1
Es bedarf auch in diesem Rahmen einiger Ausführlichkeit, um auch nur umrißartig den Mann zu skizzieren, der zu den bedeutendsten politisch und kulturpolitisch tätigen Publizisten der wilhelminischen Ära gehört: Maximilian Harden (1861-1927), umstritten und bewundert, verdammt und als Vorbild gewählt, eine im wahrsten Wortsinn schillernde Persönlichkeit.
Harden wurde am 20. 10. 1861 in Berlin als Sohn eines jüdischen Kaufmanns geboren, war zuerst Schauspieler - legte sich hierfür den Künstlernamen Maximilian Harden zu, den er ab 1887 offiziell als Familiennamen (bis dahin Felix Ernst Witkowski) führen durfte. 13 Jahre etwa dauerte seine Theaterlaufbahn, doch seine »Bedeutung für das deutsche Theater begann, als er die Bühne verließ, um Schriftsteller zu werden«. (1) Um 1888 geschah das, und als Theaterkritiker, Mitbegründer der »Freien Bühne« in Berlin und als Feuilletonist wurde Harden bald zu einer bemerkenswerten und populären (2) Erscheinung in der deutschsprachigen Publizistik. 1892 begründete Harden »Die Zukunft«, eine Zeitschrift, mit der er sich sein eigenes Forum für überwiegend unkonventionelle und eigenwillige, ja auch eigenartige Betrachtungen schuf.
Von nun an zeigte sich Harden u. a. als nahezu uneingeschränkter Bismarck-Verehrer und scharfzüngiger Kritiker der Nachfolgepolitiker. Als solcher geriet auch der ehemalige deutsche Botschafter in Wien, Fürst Philipp zu Eulenburg-Hertefeld (1847-1921) in seine - man kann es kaum anders bezeichnen - Schußlinie. Eulenburg, nach seinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst (1902) als Freund und Vertrauter Kaiser Wilhelms II. weiterhin von erheblichem politischen Einfluß, gehörte mit Friedrich von Holstein (1837-1909)
zum Kreis derer, die entscheidend an Bismarcks Entlassung beteiligt gewesen waren. Holsteins Abgang im Zorn, als er 1906 seinen Dienst als Wirklicher Geheimer Rat und Berater des Reichskanzlers von Bülow (1849-1929) quittierte, bot den Anstoß zu der sogenannten »Affäre Eulenburg«.
Harden »hielt den Fürsten . . . für den einflußreichsten Berater Kaiser Wilhelms II. Er glaubte ferner, daß Eulenburg nicht nur die Verantwortungslosigkeit des Kaisers nicht eingedämmt, sondern sie für seine eigenen Zwecke bestärkt und ausgenutzt habe. Er hielt Eulenburg für gerissen, selbstsüchtig, unfähig«. (3) Hardens stärkste Waffe - und wie neue Forschungen ergaben, beruhte sie nicht auf Unterstellung (4) - war die homosexuelle Veranlagung Eulenburgs, und das zudem noch im direkten Zusammenhang mit dem Kaiser. Hardens kaum noch versteckte »Anspielungen auf Duelle, Spionage, ehrgeizige Pläne« (5) und immer wiederkehrende direkte Angriffe in der »Zukunft« führten schließlich zu einem Mammutprozeß, zu einer öffentlichen Angelegenheit, die mit Meineiden, Ehescheidungen, Anklagen und Gegenklagen zu einer Justizaffäre fast ausschließlich um Homosexualität ausartete.
Der Verlierer nach mehreren Jahren, Eulenburg, büßte seine Gesundheit ein und wurde vom Hof verbannt. Der Sieger Maximilian Harden erhielt 1909 für seine »patriotischen Motive bei dem Kampf gegen Eulenburg« (6) eine amtliche Anerkennung vom Reichskanzler von Bülow, und sein Monograph Young stellte fest: »Das Beweismaterial und die allgemeine Sympathie war jedenfalls auf Seiten Hardens.« (7) Zur näheren Erklärung dieser wenig überzeugenden Feststellung: »Plötzlich waren 20 Jahre deutscher Politik in den Verdacht geraten, von homosexueller Abhängigkeit beeinflußt worden zu sein.« (8) Doch eine auf privaten, intimsten Recherchen basierende Vernichtung einer Persönlichkeit, mit welchen Motiven und unter welchen Aspekten auch, wird immer ein zweifelhaftes Unterfangen bleiben.
