um teils Aufschlüsse des gefeierten Schriftstellers über seine Lebensgewohnheiten, seine Art zu reisen, die Qualität seiner Waffen etc. entgegenzunehmen, teils selbst dem Schriftsteller Anekdoten und Schilderungen von der Wirkung seiner Schriften zur Kenntnis zu bringen . . «
»Dr. Karl May rastet nur kurze Zeit am heimischen Herde, dann drängt es ihn wieder in die Ferne«, meldet der »Literarische Anzeiger« in Cincinnati (1) über den »Lieblingsschriftsteller der katholischen Welt«. »Das ist herrlich, der Mensch muß dort gewesen sein!«, hören wir einen seit 26 Jahren in Ägypten lebenden Landeskenner im »Litteraturblatt für katholische Erzieher« (2) ausrufen. Aber es ist nicht etwa nur die vorwiegend katholische Gemeinde des evangelischen Dichters, die sich so äußert. Auch »Der Protestant« (3) rühmt die »einzig dastehende Erscheinung auf dem Gebiete der modernen Literatur« und schildert - anhand von »Winnetou Band I« - »den Lebensgang dieses seltenen Mannes«, der dem Verfasser (E. Bollow) als »seltener Charakter in der Kirche Roms« erscheint und dessen »Auftreten unter den Naturvölkern ... in mancher Beziehung an Livingstone, den viel geliebten Vater der Afrikaner«, erinnert. Seine Reiseerzählungen bieten, wie das Blatt seinen Lesern mitteilt, »Selbsterlebtes und haben so den Vorzug vor vielen ihrer Geschwister, z. B. den Cooperschen Sachen, nicht auf dem Sofa der Studierstube ersonnen zu sein«. Sogar in der Literaturgeschichte (4) lesen wir: »Immer malt er mit unübertrefflicher Treue Land und Leute ab, so daß eine jede Schilderung ein Visum in seinem Reisepaß ist mit dem Atteste: Er ist dort gewesen, er hat es erlebt.«
Es war gelungen. Die Fiktion war Wirklichkeit geworden, und die Jahre, die Karl May als »unwürdiges Glied des Lehrerstandes« (5) in der Strafanstalt verbracht hatte, waren nur noch ein unwirklicher, böser Traum.
II.
Wie war das zustandegekommen? Nicht nur die Ich-Form, sondern auch der ungewöhnlich suggestive, auf empfängliche Gemüter geradezu magisch wirkende Ton der »von der deutschen Nation mit wahrem Enthusiasmus aufgenommenen Reiseerzählungen von Dr. Karl May« (6)
hatten dem Leser von Anfang an den Anschein des Selbsterlebten nahegelegt. Noch heute wird man kaum einen kindlichen Leser finden, der sich willig vom fiktiven Charakter dieser Geschichten überzeugen ließe. Der (aus der fehlenden Distanz des Autors zu seinem Werk erklärbare) Wahrheitsanspruch des Vorgetragenen ist ein konstituierender Faktor des Erzähltons und seiner Wirkung. Deshalb hatte schon die Redaktion des »Deutschen Hausschatzes« das Ausbleiben Mayscher Manuskripte in der Münchmeyer-Zeit zwanglos mit den weiten Reisen des Autors erklären (7) und so der späteren Old-Shatterhand-Legende vorarbeiten können. (8) May selbst, der seine bürgerliche Person hinter dem Ich-Ideal seiner Erzählungen aus sehr verständlichen Gründen zunächst ganz hatte verschwinden lassen, begann diese Haltung mit dem Beginn der Neunziger Jahre zu ändern; zaghaft zunächst und versuchsweise, dann aber immer entschiedener und schließlich im Tone triumphierender Selbstverständlichkeit schlüpfte der auch in seinem bürgerlichen Stande von eigenen Gnaden zu akademischer Weihe gekommene »Dr.« Karl May (9) in die Maske seiner Ich-Gestalten, die ihm Verehrung und Anerkennung sicherte.
III.
Wichtigstes Medium dieser erstaunlichen Transformation sind Mays eigene Werke, in denen nun immer nachdrücklicher versichert wird, daß es sich bei den geschilderten Ereignissen nicht um Erdichtung, sondern um die Niederschrift realer Erlebnisse handele. Man meint, daß solche oder ähnliche Scenen nur in Romanen vorkommen können; das ist sehr richtig; denn - das Leben ist der fruchtbarste und phantasiereichste Romanschreiber ..., hören wir den Autor seine Taten kommentieren. (10) Dem folgt alsbald die Versicherung, daß ich nicht eigentlich schriftstellere, sondern Erlebnisse niederschreibe und es unmöglich hindern kann, wenn sich das Leben und die Wirklichkeit nicht nach schriftstellerischen Regeln richten ... (11) Das steigert sich bis zu ironischen Paradoxien, die aber offenbar mit dem Anspruch auftreten, ernst genommen zu werden: Ein Schriftsteller, welcher nicht Erlebtes, sondern nur Romane schreibt, würde nun Old Shatterhand ... einen Gegenstand
finden lassen, durch dessen Erlangung alles, was uns noch Geheimnis war, aufgeklärt würde; ich kann aber leider meiner Feder nicht gestatten, mir eine solche Schicksalsgunst zu erweisen, und muß eingestehen, daß ich nichts, aber auch ganz und gar nichts fand. (12) Wenn man solche Äußerungen zur Not (aber nicht zu Recht) noch als dramaturgische Kunstgriffe interpretieren könnte, die die Illusion steigern und Inkonsequenzen des Handlungsablaufs legitimieren sollen, so wird doch jeder Zweifel an der Intention des Autors dadurch ausgeschlossen, daß nun auch seine bürgerliche Gestalt in die Reiseerzählungen einzuziehen beginnt. »Is das nich der Dres'ner Doktor ...?« hört sich Old Shatterhand in San Franzisko angesprochen, als er mit Winnetou die Stadt besichtigt (13); und die Anrede »Herr Doktor« tritt fortan in der Zivilisation neben den Namen Old Shatterhand. (14) Um den Leser ja nicht im Unklaren darüber zu lassen, wer mit dem »Dres'ner Doktor« gemeint ist, wird er bald darauf belehrt, daß das Ich eine Doppelexistenz hat: »Sie hatten, wenn ich nicht irre, zwei Namen, Ihren wirklichen und einen anderen ... Und Ihr Familienname? Wenn ich mich nicht irre, hießen Sie wie einer von den zwölf Monaten?« »März«, sagte ich. (15) Das auf Durchschaubarkeit angelegte Versteckspiel und der zweimalige Irrtumsvorbehalt zeigen, daß May seine neue Identität nicht ohne Zögern in die breite Öffentlichkeit eintreten ließ. Aber der Beifall und die Glaubenswilligkeit seiner Leser trieben ihn weiter. Im Old-Surehand-Roman wird die Vita Old Shatterhands erstmals bis in Einzelheiten hinein durch biographische Daten aus dem Leben Mays beglaubigt: die alte Großmutter wird (schon hier in dichterischer Überhöhung) beschworen (16); das Schwesterchen Pauline (17) tritt auf, und die Verwandlung des blinden Knaben Karl May, der als ein krankes, schwaches Kind geboren wurde, in den großen Old Shatterhand dient dazu, die Weisheit des Allmächtigen augenfällig zu machen: »Ich bin dreimal blind gewesen und mußte dreimal operiert werden ... Wer aber kann sich, von Winnetou abgesehen, heut rühmen, die scharfen Augen Old Shatterhands zu besitzen?« (18) Drei Jahre später, im Bande »Weihnacht« (1897) schließlich, ist es von vornherein »May!!«, »May!!!« (19), seiner Leser »lieber May« (20), der uns zunächst als armer Schuljunge und später als schriftstellernder Shatterhand entgegentritt. Auch die Ausstattung der Buchausgaben stellte bald die Identität des Autors mit seinem
Helden außer Zweifel. Im Jahre 1896 wurden die vorher sogenannten »Reiseromane« in »Reiseerzählungen« umgetauft (beginnend mit Bd. XVIII: Im Lande des Mahdi, Bd. 3), und der im selben Jahre erscheinende Band XIX (Old Surehand, Bd. 3) erhielt das Foto »Old Shatterhand (Dr. Karl May) mit Winnetous Silberbüchse« (21). In seiner frühesten autobiographischen Darstellung, den »Freuden und Leiden eines Vielgelesenen« (1896), versicherte der Herr Doktor noch einmal ausdrücklich: Weil ich meist Selbsterlebtes erzähle und Selbstgesehenes beschreibe, brauche ich mir nichts auszusinnen ... (22)
IV.
Zur selben Zeit ging May daran, den so glücklich geschaffenen Mythos vom leibhaftigen Old Shatterhand auch durch außerliterarische Mittel in der Öffentlichkeit abzustützen. Er ließ sich von dem Jura-Studenten und Amateurphotographen Alois Schießer, einem jugendlichen Verehrer aus Linz/Oberösterreich, zahlreiche Aufnahmen im Kostüm Old Shatterhands und Kara Ben Nemsis anfertigen, die von dem Linzer Photographen Nunwarz ausgearbeitet, kopiert und in Verlag genommen wurden. (23) Bald verkündete ein Prospekt des Herrn Nunwarz: »Die Aufnahmen Nr. 1 - 6 sind in den Original-Kostümen, die Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi auf seinen gefahrvollen Weltreisen trug, angefertigt. Jedes Bild trägt die eigenhändige Unterschrift des allverehrten Schriftstellers.« Diese Fotos, die May auch in seinen Schriften (24) und Privatbriefen (25) den Lesern empfahl, sind in ungezählten Exemplaren in alle Welt gegangen und haben beim Aufbau der Old-Shatterhand-Legende wesentlich mitgewirkt. (26) Einige sind in verkleinertem Format in diesem Buch wiedergegeben. Die ebenfalls bei Nunwarz verlegten abenteuerlichen Aufnahmen des Arbeitszimmers mit den Gewehren und zahlreichen Jagdtrophäen (27) trugen zur Beglaubigung der Weltreisen bei. Die Gewehre selbst schließlich, bis heute Hauptbestandteile der von May geschaffenen Mythologie (28), sind ebenfalls erst nachträglich von der Fiktion in die Realität überführt worden. Silberbüchse und Bärentöter ließ May sich im Jahre 1896 bei einem Dresdener Büchsenmacher anfertigen; den (wirklich aus Amerika stammenden)
Henrystutzen hat er erst im Jahre 1902 gekauft. (29) Daraus erklärt es sich, daß die bekannten Old-Shatterhand-Porträts May überraschend nicht mit dem »echten« Henrystutzen zeigen und daß Winnetous Silberbüchse aus dessen Grab wieder hervorgeholt werden mußte: Meine Leser wissen, daß Winnetou mit der Silberbüchse begraben wurde; jetzt kaufen sie sich Bilder von mir, unter denen es welche mit der Bezeichnung "Old Shatterhand" mit "Winnetous Silberbüchse" gibt ...; da gibt es der brieflichen und mündlichen Fragen kein Ende. Man will nicht warten, bis ich in einem späteren Bande erzähle, wie die begrabene Silberbüchse wieder auferstanden ist... (30) So wurde die Verklammerung von dichterischer Imagination und künstlich geschaffener Realität enger und enger.
V.
In den unzähligen Privatbriefen, die May in den Neunziger Jahren an seine Leser schrieb, wurde die Legende bekräftigt und in einer die literarische Vorlage der Reiseerzählungen noch übersteigernden Weise ausgebaut. (31) Ja, ich habe das Alles und noch viel mehr erlebt. Ich trage noch heute die Narben von den Wunden, die ich erhalten habe. Ich unternehme meine Reisen ja ganz anders als diejenigen, welche auf den großen, breiten Straßen und Karawanenwegen bleiben, wo es keine Gefahr gibt ... (32), schreibt May am 16. Dezember 1894. Ich habe jene Länder wirklich besucht und spreche die Sprachen der betreffenden Völker. Auch ohne dies zu wissen, muß und wird jeder Fachmann aus meinen Werken ersehen, daß ich solche Studien unmöglich in der Studierstube gemacht haben kann. Die Gestalten, welche ich bringe (Halef Omar, Winnetou, Old Firehand ...) haben gelebt oder leben noch und waren meine Freunde. (33) Und so geht es immer weiter: Keine der Personen und keines der Ereignisse, welche ich beschreibe, ist erfunden. Wenn Sie im Deutschen Hausschatz gelesen haben, werden Sie gefunden haben, daß ich erst kürzlich in Arabien und Persien und bei meinem braven Hadschi Halef Omar gewesen bin. Jeder gebildete Mann weiß, daß der Maler nicht mit dem leeren Pinsel malen kann; so braucht auch der Schriftsteller Farben, wenn seine Arbeit nicht ein
nacktes kahles Referat sein soll. Muß man das wirklich erst erklären? (34) Auf argwöhnische Fragen reagiert er ungeduldig: Es ist doch eigentümlich, daß, so weit die deutsche Zunge klingt und weit darüber hinaus, niemals ein Zweifel über mich und meine Werke verlautet und grad nur in dieser einen Stadt Düsseldorf der Streit über diesen Gegenstand erhoben wurde und kein Ende nehmen will ... Das Titelwort »Reiseromane« ist ohne meine Erlaubniß gesetzt (also falsch) und jetzt in »Reiseerzählungen« umgeändert worden. Ich bin wirklich Old Shatterhand resp. Kara Ben Nemsi und habe erlebt, was ich erzähle. Daß ich dabei, wie der Maler, die Feder in die Farbe tauche, versteht sich so von selbst, daß ich es gar nicht zu erwähnen brauche. Wer da behauptet, daß ich nicht aus der Erfahrung, sondern aus der Phantasie schöpfe, der mag, und sei er der begabteste Mensch, sich doch einmal hinsetzen und den Versuch machen, auch nur einen einzigen »May-Band« einfach zu erdichten. Daß ich zu meiner großen Genugtuung grad aus den Ländern, über welche ich schreibe, eine Menge schriftliche und mündliche Bestätigungen erhalte, will ich nur erwähnen; behaupten aber muß ich, und mit mir jeder vernünftige Mann, daß die Meinung, ich schreibe nichts als Erdichtetes, nur in einem jungen, also unreifen Gehirn entstehen kann. Der gereifte Denker weiß, daß solche Erzählungen, zu denen eine solche Summe von Kenntnissen und Erfahrungen gehört, nicht aus den Rippen zu saugen sind, und wenn die höchsten Geburts- und Geistesaristokraten mir schriftlich und persönlich ihre Anerkennung zollen, so ist es eigentlich lächerlich, daß ich einiger Flachköpfe wegen diesen Brief schreibe. Diese jungen Herren mögen hierher kommen und meine Reisetrophäen sehen, dann werden sie schweigen! Oder sie mögen die Narben sehen, welche meinen Körper bedecken! ... (35)
Es ist bekannt, daß May nicht nur die Authentizität seiner Geschichten bestätigte, sondern daß er sie in seinen Briefen auch durch detaillierte Mitteilungen auszuschmücken liebte. So wußte er zu berichten, daß Winnetou 1840 geboren war und am 2. 9. 1874 erschossen worden sei: Er war noch herrlicher, als ich ihn beschreiben kann. (36) Wir erfahren, daß Old Shatterhand dem sterbenden Winnetou die Nottaufe gegeben hat (37), daß Hatatitla Old Shatterhands bestes Pferd, Rih aber wertvoller war (38), daß Hobble noch lebt, Hawkens, Firehand, Hawerfield aber tot sind. Staunenerregend sind unseres Dichters Sprach
kenntnisse und sein Arbeitseifer: Ich spreche und schreibe: französisch, englisch, italienisch, spanisch, griechisch, lateinisch, hebräisch, rumänisch, arabisch 6 Dialekte, persisch, kurdisch 2 Dialekte, chinesisch 6 Dialekte, malayisch, Namaqua, einige Sunda-ldiome, Suaheli, hindostanisch, türkisch und die Indianersprachen der Sioux, Apachen, Komantschen, Snakes, Uthas, Kiowas, nebst dem Ketschumani 3 südamerikanische Dialekte. Lappländisch will ich nicht mitzählen. Wieviel Arbeitsnächte wird mich das wohl gekostet haben? Ich arbeite auch jetzt noch wöchentlich 3 Nächte hindurch. Montag nachmittag von 6 Uhr bis Dienstag mittag 12 Uhr und ebenso von Mittwoch bis Donnerstag und von Freitag bis Samstag. Wem der Herrgott 1 Pfund Verstand verliehen hat, der soll damit wuchern, denn er hat dermal einst Rechenschaft abzulegen. In Kürschners Literaturkalender ließ May sich als Übersetzer aus dem Arabischen, Türkischen, Persischen, Kurdischen und verschiedenen Indianerdialekten, später auch aus dem Chinesischen anführen. (39) Damit hatten seine Fähigkeiten auch lexikalische Weihe erlangt.
VI.
