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Drittes Kapitel. An der Laguna de Carapa.

Während wir beide so an der Laguna hingingen, war ich überzeugt, daß der >Schwiegersohn< in die ihm gestellte Schlinge laufen werde. Pena schien weniger zuversichtlich zu sein, denn er fragte mit leiser Stimme:

»Meinen Sie, daß er uns wirklich nachkommen wird?«

»Ja.«

»Ich traue doch nicht ganz.«

»Und ich zweifle nicht im mindesten daran.«

»Aber, wenn er kommt, wie heißen wir? Oder wollen wir unsere wirklichen Namen sagen?«

»Nein. Zunächst sagen wir ihm gar keinen Namen. Nach dem, was er von uns gehört hat, wird er es ganz erklärlich finden, wenn wir vorsichtig sind. Ob Sie dann den Ihrigen sagen, kommt darauf an, ob sich unter den Mbocovis einer befindet, der Sie und also auch ihn von früher kennt. Horchen Sie! Er kommt hinter uns her! Sehen Sie sich ja nicht um!«

»Ich höre nichts.«

»Aber ich höre ihn. Gehen wir etwas rascher. Das wird seinen Eifer erhöhen.«

Wir schritten schneller aus, und der Erfolg zeigte sich sogleich, denn hinter uns ertönte eine Stimme:

»Alto ahi - halt!«

Der Ruf war mit unterdrückter Stimme ausgesprochen worden. Wir thaten, als ob wir ihn nicht ver-


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nommen [vernommen] hätten, und gingen weiter. Da rief der Mann nun in lauterem Tone:

»Parar, Sennores - halten Sie doch an! Ich habe mit Ihnen zu sprechen, und Sie laufen, daß ich Ihnen kaum folgen kann!«

Wir fuhren schnell nach ihm herum und machten möglichst erschrockene Gesichter. Ja, der sogenannte Schwiegersohn, der Yerno, war es wirklich. Natürlich zeigten wir ihm Gesichter, denen es nicht anzusehen war, daß wir ihn kannten.

»Wer sind Sie? Was wollen Sie von uns?« fragte ich in einem Tone, aus welchem er entnehmen mußte, daß ich nicht erwartet hatte, hier jemandem zu begegnen und gar angesprochen zu werden.

»Das werden Sie gleich erfahren,« antwortete er. »Sagen Sie mir zunächst, wer und was Sie sind!«

»Welches Recht besitzen Sie, uns danach zu fragen?«

»Ein Recht nicht, sondern nur eine Veranlassung.«

»Welche denn?«

Er betrachtete uns mit forschendem Blicke, und wir machten ihm Augen, welche möglichst mißtrauisch waren.

»Sehen Sie mich nicht so argwöhnisch an! Ich meine es gut mit Ihnen,« beteuerte er.

»Das kann jeder sagen; wir aber haben keine Lust, Bekanntschaften zu schließen. Sie gehören doch zu den Schuften, denen wir soeben erst entronnen sind!«

»O nein! Meinen Sie etwa, ich sei ein Freund des alten Desierto? Gerade das Gegenteil ist der Fall: Ich bin hier, weil ich nicht zu seinen Freunden zähle.«

»Pah! Das machen Sie uns nicht weis. Bleiben Sie uns vom Leibe! Komm', Kamerad! Ich habe keine Lust, wieder in eine Falle zu laufen!«

Bei diesen Worten nahm ich Pena beim Arme und


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zog ihn mit mir fort. Der Yerno folgte uns, hielt mich zurück und sagte:

»Aber, Mann, so hören Sie doch! Ich befinde mich ganz allein hier. Welche Falle könnte ich Ihnen stellen? Ich versichere Ihnen, daß ich es sehr gut mit Ihnen meine!«

»So! Das ist schön von Ihnen; aber wir wollen von Ihrer Güte leider nichts wissen.«

»Warum? Sehe ich denn wie ein Mensch aus, vor dem man sich zu fürchten hat?«

»Das nicht. Und selbst wenn es der Fall wäre, so sind wir nicht die Leute, welche sich fürchten, sobald es zwei gegen nur einen geht. Aber Sie fragen uns nach unsern Namen und sagen doch nicht, wer Sie sind.«

»Nun, das können Sie sogleich erfahren. Ich heiße - - heiße Diego Arbolo.«

Er hatte gezögert, diesen Namen auszusprechen, und sich dabei suchend umgesehen. Dabei war sein Blick auf einen Baum gefallen, in dessen Nähe wir standen, und erst dann hatte er den Namen Arbolo genannt, welches Wort auf deutsch Baum bedeutet. Es war also klar, daß ihm nicht gleich ein Name eingefallen war, und daß derjenige, welchen er nannte, nicht der seinige war. Er wollte uns aus naheliegenden Gründen nicht wissen lassen, wie er eigentlich heiße.

»Arbolo, so!« antwortete ich. »Und was sind Sie?«

»Cascarillero.«

»Ah, dachte es mir! Also doch ein Kollege des alten Einsiedlers!«

»Aber kein Freund, sondern ein Konkurrent von ihm! Es wird ihm wohl keiner so viel Böses wünschen wie ich!«

»Was das betrifft, so möchte ich es sehr bestreiten.


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Wenigstens haben wir beide sehr genügende Veranlassung, ihm alles, aber nur nichts Gutes zu gönnen.«

»So sind wir also Gesinnungsgenossen!«

»Möglich, daß wir gleiche Gesinnung haben, aber Genossen sind wir nicht. Wir beabsichtigen nicht, hier an diesem Orte Bekanntschaften zu machen. Wir haben das einmal im Gran Chaco gethan, aber nicht wieder. Ein solches Lehrgeld zahlen wir nicht zum zweitenmal. Gehen Sie also, wohin Sie wollen, und lassen Sie auch uns thun, was uns beliebt!«

Ich that wieder, als ob ich fort wollte; er aber hielt mich energisch fest und sagte in ungeduldigem Tone:

»So nehmen Sie doch Verstand an, Sennor! Ich gebe Ihnen mein heiliges Wort, daß ich ein Feind des Desierto und seiner Indianer bin. Ich bin Ihnen nachgegangen, weil ich Ihnen helfen will. Ohne mich können Sie Ihren Vorsatz wohl schwerlich ausführen.«

»Was wissen Sie von unseren Vorsätzen?«

»Sehr viel. Ich kenne sie genau.«

»Oho! Wollen Sie da wohl die Güte haben, uns mitzuteilen, was wir uns vorgenommen haben?«

»Ich habe Sie belauscht. Ich sah den Desierto kommen, der Sie an das Ufer brachte und dann zurückfuhr. Sie befreiten sich mühsam von ihren Banden und sprachen dann miteinander, gerade unter dem Baume, auf welchem ich mich befand.«

»Auf einem Baume haben Sie gesessen? Weshalb, wenn ich fragen darf?«

»Weil ich die Laguna de Carapa beobachten wollte. Ich will das Dorf überfallen.«

»Ueberfallen?« fragte ich, indem ich ein möglichst erstauntes Gesicht machte. »Wie kann ein einzelner Mann ein Indianerdorf überfallen!«


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»Wenn ich das dächte, so wäre ich freilich verrückt. Aber ich bin nicht allein hier.«

»Nicht? Wer ist noch da?« fragte ich, indem ich mich ängstlich umblickte.

»Haben Sie keine Sorge!« lächelte er fast mitleidig. »Diejenigen, von denen ich spreche, sind nicht so nahe, wie Sie zu denken scheinen. Und selbst wenn sie da wären, brauchten Sie keine Angst vor ihnen zu haben; Sie würden vielmehr mit offenen Armen von ihnen aufgenommen werden.«

»Wer ist es?«

»Ich würde diese Frage jedenfalls nicht so schnell und offen beantworten, wenn ich nicht gehört hätte, was Sie miteinander sprachen. Auch habe ich mich mit meinen Augen überzeugt, daß Sie allen Grund besitzen, sich an dem Desierto zu rächen. Darum sage ich Ihnen aufrichtig, daß ich gegenwärtig der Anführer einer Schar von Mbocovis bin, welche sich nicht weit von hier befindet.«

»Mbocovis? Das sind ja wohl Feinde der Tobas?«

»Todfeinde sogar! Sie brauchen also gar nicht zu den Chiriguanos zu gehen, um Unterstützung zu finden, falls Sie sich an dem Desierto rächen wollen.«

»Meinen Sie damit, daß uns die Mbocovis beistehen würden?«

»Es ist wahr. Gehen Sie nur getrost mit mir, um sich zu überzeugen!«

»Wie viele Indianer sind es?«

»Achtundfünfzig.«

»Und weshalb sind Sie mit ihnen nach dieser Laguna gekommen?»

»Um die Tobas zu überfallen.«

»Achtundfünfzig Mbocovis wollen diese Ansiedelung


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überfallen? Meinen Sie denn, daß wir das für möglich halten?«

»Nun, eigentlich haben Sie ein Recht, meine Angabe zu bezweifeln, denn achtundfünfzig Mann reichen unter gewöhnlichen Verhältnissen freilich nicht aus, ein solches Unternehmen zu Ende zu führen. Aber wir wissen, daß die Krieger der Tobas gegen die Chiriguanos fortgezogen sind.«

»Das stimmt. Aber Sie mußten sich doch sagen, daß die Tobas wieder hier sein könnten, wenn Sie eintreffen.«

»In diesem Falle hätten wir gewartet, bis die andern nachkommen.«

»So sind noch andere im Anzuge?«

»Ja, eine große Schar, welche in höchstens drei Tagen eintreffen wird. Wie ich von Ihnen gehört habe, sind die Tobas von den Chiriguanos zurückgeschlagen worden?«

»So ist es.«

»Und die letzteren kommen nun nach der Laguna, um Rache zu nehmen?«

»Ja. Wir haben es gehört. Die Feinde können sehr bald, vielleicht schon morgen da sein.«

»Ah, dann darf ich nicht säumen, sonst kommen sie mir zuvor und nehmen weg, was wir uns holen wollen. Also, wollen Sie mir nun glauben?«

ich antwortete nicht, sondern sah Pena fragend an. Dieser

antwortete an meiner Stelle:

»Man' hört es Ihnen an, daß Sie uns nicht belügen. Wir wollten zu den Chiriguanos, um mit diesen nach der Laguna zurückzukehren; da wir aber Ihre Mbocovis viel näher haben, so wäre ich nicht abgeneigt, Ihnen zu folgen, wenn Sie sich nicht weigern, uns über einen mir unklaren Punkt aufzuhellen.«


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»Welchen Punkt meinen Sie?«

»Wie kommen Sie als Weißer zu den Mbocovis? Wie können Sie sogar der Anführer derselben sein?«

»Weil ich jahrelang in ihrem Gebiete als Cascarillero gearbeitet habe. Ich bin also nicht nur mit ihnen bekannt, sondern der besondere Freund ihres Häuptlings Venenoso. Welchen Grund ich habe, dem alten Desierto feindlich gesinnt zu sein, das gehört jetzt nicht zur Sache; aber ich will ihm verschiedenes heimzahlen, und die Mbocovis sind gern einverstanden gewesen, meine Pläne auszuführen. Mißtrauen Sie mir nun noch immer?«

»Nein; jetzt bin ich befriedigt. Und du?«

Diese letztere Frage war an mich gerichtet; darum antwortete ich:

»Da es der Zufall in dieser Weise fügt, so denke ich, daß wir es versuchen dürfen.«

»Sie dürfen es getrost!« versicherte der Yerno. »Ich wiederhole Ihnen, daß Sie meinen Roten willkommen sein werden. Kommen Sie! Wir haben hier genug Zeit versäumt und können das, was wir noch zu sprechen haben, auch unterwegs bereden.«

»Hm!« brummte Pena vergnügt. »Wer hätte das gedacht! Wir sahen einen langen und beschwerlichen Marsch vor uns und wußten auch nicht, wie die Chiriguanos uns aufnehmen würden. Nun sind wir diese Sorgen los.«

»Freilich sind Sie nun davon befreit. Sie sehen, daß Sie mich zu Ihrem Glücke getroffen haben, und darum denke ich, daß Sie mir dankbar sein werden.«

»Das versteht sich, ja das versteht sich ganz von selbst! Sie können sich auf uns verlassen.«

»Das thue ich allerdings, und ich werde sehr bald sehen, ob ich in der Weise, wie ich es wünsche, auf Ihre


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Erkenntlichkeit rechnen kann. Jetzt ist das Terrain zu schwierig zur Unterhaltung. Folgen Sie mir erst hinaus ins Freie!«

Er führte uns durch den Wald und kam dabei auf die Fährte, welche er bei seiner Herkunft zurückgelassen hatte. Als wir dann den baumlosen Camp erreichten und nebeneinander hergehen konnten, begann er von neuem:

»Nun kennen Sie meinen Namen und auch meine Absichten; jetzt sagen Sie mir, wie Sie heißen.«

»Ich heiße Escoba,« antwortete Pena.

»Und ich Tocaro,« sagte ich. »Wir sind Yerbateros.«

»Wie kommen Sie denn in die Gefangenschaft dieses viejo Desierto? Kannten Sie ihn?«

»Nein,« antwortete Pena. »Wir kamen von den Bergen, wo wir einen außerordentlich glücklichen Fund gemacht hatten, und - -«

»Fund?« unterbrach ihn der Yerno schnell. »So spricht man doch nicht von der Yerba. Sie haben etwas anderes gefunden?«

»Etwas viel besseres! Gold, eine ganze, starke Ader.«

»Alle Wetter! Was Sie sagen!«

»Ja, eine ganze Ader! Wir schlugen uns einen Vorrat heraus und machten das Loch wieder zu, um es später auszubeuten. Unterwegs trafen wir auf eine Schar von Tobas, denen wir uns anschlossen - -«

»Das war dumm! Das war sehr unvorsichtig!«

»Freilich wohl! Wir haben es auch zu bereuen gehabt. Aber wir waren nun einmal froh, Reisegefährten zu bekommen, und da dieselben zum Desierto gehörten, so glaubten wir, nichts befürchten zu dürfen. Wir hatten ihn zwar noch nie gesehen, aber doch so viel von ihm


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gehört, daß wir annehmen konnten, bei seinen Roten sicher zu sein.«

»Welch ein Thor sind Sie!« lachte der Yerno. »Sie meinen, weil er als fromm bekannt ist?«

»Ja.«

»Das sind die Schlimmsten! Doch erzählen Sie weiter!«

»Meine Erzählung wird nicht lang sein. Die Tobas nahmen uns mit nach hier. Der Alte empfing uns sehr freundlich; als er aber hörte, daß wir Gold gefunden hatten, ließ er uns überfallen und einsperren. Er hat uns alles abgenommen, sogar unsere Anzüge.«

»Das ist schändlich! Auch das Gold?«

»Natürlich. Er wollte uns zwingen, ihm zu sagen, wo wir die Ader entdeckt haben.«

»Das thaten Sie doch nicht etwa?«

»Ist uns nicht eingefallen! Wie lange wir eingesperrt waren, wissen wir nicht, denn da es stets dunkel in dem Loche war, konnten wir den Tag nicht von der Nacht unterscheiden. Ein altes Weib war zuweilen bei uns. Von dieser erfuhren wir, was geschah. So wissen wir, daß die Tobas gegen die Chiriguanos gezogen, aber von diesen besiegt und beinahe aufgerieben worden sind. Heute kam ein Bote, dem es gelungen ist, zu entfliehen. Er meldete, daß die Chiriguanos nach der Laguna unterwegs seien, und der Alte ließ sofort das Dorf räumen und alles auf die Inseln schaffen.«

»Das stimmt; ich habe es gesehen. Wie aber kommt es, daß er Sie freigelassen hat?«

»Das fragen wir uns auch. Für ihn war es doch sicherer, uns umzubringen! Vielleicht ist es gerade eine sehr feine List von ihm.«

»Inwiefern?«


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»Wir haben ihm die Goldader nicht verraten. Um den Ort zu erfahren, kann er uns freigelassen haben und einen Mann nachschicken, der uns folgen und heimlich beobachten muß.«

Der Yerno sah sich unwillkürlich um, um nachzuschauen, ob jemand hinter uns herkomme. Dann meinte er:

»Das wird er wohl bleiben lassen, denn er kann keinen Menschen entbehren, da er seine wenigen Leute zur Verteidigung der Insel braucht. Haben Sie ihm gesagt, woher Sie sind und wohin Sie wollten?«

»Ja.«

»So ist es eher möglich, daß er sich vorgenommen hat, einen Mann später dorthin zu senden. Aber dazu soll er nicht kommen, da es heute mit ihm zu Ende geht.«

»Hören Sie, das werden wir uns verbitten, Sennor Arbolo!«

»Warum? Was fällt Ihnen ein? Sie haben doch nicht etwa Ursache, ihn gegen mich in Schutz zu nehmen!«

»Das thue ich auch gar nicht.«

»Aber Sie verbitten sich seinen Tod!«

»Nein, den verbitte ich mir nicht. Ich verlange nur, daß nicht Sie ihn töten. Wir beide sind es, denen er verfallen ist. Wir haben ihm Rache geschworen, und wenn wir uns wirklich mit Ihnen verbinden sollen, so müssen Sie uns versprechen, daß der Alte nur allein uns gehören darf.«

»Das will ich Ihnen gerne zusagen, doch nur unter dem Vorbehalte, daß Sie weiter nichts verlangen, als nur den Alten.«

Jetzt kam der Punkt, den ich längst erwartet hatte. Pena blinzelte mir heimlich zu und antwortete:

»Warum nur ihn allein?«


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»Weil das für Ihre Rache genügt.«

»Das andere alles soll Ihnen zufallen?«

»Ja, mir und meinen Roten.«

»Hm! Sie sind sehr anspruchsvoll!«

»O nein. Bedenken Sie, daß ich, auch wenn ich Sie nicht getroffen hätte, heute -nacht das Dorf überfallen hätte und daß mir dann alles in die Hände gefallen wäre. Und bedenken Sie ferner, daß Sie ohne mich und die Mbocovis Ihre Rache gar nicht ausführen könnten, wenigstens nicht so bald!«

»Mag sein! Aber wenn Sie meinen, daß Ihnen heute nacht alles zugefallen wäre, so befinden Sie sich sehr im Irrtume. Gerade die Hauptsache hätten Sie nicht gefunden, das viele Geld des Alten.«

»Ah! er hat also wirklich so viel?« fragte der Yerno, indem seine Augen gierig zu glänzen begannen.

»Sehr viel. Sie würden es aber doch nicht finden.«

»Wo liegt es denn?«

»Hm! Müssen Sie das wissen?«

»Ja. Das ist die Bedingung, unter welcher Sie den Alten bekommen sollen. Da Sie die Goldader entdeckt haben, brauchen Sie doch wohl kein Geld.«

»Hm!« brummte Pena; dann fragte er mich: »Was sagst du dazu? Ohne dich kann ich natürlich kein Abkommen treffen.«

»Mach', was du willst,« antwortete ich. »Mir ist alles recht, was du thust.«

»Auch daß ich sage, wo das Geld liegt?«

»Ja. Sennor Arbolo hat ganz recht. Wir brauchen das Geld nicht. Wir beuten später die Ader aus. Die Hauptsache ist, daß wir den Alten bekommen, um uns an ihm rächen zu können.«

»Nun, dieser Meinung bin ich auch. Aber ich denke,


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daß wir wenigstens das, was er uns abgenommen hat, zurückverlangen müssen.«

»Das sollen Sie gern bekommen« fiel der Yerno schnell ein.

Während er das versicherte, glitt ein ganz versteckt höhnischer Zug über sein Gesicht. Er war natürlich der Ansicht, daß er diese Goldbrocken einstweilen abtreten könne, weil er später doch wohl die ganze Ader erhalten werde,

»So sind wir einverstanden!« erklärte Pena.

»Gut! Also sagen Sie mir nun auch, wo sich das Geld befindet.«

»Auf der einen Insel. Wenn Sie nämlich vom Ufer des Sees aus - -«

»Halt!« unterbrach ich ihn, da er im Begriff stand, eine unverzeihliche Unvorsichtigkeit zu begehen. »Du beschreibst den Ort noch nicht. Sennor Arbolo soll ihn erfahren, sobald der alte Desierto sich in unsern Händen befindet.«

Der Yerno warf mir einen wütenden Blick zu, den ich nicht sehen sollte, aber doch bemerkte. Er beherrschte sich aber und sagte in ziemlich ruhigem Tone:

»Sennor Tocaro, Sie scheinen Mißtrauen gegen mich zu hegen. Warum soll denn Ihr Freund schweigen?«

»Weil es nicht meine Angewohnheit ist, den Preis auf den Tisch zu legen, bevor ich die Ware wenigstens sehe.«

»Sie sind sehr vorsichtig!«

»Das muß man sein. Sie kennen uns nicht und wir Sie auch nicht. Wir glauben Ihnen alles, was Sie sagen, aber wir sind noch nicht überzeugt, ob Ihre Mbocovis uns wirklich als Freunde behandeln werden. Darum werden wir mit unseren Geheimnissen so lange zurückhalten, bis uns dieser Beweis geliefert worden ist.«


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»Habe nichts dagegen! Sagen Sie mir nur das Eine: Wissen Sie wirklich, wo sich das Geld des Alten befindet?«

»So gewiß, daß wir jeden Schwur darüber ablegen könnten.«

»So bin ich befriedigt, denn ich weiß, daß ich es in der kommenden Nacht erhalten werde.«

»Sie sind also fest entschlossen, den Angriff schon heute zu unternehmen?«

»Ohne allen Zweifel! Ich muß doch sonst gewärtig sein, daß die Chiriguanos mir zuvorkommen.«

»Und wie soll der Angriff geschehen?«

»Das werden wir dann beraten, wenn ich mit meinen Mbocovis gesprochen habe. Jedenfalls werde ich mich dabei auf Ihre Ratschläge verlassen können?«

»Ja.«

»Sie kennen das Dorf?«

»Sehr genau.«

»So bin ich gewiß, daß unser Vorhaben gelingen wird.«

»Wenn die Chiriguanos uns nicht dann die Beute wieder abnehmen.«

»Wir wehren uns!«

»Sie werden Ihren achtundfünfzig Mbocovis überlegen sein!«

»Diesen, ja, aber nicht den Gefährten, welche uns nachfolgen. Wir ziehen uns mit unserer Beute auf diese zurück, und dann mögen die Chiriguanos kommen und versuchen, sie uns abzujagen.«

»Wie stark ist die Schar, welche Sie erwarten?«

»Einige hundert Mann.«

»Unter ihren Häuptlingen?«

»Von ihren Kaziken angeführt, und zwar unter dem Oberbefehle eines Mannes, bei dessen Namen Ihnen so-


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fort [sofort] jeder Zweifel an dem guten Gelingen schwinden wird.«

Ich erriet sofort, wen er meinte, nämlich den Sendador, und mein Herz klopfte mir vor Freude; dennoch fragte ich:

»Wer ist dieser Mann?«

»Geronimo Sabuco.«

Er blickte mich triumphierend an, da er wohl überzeugt sein mochte, daß ich höchst erstaunt oder wohl gar entzückt sein werde. Statt dessen aber fragte ich in sehr gleichgültigem Tone:

»Sabuco? Wer ist das? Sabuco heißen viele Leute.«

»Aber es giebt nur einen einzigen berühmten unter denen, die diesen Namen führen! Haben Sie denn noch nie von dem Sendador gehört?«

»Von dem? Sogar sehr oft.«

»Das ist ja Sabuco!«

»Ah, der Sendador heißt Sabuco? Ja, das muß man doch erst erfahren, bevor man es wissen kann! Also der Sendador bringt die Leute geführt. Warum ist er nicht gleich mit Ihnen gekommen?«

»Weil er nicht da, sondern verreist war. Er hatte ein kleines Geschäft vor, dort in der Nähe von Nuestro Sennor Jesu-Cristo de la floresta virgen. Kennen Sie den Ort?«

»Einmal bin ich dort gewesen.«

»Dorthin sind die Mbocovis ihm entgegen gezogen, und sobald sie ihre Aufgabe dort erfüllt haben, kommen sie hierher. Ist es schneller gegangen, als wir dachten, so sind sie desto eher hier.«

»Was haben sie dort zu thun?«

»Etwas, was Sie nicht sehr interessieren kann. Vielleicht erfahren Sie es später. Ich sprach nur deshalb


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von dem Sendador, um Ihnen die Ueberzeugung zu geben, daß unser Plan unmöglich mißlingen kann, denn wo dieser Mann die Hand im Spiele hat, da kann es nicht fehlschlagen. Nun haben wir das Nötige gesprochen. Wollen schnell gehen, denn es wird Nacht.«

Die Sonne war gesunken, und es begann stark zu dunkeln. Der >Schwiegersohn< verdoppelte seine Schritte, und wir folgten natürlich sehr gern mit derselben Schnelligkeit. Es war schon vollständig Nacht, als er stehen blieb und, mit der Hand vorwärts deutend, sagte:

»Sehen Sie die Stelle vor uns, wo die Finsternis dicker ist als rechts und links davon? Das sind die Büsche, in denen meine Roten versteckt liegen.«

»Warum brennen sie kein Feuer?« fragte ich.

»Aus Vorsicht natürlich. So lange sie nicht wissen, wie es da hinten am See steht, dürfen sie es nicht wagen, da ein Toba zufällig in die Nähe kommen und das Licht sehen könnte. Nun ich ihnen aber die Nachricht bringe, daß so etwas nicht zu befürchten ist, werden sie sich ein Feuer machen. Warten Sie hier!«

»Sie wollen uns allein lassen?«

»Ja, ich muß. Die Leute werden scharf auslugen. Ihre Augen sind an die Finsternis gewöhnt. Sie erwarten nur mich zurück. Wenn sie drei Personen sähen, würden sie uns für Feinde halten und uns mit vergifteten Pfeilen begrüßen. Ich muß Sie also anmelden und werde bald zurückkommen, um Sie zu holen.«

Er ging.

»Schade, daß wir nicht bei ihm sein können!« flüsterte Pena. »Wir könnten da hören, was sie sprechen und beschließen. So aber können sie das Schlimmste über uns bestimmen, ohne daß wir eine Ahnung davon haben.«


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»Schlimmes werden sie allerdings verhandeln; an den Kragen soll es uns sicher gehen; aber sie können es nicht ausführen.«

»Wissen Sie das so gewiß?«

»Ja. Allerdings wenn ich Sie vorhin hätte ausreden lassen, so wären wir verloren gewesen.«

»Ausreden! Wann?«

»Als er nach dem Orte fragte, an welchem der Desierto sein Geld versteckt hat.«

»Da habe ich keinen Fehler gemacht. Ich habe doch nicht von der Felsenwohnung gesprochen?«

»Allerdings nicht. Aber sie wollten ihm einen Ort auf der Insel beschreiben, an welchem das Gesuchte angeblich zu finden sei.«

»Das wäre doch kein Fehler gewesen, denn sie hätten nichts gefunden; sie hätten nicht einmal die Zeit gehabt, nachzusuchen.«

»Aber es wäre um uns geschehen gewesen.«

»Wieso?«

»Das fragen Sie noch? Sehen Sie denn nicht ein, daß dieser sogenannte Sennor Arbolo uns nur deshalb nachgelaufen ist und uns nur deshalb mitgenommen hat, weil wir unter seinem Baume davon sprachen, daß wir wissen, wo die Reichtümer des Alten liegen?«

»Natürlich sehe ich das ein. Er will von uns den Ort erfahren und sie sich dann holen.«

»Nun, und wenn Sie ihm irgend einen Ort sagen und beschreiben, so sind wir dann überflüssig und werden aus dem Leben befördert!«

»Ah! daran dachte ich freilich nicht.«

»So seien Sie von jetzt an vorsichtiger!«

»Keine Sorge! Ich werde nicht ein Wort zu viel sagen. Am besten ist's, ich lasse Sie reden.«


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»Thun Sie das. Und wenn wir beide miteinander sprechen, so nennen Sie mich ja du; wir haben das einmal so angefangen, damit er ja nicht daran zweifeln soll, daß wir so eng verbundene Leidensgefährten sind.«

»Ich werde keinen Fehler machen. Der geringste Verstoß könnte uns verderblich sein. Glauben Sie denn wirklich, daß der Sendador kommt?«

»Ja.«

»Ich nicht. Es erscheint mir unmöglich, daß er eine solche Reise nach Palmar gemacht und zugleich den Zug gegen die Tobas verabredet hat.«

»Warum nicht? Wir können nicht wissen, welche Dispositionen er in seinem Kopfe mit sich herumgetragen hat.«

»Aber was hatte er denn mit den Ariponern zu schaffen, wenn er seine Mbocovis nach dem Kreuze bestellt hatte?«

»Er traf zufällig auf sie, und da er mit ihnen auch befreundet ist, bediente er sich ihrer zur Erreichung seiner Zwecke. Daß sie nicht seine eigentlichen Verbündeten sind, ist dadurch erwiesen, daß sie nachher doch noch mit den Karawanenleuten Freundschaft schlossen, als er von ihnen fort war.«

»So meinen Sie, daß er den Indianer, von welchem er das Messer bekam, nicht zufällig getroffen hat?«

»Ja, das ist meine Ansicht. Die Mbocovis sandten diesen Mann voraus, um am Kreuz zu rekognoscieren, ob der Sendador schon da sei. Beide trafen auf einander. Der Bote kehrte zurück, um die Seinen nach dem Walde zu führen, an welchem wir überfallen werden sollten, und der Sendador heftete seinen Zettel an und machte dann so sichtbare Spuren, um uns sich nachzulocken. Ein eigentlicher Ueberfall war aber wohl nicht


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geplant. Nur dem feindseligen Verhalten dieses Gomarra haben wir das Folgende zu verdanken.«

Wir sprachen noch längere Zeit miteinander, bis der Schwiegersohn sich nahte. Wir hatten bemerkt, daß ein Feuer in den Büschen aufleuchtete. Beim Scheine desselben sahen wir die Gestalt des Yerno auf uns zukommen.

»Pst!« machte er schon von weitem. »Sind Sie noch da? Kommen Sie mit mir!«

Ich war noch selten so gespannt gewesen, wie in diesem Augenblick. Hatte sich der Sendador inzwischen eingefunden, so war ich fest entschlossen, ein Wagnis zu unternehmen, daß er uns in die Hände fiel. Dann war mit ihm für uns alles gewonnen. Glücklicher- oder auch unglücklicherweise fand ich keine Veranlassung, diesen Vorsatz auszuführen, denn der Sendador war nicht zu sehen.