2
Ein Kontakt zwischen Maximilian Harden und Karl May ist nur beiläufig und zudem für May lediglich als sekundär wichtig angesehen
worden. Hans Wollschläger vermutet, daß May sich anläßlich seiner Prozesse mit Lebius bereits 1908 »an Maximilian Harden gewandt« (9) hat, denn May schrieb am 20. 5. 1908 an seinen Rechtsanwalt Ernst Klotz in Dresden zu den Aktivitäten seiner Prozeßgegner u.a., er sähe einen Gerichts-, Presse- und Reichstagsskandal kommen, an den der Hardensche nicht heranreicht und vor dem ich mein Vaterland behüten möchte! (10)
Zweifellos hat May hier seine »politische Bedeutung« erheblich überschätzt, wenngleich der publizistische Widerhall seiner diversen Auseinandersetzungen dann tatsächlich ein kaum zu übertreffendes Ausmaß erreichte.
Die jetzt aufgefundenen Dokumente (11) lassen erkennen, daß Karl May wohl erst 1910 an Harden herantrat:
VILLA SHATTERHAND
RADEBEUL-DRESDEN d. 7./8.10
Hochgeehrter Herr!
Mein Rechtsanwalt Dr. Puppe in Berlin schreibt mir, daß er bei Ihnen gewesen sei und von Ihnen die Erlaubniß bekommen habe, mich Ihnen vorzustellen. Ich bitte dringend, ihm diesen Schritt gütigst zu verzeihen! Er hat ihn gewagt, weil er Sie wegen Ihrer bekannten Hülfsbereitschaft für alle Unterdrückten hoch verehrt und weil er nur zu genau weiß, daß noch niemals, noch in keiner Literatur der ganzen Welt, ein Schriftsteller mit so unverdienter und so unerbittlicher Gehässigkeit verfolgt und gemartert worden ist wie ich.
Die entsetzlichen Prozesse, zu denen die Rückständigkeit der Einen und die Niedertracht der Andern mich zwingt, muß und werde ich gewinnen; davon ist Dr. Puppe ebenso überzeugt wie ich selbst. Aber den schon seit Jahren fast täglich auf mich niederfallenden Faustschlägen jener verrotteten Presse, die entweder nur in Sensationen macht oder nur blindem, confessionellem Zelotismus handelt, kann ich nichts entgegenhalten, als nur den geduldigen Rücken. Doch ist man auch nur Mensch! Wie lange hält man das aus! Ja, wäre ich ein, wenn auch nur ganz, ganz kleiner - - - Maximilian Harden! Da wäre ich bald erlöst von aller dieser Qual! Aber der bin ich eben nicht!
Und da kommt der Brief (12) meines Rechtsanwaltes, um mir zu sagen, daß Sie, der Starke, gewillt sind, sich des armen gequälten Menschleins anzunehmen. Können Sie sich denken, wie mich das freut? Und wie dankbar ich Ihnen bin?
Ich habe in dieser Woche einen sehr wichtigen Prozeßtermin (13), der es mir verbietet nach Berlin zu reisen. Dann aber werde ich mir gestatten, Sie um zehn Minuten Ihrer kostbaren Zeit zu bitten, damit ich Ihnen auch persönlich danken kann.
Wenn ich mir heut erlaube, einige Drucksachen beizulegen, so muthe ich Ihnen keineswegs zu, diese Sachen zu lesen, sondern ich bitte nur, sie mit einem kurzen Blick zu überfliegen. Das genügt für Ihre geübten Augen vollständig, Ihnen zu zeigen, daß meine Bücher weder »Jugendschriften« noch »Unterhaltungsfutter« sein sollen, sondern
die Aufgabe haben, werthvolleren Zwecken zu dienen. Den »Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger« (14) lege ich bei, weil er ein Geständniß enthält, zu dem ich als ehrlicher Mann mich Ihnen verpflichtet fühle. Und den Schriftsatz für das Berliner Berufungsgericht (15), den jetzt noch Niemand sehen soll, bitte ich als v e r t r a u l i c h e (16) Beilage zu betrachten, aus welcher hervorgeht, wer der Mann ist, der die Aufgabe übernommen hat, mich öffentlich zu vernichten.