Auch von den anfangs erwähnten öffentlichen Auftritten Mays in München und Wien in den Jahren 1897 und 1898 sind vielfältige Zeugnisse erhalten, die wegen ihrer sich gegenseitig bestätigenden Ähnlichkeit hier nur in Auszügen wiedergegeben zu werden brauchen. Max Casella berichtet über seine Begegnung mit May im Münchner Hotel Trefler (40): »Eine Menge von Leuten, besonders ganz junge Schüler, waren erschienen, allen stand er Rede und Antwort. Er erzählte zwischenhinein von seinen Reisen und behauptete, nun zum 22. Mal nach Amerika zu gehen. Ich fragte ihn, ... ob seine Schilderungen auch alle wahr seien! Er erwiderte, jedes Erlebnis, jede Gefahr entspräche der Wahrheit, nur wie der Maler den Pinsel brauche, ihn in die Farbe tauche usw., so verfahre auch er. Er wolle nicht dürr und trocken, brockenweise erzählen, darum verwebe er manchmal zeitlich nicht zusammenfallende Erlebnisse und knüpfe sie frei aneinander. So seine Worte. Er kehre nun wieder zu den Apatschen zurück und dort könne
er 35 000 Mann befehligen an Stelle Winnetous, wenn er hinüber komme. Als Todestag Winnetous, des "Vorbilds seiner Nation", nannte er den 2. September 1874! ... Er sei u. a. auch in Mekka gewesen (wohl kurz vorher), und damit man nicht glaube, er "habe Schwindel gemacht", habe er sich erlaubt, einige Photographien von dort mitzubringen. (Er sprach dann noch einiges über Arabien, die Türkei, über Armenien, über die Zukunftsfrage der roten Nation usw.) - Und wir jungen Leute gingen sehr zufrieden nach Hause!«
Der »Bayerische Kurier« meldete am 7. Juli 1897 u. a.: »Bezüglich seiner Lebensgewohnheiten theilte Redner mit, er sei gewöhnt, Nachts um 1 Uhr zu Abend zu speisen, da er auf seinen Reisen stets, bevor er einen Platz für das Nachtlager wähle, sich gewöhnt habe, dessen Umgebung in weitem Umkreise zu durchforschen und erst dann zu Abend zu essen ... Auch von seinen Reisen ... gab Redner Manches zum Besten. So theilte er mit, er werde heuer im Herbste von Dresden aus seine 22. Reise und zwar nach Nordamerika antreten, das Grab seines treuen Waffengenossen und ehemaligen Feindes Winnetou besuchen und dann seine wunderbare Henry-Repetirbüchse, mit der er nach seiner Versicherung 100 Schüsse per Minute abzugeben vermag, ohne daß der Lauf heiß wird, dem deutschen Kaiser für Militärzwecke zur Verfügung stellen. Von dem verstorbenen Erfinder Henry geht bekanntlich die Sage, er habe seine Erfindung, die übrigens einfach sein soll wie das Ei des Columbus, deshalb nicht ausgeführt, weil sie alle Kultur vernichten würde. Nur an Karl May soll er sein Geheimniß mitgetheilt und gemeinsam mit demselben an der Vervollkommnung seiner Erfindung gearbeitet haben. Die Sache klingt etwas geheimnißvoll. Das Gewehr soll nämlich zwei Läufe, übereinander gezogen, wie dies bei Kanonenläufen der Fall ist, zeigen, und zwischen beiden Läufen soll sich ein wärmeabsorbierendes Füllmaterial befinden. Das Kaliber der Geschosse soll so klein sein, daß Karl May in seinem Patronengürtel 1728 Patronen bei sich zu führen vermag. - In entrüsteten Worten äußerte sich Redner über die Art und Weise, wie die europäischen Kulturvölker bei den sogenannten "wilden" Völkern zuerst mit dem Kreuz, dann mit Kanonen, mit Blattern, Syphilis und Schnaps sich einführen, und schilderte ausführlich das Verhalten der Amerikaner gegen diejenigen Indianerstämme, in deren Reservation etwa eine Goldader
oder ein Kohlenlager gefunden wird; sie drängen sie ohne Weiteres hinaus, Widerstand leistende schießen sie nieder! Den Apachen ..., die deshalb Kriegsgedanken gegen die Union hegen, will Redner auf seiner nächsten Reise davon abrathen, mit einem solchen Gegner anzubinden ... «
Von einer Abendaudienz im Hotel Trefler erzählt Ernst Weber (41): »Es war eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, die sich eingefunden hatte, Leute aus allen Berufsklassen: Offiziere und Arbeiter, Kaufleute und Literaten, Geistliche und Lehrer, Herren vom Forstwesen. Auch Damen waren zugegen. Karl May behandelte die Erschienenen mit größter Liebenswürdigkeit, gleichsam wie Glieder einer großen Familie. "Ein Schriftsteller kennt keine Geheimnisse vor seinen Lesern, er gehört zu ihnen und sie zu ihm - wie der Vater zu seinen Kindern." Und in der Tat: Old Shatterhand hielt mit nichts zurück, sondern erzählte uns von allem Möglichen und zwar im buntesten Wechsel, von einem Gebiet ins andere überspringend, ohne daß es mir gelungen wäre, irgendwelche Associationspunkte zu entdecken, von den intimsten Dingen, die ihm persönlich Seele und Leib berührten, von seiner Brautwerbung, wie von seinen Mahlzeiten, von erlebten Gefahren und Abenteuern ...; hin und wieder eingestreute Zweifelsfragen der Anwesenden wies Old Shatterhand mit überlegener Souveränität zurück oder sprang über auf ein neues interessantes Gebiet. Ich hörte ihm schweigend zu. Der Mann schien mir zuerst ein psychologisches Rätsel ...« Und weiter (42): »"Gestatten Sie eine Frage, Herr Doktor", bemerkte ein Herr aus unserer Gesellschaft ..., als Karl May auf seinen Stutzen zu sprechen kam, "Sie erzählen da, daß Sie fünfundzwanzigmal schießen, ohne zu laden. Das ist nur bei einem Magazingewehr möglich. Ihr Henrystutzen ist keines, wie die Photographie zeigt. Ihre Behauptung scheint mir darum unmöglich". Old Shatterhand lächelte ironisch: "Das verstehen Sie nicht, mein Herr!" "Bitte, ich bin Offizier, Beamter der Artillerie-Werkstätte, und die Beschäftigung mit allen möglichen Schußwaffen ist mir Lebensberuf." "Mag sein! Sie können in Ihrem Beruf ja ganz tüchtig sein; meinen Henrystutzen begreifen Sie darum doch nicht. Das ganze Geheimnis liegt zwischen Lauf und Laufmantel. Vielleicht erfahren Sie einmal später davon. Ich habe nur noch zwei große Lebenszwecke zu erfüllen: eine Mission bei den Apatschen, deren Häuptling
ich bin, und eine Reise zu meinem Halef, dem obersten Scheik der Haddedihn-Araber. Dann aber werde ich vor den deutschen Kaiser treten: 'Majestät, wir wollen einmal miteinander schießen.' Ich werde ihm meinen Henrystutzen vorführen. Derselbe wird in der gesamten deutschen Armee eingeführt werden, und kein Volk der Erde wird dann je den Deutschen widerstehen können".« (43)
Am 10. Juli 1897 hielt der »Bayerische Kurier« eine Rückschau: »Nach etwa achttägigem Aufenthalte in München hat Dr. Karl May unsere Stadt nunmehr wieder verlassen, um sich über Regensburg in seine Heimat zurückzubegeben ... Im Speisesaal des Hotels Trefler hielt Dr. May mehrmals vor Hunderten von Zuhörern und Zuhörerinnen stundenlange Vorträge über seine Reisen und beantwortete Fragen, die aus dem Auditorium an ihn gerichtet wurden.« (44) Es folgt dann ein längeres Interview, in dem May noch einmal den Wahrheitsgehalt seiner Reiseerzählungen beteuert, von seinen mehr als zwanzig Amerikareisen erzählt und den Tod aller ihm befreundeten Westmänner sowie den Untergang der roten Rasse beklagt. Für den Herbst 1897 kündigt er eine neue Amerika-Reise an, »um Winnetous einsames Grab zu besuchen, bei den Apachen einzukehren und sich in den Rocky Mountains einen Grizzly-Bären zu holen.« Im Jahre 1898 wolle er »den nunmehrigen Oberscheik der Haddedihn-Schammar, den unvergleichlichen Hadschi Halef Omar und seine "Hanneh" besuchen.«
Der Reporter nahm diese Eröffnungen gläubig und dankbar entgegen: »Mir ... und wohl allen, die in diesen Tagen mit Dr. Karl May zusammentrafen, war es eine große Freude und wird es eine bleibende Erinnerung sein, den Mann, der die ganze Welt bereist hat, der über 1200 Sprachen und Dialekte versteht, den letzten Vertreter der Romantik des Wilden Westens von Angesicht zu Angesicht gesehen zu haben.« Der Artikel, der auch sonst von der begeisterten Aufnahme der Mayschen Darbietungen spricht, hat damit im großen und ganzen sicher recht. Im einzelnen freilich stieß May auch auf skeptische Beurteiler, für die das Auftreten des »gefeierten Reisenden« (45) eine Entzauberung bedeutete: »... ich aber ging«, berichtete Ernst Weber (46), »ärgerlich über den Mann, den ich nun endlich persönlich kennengelernt hatte, und noch ärgerlicher über mich selbst, den die Mayschen Schriften so lange fesseln konnten.« Ein ähnliches Zeugnis verdanken wir dem Theo
logen Joseph Bernhart, der als damals fast 16jähriger junger Mann zu einer Münchner Audienz erschienen war (47): »Was er sagte, ist mir wohl selben Tages noch entfallen, weil mir der weitere Verlauf des Empfangs den ganzen Heros zu Boden warf. Es geschah das Peinliche, daß May sich den Oberkörper entblößte, um ein paar Narben als Beweis für die Kämpfe auszugeben, die er laut seiner Bücher siegreich bestanden hatte. Ich konnte nicht hinsehen und fühlte die Schmach des Augenblicks. Kann ein Held vor Buben so um ihren Glauben werben? Ich zog mich leise hinter die anderen zurück, um als erster durch die Tür - die glücklicherweise offenstand - zu verschwinden.«
VII.
Mays nächste Ruhmesreise - nach Wien - verlief nahezu triumphal. Er wurde dort nicht nur, wie schon zu Beginn dieser Darstellung berichtet, von Angehörigen des Kaiserhauses empfangen, die wohl auch die Einladung ausgesprochen hatten. (48) Er verkehrte auch sonst in Wien in den besten Kreisen. »Die hohe Aristokratie zeichnete Dr. May wiederholt durch ehrende Einladungen aus, und hegt man in all diesen Kreisen wegen seines herzlich-schlichten Auftretens die größten Sympathien für ihn.« (49) Er trat auch wiederholt als Redner hervor. So sprach er am 21. Februar 1898 vor der Leo-Gesellschaft in Wien in Anwesenheit bedeutender Männer der Wiener Aristokratie und Gesellschaft. Der Schriftsteller Richard von Kralik (1852 - 1934), zu seiner Zeit eine der führenden Gestalten des österreichischen Geisteslebens, hat darüber einen kurzen Bericht hinterlassen (50): »Von allen Seiten drängte man ihn, noch einen kleinen Vortrag zu halten, und das tat er denn auch mit größter Wirkung. Er erzählte noch unbekannte Szenen aus dem Leben seines indianischen Freundes Winnetou, dessen Todestag zufällig heute war (51), er enthüllte erhabene Seelenzüge aus dessen letzten Augenblicken, und so erhob er alle Hörer über die Enge des europäischen Lebens. Als er von der Bühne herabstieg, drängte sich alles herzu, ihm gerührt die Hand zu drücken.« Auch in der Presse fand die Rede Widerhall (52): »Mit dem Psalmworte: "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, von denen meine Hilfe kommt und mein
Heil", verwies er gewissermaßen auf das Ziel seiner literarischen Tätigkeit. Und daran knüpfte er in einer spannenden Improvisation über seinen »Freund« Winnetou dessen interessante Aussprüche über die Aristokratie des Glaubens, der Liebe, der Geduld und Demuth ...« May schloß seine Rede mit einem Toast auf die Leo-Gesellschaft: »Begeistert und wahrhaft erhoben stimmte der ganze, dichtgefüllte Saal ein und jubelte dem Redner zu, der noch in die Versammlung rief: "Meine Herrschaften! Thun Sie wie ich: Blicken Sie auf zu den Bergen, von denen Hilfe und Heil kommt! Amen!" ... Sofort erhob sich Se. bischöfliche Gnaden, der hochw. apostolische Feldvicar Dr. Belopotoczky und gab namens des Präsidiums der Leo-Gesellschaft der Verehrung für den liebwerthen Gast Ausdruck, so wirksam, daß Dr. May sich schleunigst in die Reihen der Mitglieder der Leo-Gesellschaft aufnehmen ließ ...«
Über die anschließenden Gespräche mit May berichtet Kralik (53): »Wenn ich mich auch nicht für verpflichtet hielt, alles aufs Wort zu glauben, so imponierte mir doch die Folgerichtigkeit, mit der er die Annahme aufrecht erhielt, selber den Mittelpunkt eines ganzen modernen Epos zu bilden. Es war ganz poetisch gedacht, sich selber ein erhöhtes Phantasieleben in seinen Dichtungen zu stiften.« Kralik verwickelte dann May in Erörterungen über das Verhältnis von Wahrheit und Dichtung in autobiographischen Darstellungen. »All das deutete ich in längerem wechselseitigem Gespräch mit der gehörigen Bescheidenheit an, und Herr Karl May gab mir in manchem Recht, ohne übrigens aus seiner Rolle zu fallen, wie er sie in allen seinen Schriften festhielt. Auch das gefiel mir an ihm. Er sagte schließlich: "Ich gebe zu, daß ich wie jeder Reiseschriftsteller meine Berichte stilisiere. Ich muß ihnen ein Gesicht, einen Ton, einen Akzent geben, einen Rhythmus, eine Richtung. Aber ich schreibe keine Romane. Ich habe alles im wesentlichen erlebt".« (54) Einige Einzelheiten über Mays sonstige Taten an jenem Abend teilt Franz Cornaro nach Augenzeugenberichten mit (55) »Nicht nur habe er damals die Narbe unter der Kinnlade gezeigt, die von einem Messerstich Winnetous herrühren sollte, er habe auch Kraft und Scharfblick bewiesen. Die Kraftprobe habe im Hochstemmen eines - angeblich schweren - Tisches bestanden. Und eine junge Baronin Pascotini, mit der er einige Briefe gewechselt, die er aber außer
auf einer Photographie noch nie gesehen hatte, habe er dadurch verblüfft, daß er sie sogleich erkannte und mit ihrem Namen ansprach.«
Mays Erlebnisse am folgenden Tage - dem Faschingsdienstag - sind durch Kraliks Erzählung »Der abenteuerliche Tag« überliefert. (56) Am Nachmittag desselben Tages war May aber schon wieder anderweit beschäftigt; er hielt im Konvikt zu Kalksburg durch Vermittlung des damals 16-jährigen Richard Kirsch (57), eines Zöglings der Anstalt, einen Vortrag über das Thema: »Winnetou, der Adelsmensch«. (58) Darüber ist ein Bericht der »Kalksburger Korrespondenz« erhalten. (59) May sagte: »Wir seien in Gottes Garten gepflanzt und müßten uns zu edlen Bäumen entfalten, die gute Früchte bringen; was das heißen soll, zeigte er uns durch einige Züge aus dem Leben seines uns allen bekannten Winnetou. Er war der Sohn eines Häuptlings der Apachen, ein echter Aristokrat; auch die Indianer haben nämlich ihre Aristokratie, und die Häuptlingsfamilien wissen ihre Ahnen auf viele Generationen zurück anzugeben. Dieser Winnetou wurde von Dr. Karl May zuvor in den Anfangsgründen der christlichen Religion unterwiesen. Bald sollte der Lehrer erfahren, wie tief der junge Indianer die christliche Religion erfaßt hatte. Er zeigte sich auch in der Religion und im religiösen Leben als echter Aristokrat, und wiederholt mußte Dr. May aus dem Munde seines Schülers Bemerkungen hören wie: "Mein weißer Bruder ist kein Aristokrat des Glaubens, sonst würde er das Heilige höher halten", oder: "Er ist kein Aristokrat der christlichen Liebe, sonst würde er seinem Gegner nachgegeben haben". So sollen auch wir, fuhr Dr. May fort, nicht mit dem Gewöhnlichen uns begnügen, sondern Aristokraten der christlichen Religion werden. Hierauf erzählte er uns von seinem eigenen Ringen und von den Mühen, die es ihn gekostet, um sich emporzuarbeiten. Diese Entbehrungen und Anstrengungen hätten ihn aber an Leib und Geist gekräftigt, obwohl er sich oft erschöpft fühlte, daß er meinte, zusammenbrechen zu müssen. Rauschender Beifall erscholl, als der beliebte Schriftsteller die Rednerbühne verließ. Hierauf mischte sich Dr. May unter die Zöglinge, unterhielt sich aufs jovialste mit der Jugend und beantwortete die in Betreff seiner Werke an ihn gerichteten Fragen in entgegenkommendster Weise.« Auch Richard Kirsch hat eine kurze Schilderung des Vortrages hinterlassen, der vor 500 Zöglingen stattgefunden hat (60): »Als May endete, erscholl freneti
scher Beifall. Er wurde von den Buben umdrängt; sie wollten ihn gar nicht fortlassen. Wie staunten sie, als der eher kleine Mann einen Stuhl mit einer Hand wie einen Spazierstock durch die Luft wirbelte.«
Am nächsten Abend (also am 23. Februar) »fand sich Dr. May in einer ihm zu Ehren im "Regensburger Hof" veranstalteten Zusammenkunft katholischer Männer ein, bei welcher sein von ihm gedichtetes und componirtes "Ave Maria" vom Sängerchor "Dreizehnlinden" vorgetragen wurde, was einen tiefen Eindruck auf die ganze Versammlung machte«. (61) Den Abend des 25. Februar (seines 56. Geburtstages) verbrachte May bei der Familie Kirsch, wo er ein ganzes Kapitel aus dem »Silberlöwen« erzählte, sein »Ave Maria« auf dem Klavier vorspielte und das Stubenmädchen durch ein besonders hohes Trinkgeld von fünf Gulden erfreute. (62) Damit enden die Berichte von Karl Mays Wiener Reise.
VIII.
Am Donnerstag, 24. März 1898, trafen Karl May und seine Frau Emma mit dem von Wien kommenden Orient-Expreß ein weiteres Mal in München ein (63); schon auf dem Bahnhof wurden sie von Mitgliedern des Münchener Karl-May-Clubs begrüßt. (64) May, der wieder im Hotel Trefler wohnte, saß mit den Mitgliedern an drei Abenden (24., 25., 28. 3.) bis lange nach Mitternacht zusammen und erzählte hier - in kleinerem Kreise - höchst Erstaunliches. (65) Er berichtete über sein eigenes Leben und die Geschichte Winnetous in Anlehnung an seine literarische Schilderung in Band VII, fügte Erinnerungen an den Kalksburger Vortrag (über die Aristokratie der Liebe usw.) hinzu und schilderte eine spannende Episode, auf Grund derer Winnetou seinen Namen, den May mit »Brennendes Wasser« übersetzte (66), erhalten habe. Hier war es auch, daß May in der Erinnerung an den Tod Winnetous im Anschluß an ein fünfminütiges »Trauerschweigen« in Tränen ausbrach. (67) Über den Henrystutzen wußte er zu vermelden, daß dieser in Wahrheit nicht von Henry, sondern von ihm, May, erfunden und angefertigt worden sei. Die Ehe mit seiner Emmeh sei dadurch zustandegekommen, daß er, als er schwer verletzt von einer Reise zurückge
kommen sei, von einer Professorentochter mit größter Hingabe gepflegt worden sei; da diese Dame außerdem Nscho-tschi, der Schwester Winnetous, sehr ähnlich gewesen sei, habe er sie zu seiner Frau gemacht. (68) Die Aufzeichnung, die ein sehr lebendiges Bild vom Auftreten Mays und seiner Wirkung zu jener Zeit vermittelt, sollte einmal vollständig veröffentlicht werden.
May fuhr dann von München nach Regensburg und traf in der zweiten Aprilhälfte des Jahres 1898 in Gartow (im östlichen Niedersachsen) ein, wo er bis zum 7. Mai blieb. Seine im Zusammenhang unseres Themas sehr aufschlußreichen Erlebnisse an diesem Ort sind in unseren Jahrbüchern schon früher ausführlich geschildert worden. (69)
IX.
Zum Bilde des Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand, das wir aus Werken, Dokumenten, Briefen, Bildern und öffentlichen Auftritten gewinnen können, tragen auch die Zeugnisse bei, die von Besuchen der Verehrer in der »Villa Shatterhand« erhalten sind. Während aus der Zeit nach der Jahrhundertwende sehr viele Berichte dieser Art überliefert sind, besitzen wir nur wenige persönliche Erinnerungen aus den Jahren 1895 - 1899. Von einem Besuch zu Ostern 1896 erzählt Dr. Johannes Schütze (70): »Wir wollten gern seine berühmten Büchsen, den Bärentöter und den Henrystutzen, sehen, aber jener war eben zur Ausbesserung fortgegeben, da eine Feder gesprungen war, und dieser wurde verborgen gehalten, da May nach seinem Vorbild ein 25-schüssiges Infanteriegewehr für die deutsche Armee konstruieren wollte. Jemand sprach von den Bärenkräften seiner Hand. Ja, damit hätte er jüngst einem Fürwitzigen beinahe die Hand zerquetscht. Verschiedenerlei Kuriositäten wurden erklärt. Die Zeichnung des Pergamentpapiers am Schreibtisch war mit Menschenblut hergestellt, wohl Negerblut. Jedenfalls machte jemand dabei eine etwas abfällige Bemerkung über die Neger: "Also die Neger sind doch auch Menschen", brauste er auf!« Dr. Wilhelm Schewen, der bei demselben Besuch zugegen war, ergänzt (70): »Ich entsinne mich, daß in der Nähe seines Schreibtisches ein ausgestopftes Prachtexemplar von Löwe stand. Er erzählte mir, daß er ihn
selbst erlegt habe. Er habe ihn nahe herankommen lassen, und in dem Augenblick, wo das Auge des Löwen nur wie ein Strich erschienen sei, habe er ihn mit einem Schuß ins Auge (Gehirn) niedergestreckt. Hinter dem Schreibtisch erschien eine große hirschlederne Decke, die mit dunkelroten Streifen gezeichnet war. Er erzählte uns, die habe ihm Nscho-tschi, Winnetous Schwester, gearbeitet und geschenkt ... An Winnetous Existenz und seiner Freundschaft mit ihm ließ er keinen Zweifel... Er versprach mir zum Abschied, ein Haar Winnetous zu schicken, was er aber nie getan hat.«
Auf weitere Schilderungen können wir verzichten. (71) Sie bestätigen mit geringen Variationen den Eindruck, der sich aus allen übrigen Zeugnissen in mosaikartiger Zusammensetzung ergeben hat. Weitere Materialfunde werden das Bild bereichern und vertiefen, aber nicht mehr entscheidend korrigieren können.
X.