In der Bodensenkung, welche von Sträuchern umgeben war, saßen und lagen die Mbocovis, welche wir bereits gesehen hatten. Keiner rührte sich vom Platze, als wir zu ihnen traten; sie starrten uns an, nicht feindselig und auch nicht freundlich. Diese zur Schau getragene Gleichgültigkeit war kein gutes Zeichen für uns; man ersah aus derselben, daß sie uns Freundlichkeit nicht erzeigen wollten und Feindseligkeit nicht zeigen durften und sollten. Penas Blick flog schnell forschend im Kreise umher; ich wußte, weshalb. Er suchte, ob vielleicht ein ihm bekanntes Gesicht zu sehen sei. Welches Resultat er erreichte, zeigte seine befriedigte Miene und die Ruhe, mit welcher die Roten seinem Blicke begegneten. Hätte einer ihn erkannt, so wäre das sicher durch einen Aufblick oder eine Bewegung der Ueberraschung kundgegeben worden. Daß er klug daran gethan hatte, sich so schnell


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über diesen Punkt zu unterrichten, zeigte sich sofort, denn der Yerno sagte:

»Das sind also meine Mbocovis. Vielleicht können Sie mit denselben sprechen. Versteht einer der Herren ihre Sprache?«

»Nein,« log Pena beherzt.

»Leider kein Wort,« antwortete ich der Wahrheit gemäß.

»Wenn wir uns mit ihnen unterhalten sollen, so werden wir Sie also ersuchen müssen, den Dolmetscher zu machen.«

»Das soll geschehen. Setzen Sie sich hier nieder, und sagen Sie, ob Sie Hunger haben!«

»Wir danken. Wir wurden von dem schon erwähnten alten Weibe gespeist, ehe man uns in das Boot brachte. Aber um eine andere Gabe müssen wir Sie bitten. Sie sehen, daß wir vollständig ohne Waffen sind.«

»Sie brauchen keine, denn Sie befinden sich unter unserem Schutze und Schirme.«

»Aber wir werden doch wohl mitkämpfen sollen?«

»Nein. Wir sind genug Leute und werden so schnell über den Feind kommen, daß er gar keine Zeit zur Gegenwehr findet.«

»Geben Sie Pardon, wenn die Tobas darum bitten?«

»Sie müssen alle sterben. Dann werden sich genug Waffen für Sie finden. Es sind doch jedenfalls auch diejenigen noch da, welche man Ihnen abgenommen hat.«

Auch diese Weigerung war ein Beweis, daß dieser Mann nichts Gutes mit uns plante. Doch fühlte ich mich nicht davon beunruhigt, denn er konnte uns erst dann nach dem Leben trachten, wenn er von uns die Stelle erfahren hatte, an welcher sich das Geld des alten Desierto befand. Und das - - sollte er ja nie erfahren.


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Wir ließen uns an der Stelle nieder, welche er uns angedeutet hatte, nämlich mitten im Kreise und ganz nahe am Feuer, so daß wir ringsum von den Roten umgeben waren. Der Yerno wollte uns so sicher wie möglich haben. Als wir nun saßen, sagte er:

»Eine eigentliche Beratung, an welcher alle teilnehmen, kann es nicht geben, da Sie die Sprache meiner Leute nicht verstehen. Sie werden mir also Ihre Ansichten mitteilen, welche ich dann ihnen bekannt gebe. Sind Sie vielleicht über die Lage, in welcher wir die Tobas finden werden, unterrichtet?«

»Sehr genau sogar. Wir horchten die alte Frau aus, welche sehr redselig war, und als man uns aus dem Loche geholt hatte, dauerte es eine Weile, ehe wir in das Boot gelegt wurden. Inzwischen erteilte der Desierto verschiedene Befehle, welche wir mit angehört haben.«

»Das wäre eine große Unvorsichtigkeit gewesen, wenn ich nicht wüßte, daß er ein sehr kluger und vorsichtiger Mann ist. Daß er die Befehle vor Ihren Ohren gegeben hat, beweist also, daß er Sie für sehr ungefährliche Leute hält. Sie scheinen von nicht sehr kriegerischer Gesinnung zu sein! Jetzt weiß ich, warum Sie sich alles so ruhig abnehmen ließen. Warum haben Sie sich denn nicht gewehrt?«

»Wir wollten wohl,« antwortete ich in selbstbewußtem Tone, »aber als wir schießen wollten, gingen unsere Gewehre nicht los. Mein Freund hier hatte das Zündhütchen vergessen, und bei meiner Flinte war der Hahn eingerostet. Ich gab mir alle Mühe, ihn aufzuziehen, doch wurde ich inzwischen zur Erde gerissen!«

»So, solche Leute sind Sie!« lachte er laut auf. »Nun, dann brauchen Sie überhaupt keine Waffen. Ich


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weiß nun sehr genau, woran ich mit Ihnen bin, und Sie mögen mir sagen, wie es im Dorfe an der Lagune steht!«

Er sprach diese Worte geradezu befehlend aus. Es war klar, daß wir uns seiner Achtung gar nicht zu erfreuen hatten. Ich antwortete:

»Das kann ich ganz genau sagen. Das Dorf ist ausgeräumt worden und ganz verlassen.«

»So ist nichts mehr dort zu holen?«

»Gar nichts mehr. Seit ' der Unglücksbote kam, haben die Tobas aus allen Kräften gearbeitet, um ihr ganzes Eigentum nach den Inseln zu schaffen.«

»Auch die Tiere?«

»Auch diese.«

»Das ist höchst fatal! Wie kommen wir hinüber?«

»Nichts ist leichter als das, denn es hängt ein Boot am Ufer.«

»Das ist unmöglich! Diese Kerle werden doch kein Fahrzeug zurücklassen, damit der Feind sich desselben bedienen kann, um sie zu überfallen?«

»Aus diesem Grunde freilich nicht,« antwortete ich halbklug. »Der Desierto hat einige Späher fortgeschickt, welche das Nahen des Feindes erkunden und dann melden sollen. Für diese hängt das Boot am Ufer, sonst könnten sie ja nicht nach der Insel.«

»Ah, so ist es! Das leuchtet mir ein. Wie aber sind denn die Leute auf den Inseln verteilt?«

»Auf der großen, von welcher aus wir an das Ufer, wo Sie auf dem Baume gesessen haben, gerudert wurden, befinden sich die Männer, auf den andern Inseln die Weiber und Kinder mit den Herden und andern Habseligkeiten.«

»Das ist ja ganz vortrefflich, denn da können wir


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die Männer mit einem einzigen Schlage unschädlich machen! Leider aber laufen wir Gefahr, bemerkt zu werden, und das ist sehr schlimm, da wir nicht alle zugleich hinüber können.«

»Es hat keine Gefahr, Sennor, wenn Sie es klug anfangen. Die Chiriguanos wohnen doch im Westen von hier, folglich kommen sie aus dem Westen. Darum wollen die Tobas auf dem westlichen Teile der Insel lagern, um den Feind möglichst bald zu hören.«

»So! Also auf der andern Seite, wo die Bäume sind, ist niemand?«

»Kein Mensch.«

»So können wir dort landen und uns unter den Bäumen verbergen, bis wir alle beisammen sind.«

»Das ist sehr klug. Daran habe ich gar nicht gedacht. Ja, das ist das Beste, denn unter den Bäumen befinden Sie sich im Freien, wo Sie alles sehen können. Das ist also viel besser, als sich im Bethause versammeln, wie ich dachte.«

»Im Bethause? Die Idee ist nicht übel. Kann man denn in das Haus?«

»Ja, denn es ist kein Schloß, sondern nur ein Riegel oder eine Klinke an der Thüre.«

»Vortrefflich. Unter den Bäumen könnten wir gesehen werden, ehe wir stark genug beisammen sind. In dem Hause aber sieht uns kein Mensch. Ich glaube nun zu wissen, was ich brauche, und werde mit meinen Leuten reden.«

Er wendete sich zu den Roten, denen er eine zusammenhängende Rede hielt. Sie hörten ihm aufmerksam zu und warfen zuweilen verächtliche Blicke auf uns. Er sagte ihnen wohl, daß wir nicht nur Dummköpfe, sondern auch Hasenfüße seien. Dann unterhielt er sich


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einige Zeit mit dem Häuptling allein. Ich verstand natürlich nichts. Aber am Schlusse der Unterredung wurde ein Wort wiederholt, welches mir auffiel; es klang wie Horno. Dieses Wort hatte ich in der spanischen Sprache nicht gefunden. Sollte das deutsche >Horn< gemeint sein, welches im Spanischen cuerno heißt?

Eine auch für mich wichtige Bedeutung hatte das Wort jedenfalls, denn Pena sah mich, als es ausgesprochen wurde, mit einem zwar heimlichen aber bedeutungsvollen Blicke an. Sonst aber saß er mit der gleichgültigsten Miene da, und wer ihn auch noch so scharf beobachtete, konnte doch nicht vermuten, daß er jedes Wort verstand.

Endlich war das Zwiegespräch zu Ende, und der Yerno wendete sich wieder an uns beide:

»Da man in jedem Augenblicke das Eintreffen der Chiriguanos erwarten muß, so ist die Eile nötig. Wir sind also entschlossen, schon jetzt aufzubrechen. Sie gehen in unserer Mitte!«

Die Bande erhob sich. Das Feuer wurde ausgelöscht, und dann traten wir die zweite Hälfte unserer Aufgabe an; die erste war gut gelungen. Daß wir während des Marsches in die Mitte genommen wurden, sah ich nicht als ein Zeichen von Mißtrauen an. Man hielt uns jetzt nicht mehr für Menschen, welche geistig genug begabt sind, um in diesem Falle Argwohn zu erwecken. Da ich Arm in Arm mit Pena ging, so befanden wir uns einander so nahe, daß wir uns zuweilen einige leise, ungehörte Worte zuflüstern konnten.

»Wir sollen ermordet werden!« raunte er mir in deutscher Sprache zu.

»Wann?«

»Wenn das Geld gefunden worden ist.«


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»Und was geschieht mit der Goldmine, die wir entdeckt haben wollen?«

»Das Geheimnis soll uns durch Qualen entlockt werden.«

»Was war es mit dem Horno?«

»Ein Mann, welcher bei den Mbocovis gefangen ist. Man hat von dem Desierto Lösegeld für ihn erpressen wollen, was aber nun natürlich nicht als nötig erscheint.«

»Was sprechen Sie?« fragte der Yerno. »Haben Sie etwa Heimlichkeiten?«

»Wir sollen doch nicht laut reden!« antwortete ich.

»Sprechen Sie gar nicht!«

Um nicht etwa erst jetzt noch Argwohn zu erwecken, trennten wir uns und hielten uns so weit voneinander, daß wir gehört worden wären, wenn wir gesprochen hätten. Von Minute zu Minute trat die Gefährlichkeit unserer Lage deutlicher hervor. Es bedurfte nur einer kleinen Berührung mit einer vergifteten Pfeilspitze, so war es um uns geschehen.

Endlich erreichten wir den Carapawald und das Ufer der Lagune. Es ging jetzt nur sehr langsam vorwärts, da der Yerno so vorsichtig war, sich nicht allein auf meine Aussage zu verlassen, sondern mehrere Späher voranschleichen ließ. Die Leute fanden nichts Verdächtiges und machten erst an dem das Dorf jetzt umgebenden tiefen Wassergraben Halt. Der Yerno fand nichts Verdächtiges darin, daß die Tobas ihr Dorf in dieser Weise vor dem ersten Anprall der Feinde geschützt hatten, sandte aber mehrere Leute über den Damm in das Dorf, um nachzusehen, ob dasselbe wirklich verlassen sei. Als sie zurückkehrten, verstand ich ihre Meldung nicht, erfuhr aber später von Pena, daß sie in mehreren Häusern ge-


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wesen [gewesen] waren und dieselben vollständig leer gefunden hatten. Nun schlichen wir nach der Stelle, an welcher das Boot am Ufer lag. Der >Schwiegersohn< untersuchte dasselbe und meinte dann enttäuscht:

»So klein! Es faßt höchstens sechs Mann. Da müssen wir ja zwölfmal fahren! Sucht nach, ob vielleicht noch ein zweites da ist!«

Auch ich und Pena suchten, natürlich vergeblich. Daß man uns diese Freiheit der Bewegung ließ, war ein Zeichen, daß man uns traute. Inzwischen hatte der Yerno sich mit dem Häuptling beraten. Das Resultat dieser Unterredung erfuhren wir, indem der erstere uns fragte:

»Können Sie rudern?«

»Ja,« antwortete ich, erfreut darüber, daß wir wahrscheinlich gleich mit hinüber sollten.

»Auch gut und gewandt?«

»Ganz unhörbar, wenn es sein muß.«

»So werden wir erst einmal rekognoscieren, ob der Weg, welchen wir einschlagen wollen, auch sicher ist. Aber, was ist denn das? Es ist ja hell da drüben!«

»Der Desierto wird ein Feuer brennen. Man sieht es von hier aus nicht deutlich, da sich Büsche dazwischen befinden.«

»So ist er mehr als dumm. Er verrät ja den Ort, an welchem er sich befindet. Also wir fahren jetzt hinüber. Sie rudern. Ich und der Häuptling begleiten Sie. Geben Sie sich Mühe, kein Geräusch zu verursachen!«

Ich stieg mit Pena ein und löste das Boot. Dann kamen die beiden nach. Sie setzten sich nicht, sondern sie legten sich ausgestreckt in den Kahn. Also das hatten sie sich ausgedacht! Wenn man das Boot drüben ja be-


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merkte [bemerkte], so sollten Pena und ich es sein, welche die vergifteten Pfeile in den Leib bekamen!

Natürlich waren wir dieser Gefahr ganz und gar nicht ausgesetzt. Wir langten auf der dunkeln Seite der Insel an, stiegen aus, banden das Boot an und schlichen uns nach dem Bethause. Die Thüre war leicht zu öffnen, und wir traten ein. Die Tobas hatten sich natürlich unter die Bänke versteckt, so daß der Yerno, als er rund um dieselben längs der Mauern herumschritt, nichts fand. Als er wieder zu uns an die Thüre kam, sagte er leise:

»Es ist kein Mensch da. Sie beide bleiben hier, und zwar mit mir. Ich als Anführer muß mich hier befinden. Der Häuptling fährt allein zurück und kommt, nachdem er seine Leute herübergeschickt hat, erst mit dem letzten Trupp.«

Er gab diese Instruktion dem Indianer, welcher sich dann entfernte. Er selbst trat vor die Thüre und blickte nach dem Feuer.

»Es scheinen auch Frauen dabei zu sein,« sagte er. »Ich möchte einmal zählen, wie viele Personen es sind.«

»Wollen Sie hin?« fragte ich.

»Ja. Ich schleiche mich so weit hinan, wie es möglich ist.«

»Das können Sie bequemer haben. Lassen Sie sich tragen!«

»Tragen? Sind Sie des Teufels? Von wem denn?«

»Von mir.«

»Mensch, Sie sind wirklich vollständig verrückt! Mich tragen zu lassen! Ich möchte wissen - -«

»Weshalb ich Ihnen das rate?« unterbrach ich ihn. »Ich will es Ihnen lieber zeigen als sagen; nämlich so, in dieser Weise - -«

Ich legte ihm die beiden Hände um den Hals und


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zog ihn in das Gebäude. Er strampelte ein wenig und lag dann still auf dem Boden.

»Sind Leute da?« fragte Pena jetzt halblaut. »Wir sind es, die beiden Freunde.«

»Ja, wir sind da,« antwortete es in gebrochenem Spanisch. »Sollen wir kommen?«

»Ja. Bindet und knebelt den Kerl.«

Die Tobas waren im Nu bei uns. Als der Yerno die Riemen und auch den Knebel hatte, hob ich ihn auf und trug ihn nach dem Feuer. Als man dort meine Schritte hörte, wendeten sich mir alle Gesichter zu.

»Hier ist der Yerno,« sagte ich, indem ich den Körper zu Boden warf. »Nehmen Sie ihn in Ihre Mitte. Ich mochte ihn nicht allein im Hause lassen, weil er der Unternehmendste von allen ist und auf den Gedanken kommen könnte, uns durch lautes Schnaufen zu verraten.«

»Aber man sieht Sie doch!« warnte der Desierto.

»Nein; die Büsche decken mich.«

»Wir sind in großer Sorge. Wie geht es?«

»Ausgezeichnet; viel besser, als ich vermuten konnte.

Postieren Sie nun mehrere Leute in das Dunkel. Wir bringen Ihnen die jedesmal Ueberwältigten, da ich es doch für geraten halte, sie nicht im Bethause liegen zu lassen.«

Jetzt kehrte ich schleunigst nach dem letzteren zurück, denn es war die Zeit, in welcher die ersten Fünf kommen mußten. Ein Sechster hatte den Kahn zu rudern und fuhr leer zurück.

Wir standen innerhalb des Hauses im Volldunkel. Die fünf kamen. Der Vorderste von ihnen that eine Frage in seiner Sprache; Pena antwortete und wurde also für den Yerno gehalten. Die Kerle traten ein und fühlten im nächsten Augenblicke unsere Hände um ihre


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Kehlen. Als sie unschädlich gemacht worden waren, wurden sie hinausgetragen zu den Leuten, welchen der Desierto inzwischen befohlen hatte, die Gefangenen zu bewachen. So erging es jedem einzelnen Trupp, und es kam nicht ein einziges Mal vor, daß einer der Mbocovis Mißtrauen gefaßt hätte. Sogar der zu allerletzt ankommende Häuptling kam so getrost zur Thüre herein, als ob er da zu Hause sei.

Die ganze Prozedur hatte ein wenig über eine Stunde gedauert. Als ich dem Desierto meldete, daß das schwierige Werk gelungen sei, wollte er es kaum glauben. Nur als er die Männer mit seinen eigenen Augen liegen sah, kam ihm die Ueberzeugung, daß wir fertig seien.

»Gott sei Dank!« seufzte er erleichtert auf. »Ich habe große Angst ausgestanden, weniger um uns als vielmehr um Sie beide. Wie aber haben Sie das fertig gebracht?«

Pena erzählte es ihm einstweilen in großen Zügen, und ich fügte hinzu:

»Nun meinen Sie aber nicht, daß die Gefahr vorüber sei! Die eigentliche und größere kommt erst noch. Der Sendador ist selbst im Anzuge mit einer noch viel zahlreicheren Schar. Der Yerno sagte es.«

»Dem Himmel sei Dank!«

»Wie! Sie erschrecken nicht?«

»Nein, sondern ich freue mich. Wir werden diesem Menschen das Handwerk legen.«

»Wir sind vielleicht zu schwach dazu.«

»O nein. Nachdem ich gesehen habe, was Sie wagen und fertig bringen, fühle ich mich stark genug. Sennor, ich habe Sie sehr um Verzeihung zu bitten. Ich traute Ihnen beiden nichts Gutes zu; ich beleidigte Sie; ich - -«

»Pah! Sprechen Sie nicht davon!« unterbrach ich


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ihn. »Wir haben zunächst Anderes und Nötigeres zu thun. Senden Sie einige Kundschafter aus, welche die Annäherung des Sendadors erlauschen mögen. Damit aber ist's noch bis gegen morgen Zeit. Jetzt müssen wir vor allen Dingen die Gefangenen in Sicherheit bringen. Giebt es keinen Ort, von welchem sie nicht befreit werden können?«

»Halten Sie sie hier nicht für sicher? Wir haben ja rundum Wasser.«

»Aber nicht genug Leute zur Bewachung, wenn wir gegen den Sendador kämpfen müssen. Auch wissen wir nicht, wie dieser Kampf endet. Bleibt er Sieger, wenn auch nur für kurze Zeit, so befreit er diese Leute.«

»So müssen wir sie auf meinen Felsen schaffen. Es giebt dort Räume, die ich Ihnen noch gar nicht zeigen konnte.«

»Aber wie bringen wir sie hinauf? Sie einzeln am Baume empor tragen, das ist doch unmöglich!«

»Auch gar nicht nötig. Ich bin auch darauf vorbereitet, größere Lasten emporzuschaffen. Zu diesem Zwecke giebt es eine Art Grua (* Krahn.) oben, der mehrere Mann trägt. Aber ich habe mir diese Menschen nur angesehen, und noch mit keinem gesprochen. Wollen wir nicht ein Verhör mit ihnen anstellen?«

»Jetzt nicht. Vor allen Dingen hinauf auf den Felsen mit ihnen! Und damit sie dann nicht wissen, wo sie sich befinden, lassen Sie ihnen die Augen verbinden. Die Knebel wollen wir ihnen jetzt nehmen, denn nun können sie schreien und lärmen wie es ihnen beliebt, ohne daß wir einen Schaden davon haben.«

Der Desierto erteilte die nötigen Befehle. Auf einige laute Rufe kamen die Boote von den anderen Inseln


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herbei; auch die Fähre wurde geholt, mit deren Hilfe die Mbocovis bequemer hinüber nach dem Ufer geschafft werden konnten.

Es herrschte ein unbeschreiblicher Jubel unter den Tobas. Die Gefangenen hatten Schimpfreden anzuhören, wie sie nur ein südlicher Indianer sich auszusinnen vermag. Ich stand von ferne mit Pena, welcher mich fragte:

»Wollen wir nicht auch mal hin zu den Gefangenen?«

»Ich nicht, wenigstens jetzt nicht. Warten wir, bis sie sich oben auf dem Felsen befinden. Ich habe mit dem Yerno ein ernstes Wort zu reden.«

»Worüber?«

»Ueber jenen Horno, von welchem die Rede gewesen ist. Wie lange befindet sich dieser Mann bei den Mbocovis?«

»Davon wurde nicht gesprochen. Es war eben eine flüchtige Erwähnung. Der Häuptling meinte, wenn man den Desierto ausraube, brauche man von ihm kein Lösegeld für Horno zu verlangen und könne diesen nun töten.«

»Mir fällt auf, daß der Desierto das Geld hat zahlen sollen.«

»Vielleicht ist Horno ein Verwandter von ihm.«

»Ich habe eine andere Vermutung. Horno ist ein Deutscher, Namens Horn, und zwar ist er derjenige junge Mann, welcher im Verdachte steht, mit dem Gelde des Desierto davongegangen zu sein.«

»Wetter! Wie kommen Sie auf diese Idee?«

»Auf die leichteste Weise der Welt. ein deutscher Name, der Desierto als Zahler des Lösegeldes; das genügt mir einstweilen. Der junge Mann hat durch den Gran Chaco gemußt, ist überfallen, ausgeplündert und


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gefangen genommen worden. Die Roten dieser Gegend unternehmen doch, wie man allgemein weiß, große und weite Züge, um Menschen zu rauben und dann Lösegelder zu erpressen. Horn hat gesagt, daß der Desierto ihn loskaufen werde; er hat vielleicht gar von dem großen Reichtume des Alten gesprochen, und da haben die Mbocovis, von dem Sendador und dem Yerno veranlaßt, es vorgezogen, sich das ganze Vermögen anstatt nur ein Lösegeld zu holen.«

»Hm! Das klingt ganz einleuchtend. Wir müssen es natürlich sofort dem Desierto mitteilen!«

»Nein! Wir dürfen nicht eine Hoffnung in ihm erwecken, welche vielleicht nicht in Erfüllung geht. Ich frage zunächst den Yerno.«

»Er wird nicht antworten.«

»So löse ich ihm die Zunge mit der Peitsche.«

»Ah, Sie sind doch stets und streng gegen solche Gewaltthätigkeiten gewesen!«

»Mit vollem Rechte. Hier aber ist eine Ausnahme vorhanden. Hat dieser Yerno nicht uns beide morden wollen? Beabsichtigte er nicht, den Tobas den Pardon zu versagen? Und sollen wir einen solchen Halunken schonen, nur damit ein braver Mann länger bei den Mbocovis schmachtet und endlich, wie wir vernommen haben, gar ermordet wird? Nein, der Mann bekommt Prügel nach Zweiunddreißigstel-Noten, wenn er nichts gesteht. Wir nehmen ihn sofort vor, sobald er sich auf dem Felsen befindet.«

»Wir beide allein?«

»Wir beide und zwei Indianer, welche die Peitsche führen.«

»So kommen Sie! Wir sind ja fast die letzten hier auf der Insel.«


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Er hatte recht. Wir kamen gerade noch zur rechten Zeit, um in dem einzigen noch vorhandenen Kahn, welcher sich zur Abfahrt anschickte, notdürftig Platz zu finden. Man hatte uns ganz vergessen, uns, die wir nach Penas Ansicht die Hauptpersonen des heutigen Abends waren.

Das Ufer bot jetzt einen fast feenhaften Anblick. Es waren Fackeln herbeigeschafft worden. Alle Welt war von den Inseln gekommen, um die Gefangenen zu sehen, und alle Welt, weiblich und männlich, trug eine brennende Fackel in der Hand. Man hatte den Mbocovis die Füße freigegeben, daß sie laufen konnten, aber ihre Gesichter oder vielmehr die ganzen Köpfe waren mit Bastmatten umwickelt worden. Sie wurden von den Kriegern geführt. Voran und hinterher schritten die Amazonen mit ihren Waffen, an der Spitze Unica, welche ich für heute abend zum erstenmale sah, da sie auf der Hauptinsel nicht gewesen war. Hinter ihr stieg der Tambour einher, welcher den größtmöglichen Lärm machte. Dann folgten die Dorfbewohner bunt durcheinander, lachend, schreiend, jubelnd. Es war ein wahrer Hexensabbath, bei welchem ich nicht die Gedanken und Gefühle der Gefangenen hätte haben mögen, welche nach dem Brauche des Gran Chaco unbedingt ihr Leben verwirkt hatten.

An der einen Seite des Felsens wurde Halt gemacht. Rufe erschollen von oben, und ein starkes Tau wurde herabgelassen. Man befestigte einen Gefangenen nach dem andern daran, um sie einzeln emporzuwinden. Wohin sie verschwanden, konnte ich nicht sehen, da das Licht der Fackeln nicht so hoch reichte.

Wir beide hielten uns auch jetzt fern und sahen von weitem zu. Dann gingen wir zur Algarobe, um hinaufzuklettern und zu versuchen, ob wir Eingang finden würden. Die Thüre stand offen und wir traten ein.


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Im Vordergrunde brannte ein Talglicht; ebenso fanden wir in jedem Raume, durch welchen wir kamen, eins. Es galt zunächst, uns umzukleiden, was in zwei Minuten geschehen war. Dann gingen wir weiter bis in die große Rinden-Niederlage, wo wir wohl ein Dutzend Indianer und auch den Desierto fanden, welche mit den Gefangenen beschäftigt waren.

Man hatte im hinteren Teile dieses Raumes die Wand von den aufgestapelten Rinden frei gemacht, und da sah ich einen vorher verborgenen Eingang zu einem langen, niedrigen Gewölbe, in welchem ganz regelrecht geböttcherte Fässer lagen. Zwischen diese legte man die Gefangenen nieder, denen man die Füße wieder gebunden hatte.

»Denken Sie, daß sie sicher hier sind?« fragte mich der Desierto mit einer Miene, welche sehr deutlich die Erwartung ausdrückte, daß ich über diese neue Räumlichkeit erstaunen werde.

»Vollständig!« antwortete ich. »Hier holt sie selbst der Sendador nicht heraus.«

»Nein, sondern wir holen ihn herein! Nachdem ich mit dem Boote von dem Ufer, an welches ich Sie beide gebracht hatte, zurückgekehrt war, habe ich sofort zwei Eilboten abgesandt, welche meine von ihrem Zuge zurückkehrenden Krieger zur größten Schnelligkeit ermahnen sollen. Ich hoffe, daß sie eher da sein werden als der Sendador. Dann aber wehe ihm!«

»Und wenn er eher kommt?«

»So greifen wir abermals zur List.«

»Zu welcher?«

»Hm!«

Er blickte sinnend nieder, und sein bisher so zuversichtliches Gesicht nahm einen recht bedenklichen Ausdruck an.


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»Das Brummen bringt uns nicht weiter,« sagte ich. »Mit Hm und wieder Hm fangen wir keinen Sendador.«

»Das weiß ich, Herr, und darum werde ich es Ihnen überlassen, sich einen Plan auszudenken.«

»Jetzt schwerlich. Ich bin im höchsten Grade abgestumpft und ermüdet, wie Sie sich wohl denken können. Ich und Sennor Pena müssen unbedingt schlafen.«

»Ich denke, Sie sollen mir Ihr heutiges Abenteuer noch erzählen, ausführlicher, als es vorhin geschehen konnte!«

»Heben wir das für morgen auf! Wer weiß, was der morgende Tag für Ansprüche an uns macht, und da müssen wir ausgeruht haben.«

»So schlafen Sie! Aber wie nun, wenn der Sendador während der Nacht kommt?«

»Das ist unmöglich. Senden Sie ihm beim Grauen des Tages Kundschafter entgegen!«

»Weiß ich denn die Richtung, aus welcher er kommen wird!«

»Wenn Sie nicht, so weiß ich sie. Er wird sicherlich genau auf der Fährte kommen, welche die Mbocovis gemacht haben; sie mag also Ihren Kundschaftern als Wegweiser dienen. Doch müssen diese Leute barfuß gehen und, sobald sie den Feind erblicken, genau auf ihren eigenen Stapfen umkehren. Dann wird man ihre neue Spur von der alten der Mbocovis nicht unterscheiden können.«

»Wollen wir denn nicht wenigstens die Gefangenen verhören?«

»Sie erfahren nichts von ihnen. Warten wir bis morgen. Wenn Sie ernstlich wünschen, daß wir Ihnen dienlich sein sollen, so gönnen Sie uns die Ruhe!«

»Nun wohl, ich will nicht weiter in Sie dringen und werde Ihnen eine Stube anweisen.«


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»Danke! Wir schlafen im Grase Ihres Gartens, welches für uns das beste und bequemste Lager ist.«

»Aber, Herr, was denken Sie! Zwei Deutsche, welche meine Retter sind, soll ich unter dem freien Himmel im Grase schlafen lassen? Dazu haben Sie bei all den Anstrengungen noch nicht gegessen!«

»Ist nicht notwendig. Wir wollen nur Ruhe, weiter nichts. Für alles übrige ist nach dem Schlafe auch noch Zeit. Vergessen Sie die Kundschafter nicht! Das ist das Einzige, was ich Ihnen einzuschärfen habe, und nun gute Nacht!«

Ich nahm Pena beim Arme und zog ihn mit mir fort. Der Desierto wollte uns folgen, jedenfalls um uns noch weitere freundschaftliche Vorstellungen und Anerbietungen zu machen; ich schob ihn aber zurück. Er war jetzt ein ganz anderer als vorher. Das Starre, Todesähnliche war verschwunden; er hatte Geist, Farbe und Leben bekommen.