Ein bemerkenswertes und ergreifendes Dokument aus der Zeit größter Bedrängnis und Angst (die Charlottenburger Verhandlung, in der sein Erpresser Rudolf Lebius unter »Wahrung berechtigter Interessen« freigesprochen wurde, lag gerade 4 Monate zurück), zögernd zuerst und vorsichtig, so als scheue sich May, dem berühmten Kämpfer nahezutreten. Dann aber immer freier und offener sich dem persönlich Unbekannten offenbarend, ihn schließlich inständig um Hilfe bittend - so, als erahnte er bereits die ihm von Harden zuteil werdende Rettung: umfangreiche »Vertrauliche Beilagen«, sicherlich auch einige der Werke, die weder »Jugendschriften« noch »Unterhaltungsfutter« sein sollten - und schüchtern einschränkend wieder: es genügt für Ihre geübten Augen vollständig . . . sie mit einem kurzen Blick zu überfliegen. Harden las die möglicherweise beigefügten Romane wohl nicht, wie einem späteren Brief zu entnehmen ist (17); der Schriftsatz an die 4. Strafkammer ist mit einem kurzen Blick auch kaum zu erfassen, ist eigentlich auch nicht lesbar, doch Harden dürfte sicherlich den ein Geständniß enthaltenden Leserbrief an den »Hohenstein-Ernstthaler-Anzeiger« (erschienen am 6. August 1910 (18)) gelesen haben, den ihm May nicht vorenthält und der gleichsam mit zum Brief an Harden gehört:
Sehr geehrter Herr Redakteur!
Die vielen zuschriftlichen Fragen, die gerade jetzt aus Hohenstein-Ernstthal und Umgegend an mich gerichtet werden, veranlassen mich, Ihnen die beifolgende Klarstellung zuzusenden und um deren baldigste Veröffentlichung in Ihrem geschätzten Blatte zu bitten.
Meine Privatklage gegen den Ernstthaler Arbeiter Krügel, die am 9. dieses Monats in erster Instanz dort zur Verhandlung steht, hängt auf das engste mit meiner gerichtlichen Abwehr gegen die maßlosen Angriffe des durch seine unaufhörlichen Spionierereien auch
in Hohenstein-Ernstthal sattsam bekanntgewordenen Charlottenburger »gelben« Journalisten Rudolf Lebius zusammen. Dieser Herr, ein übergetretener Sozialdemokrat, gab 1904 in Dresden ein Blatt heraus, mit dem er zugrunde gehen mußte (19), weil er, der auf die Unterstützung der Christlich-Sozialen angewiesen war, sich trotzdem in seinem Blatte öffentlich rühmte, aus der christlichen Kirche ausgetreten zu sein. Er stand sich so, daß er wegen ganz geringer Beträge ausgepfändet werden mußte. Er beglückte sonderbarer Weise gerade mich mit der Ehre, für ihn zahlen zu sollen. Er kam zu mir, gab sich für vollständig zahlungsunfähig aus und forderte Geld, erst 3 bis 6 Tausend, dann sogar bare zehntausend Mark. D a f ü r w o l l t e e r m i c h u n d m e i n e W e r k e i n a l l e n Z e i t u n g e n r ü h m e n u n d p r e i s e n . Seine hierauf bezüglichen Briefe liegen jetzt bei den Akten. Es versteht sich ganz von selbst, d a ß e r n i c h t s b e k a m . Da ging er hin und schrieb nicht für, sondern gegen mich. Er veröffentlichte eine Reihe von Artikeln, die in ihrer widerlichen Absichtlichkeit, mich persönlich zu vernichten, geradezu beispiellos zu nennen sind.