Die vorstehend in ihren wesentlichen Zügen nachgezeichnete Old-Shatterhand-Legende wird auch bei wohlwollenden Betrachtern nur eine zwischen Staunen, Heiterkeit, Befremden und Verlegenheit schwankende Reaktion hervorrufen können. Wollschläger spricht von Mays »Lebensverhalten im Halbjahrzehnt vor der Orientreise« als der »bei weitem bizarrsten ... Zeit« (72) und von einer »weniger erhabenen Periode« (73). Und E. A. Schmid meinte (74): »Es ist dem Dichter vielfach vorgeworfen worden, daß er den Glauben allzu stark nährte, er habe die meisten in seinen Büchern erzählten Abenteuer selbst bestanden. Diese Schwäche kann nicht geleugnet werden ...« Die Kritiker Mays fanden hier einen ihrer Hauptangriffspunkte. Fedor Mamroth, Mays erster literarischer Gegner, der im Jahre 1899 die Lawine gegen den »Freund der Haddedihn« ins Rollen brachte, erkannte das Talent des von ihm bekämpften Autors ausdrücklich an (»ein Fabulist von Begabung«). Nur die Gleichsetzung von Fiktion und Realität ließ ihm Mays »Phantasmen zu Unwahrheiten« und »seine Erzählungen unmoralisch« werden. (75) Auch Mays zweiter Großgegner jener Zeit, Hermann Cardauns, leugnete keineswegs »seine (Mays) mannigfachen Kenntnisse, seine
Formgewandtheit und Erfindungsgabe«; aber »ernstlich übel nehmen muß man es ihm, wenn er ernst genommen sein will«, fuhr er dann fort. (76) Es war also nicht sein Werk, sondern sein Auftreten, das die Widersacher Mays zuerst auf den Plan rief. Noch der fünf Jahre nach dem Tode Mays veröffentlichte Kleinberg-Nekrolog, der die Flut der gegen seine Person gerichteten Polemiken im wesentlichen abschließt, erhebt den Vorwurf der »künstlerisch völlig überflüssigen eitlen Betonung der Identität des Verfassers mit seinem ... Helden.« (77)
An solchen moralisierenden Urteilen ist heute nicht mehr viel gelegen. Denn May selbst hat ja nach der großen Wende seiner Orientreise den Realitätsanspruch alsbald aufgegeben (78), und seine Reiseerzählungen haben auch ohne den Nimbus, mit dem sich ihr Verfasser zeitweilig umgeben hatte, bis heute nichts von ihrer Wirksamkeit verloren. Von größtem Interesse ist es aber nach wie vor, jenes sonderbare Verhalten zu erklären. Denn Mays Versuch, gegen alle Realität die Einheit von Leben und Werk herzustellen, ist für eine interpretatorische Analyse seiner Reiserzählungen ebenso wichtig wie für die Seelenerkenntnis ihres Autors. Was dazu im folgenden gesagt wird, kann auch für diesen Abschnitt der Biographie Mays nur ein Anfang sein, ein großflächiger Umriß; die psychologische (namentlich psychoanalytische) Detaildeutung ebenso wie eine gründliche Einzelinterpretation der zu jener Zeit entstehenden Werke Mays muß späteren Studien vorbehalten bleiben.
XI.
Die älteste, einfachste und am meisten vertretene Deutung ist die, daß May die Rolle des Old Shatterhand gespielt habe, um den dunklen Punkt in seiner Vergangenheit, die Straftaten, vor der Öffentlichkeit zu verdecken. Die Scham vor dem Eingeständnis seiner Verfehlungen, die Angst vor dem Verlust des so mühsam errungenen bürgerlichen Ansehens hätten danach eine Art »Notstand« herbeigeführt, der May zum Aufbau und zur Verteidigung seiner Legende geradezu gezwungen hätte. Bei Gurlitt (79) heißt es: »Die Haft hatte ihn gesellschaftlich unmöglich gemacht. Deshalb ... schrieb er auch anfangs unter Pseudo
nymen, ersann Auslandsreisen auch für die Zeit, während der er hinter Schloß und Riegel saß ... So wurde er zu einem gelegentlichen Lügner, nicht aus Lust an der Sünde, sondern aus Notwehr.« Denselben Gedanken trägt K.-H. Strobl in seiner bekannten Arbeit »Scham und Maske« vor (80): »Wenn die Abenteuer des Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi echtes Erlebnis sind, dann muß Karl May, der mit ihnen gleich ist, Jahre daran gewendet haben. Eben jene Jahre, deren Spur zu verwischen der neu gewordene Mensch so voll Angst und Scham bemüht ist. Er kann dann dem Besucher, der etwa nach seinem Leben zu forschen begierig ist, antworten: damals, ja damals war ich in Amerika bei Winnetou, oder ich reiste mit Hadschi Halef durch die Wüste.« Und weiter (81): »... die Neugierde nach seinen "Antezedentien" meldet sich zu Wort. Ängstlicher als je zuvor hält Karl May die Maske fest ... Er ist im Stande der Notwehr«. (82)
Diese Erklärung, die auch Raddatz (83) aufgenommen hat, ist aber wenig einleuchtend. Zwar fürchtete May kaum etwas so sehr wie die Aufdeckung seiner Vorstrafen. (84) Er hatte dazu auch allen Grund: Denn je mehr ein resozialisierter Straffälliger bereit ist, in die Gesellschaft zurückzukehren und in ihr als geachteter Bürger zu leben, desto mehr gefährdet ihn seine Vergangenheit, die ihm die Mitmenschen nicht vergeben. Aber die Behauptung Mays, daß alle seine Schilderungen auf wirklichen Erlebnissen beruhten, war ein durchaus untaugliches Mittel zur Verhüllung seiner früheren Verfehlungen. Denn gerade die spektakulären Heldentaten, die May sich zuschrieb, mußten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit erregen und sie zu Nachforschungen veranlassen, die früher oder später die Wahrheit ans Licht bringen mußten. Wenn May sich, ohne auf dem Realitätsgehalt seiner Fabeln oder gar der Identität mit seinem Helden zu bestehen, auf schlichte und ohne weiteres glaubhafte Studienreisen berufen und im übrigen (wie in den Achtzigerjahren) möglichst zurückgezogen - vielleicht gar im Ausland - gelebt hätte, wären seine »Antezedentien« weit weniger ins Gerede gekommen. Das kann auch von May nicht verkannt worden sein, wie sein zur Zeit der frühen Reiseerzählungen mit Vorbedacht unauffälliges Leben deutlich genug zeigt. Die Verdeckung der Straftaten mag also für May ein (freilich auf andere Weise besser zu erreichender) Nebenzweck seiner Legendenbildung gewesen sein; die
eigentliche Triebkraft seines Handelns wird in anderen Motiven zu suchen sein.
XII.
Eine zweite Hypothese, die von Verteidigern wie von Gegnern Mays vielfach zur Erklärung seines Verhaltens herbeigezogen worden ist, geht dahin, daß May durch die Wünsche seiner Leser zur Identifizierung mit seiner literarischen Ich-Gestalt bewogen worden sei. So schreibt Böhm (85): »Ja, May wurde von seinen Lesern geradezu in die Rolle des Schwindlers hineingedrängt. Wie die Engländer an ihren Sherlock Holmes glaubten und viele Londoner Trauerflor trugen und seine fiktive Wohnung mit Beileidsschreiben überfluteten, als Conan Doyle den schon lange gehegten Mordplan gegen seine Romanfigur in die Tat umsetzte, so wollten die Karl-May-Leser an ihren Old Shatterhand - Kara Ben Nemsi glauben«. Ansgar Pöllmann sah es noch zu Lebzeiten Mays ähnlich: »Karl May wurde durch die maßlose Verhimmelung seines Leserkreises um sich selbst gebracht ...« (86) »So, wie wir jetzt "unsern" May haben, so hat ihn seine Gemeinde haben wollen; wehe dem, der mit der Masse paktiert, sie reißt ihn fort. Unwiderstehlich muß er der hungrigen Bestie folgen, die nach "Brot und Spielen" schreit, und statt die Menge zu leiten, wird er vielmehr von ihr gelenkt.« (87)
Damit ist Wichtiges gesagt. Wir wissen ja, daß May die Identifikation mit seinen Ich-Gestalten nur sehr allmählich und mit Nachdruck erst ab 1894/95 vollzogen hat: die frühesten, auf den Wunsch der Leser erschienenen May-Photographien (88) zeigen May in durchaus zivilem Habitus, »mit Pincenez und gar nicht "martialisch"«. (89) Meine Leser drängen nach Photographien, schreibt May am 4. Juni 1896 an Fehsenfeld (90), als er ihn über die Schießer-Aufnahmen unterrichtet, und es ist durchaus wahrscheinlich, daß es ohne Drängen seiner Verehrer zu diesen Bildern nicht gekommen wäre. Auch die übrigen legendenbildenden Arrangements - von der »Ausgrabung« der Silberbüchse bis zu den Münchener Massenaudienzen - hätten nicht stattfinden können, wenn Mays Verehrer nicht »mitgegangen« wären und ihn nicht
in seinem Tun bestärkt hätten. Selbst einem nüchterner veranlagten Menschen als May wäre es nicht leicht gefallen, den Glauben der Leser an die Wahrheit des Erzählten zu zerstören. Noch ein heutiger Vater wird, wenn er - wie der Verfasser dieses Aufsatzes - may-begeisterte Kinder hat, sich dieser Art von »Aufklärung« nicht gern unterziehen und ihr so lange wie möglich mit sibyllinischen Redensarten ausweichen; die Enttäuschung des naiven Lesers, wie sie in zahlreichen Schilderungen überliefert ist, wäre zu groß. Insofern lag in Mays Verhalten auch eine Freundlichkeit gegenüber dem Leser, da es doch dessen »sehnlichster Wunsch ist, die Heldentaten wären wahr, deren Kunde er vernimmt«. (91)
Gleichwohl reicht dieser Befund zur Deutung des Phänomens nicht aus. Denn May hätte den Wünschen seiner Leser nicht nachgegeben, wenn sie nicht mit seinen mächtigsten Sehnsüchten übereingestimmt hätten. May konnte, so liebenswürdig er im allgemeinen auftrat, recht grob werden, wenn ihm ein Verehrer allzu sehr auf die Nerven fiel. So schreibt er etwa am 3. 1. 1895 an einen Fragesteller (92): Wenn da jeder »genauere Mitteilungen« über irgend einen beliebigen Gegenstand haben wollte, so müßte ich 50 Schreiber besolden und 50 Zungen haben, um ihnen dictieren zu können, dabei meine eigentliche Arbeit liegen lassen und noch extra Bankerott machen, weil mir kein Mensch eine Marke beilegt und ich also für jede Gefälligkeit, die ich erweise, nicht nur meine kostbare Zeit, sondern auch noch 10 Pfennige hergeben muß. Zu »genaueren Mitteilungen« habe ich keine Zeit! Ergebenst Dr. Karl May. Er wußte sich besonders zudringlicher und lästiger Bitten auch öffentlich mit Energie zu erwehren, wie etwa das Nachwort zum dritten Bande des »Mahdi« zeigt. (93) Auch die schon erwähnten »Freuden und Leiden« lassen deutlich erkennen, daß May seinen Lesern (oder mindestens einem bestimmten Typ von Lesern) nicht ohne ironisch-kritische Distanz gegenüberstand. Wenn er also die seinen Schriften entgegengebrachte Wahrheitserwartung - wie es ja später der Fall war - als törichtes Mißverständnis empfunden hätte, hätte er sich solchen Wünschen durchaus zu entziehen verstanden. Schon 1901 schrieb er seinen Lesern, daß ihn Erkundigungen nach dem Realitätsgehalt seiner Schilderungen ob der Oberflächlichkeit solcher Fragen zur Verzweiflung bringen könnten. (94) Auch hatte May keinen Anlaß, allein den Lesern zuliebe die Farben so dick aufzutragen und durch persönliche
Informationen die gewagten Fabeln seiner Reiseerzählungen noch zu übertrumpfen. Wenn der wortkarge Freund Winnetous weniger redselig und burlesk aufgetreten wäre, hätte dies dem Bilde seines literarischen Ich, nach dem sich die Erwartungen der Leser geformt hatten, sogar eher entsprochen. Man darf also sagen: May konnte sich als Old Shatterhand nur darstellen und Glauben finden, weil die Leser wünschten, daß er mit seinem »Ich« identisch sei; aber er spielte diese Rolle nur, weil er selbst noch viel dringlicher zu sein begehrte, wie er sein Ich-ldeal gebildet hatte.
XIII.
Unter diesem Blickwinkel hat auch eine dritte Erklärung, die vor allem der gegen May gerichteten Polemik nahelag, nur relative Bedeutung: die Annahme nämlich, daß Mays schauspielerische Selbstdarstellung im wesentlichen ein Werbefeldzug gewesen sei und den Zwecken geschäftlicher Propaganda gedient habe. Schon Cardauns (95) nahm weniger an den Werken Mays als an der »kolossalen Selbstreklame« Anstoß, die er in seinem Verhalten zu erkennen glaubte. »Wertet man den ehemaligen "Räuberhauptmann aus dem Böhmerwalde" als Geschäftsmann, so kann man ihm eine gewisse Bewunderung nicht versagen«, hieß es in der Presse zur Zeit der »Karl-May-Hetze«. (96) Selbst einem May-Apologeten wie Heinrich Wagner (97) erschien im Hinblick auf die Bebilderung des Bandes 19 mit einem Old Shatterhand-Porträt »die Annahme völlig glaubhaft, daß es sich hier um einen ausschließlich spekulativen buchhändlerischen Trick handelt.« Er fügt entschuldigend hinzu: »May selbst ist mit seinem Verleger Fehsenfeld in Differenzen geraten, weil er diese marktschreierische Ausstattung seiner Bücher nicht wünschte. Sein Einspruch war auch von Erfolg, denn jenes Bild ist längst wieder verschwunden.« Es steht jedoch fest, daß May (nicht Fehsenfeld) der Initiator dieser Bilder war und daß May sich erst nach der Jahrhundertwende zu einer seriöseren Auffassung bekehrt hatte; er hat die Platten der Old Shatterhand/Kara Ben Nemsi-Bilder im Jahre 1902 eigenhändig vernichtet. (98) Auch bei Wollschläger lesen wir noch (99): »Das große Spektakel, mit dem das lange lädierte,
nunmehr reparierte Ich sich zur Schau stellt, ist eine geschäftliche Transaktion.«
Man sollte diesen Gesichtspunkt nicht beiseite schieben. May war in geschäftlichen Dingen keineswegs weltfremd; er war, was den Vertrieb seiner Bücher anlangt, sein eigener »Werbeleiter und Public-Relations-Mann« (100), der sich »um praktisch alles, was mit den Buchausgaben seiner Werke zusammenhing« (101), sorgfältig kümmerte. So dienten natürlich auch seine durch Zeitungsannoncen angekündigten Audienzen ebenso wie die Privatempfänge in der Villa Shatterhand und der umfangreiche Briefwechsel mit seiner Lesergemeinde (unter anderem!) der Werbung. Man wird nicht verkennen können, daß Mays öffentliche Selbstdarstellung in den Jahren 1896 - 1899 beträchtliche Ähnlichkeit mit dem Auftreten zeigt, das wir heute etwa von Filmstars oder Schlagersängern gewohnt sind. May war, so merkwürdig dies klingt, ein Pionier moderner Publicity-Methoden, und eine unter solchem Aspekt durchgeführte Untersuchung seines »Lebens und Strebens« würde reichen Gewinn versprechen. Sieht man die Dinge einmal so, mußten die behauptete Authentizität der Schilderungen und das leibhaftige Auftreten ihres Helden ein Werbefaktor ersten Ranges sein.
Gleichwohl wäre die Annahme, daß die staunenswerte Energie, mit der May die Old-Shatterhand-Legende aufbaute und ausgestaltete, allein oder auch nur überwiegend aus dem Wunsch nach höheren Auflagenzahlen gespeist worden wäre, eine einseitige Überzeichnung. Denn einerseits war der Erfolg der Fehsenfeld-Ausgaben fast von vornherein so groß, daß es derartiger Gewaltanstrengungen keineswegs bedurfte; und andererseits mußten nüchterne werbetechnische Überlegungen dem Verlag und seinem Autor sagen, daß eine solche Art der »sales promotion« die Grenzen der Seriosität überschritt und über kurz oder lang eine absatzmindernde Kritik auf sich ziehen mußte, - wie es dann ja auch prompt geschah. Auch der Umstand, daß der von Karl May erhobene Wahrheitsanspruch keiner ernsthaften Nachprüfung standhalten konnte, »Entlarvungen« herausfordern mußte und sich deshalb auf weitere Sicht als schwer geschäftsschädigend erweisen würde, war so evident, daß dies einem Manne von der Intelligenz Mays nicht verborgen bleiben konnte, wenn ihn vornehmlich rationale, kaufmännische Erwägungen geleitet hätten. Daraus läßt sich der Schluß
ziehen, daß Mays Auftreten in der Maske seiner Ich-Gestalten zwar (unter anderen Begleitmotiven) auch einen verkaufsfördernden Nebenzweck hatte, daß aber der tragende Beweggrund seines Handelns aus ganz anderen Quellen gespeist worden sein muß.
XIV.
In das Zentrum trifft erst ein vierter Deutungsansatz, den unlängst Hans Wollschläger entwickelt hat (102): daß es nämlich Mays Sehnsucht nach Liebe, d. h. nach emotionalem Kontakt mit den Menschen und nach ihrer Zuneigung, gewesen sei, die ihn die Maske seiner Heldengestalten annehmen ließ. »Der Liebesarme ... vermochte nicht der Versuchung zu widerstehen, die Zuneigung, die sich so millionenfach seinen Ich-Idealen zuwandte, dem eigenen Ich zuzulenken.« (103) Wollschlägers Darstellung, die Mays abnormes Verhalten als Ausdruck einer narzißtischen Neurose und diese als Folge frühkindlicher Liebesversagungen erkennbar macht, darf hier vorausgesetzt werden. Ihre Ergebnisse sind durch zahllose Belege, die uns aus dem Leben und Werk Mays zugänglich sind, überzeugungskräftig abgesichert (104); sie werden auch durch alles bestätigt, was die Forschung über die frühkindliche Charakterentwicklung, über die Notwendigkeit einer intensiven, liebenden Zuwendung durch eine primäre Bezugsperson (d. h. normalerweise durch die Mutter) und über die Wirkungen eines unzureichenden seelischen Kontaktes mit ihr ermittelt hat. (105) May war zeitlebens einsam gewesen: als blindes Kleinkind, in der Schule (106), auf dem Seminar (107), bei Begehung seiner Straftaten, während der Haftzeit und auch später. (108) Ich stand innerlich allein, allein, allein, wie stets und allezeit. (109) So sind in hunderten und aberhunderten von kalten, liebeleeren, qualvollen Nächten alle die Bücher entstanden, in denen ich von nichts als nur von Liebe rede und nichts als nur Liebe lehre. (110)
Von hier aus gesehen erscheint es kaum noch befremdlich, daß May, als er im Alter von mehr als 50 Jahren zum erstenmal aus der Dunkelheit seiner anonymen Existenz in eine größere Öffentlichkeit heraustrat, vor allem die Stillung seines Bedürfnisses nach menschlicher Zuneigung suchen mußte. Da aber sein empirisches Ich, der gescheiterte
Lehrer und entlassene Zuchthäusler, nicht auf die Liebe und nicht einmal auf die Achtung der Menschen hoffen durfte, gab es nur einen Weg, dieses Ziel zu erreichen: er, May, mußte sich mit dem idealen Ich seiner Fiktionen, dem er selbst seine ganze von der Realität zurückgestoßene Liebe zugewandt hatte und das von Hunderttausenden geliebt wurde, identifizieren. Diese Liebeszuwendung ist ihm, wie wir wissen, zunächst auch zuteil geworden. Noch mehr als 50 Jahre später sprach der 1884 geborene Theodor Heuß davon, daß »der vielgeliebte Karl May« damals sein Mentor war (111); alle Berichte, die im ersten Teil unserer Arbeit zusammengestellt sind, bestätigen, welches Maß an Sympathie ihm entgegenschlug. Daß das Gelingen des seelischen Kontaktes, die Verwirklichung seines sehnsüchtigen Traumes, ihn zu immer größeren Realitätsüberschreitungen treiben mußten, ist psychologisch ganz verständlich. Mit Recht hat Hans Wollschläger in der tiefen seelischen Not, deren Linderung die Old-Shatterhand-Legende möglich machte, einen Grund gesehen, die Kritik am Auftreten Mays zu jener Zeit »durch einen humanen Gesichtspunkt zu dämpfen: es waren die einzigen Jahre seines tragischen Lebens, in denen er "glücklich" lebte, in denen ein weniges von der Freude, die durch ihn für andere in die Welt gekommen war, zu ihm zurückkehrte«. (112)
Werfen wir noch einmal einen Blick auf die Zeugnisse seines Lebens, so wird erkennbar, wie das Werben um persönliche Zuneigung mehr und mehr in den Stil seiner öffentlichen Verlautbarungen und selbst in seine Bücher eindrang. So heißt es schon im »Surehand III« (113): Überdies hat jeder Leser das Recht, seinem Autor in das Herz zu blicken, und dieser ist verpflichtet, es ihm stets offen zu halten. So gebe ich dir das meine. Ist es dir recht, so soll mich's freuen; magst du es nicht, so wird es dir dennoch stets geöffnet bleiben. So beantwortete er noch den nichtigsten Brief und empfing jeglichen Besucher; seinen Antwortschreiben fügte er - gedruckt - eine ergebenste Bitte bei: Und bei den innigen Geistes- und auch seelischen Beziehungen, in welche sich meine freundlichen Leserinnen und Leser zu mir gestellt haben, würde es mir sehr lieb sein, wenn ich recht oft durch Beilegung der Photographie für mein Leser-Alburn erfreut würde. (114) Als Alois Schießer, jener schon oben erwähnte Jura-Student, der die berühmten 101 Aufnahmen geknipst hatte, einzelne Bilder wegen ihres zu intimen Charak
ters zurückhalten wollte, antwortete May (115): Warum senden Sie mir die »intimen« Photographien nicht, die Sie H. Nunwarz vorenthalten haben? Es sollen auch Intimitäten veröffentlicht werden. Ernst Weber (116) hat berichtet, wie May im Hotel Trefler in München im Sommer 1897 »von den intimsten Dingen« (z. B. seiner Brautwerbung) vor dem Publikum seiner Leser sprach, und dasselbe tat er im März 1898 bei den Mitgliedern des Münchener Karl-May-Clubs. Wenn May sich bei den Münchener Massenaudienzen ausdrücklich als »Vater« seiner Leserfamilie präsentierte, vor der er keine Geheimnisse habe 116, so ist das ein treffendes Bild für sein durch zahlreiche Einzelzüge belegtes Bemühen, unmittelbare Kontakte zu seiner Leserschaft herzustellen. Natürlich war das alles - aus kritischer Distanz betrachtet - seltsam und etwas peinlich; solche Vertraulichkeiten gehören nicht vor ein öffentliches Publikum. Aber gerade der Umstand, daß May dies nicht erkannte, daß er sich im Stil seines Auftretens in anrührend-lächerlicher Weise vergriff, bezeugt die Dringlichkeit seines Liebesverlangens und den inneren Zwang, unter dem er die gesamte Legendenbildung vollführte. Wenn Pöllmann später konstatierte (117): »Ich kenne keinen zweiten Fall, wo Schriftsteller und Gemeinde einen so geschlossenen Kosmos bilden, wie dies bei May und seinen Lesern zutrifft«, so bezeichnet dies genau die von May ausgehende Wirkung, die im mächtigsten Bedürfnis seiner Seele ihren Ursprung hatte. Wie nicht nur sein Werk, sondern auch sein Leben bis in die grotesk-hilflosen Gesten der Renommierzeit hinein »eine einzige Recherche nach der verlorenen Liebe« (118) war, das ist ein elementares Phänomen, dem mit moralischem Tadel nicht mehr beizukommen ist.