Draußen im Garten streckten wir uns im Gras nieder. Unten am Felsen erscholl noch die Trommel; schrille Pfeifen und harte Klappern fielen ein; hundert Stimmen sangen, jede derselben klang anders. Man hätte glauben sollen, daß es ganz unmöglich sei, bei einen solchen Lärme einzuschlafen; aber ich lag kaum auf dem Rasen, so fielen mir die Augen zu, und nur wie im Traume hörte ich eine weibliche Stimme rufen:

»Sennores, wo sind Sie?«

Pena brummte, auch er war bereits im Entschlummern gewesen.

»Sennores, Sennores!« rief es wieder.

»Ah! da sind wohl wir gemeint?« fragte der Gefährte.

»Vermutlich. Es ist Unicas Stimme.«


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Das Mädchen kam näher. Wir wollten uns nicht als Grashüpfer erwischen lassen und antworteten also nicht; aber sie entdeckte uns doch. Pena blieb liegen, als ob er fest schlafe; ich aber setzte mich auf, reichte ihr die Hand entgegen und fragte:

»Sie wollen uns gute Nacht sagen, Sennora?«

»Ja, gute Nacht und Dank.«

»Das erste nehme ich an; das zweite aber nicht.«

»Sie müssen! Sie haben uns gerettet, und doch achtet niemand auf Sie. Der Oheim hat mir gesagt, daß Sie nirgend anderswo schlafen wollen als hier, und ich kann Sie zu keiner Aenderung dieses Entschlusses bringen; aber meinen Dank muß ich Ihnen mit in den Schlummer geben.«

»Wieder Dank! Nun, ich will Ihnen sagen, wie Sie uns noch heute recht herzlich danken können. Nennen Sie uns den Namen, welchen der Oheim verschwiegen wissen wollte.«

»Herr, warum gerade das?«

»Den Grund sage ich Ihnen am Tage. Also bitte, wie hieß jener untreue, undankbare Deutsche?«

Sie zögerte eine Weile, dann erklang es leise:

»Adolf Horn. Aber jetzt Sennor, muß ich fort. Gute Nacht.«

Sie eilte der Thüre zu.

»Halt, Sennora, noch eins!« rief ich ihr nach.

»Ich darf nicht mehr sagen!« antwortete sie zurück. »Gute Nacht!«

»Sie sollen auch nichts sagen, sondern ich will Ihnen was mitteilen.«

Sie blieb stehen.

»Was denn, Sennor?«

»Sennor Adolfo Horno ist vollständig unschuldig.«


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»Adolfo Horno! Sie wissen, wie sein Name hier ausgesprochen wurde! Sie sagen, er sei unschuldig! Himmel! Woher wissen Sie es? Sagen Sie es - schnell, schnell!«

Sie stand schon wieder bei mir.

»Jetzt nicht, Sennora,« antwortete ich. »Ich habe heute gehört, daß dieser brave junge Mann sich unterwegs nach hier befindet, und hoffe, daß Sie ihn recht bald sehen werden.«

»Das sagen Sie in diesem kalten Tone! Sennor, von wem haben Sie es erfahren?«

»Von - von - - aber bitte nun endlich, Sennora, ich muß schlafen!«

»Sie, ja! Aber ich werde nun nicht schlafen können!«

»Das schadet Ihnen nichts, denn Ihr Geist wird sich auch im Wachen mit etwas sehr Angenehmem beschäftigen.«

»Sennor, ich muß gehorchen. Aber wissen Sie vielleicht - -«

»Nun, was?«

»Daß Sie es gar nicht verstehen, mit einer jungen Sennorita umzugehen?«

»Das weiß ich leider schon längst. Und nun bitte, gehen Sie zum Oheim, und sagen Sie ihm, daß er Herrn Horn aus Graz sehr unrecht gethan hätte. Er soll aber ja nicht auch noch kommen, um mich zu fragen. Gute Nacht!«

»Ja, ja, Sie haben recht. Der Onkel muß es sofort erfahren. Gute Nacht!«

Jetzt ging sie in Wahrheit fort.

»Hm!« brummte Pena. »Er ist es also doch!«

»Natürlich! Ich hatte das sichere Gefühl, daß ich mich da nicht irren könne.«


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»Dann Prosit die Mahlzeit, Sennor Yerno! Morgen bricht jedenfalls nicht der schönste Tag deines Lebens an!«

Das dachte ich auch; eine halbe Minute später aber dachte ich überhaupt nichts mehr, denn ich war eingeschlafen. Der reiche Sauerstoff macht, wenn man im Freien schläft, daß man viel eher erwacht und sich mehr gestärkt und erquickt fühlt, als wenn man im Zimmer geschlafen hat. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als ich mir den Tau von der Jacke schüttelte und aufstand. Pena erwachte von dem Geräusch dieser Bewegung und sprang auch auf.

»Guten Morgen! Wieder munter?« grüßte er.

»Gruß zurück! Wie eine Forelle.«

»So kann es also mit dem Yerno losgehen?«

»Ja. Aber vorher wollen wir ein Bad nehmen. Kommen Sie!«

»Dann wecken wir den Desierto auf!«

»Nein. Wir laufen gleich am Krahn hinunter.«

»Wenn Sie das laufen nennen, so möchte ich Sie dann auch einmal klettern sehen!«

Der Krahn stand von gestern abend noch aufgerichtet. Er bildete ein Balkendreieck, von dessen nach außen über die Mauer hinaus gerichteter Spitze das Tau noch hinunter hing. Durch einen ebenso einfachen wie sinnreichen Mechanismus war er sowohl zu bewegen als auch auseinanderzunehmen und wieder zusammenzufügen. Der alte Desierto hatte wirklich hier in dieser Wildnis außerordentlich viel zustande gebracht. Ich kletterte an dem schrägen Balken hinaus bis zum Seile und ließ mich an demselben hinab. Pena folgte mir. Als wir unten angelangt waren, kam ihm ein Bedenken.

»Baden?« sagte er. »Es giebt ja Krokodile massenweise in der Lagune!«


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»Ich sah eine Stelle, wo es gewiß keine giebt. Kommen Sie nur!«

Etwas aufwärts vom Landeplatze war ein Viereck abgedämmt, welches den Indianern jedenfalls als Badebassin diente. Dort erquickten wir uns in dem frischen Wasser und gingen dann ins Dorf, wo alles bis auf einen einzigen Menschen noch zu schlafen schien. Dieser Einzige stand an der Thüre und sah nach dem Wetter aus, gerade wie ein deutscher, civilisierter Spießbürger des Morgens seinen Kopf aus der Thüre steckt, um zu erfahren, ob es Sonnenschein oder Graupelwetter geben werde. Er hatte zu den Männern gehört, welche gestern in dem Bethause postiert waren, und konnte ein wenig spanisch radebrechen. Das war mir lieb. Ich sagte ihm, er solle noch einen kräftigen Kameraden holen und dann mit uns kommen. Er ging, um diesen Befehl auszuführen, und kam bald mit noch einem Indianer. Sie folgten uns, nachdem wir ihnen gesagt hatten, daß wir hinauf auf den Felsen wollten. Da, wo das Seil des Krahnes die Erde berührte, blieb ich stehen und warf Pena einen fragenden Blick zu. Er nickte lächelnd, und so ergriff ich das Tau und turnte mich empor. Pena that dasselbe. Wir riefen den beiden Roten zu, uns zu folgen, und sie gehorchten. Oben angekommen, schwang ich mich auf den schrägen Balken, um nach dem Garten hinüberzurutschen. Pena war hart hinter mir. Da bot sich uns, indem wir abwärts blickten, ein höchst interessantes Bild.

Der erste Rote hatte ziemlich die Hälfte des Seiles, der zweite aber den vierten Teil desselben zurückgelegt. Beide konnten nicht weiter, schämten sich aber, dies einzugestehen. Sie blickten bald zu uns herauf und bald zur Erde nieder, bis den ersten die Kraft verließ. Er


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sauste am Seile nieder und dem zweiten mit solcher Gewalt auf den Kopf, daß dieser sich nun auch nicht zu halten vermochte und beide mit einem höchst erklecklichen Plumps die liebe Mutter Erde begrüßten und noch eine Anzahl Purzelbäume schlugen. Der Indianer ist durchschnittlich ein schlechter Kletterer.

Wir befanden uns schon eine ganze Weile im Garten, als sie dort eintrafen. Sie hatten den gewöhnlichen Weg über die Algarobe eingeschlagen und den einen Diener des Alten wach gefunden. Nun kamen sie mit ihm herangehinkt, daß es eine Lust und Freude war.

Auf meine Frage erfuhr ich, daß der Desierto erst mit Tagesanbruch zur Ruhe gegangen sei, nachdem er die Kundschafter instruiert und fortgesandt habe. Dann verlangte ich, man solle uns den Yerno heraus in den Garten holen.

Die drei brachten ihn geführt, nachdem sie ihm die Beinriemen gelöst hatten. Er sah ganz übernächtig aus, was kein Wunder war, da er jedenfalls nicht eine Minute geschlafen hatte, und machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht, als er uns erkannte. Welches Spiel wir mit ihm getrieben hatten, darüber war er sich nun wohl klar, aber daß wir heute andere und weit bessere Anzüge trugen als gestern, das schien er nicht begreifen und erklären zu können.

»Buenos dias, Sennor!« grüßte ich ihn. »Wie haben Sie geschlafen?«

Sein dunkles, unstätes Auge warf mir einen Blick unsagbaren Grimmes zu; dann antwortete er mit fast knirschender Stimme:

»Schuft! Sogar der Teufel wird dich einst verschmähen!«

»Was mir sehr lieb sein kann! Doch bevor Sie den


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Mund noch einmal öffnen, will ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich gern höflich bin und mich ebenso gern höflich behandeln lasse. Um Ihretwillen hoffe ich, Sie haben eingesehen, daß Sie es weder mit Hasenfüßen noch mit Dummköpfen zu thun haben. Ihre Klugheit und Logik ist gräßlich an unserm schlichten Verstande zu Grunde gegangen, und so ist es Ihnen wohl anzuraten, sich eines besseren Tones zu bedienen. Jetzt werden Sie mir sagen, wie Sie heißen!«

»Ich habe es Ihnen gestern gesagt.«

»Sie heißen nicht Arbolo.«

»Ich habe es gesagt und folglich heiße ich so. Ich bin kein Lügner, wie ihr beide.«

Wenn er der Ansicht gewesen war, daß wir uns auch diese dritte Grobheit gefallen lassen würden, so hatte er sich sehr geirrt. Wir beide waren zwar um unsere Pferde, nicht aber um die Peitschen gekommen, die an unsern Gürteln hingen. Ich griff nach der meinigen, um den Buben zu züchtigen, da aber flog ihm schon diejenige Penas über das Gesicht, daß der Getroffene fast hintenüber gestürzt wäre.

»Da hast du die Antwort, Schurke!« sagte Pena in aller Ruhe. »Ein Raubmörder, wie du bist, bekommt für jede freche Antwort einen solchen Hieb. Das merke dir. Ich bin Pena, der deutsche Cascarillero. Vielleicht kennst du meinen Namen.«

»Pena!« entfuhr es dem Yerno. Er war erschrocken, faßte sich aber schnell und fuhr fort: »Ich kenne weder Sie, noch Ihren Namen. Wer Sie sind, ist mir sehr gleichgültig!«

»Sie werden nicht ewig gleichgültig bleiben,« antwortete ich ihm. »Sie wollten die Tobas überfallen und ohne Gnade niedermetzeln. Sie wollten mich und Pena töten und - -«


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»Wer hat das gesagt?« unterbrach er mich.

»Sie selbst. Sie sind nicht der einzige Weiße, welcher die Sprache der Mbocovis versteht! Wir kennen jedes Wort, welches gestern gesprochen wurde. Wir haben Sie auch nicht etwa gestern zum erstenmale gesehen, sondern wir beide belauschten Sie und sind Ihnen vorausgeeilt, um dem viejo Desierto Ihre Ankunft zu melden.«

Er stieß einen zischenden Pfiff aus, sagte aber nichts.

»Und ebenso haben wir ihn von der zu erwartenden Ankunft Ihres Schwiegervaters benachrichtigt,« fuhr ich fort.

»Schwiegervater?« fragte er. »Soll ich etwa einen haben?«

»Natürlich, den Sendador.«

»Ich bin ja unverheiratet!«

»Und werden von den Mbocovis doch nur Yerno genannt? Machen Sie sich nicht lächerlich. Doch, das sind Nebensachen. Ich habe Sie aus einem andern Grunde zu mir kommen lassen. Sie kennen einen jungen Mann, welcher Adolfo Horno heißt?«

Er zuckte zusammen, antwortete aber doch:

»Nein.«

»Sie haben doch gestern zum Häuptlinge der Mbocovis von ihm gesprochen?«

»Das ist eine Lüge!«

»Mann, wahren Sie Ihre Zunge! Wir dulden kein solches Wort mehr! Wir haben gehört, was Sie sprachen. Sie haben für diesen Sennor Horno von dem Desierto ein Lösegeld erpressen wollen. Nach dem Siege über die Tobas sollte er ermordet werden.«

»Das ist nicht wahr.«

»Sie wissen nicht, wo dieser Mann ist, kennen ihn wohl gar nicht?«


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»Nein.«

»Das thut mir leid um Ihretwillen. Ich will erfahren, wo er sich befindet, und also werde ich es erfahren; ist's nicht auf die eine, sodann auf die andere Weise. Wollen Sie es mir freiwillig sagen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ganz wie Sie wollen! Ich werde Sie so lange peitschen lassen, bis Sie mir den Ort nennen.«

»Das wagen Sie ja nicht!« fuhr er auf. »Sie haben kein Recht dazu!«

»Wir sind im Chaco, folglich habe ich das Recht. Also, wollen Sie gestehen?«

»Ich weiß nichts. Hauen Sie zu! Ich lache Sie doch aus!«

Der Mensch wurde an den Baum gebunden mit dem Rücken nach auswärts. Die beiden Indianer bekamen unsere Peitschen und schlugen aus Leibeskräften zu, abwechselnd, jeder einen Hieb. Ich wendete mich ab und zählte. Nach dem vierzigsten Hiebe drehte ich mich wieder um. Er wandte uns das Gesicht zu, hatte die Zähne zusammengebissen und sah uns hohnlachend an. Nach dem sechzigsten Hiebe bestand sein Rücken aus blutigen Fleisch- und Kleiderfetzen, dennoch grinste er uns noch höhnisch an und sagte kein Wort.

»Immer weiter!« rief Pena. »Schlagt nur zu, bis er gesteht, und wenn ihr den Hund totprügelt!«

»Nein,« sagte ich. »Haltet ein! Wer soll das ansehen!«

Da stieß der Exekutierte ein heiseres Gelächter aus und brüllte:

»Hört das Weib! Er kann das Blut nicht ansehen! Schlagt nur immer zu! Haut mir die Knochen entzwei! Reißt mir die Eingeweide heraus! Aber er-


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fahren [erfahren] sollt ihr doch nicht, wo sich dieser Horno befindet!«

»Doch Sie wissen es?« fragte ich.

»Ja, ich weiß es,« antwortete er. »Gerade um euch zu zeigen, wie ich euch nur auslache, will ich es sagen, daß ich selbst es bin, der ihn gefangen hat. Weiter aber erfahrt ihr kein Wort, und wenn ihr mir die Glieder mit glühenden Zangen auseinander reißt!«

»Solcher Anstrengungen bedarf es nicht. Sie werden uns flehentlich bitten, es uns sagen zu dürfen, und wir werden es nicht hören wollen!«

»Bitten? Flehen? Niemals, nie!«

»Noch heute, noch an diesem Vormittage werden Sie mich um Gotteswillen bitten, das Wort anzuhören, welches Sie mir jetzt verweigern.«

»Das thue ich nicht, und wenn ich alle Qualen der Hölle erdulden sollte!«

»Pah! Sie werden das Wort laut herausbrüllen, herausschreien, damit wir es hören sollen. Bindet ihn anders, so daß er auf dem Rasen sitzt und mit dem Rücken an dem Stamme lehnt. Bindet ihm auch den Kopf fest, so daß er ihn nicht um ein Haar breit bewegen kann!«

Während die beiden Indianer dieser Weisung gehorchten, holte ich den hohlen Teil eines Tagoarabambus herbei, welcher in der Nähe lag und wohl als kleines Wassergefäß benutzt worden war. Dieser hohle Cylinder war vielleicht zehn Centimeter im Durchmesser. Ich arbeitete mit der Messerspitze ein kleines Löchelchen durch den Boden und verschloß dasselbe dann mit einem Holzpflöckchen in der Weise, daß das Wasser nur in einzelnen, langsamen Tropfen hindurchquellen konnte. Der Diener mußte das Gefäß mit Wasser füllen, und dann


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wurde es hoch über dem Kopfe des Yerno an den Stamm gehängt. Ich hatte es so getroffen, daß vielleicht alle vier Sekunden ein kleiner Tropfen drei Ellen hoch auf die Mitte des Schädels des Yerno fiel. Dann rasierte ich mit der Schärfe meines Bowiemessers das Haar von dieser Stelle.

Der >Schwiegersohn< hatte das alles wortlos geschehen lassen und mit angesehen. Jetzt lachte er trotz der Schmerzen, welche sein zerpeitschter Rücken ihm verursachen mußte, geradezu brüllend auf und geiferte dabei hervor:

»Jetzt werde ich rasiert und frisiert! Und das soll mich zum Geständnisse bringen? Ihr seid alle reif für das Narrenhaus!«

Ich winkte den drei Indianern, sich zu entfernen und nahm Pena am Arme, um ihn in die nächste Laube zu führen.

»Aber, lieber Freund,« fragte er dabei, »was ist das denn eigentlich für ein Kunststück, welches Sie da produzieren wollen? Ich verstehe es nicht und begreife es nicht.«

»Ein Kunststück ist es nicht, sondern eine ganz kunstlose, natürliche Prozedur, welche den Menschen zwingen wird, mir die verlangte Antwort zu geben.«

»Diese Wassertropfen sollen das erwirken, was die Prügel nicht zustande gebracht haben?«

»Ja, das werden sie!«

»Unbegreiflich! Sie haben doch den Rücken dieses Menschen gesehen. Der Anblick war geradezu schrecklich! Und welche Folgen hatte es? Er lachte uns aus und verhöhnte uns. Ein Geständnis aber gab er nicht. Und was dieser zerfleischte Rücken, was diese Wunden nicht vermocht haben, das erhoffen Sie von dem armseligen


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Wassertropfen, welcher ihm auf den Kopf fällt? Das wäre das größte Wunder, welches ich gesehen habe!«

»Wollen Sie einen ganz natürlichen Vorgang ein Wunder nennen, so habe ich nichts dagegen. Aber sagen Sie, haben Sie vielleicht schon einmal das deutsche Wort >prügelfaul< gehört?«

»Ja. Das ist die Unempfindlichkeit gegen Schläge.«

»Ja. Fragen Sie Eltern und Lehrer; fragen Sie Stockmeister und Korporale, nämlich wenn die letzteren aus der militärischen Prügelzeit noch lebten! Sie würden erfahren, daß es Personen oder Subjekte giebt, welche die Schläge gar nicht zu fühlen scheinen, welche desto mehr lachen, je stärker und dicker die Prügel fallen. Vielleicht gehört der Yerno zu diesen Leuten, welche Nerven von der Stärke und Unempfindlichkeit der Schiffstaue zu besitzen scheinen. Nun, wenn die Nervenverzweigungen so widerstandsfähig sind, so muß man sich an die Nervenquelle, an das Gehirn wenden. Vielleicht ist dieses empfänglicher gegen schmerzhafte Einwirkungen.«

»Nennen Sie das Gefühl, welches der Wassertropfen hervorbringt, einen Schmerz?«

»Nein; aber eine unausgesetzte Folge von Tropfen, welche nacheinander auf eine und dieselbe Stelle fallen, bringt eine Wirkung hervor, mit welcher sich kein anderes Schmerzgefühl vergleichen läßt. Die Wirkung muß, wenn sie nicht rechtzeitig unterbrochen wird, unbedingt zum Wahnsinn führen. Haben Sie noch nicht gehört, daß die amerikanischen Sklavenbesitzer diese schreckliche Strafe gegen ungehorsame Schwarze oft und viel in Anwendung brachten?«

»Nein.«

»Nun, ich bin Zeuge solcher Vorgänge gewesen. Ich habe einen Neger und eine Negerin, seine Frau, in der


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sogenannten Tropfhütte sitzen sehen; beide waren so gefesselt, daß sie weder ein Glied, noch den Kopf bewegen konnten, und die Tropfen fielen ihnen in regelmäßigen Intervallen auf die Köpfe. Sie brüllten wie wilde Tiere, und der Schaum triefte ihnen über die Lippen. Diese Strafe mußten sie erleiden, weil sie ihre Kinder nicht hatten hergeben wollen, welche früh an einen Händler verkauft worden waren. Ich machte dem Pflanzer, dessen Gast ich war und dem ich einen großen Dienst geleistet hatte, so daß er mir eine nicht gewöhnliche Dankbarkeit schuldete, freundliche Vorstellungen, und er ließ mich dafür durch seine zwei Sklavenaufseher aus der Pflanzung weisen oder vielmehr werfen.«

»Dieser Schuft! Dem hätte ich - - -« Er machte zwei Fäuste und fragte dann: »Und Sie sind ruhig gegangen? Das stimmt keineswegs mit Ihren sonstigen Eigenheiten!«

»Ja, es würde nicht stimmen, wurde aber stimmend gemacht, denn des Nachts war ich heimlich wieder auf der Plantage und holte das schwarze Ehepaar heraus. Gesehen habe ich da, welche entsetzliche Wirkung die Tropfhütte oder der Tropfstuhl hat. Es wird keine Stunde vergehen, so können Sie diese Wirkung an dem Yerno beobachten.«

Unser Gespräch wurde unterbrochen, denn Unica kam, um uns den Mate zu bringen. Sie wollte die gestern abgebrochenen Fragen wieder beginnen, wurde aber durch den alten Desierto gestört, welcher nicht hatte schlafen können und zu uns heraus kam.

Er wunderte sich darüber, daß wir den Yerno schon im Garten hatten, und konnte die Situation nicht begreifen, in welcher dieser sich befand.

»Das geschieht unsers Landsmannes wegen, den Sie


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für einen Wortbrüchigen und Betrüger gehalten haben,« erklärte ich ihm.

»Meinen Sie etwa Horn?« fragte er.

»Ja. Sehen Sie, wie Sie nun auf einmal den Namen aussprechen können!«

»Weil Unica mir gestern abend noch erzählt hat, daß Sie ihn für unschuldig halten und daß er unterwegs nach hier ist. Ich habe deshalb nicht schlafen können und komme also so früh zu Ihnen, um Sie um Aufklärung zu ersuchen. Sie können denken, was Ihre Worte für einen Eindruck auf mich und Unica gemacht haben. Sagen Sie, wissen Sie wirklich etwas über ihn, oder haben Sie uns nur trösten oder beruhigen wollen?«

Seine Augen waren mit großer Spannung auf uns gerichtet, und auch die schöne Indianerin sah mich an, als ob sie mir die Worte von den Lippen lesen wolle.

»Wenn ich Sie hätte beruhigen wollen, so müßte ich diesen Zweck einen vollständig verfehlten nennen,« antwortete ich. »Sie sagen mir ja, daß Sie deshalb nicht haben schlafen können. Nein, wir haben wirklich bei den Mbocovis eine Spur von ihm entdeckt.«

»Herrgott! Sollte er sich etwa bei diesen befinden?«

»Ich vermute es. Hören Sie!«

Ich erzählte ihm, was wir erst vermutet hatten und uns vorhin von dem Yerno eingestanden worden war. Ich erklärte ihm auch, daß ich diesen letzteren nur deshalb unter das Wassergefäß gefesselt hatte, um zu erfahren, wo Horn zu suchen sei. Kaum war ich damit fertig, so zog Unica mir das Messer aus dem Gürtel und rief aus:

»Er weiß es und will es nicht sagen? Ich werde ihn zwingen! Wenn er es nicht sofort gesteht, stoße ich ihm das Messer in das Herz!«


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Sie wollte fort. Ich hielt sie zurück, wand ihr das Messer aus der Hand und sagte:

»Bleiben Sie! Sie würden nichts oder nur Unvollständiges erreichen. Er gesteht jetzt noch nichts, und wenn Sie ihn dann im Zorne erstechen, sind wir noch schlimmer daran als vorher. Wir wissen ja noch nicht genau, ob der Horn, welchen er meint, auch wirklich derjenige ist, von welchem wir sprechen.«

»Welcher andere sollte es sein!« antwortete der Desierto. »Ich befinde mich so lange Jahre hier im Lande und habe den Namen Horn, diesen einen Fall ausgenommen, noch nie gehört. Unser junger Freund ist auf seinem Wege nach hier überfallen und zu den Mbocovis geschafft worden. Ich will ihn retten; sie müssen ihn herausgeben, und wenn ich alles, alles in Bewegung setzen soll. Ich werde den Yerno einmal selbst ins Verhör nehmen.«

Er eilte von uns fort und zu dem Gefesselten hin. Unica folgte ihm schnell, und so gingen wir beide ihnen nach. Der Gefangene hatte ein leichenblasses Gesicht; seine Augen waren hervorgetreten, und seine Unterlippe steckte zwischen den zusammengepreßten Zähnen.

»Hund!« schrie ihn der Alte an. »Du hast Sennor Horno gefangen genommen. Sag', wo er steckt, sonst ergeht es dir schlecht!«

Der Yerno sah ihn mit einem stieren Blicke an und sagte nichts.

»Willst du reden, oder soll ich dich abermals peitschen lassen?«

Ueber die Züge des Gefangenen ging ein höhnisches Zucken, als ob er sagen wolle, daß das Peitschen ja schon einmal nichts gefruchtet habe, und daß er sich auch jetzt aus den Prügeln nichts machen werde. Aber der


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Hohn verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war. Der Yerno kämpfte bereits mit aller Kraft gegen die sichere, unausbleibliche Wirkung der Wassertropfen. Der Desierto beachtete das nicht und fuhr fort:

»Du schweigst? Ich werde dich wohl zum Sprechen bringen. Geben Sie mir die Peitsche, Sennor!«

Er wollte Pena die Peitsche aus dem Gürtel ziehen. Ich hielt ihn davon ab und sagte:

»Lassen Sie! Mit Schlägen erreichen Sie nichts. Der Mann wird in kurzer Zeit ein volles Geständnis ablegen. Sehen Sie nicht, wie er gegen die Schmerzen kämpft?«

»Ja, es ist wahr,« antwortete Pena in deutscher Sprache, deren auch ich mich bedient hatte, um von dem >Schwiegersohne< nicht verstanden zu werden. »Oder sollten diese stieren Augen nur eine Folge der Prügel sein, welche er bekommen hat?«

»Nein. Sehen Sie die Tropfen auf seiner Stirne? Die kommen nicht von da oben aus dem Gefäße. Das sind Tropfen, welche die Angst, der Schmerz austreibt. Ich habe ihm gesagt, daß er uns um Gottes willen bitten werde, sein Geständnis anzuhören, und ich werde recht behalten.«

»Wie lange werden wir noch warten müssen?«

»Wie es den Anschein hat, hält er es höchstens noch eine Viertelstunde aus. Dann wird er uns rufen; wir aber werden nicht auf ihn hören. Er soll einsehen, daß wir nicht die Leute sind, welche sich von einem solchen Menschen verhöhnen lassen. Kommen Sie also wieder zur Laube.«

Sie folgten mir. Wir setzten uns nieder, und der Desierto erzählte, daß er die Späher ausgesandt und mit den besten Instruktionen versehen habe. Aber er war


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nicht bei der Sache. Sein Blick flog wieder und immer wieder hinüber zum Yerno. Er mußte den jungen Deutschen wirklich tief in sein Herz geschlossen haben. Unica war ebenso aufgeregt; sie besaß nicht die Fähigkeit, an einem ruhigen Gespräche teilzunehmen, und entfernte sich.

Wir sprachen nun von den gestrigen Vorkommnissen und von den noch zu erwartenden Ereignissen. Darüber verging die Viertelstunde und noch mehr. Ich hatte nicht allzusehr auf den Yerno geachtet, da ich der Wirkung meines Mittels sicher war; jetzt wurde ich auf ihn aufmerksam gemacht, denn der Desierto unterbrach mich mitten in einem Satze, den ich angefangen hatte:

»Horcht! Was war das?«

Ich hatte nichts gehört und horchte auf.

»Hören Sie es?« fragte der Alte nach einer kurzen Pause. »Das klang, als ob ein Jaguar in der Ferne gebrüllt hätte. Das kann aber nicht der Fall sein, denn es ist jetzt nicht die Tageszeit dazu.«

»Ein Brüllen war es,« antwortete ich, »aber nicht aus der Ferne. Es klang so unterdrückt, weil es mit dem letzten Rest der Kraft in die Lunge zurückgedrängt wurde - -«

Ich sprach nicht weiter, denn derselbe Laut erklang abermals. Es war wie das Gähnen eines Tigers oder Löwen. Pena und der Alte waren aufgesprungen. Der erstere trat an das Mauerloch, blickte hinaus und sagte:

»Der Desierto hat ganz recht. Es ist wirklich ein Puma oder Jaguar. Jetzt, am frühen Morgen! Und so nahe am Dorfe!«

»Täuschen Sie sich nicht!« entgegnete ich. »Sie werden keinen Jaguar sehen, und wenn Sie jahrelang da hinausblicken. Es ist kein Tier, sondern der Yerno. Hören Sie!«


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Das Brüllen ließ sich wieder hören. Es erklang röchelnd, wie durch die Nase oder zwischen den zusammengepreßten Zähnen hervor.