Nachdem er aus Dresden verschwunden und in Berlin wieder aufgetaucht war, setzte er von dort aus seine journalistischen Machinationen gegen mich in der Weise fort, daß ich mir wie ein gehetztes Wild vorkam, dem überall, wohin es sich wendet, ein Schuß entgegenknallt. Er überschattete mich in Pamphleten, Zeitungsartikeln und Flugblättern mit den unqualifizierbarsten Beleidigungen und Verleumdungen, von denen ich mir eine Liste angelegt habe, die ich nächstens veröffentlichen werde. Diese Liste enthält bis jetzt 416, sage und schreibe vierhundertsechzehn ihm nachgewiesene Unwahrheiten, von denen die meisten in geradezu raffinierter Weise ersonnen und in Anwendung gebracht worden sind. (20) Über einige von ihnen, die sich auf mein angebliches »Räuberleben« beziehen, soll am 9. dieses Monates gerichtlich verhandelt werden. Lebius behauptet, diese Lügen von Krügel gehört zu haben, Krügel hingegen gibt mir gegenüber nur zwei Punkte zu, die er gesagt haben will. Ich bin niemals Räuber gewesen, am allerwenigsten mit Krügels Bruder, und von all den Räuberhauptmännereien, die mir von Lebius vorgeworfen werden, ist keine einzige wahr. Ich leugne nicht, daß ich vor nun 40-50 Jahren mit den Gesetzen in Konflikt gekommen und dafür bestraft worden bin; aber was ich damals in tiefster, seelischer Depression und Zwangslage tat, würde in der jetzigen, aufgeklärten Zeit nicht vor den Richter, sondern vor den Arzt gehören. Auch habe ich es mehr als genug gebüßt, und kein Mensch besitzt das Recht, es mir, zumal nach so langer Zeit, noch vorzuwerfen.
Mein Name ist von dem verstorbenen Krügel und anderen mißbraucht worden; das hat er eingestanden. Jeder Zechpreller schrieb damals auf den Tisch, er sei Karl May; aber mir selbst einen solchen Unsinn nachzuweisen, ist unmöglich, denn ich habe ihn nie begangen. Da ich Schriftsteller resp. Dichter bin und mehrere Millionen Leser habe, ist es ja möglich, daß sich ein Kranz von Legenden um meine Person und meine Heimat gebildet hat; aber was Lebius über mich berichtet, das sind keine Legenden, sondern offenbare Lügen und Verleumdungen, deren Urheber ich ganz unbedingt entdecken und bestrafen lassen muß. Ich habe meine Heimat lieb und werde das wahrscheinlich noch ganz besonders beweisen. (21) Auch liegt es mir vollständig fern, einen Sohn meiner Heimat, und sei er auch nur der Arbeiter Krügel, gerichtlich bestrafen zu lassen, so lange ich es vermeiden kann. (22) Aber es ist meine Pflicht mir Klarheit zu verschaffen, nämlich Klarheit darüber, wer eigentlich der Lügner ist, ob Krügel oder Lebius. Darum habe ich meine Privatklage angestrengt, und ich hoffe, diese Klarheit zu erlangen. Krügel ist für diesen Tag der Angeklagte; Lebius hat als Zeuge zu erscheinen. Es steht zu erwarten, daß Lebius versuchen wird, wo möglich, alles auf Krügel abzuwälzen, damit dieser allein bestraft werde, er selbst aber der Strafe entgehe; ich kann das nicht verhindern. Jedenfalls aber lehne ich jede Verantwortung ab, falls der ungebildete vertrauensselige Arbeiter dem
pfiffigen Charlottenburger Journalisten vor Gericht ebenso unterliegen sollte, wie er ihm damals bei dem schlauen Aushorchen und Ausfragen in den »Drei Schwanen« unterlegen ist.
Hochachtungsvoll
K a r l M a y .
Radebeul-Dresden,
den 4. August 1910.
Karl May sollte sich in Harden nicht geirrt haben, und Dr. Siegfried Puppe, der im übrigen wenig geschickte Rechtsberater Mays, leitete die persönliche Begegnung zwischen Harden und May ein:
B. (erlin) 24. 8. 10
Rathenowerstr. 6
Sehr verehrter Herr Harden, Karl May teilt mir soeben mit, daß er morgen in Berlin eintrifft und Sie sehr gern sprechen möchte. Ich weiß nicht, ob May sich bereits bei Ihnen angemeldet hat, jedenfalls wiederhole ich namens meines greisen Mandanten die Bitte, ihm eine Conferenz gütigst gewähren zu wollen. Es würde für den kranken Herrn doppelt schmerzlich sein, wenn er die Reise vergeblich machte.