XV.
Doch auch diese Deutung erklärt noch nicht alles. Wenn May mit Nachdruck auf seinem (nicht existenten) Doktortitel beharrte und dieserhalb sogar die Änderung des Radebeuler Adreßbuches verlangte (118a), wenn er Sunda-Idome, sechs chinesische Dialekte und Suaheli sprechen und schreiben zu können behauptete, den Henrystutzen selbst konstruiert haben wollte und sich auch sonst Fähigkeiten zuschrieb,
mit denen er das »Ich« seiner Reiseerzählungen noch weit übertrumpfte, so tritt neben dem Wunsch, sich Zuneigung zu erwerben, das Bedürfnis nach Geltung beherrschend in den Vordergrund. Dieses maßlose Geltungsbedürfnis stammt aus derselben Wurzel wie das Verlangen nach der Liebe der Menschen. Ein krankes und deshalb besonders zärtlichkeitsbedürftiges Kleinkind, dem unter dem Druck von Armut und Elend die intensive Zuwendung, deren es bedarf, nicht zuteil werden kann, entwickelt Angst und Unsicherheit, die sich oft lebenslang auf die Struktur der Persönlichkeit auswirken. (119) Ein ausgewogenes Maß an Selbstsicherheit, der Aufbau eines »sozialen Gewissens« und die Einwurzelung in der Realität können sich nur aus jenem »Urvertrauen« entwickeln, das dem Kinde in den ersten Lebensjahren vermittelt werden muß. Fehlt es daran, so schlägt sehr häufig die aus dem Liebesentzug folgende »Frustration« in Aggression um; auch entsteht das Gefühl der Vereinsamung und Minderwertigkeit, das der davon Betroffene in der Regel durch übersteigertes Geltungsstreben auszugleichen versucht. Bei May kommen noch andere Faktoren hinzu. Die »konstitutionelle Minderwertigkeit«, in der Alfred Adler neben der auch von ihm in ihrer Bedeutung durchaus erkannten Liebesversagung (120) eine der Hauptquellen übersteigerten Geltungsstrebens sah (121), ist bei May in der Kränklichkeit der frühen Kinderjahre und seiner Blindheit exemplarisch ausgeprägt. Diese Umstände im Verein mit dem quälenden Elend seiner Umwelt und den weiteren Demütigungen seiner Lebenslaufbahn mußten Mays Verlangen nach Anerkennung und Geltung ins Abnorme hochtreiben: aus den kranken Augen des Kindes wurde Old Shatterhands unvergleichliche Sehkraft (122), aus Mays besonders zarter Frauenhand (123) die Schmetterfaust, mit der er »Fürwitzigen« beinahe die Hand zu »zerquetschen« pflegte (124); aus dem Gejagten der erzgebirgischen Wälder wurde der berühmteste Jäger des Westens, aus dem Straffälligen der heldische Streiter für das Gute, aus dem im Beruf gescheiterten Lehrer der Lehrer der Nation und schließlich der ganzen Menschheit. Es gelang May, diesen gigantischen Kompensationstraum literarisch zu objektivieren. Hunderttausende träumten ihn mit und gewährten Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand jene Bewunderung, nach der es ihren Schöpfer so sehr dürstete. Es ist psychologisch kaum erstaunlich, daß May neben der Zuneigung auch die bewundernde Anerken
nung, die seinen Ich-Gestalten zuteil wurde, auf die eigene Person zu übertragen versuchte.
XVI.
Wollten wir an dieser Stelle eine Zwischenbilanz ziehen, so könnte man sagen: Mays Verhalten erklärt sich aus einem durch schwere Kindheits- und Jugendschicksale motivierten, überstarken Verlangen nach Liebe und Geltung; es wurde gefördert durch die Sehnsucht breiter Leserschichten, die wunscherfüllende Fiktion möchte wahr sein, und durch den eigenen Wunsch des Dichters, die Schatten der Vergangenheit zu tilgen und mit seinen Büchern Erfolg zu haben. Diese Deutung ist wohl richtig, aber sie läßt eines außer acht: die hochgradige Absurdität der von May scheinbar so kunstvoll aufgebauten Legende. Narzißtische Charakterformen sind außerordentlich häufig, und mancher erfolgreiche Politiker, Wissenschaftler und Wirtschaftsführer versteht es, seelische Entwicklungsschäden durch die Darstellung einer Rolle zu kompensieren, die ihm Macht und Bewunderung sichert. Mays Ich-Darstellung hingegen - und das unterscheidet ihn vom landläufigen Narzißten - war offenkundig abwegig. Wenn Mamroth Mays Wahrheitsanspruch »als dreiste Zumutung an die Leichtgläubigkeit von Kindern oder Idioten« (125) beiseite schob, so war das im Ton rüde, aber in der Sache unbestreitbar. May selbst hat es im Alter nicht anders gesehen. Mein Held mußte die höchste Intelligenz, die tiefste Herzensbildung und die größte Geschicklichkeit in allen Leibesübungen besitzen. Daß sich das in der Wirklichkeit nicht in einem einzelnen Menschen vereinigen konnte, das verstand sich wohl ganz von selbst. Und wenn ich, wie ich mir vornahm, eine Reihe von dreißig bis vierzig Bänden schrieb, so war doch gewiß anzunehmen, daß kein vernünftiger Mann auf die Idee kommen werde, daß ein einziger Mensch das Alles erlebt haben könne. Nein! Der Vorwurf, daß ich ein Lügner und Schwindler sei, war, wenigstens für denkende Leute, vollständig ausgeschlossen! (126) Aber nicht allein die »Erlebnisse« waren real unmöglich. Auch Mays Behauptung, zahllose Sprachen zu beherrschen und aus vielen von ihnen übersetzt zu haben, die Reklamation des Doktortitels und Äußerungen wie die,
daß er den Henrystutzen selbst konstruiert habe und der Armee zur Verfügung stellen wolle, daß er 35 000 Apachen befehligen könne usw., waren handgreiflich unsinnig; jede Nachforschung, die bei einem Manne von seiner öffentlichen Bedeutung nicht ausbleiben konnte, mußte ergeben, daß nichts davon auch nur entfernt stimmte. Er scheute auch offenkundige Widersprüche nicht, indem er etwa über das Datum von Winnetous Tod je nach Lage der Dinge in aller Öffentlichkeit verschiedene Angaben machte. Diese für den nüchternen Beurteiler evidente Haltlosigkeit seiner Phantasmagorien, die zeitgenössische Beurteiler ihm so hohnvoll vorhielten, schützt andererseits May vor dem Vorwurf kalkulierter Irreführung. Selbst Ansgar Pöllmann, einer seiner schärfsten Gegner, konnte nicht umhin, festzustellen (127): »Er ist ein solcher Fabulist, daß er Wirklichkeit und Dichtung nicht mehr zu unterscheiden vermag ... Es liegt förmlich etwas Pathologisches in seinem phantastischen Drauflos-Behaupten.« Wir stoßen hier also auf jene pseudologische Komponente seines Wesens, die ich in anderem Zusammenhange ausführlich beschrieben habe. (128)
Man darf sich diese zwischen Lüge und Wahnvorstellung angesiedelte Gemütsverfassung nicht so denken, daß May wirklich an die Realität seiner Fabulationen geglaubt und sich etwa allen Ernstes für Old Shatterhand gehalten hätte; er wäre dann ja geistesgestört gewesen, was er zweifellos zu keinem Zeitpunkt war. Vielmehr wird man sich das Phänomen so erklären müssen, daß die aus unterbewußten Strebungen entstehenden Wünsche, die auch der »Normalmensch« bisweilen zu lustbetonten und glücksgewährenden Gedankenspielen auszuspinnen liebt, im Einzelfall psychisch beherrschend werden, machtvoll nach außen drängen und die kritischen Kontrollen der Ich-Instanz überrennen. »Pseudologie ist ... der dem anderen als Realität mitgeteilte Tagtraum.« (129) Der Verstand sieht in einem solchen Fall ohnmächtig zu, wie die wunscherfüllende Phantasie die Zügel der Persönlichkeit ergreift und unter Mißachtung der Realität der Umwelt ihr Gesetz aufzuzwingen versucht. Nur dieser abnorme Zustand macht es begreiflich, daß ein sonst so begabter und scharfsinniger Mensch wie May jede Kritikfähigkeit verlieren und sich den Traumgebilden seiner Seele so hemmungslos hingeben konnte. Nur so wird ferner verständlich, daß May, wenn er unbeobachtet war, seine Rolle auch vor sich selbst durch
hielt. So schrieb er in das Exemplar des »Gatschet« (130), das sich in seiner Bibliothek befindet, bei dem Apachenwort »hatátitlá« an den Rand: mein Rappe (131); von Klara May wissen wir, daß er in seinem Arbeitszimmer mit seinen Gestalten sprach, lachte und weinte. (132) Der Umstand, daß sein Gebaren unter dem Zwang unbewußter Antriebe der Kontrolle seines Ich bisweilen gänzlich entglitt, wird auch durch Verhaltensweisen nahegelegt, die durch seine »Rolle« keineswegs gefordert waren. Wenn May sich auch in unbekannter Gesellschaft immer wieder gedrungen fühlte, seine Narben unter teilweiser Entblößung seines Körpers betasten zu lassen oder wenn er das von seinem Schreibtisch herabhängende Tuch dahin schriftlich erläuterte, daß jedes Viereck mit dem Blute eines von ihm im Nahkampf eigenhändig erlegten Feindes bemalt sei (133), so rufen derart archaisch-regressive Züge, die der Seelenverfassung eines primitiven Eingeborenen entsprechen würden, dringend nach der Deutung eines Tiefenpsychologen; die Erklärung durch rationalisierbare Motive hilft hier nicht mehr weiter.
XVII.
Man wird wohl, wenn man zum vollen Verständnis der Old-Shatterhand-Legende kommen will, Mays in der Substanz genuines Dichtertum mit herbeiziehen müssen. Schon das Phänomen, daß ein Mensch Geltung und Liebe auf dem Wege über die Identifizierung mit seinen eigenen Romangestalten erreichen will, ist nur beim Künstler möglich. Daß während des Schaffensvorganges ein Hinübergleiten in die Gestalten der eigenen Phantasie stattfindet, ist eine sehr geläufige Erscheinung. Selbst ein so »objektiver« Autor wie Thomas Mann schreibt (134): »Es ist bekannt, daß jeder echte Dichter sich bis zu einem gewissen Grade mit seinen Geschöpfen identifiziert. Alle Gestalten einer Dichtung, mögen sie noch so feindlich gegeneinander gestellt sein, sind Emanationen des dichtenden Ich ...« Daß der Drang, die Gestalten der Innenwelt aus sich herauszustellen, zur Mißachtung der Realität und ihrer Bedingungen führen kann, ist ein Zug, den May ebenfalls mit vielen Dichtern teilt. »Die Magie des Traumes versagt am Tage oft, weil auch noch der beste Träumer die Außenwelt im Wachen wichtiger
nimmt, als er sollte. Die Verrückten können das besser; sie erklären sich für Kaiser und die Zelle für ihr Schloß, und alles stimmt wunderbar. Die Außenwelt umzaubern zu können, ohne doch verrückt zu werden, das ist unser Ziel«, lesen wir in einem Brief Hermann Hesses. (135) Man wird zugeben müssen, daß May bei der Erreichung dieses Zieles recht weit gekommen ist. Und wenn Hesse an anderer Stelle (136) meint: »Und sie ist, diese schäbige, stets enttäuschende und öde Wirklichkeit, auf keine andere Weise zu ändern, als indem wir sie leugnen, indem wir zeigen, daß wir stärker sind als sie ... Ich gestehe, daß auch mein eigenes Leben mir sehr häufig genau wie ein Märchen vorkommt, oft sehe und fühle ich die Außenwelt mit meinem Innern in einem Zusammenhang und Einklang, den ich magisch nennen muß«, so könnte dies auch May gesagt haben. Er hat es überraschenderweise sogar gesagt; denn seine bekannte Definition der Kunst (137) verlangt von dieser ausdrücklich, das Äußere im Einklang mit dem Innern darzustellen.
Man muß also davon ausgehen, daß beim Dichter nicht nur der Drang, sein Inneres (die »Strömungen seines Seelenlebens«) in Gestalten zu formen, viel stärker als bei anderen Menschen ausgeprägt, sondern daß auch seine Ich-Instanz für die Bildungen des Unbewußten viel durchlässiger ist als es dem Regelfall entspricht. Die meisten Dichter freilich begnügen sich mit der Objektivierung im Werk; mir ist aus der neueren Literaturgeschichte kein weiteres Beispiel dafür bekannt, daß ein Autor vor der Umwelt als seine eigene Romangestalt aufzutreten versucht hätte. Um dies bei May - wenigstens temporär - möglich zu machen, bedurfte es so extremer Persönlichkeitsbelastungen und so enormer Kompensationsbedürfnisse, wie sie uns aus seiner Biographie bekannt sind und wie sie wohl kein zweites Mal auftreten werden. Mays hellsichtiges Diktum: Ja, vielleicht treffen sich die äußeren und inneren Umstände nie so wieder! (138) ist auch im Hinblick auf dieses Phänomen buchstäblich wahr. Die narzißtische Neurose Mays und die Old-Shatterhand-Legende als eine ihrer Ausprägungen wären als solche nicht bemerkenswerter als neurotische Symptome bei irgendeinem anderen Menschen. Daß May aber durch seine individuelle Problematik Seelenzüge des Künstlertyps schlechthin in modellhafter Übersteigerung zur Anschauung bringt, macht im Zusammenhang mit der Wirkung seines Werkes den Fall zu einem Beispiel, an dem sich die
Psychologie schriftstellerischer Schaffensvorgänge so deutlich wie sonst fast nirgends studieren läßt. Der bekannte Psychoanalytiker Otto Rank ist im Verlaufe seiner Forschungen über die Ursprünge der Mythenbildung bei den Völkern des Altertums immer wieder auf die Erscheinung gestoßen, daß die vorzeitlichen Heldenmythen in ihrer Struktur den Wahnsystemen von Paranoikern ebenso wie pseudologischen Fabeln weitgehend gleichen. (139) Da nun, wie ich schon früher ausführlich dargestellt habe (140), die Pseudologie in engen Beziehungen zur dichterischen Phantasie, zur schauspielerischen Begabung, zu kindlichen bzw. primitiven Seelenformen und auch zur Hochstapelei steht, ergeben sich von hier aus gerade im Falle Mays Zusammenhänge, die der weiteren Erforschung dringend bedürfen. Rank spricht am Schlusse seines Buches von »der schmalen Grenzscheide, wo sich das unschuldige kindliche Phantasieleben, die ins Unbewußte verdrängten neurotischen Phantasmen, die dichterische Mythenbildung und gewisse Formen der Geisteskrankheit und des Verbrechens inhaltlich sowie in ihren Ursachen und Triebkräften so innig und doch wieder so differenziert berühren«. (141) In der Psyche Mays waren alle diese Möglichkeiten vereint, wenn auch, die manifeste Äußerung solcher Züge sich auf verschiedene Entwicklungsphasen verteilte. (142) Seine Gestalt ist deshalb eine so singuläre Erscheinung, daß noch die sonderbarsten Spuren seines irdischen Wandels wissenschaftlich wertvolle Aufschlüsse vermitteln können. Es ist zuletzt dieser Umstand, der die detaillierteste Erforschung jedes Zeitabschnittes seiner Biographie wichtig macht.
XVIII.