»Der Yerno!« rief Pena. »Wahrhaftig, er ist's! Da, da, horchen Sie! Ich habe es ganz deutlich gesehen. Er hat die Lippen bewegt. Welch ein Laut, welch ein Ton!«

»O, das ist noch nichts! Sie werden noch ganz andere Töne hören.«

»Vielleicht gesteht er jetzt!«

»Er muß sein Geständnis in allerhöchster Angst machen; eher ist seinen Worten nicht zu glauben. Ich bin überzeugt, daß er uns jetzt belügen würde. Jetzt ist seine Verstocktheit noch größer als die Wirkung meines Mittels. Jetzt kann er noch logisch denken; er ist also noch im stande, uns zu belügen, zu betrügen und irre zu leiten. Wir müssen warten, bis die Schmerzen so übermächtig werden, daß er gar nicht mehr denken kann oder vielmehr bis er nur den einen Gedanken noch hegt, von seinen Qualen befreit zu werden. Verhalten wir uns ruhig, dann werden wir seiner Stimme anhören, daß dieselbe ein genauer Gradmesser der steigenden Wirkung meines Mittels ist.«

Das mochte unmenschlich klingen; aber Mitleid war hier ganz und gar am unrechten Platze. Es giebt Rücksichten, denen sich selbst der gefühlvollste Mensch zu unterwerfen hat, wenn er nicht sich selbst oder andere schädigen will. Ich war überzeugt, daß nur die größte Todesangst, nur eine sogenannte Höllenqual dem Gefolterten ein Geständnis, welchem wir Glauben schenken konnten, auspressen werde. Ein unzeitiges Mitgefühl wäre hier nicht nur Schwäche, sondern sogar schädlich und für Horn verderblich gewesen.


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Wir sprachen nicht weiter, sondern horchten auf den Yerno. Die Töne, welche er ausstieß, waren nicht zu beschreiben.

»Gräßlich!« sagte Pena, indem er sich schüttelte. »Wer hätte das den kleinen Wassertropfen zutrauen mögen!«

»Wir sind erst am Anfange,« antwortete ich. »Noch hat er nicht nach uns gerufen. Hören Sie, jetzt!«

Diesesmal war es kein unnatürlicher Laut, den er hören ließ. Wir hatten das Wort >Sennores< verstanden.

»Jetzt ruft er!« sagte der Alte. »Die volle Wirkung ist da. Wollen wir hin?«

»Nein.«

»Sennor, Sennor!« ertönte es nach einer kleinen Weile. »Kommen Sie!«

Und als wir nicht darauf achteten, sondern sitzen blieben, rief er:

»Sennor Pena, Sennor Pena! Hören Sie mich denn nicht?«

»Er ruft mich,« meinte der Genannte. »Warum gerade mich und nicht Sie?«

»Weil er wohl Ihren Namen, nicht aber den meinigen weiß,« antwortete ich.

»Sennor Pena, Pena, Pena!« schrie er jetzt überlaut. »So kommen Sie doch! Ich halte es nicht aus. Ich will alles sagen, alles!«

Bei dem Klange dieser Worte überlief es mich eiskalt. Der Alte eilte hin, und wir beide folgten ihm.

»Gott sei Dank!« schrie der Gefolterte. »Sie kommen! Nehmen Sie das verdammte Wasser weg!«

Das war nicht die Art und Weise, welche mich hätte bewegen können, ihm den Willen zu thun. Aber der Desierto schob das Gefäß zur Seite.


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»Geben Sie mir die Hände frei!« fuhr der Yerno fort. »Ich muß an meinen Kopf greifen, ich muß!«

»Soll ich?« fragte der Alte, indem er sich bereits bückte, um das an ihn gerichtete Verlangen zu erfüllen.

»Nein,« antwortete ich, indem ich ihn auf die Seite schob. »Er mag erst gestehen.«

Das Gesicht des Yerno hatte jetzt ein erdfahles Aussehen; seine Lippen waren blutig gebissen, und vom Blute strotzten die Adern seiner Augen.

»Sie also sind der Teufel!« knirschte er mir zu. »Die andern wollen nicht, aber Sie zwingen sie, mich zu martern!«

»Pah! Meinen Sie, daß dies die richtige Art ist, mich zur Milde zu bewegen? Ich sehe, Sie sind noch nicht so weich geworden, wie ich Sie haben will. Ich muß Ihnen mehr Wasser geben.«

Bei diesen Worten schob ich das Gefäß wieder an die vorige Stelle, so daß die Tropfen ihn wieder auf den Kopf trafen.

»Nur das nicht,« schrie er auf. »Nur das nicht wieder! Nehmen Sie das Wasser weg! Ich will ja gestehen. Aber das Wasser weg!«

Der Desierto schob das Gefäß wieder fort und sagte:

»Ich will Ihnen den Willen thun. Nun sagen Sie aber auch, wo sich Sennor Horno befindet!«

»Bei den Mbocovis am Rio dorado.«

»Beschreiben Sie uns die Stelle!«

»Das ist unmöglich. Ich könnte den Weg und die Stelle noch so gut beschreiben, so würden Sie sie doch nicht finden.«

»So! Wie befindet er sich?«

»Ganz wohl. Es ist ihm nichts geschehen.«

»Warum haben Sie ihn überfallen?«


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»Um ein Lösegeld zu bekommen.«

»Und ihm das Geld, welches er bei sich hatte, abzunehmen?«

»Nein. Er hatte kein Geld.«

»Hm! Hat er von mir gesprochen?«

»Alle Tage.«

»Und Sie haben ihn wirklich nicht gequält?«

»Nein. Er hat es wirklich gut gehabt.«

»So will ich Sie von Ihren Leiden erlösen und Sie wieder hinein zu den Mbocovis schaffen lassen.«

Er machte abermals Miene, den Yerno loszubinden; ich hinderte ihn daran und sprach:

»Begehen Sie keine Thorheit! Der Mann hat Sie belogen.«

»Ich habe die Wahrheit gesagt!« schrie der Yerno, indem er seine blutunterlaufenen Augen auf mich richtete.

»Nein. Sie logen!« behaupte ich.

»Jedes einzelne Wort ist wahr!«

»So! Also wir würden den Weg und die Stelle nicht finden und bedürfen also eines Führers?«

»Ja. Ich werde Sie hinführen.«

»Und der Ort liegt - - an welchem Flusse, sagten Sie?«

»Am Rio dorado del Valle.«

»Nun, so ist es erwiesen, daß Sie gelogen haben. An diesem Flusse hausen Indianer, welche Ihren Mbocovis feindlich gesinnt sind; also werden diese letzteren ihre Gefangenen nicht gerade in dieser so unsicheren Gegend verstecken. Sie lügen. Sie wollen uns veranlassen, mit Ihnen viele Tage lang durch den wildesten Chaco zu ziehen, und denken, daß Sie dabei gewiß Gelegenheit zum Entkommen finden werden. Wir lassen uns nicht betrügen. Da haben Sie das Wasser wieder!«


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Ich brachte das Gefäß wieder in die richtige Lage. Er brüllte wütend auf und warf mir mehrere Flüche zu, welche nicht wiederzugeben sind. Ich aber nahm Pena und den Desierto am Arme und zog sie mit mir fort.

»Kommen Sie, da Sie das Geschrei nicht anhören können! Wir wollen zu den Mbocovis gehen, um ihnen zu essen und zu trinken zu geben.«

Noch als wir die Treppe hinunterstiegen, hörten wir die Stimme des nun doppelt wütenden Menschen hinter uns erschallen. Wir fanden Unica bei den gefangenen Indianern. Sie that das, was wir jetzt hatten thun wollen. Sie war von einem zum andern gegangen, um sie, ohne ihre Banden zu lösen, zu speisen und zu tränken.

»Schade, daß ich die Sprache der Mbocovis nicht verstehe,« sagte ich. »Ich würde jetzt den Häuptling nach Horn ausforschen.«

»Das kann ja ich thun!« meinte Pena.

»Versuchen Sie es! Aber machen Sie dabei keine Fehler!«

»Haben Sie keine Sorge; ich werde schon zu sprechen wissen.«

Er begann nun ein längeres Gespräch mit dem Roten. Erst wollte dieser nicht antworten, und dann schien er doch auf den Gedanken zu kommen, daß es besser sei, uns nicht in Zorn zu bringen. Er schien sogar gesprächig zu werden. Als beide endlich fertig waren, wendete sich Pena zu uns und sagte im frohen und selbstbewußten Tone:

»Nun brauchen wir den Yerno nicht! Ich bin klug gewesen und habe alles heraus. Sennor Horn steckt im Keller von Nuestro Sennor Jesu-Cristo de la floresta virgen

»Unsinn!«


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»Meinen Sie, daß ich so wenig scharfsinnig bin, mich von diesem Roten betrügen zu lassen?«

»Pah! Zanken wir uns nicht! Sie kennen doch diesen Keller, in welchem wir die Aripones stecken hatten.«

»Freilich!«

»Kann da ein Gefangener der Mbocovis sich dort befinden?«

»Hm!«

»Sehen Sie denn nicht ein, warum der Häuptling Ihnen gerade diesen Bären aufgebunden hat? Er weiß, daß der Sendador mit den zahlreichen Mbocovis jetzt von dorther kommt. Diesen Leuten will er uns in die Hände treiben.«

»Alle Wetter!«

»Nun sagen Sie Ihrem lieben Häuptlinge, daß er sich verrechnet hat!«

»Das werde ich ihm freilich sagen, und zwar nicht in der höflichsten Weise.«

Er wandte sich wieder zu dem Roten, sprach in zornigem Tone zu ihm und versetzte ihm sogar einen derben Fußtritt.

Von da begaben wir uns in eins der vorderen Zimmer, in welchem Unica für uns das Frühstück serviert hatte. Es bestand aus gebratenem Fleische und neubackenem Maisfladen. Der Desierto setzte sich zu uns, aß aber nicht mit. Als ich ihn nach der Ursache fragte, antwortete er:

»Ich esse täglich höchstens einmal, hungere aber oft mehrere Tage lang. Ja, es giebt jährlich eine Zeit, in welcher ich zwei Wochen lang keinen Bissen zu mir nehme und mich nur vom Wasser erhalte.«

»Warum aber das?«

»Zur Strafe.«


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Ich hatte diese oder doch eine ähnliche Antwort erwartet und entgegnete:

»Haben Sie denn das Recht, sich eine solche Strafe aufzuerlegen?«

»Nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht. Es kann keine Strafe streng genug für mich sein! Sie wissen eben nicht, welch ein schweres Verbrechen auf meinem Gewissen lastet. Sie werden von der Ausstattung des vordersten Zimmers sehr überrascht gewesen sein. Das ist meine Buß- und Strafstube. Da hungere und durste ich, da friere ich und geißele mich. Meine That ist eine schwere; Sie können sie nicht erraten.«

»Nicht? Ich glaube, daß Sie ein Mörder sind.«

»Gott!« rief er aus. »Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Mein Auge, mein Verstand. Aber sprechen wir nicht über diese Angelegenheit!«

»O doch! Sprechen wir von ihr! Wir sind Deutsche. Sie haben mir von sich erzählt, und so müssen Sie auch wissen, wer und was ich bin.«

»Das weiß ich bereits. Sie sind Pharmazeut.«

»Was? Apotheker? Herr, vor Ihnen ist doch wahrlich niemand sicher!«

»Pah! Wer nur fünf Minuten lang mit offenen Augen hier umherblickt, muß überzeugt sein, daß ich das Richtige geraten habe.«

»Ein Apotheker! Es ist wahr. Und ein Mörder! Das ist auch wahr, Herr! Fürchten Sie sich nicht vor mir? Verabscheuen Sie mich nicht?«

»Das fällt mir nicht ein! Gott hat mich nicht zum Richter über irgend einen meiner Nebenmenschen gesetzt. Ich bin wohl ein noch größerer Sünder als Sie und kann mich an Stärke der Reue nicht mit Ihnen vergleichen.«


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»Sie haben keine Ahnung von der Größe meines Verbrechens! Ich habe mit voller Absicht einen Menschen ermordet.«

»Aber in der Notwehr?«

»Vielleicht wäre das die einzige Entschuldigung, deren ich mich bedienen könnte. Und doch kann ich es weder mir noch einem andern beweisen, daß es Notwehr gewesen ist. Erlauben Sie mir, Ihnen den Vorgang zu erzählen.«

»Lassen Sie es lieber sein! Sie regen sich auf; Sie wühlen in alten Wunden.«

»Mag es schmerzen; ich habe es verdient. Ist Ihnen die Geschichte Schleswig-Holsteins bekannt?«

»Ja.«

»Haben Sie auch gehört, wie es den deutsch gesinnten Bewohnern der Herzogtümer von seiten der Dänen ergangen ist?«

»In hundert und wieder hundert Geschichten.«

»So hören Sie! Ich war Apotheker in einer kleinen Stadt, der einzige gut deutsch Gesinnte der ganzen stockdänischen Bevölkerung. Damit ist vieles, wenn auch nicht alles gesagt. Ich will nicht von den Bedrückungen, von den kleinen und großen Leiden sprechen, welche ich erdulden mußte, ohne nur ein Wort sagen zu dürfen. Aber ich wurde so verbittert, daß es war, als ob mein ganzer Körper nur aus Galle bestehe. Je länger, desto deutlicher fühlte ich, daß dies nicht mehr so fortgehen könne, ohne daß es ein Unglück gab. Da kam der erwähnte Krieg und mit ihm die dänische Einquartierung. Ich war natürlich als feindlich gesinnt bezeichnet worden, und so warf man doppelte und dreifache Lasten auf mich. Mein Haus wimmelte von unten bis oben von dänischen Soldaten, welche da schalteten und walteten, als ob ich


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ein Kannibale sei. Es hatte geradezu Kämpfe gekostet, ein einziges kleines Stübchen zu behalten, und dieses konnte ich nicht hergeben, denn da lag mein geliebtes, todkrankes Weib, die einzige Seele, welche mich verstand und mit mir litt. Sie war infolge der fortgesetzten Leiden und Aufregungen in ein schweres Nervenfieber gefallen, und ich hatte alles, alles von ihrem Krankenlager fern zu halten, wenn ich die Hoffnung hegen wollte, ihr das Leben retten zu können. Da kam noch ein dänischer Militärarzt nebst Diener, welcher bei mir Quartier verlangte. Ich bewies ihm, daß kein Platz mehr sei; ich bat und flehte, umsonst! Er untersuchte meine Frau und erklärte, daß sie die Krankheit nur simuliere. Ich schickte nach dem Stabsarzte, um dessen Entscheidung zu erbitten, und wurde dann in die Apotheke gerufen, wo ich längere Zeit unausgesetzt beschäftigt war, daß ich unmöglich nach meiner Frau sehen konnte. Endlich war ich fertig und durfte Atem holen. Als ich in den Flur kam, hörte ich vom Hofe her ein leises Wimmern, und ich trat hinaus in den Hof. Dort lag der Schnee fußhoch, und eine grimmige Kälte ließ den Atem fast zu Eis gefrieren. Da draußen fand ich meine Frau. Sie lag auf der alten Decke, auf welcher der Kettenhund zu sitzen pflegte. In ihre Betten hatten sich die Soldaten geteilt. Ich zog meinen Rock aus, warf ihn über sie und wollte fort, hinauf, um zu sehen, wer Besitz von ihrer Stube genommen habe. Sie konnte nicht sprechen, meine Fragen nicht beantworten; aber als sie sah, daß ich mich entfernen wollte, legte sie die Arme um mich. So blieb ich noch einige Minuten bei ihr, bis ich fühlte, daß ich eine Leiche an meiner Brust hatte.«

Der Alte schwieg. Er stand auf und schritt eine


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Weile hin und her, um Herr seiner Bewegung zu werden. Dann fuhr er fort:

»Es wäre unnütz, Ihnen zu sagen, was ich fühlte. Ich befand mich in einem Zustande, welcher eine Mischung von kochendem Grimme und Verzweiflung war. Ich sprang die Treppe hinauf, riß die Thüre auf und sah den Arzt auf dem Sofa liegen, die schmutzigen Stiefeln an den Beinen und meinen vollen Cigarrenkasten auf dem Tische. Was ich gesagt habe, weiß ich nicht; viel wird es nicht gewesen sein, denn die Wut machte mir das Sprechen schwer. Er sprang auf, versetzte mir einen Faustschlag in das Gesicht, daß es mir dunkel vor den Augen wurde, schob die Thüre auf und gab mir einen Stoß, daß ich die Treppe hinabstürzte. Oben blieb er stehen und lachte mich aus. Da verlor ich den letzten Rest von Besinnung. Ich schoß förmlich die Stufen wieder hinauf. Was ich wollte, das wußte ich nicht; aber ich sah, daß er den Degen zog. Ich griff schnell zu, entriß ihm die Waffe und rannte sie ihm durch den Leib. Als er lautlos niederstürzte, wollte mir das Blut stillstehen. Ein Glück, die Soldaten waren jetzt nicht da. Ich raffte einiges Geld zusammen, stürzte in den Hof, nahm die Tote in die Arme und trug sie zu der Scheuerfrau, welche zuweilen von uns beschäftigt wurde, gab ihr Geld und bat sie, für das Begräbnis zu sorgen. Dann entfloh ich.«

Die Art, wie er erzählte, machte einen tiefen Eindruck auf mich. Die Worte flossen ihm schnell, aber abgerissen über die Lippen. Er starrte in die Ecke, als ob er das, was er erzählte, noch einmal erlebe, als ob er sein eigener Zeuge und Zuschauer sei. Wir unterbrachen ihn nicht. Er fuhr fort:

»Im Walde habe ich gesteckt, drei Tage lang. Von


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Vorübergehenden hörte ich die That erzählen. Das Militär war aufgeboten, mich zu suchen und zu ergreifen. Am dritten Tage, des Nachts, wagte ich mich nach dem Kirchhofe. Ich fand das Grab. Es war seicht und kaum zugeworfen. Man hatte mein Weib eingescharrt wie eine Verbrecherin, eine Selbstmörderin. Ich betete, kam aber mit dem Gebete nicht zu Ende. Man hatte vermutet, daß ich kommen werde, um das Grab zu sehen, und einen Posten an den Kirchhof gestellt. Dieser sah und schoß auf mich, traf mich aber nicht. Ich floh, und es glückte mir, zu entkommen. In meiner Heimat suchte ich einen Freund auf, von dem ich wußte, daß er mich nicht verraten werde. Er gab mir die Mittel, nach Amerika zu gehen.«

Er machte jetzt wieder eine Pause, und so fragte ich:

»Hatten Sie keine Verwandten oder Kinder?«

»Nein, und das war ein großes Glück. Aber der von mir ermordete Militärarzt war Vater von vier Kindern und hatte außerdem seinen Vater und eine Schwiegermutter zu ernähren.«

»Das wußten Sie?«

»Nein. Ich erfuhr es während meiner Flucht. Ich las es in der Zeitung, in welcher auch mein Steckbrief stand.«

»Das also ist die That, die Sie so sehr bereuen?«

»Ja, das ist sie!«

»Haben Sie sich denn nicht gesagt, daß es mehrere Gründe zur Entschuldigung giebt?«

»Ich habe es gedacht. Aber diese Gründe sind nicht stichhaltig.«

»Er hatte den Degen gezogen; er bedrohte Sie. Sie hatten sich doch gar nicht vorgenommen, ihn zu töten.«

»Ich habe ihn aber doch getötet. Das schreckliche


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Bild, als er vor mir lag, den Degen in dem Leibe, ist mit mir gegangen, hat mich durch das ganze Leben begleitet und mich keinen einzigen Augenblick verlassen. Es schwebt mir vor bei Tag und Nacht, und tausend, tausend Stimmen höre ich rufen: >Mörder, Mörder, Mörder!< Wer Menschenblut vergießt, des Blut soll wieder vergossen werden. Dem bin ich entgangen, aber ich habe einen mehr als tausendfachen Tod erlitten, denn ich sterbe täglich. Nach Jahren kam ich hierher und vergrub mich in die Einsamkeit, um meiner Reue und Buße zu leben. Ich wurde der Lehrer und Vater der Toba-Indianer. Ich that Gutes, damit Gott ein Kleines von meiner großen Schuld abschreibe. Ich habe auch mein möglichstes gethan, um drüben im Vaterlande meine Schuld zu verringern. Ich hatte mir den Namen und Wohnort des Ermordeten gemerkt und sandte seinen Anverwandten, die durch mich ihren Ernährer verloren hatten, so viel ich ersparen konnte.«

Pena hatte der Erzählung mit fast noch größerem Interesse zugehört als ich. Seine Mienen waren ungewöhnlich bewegt. Er griff sich in die Haare, rieb sich die Nase, kratzte sich an dieser oder jener Körperstelle. Kurz und gut, er verriet eine ganz ungewöhnliche Teilnahme. Jetzt, bei den letzten Worten des Alten, horchte er auf und fragte:

»Was? Geld haben Sie geschickt?«

»Ja.«

»Das thun Sie wohl auch noch jetzt?«

»Ja. Ich muß mich als den Versorger der Familie betrachten.«

»Und auf welchem Wege kommt das Geld hinüber?«

»Von Buenos Ayres aus. Jährlich, wenn ich nach Santiago komme, schicke ich die Anweisung dorthin.«


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Da sprang Pena auf und rief:

»Bei allen Heiligen, ich hab' mir's gedacht! Herr - - Herr - - Winter - nicht wahr, so ist Ihr Name?«

»Ja, Alfred Winter.«

»Nun also, Herr Winter, sparen Sie Ihr Geld! Sie haben nichts zu bezahlen.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Ich sage es ja deutlich genug! Sie haben nichts zu bezahlen. Sie sind kein Mörder!«

Er schrie den Alten an, als ob er ihn verschlingen wolle. Dieser hingegen starrte ihn an und brachte kein Wort hervor; er schüttelte nur den Kopf.

»Schütteln Sie nur!« fuhr Pena fort. »Es ist doch so, und es wird nicht anders. Sie haben ihn nicht getötet.«

»Ich habe ihn doch erstochen!«

»Auch möglich! Aber tot war er nicht!«

»Es stand doch in der Zeitung!«

»Papperlapapp, Zeitung! Die Druckerschwärze nimmt alles an. Es ist schon manches gedruckt worden, worüber man das Maul aufgesperrt und die Hände über den Kopf zusammengeschlagen hat!«

Er stieß das alles wie ein echter Poltron hervor, der er doch aber gar nicht war. Es leuchtete ihm eine versteckte Freude aus den Augen, und er war nur grob, um nicht sofort mit der ganzen Wahrheit herausplatzen zu müssen. Als der Alte ihn jetzt abermals wortlos anblickte, fuhr er fort:

»Sind Sie denn seit jener Zeit einmal in Schleswig-Holstein gewesen?«

»Nein.«

»Oder haben Sie sich nach den Verhältnissen jener Familie erkundigt?«


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»Auch nicht.«

»Da brate mir einer einen Storch! Aber Mann, was sind Sie denn eigentlich für ein Mensch? Schicken da jährlich eine solche Masse Geld an Leute, die Sie gar nicht kennen und von denen Sie nicht einmal wissen, ob sie noch leben oder ob sie gestorben sind?«

»Nachkommen leben jedenfalls noch, und ich habe mich als deren Versorger zu betrachten.«

»Versorgen Sie, wen Sie wollen, aber diese Leute nicht!«

»Es stand in dem Steckbriefe und auch in den Zeitungen!«

»Anfänglich! Weil man es nicht anders wußte. Und da Sie so schnell ausgerissen sind, haben Sie nur diesen ersten Bericht gelesen. Hätten Sie nur später einmal in die Zeitungen geguckt! Genug, ich kenne den Mann, er heißt Delmenborg.«

»Mein Gott!« schrie der Alte auf, indem er zurückfuhr.

»Ja, ja!« fuhr der Cascarillero fort, indem er triumphierend mit dem Kopfe nickte. »Harald Delmenborg! Stimmt dieser Name?«

»Ja - ja - er - er - stimmt!«

»Aus Handsted an der Westküste von Jütland. Stimmt auch das?«

»Auch - - auch - - das!« antwortete der Alte wie geistesabwesend.

»Schön! So sind wir also über die Person einig. Ich denke, daß wir uns über die Sache auch noch verständigen werden. Ist Ihnen vielleicht die dänische Insel Sankt Thomas bekannt, da oben um die Antillen herum?«

»Ja.«

»Sehr schön! Als ich mich von meinem Freunde, diesem Sennor hier, den ich in Mexiko traf, verabschiedet


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hatte, ging ich nach Sankt Thomas, aus welchen Gründen, das ist hier Nebensache. Dort traf ich einen jungen Menschen, einen halben Lüdrian, der sich Arzt nannte, aber keine Patienten hatte und doch herrlich und in Freuden lebte. Er hieß Knut Delmenborg und machte sich an mich, weil er gehört hatte, daß ich Goldsucher sei und eine tüchtige Bonanza gefunden hätte. Wir waren einigemale beisammen, tranken eins und noch eins, bis der liebe Knut einen tüchtigen Affen hatte und mir seine Erlebnisse erzählte.«

»Weiter, weiter!« rief der Desierto fast atemlos, als Pena jetzt eine kleine Pause machte.

»Was weiter! Es ist nicht viel mehr zu berichten. Sie kennen ja die Geschichte auch. Sein Vater war von einem Apotheker gestochen worden und drei oder vier Tage als tot liegen geblieben. Dann aber war der Starrkrampf gewichen, welcher zur Untersuchung der Wunde und dem Verbande sehr glücklich beigetragen hatte; edle Teile waren nicht oder nur ganz leicht verletzt, und so spazierte der Erstochene nach kurzer Zeit gesund in seine Heimat, also nach Handsted zurück. Nach dem Mörder wurde nicht mehr gesucht. Die Justiz begnügte sich damit, sein Hab und Gut eingezogen zu haben.«

Da fuhr der Alte auf Pena zu, ergriff seine beiden Hände und fragte, ich konnte nicht unterscheiden, ob mit fliegendem oder stockendem Atem:

»Herr Pena, erzählen Sie die Wahrheit?«

»Wenn nicht jedes Wort wahr ist, so mögen Sie mir auch etwas durch den Leib rennen, es mag sein, was Ihnen beliebt, ein Säbel, ein Konzertflügel oder gar ein Kanapee!«

»Sie täuschen sich nicht? Sie meinen wirklich jenen Harald Delmenborg aus Handsted?«


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»Nur diesen! Denken Sie sich nun sein Erstaunen, als nach Verlauf von zwei Jahren tausend Dollars an seine Frau kommen, und dazu die Bemerkung, daß dieses Geld von dem Mörder komme, welcher bis an seinen Tod jährlich eine möglichst hohe Summe senden werde! Der Sohn hatte mit Hilfe auch dieses Geldes studiert, aber nichts gelernt. Er that wahrscheinlich nicht gut und wurde von seinem Vater in die Kolonie geschickt, um sich die Hörner abzustoßen. Dort traf er mich.«

»Sie schwören mir zu, daß Sie mir die Wahrheit sagen, daß Sie sich diese Geschichte nicht ausgesonnen haben, um mich glücklich zu machen?«

»Eigentlich sollte ich Ihnen wegen dieser Frage zürnen; aber ich habe jetzt zufällig eine gute Stunde und werde Sie also nicht zur Strafe für diese Beleidigung erstechen.«

Der Alte rannte thränenden Auges zur Thüre hinaus. Nun veränderte sich das Gesicht Penas schnell. Es zeigte eine tiefe, tiefe Rührung, und mit leise zitternder Stimme sagte er:

»Was sagen Sie dazu?«

»Gottes Wege sind wunderbar! Sehen Sie das ein?«

»Ich müßte blind und taub und noch viel mehr sein, wenn ich das nicht einsähe! Hätte ich das ahnen können, als ich jene Woche in Sankt Thomas war! Wissen Sie, wo der Alte jetzt ist?«

»Sicher in seiner Betstube.«

»Ja, er hat nun mit einem ganz andern als mit mir zu sprechen. Der Abend seines Lebens wird nun leicht und hell werden. Und ich weiß, warum ich von einer starken Hand hierher nach der Laguna de Carapa gezogen wurde. Wollen wir nicht nun wieder nach dem Yerno sehen?«


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»Ja, kommen Sie!«

Wir hatten die Stube noch nicht verlassen, da kam Unica und sagte:

»Sennores, kommen Sie um des Himmels willen in den Garten! Der Yerno ist verrückt geworden. Ich war soeben fertig mit den Gefangenen und ging hinaus, aber es war mir unmöglich zu bleiben. Und unten am Felsen stehen alle Bewohner des Dorfes, um seine Stimme zu hören. Niemand weiß sich dieses Gebrüll zu deuten.«

Wir eilten nach dem Garten; wir waren länger fortgeblieben, als ich mir vorgenommen hatte. Noch schritten wir durch den Lagersaal, da hörte ich die Stimme. Es klang, als ob ein Stier erdrosselt werde. Als wir aus dem Treppenhäuschen traten, sah er uns und schrie uns mit einer wahrhaft unmenschlichen Stimme entgegen:

»Sennores, kommen Sie, kommen Sie!«

Ich hielt Pena am Arme zurück. Der Yerno sah das und brüllte.

»Zögern Sie nicht! Ich weiß, warum Sie stehen bleiben. Ich soll Sie um Gottes willen bitten. Ich thue es, ich thue es! Ich bitte Sie um Gottes, um des Himmels und um aller Heiligen willen, erlösen Sie mich von diesem Leiden, von dieser Qual!«

»Jetzt wollen wir hin,« sagte ich. »Er befindet sich in dem von mir erwarteten Zustande.«

Wie sah der Mann aus! Sein Gesicht hatte die Farbe des Löschpapieres. Seine Augen waren weit aus ihren Höhlen getreten, erbsengroße Schweißtropfen rannen ihm von der Stirne und den Wangen, und aus dem Munde geiferte dicker, blutiger Schaum.

»Schnell, schnell!« bat er. »Ich sehe Sie nicht deutlich. Sie sind rot, ganz rot, denn meine Augen sind voll Blut. Aber ich sehe doch, daß Sie der Sennor sind,


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welcher mich erhören wird, wenn ich ihn um Gottes willen bitte, mein Geständnis anzuhören.«

Es schauderte mich. Ich hätte ihn herzlich gern sofort befreit, aber ich beherrschte mich und antwortete in ruhig strengem Tone:

»Das werde ich; aber erst dann, wenn ich überzeugt bin, daß Sie die Wahrheit sagen.«

»Ich sage sie; ich sage sie! Schnell, schnell, nehmen Sie das Wasser weg!«

»Sagen Sie vorher, wo Sennor Horno sich befindet!«

»An der Laguna de Bambu auf der Isleta del Circulo.«

»Allein?«

»Ein Kaufmann Parduna mit seinem Sohne aus Goya ist bei ihm.«

»Auch wegen Lösegeld?«

»Ja.«

»Liegt ein Dorf der Mbocovis dort?«

»Zwei.«

»Wie viele Krieger befinden sich an dieser Laguna?«

»Nur vierzig.«

»Wie weit ist es von hier bis hin?«

Da legte Pena mir die Hand auf die Achsel und sagte in deutscher Sprache:

»Quälen Sie ihn nicht. Ich war an der Laguna de Bambu bei den Mbocovis, kenne die Isleta del Circulo und werde auch' den Weg von hier leicht finden. Dieses Mal sagt er die Wahrheit.«

»Ich denke es auch, werde es aber doch streng prüfen.«

Ich schob das Gefäß, welches fast kein Wasser mehr enthielt, zur Seite und zog Pena mit mir fort. Das Brüllen des Yerno hatte sich in ein herzzerbrechendes Seufzen und Wimmern verwandelt.