Dürfen wir Sie morgen, Donnerstag, 12 Uhr mittags aufsuchen? Ich werde mir die Freiheit nehmen, heute Nachmittag telefonisch Ihr Einverständnis zu holen. Falls Sie nicht zu Hause sein sollten, weisen sie wohl gütigst Jemand an, mir Auskunft zu geben.
In steter Verehrung ergebenster
Dr. Puppe
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kann hieraus auf ein persönliches Zusammentreffen zwischen Maximilian Harden und Karl May am 25. August 1910 in Berlin geschlossen werden. Leider sind uns die Dokumente im Karl-May-Verlag, Bamberg, die möglicherweise genauere Daten liefern könnten, nicht zugänglich (23), doch die nachfolgenden Briefe Hardens und Mays zeugen davon, daß May die Reise nicht vergeblich machte, nicht enttäuscht war. Zum anderen übernahm Justizrat Dr. Erich Sello (1852-1912), Hardens Freund und Rechtsberater, - wohl durch Vermittlung Hardens - Mays Hauptverteidigung im letzten Prozeß gegen Rudolf Lebius. Wann Sello und May erste Kontakte knüpften, ließe sich vielleicht nach den im Karl-May-Verlag verwahrten Rechtsanwalts- und Prozeßunterlagen zur Verhandlung in Berlin-Moabit genau bestimmen. (24) Vermutlich dürfte es jedoch beim Besuch Mays in Berlin oder kurze Zeit darauf erfolgt sein.
Der nächste erhalten gebliebene und zugängliche Brief Mays an Harden:
VILLA SHATTERHAND
RADEBEUL-DRESDEN 2. 12. 10
Hochgeehrter Herr Harden,
soeben erscheint der erste Band von »Mein Leben und Streben«. Meines Versprechens eingedenk, gestatte ich mir, ein Exemplar an Sie zu adressieren. (25) Sein Inhalt durfte und konnte der Öffentlichkeit nicht vorenthalten werden; aber ich wollte das Buch erst am Schlusse meines Lebens schreiben, wenn das Werk, an dem ich arbeite, vollendet ist. Da hätte es anders geklungen, als es heute klingt. Und da hätte man mich gekannt, während mich heut nur Wenige kennen.
Es ist eine erschütternde Tragik, daß ich mich von einem Lebius zwingen lassen mußte, schon jetzt, wo ich so wund und ohne Panzer bin, an diese Veröffentlichung zu gehen. Doch sei es, in Gottes Namen! Sie wird wenigstens das eine Gute haben, daß sie Klarheit bringt.
In aufrichtigster Hochachtung
Ihr ergebener Karl May.
Harden antwortete umgehend:
Grunewald den 4. 12. 10
Hochgeehrter Herr May,
für Ihren freundlichen Brief und für die Sendung Ihres Buches danke ich Ihnen herzlich. Ich hoffe, daß dieses Werk, dessen Verfassung Ihnen so schwer werden mußte, Ihnen Freunde schaffen, neue Freunde werben wird.
Daß der leidige Prozeß hinausgeschoben wurde, ist sicherlich nur gut. (26) Wenn er näher rückt und Sie noch meinen, daß ich Ihnen dabei nützlich sein kann, werde ich gern tun, was ich vermag.
Ich hatte immer erwartet, von Ihrem Herrn Anwalt darüber zu hören, es ist wohl noch nicht so weit?
Mit der Bitte mich Ihrer verehrten Gattin zu empfehlen, und mit den besten Wünschen für Ihr Wohlergehen bin ich
in hoher Schätzung
Ihr ergebener Harden.
Noch einmal schrieb Karl May an Maximilian Harden, und es dürfte der letzte Brief gewesen sein:
Radebeul, d. 27ten Januar 1911
Hochverehrter Herr Harden!