Eine isolierte Würdigung der im ersten Teil dieser Arbeit geschilderten Verhaltensweisen nämlich kann zu keinem günstigen Urteil führen. Mays Selbstdarstellung als Old Shatterhand war weniger imponierend als kompromittierend. Der Schriftsteller blieb unter dem Niveau seiner Romangestalt, die er durch seine Rodomontaden zu einer Hadschi-Halef-Omar-ähnlichen Figur abwandelte. Nur Mays suggestive Erzählbegabung und der Kredit, den sich sein faszinierendes literarisches »Ich« bei den Verehrern erworben hatte, machen es überhaupt erklärlich,
daß er vorübergehend Glauben fand. Aber auch mit der relativen Kläglichkeit seiner grotesken Bewegungen in der Realität erfüllt May noch in exemplarischer Weise den Typ des schöpferischen Künstlers. May lebte und entfaltete sich, wie es bei Dichtern oft der Fall ist, in fast verzehrender Ausschließlichkeit im Werk. Hier investierte er mit manischer Intensität das Kapital seiner Seele, und für die bürgerliche Realität blieb nur der dürftige Abglanz eines Lebens, das seinen Schwerpunkt in anderen Bereichen hatte. C. G. Jung hat diese Erscheinung recht treffend geschildert (143): »Es gibt selten einen schöpferischen Menschen, der den göttlichen Funken des großen Könnens nicht teuer bezahlen muß ... Das Stärkste in ihm, eben sein Schöpferisches, wird das meiste an Energie an sich reißen, wenn er wirklich ein Künstler ist, und für den Rest bleibt dann zu wenig übrig, als daß noch irgendein besonderer Wert sich daraus entwickeln könnte. Im Gegenteil wird das Menschliche zugunsten des Schöpferischen oft dermaßen entblutet, daß es nur noch auf einem primitiven oder sonstwie erniedrigten Niveau leben kann. Dies äußert sich oft als Kindlichkeit und Unbedenklichkeit, oder als rücksichtsloser, naiver Egoismus (sogenannter Autoerotismus), als Eitelkeit und andere Fehler. Diese Minderwertigkeiten sind insofern sinnvoll, als dem Ich einzig auf diese Weise genügend Lebenskraft zugeführt werden kann. Es bedarf dieser niedrigen Lebensform, weil es sonst an völliger Beraubung zugrunde ging. Der persönliche Autoerotismus gewisser Künstler kann demjenigen illegitimer oder sonstwie vernachlässigter Kinder, die sich schon frühzeitig durch schlechte Eigenschaften gegen die zerstörende Wirkung einer liebeleeren Umgebung schützen mußten, verglichen werden.«
Es war ja auch bei May so, daß sein Auftreten in der Maske des Old Shatterhand ihn für die »Beraubungen« seines Lebens entschädigen und ihm jenes Maß an Geltung und Liebe zuführen sollte, dessen er für die Ökonomie seiner Seele bedurfte. Insofern ist sein Verhalten durch die Lebensbedürfnisse seines psychischen Organismus vollauf gerechtfertigt, und die philiströse Kritik moralisierender Beurteiler enthüllt nichts anderes als deren Einsichtslosigkeit. May wurde durch die Befriedigung seines Ehrgeizes und durch die Liebesbeweise der Menge sogar so viel »Lebenskraft« (um mit Jung zu sprechen) zugeführt, daß auch für sein bürgerliches Ego noch etwas »übrig blieb«. Schon Wollschläger
hat auf die »hinreißend sympathischen Züge seines bürgerlichen Privatlebens« zu jener Zeit hingewiesen (144): Die Stillung seiner Sehnsüchte durch die Huldigungen der Öffentlichkeit ermöglichte es ihm, im privaten Kreise seiner Freunde und Bekannten mit der fröhlichen Gelöstheit, der Großzügigkeit und dem Witz dessen aufzutreten, der nach langen Entbehrungen sein Glück gefunden hat. Eine eingehende Schilderung des Villenbesitzers, Gartenfreundes und privaten Gastgebers Karl May würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten (145); doch ist wenigstens der Hinweis notwendig, daß es eine gröbliche Verzerrung bedeuten würde, wenn man im Bilde des Menschen Karl May neben der Shatterhand-Legende nicht auch die Züge privater Liebenswürdigkeit mit gleichem Nachdruck eintragen wollte. (145a)
XIX.
Dagegen ist es unerläßlich, wenigstens in großen Zügen noch auf die literarische Produktion Mays zu jener Zeit einzugehen. Denn zwischen der öffentlichen Selbstdarstellung des Schriftstellers Karl May und seinem Werk bestehen enge Beziehungen, deren Analyse zum Verständnis der Shatterhand-Legende Wesentliches beitragen kann.
Es ist üblich geworden, bei Beurteilung der Arbeiten Mays vier Werkgruppen zu unterscheiden: die skizzenhaften Novellen der Frühzeit, die Kolportageromane, die Reise- und Jugenderzählungen und die symbolischen Spätwerke. Die Reiseerzählungen und Jugendschriften, die den größten Teil seines Oeuvre ausmachen, werden als einheitliche Gattung betrachtet. Das ist insofern richtig, als es sich allemal um abenteuerliche Reiseberichte aus fernen Ländern handelt. Doch ergeben sich für eine genauere Betrachtung Unterschiede. Die »klassische« Reiseerzählung Mays, deren Höhepunkte etwa in Werken wie »Der Schut« (1887/88), »Der Schatz im Silbersee« (1890) und »Winnetou Bd. I« (1893) zu sehen sind, endet um 1894/95. Schon im Jahre 1896, also gerade zu der Zeit, als die Jugenderzählungen endgültig abgeschlossen wurden und May sich quasi »offiziell« als Old Shatterhand etablierte, erscheinen mit »Old Surehand Bd. III« und dem Schlußteil des »Mahdi« Werke, die sich von den früheren Reisedarstellungen in
charakteristischer Weise unterscheiden und es gestatten, ihnen zusammen mit den übrigen von nun an bis zur Orientreise verfaßten Werken Mays als »späten Reiseerzählungen« eine Sonderstellung zuzuweisen. Daß die spezifische Eigenart dieser Werke mit der seelischen Krise Mays, dem von Wollschläger so erleuchtend beschriebenen »Einbrechen der vom Mutterbild bestimmten Züge« (146) in sein ehedem vom Leitbild des Männlichen beherrschtes Ich-Ideal und mit dessen gleichzeitig demonstrativer Behauptung vor der Öffentlichkeit in nahem Zusammenhange steht, kann kaum zweifelhaft sein. Doch bedarf das näherer Erläuterung.
XX.
Mays klassische Reiseerzählungen finden ihre Eigenart in einer durch die bewegte Handlung und das Lokalkolorit außerordentlich farbigen Oberflächenmalerei, der mehrere Schichten seelischer Symbolgehalte unterlegt sind. Während die Kenntnis der Fabeln und Erzählstrukturen bei den Lesern dieser Jahrbücher vorausgesetzt werden darf (147), fordert der hier in Anspruch genommene »psychologische Gehalt« dieser Bücher einige erklärende Worte.
Wenn man den Unterbau der Reiseerzählungen Mays analysiert, kann man feststellen, daß hier drei verschiedene psychische Befunde in Bilder, Handlungen und Gestalten umgesetzt werden: individuelle, aus der Biographie Mays erklärbare traumatische Komplexe (1), mythologische Motivgehalte (2) und sozialpsychologische, aus den gesellschaftlichen Bedingungen seiner Zeit ableitbare Strukturformen (3). Natürlich gehen diese verschiedenen Aspekte ineinander über, und ihre Trennung ist nur ein Hilfsmittel der Darstellung. Mit diesem Vorbehalt aber dient sie der Übersicht.
1. Mays Reiseerzählungen weisen eine Reihe ständig wiederkehrender Motive auf, die in solcher Häufung sonst in der Literatur nirgends auftreten und nur als Verarbeitung traumatischer Urerlebnisse verstehbar sind. Hierher gehört etwa das Motiv von Gefangenschaft und Befreiung, das bei May in zwanghafter Monotonie ständig wiederkehrt und die Gefangenschaften seines eigenen Lebens, das Zerbrechen der
»eisernen Bretze« (148), aber auch die übrigen äußeren und inneren Verstrickungen und Befreiungen seiner Existenz in ein ständig gleichbleibendes literarisches Muster bannt. Die Wirksamkeit des Motivs liegt gerade darin begründet, daß May es zu einer von den individuellen Entstehungsursachen gelösten Allgemeingültigkeit heben konnte: Der Leser befreit sich gleichsam mit. Noch Mays Jenseitsmodell entspringt derselben Ursituation, indem May nun nach mystischem Vorbilde das gesamte Erdendasein als Fessel und den Tod als Übergang in das Reich der Freiheit empfindet: Ich juble auf. Des Kerkers Schloß erklirrt. / Ich werde endlich, endlich nun entlassen! (149) May selbst hat den psychischen Ursprung dieses Motivs im Alter durchschaut. In einer nachgelassenen Notiz (150) heißt es: Das ewige Gefangenwerden und sich wieder Befreien in meinen Werken ist für den Oberflächlichen eine Qual. Ist es im Innenleben nicht ebenso?
In ganz entsprechender Weise kehren in Mays Felsenburgen, in den unterirdischen Höhlensystemen und Ruinengewölben mit ihren labyrinthischen Gängen und geheimen Verliesen die Strafanstalten wieder, in denen May wertvolle Jahre seines Lebens zubringen mußte (151); sie ähneln den »Carceri« des Piranesi und üben eine vergleichbare Wirkung aus. Wollschläger hat auch das Motiv des Anschleichens und Lauschens, das bei keinem zweiten Autor in solcher Dominanz vorkommt, aus einem Kindheitstrauma erklären können. (152) Die - wohl ganz überwiegend unbewußte - Arbeitsweise Mays entspricht dabei in diesen und vielen anderen Fällen der Logik des Traumes, wie sie uns aus den grundlegenden Arbeiten Freuds bekannt ist (153); es werden also die Mittel der Verschiebung und Verdichtung, des Umsetzens von Gedanken in Bilder und Bewegungsabläufe und vor allem das Prinzip der Umkehrung verwendet. Dieses letzte Verfahren tritt in den Reiseerzählungen auf Schritt und Tritt auf: der Verfolgte wird zum Verfolger, der von der Polizei und den Gerichten Gedemütigte zu deren Meister usw. (154)
W.-D. Bach hat zeigen können, daß sogar die Landschaften Mays - unter anderem - psychische Spiegelungen sind: »Zufluchtlandschaften als Imagines leiblicher Geborgenheit durch die Mutter.« (155) Was Bach anhand zahlreicher Detailbelege aus dem Werk Mays nachgewiesen hat, entspricht im übrigen völlig den neueren Forschungen über das
Wesen der Phantasie und die psychologischen Ursprünge der Fernensehnsucht. (156) Der Drang zum Wandern und Reisen - das läßt sich schon aus den Dichtungen der Romantik (Eichendorff!) ablesen - entsteht »aus dem Verlust der Nähe, aus dem Verlust einer ursprünglichen Heimat, insbesondere aus dem im Menschenleben unvermeidbaren Verlust der zu Beginn des Lebens erfahrenen bergenden Nähe der Mutter. Die verlorengegangene Nähe schlägt in die wehmütig lockende Ferne um, und in dieser sucht er jene wiederzufinden«. (157)
So sind schon die Reiseerzählungen Mays Bilder seiner »Seele«, Darstellungen seiner inneren Biographie. May hat das im Alter erkannt, wenn er sagte: Ich schreibe nieder, was mir aus der Seele kommt, und ich schreibe es so nieder, wie ich es in mir klingen höre ... Nicht mein »Stil«, sondern meine Seele soll zu den Lesern reden. (158)
2. Hinter dieser Schicht individueller Symbolformen bieten die Reiseerzählungen ein fast unerschöpfliches Arsenal mythologischer Grundmuster. Schon in der oben erwähnten Arbeit von Rank wird auf die mythologische Grundsubstanz naiv-pseudologischer Phantasieleistungen hingewiesen, und C. G. Jung ist bei seinen Untersuchungen über »Psychologie und Dichtung« auf dieselbe Erscheinung gestoßen (159): »In Bewußtseinseklipsen, zum Beispiel im Traum, in der Geistesstörung usw., treten seelische Produkte oder Inhalte an die Oberfläche, die alle Merkmale des primitiven seelischen Zustandes an sich tragen, und zwar nicht nur der Form nach, sondern auch nach dem Sinngehalt ... Zahlreich sind die dabei auftretenden mythologischen Motive, die sich aber in moderner Bildersprache verbergen, das heißt es ist nicht mehr der Adler des Zeus oder der Vogel Rock, sondern ein Flugzeug; der Kampf der Drachen ist ein Eisenbahnzusammenstoß ...«. Genau so verhält es sich bei Dichtern, die - wie May - unmittelbar aus dem Unbewußten schöpfen. Jung fährt fort: »Das Wichtige und für die Literaturwissenschaft besonders Bedeutsame aber liegt darin, daß die Manifestationen des kollektiven Unbewußten kompensatorischen Charakter haben, das heißt, daß durch sie eine einseitige, unangepaßte oder gar gefährliche Bewußtseinslage ins Gleichgewicht gebracht werden soll. Diese Funktion sieht man aber auch in der Symptomatologie der Neurosen und in den Wahnideen der Geisteskranken ...« Wie diese psychologischen Zusammenhänge im einzelnen beschaffen sind, ist bisher
wenig geklärt: Rank (160) spricht von Wegen, die »sich vorläufig noch in dichtem Urwald verlieren«. Hier weiter vorzudringen, muß dem Fachmann überlassen bleiben.
Für uns genügt die Feststellung, daß in Mays Werken tatsächlich uraltes mythologisches Material reproduziert wird. Heinz Stolte hat schon in seiner Dissertation - von der Volkskunde herkommend - die enge Verwandtschaft der Reiseerzählungen mit der frühen Märchen-, Sagen- und Legendendichtung nachgewiesen (161); so korrespondieren die Eingangsmotive von »Winnetou Bd. I« weitgehend mit denen der Siegfriedsage (162), während die Ölbrandgeschichte des zweiten Bandes die Vineta-Sage erneuert (163). Schließlich hat Wolf-Dieter Bach jüngst in seinen »Fluchtlandschaften« (164) umfangreiches Material dafür beigebracht, daß Mays »Phantasiewelt dieselben Inhalte besaß wie die große mythische und religiöse Tradition«. (165) May selbst hat sein Werk später in diesem Sinne gedeutet (166): Die allerhöchste, inhaltsreichste und mir liebste Form der Poesie ist das Märchen. Ich liebe das Märchen so, daß ich ihm mein ganzes Leben und meine ganze Arbeit gewidmet habe. Ich bin Hakawati. Hier liegt für die Zukunft noch ein weites Forschungsfeld. (166a)
3. Eine dritte psychologische Schicht zeigt die Reiseerzählungen Mays als Widerspiegelungen der gesellschaftlichen Verhältnisse ihrer - und auch noch unserer - Zeit. Man findet oft die Meinung vertreten, May habe den wilhelminischen Obrigkeitsstaat des ausgehenden 19. Jahrhunderts abgebildet und ins Exotische transponiert. »Wie war er der herrschenden Gesellschaftsordnung hold und gewärtig!« ruft Forst-Battaglia aus. (167) Auch die Herausgeber des Bandes »Trivialliteratur« meinen in einem der Arbeit von Volker Klotz angehängten »Exkurs« (168): »Bestätigungsliteratur also, die gerade in diesem Falle so penetrant auftritt, weil sie zunächst einmal neue Gebilde und Fremdartiges zu entdecken vorgibt, in Wirklichkeit aber nichts anderes tut, als bestehende persönliche und nationale Vorurteile und Sehnsüchte vor exotischer Kulisse abzuhandeln.« In entsprechender Weise sagt Gertrud Willenborg (169) über die »Welt« der Reiseerzählungen: »Diese nach eigenem Geschmack vereinfachte und umgebaute Welt ist jedoch im Fundament nicht verschieden von jener, die sie (die Helden) zurückgelassen haben.«
Diese Interpretationen scheinen mir nicht den Kern der Sache zu treffen. Gewiß wollte May, als er sich nach seiner »Sturm- und Drang-Zeit« mit den herrschenden Gewalten arrangiert hatte, ein loyaler, frommer und nationalbewußter Untertan sein; ohne diesen Wunsch hätte ein mehrfach vorbestrafter Mann in der Gesellschaft auch schwerlich wieder Fuß fassen können. Daher liegen solche Anschauungen manchmal wie ein dünner Firnis über seinen Reiseerzählungen. Aber das ändert nichts an der völlig anders gearteten Substanz dieser Werke. Sie sind »Fluchtlandschaften als Gegenwelten zur gesellschaftlichen Realität, in der zu leben er verdammt war«. (170) »Kara Ben Nemsis und Old Shatterhands Welt ist voll und ganz eine Anti-Welt zu der des späten 19. Jahrhunderts in Deutschland«, sagte treffend Volker Klotz. (171) »Kontrapunktisch - Punkt für Punkt kontert sie der kapitalistischen Industriegesellschaft eines imperialistischen Staates. Den Klassenkämpfern kontern freie Einzelne, die, auf sich allein gestellt, das einfach Gute gegenüber greifbaren Bösewichtern durchsetzen. Dem Paragraphenapparat des bürgerlichen Rechts kontert der Held mit dem schlichten Gesetz der Prärie ... Nicht stickige Fabriken, Kontore, Mietskasernen ... sind sein Revier, sondern unermeßliche Savannen, Berge, Wüsten ... Unter diesen Indianern, Beduinen, Kurden brauchts kein Geld ... Auch die Helden selber kennen weder das Problem verkaufter Arbeitskraft noch Arbeit überhaupt ...« So ist es in der Tat. Die Struktur der Karl-May-Welt stellt sämtliche Gesetze der mit der Gründerzeit sich unaufhaltsam entwickelnden industriellen Massengesellschaft auf den Kopf: Der Einzelne versinkt nicht namenlos in der Anonymität, sondern er gestaltet mit absoluter Freiheit sein Leben in einer Welt, die noch übersehbar ist und für große Taten Raum läßt. Hier gibt es keine Lohnabhängigkeit, keine entfremdete Arbeit, keine Bürokratie und keine Polizei. Diese Welt kennt nicht Vorgesetzte und Untergebene, nicht Befehl und Gehorsam. (172) Das Streben nach materiellen Besitztümern (deadly dust), das Grundgesetz der kapitalistischen Leistungsgesellschaft, wird ausdrücklich verpönt. Auch die irdische Gerechtigkeit, die im realen Leben schwer zu finden ist, wird im Kosmos der Karl-May-Welt unfehlbar verwirklicht.
So liefern die Reiserzählungen im negativen Spiegelbild eine Diagnose ihrer Zeit, indem die Leiden an der Gesellschaft durch Um
kehrung aufgehoben werden. Sicher liegt auch hier einer der Gründe für Mays fortdauernde »Massenwirksamkeit«. Denn die repressiven sozialen Zwänge sind ja seit dem Ende des vergangenen Jahrhunderts nicht geringer, sondern größer geworden.(172a)
XXI.
Schon Mays klassische Reiseerzählungen stellen sich so als mehrfach geschichtete »Seelenprotokolle« dar. Man darf davon ausgehen, daß May sich dessen zur Zeit der Abfassung dieser Werke nicht bewußt war. Er schrieb ganz unreflektiert nieder, was er in sich »klingen« hörte, oder, wie er es in den »Freuden und Leiden« (173) mit naiver Treffsicherheit ausdrückt: Ich lasse das Herz sprechen und schreiben und bin stets der Meinung gewesen, daß das, was aus dem Herzen kommt, viel klüger ist als das, was der spitzfindige Verstand erst auszuklügeln hat. Im Alter, als er sich über sich selbst klarer geworden war, schrieb er über seine Reiseerzählungen (174): Sie sollten etwas sagen, was nicht auf der Oberfläche lag ... Ich wollte ... meine psychologischen Erfahrungen zur Veröffentlichung bringen. Das war ehedem gewiß nicht seine Absicht gewesen; aber objektiv hatte er wirklich getan, was er hier als bewußtes Ziel in Anspruch nahm. Das scheinbare Paradox, daß May, der als »unpsychologischer« Autor par excellence gilt, trotzdem eines der allerbedeutendsten Studienobjekte für den Psychologen hergibt, braucht uns nicht irrezumachen. Schon C. G. Jung hat richtig erkannt, wie es sich damit verhält (175): »Die spannende Tatsachenschilderung, die auf psychologische Absichten scheinbar ganz verzichtet, ist gerade für den Psychologen von größtem Interesse, denn die ganze Erzählung baut sich auf vor einem unausgesprochenen psychischen Hintergrund, der für den kritischen Blick umso reiner und ungemischter hervortritt, je mehr der Autor sich seiner Voraussetzung unbewußt ist. Im psychologischen Roman dagegen macht der Autor selber den Versuch, den seelischen Urstoff seines Kunstwerkes aus dem bloßen Geschehen in die Sphäre der psychologischen Erörterung und Durchleuchtung emporzuheben, wodurch der seelische Hintergrund oft bis zur Undurchsichtigkeit verdunkelt wird. Gerade aus Romanen dieser Art
bezieht der Laie "Psychologie", während den Romanen ersterer Art nur Psychologie tieferen Sinn zu geben vermag.«
Der - im Rahmen der Mayschen Produktion - »klassische« Charakter der bis etwa 1895 geschaffenen Reiseerzählungen liegt darin begründet, daß in ihnen die oberschichtige Handlung, die landschaftliche Kulisse und das psychische Grundmaterial zu einer bruchlosen Einheit zusammengefügt sind. Der Kosmos der »May-Welt« ist irreal, aber in sich stimmig. Zugleich wird hieraus klar, warum der Aufbau der Old-Shatterhand-Legende von vornherein eine absurde Donquichotterie war. Denn es ist schlechterdings unmöglich, die Gegenrealität, als die sich seine Werke darstellen, in die bürgerliche Realität einzubauen. Das führt zu peinlichen Stilbrüchen, die May denn auch von der Maskerade seiner martialischen Fotos bis zu den überzogenen Gesten seines öffentlichen Auftretens immer wieder unterliefen. Hinzu kommt, daß die ganz, ganz eigene Seelenwelt, die May später seinen Büchern (zu Recht) zuschrieb (176) und die deren Anziehungskraft zum guten Teil ausmacht, kaum äußerlich darstellbar ist, so daß die Maske seines öffentlichen Auftretens etwas Attrappenhaftes gewinnt, wie May selbst es später im veräußerlichten Winnetou-Monument seines letzten Romans treffend geschildert hat. (177) Man muß also Mays Reiseerzählungen gegen die merkwürdige Figur, die ihr Schöpfer zu jener Zeit machte, in Schutz nehmen. Der Schluß von der Banalität der schauspielerischen Selbstpräsentation Mays zu jener Zeit auf die Flachheit und Nichtigkeit des Erzählwerkes, den viele zeitgenössische Kritiker gezogen haben, ist trügerisch. (178)
XXII.