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»Wohin führen Sie mich?« fragte Pena.

»Zum Häuptling.«

»Soll ich wieder mit ihm sprechen?«

»Nein; Sie würden sich vielleicht abermals eine Nase drehen lassen. Sie sollen den Dolmetscher machen. Sie verändern aber nicht ein einziges Wort, lassen keins weg und fügen auch keins hinzu.«

»Kommt es darauf gar so sehr an?«

»Ja. Zwar auf die Worte nicht allein. Die Hauptsache ist, daß ich seine Gesichtszüge beobachte. Ich muß wissen, bei welchem Worte sie sich verändert haben.«

Unica stand im Lagerraume. Sie hatte es nicht über sich gewinnen können, mit in den Garten zu gehen; für das Geheul des Yerno waren ihre sonst so starken Nerven doch nicht kräftig genug.

»Hat er es endlich gesagt?« fragte sie hastig.

»Ja; aber ich will mich nun überzeugen, ob er mich nicht vielleicht doch noch belogen hat. Diesem Menschen ist selbst jetzt nicht zu trauen. Bringen Sie ein Licht, und führen Sie uns zum Häuptlinge.«

»Den wollen Sie auch fragen?«

»Fragen und beobachten. Das letztere ist die Hauptsache.«

Sie nahm das Licht in die Hand, um uns zu leuchten, und öffnete die Thüre. Wir traten in den Raum, in welchem die Fässer und zwischen ihnen die Gefangenen lagen. Dort suchten wir den Häuptling El Venenoso auf. Er war ebenso an den Händen und Füßen gefesselt wie die andern. Ich band ihm die Riemen los, so daß er sich im vollständigen Gebrauche seiner Glieder befand, und sagte zu Pena:

»Jetzt sagen Sie ihm alles, was ich Ihnen vorspreche, aber möglichst wörtlich, wie ich Ihnen bereits


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bemerkte. Und die Uebersetzung jeden Wortes, welches ich betone, betonen Sie ebenso. Also zunächst: Der Häuptling der Mbocovis, welcher sich Venenoso nennt, ist als ein sehr tapferer Mann bekannt.«

Venenoso war, obgleich ich ihn von den Fesseln befreit hatte, in derselben Stellung liegen geblieben, die er vorher eingenommen hatte. Er schien den Stummen spielen zu wollen. Als Pena ihm die wenigen Worte in langsamer Weise sagte, mochte er doch über diese Art der Einleitung erfreut sein, denn er wendete uns das Gesicht zu, antwortete aber kein Wort. Ich diktierte weiter:

»Und der Häuptling der Mbocovis ist auch ein reicher Mann.«

Das dünkte ihm für seine gegenwärtige Lage so fremdartig, daß er sich aufsetzte, ohne aber ein Wort hören zu lassen. Weiter:

»Da es ein so tapferer und reicher Krieger ist, mit dem ich sprechen will, so habe ich ihm dadurch meine Achtung zeigen wollen, daß ich ihn losgebunden habe. Nun schickt es sich für ihn, daß er sich erhebt und sich in seiner ganzen Gestalt sehen läßt.«

Sofort sprang er auf. Ich nahm Unica bei der Hand und stellte sie so, daß der Schein ihres Lichtes voll auf sein Gesicht fiel.

»Der Häuptling ist ein reicher Mann, weil er Weiße raubt und sich Lösegeld für sie bezahlen läßt,« mußte Pena sagen. »Die Geldgier aber ist ein Feind der Tapferkeit. Sie verdunkelt die Augen, schwächt das Gehör und trübt den Verstand. Darum hat der Tapfere sich von uns überlisten lassen.«

Er kreuzte die Arme über die Brust, blitzte mich mit einem zornigen Blicke an und schwieg noch immer.


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»Die Geldgier scheint den Häuptling auch stumm gemacht zu haben. Oder wagt er nicht zu sprechen, weil er Angst vor uns hat?«

»Ich fürchte mich nicht,« antwortete er nun.

»Auch den Tod nicht?«

»Nein. Alle Menschen müssen sterben!«

»Aber man stirbt nicht gern eines grausamen Todes.«

»Wollt ihr uns martern?«

»Ja.«

Die Indianer Südamerikas sind bei weitem nicht so unempfindlich gegen Schmerzen, wie diejenigen der Vereinigten Staaten. Das zeigte sich hier, denn Venenoso antwortete schnell:

»Thut es nicht!«

»Ihr hattet uns aber Schlimmes zugedacht.«

»Nein!«

»Lüge nicht! Ihr wolltet uns alle töten! Der Yerno hat es uns ja gesagt, als er uns für Verbündete hielt.«

»So hat er gelogen!«

»Ich habe mich geirrt. Ich hielt den Häuptling für einen tapfern Mann. Jetzt aber höre ich, daß er aus Angst lügt und die Unwahrheit einem andern aufbürdet. Ich werde ihn also verachten müssen. Auch habe ich gehört, daß er nicht selbst gegen die Weißen kämpft, sondern sie durch andere überfallen und zu sich bringen läßt. Das ist feig. Ueberdies ist er auch ein Lügner!«

»Ich lüge nicht!«

»O doch!«

»Beweise es mir!«

»Du hast gesagt, daß Sennor Homo im Keller von Nuestro Sennor Jesu-Cristo de la floresta virgen stecke.«

»Das ist auch wahr!«


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»Nein; es ist Lüge. Wir wissen, wo er sich befindet. Ihr habt von dem alten Desierto ein Lösegeld für ihn fordern wollen; falls aber der geplante Ueberfall gelungen wäre, hättet ihr das ganze Eigentum des Alten in eure Hände bekommen und Sennor Homo dann getötet. Kannst du das leugnen?«

Er senkte den Blick und antwortete nicht.

»Wie viel Lösegeld willst du für ihn haben?«

Er sah sofort wieder zu mir auf. Sein Blick war ein hoffnungsvoll forschender. Wenn ich ein Lösegeld anbot, so konnte seine Lage doch wohl kaum eine lebensgefährliche sein.

»So biete!« sagte er.

»Ich biete nicht. Du hast zu verlangen.«

»Der Desierto ist reich und hat Sennor Homo lieb; er kann viel geben!«

»Du giebst also zu, daß der Sennor sich bei euch befindet. Also, sage, was forderst du?«

Er verlangte eine Summe, welche nach unserm Gelde vielleicht zwanzigtausend Mark betrug. Ich zeigte ihm ein frohes Lächeln und sagte:

»Ich glaubte, du würdest mehr verlangen.«

»So bist du zufrieden mit dem Preise?«

»Sehr gern, wenn wir einig werden.«

»Wir sind ja einig. Ich habe ihn verlangt, und dir ist er nicht zu hoch.«

»Allerdings. Aber du vergissest, daß auch du gefangen bist mit deinen Leuten. Wir wollen euch nicht töten, sondern werden euch gestatten, euch loszukaufen.«

Er erschrak abermals und rief schnell aus:

»Loskaufen? Das ist doch noch nie dagewesen, daß ein Indianer gefangen wurde, um sich loskaufen zu müssen!«


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»Das gebe ich zu. Auch ich habe euch nicht ergriffen, um Geld zu verdienen; aber da du für deinen Gefangenen Bezahlung verlangst, so thun wir ganz dasselbe.«

»Wie viel wollt ihr haben?«

»Ungefähr so viel wie du.«

»Wie meinst du das?«

»Sennor Horno ist kein Häuptling, sondern ein ganz gewöhnlicher Mann. Darum bin ich überzeugt, daß jeder deiner Krieger ebensoviel wert ist wie er.«

Venenoso stieß einen unartikulierten Ruf aus. Ich fuhr fort:

»Du wirst also für jeden Roten so viel bezahlen, wie wir für den Sennor bezahlen sollen. Du als Häuptling bist wenigstens zehnmal mehr wert als ein gewöhnlicher Mann und wirst also den zehnfachen Preis zahlen müssen.«

»Das ist zu viel!«

»Nein, denn du selbst hast diesen Preis bestimmt.«

»Aber wir haben nicht so viel Geld!«

»So habt ihr Tiere und Waren.«

»Aber nicht so viel!«

»O doch! Ich habe dir gesagt, daß du ein reicher Mann bist, und du hast kein Wort dagegen gesagt. Nun ich meine Forderung nach diesem Maßstabe stelle, kommt deine Entgegnung zu spät.«

»Wenn du wirklich so viel forderst, können wir uns nicht loskaufen. Was werdet ihr da mit uns machen?«

»Ihr müßt sterben.«

»Dann wird Sennor Horno auch ermordet.«

»Das wird nicht gelingen, denn wir holen ihn uns. Wir wissen, wo er sich befindet. An der Laguna de Bambu.«

Ich hielt ihn scharf im Auge und sah deutlich, daß er zusammenzuckte. Da er nichts sagte, so fragte ich:


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»Nicht wahr, ich habe es getroffen?«

»Nein.«

»Es bewachen ihn nur vierzig Männer, mit denen wir schnell fertig werden!«

»Und wenn ihr sie tötet,« entfuhr es ihm im Zorne, »so würdet - -«

Er hielt inne, denn er sah ein, daß er zuviel gesagt hatte, daß seine Worte ein Eingeständnis gewesen waren.

»Warum redest du nicht weiter?«

»Weil du nicht zu wissen brauchst, was ich sagen wollte.«

»Ich weiß es bereits. Du meintest, selbst wenn wir diese vierzig besiegten, würden wir den Sennor nicht finden. Ist es so?«

»Ja,« gab er zu.

»Aber du irrst. Wir finden ihn sicher. Er ist bei dem Kaufmann Parduna und dessen Sohne aus Goya!«

Er stieß einige Worte aus, von denen Pena mir sagte, daß es kräftige Flüche seien, und fragte dann:

»Was weißt du von diesem Vater und seinem Sohne?«

»Daß sie sich mit Sennor Horno auf der Isleta del Circulo befinden.«

»Herr, du bist allwissend!« schrie er auf, da er sein ganzes Geheimnis verraten sah.

»Der Yerno hat mir alles gesagt,« antwortete ich, da es uns nur lieb sein konnte, wenn zwischen diesen beiden Zwist und Feindseligkeiten entstanden.

»Der? Das kann nicht möglich sein!«

»Ich ließ ihn zu mir kommen, um ihn auszufragen, und er hat alles eingestanden.«

»So ist er ein Dummkopf und ein Schurke zu gleicher Zeit!« rief der Rote wütend, indem er die Fäuste ballte. »Hätte ich ihn da, so erwürgte ich ihn.«


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»Er hat vorher große Qualen erleiden müssen, was er dir ja erzählen kann, wenn er jetzt wieder hereingebracht worden ist. Ganz dieselben Schmerzen erwarten euch alle, falls ihr euch nicht so verhaltet, daß wir mit euch zufrieden sind. Nun wissen wir, woran wir sind! Pena, binden Sie ihn wieder.«

Als Pena ihm auch diese letzten Worte übersetzte, rief er aus.

»Ich lasse mich nicht wieder binden!«

Und während er sprach, that er einen Sprung, um an mir vorüber zu kommen und die Thüre zu erreichen. Eine Flucht war bei der vorhandenen Oertlichkeit vollständig unmöglich; dennoch hatte ich ihn seit dem Augenblicke, an welchem er fessellos geworden war, auch in dieser Beziehung scharf im Auge behalten. Ich streckte schnell das Bein vor; er stolperte über dasselbe und fiel nieder. Zwar raffte er sich augenblicklich wieder auf, aber ich faßte ihn mit der Linken im Nacken, drückte ihn wieder nieder und kniete ihm auf dem Rücken, so daß Pena ihn leicht fesseln konnte.

»Das war recht!« rief jemand hinter uns an der Thüre.« Lassen Sie den Kerl nicht aus diesem Gewölbe! Er darf keine Ahnung haben, wo er sich befindet.«

Der Mann sprach deutsch. Es war die Stimme des viejo Desierto, und doch schien er es nicht zu sein. Aber als wir mit dem Lichte zu ihm kamen und sein Gesicht erkennen konnten, sahen wir, daß es doch der Alte sei.

Er hatte seinen Talar abgelegt und einen Anzug dafür um seine lange, hagere Gestalt gehängt, welcher dem eines Cascarillero glich. Sogar der breitrandige Hut fehlte nicht. Im Gürtel steckten Pistolen und ein Messer.

»Sie erkannten mich wohl nicht gleich?« lachte er.


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»Ja, ich bin plötzlich ein ganz anderer Mensch geworden, innerlich sowohl wie auch äußerlich. Doch kommen Sie in den Garten, wo es heller ist!«

Er verriegelte die Thüre, und wir folgten ihm hinaus ins Freie. Dort blieb er stehen und sagte:

»Sennor Pena, soll ich Ihnen eine lange Rede halten? Ich denke, das ist nicht nötig, obgleich mein Herz vor Wonne überquillt. Meine Dankbarkeit werde ich Ihnen aber sicher zeigen. Zunächst nur dieses.«

Er zog Pena an sein Herz und küßte ihn auf die Wange. Mir drückte er herzlich beide Hände, und dann sagte er zu Unica, welche sich dieses heitere Wesen des Alten nicht erklären konnte:

»Freue dich mit mir, denn all mein Leid ist dahin. Ich darf wieder ohne Sorge und Qual atmen und glücklich sein, und das habe ich diesen beiden Männern zu verdanken. Ich werde es dir später erzählen; jetzt haben wir keine Zeit dazu. Ich bin unendlich glücklich, und so sollen auch andere erlöst sein. Binden wir den Yerno los! Er soll wieder in das Gewölbe geschafft werden, wo ich ihm den Rücken verbinden will.«

»Was werden Sie über die Mbocovis beschließen?«

»Sie haben nach dem hiesigen Brauche ihr Leben verwirkt. Aber da ich heute so beseligt worden bin, will ich Milde walten lassen. Wollen erst sehen, was wir gegen den Sendador und seine Schar für einen Erfolg haben. Jetzt aber zu dem Yerno!«

»Nicht so schnell! Es soll ihm nichts geschehen, aber ich habe noch mit ihm zu sprechen.«

»Worüber?«

»Das werden Sie gleich hören. Kommen Sie!«

Der Schwiegersohn des Sendador saß natürlich noch immer gefesselt an dem Baume. Sein Aussehen hatte


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sich gebessert. Die Farbe war ihm in das Gesicht zurückgekehrt, und seine Augen lagen, anstatt wie vorher weit vorgequollen zu sein, tief in ihren Höhlen. Er bot nicht mehr das Bild eines vor Schmerz Wütenden, sondern eines von der Qual vollständig Abgematteten. Als wir zu ihm traten, richtete sein Auge sich mit dem Ausdrucke der Angst auf mich. Ich sah es wohl, und es that mir trotz seiner Schlechtigkeit wehe. Dennoch zog ich das Gefäß wieder in die richtige Lage, so daß das wenige Wasser, welches sich noch in demselben befand, wieder auf seinen Kopf zu tropfen begann. Er fuhr trotz der Fesseln zusammen, als ob er einen Keulenschlag auf den Schädel erhalten habe, und brüllte erschrocken auf:

»Heiliger Himmel! Schon wieder! Was habe ich denn gethan? Gnade, Gnade!«

»Wir sind noch nicht fertig,« antwortete ich.

»Was wollen Sie denn noch! Nehmen Sie dieses höllische Wasser weg! Sie brauchen mich nicht zu zwingen. Ich werde Ihnen freiwillig alles sagen. Schlagen Sie mich tot oder martern Sie mich zu Tode, wenn ich ein unwahres Wort spreche! Aber nehmen Sie das Wasser weg, weit, weit weg!«

Ich schob das Gefäß zur Seite und forderte ihn auf:

»So sagen Sie mir zunächst, ob Sie noch immer leugnen wollen, daß Sie der Schwiegersohn des Sendadors sind!«

Man sah es ihm leicht an, daß seine Widerstandskraft vollständig gebrochen war. Seine Angst vor dem tropfenden Wassergefäß war eine ganz unbeschreibliche.

»Nein, ich leugne nicht mehr; ich bin es,« antwortete er.

»Wo hat Ihr Schwiegervater seinen eigentlichen Schlupfwinkel?«


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»Eben an der Laguna de Bambu.«

»Sind Sie einmal mit ihm droben auf der Pampa de Salinas

gewesen?«

»Nie.«

»Aber Sie wissen, daß er zuweilen dorthin geht?«

»Ja.«

»Sie wußten genau, daß er jetzt nach dem Kreuze de la floresta virgen kommen werde, und es wurde als fest und bestimmt ausgemacht, daß er Ihnen nach hier folgt?«

»Er kommt gewiß. Der Tag ist allerdings nicht genau zu bestimmen. Er kann schon heute anlangen.«

»Aber die Stunde ist bestimmt?«

»Ja. Er kennt den Weg und die Gegend sehr genau und wird des Abends eintreffen.«

»Auf welche Weise wollten Sie dann die Vereinigung mit ihm bewerkstelligen?«

Er zögerte mit der Antwort. Ich hatte während meiner Fragen die Hand am Wassergefäß gehabt; jetzt schob ich dasselbe wieder über seinen Kopf.

»Fort, fort damit!« heulte er auf. »Ich sage alles, sogleich alles!«

»Nun, dann schnell!« riet ich ihm, indem ich das Wasser wieder entfernte.

»Wenn er uns bis an den Platz, wo Sie uns gestern lagern sahen, nicht auf dem Rückzuge getroffen hat, so nimmt er an, daß wir Sieger sind, und wird dort einen Boten von uns erwarten, den wir ihm aus dem Dorfe senden.«

»Um vollends herbeizukommen?«

»Ja. Was wollen Sie noch wissen?«

»Nichts.«

»Und Sie glauben mir?«


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»Ja. Jetzt haben Sie erfahren, wie schnell der Mensch sich verändern kann. Ihr Hohn ist verschwunden. Ein kleiner Wassertropfen war stärker als alle Ihre Kraft. Solche Tropfen wird es einst auch in Ihr Gewissen geben; verlassen Sie sich darauf! Wohl Ihnen, wenn es dann auch einen giebt, welcher das Wasser der Rache von Ihrem Haupte nimmt!«

Er seufzte tief auf. Wie groß mußten die Schmerzen gewesen sein, daß die Angst vor ihnen ihn jetzt veranlaßt hatte, seinen Schwiegervater zu verraten. Ich brauchte nicht mehr zu wissen, als was ich erfahren hatte. Hätte ich aber die Absicht gehegt, noch weitere Forschungen anzustellen, so konnte ich überzeugt sein, das er mir alles entdecken werde.

Wir banden ihn los. Der Alte und Pena führten ihn fort. Er wankte wie ein Betrunkener und mußte an beiden Armen gehalten werden. Ich ging mit Unica langsam der Laube zu, von welcher aus wir den See erblicken konnten. Wir hatten sie noch nicht erreicht, so ertönte von fern her ein langgezogener, durchdringender Pfiff, fast so scharf wie derjenige einer Lokomotive.

»Himmel!« rief Unica aus. »Unsere Krieger kommen!«

»War das ihr Zeichen?«

»Ja. So klingt die große Signalpfeife, welche der Onkel gebaut hat, damit wir uns in größerer Ferne verständlich machen können. Hören Sie!«

Das Signal ertönte noch einmal, und dann erhob sich unten im Dorfe ein hundertstimmiger Jubel, welcher sich von uns fortzog.

»Sie eilen den Heimkehrenden entgegen,« erklärte Unica.

»Müssen Sie nicht dabei sein?«

»Eigentlich ja. Aber da Sie - -«


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»Bitte,« unterbrach ich sie. »Die Königin muß bei den Ihrigen sein. Gehen Sie schnell!«

»Nur wenn Sie mich begleiten!«

»Gut. Nehmen Sie Ihren gewohnten Weg. Ich schwinge mich da am Seile des Krahnes hinab.«

»Herr, das ist zu waghalsig!« warnte sie besorgt.

»O nein. Ich habe es heute bereits zweimal versucht. Haben Sie keine Angst um mich!«

Sie ging, und ich turnte mich in der bereits beschriebenen Weise hinab, wo ich sie erwartete. Dann gingen wir eiligen Schrittes nach dem Wasser, wo wir sahen, daß alles, alles auf den Beinen war. Sogar kleine Kinder wackelten und watschelten so schnell, wie die Beinchen es vermochten, am Ufer hin und schrieen und quiekten einander jubelnd zu. Es ging weiter und weiter am Wasser entlang, aber einen Erwachsenen zu überholen vermochten wir nicht. Unica als >Dame< und Königin konnte natürlich nicht so rennen wie die andern. Nach ungefähr zehn Minuten hörten wir einen unbeschreiblichen Lärm, welcher uns entgegen kam, und dann erblickten wir die zurückkehrenden siegreichen Krieger, welche zu meiner großen Freude alle beritten waren. Nun gab es für mich die Hoffnung, endlich wieder zu einem Pferde zu gelangen.

Kaum wurden wir gesehen, so verdoppelte sich der Jubel, und der Zug hielt an, die Königin zu erwarten. Ich blieb an ihrer Seite, und so wurden mir alle Ehren, die man ihr entgegenbrachte, auch mit zu teil.

Ein alter Krieger, der Häuptling des Dorfes, wie Unica mir erklärte, stieg vom Pferde, und die andern folgten seinem Beispiele. Er trat auf die Königin zu und hielt ihr eine längere Rede, von welcher ich freilich kein Wort verstand. Dann hielt auch sie eine Rede


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mit laut erhobener Stimme, so daß alle sie verstehen konnten.

Jedenfalls hatte er ihr Bericht erstattet, und nun erzählte sie, was während der Abwesenheit der Männer geschehen war. Dabei schien sie auch mich zu erwähnen, denn die Augen der Krieger richteten sich mehrere Male auf mich. Nach Schluß ihrer Rede wurde der Königin und mir je ein Pferd gebracht; wir stiegen auf, und der Zug setzte sich wieder in Bewegung. Voran schritt ein baumlanger Kerl, welcher ein noch längeres Bambusrohr in beiden Armen trug. Das war das Signalhorn. Neben ihm stand der unvermeidliche Trommler. Hinter diesen beiden kam die weitere philharmonisch angelegte Menschheit mit verschiedenen Instrumenten. Dieser Truppe folgte ich mit der Königin, und hinter uns zogen die Reiter einher, zu beiden Seiten begleitet von dem Ameisengewirr der Civilunterthanen ihrer Majestät.

Da spitzte der Signalist den Mund, formierte mit demselben eine runde Oeffnung, durch welche man beinahe einen Kinderkopf schieben konnte, legte diesen Lippenkreis an das ebenso große Loch seiner Bambusröhre und pustete aus Leibeskräften hinein. Es kam ein Ton heraus, der eine Elefantenherde zur schleunigsten Flucht bewegt hätte, und den man allerdings auf eine Entfernung von drei Viertelstunden hören konnte. Die sonstige Kapelle fiel sofort ein, daß mir angst und bange um das bißchen Generalbaß wurde, welches ich von früher her noch inne hatte. Der Signalist aber setzte ab, holte tief Atem, drehte sich um und blickte mich an, um zu sehen, welchen Eindruck seine bambusrohrige Leistung auf mein empfängliches Gemüt hervorgebracht habe. Ich nickte ihm lächelnd zu, worüber er so in Entzücken geriet, daß er sofort mit dem Munde den erwähnten dunklen Krater


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abermals bildete und nun zu tuten begann, daß man hätte meinen mögen, die drei Elemente wälzten sich kunterbunt durcheinander in dem vierten, nämlich in der Luft herum. Vier oder fünf solche Signalisten hätten wohl eine Mauer umblasen können. Dazu heulten, brüllten und schrieen die andern aus allen Leibeskräften. Wir gelangten mit unerhörtem Sang und Klang in das Dorf und hielten auf dem >Marktplatze< an, wo der alte Desierto mit Pena uns erwartete.

Alle Reiter stiegen ab und stellten sich vor die Köpfe ihrer Pferde in Reih und Glied. Es trat Stille ein, und der Häuptling nahm diese Gunst des Schicksales wahr, dem Alten militärischen Bericht zu erstatten. Als dieser zu Ende war, rief der letztere mir zu:

»Herr, ein großer und erfolgreicher Sieg! Die Chiriguanos sind so auf das Haupt geschlagen, daß wir gewiß länger als zehn Jahre Ruhe von ihnen haben. Die Krieger, welche Sie hier erblicken, bilden noch nicht die Hälfte der ausgezogenen Schar. Die Fehlenden sind noch weit zurück mit den Herden und sonstigen Dingen, welche wir erbeutet haben. Ich werde verkündigen, daß heute ein großer Siegesschmaus gegeben wird.«

Er that das, und die Folge war ein wahrer Orkan oder vielmehr eine sich immer um sich selbst drehende Windhose von Jubelstimmen. Ueber alle aber tönte das Signalhorn, was ich am besten beurteilen konnte, da der freundliche Musikus sich gerade neben mich gestellt hatte, um mir die zauberhafte Süßigkeit seiner Musenklänge aus erster Hand zukommen zu lassen. Er pustete und blies, daß ihm die Backen platzen wollten, und hielt dabei sein Auge auf mein Gesicht geheftet. Ich nickte ihm unausgesetzt meine Bewunderung zu. Er erkannte, daß er in mir eine quarten- und quintenverwandte Seele ge-


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funden [gefunden] hatte und geriet vor Freude darüber so in Ekstase, daß ich mich schließlich abwenden mußte, aus purer Angst, daß er sich die Haut vom Körper losblasen und dann mit samt der Pfeife als Luftballon in die Wolken gehen werde. Glücklicherweise wurde ich bald von anderer Seite in Anspruch genommen. Mehrere Männer drängten sich durch die Menge bis zu dem Desierto, dem sie dann eine Meldung zu machen schienen. Er kam auf mich zu und benachrichtigte mich:

»Herr, soeben kommen die Kundschafter zurück; ihr Gang ist nicht vergeblich gewesen. Sie haben die Mbocovis gesehen.«

»Wo?«

»Als sie sechs Stunden lang gelaufen waren, haben sie die heranziehenden Feinde bemerkt. Sie versteckten sich hinter einige Büsche, um sie zu beobachten. Sie waren zu Fuß, hatten aber einige Reiter bei sich.«

»Das sind die Pferde, die sie von uns erbeutet haben. Hoffentlich bekommen wir sie wieder. Leider werden Ihre Kundschafter sich nicht so weit hinangewagt haben, um das zu sehen, was zu erfahren mir wünschenswert ist.«

»Was wollen Sie wissen?«

»Ob Weiße dabei sind.«

»Einer ist gesehen worden.«

»Wie war seine Gestalt?«

»Lang und hager.«

»So ist's der Sendador, und ich bin befriedigt. Diesesmal soll er mir wohl nicht wieder entkommen!«

»Was werden wir thun?«

»Ich sehe, daß wir den Mbocovis an Zahl nicht ganz gleich stehen, an Waffen ihnen aber überlegen sind.«

»Das sind wir gewiß. Es ist meine größte Sorge


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gewesen, meine Roten mit Feuergewehren zu versehen; die tragen vier- und fünfmal weiter als der beste Bogen. Meinen Sie wirklich, daß die Mbocovis sich an der Stelle lagern werden, nach welcher Sie gestern der Yerno brachte?«

»Ich glaube es.«

»Und wollen wir sie dort überfallen?«

»Ja, bei Tagesanbruch, damit wir sehen können; in der Dunkelheit könnten viele, vielleicht gar der Sendador selbst, entkommen.«

»So haben wir noch viel Zeit und brauchen unsere Siegesfreude nicht zu beeinträchtigen.«

»O bitte! Mit dem Jubel muß es unbedingt ein Ende haben. Ich halte es für möglich, daß die Mbocovis, sobald sie am Rendez-vous angekommen sind, einen oder mehrere Kundschafter aussenden, welche das Dorf umschleichen sollen. Vielleicht unternimmt gar der Sendador es selbst, dies zu thun. Da muß vollständige Stille herrschen, damit der Feind nicht weiß, woran er ist. Ferner dürfen nur die Krieger in Thätigkeit treten; sie allein bleiben hier im Dorfe. Die andern alle müssen schon jetzt am Tage hinüber auf die Inseln und sich dort so ruhig und versteckt halten, daß niemand sie beobachten kann. Auch sämtliche Pferde werden hinübergeschafft.«

»Die Pferde? Ich denke, daß wir sie zur Verfolgung sehr nötig haben werden.«

»Eine Verfolgung wird es gar nicht geben; wenn wir es richtig machen, kann kein einziger entkommen.«

»Was verstehen Sie unter diesem richtig?«

»Sobald es dunkel geworden ist, gehe ich rekognoscieren, um zu sehen, ob die Mbocovis schon da sind. Ist dies der Fall, so marschieren wir später hinaus und umzingeln das Lager. Dann warten wir, bis der Tag


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anbricht. Wir nehmen solche Distanz, daß uns kein vergifteter Pfeil erreichen kann, während unsere Kugeln an ihr Ziel gelangen. Dann will ich sehen, wie der Sendador es anfangen will, zu entkommen.«

»Er wird einen Massenausfall gegen einen bestimmten Punkt unternehmen. Wir stehen zu ausgebreitet und vereinzelt, und so muß es ihm gelingen, sich durchzuschlagen.«

»Pah! Das Terrain, über welches wir uns auszubreiten haben, ist nicht groß. Wir haben einen Ring zu schließen, dessen Durchmesser kaum tausend Schritte beträgt. Uebrigens stellen wir uns auch nicht etwa einzeln, sondern in Trupps auf. Die Zwischenräume zwischen diesen Trupps können von beiden Seiten mit Kugeln bestrichen werden. Und sollte ja ein Durchbruch versucht und irgend ein bestimmter Punkt unseres Kreises bedroht werden, so sind in Zeit von einer Minute die Kameraden von den andern Punkten so nahe herbeigeeilt, daß ihre Kugeln in den Feind schlagen. Zu einem Durchbruche kann es gar nicht kommen, wenn wir jeden einzelnen Feind, der sich auch nur eine Sekunde lang außerhalb des Gebüsches sehen läßt, sofort niederschießen. Was sind Ihre Roten für Schützen?«

»Ich bin sehr zufrieden. Jeder kennt sein Gewehr genau.«

»Dann habe ich keine Sorge, falls Sie Munition genug besitzen.«

»Die ist da. Ich bin für Monate mit allem Nötigen versehen.«

»So muß es gelingen. Die Hauptsache ist, daß wir das Lager der Mbocovis umschließen, ohne daß sie es bemerken. Das übrige ist dann Leichtigkeit. Entkommen soll mir keiner!«

»Aber die Mbocovis haben auch Gewehre, nämlich


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die, welche Ihren Gefährten abgenommen worden sind!«

»Das sind nur wenige, und es fragt sich sehr, ob diese Roten mit einer Flinte umzugehen verstehen. Also führen Sie meine Vorschläge aus, und zwar so schnell wie möglich! Ich werde mit Pena hinaus in die Pampa gehen, um zu versuchen, ob wir das Nahen der Feinde bemerken können.«

Ich rief Pena zu mir. Wir stiegen auf den Felsen, um unsere Waffen zu holen, und schritten dann dem vermutlichen Lagerplatze der Mbocovis zu, ohne uns um das im Dorfe herrschende lebhafte Treiben weiter zu bekümmern. Die Stiefel freilich zogen wir aus, damit etwaige Kundschafter nicht etwa aus unsern Spuren erraten sollten, daß Weiße anwesend seien. Als wir die Büsche zu Gesicht bekamen, näherten wir uns denselben mit der größten Vorsicht. Doch war sie in diesem Falle überflüssig, denn es befand sich kein Mensch an diesem Orte. Wir beschlossen also, weiter zu gehen.