Schon seit vor Weihnachten krank, dictiere ich diese Zeilen meiner Frau in die Feder. (27)
Ich höre von meinem Rechtsanwalt Dr. Puppe in Berlin (28), daß Sie die außerordentliche Güte haben wollen, einen Artikel über mich in Ihrer prächtigen »Zukunft«, deren
Abonnent auch ich bin (29), zu bringen. Wie froh ich darüber bin! Allerdings, wenn diese mir so hocherfreuliche Absicht vorwaltet, so ist jetzt die beste Zeit sie auszuführen.
Ist es Ihnen vielleicht möglich, mir von der betreffenden Nummer 500 Exemplare per Nachnahme schicken zu lassen? Sie sollen zur Verteilung kommen.
In aufrichtiger Hochachtung
Ihr ganz ergebener Karl May.
Maximilian Harden löste sein Versprechen (sofern es sich nicht um einen Trugschluß Puppes handelte) nicht ein, ein Beitrag der »Zukunft« über May erschien nicht. Auch läßt sich nicht feststellen, ob Harden auf diesen letzten Brief antwortete. (23) Jedenfalls hätte ein direktes Eingreifen Hardens in die Diskussion um May, eines Mannes, der durch seine Veröffentlichungen staatspolitische Konflikte auslöste, zweifellos entscheidend zu einer Rehabilitierung noch zu Lebzeiten Mays beitragen können.
Doch indirekt wirkte sich die Anteilnahme Hardens am Menschen Karl May aus. Der Prozeß in Berlin-Moabit wurde am 18. 12. 1911 zu Gunsten Mays entschieden (30), und auf eine Umfrage des »Akademischen Verbandes für Literatur und Musik« in Wien (31) anläßlich des Vortrags von Karl May (32) schrieb Harden:
Grunewald, 17. 3. 12.
Sehr geehrter Herr,
auf Ihre Frage kann ich nur antworten: daß ich den von Ihrem Verein bewiesenen Muth erfreulich finde. Ob Herr Karl May vor vierzig Jahren auf ungebahntem Pfad gestrauchelt ist, danach haben Die nicht zu fragen, zu denen er sprechen soll.
Was er geschrieben hat, ist von Hunderttausenden gelesen, von Ernsten sogar oft gelobt worden. Einen solchen Mann Erlebtes aussprechen zu hören, kann interessant sein. Auch Enttäuschung ist freilich denkbar.
Jeder Gerechte aber, jeder menschlich Empfindende wird das Urteil über den Werth dieses Vortrages nur aus dem Eindruck entstehen lassen, den die Persönlichkeit des Sprechers und der Inhalt seiner Rede im Bewußtsein des Hörers schuf.
In vorzüglicher Hochachtung
Harden.
Die Antwort Hardens hat die Entscheidung der Veranstalter (sofern es sich um eine diesbezügliche Stellungnahme handeln sollte) nicht mehr beeinflussen können, denn »bereits am 13. und 14. März kündigten die Wiener Zeitungen Karl Mays Erscheinen an«. (33) Sie zeigt aber die positive und vorurteilsfreie Einstellung des Journalisten Harden zum Schriftsteller May an, und kurze Zeit später antwortete Harden Klara May auf die Nachricht vom Tode Mays:
Grunewald, 1. 4. 12
Verehrte gnädige Frau,
aufrichtig beklage ich den schweren Verlust, den Sie hatten. Daß der wiener Erfolg einen letzten Strahl auf den vielfach Gepeinigten warf, ist ja schön. Aber es mindert nicht die Größe Ihres Schmerzes. Wie hart müssen diese Jahre der Verfolgung auch für Sie gewesen sein! Ein Wind niedriger Gesinnung weht durch Deutschland.
Ihren Wunsch würde ich gern erfüllen. Vielleicht wenn Sie etwas ruhiger geworden sind, schlagen Sie mir geeignete Persönlichkeiten vor. Denn ich muß fürchten, daß ich nicht schnell genug die Möglichkeit finde, mich in Mays Werke hineinzulesen.