Eine noch weiterführende Einsicht in Ursprung und Unmöglichkeit des öffentlichen Auftretens Mays in den Jahren 1895 - 1899 läßt sich gewinnen, wenn man sich vor Augen stellt, daß die Form der Reiseerzählung in dieser Zeit einen Auflösungsprozeß durchmacht, in dem sich der baldige Zusammenbruch des alten Ich-Ideals deutlich genug ankündigt. Hans Wollschläger hat die psychologischen Grundlagen der Wandlung Mays so exakt beschrieben, daß wir uns auf seine Analyse
hier vollen Umfanges beziehen können. (179) Das Bild der Mutter dringt immer nachhaltiger in das am männlichen Old-Shatterhand-Ideal orientierte Charaktergefüge Mays ein und erschüttert in immer stärkerem Maße die Grundlagen, auf denen das bisherige Erzählwerk Mays ruhte. Es ist hier nicht möglich, durch eine Einzelinterpretation der »späten« Reiseerzählungen diesen Vorgang aus dem Werk bis ins Detail hinein nachzuweisen. Aber eine Nachzeichnung der großen Linien macht den Vorgang deutlich genug.
1. May verliert mehr und mehr die Freude an der oberschichtigen Handlung und an der Buntheit fremder Länder, die den Heldentaten seines Ich als Kulisse dienten. Das Repertoire der spannungserzeugenden Handlungsmotive vergrößert sich nicht mehr; May variiert nur noch frühere Muster. Das »Ich« sucht auch keine neuen Landschaften mehr auf. Bis 1893 hatte May seinen Erzählungen durch die Eroberung neuer geographischer Bezirke (Südamerika, der Sudan, China, Südseeinseln usw.) ein aufgefrischtes Lokalkolorit, andere Farben und unverbrauchte Handlungssituationen zugeführt. Seit 1895 hält er sich nur noch in vertrauten Gegenden (dem vorderen Orient und dem wilden Westen) auf, wird sich selbst historisch, reaktiviert seine alten Personen und besucht vorzugsweise die Stätten vergangener Taten (vgl. etwa Bd. XXV, XXVI, XXVII). Der Erzählungsschwerpunkt verlagert sich mehr und mehr nach innen. Im letzten Werk vor der Orientreise (»Am Jenseits«) besteht die Szenerie überhaupt nur noch aus Wüstensand.
2. Zugleich verlagert sich das Interesse des Dichters von seinen Ich-Gestalten auf jene seltsam »gebrochenen« Charaktere, die den eigentlichen Reiz der späten Reiseerzählungen ausmachen (180): Old Surehand und Old Wabble (XIX), der Pole Dozorca (XXVI), der Pelzjäger Hiller (XXIV) und der blinde Münedschi (XXV). Alle diese Figuren ringen mit Konflikten, die in unglücklichen Ereignissen der fernen Vergangenheit angelegt sind. Sie alle haben den »Glauben« verloren, was bei May immer nur ein und dasselbe bedeutet: nämlich die »Liebe« verloren zu haben. Es handelt sich hier stets um Selbstbildnisse Mays, um Verkörperungen seiner inneren Not, aus der die »Liebe« Rettung bringen soll. Schon im Schlußteil des »Mahdi« heißt es über die Liebe (181): »Ich sage dir, es gibt kein Glück und keine Seligkeit ohne sie, im Leben und im Sterben.« Die Güte leite all dein Handeln, die Milde leite all dein Tun,
dichtet Kara Ben Nemsi nun (182), und das Pauluswort: »Wenn ich mit Menschen- und mit Engelszungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts als ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle«, wird jetzt ausdrücklich als Motto aller späten Reiseerzählungen eingesetzt. (183) Wenn in den folgenden Bänden die äußere Handlung, die May weniger und weniger interessiert, sich noch so müde dahinschleppt: Immer wenn May auf die »Liebe« zu sprechen kommt, erhebt sich seine Rede zu hymnischer Preisung. Ja, ein wirkliches Leben lebt nur der, welcher in Gott und seiner Liebe lebt. Dir war die Liebe gestorben, und an ihrer Stelle wucherten in dir der Groll, der Haß, die Rache empor. (184) Das einzige Licht der Seele ist die Liebe; die einzige Luft, welche sie zu atmen vermag, ist die Liebe. In Liebe soll sie sich kleiden, sich mit Liebe schmücken, und wenn sie in Liebe tätig gewesen ist, soll sie auch in Liebe ruhen. Mein Dasein aber hatte nur mir gegolten; ich war liebeleer gewesen und hatte also nicht gelebt. (185) So tönt die Melodie nun endlos fort (186); der naive Leser hört sie mit Befremden, der tiefer eindringende Leser nicht ohne Erschütterung.
3. Auch tritt das Bild der Mutter, um deren Liebe es im Grunde geht, nun immer deutlicher in die Romanwelt Mays ein. In den frühen Reiseerzählungen Mays spielt die Mutter keine wesentliche Rolle. In »Satan und Ischariot« finden wir eine Mutter, die ihren Sohn durch fehlende Liebe ins Unglück treibt. (187) Im selben Roman aber wird das Bild der eigenen Mutter erstmals strahlend aufgerichtet (188): ... ich bin so glücklich, eine Mutter zu haben, welche mir in jeder Minute meines Lebens bewiesen hat, daß echte, wahre Frauenliebe, hier Mutterliebe, ein herrliches Abbild der Liebe Gottes ist. Von jetzt an kehrt die Apotheose des Mütterlichen immer wieder; die Mutter ist seither für May so reich an Liebe, daß ich noch heute von und in diesem Reichtum lebe. (189) Die Mutter bringt nun neben der Liebe die Erlösung. Old Wabble spricht, als er im Sterben liegt (190): »Ich schlief jetzt einen langen, langen, tiefen Schlaf und sah im Traum mein Vaterhaus und meine Mutter drin, die ich beide hier nie gesehen habe. Ich war bös, sehr bös gewesen und hatte sie betrübt, so träumte mir; ich bat sie um Verzeihung. Da zog sie mich an sich und küßte mich. Old Wabble ist nie im Leben geküßt worden, nur jetzt in seiner Todesstunde. War das vielleicht der Geist von meiner Mutter, Mr. Shatterhand?« Und er
betet (191): »Es gibt keine Zahl für die Menge meiner Sünden, doch ist mir bitter leid um sie, und meine Reue wächst höher auf als diese Berge hier. Sei gnädig und barmherzig mit mir, wie meine Mutter es im Traume mit mir war, und nimm mich, wie sie es tat, in Deine Arme auf.« Und als er stirbt (192): Das Lächeln war in seinem Angesicht geblieben; es war so mild, als ob er wieder von seiner Mutter träume. Doch war's kein Traum mehr, der ihm die Erbarmung zeigte; er sah sie jetzt in Wirklichkeit ... Dieselbe Konstellation finden wir in »Weihnacht«, wo der liebeleere, in sich selbst verhärtete Hiller (193) schließlich die Zeilen spricht, deren wahrer Adressat die Mutter ist (194): »Blicke auf dein Kind hernieder, / das sich sehnt nach deinem Licht; / der Verlorne naht sich wieder; / geh mit ihm nicht ins Gericht.« Es folgen dann mehrere Strophen des Weihnachts- und Erlösungsliedes, und May bekennt (195): Es klang so fremd, so sonderbar, wie aus einer anderen, uns unbekannten Sphäre herüber. Ich war tief erschüttert und weinte wie ein Kind; ob auch andere weinten, sah ich nicht, weil die Tränen mir ohne Aufhören die Augen füllten. Der Zusammenbruch des alten Ich-Ideals, der Regressionsschock, der May auf die Stufe des kleinen Kindes zurückwarf und so die zerstörte Mutterbindung wiederherstellte, ist in diesen Szenen mit beklemmender Genauigkeit vorweggenommen. Die letzten kürzeren Erzählungen, die May vor der Orientreise schrieb, setzen das wiederaufgerichtete Mutterbild schon voraus und machen - zum erstenmal im Werk - die tätige Mutterliebe zum Gegenstand der Handlung. Die Indianer-Erzählung »Mutterliebe« (196) berichtet, wie eine Mutter unter Einsatz ihres Lebens die Söhne vor den Schlangen (der Verderbnis) rettet. »Die "Umm ed Dschamahl"« (197), eine Stammesführerin, in deren Seele eine schmerzliche Sehnsucht nach Liebe und Erlösung lebt (198), gewinnt das Leben ihrer Kinder, den Glauben und die Liebe. (199) Auch in der beziehungslos im »Silberlöwen« stehenden Geschichte »Ein Rätsel«, in der Frauen die tragenden Rollen spielen, geht es allein um ein Ziel: Diese Mutter sollte ihr Kind wiederhaben! (200) Schon im Schlußband des »Surehand« ist das eigentliche Thema die Suche der Mutter nach den verlorenen Söhnen und die Suche der Söhne nach der Mutter. Ich begann zu ahnen, daß dieser gewaltige Jäger auch in seinem Innern jage, lesen wir im ersten Surehand-Band (201); es ist das Gesetz aller späten Reiseerzählungen.
4. Hans Wollschläger schreibt (202): »Der narzißtische Charakter Mays ist auch in Waldheim weder erschüttert noch gar zerstört worden; wir erführen aus seiner Erinnerung sonst zumindest Andeutungen eines Auftauchens der riesigen infantilen Angst, zu deren Verdeckung und Aufzehrung die Schutzmechanik dient. Diese Angst mußte May erst ein Vierteljahrhundert später erfahren.« Und später (203): »Die Katastrophe traf ihn jäh und mit einem Schlag. An einem einzigen Tag, einem Novembertag des Jahres 1899 ... brach das gesamte Innengefüge seiner Existenz in sich zusammen.« Das ist gewiß richtig. Wenn aber, wie ich zu zeigen versucht habe, die Auflösung des alten Ich-Ideals, die Ersetzung der Vater-Identifikation durch die wiedergewonnene infantile Mutterbindung schon zur Zeit der späten Reiseerzählungen ziemlich weit vorgeschritten war, ist zu erwarten, daß auch die Angst, die durch das Zerbrechen des schützenden Ich-Ideals freigesetzt wurde, sich in den Werken jener Zeit ankündigt. So ist es denn auch in der Tat. Das Zerbröckeln der alten Charakterpanzerung hat ersichtlich schon in den Jahren 1896/97 zu schweren Angstzuständen, zu jenem albtraumartigen Gefühl, zermalmt, erdrückt, zerquetscht zu werden, geführt, das in den Werken dieser Jahre schockierend und zwanghaft immer wiederkehrt. Jeder May-Leser kennt das gräßliche Ende Old Wabbles und des Generals, die von ihren Sünden (will sagen: infolge ihrer liebeleeren Selbstsucht) buchstäblich »erdrückt« werden. (204) Solche grauenhaften Szenen häufen sich nun: »Old Cursing-Dry« wird, weil er Gott lästert (205), des Augenlichts beraubt und zerschmettert; Grinder und Slack, die ebenfalls die ewige Liebe verleugnen, sehen das Dach ihres Hauses über sich zusammenbrechen und verfallen der Blindheit und dem Wahnsinn. (206) Ein besonders schreckliches Angstgebilde ist die Vorstellung, von einem riesigen Bären gefressen zu werden. (206a) Sie tritt im Schlußteil des »Mahdi« (207) auf und ganz ähnlich dann im Bande »Weihnacht« (208), wo das Motiv des Einsturzes der schützenden Decke und der Verschüttung noch hinzukommt. Das Krachen und Prasseln, wie wenn Knochen zermalmt werden (209), dringt nun auch in die religiöse Metaphorik ein. So wird der Mensch mit einem Wurm verglichen, den die Faust Gottes mühelos zermalmen kann. (210) Wenn Hiller schließlich sagt, daß er das ganze Leben hindurch sein eigener Gott gewesen sei, um jetzt, am Ende desselben, nichts zu sein als ein elender, armseliger
Raubtierfraß (211), so ist es immerhin innere Wahrheit, die in diese wenig geschmackvolle Formel gebannt wird.
Die Erzählungen, in denen sich jene furchtbaren Strafgerichte abspielen, haben bei den Interpreten Mays immer schon Anstoß erregt. So sagt bereits Droop (212): »Der vorurteilslose Leser wird über solche Erzählungen den Kopf schütteln ... gehe ich zu weit, wenn ich behaupte, daß eine solche Darstellung von dem Wirken des Ewig-Unerfaßlichen nichts anderes heißt, als die Erhabenheit des göttlichen Wesens unter das Niveau menschlich-kleinlicher Rachsucht herabzudrücken?« Klotz (213) spricht von »Predigtmärlein von überaus penetranter Moral«, und Wollschläger (214) nennt diese Parabeln »förmlich greuliche Geschichten«. Diese Verdikte sind als literarische Urteile nicht anzufechten. Die Schuld am Mißlingen liegt aber nicht, wie vielfach angenommen wird, darin, daß May sich einer Tendenz der »Marienkalender« hätte anpassen wollen. May hat vorher und nachher ganz andere und teilweise vortreffliche Kalendergeschichten geschrieben; andererseits sind die meisten dieser »Zermalmungsszenen« gar nicht in Marienkalendern erschienen. Vielmehr ist der Grund darin zu sehen, daß May kaum noch - und am wenigsten in den kurzen Geschichten - imstande war, die Abbildungen seiner Angstträume in den Handlungsrahmen seiner Reiseerzählungen zu integrieren. (215) Je mehr er von den Zuständen seines Innern preisgab, desto mehr benötigte die Formung dieser »Schreckgesichte«, um die Bewußtseinszensur passieren zu können, den theologischen Überbau und desto blasphemischer gerieten ihm die Parabeln. So mag sich auch die Verwunderung darüber auflösen, daß so grausame Situationen gerade in die Erzählungen eingehen, in denen das »Ich« immer milder wird und die Liebe immer eindeutiger an die Stelle der Gewalt tritt. Es werden hier Seelenzustände richtig aufgezeichnet, auch wenn die oberschichtige Fabel sich dabei ins Absurde verzerrt.
5. Schon dieses eine Beispiel zeigt, daß die nahtlose Verfugung von Außen- und Innenhandlung, die für die klassischen Reiseerzählungen charakteristisch war, sich bei den späten Werken dieses Genres mehr und mehr auflöst. Das Ich-Ideal des männlichen Helden und die am Mutterbild orientierte Liebesethik sind nur noch mühsam zur Deckung zu bringen. May selbst bemerkte, daß die Logik seiner äußeren Hand
lungsabläufe durch innere Gegensteuerungen in Verwirrung gebracht wurde. So berief er sich denn darauf, wie die göttliche Vorsehung die Pläne der Menschen durchkreuze. Auch ließ er sein früher so rational kombinierendes »Ich« nach unbegreiflichen »Eingebungen« handeln. Wie oft ist mein Verhalten ganz plötzlich und ohne alle Absicht ganz anders geworden, als es in der Logik meines Wesens begründet gewesen wäre. Das war das Ergebnis eines Einflusses von außen mir her ... (216) Seine Antwort lautet hier noch (217): Weder Instinkt noch Zufall kann es sein, sondern Gottes Engel ist es, der mir vom Herrn der Heerscharen beigegeben wurde, mein Führer, Mahner und Berater zu sein. Solche »Inspirationen«, »Ahnungen« und »Eingebungen« werden nun häufiger handlungsbestimmend. Man mag sie Eingebungen oder sonstwie nennen, sie werden dem Menschen wie Depeschen über vollendete und nicht anzuzweifelnde Tatsachen übermittelt und von ihm als Wahrheiten aufgenommen und festgehalten, (218) räsonniert Kara Ben Nemsi. Und wenig später heißt es (219): Diese Worte waren mir keineswegs von einer persönlichen Absicht diktiert worden, sondern als ich sie gesagt hatte, wußte ich selbst nicht, wie ich dazu gekommen war, sie auszusprechen. Ich bin überzeugt, daß auch sie die Folge einer Eingebung waren, deren Quell nicht in mir selber lag.
May wurde sich hier also zum ersten Mal darüber klar, daß seine Inspirationsquelle nicht das Bewußtsein war und daß er anderes schrieb, als er geplant hatte. Aber er suchte den Ursprung dessen, was aus ihm sprach, zunächst nicht im Unbewußten, sondern in überindividuellen, geisterhaften Instanzen, womit seine um diese Zeit einsetzende Beschäftigung mit dem Spiritismus zusammenhängt. Doch kam ihm auch schon die Ahnung, daß es sich um ein psychisches Phänomen handeln könne und daß die äußeren Schicksale des Menschen von innen her determiniert sein möchten. Wie die nach irdischen Begriffen fast endlos weit voneinander entfernten Sterne des Firmamentes durch ewige Gesetze zusammengehalten werden, so sind auch die Handlungen des Menschen und die Ereignisse seines Lebens, mögen sie noch so entfernten Zeitpunkten angehören, doch so eng miteinander verbunden, daß nicht gar selten in einem Vorgange des Greisenalters die Folge einer Tat der doch schon längst vergangenen Jugendzeit zu erkennen ist. (220) Eine bedeutende Einsicht, mit der er seiner Zeit voraus war! Bald darauf postuliert er
sogar eine Seelenweltordnung, welche wenigstens ebenso große Bewunderung verdient wie jene angestaunte Ordnung der makrokosmischen Welt. (221) So erfaßte er allmählich, daß seines Werkes Wesen Psychologie war, daß er nur die Bildungen seines Unbewußten niedergeschrieben hatte und daß darin der eigentliche Wert seiner Schöpfungen lag. Von nun an sagte er: Ich schreibe nicht Romane und nicht Reiseerzählungen, sondern ich bin Psycholog. (222)
XXIII.
So wollen schon die späten Reiseerzählungen als Psychodramen gelesen werden. Sie zeichnen unter der Oberfläche der mehr und mehr verarmenden, »langweiliger« werdenden Außenhandlung Mays innere Krise, die allmähliche Wiederherstellung der Mutterbindung und mit ihr die Auflösung der auf das väterliche Ich-Ideal zugeschnittenen früheren Reiseerzählungen, die nach der Orientreise folgerichtig durch das ganz anders geartete Spätwerk abgelöst werden. Aus dieser inneren Spannung resultiert auch die Ungleichwertigkeit der zu jener Zeit entstehenden Werke. Wo May schreiben wollte wie ehedem, scheiterte er völlig: die amerikanischen Anfangskapitel des »Silberlöwen« (223) zeigen, wie ermüdend und mechanisch er nun die alte Leier nur noch spielte. (224) Er scheiterte aber - wie im Schlußteil des »Mahdi« und in den beiden letzten Erzählungen des Bandes XXIII - auch dort, wo er die Bilder innerer Verstörungen in eine nach altem Muster angelegte plane Reiseerzählung als inkohärenten Fremdkörper hineinsetzte und theologisch zu überhöhen versuchte. Fesselnd wird er dagegen in den späten Reiseerzählungen immer dann, wenn er in die Tiefen der Kindheit und Vergangenheit eindringt und nach den Spuren des inneren Schicksals sucht. So liegt über dem dritten Surehand-Band, wo es um die Enträtselung einer tragischen Familiengeschichte geht, eine bezwingende Stimmung düsterer Beklommenheit; in entsprechender Weise ist in den ersten beiden Bänden des »Silberlöwen« das in die Vergangenheit zurückgreifende Bagdad-Kapitel (225) durchaus das beste. Einen erzählerischen Fortschritt bedeutet auch »Weihnacht«, weil hier zum erstenmal der Versuch gemacht wird, die durch das Titelmotiv bezeichnete, bis in die
früheste Jugend hinabreichende seelische Problematik (226) mit Hilfe eines leitmotivisch verwendeten Gedichtes zum mitkonstituierenden Faktor auch der äußeren Handlung zu machen. Den Höhepunkt der späten Reiseerzählungen aber bildet »Am Jenseits«. Denn hier ist schon eine neue, der veränderten Seelenlage Mays adäquate Form gefunden. Die äußere Handlung tritt ganz zurück. Die seelischen Befunde werden, ohne in eine anders disponierte Fabel störend einzugreifen, in die Dimension des Visionären erhoben, und die Sprache befreit sich zu einer an die Bedingungen der Realitätsabschilderung nicht mehr gebundenen Bildkraft.