Die Spuren, welche die Mbocovis gestern gemacht hatten, waren noch so deutlich, daß nur ein nordischer Prairiejäger unsere heutigen von denselben hätte unterscheiden können. Darum brauchten wir uns keine große Mühe zu geben, keine Fährte zurückzulassen. Uebrigens sorgte der erwartete Feind dafür, daß er die letztere, selbst wenn sie von ihm bemerkt worden wäre, nicht bis zu ihrem Ausgangspunkte hätte verfolgen können, denn er hatte seine Annäherung so eingerichtet, daß er den Lagerplatz gerade mit der hereinbrechenden Dunkelheit erreichen mußte.

Als wir nämlich die Mbocovis erblickten, war es ungefähr drei Stunden vor Sonnenuntergang, gerade so viel Zeit, wie sie brauchten, um an den angegebenen Ort


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zu gelangen. Wie viele ihrer waren, konnten wir nicht zählen, da sie im Gänsemarsche hintereinander marschierten, voran die Reiter und hinter ihnen die Fußgänger, so daß einer den andern deckte.

Ich sah durch das Fernrohr des alten Desierto, welches ich mitgenommen hatte. Es war also anzunehmen, daß der Feind uns nicht gesehen habe. Wir kehrten schleunigst um, gingen bis an den Lagerplatz zurück und noch so weit über denselben hinaus, als das Fernrohr den Blick zu tragen vermochte. Dort legten wir uns nieder, um die Ankunft der Mbocovis zu erwarten. Nachdem eine halbe Stunde vergangen war, kamen sie. Es dunkelte schon stark; aber wir sahen doch, daß sie nach dem Gebüsche lenkten und in und hinter demselben verschwanden.

»Es ist richtig,« meinte Pena. »Sie verbergen sich dort, ganz so, wie wir gedacht haben. Was thun wir nun? Kehren wir nach dem Dorfe zurück?«

»Nur einer von uns. Der andere muß hier bleiben, um zu beobachten, ob der Sendador vielleicht sofort Kundschafter nach der Lagune sendet. Der Dunkelheit wegen wird die Beobachtung leichter sein. Wäre es hell, so würden etwaige Späher einen Umweg machen, um nicht gesehen zu werden. Nun aber können sie die gerade und kürzeste Richtung einhalten, also die Linie, welche hier an uns vorüberführt. Wenn man still liegt und das Gehör anstrengt, so muß man unbedingt die Schritte eines Menschen hören, selbst wenn er einige hundert Schritte weit von hier vorübergeht. Ich will selbst hier bleiben, und Sie mögen zu dem alten Winter gehen, um ihn zu benachrichtigen, daß die Mbocovis hier sind, und ihm die Weisung überbringen, daß er mit seinen Leuten kommen soll.«


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»Danke! Ich bleibe lieber hier. Es ist auf alle Fälle besser, daß Sie in das Dorf gehen, um dafür zu sorgen, daß der Anmarsch der Tobas in der richtigen Weise geschieht. Ich könnte darin Fehler machen und dann Vorwürfe von Ihnen bekommen.«

»Wie Sie wollen! Doch setze ich voraus, daß Sie gut aufpassen.«

»Das versteht sich ganz von selbst.«

»Schön! Was aber werden Sie thun, wenn Sie jemanden vorübergehen hören?«

»Ich schleiche mich ihm nach und versuche, ihn zu fangen.«

»Nein; das werden Sie nicht. Aber Sie schleichen ihm nach, um uns dann sagen zu können, in welcher Richtung er gewesen ist oder sich noch befindet.«

»Dann kann er aber doch Sie bemerken, gerade wenn Sie kommen, und es seinen Leuten berichten!«

»Ich bezweifle, daß er dazu kommen wird. Wenn er uns so nahe ist, daß er uns sehen kann, und wenn Sie uns auf ihn aufmerksam machen, so werde ich schon dafür sorgen, daß ich ihn erwische. Und sollte das nicht gelingen, so mag er immerhin nach den Büschen zurückkehren. Ehe er erzählt, was er gesehen hat, und ehe man dann beraten hat, was geschehen soll, haben wir den Platz umzingelt. Die Hauptsache ist, daß Sie sich nicht eher bemerkbar machen, als bis wir zum Handeln fertig sind. Auch müssen Sie sich, falls Sie sich von hier entfernen, diese Stelle genau merken, um sie wieder finden zu können. Laufen Sie aber in der Irre herum, so warten wir dann hier vergeblich auf Sie und wissen nicht, woran wir sind.«

»Na, lieber Freund, Sie werden mir doch wohl so viel Ortssinn zutrauen, mich zurecht zu finden! Gehen


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Sie ohne Sorge! Ich werde sicher keinen Fehler machen. Darauf können Sie sich verlassen.«

Ich zog meine Stiefel wieder an, da die Art der Fährte jetzt gleichgültig war, und schritt so schnell wie möglich dem Dorfe zu, wo man mit Verlangen auf unsere Rückkehr gewartet hatte.

Winter war so vorsichtig gewesen, seine Leute zum Ausrücken bereit zu halten, so daß wir also mit dem Sammeln und sonstigen Vorbereitungen keine Zeit zu verlieren brauchten. Auch die Anweisungen, welche ich zu geben hatte, hielten uns nicht lange auf. Ich hatte einstweilen nur zu sagen, daß ich vorangehen werde und die andern mir im Gänsemarsche zu folgen und dabei jedes Geräusch zu vermeiden hätten. Ein Angriff auf das Dorf war während unserer Abwesenheit nicht zu erwarten, da wir den Feind umschlungen halten wollten; dennoch aber ließen wir, um für alle Fälle gerüstet zu sein, eine Besatzung zurück, welche genügend war, sich der Mbocovis bis zu unserer Ankunft zu erwehren.

Da ich annehmen mußte, daß ein etwaiger Kundschafter das Dorf in gerader Linie zu erreichen suchen werde, so hielt ich mich links derselben, indem ich die Tobas erst am Ufer des Sees hin führte und nachher einen Bogen nach Norden machte, um aus dieser Richtung zu Pena zurückzukehren. Auf diese Weise gingen wir dem Kundschafter gewiß aus dem Wege.

Es ist nicht leicht, in vollständig ebener Gegend im Dunkel des Abends eine bestimmte Stelle zu finden, welche sich durch gar nichts von ihrer Umgebung unterscheidet. Es gab keinen Baum, keinen Busch, kurz kein Gewächs und auch keinen andern Gegenstand, welcher mir als Marke hätte dienen können. Doch wer sich Jahre lang in der Prairie umhergetrieben hat, bei dem hat sich, wenn


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das Wort erlaubt ist, ein Oertlichkeitsinstinkt entwickelt, der ihn wohl nur selten im Stiche läßt. So auch bei mir. Ich erreichte die betreffende Stelle so genau, als ob es heller Tag sei. Und als ich mich niederbückte, um die Erde mit den Fingerspitzen zu untersuchen, fühlte ich deutlich die Eindrücke, welche Pena und ich gemacht hatten. Aber dieser erstere war nicht mehr da.

»Er hat also einen Kundschafter bemerkt und ist ihm nachgeschlichen,« sagte der alte Desierto. »Warten wir, bis er zurückkehrt?«

»Nein,« antwortete ich. »Nur einer Ihrer Leute mag hier bleiben, um ihm, wenn er kommt, zu sagen, daß wir schon da sind, und ihn zu uns führen. Wir aber avancieren weiter.«

Nachdem Winter einen Indianer bestimmt hatte, welcher auf Pena warten sollte, gingen wir andern leise weiter, bis ich glaubte, daß wir uns dem Gebüsch genug genähert hätten. Dann ließ ich halten.

Da ich die Oertlichkeit genau kannte, so war meine Berechnung nicht schwer zu machen. Wir mußten um das kleine Gehölz einen Kreis bilden, dessen Durchmesser vielleicht achthundert Schritte betrug, folglich war der Umfang desselben ungefähr fünfundzwanzighundert Schritte lang. Ich schritt also, von den Roten gefolgt, die Kreislinie ab und ließ nach jedem zwölften Schritte einen Indianer stehen, welcher die Weisung hatte, jeden Fremden niederzuschießen, welcher in irgend einer Richtung den Kreis durchbrechen wolle. Als ich auf diese Weise um das Gehölz herumgekommen war und wieder auf dem Ausgangspunkte anlangte, waren die Tobas alle verteilt, und nur ich allein stand mit dem Desierto außerhalb des Kreises, um, falls es nötig sein sollte, nach jedem beliebigen Punkte desselben zu eilen. Kaum war diese


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Aufstellung vollendet, so hörten wir aus der Gegend, in welcher das Dorf lag, schnell hinter einander zwei Schüsse fallen.

»Alle Teufel!« sagte Winter. »Dort schießt man. Ich soll doch nicht etwa annehmen, daß wir hier das leere Gebüsch umzingelt haben, und daß die Mbocovis indessen nach dem Dorfe sind, um es zu überfallen?«

»Daran ist nicht zu denken,« antwortete ich. »Der Sendador hat ja einen Boten von den Mbocovis erwarten wollen, die er für siegreich hält, während sie auf dem Felsen gefangen liegen. Im höchsten Falle hat er einen Kundschafter ausgesandt, und dieser ist mit Pena handgemein geworden.«

»Das haben Sie Pena doch verboten!«

»Freilich; aber man darf sich nie vollständig auf andere verlassen. Wir müssen ruhig abwarten, was kommen will. Aber gehen Sie jetzt einmal rundum von Mann zu Mann, und schärfen Sie den Leuten ein, daß sie ihre Aufmerksamkeit nicht nur vorwärts nach dem Gebüsch, sondern auch nach rückwärts zu richten haben. Sie sollen jeden, der sich ihnen von außen her naht, laut anrufen und ihn, falls er nicht stehen bleibt oder keine Antwort giebt, niederschießen.«

»Aber Herr, das laute Anrufen und Schießen muß den Mbocovis verraten, daß wir hier sind.«

»Das schadet nichts. Wir haben sie nun in der Mitte; sie mögen immerhin merken, daß wir da sind.«

Er ging, und es dauerte wohl eine Viertelstunde, ehe er zurückkehrte, um mir zu versichern, daß seine Leute auf ihrer Hut seien. Noch während wir sprachen, hörte ich Schritte, welche vom Dorfe her näher kamen. Sie klangen laut und schnell. Der Betreffende befand sich also in großer Eile. Er wußte nicht, daß wir da waren


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und glaubte also nicht, Veranlassung zur Vorsicht zu haben.

»Ist das etwa Pena?« fragte der Alte.

»Nein, denn dieser würde leise auftreten. Es ist der Kundschafter. Kommen Sie! Wir wollen versuchen, ihn abzufangen.«

Wir gingen dem Kommenden entgegen. Er kam uns schnell näher. Seine Gestalt tauchte vor uns auf. Ich hatte die Hände frei behalten, um ihn zu fassen, leider aber vergessen, dem Alten zu sagen, daß er nicht sprechen solle. Kaum erblickte er den Mann, so rief er aus:

»Quien vive - wer da?«

Der Angerufene stutzte, aber nur einen Augenblick lang, dann warf er sich mit einem raschen Sprunge zur Seite. Ich hatte trotz der Dunkelheit seine Gestalt erkannt und war auf ihn eingesprungen, kam jedoch schon zu spät; er war verschwunden. Ich sprang ihm nach, in der Richtung nach rechts, die er eingeschlagen hatte; er mußte sie aber sofort wieder verändert haben, denn er war nicht zu sehen. Ich blieb also stehen und lauschte, konnte aber nicht das leiseste Geräusch vernehmen.

»Aufgepaßt!« rief ich mit so lauter Stimme, daß meine Worte von allen unsern Leuten gehört werden mußten. »Der Sendador ist da; er will nach den Büschen. Laßt ihn nicht durch, sondern schießt ihn nieder!«

So viel mir am Leben dieses Mannes lag, so war es doch besser, ihn zu töten als ihn wieder zu seinen Mbocovis zu lassen, die ohne ihn führerlos und also weniger widerstandsfähig waren. Kaum war mein Ruf verklungen, so hörte ich seitwärts von mir eine unterdrückte Stimme in grimmigem Tone rufen:

»Tausend Teufel! Der verdammte Deutsche!«

Das war der Sendador. Er war so klug gewesen,


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sich niederzuducken, anstatt zu entfliehen und uns durch laute Schritte zu verraten, wohin er sich wende. Er hatte mich an der Stimme erkannt und war in der zornigen Ueberraschung so unvorsichtig gewesen, den Ruf auszustoßen. ich wendete mich natürlich augenblicklich der Richtung zu, aus welcher sein Ruf erklungen war, that dieses aber nicht leise und heimlich und hätte diese Unvorsichtigkeit beinahe mit dem Leben bezahlen müssen, denn kaum hatte ich einige Schritte gethan, so blitzte es ungefähr fünfzehn Schritte vor mir auf, und ich fühlte eine Berührung, als ob jemand mir mit der Hand zwischen dem linken Arme und dem Leibe hindurchfahre. Das Aufleuchten des Schusses hatte mir den Sendador gezeigt. Ich blieb stehen, zog den Stutzen an die Backe und drückte los, genau dorthin, wo ich ihn gesehen hatte. Ein lautes, höhnisches Gelächter antwortete mir. Er war so schlau gewesen, die Stelle augenblicklich, nachdem er geschossen hatte, zu verlassen.

Auch ich huschte eine kleine Strecke zur Seite, um von einer etwaigen zweiten Kugel nicht getroffen zu werden, und blieb dann horchend stehen. Es war nichts zu hören. Der Kerl war mir entgangen. Darum kehrte ich zu dem Alten zurück, welcher mich in sehr erregtem Tone fragte:

»War es denn wirklich der Sendador selbst?«

»Ja. Er hat keinen andern nach dem Dorfe schicken wollen und ist selbst gegangen.«

»Dann ist es doppelt zu beklagen, daß er entkommen ist. Er schoß auf Sie. Sind Sie verwundet?«

»Nein. Die Kugel scheint nur mein ledernes Wams getroffen zu haben.«

»Aber Sie erwiderten seinen Schuß. Vielleicht trafen Sie besser als er.«


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»Nein. Sie haben doch wohl gehört, daß er mich auslachte. Dieser Mensch hat mir gegenüber ein immerwährendes Glück. So oft ich denke, ihn fest zu haben, er entgeht mir doch - - horch!«

»Quien va alli - wer kommt da?« ertönte die laute Stimme eines unserer Indianer.

Dem Klange nach stand der Rufende gar nicht weit von uns. Gleich darauf blitzte sein Gewehr auf.

»Quien vive?« fragte es kurz darauf an einer andern Stelle, worauf auch sofort ein Schuß erfolgte. Ein zweiter Schuß antwortete.

»Er will durch,« sagte der Alte. »Er hat es außer hier nun schon an zwei Stellen versucht.«

»Und ist so vorsichtig gewesen, wieder zu laden. Er hat auch auf den Posten geschossen. Es werden noch mehrere Schüsse fallen, denn er wird so lange auf Leute von uns treffen, bis er eingesehen hat, daß das Gebüsch umzingelt ist.«

Meine Vermutung bestätigte sich, denn wir hörten sehr bald aus einer entfernteren Gegend den lauten Anruf und dann den darauf folgenden Schuß. Dann vernahmen wir Schritte in unserm Rücken. Der zurückgelassene Indianer brachte Pena zu uns. Dieser letztere wartete nicht, bis er angeredet wurde, sondern fragte hastig:

»Man schoß hier wiederholt. Habt Ihr den Sendador getroffen?«

»Also wissen Sie, daß er es ist?« antwortete ich.

»Natürlich! Ich habe ihn bis auf drei oder vier Schritte gesehen.«

»Wir hörten die Schüsse. Wer schoß zuerst, Sie oder er?«

»Ich natürlich!«


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»So! Das finde ich nicht so natürlich und selbstverständlich. Ich hatte Sie doch gebeten, keinen Lärm zu machen!«

»Ja, falls ich auf einen roten Kundschafter treffen sollte. Von dem Sendador aber haben Sie kein Wort gesagt!«

»Ich hätte allerdings daran denken können, daß er selbst den Weg nach dem Dorfe unternehmen werde, aber das entschuldigt doch Sie nicht. Sie durften auf keinen Fall schießen.«

»Auch nicht, wenn ich den Sendador selbst vor mir hatte? Da nicht zu schießen, wäre die größte Dummheit gewesen! Er ist der Kopf der Mbocovis. ist aber der Kopf tot, so ist auch der Leib verloren.«

In diesem Augenblick fiel jenseits des Gebüsches ein Schuß. Daraus war zu schließen, daß der Sendador auch dort versuchte, durch unsern Ring zu kommen.

»Der Mensch hat ein unendliches Glück!« sagte der alte Desierto. »So viele Kugeln, und doch nicht getroffen!«

»Vielleicht traf die letzte.«

»Wollen es hoffen!«

»Hm!« brummte Pena. »Warum lassen Sie überhaupt auf ihn schießen? Sie konnten etwas Klügeres thun!«

»Was? Wieso?«

»Dadurch, daß Sie ihn nicht durch Ihren Kreis lassen, treiben Sie ihn ja förmlich von sich, anstatt sich in den Besitz seiner Person zu setzen. Hätten Sie ihn ruhig hindurchgelassen, so befände er sich jetzt bei seinen Roten und müßte sich später ebenso wie sie ergeben. Sehen Sie das nicht ein, Sie überaus kluger Mann?«

Er hatte recht, und ich gestand dies aufrichtig ein. Ich versuchte, meinen Fehler dadurch zu verbessern, daß ich den Alten und den Roten, welcher mit Pena gekom-


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men [gekommen] war, sofort den Kreis abgehen ließ, um den Tobas die bezügliche Instruktion zu erteilen.

Während sie das thaten, setzte ich mich mit Pena auf die Erde nieder, um das einzige zu thun, was wir vornehmen konnten - nämlich warten.

Wir schwiegen beide. Ich ärgerte mich gewaltig über den Fehler, den ich begangen hatte. Es war ganz richtig: Hätten wir den Sendador ruhig durchschlüpfen lassen, so befand er sich dann innerhalb unseres Kreises und konnte uns kaum mehr entkommen. Freilich war er auch der einzige, der die Fähigkeit besaß, unserm Plane mit Erfolg entgegen zu arbeiten. Er wäre sicher die Nacht nicht still und unthätig geblieben, sondern hätte einen Durchbruch versucht, welcher zwar nicht allen gelingen konnte, aber doch einigen gelingen mußte. Und bei diesen einigen hätte er sich ganz gewiß befunden. Dabei wäre es zum Kampfe und Blutvergießen gekommen, und ich hatte also jetzt wenigstens die Genugthuung, dieses letztere durch meinen Fehler verhütet zu haben. Leider aber war dieser Fehler nicht der einzige, den ich mir zu schulden kommen ließ. Es scheint, daß ich an jenem Abende nicht recht bei Ueberlegung gewesen bin. Ich hätte mir sonst sagen müssen, daß ich mich persönlich in der größten Gefahr befand.

Der Sendador trieb sich außerhalb unseres Kreises im Dunkel herum. Er hatte gesehen, an welcher Stelle ich mich befand. Ich wußte, daß er mich für den gefährlichsten seiner Gegner hielt, und so lag der Gedanke mehr als nahe, daß er versuchen werde, sich an mich zu schleichen, um mich unschädlich zu machen. Mir aber fiel es gar nicht ein, diesen Gedanken zu hegen.

Wir beide saßen einander stumm gegenüber, gaben unsern Gedanken und Empfindungen Audienz und horchten


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dabei in die Nacht hinaus, ob sich etwas hören lasse. Da war es mir, als ob ich ein leises Geräusch gehört hätte, ein Geräusch, wie wenn man mit der Hand über den harten Erdboden streicht und dabei kleine Steinchen oder größere Sandkörner aus ihrer Lage bringt.

»Sitzen Sie ganz still!« raunte ich Pena zu. »Ich glaube, es kommt jemand gekrochen.«

»Wer denn?« fragte er ebenso leise. »Etwa der Sendador?«

»Möglich, sogar wahrscheinlich. Lassen Sie uns hören!«

Ich legte mich lang nieder und hielt das Ohr an die Erde. Da vernahm ich das erwähnte Geräusch deutlicher; es näherte sich, aber von welcher Seite, das konnte ich nicht unterscheiden. Wenn ein so leises Rascheln an ein noch so feines Ohr zu dringen vermag, so ist anzunehmen, daß derjenige, welcher es verursacht, sich nur wenige Fuß entfernt befindet. Es war sicher, daß uns Gefahr drohte; ich kroch also, ohne mich aufzurichten, hart an Pena heran und flüsterte ihm zu:

»Geben Sie mir die Hand! Wir springen schnell auf und eine kleine Strecke fort, da nach rechts hinüber. Es ist jemand da. Eins - zwei - drei!«

Bei »drei« schnellten wir uns auf und fort. Ich hatte Penas Hand ergriffen, damit wir nicht auseinander kämen - ein Ruck entriß sie mir, und dann hörte ich Penas Stimme hinter mir:

»Hölle und Teufel! Was - was - ah!«

Ich blieb stehen und horchte.

»Hund!« fuhr Pena fort. »Du sollst mir nicht entkommen. Ich habe dich zu fest. Ich halte dich - - au, o!«

Diese letzteren Interjektionen wurden im Tone des Schmerzes ausgerufen.


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»Halten Sie fest!« forderte ich ihn auf. »Ich komme!«

Und das war abermals ein Fehler, ja sogar eine unverzeihliche Dummheit von mir. Durch diese lauten Worte machte ich seinen Gegner auf die Hilfe, welche ich bringen wollte, aufmerksam. Ich hätte kein Wort verlieren, keinen Laut hören lassen sollen.

Ich eilte die wenigen Schritte zurück. Vor mir fuhr eine Gestalt vom Boden auf. Ich griff schnell zu und faßte sie beim Halse.

»Mein Himmel!« krächzte der Mann in deutscher Sprache. »Sie haben ja mich, mich, mich selbst - - -«

Ich hatte also Pena gepackt und ließ ihn natürlich fahren. Aus geringer Entfernung von uns selbst erscholl die Stimme des Sendador:

»Mißlungen, aber nur für heute! Du deutscher Hund wirst schon noch mein!«

Im Nu hatte ich den Henrystutzen im Anschlage und gab fünf, sechs Schüsse nach der Gegend ab, in welcher sich der Rufende befand. Er schien heute gegen alle Verwundung gefeit zu sein, denn es war kein Laut zu hören, der uns hätte vermuten lassen können, daß er getroffen worden sei.

»Donnerwetter!« fluchte Pena. »Ist das ein Abend! Alles, alles geht fehl, und zuletzt wird man durch seinen eigenen Genossen erwürgt und ums Leben gebracht. Warum packten Sie gerade mich und nicht ihn?«

»Weil ich nicht ihn, sondern Sie erblickte.«

»Mich erblickte! Ist denn das ein Grund, mir den Hals zusammenzudrücken, wie eine Maccaroninudel! Wenn Sie mich so oft erwürgen wollen, wie Sie mich erblicken, so ist es schlecht um mich bestellt!«

»Ich hatte Sie in der Eile nicht erkannt. Warum entrissen Sie mir denn Ihre Hand?«


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»Ich? Ist mir gar nicht eingefallen, sie Ihnen zu entreißen. Während Sie mich fortzogen, stürzte ich über den Sendador, welcher gerade da lag, wohin wir uns vor ihm retten wollten.«

»Das ist freilich Pech!«

»Ja. Aber es war auch viel Glück dabei, denn der Kerl schien ebenso erschrocken zu sein, wie ich selbst. Wenigstens versäumte er, mich sofort zu packen.«

»So nahmen Sie ihn fest?«

»Ja. Ich warf ihm alle zehn Finger um den Hals; aber ich bin nicht ein geborener Würger wie Sie; er behielt Luft und faßte auch mich an der Gurgel, was freilich nicht viel sagen wollte.«

»Sonderbar, daß er sich keiner Waffe bediente!«

»O, er that es dann. Ich bemerkte, daß er nach seinem Gürtel griff. Ich versuchte, ihm die Hand festzuhalten, aber er zog sie mitsamt dem Messer durch meine Faust; ich mußte ihn fahren lassen, denn ich glaube, er hat mir alle Finger zerschnitten. Das war gerade, als Sie riefen, wodurch er glücklicherweise so in Schreck versetzt wurde, daß er schleunigst entfloh.«

»Welch ein Pech und abermals Pech und immer wieder Pech! Hätten Sie ihn nur noch zwei Sekunden festhalten können!«

»Festhalten? Mit meinen abgeschnittenen Fingern? Das machen Sie mir doch gefälligst einmal vor!«

»Abgeschnitten? - So schlimm ist es doch wohl nicht?«

Er untersuchte seine Finger und erklärte dann:

»Nein, die Finger sind noch dran und keiner ist verletzt; es ist ein Schnitt quer über die hohle Hand. Hoffentlich kehrt der Alte bald zurück. Er sprach vorhin von einem indianischen Wandermittel, welches augenblick-


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lich [augenblicklich] jede Blutung stillt. Er hat es mitgenommen, weil ein Kampf zu erwarten ist.«

Der viejo Desierto hatte unsere lauten Rufe gehört, und sich infolgedessen beeilt. Als er kam, war er nicht weniger als wir erzürnt über die Freundschaft, welche das Glück heute dem Sendador bewies. Er zog sein Wundzeug aus der Ledertasche, welche er umhängen hatte, verband Penas Hand und dann entfernten wir uns von unserm bisherigen Orte, um eine andere Stelle für uns zu suchen und es dem Sendador dadurch schwer zu machen, uns abermals zu finden.

Unternahm er jetzt noch einmal den Versuch, durch unseren Kreis zu schleichen, so mußte derselbe gelingen, denn der Alte hatte befohlen, ihn durchzulassen und es uns dann aber sogleich zu melden. Aber es verging Stunde um Stunde, ohne daß uns eine derartige Mitteilung gemacht wurde. Mitternacht nahte und die Sichel des Mondes ging auf, um die Gegend mit einem fahlen Lichte zu übergießen, welches es uns möglich machte, das innerhalb unseres Ringes befindliche Gebüsch als dunkle, verwischte Masse liegen zu sehen.

So wenig hell dieser Mondenschein für andere Zwecke war, uns genügte er vollkommen. Für uns war er vorteilhaft, währen er den Mbocovis Verderben brachte. Erstens verhinderte er den Sendador, sich abermals anzuschleichen, und zweitens, die Hauptsache, verriet er uns die Arrangements, welche die Roten getroffen hatten.

Wie wir vorausgesehen hatten, waren sie durch die gefallenen Schüsse zur Vorsicht gemahnt worden. Auch sie hatten Wachen ausgestellt, im Kreise rund um das Gehölz, und zwar so, daß diese Leute sich ungefähr in der Mitte zwischen uns und dem Lagerplatze befanden.


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Als nun der Mond erschien, erblickten die Tobas diese Feinde und begannen Sofort, auf dieselben zu feuern.

Es zeigte sich, daß unsere Indianer keine schlechten Schützen waren, denn ihre Kugeln hatten getroffen. Viele der Mbocovis fielen; andere wurden verwundet und rannten mit den Unverletzten in höchster Eile nach den Büschen, um sich hinter denselben in Sicherheit zu bringen.

Einige Zeit später bemerkten wir, daß sie sich paarweise hervorwagten. Sie krochen an der Erde nach ihren Toten und Schwerverwundeten hin, um dieselben in das Lager zu holen. Auch auf diese Leute wurde geschossen, ohne daß wir Einhalt thaten. Es mag das als hart und wenig menschlich erscheinen; aber in unserer Lage galt es vor allen Dingen, den Mbocovis zu zeigen, daß wir nicht beabsichtigten, Scherz zu treiben. Dadurch, daß wir jetzt so streng wie möglich waren, konnten wir es erreichen, später Milde walten zu lassen.

Natürlich sahen die Feinde uns ebenso gut, wie wir sie. Sie mußten bemerken, daß sie umzingelt seien. Sie konnten sogar unsere Leute zählen, und es stand zu erwarten, daß sie versuchen würden, in geschlossener Masse sich durchzuschlagen. Aber die Nacht verging, ohne daß dies geschah. Der Morgen brach an, und es wurde tageshell. Nun hielt ich das Spiel für gewonnen.