Er ruht. Ich danke Ihnen für das gute Gefühl, das Sie trieb, mich zu benachrichtigen. Ich hoffe zuversichtlich, daß Sie die Kraft haben, auch diesem Sturm zu stehen.
In vollkommener Hochschätzung bin ich in Theilnahme und Ergebenheit
Harden.
Daß May sich Maximilian Harden anvertraute, einem Mann, von dem er wissen mußte, daß er nicht davor zurückschreckte, öffentlich peinliche Enthüllungen zu publizieren, zeigt zum einen, wie wenig schwerwiegend Karl May selbst seine eigenen Verfehlungen einschätzte, wie er sich auf »das Recht« verließ, und es zeigt zum anderen auch, in welcher seelischen Notlage der Radebeuler Schriftsteller sich nach dem Debakel im Charlottenburger Prozeß gegen Lebius (am 12. 4. 1910) befand.
Zweifellos gehört die Begegnung mit Harden zu den ganz wichtigen der letzten Lebensjahre, gab sie ihm doch nicht nur eine starke moralische Rückenstärkung durch einen maßgeblichen Publizisten (wie es mit »der Presse« an sich bestellt war, muß eine Spezialstudie zeigen), sondern auch indirekt die Mittel an die Hand, den späten, wenn auch zu späten, Sieg über seinen skrupellosen Erpresser Rudolf Lebius zu ermöglichen.
Die bittere Erkenntnis, daß es ohne starke Mitstreiter nicht immer Gerechtigkeit gibt, daß nicht unbedingt derjenige Recht bekommt, der Recht hat, wird ihm diese Begegnung auch gezeigt haben.
2 Schon um 1895 wurde bei der Politischen Polizei in Hamburg die »Akte betr. Zeitungsartikel Religiöse Vereine und die Zeitschrift Die Zukunft« eingerichtet. Sie enthält schätzungsweise 3000 Zeitungsberichte über Harden aus der Zeit von 1895 bis 1919.
3 Young, a. a. O., 125
4 Siehe hierzu: John Röhl (Hrsg.): Philipp Eulenburgs Politische Korrespondenz, Boppard 1976
5 Maximilian Harden, Moritz und Rina, in »Die Zukunft«Nr. 36, vom 28. 9. 1901, 506
6 Young a. a. O., 132
7 Young a. a. O., 124
8 »Eulenburg-Affäre: Briefe die das Licht scheuten«, »Der Spiegel« Nr. 40/1976,209
9 Hans Wollschläger, Karl May. Grundriß eines gebrochenen Lebens, Zürich 1976, 203
10 Vollständig abgedruckt bei Rudolf Lebius, Die Zeugen Karl May und Klara May, Berlin-Charlottenburg 1910, 107
11 Im »Nachlaß Harden« (Bundesarchiv Koblenz) befindet sich der eigenhändige Brief Mays vom 7. 8. 1910, der Brief seines Rechtsanwalts Dr. Puppe vom 24. 8. 1910, eine Abschrift des May-Briefes vom 2. 12. 1910 und der Brief vom 29. 1. 1911 (originalhandschriftlich Klara May mit Unterschrift Karl Mays). Im Staatsarchiv Hamburg unter der Signatur S 4907 (Politische Polizei) Akte betr. die period. Druckschrift »Die Zukunft«, Berichte, Strafsachen pp. befinden sich Abschriften der Briefe Hardens vom 4. 12. 1910, 17. 3. 1912 und 1. 4. 1912.
12 Dieser Brief könnte im Nachlaß Mays enthalten sein. Siehe jedoch Anmerkung 23.
13 Am 9. 8. 1910 fand Mays Prozeß gegen H. R. Krügel vor dem Schöffengericht in Hohenstein-Ernstthal statt. Siehe hierzu Hainer Plaul in »Mein Leben und Streben«, Reprint der Erstausgabe, Hildesheim 1975, 362 ff.
14 Vom 6. 8. 1910, s. Anmerkung 18
15 An die 4. Strafkammer des Königl. Landgerichtes III in Berlin. Begleitwort datiert »im August 1910«, der Hauptteil umfaßt 50 Seiten und ist datiert »Mitte Juni 1910«; Privatdruck o. O.