XXIV.
Kehren wir von hier aus zum öffentlichen Bilde des Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand zurück, so scheint die Kluft zwischen Person und Werk fast unüberbrückbar. May versuchte ein Ideal darzustellen, über das seine innere Entwicklung, wie sie sich in seinen gleichzeitigen Werken spiegelt, schon zum guten Teil hinweggeschritten war. Und was auf den ersten Blick noch verblüffender wirkt: Gerade in dem Zeitpunkt, da Mays Reiseerzählungen sich neuen Zielen zubewegten, begann er, in aller Öffentlichkeit auf der Realität äußerer Geschehnisse zu beharren, die ihm in seinen Büchern schon immer unwichtiger wurden. Doch mag die scheinbare Ungereimtheit einen tieferen Sinn enthüllen. Wollschläger hat »den Widerstreit der beiden Identifikationen, das langsame Siegen der einen, das Unterliegen der anderen«, treffend als den »tiefuntersten Motivgrund« der Reiseerzählungen jener Zeit gekennzeichnet (227) und die Frage gestellt, »warum die dauernd wirksamer geschädigte Charakterbasis keine stärkere Abwehr aufbaute, ja warum sie dem sichtbar nahenden eigenen Untergang so vergleichsweise schwächlich entgegenwirkte.« Dazu läßt sich vielleicht sagen: Gerade die Old-Shatterhand-Legende war für May ein Mittel, sein altes Ich-Ideal zu verteidigen. Er befand sich in diesen Jahren auf der Flucht vor sich selbst, wie es schon äußerlich durch sein (nur durch gelegentliche häusliche Idyllen unterbrochenes) ruheloses Umherreisen zwischen Hamburg, München, Prag und Wien angedeutet wird. Die Huldigungen
seiner Verehrer sollten ihm ein letztes Mal bestätigen, woran er selbst im Innersten schon nicht mehr geglaubt haben wird: Sinn und Wert seines alten Ich-Ideals. Die Leser sollten ihm stützen, was er selbst kaum noch halten konnte. Daher mußte es auf der Orientreise, als die Bestätigung von außen wegfiel, zwangsläufig so kommen, daß die schon höchst brüchig gewordene Charakterstruktur endgültig zerbrach und ein neuer, von den Zwiespältigkeiten der letzten Jahre befreiter Karl May zurückkehrte. Schon am 15. September 1899 schreibt May über den früheren Karl (228): Der ist mit großer Ceremonie von mir in das rothe Meer versenkt worden, mit Schiffssteinkohlen, die ihn auf den Grund gezogen haben. Zwei Tage später verfaßt er eines seiner - relativ - besten Gedichte: Ich bin so müd, so herbstesschwer (229) und vermerkt auf der Rückseite des Manuskripts (230): Habe hierbei bitterlich, zum Herzbrechen geweint. Dr. Karl May, genannt Old Shatterhand, war versunken. Das Alter begann, und mit ihm das nun auch im buchstäblichen Sinne des Wortes merk-würdige Spätwerk eines verwandelten
Bei Abfassung dieser Studie haben mir zahlreiche Freunde und Mitarbeiter mit Rat und Tat zur Seite gestanden: Ekkehard Bartsch, Dr. Franz Cornaro, Erich Heinemann, Klaus Hoffmann, Alfred Schneider, Dr. Wilhelm Vinzenz, Herbert Wieser und Hans Wollschläger. Ihnen allen meinen herzlichen Dank.
1 No. 19, Februar 1898, Benziger Brothers, Cincinnati
2 Verlag Ludwig Auer, Donauwörth, Nr. 7, 1896
3 Evang. Gemeindeblatt, Berlin, Verl. Georg Reimer, Jahrg. II, Nr. 1 vom 1. 1. 1898
4 P. Brugier, Geschichte der deutschen Nationalliteratur, 9. Aufl., 1893, 631
5 Vgl. Klaus Hoffmann in Jb-KMG 1971, 110 ff.
6 Subskriptionsprospekt Fehsenfelds aus dem Jahre 1895
7 Beispielsweise in Deutscher Hausschatz, 9. Jahrg., 1882/83, Nr. 50, 800; 11. Jahrg., 1884, Nr. 6, 81. Im 8. Jahrg., 1881, Heft 1, Umschlag, heißt es, daß Karl May »leider gegenwärtig krank darniederliegt in Folge einer wieder aufgebrochenen alten Wunde. Auf seinen weiten und gefahrvollen Reisen in allen Teilen der Erde hat er sich selbstverständlich manche Wunde geholt.« Eine vollständige Dokumentation der redaktionellen Hausschatz-Notizen über May liefert Gerhard Klußmeier in: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft, Nr. 16 bis 18 (Juni, Sept., Dez. 1973).
8 Vgl. auch das im Mitteilungsblatt Nr. 14 (Dezember 1972), 1, der KMG wiedergegebene Foto Mays, mit dem der »von seinen Reisen ausruhend(e)« Schriftsteller den Hausschatzlesern im Okt. 1891 erstmals im Bild vorgestellt wurde.
9 Die wechselvolle Geschichte des Doktortitels, die hier nicht weiter verfolgt werden kann, würde eine Spezialstudie erfordern. Wichtiges Material findet sich im Abschnitt »Karl Mays Doktortitel« bei Lebius, Die Zeugen Karl May und Klara May, 1910, 17 - 28. Ferner bei Pöllmann, »Old Shatterhand im Doktorhute und andere Geschichten«, in: Über den Wassern, 3. Jahrgang. 1910, 166 - 174, in der Artikelserie »Ein Abenteurer und sein Werk«.
10 XVI, 560
11 XVIII, 153
12 XIX, 150
13 XXI, 233
14 Vgl. XXI, 239, 245
15 XXII, 34 f.
16 XIV, 406 f.
17 XIV, 407; gemeint ist wohl Ernestine Pauline May (2. 6. 1847 bis 29. 4. 1872), das siebente der 14 May-Kinder; vgl. die Stammtafel in Bd. 34, Bamberger Ausgabe, 28. Aufl., 1971, 49
18 XIV, 411, 412
19 XXIV, 7
20 XXIV, 9
21 Vgl. dazu die Arbeit von Heinz Neumann, Karl Mays Buchausgaben bei Fehsenfeld, in: Mitteilungen der KMG, Nr. 12 (Juni 1972), 8 - 14, wo alle diese Einzelheiten nachgewiesen sind.
22 Karl May, »Freuden und Leiden eines Vielgelesenen«, Deutscher Hausschatz XXIII
23 Die Geschichte dieser Bilder wird eingehend dargestellt und unter Beiziehung erhaltenen Briefmaterials dokumentiert bei Josef Mittermayer: Karl Mays Beziehungen zu Linz, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz, 1962, 554 - 565 (im Anhang sechs Tafeln mit Fotos und Faksimiles).
24 Im Nachwort des Bandes XVIII (1896); wieder abgedruckt in den Mitteilungen der KMG, Nr. 13, September 1972, 16; vgl. dazu auch die Bemerkung von Bartsch, a. a. O., 13. Ferner »Freuden und Leiden«, Hausschatz XXIII, 19
25 Vgl. nur den in den Mitteilungen der KMG, Nr. 8, (Juli 1971), 22, im Faksimile abgedruckten Brief Mays an Paul Thomas und dazu den Aufsatz von Bartsch: »Indem ich die Preisliste beilege ...«, a. a. O. 11 - 13, der über die Geschichte der Fotografien weitere Einzelheiten enthält.
26 Die Fotos wurden nach dem Bruch mit Nunwarz vom Dresdener Photographie-Verlag Max Welte, von der Linzer Fa. Fidelis Steurer (Mitteilung Hainer Plaul) und teilweise auch als Postkarten bei Fehsenfeld vertrieben; vgl. Bartsch, Mitteilungen der KMG, Nr. 8, 13.
27 Abdruck bei Raddatz a. a. O.; Ausschnitt bei Wollschläger a. a. O., Umschlag-Rückseite, und in Bd. 34, Bamberg, 28. Aufl., 1971, Bildteil, 15; vgl. dazu auch Jb-KMG 1970, 28/29. Das vielzitierte Richterwort: »Aber ein Verbrechen wären doch solche phantastischen Dinge bei einem Dichter nicht« ist durch den Anblick dieser Photographien ausgelöst worden.
28 Den Mitteilungen der KMG, Nr. 6, 25 (Dezember 1970), kann man entnehmen, daß »Old Shatterhands Henrystutzen«, das »berühmteste Gewehr des Wilden Westens«, noch heute in originalgetreuen Nachbildungen im Waffenhandel verkauft wird.
29 Die Einzelheiten dieser Vorgänge hat Klaus Hoffmann erforscht und in seiner Abhandlung »Silberbüchse - Bärentöter - Henrystutzen«, abgedruckt in diesem Jahrbuch, niedergelegt.
30 XIX, 329
31 Da mir das im Archiv des Karl-May-Verlags lagernde Briefmaterial nicht zugänglich war, muß ich mich mit Auszügen aus veröffentlichten Briefen begnügen. Diese geben aber ein hinreichend deutliches Bild.
32 Brief an Frau Felber, Jb-KMG 1970, 164
33 An Prof. Dr. Gustav Jäger, Brief vom 9. August l894, abgedruckt bei Wollschläger, Karl May, 1965, 65 f.
34 Brief vom 3. 1. 1895; mitgeteilt bei Pöllmann, Ein Abenteurer und sein Werk, Über den Wassern, 3. Jahrgang, 1910, 307
35 Brief vom 15. 4. 1897; mitgeteilt bei Pöllmann a. a. O., 308
36 Karte von 21. 3. 1899; abgedruckt bei Wollschläger, Karl May, 68; nach einem Brief vom 2. 11. 1894 dagegen war Winnetou »32 Jahre alt, als er starb« (Frankfurter Zeitung vom 1. 4. 1937; bei Böhm, Karl May und das Geheimnis seines Erfolges, 1955, Wien, 199).
37 Frankfurter Zeitung vom 20. 4. 1900; vgl. die Schilderungen bei Wollschläger, Karl May, 68 und bei Böhm, Karl May und das Geheimnis seines Erfolges, 1955, 200
38 Diese Angabe und alle folgenden dieses Absatzes stammen aus dem schon in Anm. 36 aufgeführten Brief vom 2. 11. 1894
39 Faksimileabdruck des Jahrganges 1896 bei Raddatz, Das abenteuerliche Leben Karl Mays, Gütersloh 1965, 89
40 KMJb 1921, 320 f. Da die Darstellung auf dem erhalten gebliebenen Tagebuch Casellas beruht, darf sie trotz der erst 24 Jahre später erfolgten Veröffentlichung als zuverlässig gelten.
41 In: Zur Jugendschriftenfrage, Leipzig 1903, Karl May, 22 - 47 (23 ff.); hgg. von den Vereinigten deutschen Prüfungsausschüssen für Jugendschriften.
42 A. a. O., 42
43 Karl May hat diese Darstellung später bestritten: Die Anrempelung des Kaisers: »Majestät, wir wollen einmal miteinander schießen«, geht so hoch über jede irdischen Möglichkeiten hinaus, daß sie am besten gar nicht erfunden worden wäre! (An den Dresdner Anzeiger, 12. 11. 1904; abgedruckt in Jb-KMG 1972/73, 131). Doch wird der sachliche Inhalt der Weber'schen Mitteilung durch die oben zitierte Meldung des Bayrischen Kurier vom 7. 7. 97 bestätigt: Ob die Anrempelung des Kaisers authentisch ist - verglichen mit anderen Äußerungen Mays zu jener Zeit könnte sie es sein - muß offen bleiben.
44 Wollschlägers Bemerkung (Karl May, 1965, 73): »... und die Verehrung nimmt solche Formen an, daß die Feuerwehr erscheinen muß, um die Gläubigen mit einer Spritze zu zerstreuen«, habe ich nur durch eigene Äußerungen Mays bestätigt gefunden. In einem Telegramm Mays (zitiert bei Pöllmann, Über den Wassern, 3. Jahrgang, 1910, 63) heißt es: Gestern abend ganz matt hier angekommen; in München mußten die Leser per Spritze vom Hotel entfernt werden. An Fehsenfeld schreibt Karl May am 27. 7. 1897 (zitiert bei Guenther, Karl May und sein Verleger, Radebeul 1933, 16): Erster Tag über 900 Besuche, zweiter Tag über 600, dritter wieder über 800. Bin gegen Abend zur Seitentür hinaus und entflohen. Dann standen die Gymnasiasten, um Autogramms zu erjagen, in solchen Massen vor dem Hotel, daß die Tramway nicht hindurch konnte und sie mit dem Schlauch auseinandergespritzt werden mußten. Tatsache! Auch in einem Brief vom 12. 8. 1897 an Emil Seyler (abgedruckt in: Fritz Maschke, Karl May und Emma Pollmer, Bamberg 1973, 238) berichtet May über die eindrucksvolle Szene und setzt hinzu: es wurde auch von den Zeitungen gebracht. Doch habe ich eine solche Quelle bisher nicht auffinden können.
45 So der Bayerische Kurier vom 10. 7. 1897
46 wie Anm. 41; 25
47 Josef Bernhart, Erinnerungen, Köln 1972, 40 f.
48 Wollschläger, Karl May, 72; die Beziehungen Mays zum österreichischen Kaiserhaus und zu den Spitzen der Wiener Gesellschaft bedürfen einer Spezialuntersuchung.
49 Vaterland, Wien, 26. 2. 1898; die Anekdote, wonach May vor die Gattin des österreichischen Thronfolgers mit den Worten trat: »Kaiserliche Hoheit, soll ich
als cow-boy oder als Schriftsteller die Unterredung führen?«, die auch Wollschläger, Karl May, 72, wiedergibt, ist nur durch Lebius (Sachsenstimme, 2. 9. 1904; wieder abgedruckt in: Die Zeugen Karl und Klara May, 264) überliefert, der sie von May selbst erzählt bekommen haben will; ihre Authentizität muß bezweifelt werden.
50 In: Der abenteuerliche Tag, KMJb 1919, 252 - 269 (252). Der Erstdruck dieser Erzählung erfolgte in der Jugendzeitschrift »Phoenix«, 1911, 69 ff., 84 ff. Über die Authentizität dieser Darstellung vgl. Cornaro, Karl Mays Wiener Fasching 1898, Mitteilungen der KMG, Nr. 9, September 1971, 21 f. Den einzigen erhaltenen Brief Mays an R. v. Kralik hat Franz Cornaro im Mitteilungsblatt der KMG, Nr. 11, März 72, 23 f., im Faksimile des Originals veröffentlicht und kommentiert.
51 Es kümmerte May also nicht, daß er in München (und auch brieflich) den 2. September als Todestag genannt hatte.
52 Vaterland, Wien, 22. Februar 1898
53 KMJb 1919, 253
54 KMJb 1919, 254
55 Mitteilungen der KMG, Nr. 9, September 1971, 22
56 Die Erzählung enthält allerlei Faschingsulk, bringt aber wenig Charakteristisches über May. Forst-Battaglias Darstellung, wonach May zum Schutz vor zudringlichen Karnevalisten »gellend nach der Polizei« gerufen habe (Karl May, Traum eines Lebens - Leben eines Träumers, Bamberg, 1966, 122), ist falsch. Sie wird durch den Bericht Kraliks (a. a. O. 259) nicht gedeckt und ist auch sonst in der Deutung der Szene verfehlt; vgl. dazu Cornaro, Karl Mays Wiener Fasching 1898, in: Mitteilungen der KMG, Nr. 9, September 1971, 21 f.
57 Vgl. über diesen A. v. Ozoroczy, In memoriam Richard Kirsch, in: Mitteilungen der KMG, Nr. 4, Juni 1970,11
58 Der Vortrag fand nachmittags um »halb 3 Uhr« statt (Kalksburger Korrespondenz, Nr. 24, Juni 1898, 23). Kraliks Bericht, wonach May bis zum Abend bei der Faschingsgesellschaft geweilt habe (a. a. O. 268), kann also nicht zutreffen; vieles spricht dafür, daß die gesamte Schilderung des mit May veranstalteten Faschingsulks mehr Dichtung als Wahrheit enthält.
59 Wie Anm. 58, 23/24; ich verdanke die Kenntnis des Berichtes der freundlichen Mitteilung von Herrn OSTR. P. Dr. Karl Forster S. J. vom Kollegium Kalksburg.
60 Neues Wiener Abendblatt, 24. Februar 1937; wieder abgedruckt als Anlage 1) zu den »Mitteilungen« der früheren Arbeitsgemeinschaft Karl-May-Biographie, Nr. 16. Ein Manuskript des Vortrages gibt es offenbar nicht; May wird - wie fast immer - frei gesprochen haben.
61 Vaterland, Wien, 26. Februar 1898
62 Richard Kirsch a. a. O.
63 Was May in der Zeit zwischen dem 26. 2. und dem 24. 3. 1898 getan hat, ist durch keine gedruckten Zeugnisse überliefert. Anscheinend war er in Wien erkrankt; vgl. den Brief an Emil Seyler bei Maschke (a. a. O. wie Anm. 44), 241
64 Vorsitzender dieses Clubs war der praktische Arzt Dr. Weigl; Mitglied war auch der Lehrer Franz Weigl, der spätere Verfasser der Schrift »Karl Mays pädagogische Bedeutung«, München 1909; beide waren auf dem Bahnhof erschienen.
65 Darüber berichtet sehr ausführlich Rudolf Fried, ein weiteres Mitglied des Karl-May-Clubs, in seinen handschriftlichen »Aufzeichnungen und Erinnerungen an Dr. Carl May während seiner Anwesenheit in München«. Das Originalmanuskript, das ursprünglich in Händen von Dr. Rudolf Beissel gewesen und von ihm Herrn Alfred Schneider, Hamburg, übergeben worden war (wo ich es kennenlernte), befindet sich heute nach einer Mitteilung von Beissel im Besitz des Karl-May-Verlages.
66 Über den Namen »Winnetou« vgl. Poppe, Winnetou. Ein Name und seine Quellen, in Jb-KMG 1972/73, 248 ff. Die Geschichte vom »Brennenden Wasser«
ist nach einem anderen Zeugenbericht geschildert bei Stütz, KMJb 1922, 256 f.
67 Vgl. darüber schon Jb-KMG 1971, 80.
68 Ähnliche Bemerkungen hatte er wohl auch schon bei seinem Münchener Aufenthalt im Sommer 1897 gemacht.
69 Vgl. darüber eingehend Heinemann, Dr. Karl May in Gartow, Jb-KMG 1971, 259 ff.
70 Archiv Klaus Hoffmann; der Bericht stammt aus dem Nachlaß von Erich Wulffen.
71 Hinzuweisen wäre etwa noch auf den Bericht von Richard Kirsch (Neues Wiener Abendblatt v. 24. 2. 1937), der May am 27. 8. 1897 besuchte, und auf Alfred Schneiders Schilderung von Karl Mays Besuch bei der Familie Felber in Hamburg im Jahre 1897 (Jb-KMG 1970, 163 ff.); ferner v. d. Kettenburg, KMJb 1933, 435 ff.; Welte bei Maschke (a. a. O. wie Anm. 44), 77 f.