Wir hatten das Fernrohr mit und konnten mit Hilfe desselben sehen, was innerhalb des Gehölzes geschah. Am Rande desselben lagen Wachen, welche den Auftrag hatten, uns zu beobachten. Hinter diesen Leuten waren die übrigen versammelt zu einer Beratung, wie es schien, denn sie standen eng beisammen. Es war zu erwarten, daß wir das Ergebnis dieser Besprechung bald erfahren würden.

Nach einiger Zeit bemerkten wir, daß die wenigen Pferde, welche sie bei sich hatten, gesattelt wurden. Das


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deutete auf den Aufbruch. Die Mbocovis glaubten, daß wir das, was innerhalb des Gehölzes geschah, nicht beobachten könnten. Daß wir ein Fernrohr hatten, wußten sie nicht.

Es galt nun, zu beobachten, nach welcher Seite des Gehölzes sie sich ziehen würden, denn nach dieser Richtung war jedenfalls der Durchbruch beschlossen. Ich verabredete mit dem Viejo und Pena einige Zeichen, durch welche ich ihnen das Nötige mitteilen konnte, und schickte sie dann fort, den einen nach rechts und den andern nach links. Unseren Kreis in drei Teile zerlegt, mußten sie sich an dem zweiten und dritten Teilungspunkte aufstellen, während ich am ersten stand. Auf diese Weise sahen wir uns, obgleich die Büsche in unserer Mitte lagen, und konnten uns die verabredeten Zeichen geben.

Unsere Tobas erhielten den Befehl, ja nicht auf die Pferde, die uns erhalten bleiben mußten, sondern auf die Reiter zu schießen, überhaupt erst dann abzudrücken, wenn sie sicher seien, ihr Ziel zu treffen. Auch wurde bestimmt, daß je der zweite Mann der nicht bedrohten Seite derjenigen Seite zu Hilfe zu eilen habe, an welcher der Feind durchzubrechen versuchen werde. Die andern hatten unbedingt ihre Plätze zu behalten.

Uebrigens war es mir um unsere Roten gar nicht bange. Sie waren fest überzeugt, daß sie siegen würden, und diese Ueberzeugung gab ihnen eine Ruhe, deren Wert ich wohl zu schätzen wußte.

Ich stand an der dem Dorfe zugerichteten Seite und war sicher, daß man es unbehelligt lassen werde. Nach dieser Richtung zu entfliehen, das konnte den Mbocovis unmöglich einfallen. Und wirklich sah ich, daß sie sich nach dem entgegengesetzten Teile des Gehölzes zogen; sie wollten also nach Osten hin zu entkommen versuchen.


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Indem ich das Gewehr hoch emporhob, gab ich dem Alten und Pena das betreffende Zeichen, und ich sah, daß sie den ihnen nächststehenden Leuten die bezügliche Mitteilung machten, welche von Mann zu Mann weiter gegeben wurde. Unsere Leute waren also vorbereitet.

Jetzt befanden sich die Mbocovis so tief im östlichen Teile des Gehölzes, daß ich sie nicht mehr sehen und beobachten konnte. Das war auch nicht mehr nötig, denn der Ausbruch begann. Ein entsetzliches Geheul leitete ihn ein. Dann hörten wir Schüsse krachen. Sie fielen auf der uns entgegengesetzten, hinter dem Gehölz liegenden Seite, so daß wir nicht sehen konnten, was geschah. Aber ein jeder wußte, was er zu thun hatte. Sobald wir die ersten Schüsse hörten, eilten die dazu bestimmten Leute nach beiden Seiten davon, bis so weit, daß ihre Kugeln die Mbocovis erreichen konnten.

Nun waren nicht einzelne Schüsse mehr zu hören, sondern dieselben vereinigten sich zu einem eifrigen Geknatter, welches nicht länger als höchstens zwei Minuten währte. Dann schienen sich die Büsche, in welche die Mbocovis zurückgetrieben worden waren, unter dem Wutgebrüll derselben zu biegen. Unsere Tobas aber antworteten mit einem Siegesgeheul, welches nicht weniger gräßlich anzuhören war.

Die von meiner Seite nach jenseits zur Hilfe gegangenen Leute kehrten zurück und erzählten stolz, wie leicht ihnen der Sieg geworden war. Sie hatten den Feind natürlich nicht so weit herankommen lassen, daß er sie mit seinen vergifteten Pfeilen hätte treffen können, sondern ihm ihre weit reichenden Kugeln in solcher Menge zugesandt, daß er gleich im Anfange gestockt hatte und dann mit seinen Toten und Verwundeten zurückgewichen war.


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Das war eine Lehre, welche ihn zur Nachgiebigkeit geneigt machen mußte. Ich sandte darum einen Toba, welcher die Sprache der Mbocovis verstand, ab, um sie aufzufordern, sich zu ergeben. Er nahm in Ermangelung eines Zweiges ein Tuch zur Hand und ging, indem er es hoch schwenkte, langsam auf das Gehölz zu. Ich sah, daß er stehen blieb, und hörte die Worte, welche er den Mbocovis zurief. Einzelne Stimmen antworteten; dann brach ein allgemeines Geheul los, und Pfeile flogen auf ihn zu, jedoch ohne ihn zu erreichen. Als er nun zurückkehrte, sagte er, daß man ihm die Antwort gegeben habe, wir sollten doch kommen und das Lager stürmen; in den Bereich der Pfeile würden wir uns wohl nicht wagen, und unsere Kugeln brauchten sie nicht zu fürchten.

Pena und Winter waren herbeigekommen, um den Bericht des Parlamentärs zu hören. Jetzt meinte der erstere:

»Wollen wir ihnen antworten, wie es sich gehört?«

»Ja,« sagte ich. »Sie hatten es auf unsern Tod abgesehen, wozu sie also schonen. Treffen wir einige, nun so werden dadurch die anderen gerettet, indem sie sich unterwerfen. Ziehen wir den Kreis noch enger zusammen, doch nicht so weit, daß wir ihren Pfeilen ausgesetzt sind. Und dann mögen unsere Leute auf einen jeden schießen, der sich sehen läßt.«

Dieser Weisung wurde Folge geleistet. Wir näherten uns dem Gehölz, und bald ertönte das Krachen der einzelnen Schüsse, welche auf die am Rande der Büsche sich Zeigenden gerichtet waren. Es trafen viele der Kugeln, wie wir aus dem dann allemal sich erhebenden Gebrüll ersehen konnten.

Um die Mbocovis noch schneller gefügig zu machen, sandte ich den Parlamentär nochmals ab, welcher ihre


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Aufmerksamkeit auf meine Person lenken sollte. Seine Worte wurden abermals mit lautem Geschrei und unschädlichen Pfeilen beantwortet, waren aber verstanden worden und wurden auch befolgt, denn ich sah, daß die Roten sich nach der Seite des Gehölzes drängten, welcher ich gegenüberstand.

Nun schritt ich langsam nach rückwärts, indem ich mich immer weiter von ihrem Lager entfernte. Ich wußte genau, was ich meinem schweren Bärentöter zutrauen dürfte, und hielt in einer Entfernung an, aus welcher nicht nur ein uncivilisierter Indianer keine Kugel erwartet hätte.

Zunächst sah ich durch das Fernrohr und merkte mir eine Stelle, an welcher viele Mbocovis neben- und hintereinander standen, um mich zu beobachten. Dann schwang ich die Büchse hoch in der Luft, legte sie an, zielte kurz, drückte ab und nahm sogleich das Rohr wieder in die Hand.

An dem Punkte, nach welchem ich gezielt hatte, herrschte große Verwirrung. Jedenfalls hatte die Kugel nicht nur einen getroffen. Leute lagen an der Erde; andere bückten sich über sie; noch andere fuhren hin und her; alle aber schrieen entsetzlich.

Ich legte zum zweiten Male an und gab ihnen auch die andere Kugel. Das Geheul verdoppelte sich, ein sicheres Zeichen, daß ich abermals getroffen hatte. Als ich dann an meinen vorigen Standpunkt zurückkehrte, sagte der alte Desierto:

»Das ist ja ein fürchterliches Gewehr! Auf solche Entfernung hin zu treffen, habe ich für unmöglich gehalten.«

»Pah! Es waren zwei sogenannte Sauschüsse. Ich habe mitten in die Menge gezielt und mußte also irgend


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wen treffen. Mein Zweck ist aber erreicht, denn jedenfalls sind die Kerle nun überzeugt, daß sie vor unsern Kugeln nicht sicher sind. Ich hoffe, daß sie sich bald ergeben.«

»Ich auch. Soll ich mit ihnen reden?«

»Sie selbst? Sie begeben sich in Gefahr, von einem Pfeile getroffen zu werden.«

»Keiner wird es wagen, auf mich zu schießen! Ich kenne diese Roten. Ich werde sogar trotz ihrer Pfeile geradewegs nach den Büschen gehen.«

»Lassen Sie das bleiben! Es könnte Ihr Tod sein.«

»O nein. Wenn ich dieses hier mit habe, so giebt es keine Gefahr für mich.«

Er klopfte an seine Ledertasche und zog seinen zusammengewickelten Talar aus derselben.

»Den habe ich mir zu diesem Zweck mitgenommen.« fuhr er fort. Ach stehe bei allen Roten des Gran Chaco in einem solchen Rufe, daß keiner es wagen wird, sich an mir zu vergreifen, falls ich diesen Rock trage. Also haben Sie keine Sorge um mich. Ich weiß genau, was ich thue.«

»Nun, so will ich nicht widersprechen. Was aber werden Sie ihnen für Bedingungen machen?«

»Was raten Sie?«

»Milde. Es ist genug Blut geflossen, auf unserer Seite aber noch kein Tropfen. Wir haben es mit Verführten zu thun.«

Ich gebe Ihnen vollständig recht und bin überhaupt seit gestern ein ganz anderer Mann geworden. Ich weiß noch nicht, was man mir antworten wird, und kann also auch nicht wissen, was ich sagen und fordern werde; aber streng werde ich nicht sein.«

Er warf seinen Talar über, legte alle Waffen ab


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und schritt in würdevoller Haltung dem Lager zu. Hatte ich bis jetzt Angst um ihn gehabt, so war diese nun verschwunden, als ich sah, mit welcher Seelenruhe die Tobas ihren Anführer und Regenten sich den Feinden nähern sahen. Die letzteren verhielten sich vollständig ruhig. Keiner von ihnen trat in feindlicher Absicht vor; kein Laut war zu hören, selbst dann nicht, als der Alte hinter den Büschen verschwunden war.

Die Mbocovis schienen sich alle um ihn versammelt zu haben, denn so scharf ich den Platz durch das Rohr betrachtete, ich sah keinen einzeln stehen, sondern alle bildeten einen dichten, undurchdringlichen Kreis.

Wir warteten lange, lange Zeit, eine ganze Stunde und noch eine halbe; dann öffnete sich der Kreis, und der Alte kehrte zu uns zurück, doch nicht allein, sondern es kamen sechs Rote mit ihm. Der eine derselben schien ein Kazik (* Häuptling.) zu sein; die fünf andern waren alte Männer, welche ihn in der Eigenschaft von Räten begleiteten. Als sie uns erreichten, sagte der Alte in spanischer Sprache zu uns:

»Dieser tapfere Häuptling der Mbocovis wünscht einige Fragen an die Sennores zu richten. Nach den Antworten, welche er darauf empfängt, wird er sein Verhalten einrichten.«

Nach diesen Worten setzte er sich nieder. Pena und ich nahmen zu seiner Rechten und Linken Platz. Der Mbocovi setzte sich mit seinen Begleitern uns gegenüber. Er musterte uns mit einem scharfen Blicke und sagte dann, zu meinem Erstaunen in ziemlich gut fließendem Spanisch:

»Sie sind aus dem Lande, welches Alemania genannt wird?«


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»Ja,« antwortete ich.

»Das freut mich, denn ich achte dieses Land und seine Bewohner.«

»Haben Sie vielleicht Deutsche kennen gelernt?«

Diese meine Frage schien ihm unwillkommen zu sein, denn er wich ihr aus, indem er fortfuhr:

»In Alemania giebt es tapfere, kluge und fromme Leute. Auch Sie sind tapfer, wie ich gesehen habe; nun sagen Sie mir, ob Sie auch fromm und klug sind!«

»Erlassen Sie uns die Antwort, indem Sie prüfen, ob wir es sind oder nicht.«

»Ein frommer Mann tötet seinen Bruder nicht.«

»Vielleicht aber seinen Feind!«

»Ein kluger Mann macht sich seinen Feind zum Freunde!«

»Wenn der Feind damit einverstanden ist!«

»Das kommt auf die Bedingungen an, welche man ihm macht. Wissen Sie auch, daß ein frommer und kluger Mann niemals eine Lüge sagen wird?«

»Wir wissen es.«

»Und lieben Sie die Wahrheit?«

»Wir lieben und sagen sie.«

»Dann werde ich auch das erfahren, wonach ich forsche. Kennen Sie El Venenoso, den Häuptling der Mbocovis?«

»Ja.«

»Wo befindet er sich mit seinen achtundfünfzig Männern?«

»In unserer Gefangenschaft.«

»Lauter Indianer?«

»Ein Weißer ist dabei, den Sie jedenfalls besser kennen als ich. Er wird El Yerno genannt und ist der Schwiegersohn des Sendador.«

»Wie viele dieser Indianer sind verwundet?«


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»Keiner, da wir sie durch List überwunden haben.«

»Durch welche?«

»Wir lockten sie auf eine Insel, wo sie festgenommen und gebunden wurden.«

»Was ist über El Venenoso und seine Leute beschlossen worden?«

»Wir wollten ihnen die Freiheit geben und ihnen ihr Unrecht verzeihen. Da aber nun auch Sie gekommen sind, um uns zu überfallen und zu töten, so werden wir wohl die Entscheidung treffen müssen, daß diese Leute an demselben Schicksale teilnehmen, welches Sie für sich und Ihre Begleiter erwählen.«

Er blickte eine Weile vor sich nieder und fragte dann:

»Kennen Sie El Sendador?«

»Ich kenne den Schurken.«

»Wir haben ihn für einen guten Mann gehalten. Wir sind seine Freunde.«

»So haben Sie sich sehr geirrt und sind die Freunde eines sehr großen Bösewichtes.«

»Auch das sagte uns der viejo Desierto, und wir konnten es nicht glauben, denn der Sendador hat uns noch niemals belogen und betrogen.«

»So ist er gegen Sie wahrer und treuer gewesen als gegen andere, obgleich ich die Treue, welche er heute gegen Sie zeigt, unmöglich loben kann. Er hat Sie verlassen. Nennen Sie das Treue?«

»Er wird durch Sie verhindert worden sein, zu uns zurückzukehren. Wir hörten viele Schüsse und haben auch seine Stimme vernommen. Haben Sie ihn getötet oder gefangen genommen?«

»Beides nicht. Er ist entkommen,« antwortete ich aufrichtig, obgleich es wohl besser gewesen wäre, ihn in Ungewißheit zu lassen. Der Mann gefiel mir nicht.


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Sein im allgemeinen indolentes Gesicht hatte einen verschmitzten, versteckten Ausdruck. Er sah aus, als ob er uns aushorchen und unsere Auskünfte dann zu seinem Vorteile benutzen wolle. Dann fügte ich fragend hinzu:

»Und warum sind Sie gekommen, die Tobas zu überfallen? Sind Sie etwa Todfeinde derselben?«

»Nein,« antwortete er, wohl wissend, daß eine Bejahung meiner Frage seine Lage nur verschlimmern könne. »Sie sind unsere Freunde.«

»Aber Freunde überfällt und tötet man doch nicht!«

»Der Sendador hat uns dazu verführt,« entschuldigte er sich.

»Nun, so sehen Sie ja gleich, daß die Bekanntschaft mit diesem Manne Ihnen Unheil bringt. Kennen Sie ihn näher?«

»Er kommt zuweilen zu uns. Weiter wissen wir nichts.«

»Wo hat er seinen heimlichen und ständigen Aufenthalt im Gran Chaco?«

»Das hat er uns noch nie gesagt. Er wandert überall umher.«

»Ich hörte, daß sich dieser Ort bei Ihnen befinde!«

»Da hat man Ihnen die Unwahrheit gesagt.«

»Hm! Seit wann befindet sich der Sendador jetzt bei Ihnen?«

»Seit mehreren Wochen schon.«

»Und woher kommen Sie Jetzt?«

»Direkt aus unseren Dörfern.«

»Er hat Sie dort aufgesucht?«

»Ja.«

»Ich hörte, daß er vor mehreren Tagen am Nuestro Sennor Jesu-Cristo eine Anzahl von Weißen überfallen habe?«


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»Das ist nicht wahr, denn er ist seit einigen Wochen bei uns gewesen.«

»Und doch sagt man, daß er sich gerade in der letzten Zeit in Palmar befunden habe!«

»So irrt man sich gewaltig.«

»Die Weißen, welche er am Kreuze überfallen wollte, sind ihm zuvorgekommen und haben ihn gefangen genommen; er aber entkam, weil einer derselben ihn entfliehen ließ. Zum Danke dafür überfiel er sie später abermals und nahm sie, zwei ausgenommen, gefangen.«

»Was Sie da erzählen, klingt mir so, daß ich es unmöglich glauben kann.«

»So wissen Sie auch nicht, wohin er diese Gefangenen transportiert hat?«

»Nein.«

»Ich hörte, daß er sie zu den Mbocovis geschafft habe?«

»Davon müßte vor allen Dingen ich wissen, denn ich bin der oberste Kazike aller Dörfer der Mbocovis. Ueberhaupt machen wir keine weißen Gefangenen. Wir sind die besten Freunde der Weißen und haben noch niemals einen von ihnen als Gefangenen bei uns gehabt.«

»Wirklich nicht?«

»Niemals!« antwortete er mit einem aufrichtig sein sollenden Gesichte.

»Auch einen gewissen Pardunna aus Goya mit seinem Sohne nicht?«

»Nein.«

»Oder kennen Sie vielleicht einen Weißen, welcher Adolfo Horno heißt?«

»Ich habe ihn noch nie gesehen.«

»Und doch soll er sich bei Ihnen befinden!«

»Das hat mir der viejo Desierto auch schon gesagt; aber es ist die größte Lüge, die es nur geben kann.«


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»Der Schwiegersohn des Sendador soll ihn gefangen genommen und zu Ihnen gebracht haben.«

»Nennen Sie mir den Namen dieses Mannes, welcher diese Verleumdung ausgesprochen hat, und ich werde ihm mein Messer in das Herz stoßen!«

Jetzt räusperte sich der alte Desierto in einer Weise, welche den Roten nicht auffallen konnte, mir aber als Wink diente, dieses Thema nicht weiter zu verfolgen. Ich verstand den Alten und fuhr in freundlicherem Tone fort:

»So muß ich allerdings annehmen, daß man Ihnen mit großem Unrechte Böses nachgesagt hat.«

»Ja, das hat man!« versicherte er eifrig. »Wenn Ihnen etwa Freunde und Gefährten fehlen sollten, so stelle ich Ihnen alle meine Krieger zur Verfügung, welche mit Ihnen suchen werden, ohne dafür einen Lohn zu fordern!«

»Das wird, wenigstens jetzt, nicht gut möglich sein, weil Sie weder über sich noch über Ihre Leute bestimmen können.«

»O, ich bin der Kazik! Sie müssen gehorchen und werden es gerne thun.«

»Sie vergessen, daß Sie sich gegenwärtig in einer Lage befinden, in welcher weder Sie befehlen, noch Ihre Untergebenen gehorchen können!«

»Was wollen Sie machen? Unserm Lager dürfen Sie sich nicht nähern, weil Sie sonst von unseren Pfeilen getroffen werden.«

»Wir brauchen uns Ihren Pfeilen nicht auszusetzen, denn wir haben Ihnen gezeigt, wie weit unsere Kugeln tragen. Wenn Sie sich nicht ergeben, so werden Sie alle sterben, ohne daß Sie einem einzigen von uns auch nur die Haut zu ritzen vermögen.«


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»Haben Sie so viel Pulver und auch Blei!«

»O, wir haben weit mehr davon, als nötig wäre, tausend Mbocovis zusammenzuschießen. Ich gebe Ihnen eine Stunde Zeit. Haben Sie da noch nicht um Pardon gebeten, so senden wir von allen Seiten unsere Kugeln in Ihr Lager, und binnen wenigen Minuten, darauf können Sie sich verlassen, wird keiner von Ihnen mehr leben.«

»Und was geschieht mit uns, wenn wir uns ergeben?«

Ich wollte antworten, aber der alte Desierto fiel statt meiner ein:

»So werden wir ein Bündnis mit Ihnen abschließen.«

»Wirklich?« fragte der Kazike schnell und in frohem Tone. »Können wir uns darauf verlassen?«

»Ganz gewiß, vorausgesetzt, daß Sie uns nicht belügen und betrügen.«

»Das werden wir nicht, sicher nicht. Also wir sollen Ihre Freunde werden und dürfen alles behalten, was wir besitzen?«

»Ja. Alles, was Ihnen gehört, auch die Waffen bleiben Ihr Eigentum. Ich werde Sie zwar nicht als Gefangene behandeln, aber sobald Sie sich ergeben, haben Sie alles, was Sie bei sich führen, einstweilen an uns abzugeben. Das ist so Kriegsgebrauch.«

»Und dann?« fragte der Kazike, indem er ein höchst enttäuschtes Gesicht machte.

»Dann führe ich Sie zu Ihren Kameraden, welche bereits meine Gefangenen sind und die ich frei geben wollte. Mit ihnen mögen Sie sich beraten.«

»Wenn wir aber über die Bedingungen des Freundschaftsbundes nicht einig werden, was geschieht dann?«

»Dann entlasse ich Sie mit allem, was Ihnen ge-


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hört [gehört], in Ihre Heimat. Freilich setze ich da immer voraus, daß Sie aufrichtig mit uns handeln und uns nicht betrügen wollen.«

»Wir sind aufrichtig und werden es stets bleiben. Ich werde meinen Gefährten jetzt mitteilen, was wir gesprochen haben, und sie nach ihrer Meinung fragen.«

Er unterredete sich in halblautem Tone mit den andern Roten. Ich verstand kein Wort, sah aber den Mienen dieser Leute an, daß sie nicht ohne Bedenken waren. Vielleicht hatten sie die Meinung, daß sie doch noch einen Versuch der Gegenwehr machen könnten, da es, wenn dieser mißglücke, noch immer Zeit sei, sich zu ergeben. Sie glaubten wohl nicht, daß wir so gerüstet seien, wie ich gesagt hatte, denn der Kazike wendete sich mit der Frage an mich:

»Ist es wirklich wahr, daß Sie so viel Pulver und Blei haben, daß Sie uns alle erschießen können?«

»Ja. Und haben Sie wohl schon die Gewehre gesehen, von denen jeder der Tobas eines besitzt?«

»Nun, Schießgewehre!«

»Das meine ich nicht. Ich will es Ihnen nicht mit Worten, sondern durch die That erklären. Passen Sie einmal auf!«

Der Mann trug ein rotes Tuch um den Kopf gewunden. Ich band es ihm ungeniert ab, befestigte es mit zwei Zipfeln an den Flintenlauf eines Toba und gebot dann diesem letzteren, das Gewehr emporzuhalten. Er mußte sich so stellen, daß das Tuch sich im Morgenwinde ausbreitete und wie ein Fähnchen flatterte. Nun nahm ich den Stutzen zur Hand und sagte zu dem Kaziken:

»Ich werde so viele Löcher in das Tuch schießen, wie Sie an beiden Händen Finger haben, ohne zu laden,


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und diese zehn Löcher müssen aus der untersten Ecke links nach der obersten Ecke rechts eine gerade Linie bilden. Passen Sie auf!«

Ich entfernte mich, indem ich hundertfünfzig Schritte abzählte, legte dann auf das Fähnchen an, und gab, indem ich die Kugel, welche die Patronen enthielt, mit dem Drücker bewegte, die zehn Schüsse ab. Noch ehe ich zurückgekehrt war, befand das Tuch sich in den Händen Penas und des Desierto, die mit Verwunderung die gerade Linie betrachteten, welche von den Löchern gebildet wurde. Ich nahm es ihnen aus der Hand, gab es dem Kaziken und sagte:

»Sehen Sie es sich an! Soll ich noch zehn solcher Löcher hineinschießen, ohne zu laden, oder wissen Sie nun, was wir für Gewehre haben?«

Er blickte bald das Tuch, bald mich, bald den Henrystutzen an. Sein Gesicht hatte einen so ungeheuer dummen Ausdruck, daß ich mir Mühe geben mußte, ein ernstes Gesicht zu behalten.

»Aber, Sennor,« stieß er fast stotternd hervor, »ohne - ohne zu laden! Und die Flinte hat doch nur einen Lauf und ein Loch!«

»Das ist noch wenig. Ich frage Sie ja, ob ich noch zehnmal schießen soll!«

»Um Gottes willen, nein! In dieser Flinte steckt der Teufel! Die ist in der Hölle gemacht worden! Ich mag sie nicht mehr sehen!«

Er streckte die beiden Hände weit von sich und zog ein ganz unbeschreibliches Gesicht dazu.

»Wenn Sie dieses Gewehr schon gar nicht ansehen wollen, wie würden Sie es dann wohl empfinden und fühlen, wenn ich es im Ernste gegen Sie und Ihre Leute richte! Bei jedem Schusse würde ein Mann fallen.«


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»Sie haben zwei Gewehre, Sennor. Mit welchem haben Sie vorhin geschossen? Mit dem großen da?«

»Ja.«

»Schon das war fürchterlich; aber dieses kleine hier ist noch viel schrecklicher. Legen Sie es fort, denn ich mag nichts von demselben wissen. Ich werde mit meinen Gefährten nochmals sprechen.«

Er wendete sich wieder an die anderen Indianer, denen meine Schießprobe, welche, aufrichtig gestanden, gar keine große Geschicklichkeit erforderte, ebenso imponiert hatte wie ihm. Während sie sich dieses Mal ganz leise unterredeten, kehrten ihre Blicke mit dem Ausdrucke der Sorge immer wieder zu meinen beiden Gewehren zurück. Es war klar, daß sie Angst bekommen hatten. Endlich erklärte der Kazike:

Wir nehmen die Bedingungen an und ergeben uns, erwarten aber ganz bestimmt, daß Sie Wort halten werden!«

»Das werden wir,« antwortete der Desierto. »Doch setzen wir voraus, daß Sie ohne Lug und Trug gesprochen haben.«

»Wir haben nicht ein unwahres Wort gesagt. Dürfen also nun meine Leute das Gebüsch verlassen, ohne daß ihnen eine Gefahr droht?«

»Jetzt noch nicht. Zunächst müssen alle Waffen und alles andere Eigentum abgeliefert werden.«

»Die Pferde doch nicht?«

»Gewiß. Wenn sie Ihr Eigentum sind, erhalten Sie sie zurück. Gehen Sie jetzt nach Ihrem Lager. Zehn Mann mögen alles bringen. Dann werden Sie weitere Botschaft erhalten.«

Die Mbocovis standen auf und entfernten sich. Sie waren überzeugt, ein nach den gegenwärtigen Umständen


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sehr vorteilhaftes Uebereinkommen getroffen zu haben. Als sie so weit fort waren, daß sie uns nicht hören konnten, sagte der Desierto zu mir:

»Das haben wir Ihrem verteufelten Stutzen zu verdanken, welcher sie in grimmige Angst versetzt hat. Man sollte es nicht für möglich halten, so viele Feinde zu besiegen oder gar gefangen zu nehmen, ohne daß einem dabei ein Haar gekrümmt worden ist!«

»Mit den Versprechungen ist es Ihnen doch nicht Ernst?«

»Vollständig Ernst!«

»Nun, dann haben diese Halunken ein sehr gutes Geschäft gemacht. Anstatt die verdiente Strafe zu erleiden, werden sie zu Freunden und Bundesgenossen gemacht. Ich lasse mir allenfalls ein wenig Menschlichkeit gefallen, aber das Verbrechen geradezu zu belohnen, das halte ich denn doch nicht für geraten!«

»Wer spricht denn von Belohnung?«

»Ihre Bedingungen enthalten unbedingt einen Lohn!«

»Ja, aber was für einen! Haben Sie denn nicht gehört, was ich wiederholt vorausgesetzt habe? Ich habe mir jede Lüge und Hinterlist, jeden Lug und Trug verbeten. Der Kazike hat uns belogen; er will uns betrügen. Darum brauche ich mein Wort nicht zu halten. Dieser dumme Mensch wollte uns überlisten und wird in seine eigene Falle laufen. Was hat er uns über den Sendador weiß machen wollen! Und daß er behauptet, niemals einen Weißen gefangen genommen zu haben, ist ein Beweis, daß er uns für vollständig ununterrichtet hält. Er wird nicht auf das freudigste überrascht sein, wenn er erfährt, wie es eigentlich steht.«

»Aber wie wollen Sie so viele Leute unterbringen?«

»Da sorgen Sie sich ja nicht! Ich habe vollständig Platz. Sie werden im Bethause untergebracht.«


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»Das ist nicht gut verwahrt; sie können leicht ausbrechen.«

»Das wollen wir ihnen wohl nicht so leicht machen. Sie wissen wohl noch nicht, daß sich ein großer Keller dort befindet?«

»Ah so! Aber sie werden nicht freiwillig da hinunter wollen.«

»So zwingen wir sie. Ich sorge dafür, daß nur der Kahn von gestern abend da ist, welcher mit dem Ruderer sechs Personen faßt, und daß sich zehn meiner kräftigsten Indianer im Hause befinden, welche mit den einzeln ankommenden Mbocovis wenig Federlesens machen werden. Ich muß überhaupt einen Boten ins Dorf senden, welcher zu melden hat, daß unser Plan gelungen ist. Der Mann soll die nötigen Befehle mitnehmen, damit alles vorbereitet ist, wenn wir kommen.«

Er winkte einen seiner Leute herbei, welchem er eine sehr ausführliche Instruktion erteilte. Diese nahm so viel Zeit in Anspruch, daß der Alte erst fertig war, als die zehn Mbocovis mit der Kriegsbeute sich näherten. Sie führten die Pferde, auf welche man die meisten Gegenstände geladen hatte. Mit Entzücken sah ich, daß mein Brauner dabei war. Am liebsten wäre ich dem Pferde entgegen gerannt, aber ich blieb stehen, um zu sehen, ob es mich von selbst erkennen werde.

