaus eine weitere Informationsquelle beschafft haben (wohl die von Burmeister angegebene), denn die im Text folgende Beschreibung des Unterschiedes der Skelette von Glyptodon und Megatherium findet sich bei Burmeister nicht.

14 Die Texte sind jeweils fortlaufend zitiert; nur die Unterteilung in Abschnitte ist von mir.

15 Die Angaben Mays zur Viehzucht in »Vermächtnis«, S.109 sind ebenfalls (wörtlich) aus Zöller (S.18f.) übernommen.

16 Es sind natürlich »Papierthaler« gemeint. Hier hat wohl der Setzer zu sehr an die anderen Orientalen gedacht; im »Deutschen Hausschatz« steht (XVI. Jg., S. 218) richtig Papierthaler.

17 Die Erschließung der La-Plata-Länder durch Eisenbahnen steckte Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts noch in den Anfängen. Zöller und Gerstäcker (siehe Anm.18) beklagten einige Jahre später dann schon den Verfall der Sitten und Gebräuche in der Pampa durch die Erschließung des Landes per Schiene. May hat gewissermaßen die letzten Jahre »echten« Südamerikas für seine Romane ausgesucht.

18 Vgl. F. Gerstäcker: 18 Monate in Südamerika. Aus meinem Tagebuch. Bd.2. Berlin o. J. (hg. v. C. Döring), Kapitel 3: »Eine Diligencefahrt durch Uruguay«.

19 Bei Burmeister und Zöller konnte May über Indianer speziell nichts finden. Aus welcher Quelle er seine diesbezüglichen Angaben schöpfte, konnte ich nicht feststellen. Die Indianer tauchen allerdings erst recht spät im Werk auf als May die »Quellenkrücke« (siehe weiter unten) nicht mehr brauchte; zudem sind die Indianerbeschreibungen recht allgemein gehalten, so daß ich auf eine Benutzung von Lexika und Zeitschriftenaufsätzen schließe.

20 Vgl. 12/1-4; ein weiterer Textabschnitt, den May in sehr enger Anlehnung an Delacour übernahm, ist die Beschreibung der Dienstauffassung der Gauchos: 12/ 3f.: »Wenn es ihm einmal nicht gefällig ist. . ./. . . ganz vorzüglich versteht.« = Delacour, a. a. O.14f.

Die Übernahme von nur vier Delacour-Textstellen aus dem Baumgartenkompendium und die Kennzeichnung des ganzen Textes als Zitat (eine Seltenheit bei May) läßt darauf schließen, daß May der ganze Delacour-Text zur Verfügung stand (wahrscheinlich in einer Übersetzung, da sein Spanisch oder Französisch - und vor allem seine Zeit - wohl nicht für eine eigene Übersetzung hinreichten), den ich leider nicht austindig machen konnte.

21 Vermächtnis, 92

22 ebda 8ff.

23 12/17f.; Vermächtnis, 19

24 12/165ff.

25 Die Orient- und Balkan-Bände Mays bieten Beispiele in Fülle.

26 12/165

27 ebda 30

28 Die Seitenangaben für »Das Vermächtnis des Inka« beziehen sich auch hier auf die Union-Ausgabe.

29 Zwei weitere wichtige Texte, für die ich keine Quelle finden konnte, sind: Die Schilderung der Arbeit der Yerbateros (12/83ff.) und die Schilderungder Herstellung des indianischen Pfeilgiftes (12/340).

30 Zitiert nach: G. Klußmeier: Karl May und der »Deutsche Hausschatz«, in M-KMG Nr.16/1973, S.20 (Deutscher Hausschatz, März 1881).

31 Vgl. G. Klußmeiers o. a. Dokumentationsreihe in den M-KMG Nr. 16-24

32 So wurde z. B. der Band »Und Friede auf Erden« vom »Dresdner Anzeiger« (30.10.


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1904) auf die Realitätswaage gelegt und für zu leicht befunden, was auch mit zum Beginn der großen Pressekampagne gegen May führte.

33 Vgl. hierzu auch Ekkehard Koch: Anmerkungen zu Mays Stil: Der Dialog, in M-KMG 8/1971, S. 7

34 DP's: Dichter-Priester: »die Dichter, die sich einbilden, vom Priester herzukommen . . . Eine gut umschriebene literarische Einheit; die De daran erkennst, daß se erstaunlich viel vom 'Mythos' halten, & mit dem 'Zweiten Gesicht' kokettieren.« (Arno Schmidt: Zettels Traum, S.16).

35 Zu »präludierendes Theoretisieren«: Bei May sind es auch hauptsächlich die Kapitelanfänge, die quellenabhängig im größeren Ausmaße sind.

36 Arno Schmidt: Zettels Traum, S.89


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