72 Jb-KMG 1972/73, 53
73 Karl May, 1965, 70
74 Bd. 34 (Radebeul), ab 1. Aufl., 1916, 553/554. Ähnlich noch jetzt in Bd. 34 (Bamberg), 28. Aufl., 1971, 384
75 Vgl. im einzelnen unten S. 113 ff.
76 Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland, Bd. 129, 1902; wieder abgedruckt bei Lebius, Die Zeugen Karl und Klara May, 180 f.
77 Abgedruckt in E. A. Schmid, Eine Lanze für Karl May, 1. - 3. Aufl., 1918/1925/1940, 13; jetzt am besten zugänglich in Bd. 34 (Bamberg), 28. Aufl., 1971, 417.
78 Vgl. nur etwa den in den Mitteilungen der KMG, Nr. 2, 16 (Dezember 1969) abgedruckten Brief an Heinrich Kirsch vom 4. 4. 1901, wo die Frage »ob diese Reisen, Szenen, Personen, Gespräche etc. wirklich ... geschehen sind«, als unverständig beiseite geschoben wird.
79 Gerechtigkeit für Karl May!, 1919, 87; auch in Bd. 34, Bamberg, 28. Aufl., 1971, 480.
80 KMJb 1921, 298; auch in Bd. 34, 28. Aufl., 1971, 551
81 KMJb 1921, 299; auch in Bd. 34, 28. Aufl., 1971, 552
82 Der Begriff der »Notwehr« muß hier wie bei Gurlitt in einem sehr uneigentlichen Sinne verstanden werden. Denn von der erforderlichen Abwehr eines gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriffs - so ist die Notwehr rechtlich zu definieren - kann natürlich nicht die Rede sein.
83 Das abenteuerliche Leben Karl Mays, 1965, 97: »Vielfach log er aus Zwang. Schließlich hatte er erhebliche Löcher in seinem Lebenslauf.« Es folgt dann dieselbe Erwägung wie bei Strobl.
84 Vgl. dazu Lebius, Die Zeugen Karl und Klara May, 1910, 329f.: »Wie die Vorstrafen Mays bekannt wurden.« Ferner den Brief Mays an Rudolf Bernstein v. 29. 9. 1905, wo May über ein etwaiges Eingeständnis seiner Vorstrafen schreibt: Es würde das mein ganzes Lebenswerk vernichten, und ehe ich das zugebe, will ich lieber sterben! (Bd. 34, 28. Auflage, 1971, 328)
85 Karl May und das Geheimnis seines Erfolges, 197
86 Ein Abenteurer und sein Werk, Über den Wassern, 3. Jahrgang, 1910, 62
87 a. a. O. 64/65
88 Im Deutschen Hausschatz, Oktober 1891, und im Bande »Von Bagdad nach Stambul«, 1892; vgl. dazu Mitteilungen der KMG, Nr. 14 (Dezember 1972), 1/2; Nr. 12 (Juni 1972), 13/14 (Anm. 6)
89 Neumann, Mitteilungen der KMG, Nr. 12, 13
90 Abgedruckt bei Guenther, Karl May und sein Verleger, Radebeul, 1933, 15
91 Cornaro, Karl May, Wiener Stimmen, 24. 2. 1922 (Spätabendblatt)
92 Abgedruckt bei Pöllmann a. a. O. 307
93 Es ist abgedruckt in den Mitteilungen der KMG Nr. 13, September 1972, 14 - 16; a. a. O. 13 ist nachzulesen, daß es den Band bis zur fünften Auflage, 1905, 26. - 30. Tsd., begleitet hat.
94 In dem schon erwähnten Brief an Heinrich Kirsch vom 4. 4. 1901; der Brief, der in den Mitteilungen der KMG, Nr. 2, Dezember 1969, in einer (vermutlich von der Hand Emma Mays stammenden) Abschrift veröffentlicht worden ist, ist offenbar an verschiedene Empfänger versandt worden. Auch das handschriftliche Original aus der Feder Karl Mays ist inzwischen auf einer Auktion aufgetaucht.
95 In dem bekannten Aufsatz »Herr Karl May von der anderen Seite« (Historisch-politische Blätter für das katholische Deutschland, Bd. 129, 1902, 517 ff), abgedruckt bei Lebius, Die Zeugen Karl und Klara May, 176 ff.
96 Zitiert bei Wilker, Karl May - ein Volkserzieher? Eine dringende Abwehr zum Schutze unserer Jugend gegen die Verherrlichung Mays, Langensalza, 1910, 18
97 Karl May und seine Werke, Eine kritische Studie, Passau, 1906, 19 f.
98 Vgl. dazu Mittermayer (im Anschluß an Ozoroczy), Historisches Jahrbuch der Stadt Linz, 1962, 557: »May und Nunwarz gingen in aller Herrgottsfrühe, als kaum der Tag graute, zur Donau und versenkten alle 101 (einhunderteins) Negativplatten ... in den Strom, damit keines Menschen Auge sie je wieder zu Gesicht bekomme.«
99 Karl May, 64
100 Stolte, Mitteilungen der KMG, Nr. 8, Juli 1971, 1
101 Bartsch, Mitteilungen der KMG, Nr. 8, Juli 1971, 12; vgl. dazu den gesamten Bartsch-Artikel (a. a. O. 11 - 13)
102 Jb-KMG 1972/73, 11 - 92
103 A. a. O. 53
104 Dabei ist es nicht entscheidend, ob Wollschläger die »Urszene« (a. a. O. 21 ff) richtig rekonstruiert hat. Daß Mays Liebesfähigkeit und damit auch seine Fähigkeit, zur realen Umwelt normale Objektbeziehungen herzustellen frühzeitig eine traumatische Störung erfahren haben, kann nach der Analyse Wollschlägers nicht länger zweifelhaft sein; fast jedes Detail in Leben und Werk Mays weist auf diesen Befund zurück.
105 Das kann hier nicht näher dargestellt werden. Doch sei immerhin vermerkt, daß auch Mays Straftaten durch die Arbeit Wollschlägers in ein Licht gerückt werden, das es gestattet, meine »Vorläufigen Bemerkungen« über diese Epoche im Leben Mays (Jb-KMG 1971, 74 ff) sehr viel weiter in die Tiefe zu führen. Wenn ich dort den psychischen Ursprung der Kriminalität »in sehr vielen Fällen« darauf zurückgeführt habe, »daß die emotionalen Bindungen an die Eltern ... in früher Kindheit gestört wurden« (a. a. O. 79), mir eine Anwendung solcher Gesichtspunkte auf die Entwicklung Mays aber wegen des Mangels an biographischem Material versagt habe, so erscheint es jetzt als möglich, die frühere Deskription durch eine Analyse zu ergänzen und auf dem Hintergrund neuerer kriminologischer Erkenntnisse zu interpretieren. Auch zu diesem Themenkreis hat Wollschläger (a. a. O. 39 ff) die entscheidenden Linien schon vorgezeichnet.
106 Mein Leben und Streben, Freiburg, 1910, 53: Ein echter, wirklicher Schulkamerad und Jugendfreund ist mir nie beschieden gewesen.
107 Mein Leben und Streben, 96/97: Ich vereinsamte auch hier, und zwar mehr, viel mehr als daheim.
108 Mein Leben und Streben, 205: Dieses tiefe, innere Verlassensein drängte mich, um die trostlose Oede auszufüllen, zu rastlosem Fleiße ...
109 Mein Leben und Streben, 244
110 An die 4. Strafkammer des Königl. Landgerichts III in Berlin, 2. Fassung, 1911, 72
111 Th. Heuß, Die großen Reden, Deutscher Taschenbuch-Verlag, Nr. 404, München, 1967, 225
112 Jb-KMG 1972/73, 53
113 XIX, 342
114 Abgedruckt bei Pöllmann, a. a. O. 63; auch eine frühere, noch aus »Oberlössnitz-Dresden« datierte Fassung dieser »Bitte« ist erhalten.
115 Am 4. Juni 1896; der Brief ist abgedruckt bei Mittermayer, a. a. O. 563, Anm. 5
116 Vgl. dazu oben S. 24
117 Über den Wassern, a. a. O. 62
118 Wollschläger, Jb-KMG 72/73, 84
118a Vgl. das Dokument bei Lebius a. a. O. 21
119 Hier liegt eine der wesentlichen Ursachen der Kriminalität; auch wird von hier aus verständlich warum Menschen, die kinderreichen Unterschichtfamilien entstammen oder in Heimen oder ohne Mutter (bzw. einen gleichwertigen Mutterersatz) aufwachsen, besonders kriminalitätsgefährdet sind.
120 Vgl. etwa seine Abhandlung »Über das Zärtlichkeitsbedürfnis des Kindes« (1908)
121 Grundlegend: Studie über die Minderwertigkeit von Organen, 1907
122 XIV, 412
123 XXVI, 12
124 Vgl. oben unter IX, Anm. 70
125 Vgl. unten S. 115
126 Mein Leben und Streben, 146. Er hatte aber ehedem genau das Gegenteil geschrieben (vgl. den bei Anm. 35 zitierten Brief).
127 Ein Abenteurer und sein Werk, a. a. O. 172
128 Jb-KMG 1971, 74 ff; darauf sei hier verwiesen.
129 Helene Deutsch, Über die pathologische Lüge (Pseudologia phantastica), Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, VIII. Jahrg., 1922, 153 ff. (153).
130 Vgl. darüber Poppe, Jb-KMG 1972/73, 248 f.; Plischke, Mitteilungen der KMG, Nr. 4, Juni 1970, 10 f.
131 Mitteilung von Ekkehard Bartsch
132 Klara May, Mit Karl May durch Amerika, Radebeul 1931, 26 f.
133 Vgl. das Zitat bei Hoffmann in diesem Jahrbuch S. 84
134 Altes und Neues, Stockholmer Gesamtausgabe, 1953, 24.
135 An Olga Diener, Juni 1928; in: Materialien zu Hermann Hesses »Der Steppenwolf«, Suhrkamp-Taschenbuch 53, 1972, 132.
136 Kurzgefaßter Lebenslauf, in: Traumfährte, 1945, 17.
137 Im ersten Kunstbrief (2. 10. 1906); heute in überarbeiteter Form in Bd. 49, 306. Erstdruck im »Kunstfreund«, Innsbruck 1906, Heft 10
138 An Rudolf Bernstein, 23. 7. 1907, zitiert bei Wollschläger, Karl May, 120
139 Der Mythos von der Geburt des Helden. Versuch einer psychologischen Mythendeutung, 2. Aufl., 1922, Leipzig und Wien, 152, 154
140 Jb-KMG 1971, 74 ff.
141 A. a. O. S. 159/160
142 Wie nahe er auch der Paranoia gelegentlich kam, hat Hans Wollschläger in Jb-KMG 1972/73, 84, erhellend beschrieben.
143 Psychologie und Dichtung, in: Gesammelte Werke, 15. Band (»Über das Phänomen des Geistes in Kunst und Wissenschaft«), 2. Aufl., Freiburg i. Brsg., 1972, 97 ff. (117).
144 Jb-KMG 1972/73, 54
145 Vor allem müßten dafür auch die private Korrespondenz sowie Mays Scherzgedichte und Tischkarten jener Zeit herbeigezogen werden, die im Karl-May-Verlag lagern und mir nicht zugänglich sind. Wer einen ersten Eindruck von dieser Seite des Mayschen Wesens gewinnen will, lese seine eigene Schilderung in Bd. XXIV, 169 ff. und das Anfangskapitel (»Über Mays Freundschaften«) in Hansotto Hatzig, Karl May und Sascha Schneider, Bamberg, 1967, 13 ff.; ferner etwa die Briefe Mays an die Angehörigen der Familie Seyler bei Maschke (a. a. O. wie Anm. 44), 228 ff.
145a In entsprechender Weise macht Canisius (Mitteilungen der KMG, Nr. 15, März 1973, 31) darauf aufmerksam, daß May seine »Ernsten Klänge«, diese »beiden schlichten und innigen Chorsätze«, gerade zu der Zeit schuf, als er in der Öffentlichkeit ein übersteigertes Selbstbewußtsein zur Schau trug: »Es scheint, als ob er angesichts des Rausches ... einen Bereich der inneren Ruhe suchte.«
146 Jb-KMG 1972/73, 53
147 Eine sehr gute Analyse gibt insoweit Volker Klotz, »Durch die Wüste und so weiter« in: Akzente, 1962, Heft 4, 356 - 383 (auch abgedruckt in: Trivialliteratur, Literarisches Colloquium, Berlin 1964, 33 - 51).
148 Vgl. darüber Hoffmann in Jb-KMG 1972/73, 234 ff
149 Mein Leben und Streben, Freiburg 1910, 320
150 KMJb 1922, 53; vgl. auch Ehrenstein, Jb-KMG 1971, 234.
151 Vgl. darüber Wollschläger, Jb-KMG 1970, 126 f., 132
152 Jb-KMG 1972/73, 33 f.; vgl. dazu auch Stolte, Der Volksschriftsteller Karl May, Radebeul 1936, 114 f.
153 Man vergleiche etwa das 6. Kapitel der »Traumdeutung« (1900) oder die 11. Vorlesung aus den »Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse« (1916/17), beide unter der Überschrift »Die Traumarbeit«.
154 Man vergleiche auch die schon oben S. 41 gebrachten Beispiele.
155 Jb-KMG 1971, 41.
156 Grundlegend: Hans Kunz, Die anthropologische Bedeutung der Phantasie, 2 Bände, Basel 1946.
157 So O. F. Bollnow, Mensch und Raum, Stuttgart 1963, 24 ff., in Zusammenfassung der Ergebnisse von Kunz.
158 Mein Leben und Streben, 228
159 A. a. O. (Anm. 143) 111/112
160 A. a. O. (Anm. 139) 160
161 Der Volksschriftsteller Karl May. Beitrag zur literarischen Volkskunde, Radebeul, 1936. Er fußt dabei auf einer Anregung von Franz Cornaro, (»Der Märchenerzähler«, KMJb 1924, 173 ff [197]), der prophezeit hatte, »daß gerade diese Betrachtungsweise sein (Mays) Werk in den Kreis öffentlich wissenschaftlicher Erörterung rücken wird«.
162 A. a. O. 83
163 A. a. O. 89
164 Jb-KMG 1971, 39 ff.
165 Jb-KMG 1971, 62
166 Jb-KMG 1970, 54
166a Eine sehr materialreiche »Analyse der archetypischen Bilder« bei May liefert Ingrid Bröning in ihrem erst nach Abschluß dieser Arbeit erschienenen Buch »Die Reiseerzählungen Karl Mays als literaturpädagogisches Problem«, Düsseldorf 1973, 126 ff.
167 Karl May, a. a. O. (Anm. 56), 149
168 A. a. O. (Anm. 147), 52
169 Von deutschen Helden, Eine Inhaltsanalyse der Karl-May-Romane, Diss. Köln, 1967, 193. Ihre Analyse ist im einzelnen sehr viel differenzierter als das im Text zitierte Resümee; das weiter zu verfolgen, fehlt hier der Raum.
170 Bach, Jb-KMG 1971, 41
171 Ausverkauf der Abenteuer, in: Probleme des Erzählens in der Weltliteratur, Festschrift f. Käte Hamburger, Stuttgart, 1971, 161
172 Dieser Befund wird nicht dadurch widerlegt, daß Kara Ben Nemsi und Old Shatterhand als Anführer ihrer Gefährten auftreten. Denn hier handelt es sich um die freiwillige Anerkennung der größeren Sachautorität; außerdem kann der einzelne nach freiem Belieben aus der Gruppe jederzeit wieder ausscheiden. Der Verstoß gegen Direktiven zieht nirgends Sanktionen nach sich.
Er ereignet sich auch dauernd, so daß das »Ich« ständig damit beschäftigt ist, die Fehler anderer wieder gut zu machen.
172a Zur soziologischen Deutung der Schriften Mays vgl. jetzt auch das erst nach Abschluß dieser Arbeit erschienene Buch von Gert Ueding, »Glanzvolles Elend«, Frankfurt (Edition Suhrkamp) 1973.
173 Deutscher Hausschatz XXIII, 18
174 Mein Leben und Streben, S. 141/42
175 a. a. O. (Anm. 143), 101
176 In dem schon mehrfach zitierten Brief an Kirsch vom 4. IV. 1901, Mitteilungen der KMG Nr. 2, Dezember 1969, 16.
177 XXXIII, 445 f.
178 Die mangelnde Darstellbarkeit des seelischen Unterstroms ist es auch, die den Kenner bei der filmischen oder sonst szenischen Darbietung Mayscher Werke immer den »echten« May vermissen läßt. Es bleibt stets beim bunten Spektakel. Aus diesem Grunde auch ist May literarisch kaum nachzuahmen, obwohl die oft stereotypen Handlungsverläufe leicht kopierbar sind.
179 Vgl. Jb-KMG 1972/73, 11 - 92 (49 ff)
180 Vgl. darüber schon Kühne, Mitteilungen der KMG, Nr. 5, September 1970, 23 f.
181 XVIII, 332
182 XVIII, 375
183 XVIII, 566
184 XXVI, 609
185 XXV, 512
186 Man lese allein im Bande XXV die Seiten 90, 96 ff, 174 ff, 362 ff, 512 ff, 569 ff, 589
187 XXI, 206 ff
188 XX, 543 f
189 XXV, 83
190 XIX, 499
191 XIX, 499/500
192 XIX, 501
193 XXIV, 610 ff
194 XXIV, 614
195 XXIV, 616
196 Einsiedler Marienkalender 1898/99; jetzt: Bd. 48 (Bamberg), Erz. 6 (»Die Söhne des Upsaroka«)
197 Regensburger Marienkalender, 1899; später in Bd. 48, Radebeul, Erz. 6 (»Bei den Bachtijaren«); heute in Band 26 (Bamberg), Erz. 6 (»Ein Rätsel«) hinein verwoben.
198 Bd. 48 (Radebeul), 170
199 Bd. 48 (Radebeul), 197
200 XXVII, 553
201 XIV, 408
202 Jb-KMG 1972/73, 47 f
203 Jb-KMG 1972/73, 54
204 XIX, 488 ff, 561 ff; die Beispiele zeigen anschaulich, wie sich innere Vorgänge bei May in Bilder umsetzen.
205 XXIII, Erz. 8, S. 501 ff
206 XXIII, Erz. 9, S. 567 ff
206a Über den Bären als den »vernichtenden Aspekt des Mutterarchetypus« in der Mythologie vgl. Bröning (a. a. O. wie Anm. 166a), 140
207 XVIII, 307 ff
208 XXIV, 593 ff
209 XXIII, 595
210 XVIII, 349
211 XXIV, 612
212 Karl May, Eine Analyse seiner Reiseerzählungen, Cöln-Weiden 1909, 131/132
213 In: Akzente a. a. O. (Anm. 147) 374
214 Karl May, Reinbek, 1965, 68/69
215 Wohingegen die Felsstürze seiner früheren Reiseerzählungen (Der Schut, Santer usw.) sich als dramaturgisch richtig plazierte, sinnvolle Handlungsschlüsse darstellen.
216 XIX, 155
217 XIX, 156
218 XXVII, 213
219 XXVII, 249
220 XXVII, 453 f
221 XXV, 453
222 Brief an Hans Möller vom 6. 10. 1905
223 XXVI, 1 - 266
224 Schon E. A. Schmid, Eine Lanze für Karl May, Radebeul, 1. - 3. Aufl., 1918, 1925, 1940, S. 41 rügte die »Langweiligkeit am Anfang«. Überhaupt zeigen die immer neuen Ansätze der Bände XXVI und XXVII, daß May mit der alten Form der Reiseerzählung nicht mehr recht fertig wurde; über die Entstehungsgeschichte vgl. Wollschläger, »Herr Karl May von der anderen Seite«, Zur Textsituation des »Silbernen Löwen«, in: Konkret, Septemberheft 1962.
225 XXVI, 490 - 624
226 Vgl. zum Weihnachtsmotiv bei Karl May Wollschläger, Jb-KMG 1972/73, 34 ff
227 Jb-KMG 1972/73, 52/53
228 Jb-KMG 1971, 181
229 Abgedruckt in Bd. 49, Himmelsgedanken, Radebeul, 117; vgl. zu diesem Gedicht: Stolte, Der Volksschriftsteller Karl May, Radebeul, 1936, S. 147 f.
230 Jb-KMG 1971, 182
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