Alle weiteren gedruckten Schriftsätze Mays dürften zu diesem Zeitpunkt nicht mehr brisant gewesen sein bzw. waren noch nicht gedruckt, so daß mit Sicherheit Harden den Schriftsatz vom Juni/August 1910 erhielt.
Die Originale der Drucksachen und Bücher, die May an Harden sandte, sind nicht im Nachlaß erhalten geblieben.
16 Im Original zweifach unterstrichen
17 Hardens Brief vom 1. 4. 1912
18 Am 6. 8., 21. 8., 23. 8., 26. 8. und 31. 8. 1910 erschienen im »Hohenstein-Ernstthaler Anzeiger« Leserbriefe Karl Mays, dem Brief an Harden kann demnach nur die Zeitung vom 6. 8. 1910 beigefügt gewesen sein.
19 Es handelt sich um die »Sachsenstimme« (»Pilatus«), sie bestand von 1904 bis 1905. Siehe dazu Plaul a. a. O., 455
20 Es handelt sich hier ebenfalls um den Schriftsatz vom Juni/August 1910 (siehe Anm. 17), in dem bis zur Seite 47 insgesamt 416 der Unterstellungen Lebius' aufgeführt sind.
21 »1911 wurde zum Bau einer großen Turnhalle in Hohenstein-Ernstthal um Gaben der Allgemeinheit gebeten. Karl May sandte eine große Summe. Man wies sie zurück, von ihm wollte man nichts haben.« Hans Zesewitz, Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft Nr. 19, S. 31.
22 Der Prozeß gegen Krügel endete mit einem Vergleich.
23 Der Karl-May-Verlag, Bamberg, lehnte es ab, meine schriftlichen Anfragen zum Thema zu beantworten (Schreiben KMV vom 22. 12. 1976 I-sf)
24 Frau Katharina Schmid (die verstorbene Mitinhaberin des Karl-May-Verlages) zeigte dem Verfasser anläßlich eines Besuches im Karl-May-Archiv die verschnürte Folio-Mappe mit dem Hinweis »Hierin ist Karl Mays letzter großer Sieg enthalten«. Siehe hierzu jedoch Anmerkung 23.
25 Hiermit ergibt sich eine weitere Präzisierung der von Hainer Plaul a. a. O., S. 535 Anm. 19 ermittelten Daten zur Erstauslieferung der Selbstbiographie auf Ende November/Anfang Dezember 1910.
26 Die Berufungsverhandlung im Charlottenburger Prozeß war für den 29. 6. 1910 vorgesehen und wurde auf den 18. 12. 1911 verschoben. Siehe Hainer Plaul a. a. O., 488, Anm. 361
27 Karl May erkrankte zu Weihnachten 1910 an einer schweren Lungenentzündung
28 Auch hierzu könnte sich ein Beleg im Nachlaß Mays befinden, siehe jedoch Anmerkung 23.
29 Auch diese Aussage Mays konnte aus den in Anmerkung 23 dargelegten Gründen nicht überprüft werden.
30 Ausführlich dargestellt bei Rudolf Beissel, »Und ich halte Herrn May für einen Dichter . . .«, Jb-KMG 1970, 11 ff.
31 Der Text dieser Umfrage konnte trotz vieler Bemühungen noch nicht ermittelt werden.
32 Siehe Ekkehard Bartsch, Karl Mays Wiener Rede, Jb-KMG 1970
33 Bartsch a. a. O., 49
Mein Dank gilt dem Bundesarchiv Koblenz und dem Staatsarchiv Hamburg für die Veröffentlichungserlaubnis der Briefe Karl Mays, Dr. Siegfried Puppes und Maximilian Hardens, besonders auch für die hilfreiche Unterstützung, ohne welche die vorliegende Dokumentation nicht möglich gewesen wäre.
Den Text der May-Zuschrift an den »Hohenstein-Ernstthaler-Anzeiger« stellte freundlicherweise Erich Heinemann, Hildesheim, zur Verfügung.
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In aufrichtigster Verehrung und Hochachtung
Karl May.
Ihr ergebener
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1 Harry F. Young, Maximilian Harden - Censor Germaniae, Münster 1971, 21
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