Das seit 1890 erschienene Blatt »La paix par le droit« war Organ der seit 1887 bestehenden Vereinigung gleichen Namens (1), die Ludwig Quidde, prominenter Pazifist jener Tage, als die im französischen Pazifismus führende Gesellschaft bezeichnete. Sie war vor 1914 eine von 14 französischen pazifistischen Gesellschaften.
Die Auflage der Zeitschrift lag 1921 zwischen 4500 und 6000 Exemplaren, die Zahl der Mitglieder belief sich auf rund 5000. Das Blatt wurde somit außerhalb des Vereins praktisch nicht verbreitet. Es erschien bis 1948 und dann noch einmal von 1951 bis 1953. Seine historische Bedeutung scheint gering gewesen zu sein: ein wissenschaftlicher Bibliothekar der Pariser Bibliothèque Nationale, wo ich die Zeitschrift einsah, kannte nicht den Titel.
Der Präsident der Vereinigung, Universitätsprofessor Théodore Ruyssen (2), hatte die Umfrage zu Beginn des Jahres 1907 gestartet. Es wurden insgesamt 27 Antworten veröffentlicht. Neben vielen Zeitgrößen, die dem heutigen Leser nicht viel oder gar nichts sagen (etwa nach der Mayschen Antwort die Äußerung der Frauenrechtlerin Anita Augspurg), antworteten auch bedeutende und heute noch bekannte Wissenschaftler oder Publizisten wie Friedrich Paulsen, Max Nordau, Wilhelm Ostwald, Georg Simmel, Ludwig Fulda, Paul Deussen, Theo
dor Curti (Redakteur der FZ), Hermann Diels, Max Dessoir, Ferdinand Tönnies. Durchweg waren ihre Antworten auf Versöhnung gestimmt. Doch bemerkte ein schamhaft nur als Dr. X vorgestellter Gymnasialdirektor: »... mais en ma qualité d'historien je ne suis pas partisan de la paix mondiale; je tiens au contraire la guerre pour un procédé de rajeunissement« und traf damit sicher die Stimmung der Mehrheit der Gymnasialdirektoren. Der badische Volksschriftsteller und Geistliche Hansjakob meinte, für ihn seien die Franzosen die Unruhestifter in Europa, und bestes Mittel für die Annäherung beider Völker sei der Verzicht Frankreichs auf Elsaß-Lothringen. Im Licht solcher oder platttagespolitischer Erklärungen und im Kreis der Zelebritäten der Gelehrtenwelt nimmt sich der Beitrag Karl Mays so übel nicht aus.
Es ist nicht bekannt, wie die Redaktion auf Karl May gekommen ist, doch dürfte die Veröffentlichung von »Und Friede auf Erden!« die Aufmerksamkeit von »La paix par le droit« auf sich gezogen haben. Denn sonst war May in Frankreich wenig bekannt. In dem monarchistisch-katholischen »Le Monde« (nicht mit der jetzigen Tageszeitung gleichen Namens zu verwechseln) erschienen 1881 - 84 im Feuilleton die Bände 1 - 3 der heutigen Gesammelten Werke sowie einige kleinere Erzählungen. In der ebenfalls monarchistisch-katholischen Tageszeitung »L'Autorité« erschien 1904 »Satan und Ischariot«. Die meist bei Mame in Tours erschienenen Buchausgaben richteten sich an die Jugend. »Und Friede auf Erden!« erschien nie in einer französischen Buchausgabe.
Der hier vorgelegte Text ist meiner Kenntnis nach der einzige im Druck erschienene Beitrag Mays zur Friedensbewegung. Bekanntlich hat sich May verschiedentlich und durchaus nicht nur angelegentlich zum Frieden geäußert (3). Eine Anspielung auf den Pazifismus findet sich in »Ardistan und Dschinnistan« (I, 16 f.) mit dem Tenor: Die bisher bloß passiv handelnde Friedensbewegung wird sich erst dann durchsetzen können, wenn sie ebenso aktiv wie die kriegsfördernden Kreise handelt. Aus dieser Stelle läßt sich unschwer Mays Skepsis gegenüber dem taktischen Vorgehen des damaligen Pazifismus erschließen, ohne daß klar würde, was May zur Remedur vorschlägt. In gewissem Widerspruch hierzu steht nun die Antwort auf die französische Umfrage: auch May verfällt in den Fehler der Pazifisten, Deklamationen zu machen, anstatt den Ursachen für die Interessengegensätze zwischen Frankreich und dem
Deutschen Reich nachzugehen. Das wird besonders deutlich in der Antwort auf Frage 3. Die von May gegebenen Antworten auf die Fragen 1 und 2 waren schon damals, zumindest im Kreis der hier Befragten, eine Selbstverständlichkeit. Hier trägt May nichts Eigenes bei. Der nun unter 3 gemachte Vorschlag Mays, zur Beschleunigung einer deutsch-französischen Annäherung eine Zeitschrift zu gründen, die der Völkerverständigung dienen solle, ringt uns gebrannten Kindern zweier Weltkriege höchstens ein müdes Lächeln ab. Selbst die im Vergleich zu einem solchen Blatt stärkeren Medien der angeblich völkerverbindenden Musik (Popularität Wagners in Frankreich) vor 1914 und des Sports (Olympiade 1936) vor 1939 haben die wahren Gegensätze nur eskamotiert.
Zwei Detailanmerkungen: die Forderung, bei der Zeitschrift hätten nur die Seelen der Völker ein Mitspracherecht, scheint mir eine typisch Maysche Formulierung; ebenso typisch und zugleich in einer hochkapitalistischen Zeit wirklichkeitsfremd die Forderung nach Bann jeden finanziellen Erfolgs des Blattes.
Nach Abschluß der Umfrage veröffentlichte Ruyssen eine Zusammenfassung, in der der Beitrag Mays nicht mehr genannt wurde. Der Tod von May wurde in »La paix par le droit« nicht erwähnt.
1 Diese Angaben sowie die folgenden Mitteilungen über Zeitschrift und Vereinigung aus: Alfred H. Fried, Handbuch der Friedensbewegung 2 Bände, Berlin-Leipzig 1911-12; Kurt Lenz und Walter Fabian, Die Friedensbewegung - Ein Handbuch der Weltfriedensströmungen der Gegenwart, Berlin 1922.
2 1868 - 1967; zu seiner Biographie vgl. »Who's Who In France 1965/66«.
3 Vgl. die erschöpfende Darstellung von A. v. Ozoroczy, Karl May und der Friede, in Karl-May-Jahrbuch 1928, S. 29 ff.