Die Waffen und andere Gegenstände wurden abgeladen. Ich stand von ferne und schaute zu. Als der Braune sich seiner Bürde entledigt fühlte, suchte er nach Gras. Dabei richtete er den Kopf bald hin und bald her. Sobald ich mich innerhalb seines Sehkreises befand, hielt er plötzlich bewegungslos still; seine Ohren begannen zu spielen, und der Schwanz richtete sich auf. Er sah mich erst mit dem rechten, dann mit dem linken Auge an


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und kam langsam näher. Endlich schien er überzeugt zu sein, daß ich es sei. Ein Zittern überlief seine Gestalt; er sog die Luft lang und tief ein, schnaubte einige Male, wieherte laut auf und kam dann auf mich zugesprungen. Noch stand ich still, ohne auch nur einen Finger zu bewegen. Da stieß er mich mit dem Maule an, schob mich zur Seite und brach, als ich dennoch keinen Laut von mir gab, in ein kläglich stöhnendes Wiehern aus. Da legte ich ihm die Hand um den Hals und zog seinen Kopf an mein Gesicht. Ich nannte ihn bei seinen Kosenamen und klopfte ihm die glänzend glatte Haut. Die Folge war, daß er vor Freude rein außer Rand und Band geriet. Er rieb und stieß mich mit dem Maule von allen Seiten, stieg vorn empor, schlug hinten aus, rannte eine Strecke davon und dann rund um mich herum, kehrte zurück, um mich zu lecken, schlug die tollsten Capriolen, kurz, er war vor Freude außer sich.

Ich untersuchte die Satteltaschen. Außer einigen Kleinigkeiten war nicht nur alles, was ich darin gehabt hatte, noch vorhanden, sondern der Sendador, der natürlich sich meinen Braunen angeeignet hatte, war so gütig gewesen, noch Verschiedenes hinzuzufügen, was ich jetzt als mein Eigentum ansehen konnte.

Inzwischen hatte der alte Desierto dem Kaziken sagen lassen, daß er mit seinen Leuten anmarschieren könne, paarweise hinter einander. Als der lange Zug sich uns näherte, wurde unser Kreis aufgelöst. Die Leute kamen herbei, um die eroberten Waffen und sonstigen Gegenstände aufzunehmen und den Gefangenen als Eskorte zu dienen; sie stellten sich zu beiden Seiten derselben auf.

Jetzt ging ich mit Pena und dem Alten nach dem Gehölze, um nachzuschauen, ob da nicht vielleicht irgend etwas Bemerkenswertes zu entdecken sei; wir suchten ver-


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gebens [vergebens]. Als wir dann, zurückkehrend, die lange Doppelreihe der Gefangenen zwischen den bewaffneten Tobas stehen und auf uns warten sahen, meinte der Desierto:

»Ich möchte wissen, was die Burschen denken. Ob sie sich wirklich einbilden, so wohlfeilen Kaufs davon zu kommen!«

»Ich habe einige erkannt,« antwortete Pena. »Besonders hatte ich mir die beiden Wächter gemerkt, welche so prächtig schliefen, als ich unsern Freund hier befreite. Sie verlassen sich darauf, nicht erkannt zu werden, da dem Auge eines Weißen alle Roten ähnlich erscheinen.«

»Ob Bekannte unter ihnen sind, weiß ich noch nicht,« sagte ich. »Ich hatte mit meinem Pferde zu thun und habe noch keinen der Mbocovis angesehen. Wollen wir nicht den Spaß machen, dem Kaziken ein Pferd anzubieten?«

»Schenken?« fragte Pena erstaunt.

»Was fällt Ihnen ein! Schenken! Nein, er soll stolz zu Roß mit uns nach dem Dorfe reiten.«

»Das fehlte noch! Der Kerl mag laufen, so wie wir tagelang gelaufen sind, als wir um unsere Pferde gekommen waren.«

»Es soll nicht aus übermäßiger Freundlichkeit, sondern aus Klugheit geschehen. Gewähren wir ihm die Auszeichnung, im Sattel sitzen zu dürfen, so wird er desto sicherer werden und um so blinder in die Falle gehen. Gegen einen Kriegsgefangenen, den man reiten läßt, hat man doch nichts Schlimmes vor!«

»Das ist richtig, und Sie haben recht. Lassen wir ihn also reiten. Mag der Triumphzug beginnen. Tausendmal größer aber wäre meine Freude, wenn wir den Sendador auch mit erwischt hätten.«

»Hoffentlich bekommen wir ihn noch und zwar hier in der Nähe.«


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»Das bilden Sie sich nicht ein! Glauben Sie denn wirklich, daß er hier verweilt, bis wir kommen und ihn wegnehmen wie eine reife Birne vom Baume?«

»Das nicht: aber ich glaube, daß er hier bleibt, bis er genau weiß, welches Ende sein Raubzug gefunden hat. Dieses Ende ist erst an dem jetzigen Augenblicke zu ersehen, und so bin ich vollständig überzeugt, daß er noch jetzt hier irgendwo steckt und uns beobachtet.«

»So müssen wir schleunigst nach ihm suchen, denn er wird sich nun höchst wahrscheinlich von dannen machen.«

»Das hat keine große Eile. Der Tag ist noch lang, und ich denke, der Sendador bleibt noch in der Nähe, um auszuspionieren, was mit den Gefangenen geschehen wird.«

»So reiten wir mit in das Dorf?«

»Ja. Wir haben unsern Beitrag zum Gelingen geleistet und werden nun auch am Triumphe teilnehmen.«

Ich bestieg den Braunen, welcher vor Freude darüber, mich wieder tragen zu können, mit allen Vieren in die Luft ging. Pena setzte sich auf das Pferd, welches er vorher geritten hatte. Es waren alle Pferde da, die der Yerbateros, des Bruders und der andern.

Als ich Turnersticks Pferd dem Kaziken vorführte und ihm einen Wink gab, aufzusteigen, sah er mich erstaunt an und fragte:

»Was meinen Sie? Was ist's mit diesem Pferde?«

»Reiten sollen Sie es.«

»Jetzt? - - bin ich denn nicht Ihr Gefangener?«

»Was Sie sein werden, ist jetzt noch nicht entschieden. Für mich sind Sie einstweilen der Kazike der Mbocovis, dem es gebührt, zu reiten, falls ein Pferd da ist. Also steigen Sie in den Sattel!«

Er folgte dieser Aufforderung, und es war ihm und


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seinen Leuten anzusehen, welch guten Eindruck diese Aufmerksamkeit auf sie machte. Jetzt erst betrachtete ich die einzelnen Personen und fand alle diejenigen heraus, die ich am Lagerplatze, wo Pena mir als Retter erschienen war, erblickt hatte; ich that aber so, als ob mir keiner von ihnen bekannt vorkomme.

Wir vier Reiter setzten uns an die Spitze; dann folgten die Pferde, welche von mehreren Tobas geführt wurden, und hinter diesen kam der Zug der Mbocovis mit ihrer Eskorte. So ging es in raschem Schritte dem Dorfe zu. Bis in die Nähe desselben war kein Mensch zu sehen. Dann aber hatten sich alle Bewohner desselben am Ufer versammelt und eine lange Reihe gebildet, zwischen welcher und dem Wasser wir passieren mußten, um zur Ueberfahrtstelle nach der Insel zu gelangen.

Voran hielt Unica mit ihrer weiblichen Garde; dann kamen die männlichen, die weiblichen Bewohner und endlich die Kinder. Die Krieger, welche wir zum Schutze des Dorfes zurückgelassen hatten, versahen recht wacker den Polizeidienst und hielten auf Ordnung unter der Menge, welche uns mit Jubel empfing.

Es versteht sich ganz von selbst, daß die Musikanten nicht fehlten. Was rufen, schreien und jubeln konnte, das ließ die Stimme erschallen. Die Kinder waren, hier wie allerwärts, die schlimmsten. Die Mbocovis schienen freilich von diesem Jubel nicht erbaut zu sein; sie sahen an sich nieder und warfen keinen Blick auf das schreiende Volk.

So kamen wir zur Landestelle, wo wir anhielten und von den Pferden stiegen. Einige Krieger nahmen die Tiere in Empfang, um ihrer zu pflegen.

»Warum steigen wir hier ab?« fragte der Kazike.

»Weil wir hier am Ziele sind,« antwortete der Desierto. »Wir fahren nach der Insel hinüber.«


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»Was sollen wir da drüben?«

»Sie sollen dort eine sichere Wohnung haben, wo Sie von meinen Leuten nicht belästigt werden können. Sie wissen, daß der Sieger, zumal wenn er jung ist, nicht immer leicht im Zaume zu halten ist, und ich wünsche nicht, daß irgend einer meiner jungen Leute Sie im Uebermute beleidige.«

»Das ist etwas anderes; das ist mir sogar sehr lieb,« sagte der Kazike beruhigt, indem er die Ansicht hegte, daß in der Veranstaltung des Alten eine Auszeichnung für ihn enthalten sei.

»Ja,« meinte dieser, »Sie werden gerade so mit mir zufrieden sein, wie ich mit Ihnen zufrieden gewesen bin. Als Anführer Ihrer Krieger bleiben Sie natürlich hier an meiner Seite, um die Einschiffung mit zu überwachen. Meine beiden deutschen Freunde aber werden mit dem ersten Boote mit hinüberfahren, um dafür zu sorgen, daß Sie würdig empfangen werden.«

Das Angesicht des Kaziken leuchtete vor Vergnügen. Er glaubte, nun aller Sorge enthoben zu sein und hielt eine darauf hindeutende Ansprache an seine Leute. Drei von ihnen stiegen mit mir und Pena ein; der Ruderer ward der sechste.

»Warum hat der Alte gerade uns hinübergeschickt?« fragte Pena in deutscher Sprache unterwegs.

»Weil wir gestern bewiesen haben, daß wir es verstehen, da drüben mit diesen Mbocovis fertig zu werden. Vielleicht traut er unseren Fäusten mehr zu als denjenigen seiner Leute.«

»So bin ich neugierig, wie wir das Innere des Bethauses finden werden.«

»Ganz wie gestern, nur mit dem Unterschiede, daß ein Keller offen ist, dessen Eingang wir noch nicht bemerkt haben.«


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Es war so, wie ich dachte. Als wir drüben angelegt hatten und dann in das Bethaus traten, saßen auf der vorletzten Bank zehn kräftige Toba-Indianer. Hinter ihnen war die letzte Bank entfernt, und wir sahen ein Loch, in welches eine steinerne Treppe hinabführte. Die Tobas erhoben sich, und wir geleiteten die drei Mbocovis nach dem Loche. Pena lud sie in ihrer Sprache ein, hinabzusteigen. Sie sahen ihn betroffen an, blickten in die Finsternis hinunter und weigerten sich dann, seiner Einladung Folge zu leisten.

Pena hatte in freundlichem Tone zu ihnen gesprochen. Jetzt schien er grob zu werden, denn er zog sein Messer und drohte ihnen mit demselben. Ich nahm den Revolver in die Hand und hielt ihnen denselben entgegen; doch war dieser deutliche Fingerzeig sehr überflüssig, denn die Mbocovis wurden von den Tobas gepackt und wie Warenballen in die Kelleröffnung hinabgestoßen.

»Unten sind sie,« sagte Pena. »Die Tobas werden dafür sorgen, daß sie nicht wieder heraufkommen. Ich werde jedesmal an das Ufer gehen, um die Passagiere zu empfangen und herein zu bringen. Sie nehmen an der Thüre Posto, um etwa solche, welche die Flucht ergreifen wollen, zurückzuhalten.«

Er ging und brachte bald weitere fünf, welche sich auch weigerten, hinabzusteigen. Sie wurden hinabgestoßen. So ging es von fünf zu fünf in einem fort. Die zehn Tobas eigneten sich schnell eine sehr treffliche Routine an, ihre menschliche Ware in den Keller zu bringen. Kaum waren die Mbocovis eingetreten, so gelangten sie, von Hand zu Hand geschoben, an die Kelleröffnung und verschwanden in derselben, bevor sie daran gedacht hatten, wörtlich oder gar thätlich Widerstand zu leisten.

Desto lauter ging es unten zu. Die Gefangenen


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versuchten einige Male, sich mit Gewalt hinaufzudrängen; da aber hielten zwei Tobas mit gespannten Bogen und Giftpfeilen Wacht, so daß es bei dem Anfange des Versuches blieb.

Zuletzt kamen die Verwundeten, welche der alte Desierto drüben am Ufer verbunden hatte. Sonderbarerweise war kein einziger von ihnen an den Beinen oder Füßen verwundet worden, ein glücklicher Umstand, welcher ihren Transport außerordentlich erleichterte. Die Toten hatte man draußen im Gehölz liegen lassen. Endlich, bei der wohl über vierzigsten Ueberfahrt, als alle Mbocovis schon herüber waren, nahm Pena mich mit hinaus, denn das Boot brachte jetzt nur den Desierto mit dem Kaziken.

»Nun,« fragte der letztere, als wir beide ihm entgegen kamen, »sind meine Leute mit ihrer Wohnung zufrieden?«

»Es hat noch keiner geklagt,« antwortete Pena.

»Haben sie Essen und Trinken?«

»Jetzt wohl noch nicht; ich denke aber, daß der Desierto dafür sorgen wird.«

»Ja, das werden Sie thun,« wendete der Kazike sich an den Alten. »In dem Gehölz giebt es kein fließendes Wasser, und da wir kein Feuer anzünden durften, so haben wir weder Wasser noch warmes Essen gehabt.«

Der Desierto zuckte die Achsel und antwortete in bedauerndem Tone:

»Da unten im Keller giebt es leider auch kein fließendes Wasser, aber dafür Feuchtigkeit genug.«

»Wie? Sie haben meine Leute in einen Keller gesteckt? Aber Sie sprachen doch von guten Wohnungen!«

»Ist ein Keller für Räuber und Mörder nicht gut genug?«

Der Kazike trat erstaunt einen Schritt zurück und


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blickte den Alten an. In seinen bisher so zuversichtlichen Zügen ging eine ebenso schnelle wie bedeutende Veränderung vor. Ich trat seitwärts hart hinter ihn, um ihn nötigenfalls schnell fassen zu können.

»Wie sagen Sie?« fragte er. »Räuber und Mörder!«

»Sind Sie das etwa nicht?«

»Sie haben diese Worte doch vorher nicht gebraucht!«

»Ich wende meine Worte an, wie es mir beliebt!«

»Aber, Sennor Desierto, warum sind Sie denn eigentlich so plötzlich ein ganz anderer geworden?«

»Ein anderer? Ich bin noch ganz genau derselbe, der ich vorher war. Aber die Verhältnisse haben sich verändert.«

»Welche Verhältnisse?«

»Draußen im Freien befanden Sie sich nicht ganz so in meiner Gewalt wie jetzt; ich mußte also, um Blutvergießen zu vermeiden, freundlicher mit Ihnen sprechen, als ich im Herzen dachte.«

»So haben Sie mich belogen?« rief der Rote. »Ich verlange sofort, daß der Freundschaftsvertrag abgeschlossen werde!«

»Sehr gern! Nur denken Sie an meine Bedingung! Sind Sie wahr gegen uns gewesen?«

»Ja.«

»Nein! Sie haben uns belogen und beabsichtigen auch jetzt noch, uns zu betrügen. Sie wissen alles, was der Sendador in der letzten Zeit begangen hat. Sie haben teil an seinen Thaten genommen; Sie wußten, daß - - -«

»Lüge, nichts als Lüge!« unterbrach ihn der Kazike.

Das war mir zu bunt. Ich legte dem Roten die Hand auf die Achsel und forderte ihn auf:

»Mann, sage mir vor allen Dingen einmal, woher die Pferde sind, welche ihr bei euch hattet?«


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»Sie gehören uns. Wir haben sie gekauft.«

»Mensch, diese Pferde waren bis vor wenigen Tagen unser Eigentum. Der Sendador hat sie uns abgenommen. Meinst du denn wirklich, daß wir dich, Schurke, und deine Leute nicht kennen? Sie haben dir wohl nicht gesagt, daß ich ihr Gefangener war, ihnen aber entflohen bin?«

»Nein.«

Er war höchst kleinlaut geworden und knickte zusammen, als ob meine Hand, welche nur ganz leicht auf seiner Achsel lag, vom Gewichte eines Zentners sei.

»Und weiter!« fuhr ich fort. »Du kennst wirklich keinen Weißen, welcher Adolfo Horno heißt?«

»Nein!« behauptete er abermals.

»Aber du weißt wohl sehr genau, daß er an der Laguna de Bambu festgehalten wird?«

Wir blickten ihn scharf an und sahen, daß ihm bei dieser Frage das Blut aus den Wangen wich, was seinem Gesichte den Schmutz der Erdfarbe gab. Er wußte sichtlich nicht, was er antworten solle, und stieß endlich hervor.

»Ich kenne diese Laguna gar nicht.«

»Nicht? Und doch habt ihr eure Weiber und Kinder dort, und nur vierzig Krieger befinden sich bei denselben.«

»Sennor, Sennor, Sie - Sie - -« stockte er.

»Wie nun, wenn wir jetzt hinziehen und Rache an ihnen nehmen!«

»Sie - sie - - wohnen nicht dort,« stammelte er.

»Gut, so kann es dir sehr gleichgültig sein, daß wir hingehen, um die kleine Isleta del circulo zu besuchen.«

Jetzt zuckte er sichtlich zusammen. Er erkannte nun, daß wir alles wußten. Anstatt aber aus diesem Grunde weich zu werden und die Bereitschaft zu einem Geständnisse zu zeigen, raffte er sich zusammen, schüttelte meine Hand von sich ab und rief in zornigem Tone:


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»Sennor, was geht mich das alles an! Wie reden Sie mit mir! Was fällt Ihnen denn ein? Ich bin der oberste Kazik aller Stämme der Mbocovis; was aber sind denn Sie?«

Er richtete sich vor mir auf und machte mir ein Gesicht, als ob er mich verschlingen wolle. Fast hätte ich ihn ausgelacht; aber dennoch ärgerte mich die Unverschämtheit dieses Menschen so sehr, daß ich es nicht zum Lachen brachte.

»Wer ich bin, fragst du?« antwortete ich ihm. »Das sollst du sogleich erfahren. Ich bin derjenige, der dich jetzt beim Schopfe nimmt und dahin schafft, wohin du gehörst. Komm also, Bursche! Mit dir zu sprechen, ist jammerschade, da jedes Wort verloren ist. Du sollst uns besser kennen lernen und nicht wieder fragen, wer wir sind!«

Ich nahm ihn beim Genick, schüttelte ihn kräftig hin und her, so daß ihm der Atem ausging, steifte ihn auf die Erde nieder, zog ihn halb wieder empor und schleifte ihn dann in das Haus, wo er in Empfang genommen und in den Keller gesteckt wurde. Die Thüre desselben wurde zugemacht und so befestigt, daß sie von innen nicht geöffnet werden konnte. Dennoch wurden zwei Wächter zurückgelassen, mit denen der alte Desierto ein Zeichen verabredete, welches sie geben sollten, falls sie der Hilfe und Unterstützung bedürften.

Wir andern begaben uns an das Ufer zurück, wo die sämtlichen Tobas noch auf uns warteten und durch die Nachricht, daß alles wohl gelungen sei, von ihrer Spannung befreit wurden. Man bildete einen Siegeszug, welcher unter dem Lärm der Musikinstrumente nach dem Dorfe marschierte.

Nun war auch der zweite, der zahlreichere Trupp


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der Feinde unschädlich gemacht worden und eine weitere Störung nicht mehr zu befürchten. Darum gestattete der Regent, daß das schon für gestern beabsichtigte Siegesfest nun heute feierlich begangen werden solle.

Diese Erlaubnis hatten viele Schlachttiere mit dem Leben zu bezahlen, und in allen Häusern wurden zwar eilige, aber umfassende Vorbereitungen zu der Feier getroffen. Ich konnte nicht daran denken, an denselben teilzunehmen, denn meine Thätigkeit mußte nun darauf gerichtet sein, auszukundschaften, wo der Sendador sich befinde und was er vorzunehmen beabsichtige. Als ich dies dem Desierto und auch Pena sagte, meinte der letztere:

»Sie haben sehr recht. Wir müssen schleunigst nach den Spuren des Entkommenen suchen.«

»Wie, Sie wollen sich an der Nachforschung beteiligen?« fragte ich. »Ich verzichte auf Ihre Begleitung, und -«

»Warum?« unterbrach er mich.

»Weil Sie leicht wieder einen solchen Pudel schießen könnten wie gestern, durch welchen der Sendador uns entkommen ist. Er hält sich sicher im Walde auf. Wollen wir ihn ohne Gefahr für uns ergreifen, so müssen wir ihn beschleichen und ganz unerwartet überfallen. Uebrigens bin ich überzeugt, daß ich Veranlassung finden werde, ihn einstweilen ruhig seines Weges gehen zu lassen.«

»Wie, selbst wenn Sie seine Spur entdecken, wollen Sie ihn entkommen lassen?«

»Nur einstweilen, wie ich bereits sagte. Denken Sie sich nur in seine gegenwärtige Lage! Er hat uns ohne allen Zweifel so lange beobachtet, bis er erfuhr, welchen Ausgang unsere Umzingelung nahm. Er weiß also, daß


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alle Mbocovis gefangen sind und er nun ganz allein auf sich selbst angewiesen ist. Nun giebt es nur zwei Wege, von denen er einen einschlagen kann. Der erste führt nach der Laguna de Bambu zu den dort gebliebenen Mbocovis, welche unsere Gefährten bewachen; ihn wird er als kluger Mann nicht wählen, denn er muß sich sagen, daß wir erfahren, wie es dort steht, und schnell aufbrechen werden, um die Freunde zu befreien. Da wir Pferde haben, müssen wir eher dort ankommen als er. Sein Weg wäre also vergeblich, ja sogar gefährlich, da wir seine Fährte entdecken könnten, in welchem Falle er uns unbedingt in die Hände geraten würde. Geben Sie das zu?«

»Hm! Unrecht haben Sie nicht. Welches ist denn der zweite Weg?«

»Hinauf nach der Pampa de Salinas.«

»Er allein? Diese weite Strecke? Ohne daß er Vorbereitung zu einer solchen Reise treffen konnte?«

»Diese Einwände sind nichtig. Er ist oft allein oben gewesen und findet unterwegs gewiß genug Bekannte, von denen er erhalten kann, was er braucht. Sein Streben muß sein, uns da oben zuvorzukommen. Darum bin ich überzeugt, daß die Fährte, welche ich sicher finden werde, nach Westen, den Bergen zu, führen wird. Ich brauche keinen Gehilfen und gehe also allein. Sie mögen sich ausruhen, denn morgen früh brechen wir ganz bestimmt nach der Laguna de Bambu auf. Ich würde diesen Ritt augenblicklich antreten, wenn es nicht nötig wäre, auch den Pferden einen Tag Ruhe zu gönnen.«

Pena mußte sich mit diesem Bescheide zufrieden geben und ich entfernte mich, um mein Vorhaben auszuführen. Noch war ich nicht weit fort, als Unica mir nachkam. Sie hatte bei uns gestanden, unser Gespräch angehört und sagte jetzt in bittendem Tone:


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»Sie wollen gehen, um eine Fährte zu entdecken, Herr. Ich habe viel von dem Scharfsinne gehört, welcher dazu gehört, bin aber noch nie selbst dabei gewesen. Denken Sie, daß ich Sie stören würde?«

»Sie wollen mitgehen?«

»Ja, wenn Sie es mir erlauben. Ich verspreche Ihnen, mich so vorsichtig zu verhalten, daß ich Ihnen keinen Schaden mache.«

»Sie können mitgehen. Nur einer, welcher selbstständig mitsucht, kann mir die Mühe erfolglos machen. Wer mich nur begleitet, ist mir nicht hinderlich. Nur befürchte ich, daß Sie enttäuscht sein werden. So romantisch, wie Sie anzunehmen scheinen, ist die Sache nicht, zumal die gegenwärtige. Sie werden mit durch die Büsche zu kriechen haben, was für eine Dame nicht bequem ist.«

»Das thue ich mit dem größten Interesse, wenn ich nur zu sehen bekomme, wie Sie es anfangen, die Spur zu entdecken, zu unterscheiden und zu verfolgen.«

»Das ist alles so leicht, daß, wenn wir fertig sind, Sie sich darüber wundern werden, daß Sie es für schwer halten konnten. Dennoch bringt ein Neuling es gewiß nicht fertig. Kommen Sie!«

Wir gingen an dem Felsen vorüber und durch den Wald, bis wir denselben hinter uns hatten und die freie Ebene erreichten. Dort sahen wir die Spuren, welche wir selbst zurückgelassen hatten. Unica blieb stehen, deutete auf die Eindrücke und sagte:

»Da haben Sie eine breite Fährte von vielen Leuten. Wie wollen Sie die Spur des Sendador da herausfinden?«

»Es fällt mir gar nicht ein, dies zu versuchen. Kommen Sie nur weiter. Ich werde Ihnen die Erklärung im Gehen geben. Das Fährtenfinden setzt zweierlei


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voraus, nämlich ein vorheriges scharfes Nachdenken und zweitens das richtige sogenannte Lesen der Spur.«

»So müssen Sie auch hier vorher nachdenken?«

»Natürlich. Darüber, wo die Fährte zu finden sein wird. Laufe ich ins Blaue hinein, so werde ich wahrscheinlich nichts finden. Wenn ich mir aber das Geschehene, die gegenwärtige Situation, die Absichten des Sendador und noch manches andere vergegenwärtige, so wird das Resultat dieser Ueberlegung mir als sicherer Wegweiser dienen. Ich nehme als ganz bestimmt an, daß er uns beobachtet und diese Gegend nicht eher verlassen hat, als bis er wußte, woran er war. Er hat also so lange gewartet, bis wir mit den Gefangenen von dem Kampfplatze nach dem Dorfe zogen. Um dies sehen zu können, mußte er in der Nähe unsers Wegs liegen, und zwar unter Büschen und Bäumen versteckt, damit er nicht etwa selbst bemerkt werde. Was er während der Nacht gethan und wo er sich befunden hat, das ist mir gleichgültig, da ich mir nicht die große Mühe zu geben brauche, die Spuren seiner sämtlichen nächtlichen Irrgänge zu verfolgen. Bevor wir nach dem Dorfe aufbrachen, ist er nicht im Walde und Gebüsch, sondern draußen auf der freien Ebene gewesen, um zu sehen, wie die Verhältnisse am Lagerplatze stehen. Er hat sich da jedenfalls in liegender Stellung so weit angeschlichen, bis er uns genau beobachten konnte. Als wir dann mit den Mbocovis aufbrachen, hat er sich von dort schleunigst nach dem Walde zurückgeschlichen, um uns vorüberpassieren zu sehen. Die Spur, welche er dabei zurückließ, ist die einzige, welche ich beachten werde.«

»Werden Sie dieselbe finden?«

»Ganz gewiß. Ich gehe direkt auf sie zu.«

»Aber Sie wissen doch nicht, wo sie ist!«


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»Das weiß ich sehr genau.«

»Nun, wo?«

»Gerade vor uns. Da draußen rechts von uns befindet sich der Lagerplatz, in dessen Nähe er uns heimlich belauschte; dort links von uns liegt der See mit dem ihn umgebenden Waldstreifen, nach welchem sich der Sendador zurückgezogen hat, folglich geht seine Spur, von uns aus gerechnet, von rechts nach links, also quer über die Richtung, in welcher wir uns jetzt fortbewegen, und also müssen wir, wenn wir geradeaus gehen, unbedingt auf sie treffen, und zwar sehr bald, da er nicht weit von hier gesteckt haben kann, weil er sonst nicht nahe genug gewesen wäre, um uns deutlich sehen zu können.«

»Das ist freilich eine so komplizierte - - ah, sehen Sie! Ist das nicht die Spur eines Mannes?«

Sie blieb stehen und zeigte zur Erde, wo dem Sande deutliche Fußstapfen eingeprägt waren.

»Ja, Sie vermuten ganz richtig,« antwortete ich.

»Das ist die Spur, welche wir suchen. Sehen Sie, daß sie vom Lagerplatze da draußen nach links, nach den Bäumen führt, ganz wie Sie vermutet hatten? Ich muß Ihren Scharfsinn aufrichtig bewundern.«

Sie bückte sich nieder und betrachtete die Eindrücke. Ich aber blieb aufrecht stehen, denn es genügte ein kurzer Blick schon aus dieser Entfernung, um mir zu sagen, daß sie sich irrte. Darum entgegnete ich:

»Nein, es ist die richtige Fährte nicht. Sie mag zwar vom Sendador stammen, rührt aber noch vom Abend her.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Es ist während der Nacht ein starker Tau gefallen, welcher den Sand befeuchtet hat. Da drückt der Fuß sich leichter ein und die Ränder der Spur sind scharf,


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weil die Feuchtigkeit die Sandkörner kittet. Die Ränder dieser Eindrücke aber sind matt, eingefallen und unbestimmt. Der Mann, welcher da ging, kam also hier vorüber, ehe der Tau fiel, am vorigen Abend. Gehen wir weiter! Ich wette, daß wir sehr bald auf eine ähnliche, aber viel schärfer gezeichnete Fährte treffen.«

Meine Vermutung bestätigte sich schon nach kurzer Zeit. Wir hatten uns kaum dreißig oder vierzig Schritte entfernt, so kreuzte eine zweite Spur unsern Weg.

»Das ist die richtige!« rief Unica, indem sie sich niederbückte, um die Vertiefungen zu betrachten. »Sehen Sie, wie scharf die Ränder sind? Der Sand ist noch ein wenig feucht; er hält zusammen.«

»Ja, jetzt sind wir gewiß auf der richtigen Spur. Die Eindrücke sind köstlich; ich werde mir eine Zeichnung davon nehmen.«

»Warum?«

»Um später, wenn ich eine Spur finde, sagen zu können, ob sie vom Sendador ist. Seine beiden Füße haben sich mit seltener Deutlichkeit eingedrückt. Das kann mir später vom größten Nutzen sein.«

Ich nahm einen alten Brief, den ich nicht mehr brauchte, aus der Brieftasche und zeichnete die Umrisse der rechten und auch linken Fußspur auf die beiden Seiten desselben. Dann wendeten wir uns nach links, um der Fährte zu folgen. Sie führte uns erst gerade nach dem schmalen Waldgürtel und unter den Bäumen desselben eine kurze Strecke nach dem Dorfe zu zurück. Dann sahen wir die Stelle, an welcher der Sendador gelegen hatte, um uns vorüberziehen zu sehen. Wir waren in einer Entfernung von höchstens hundertzwanzig Schritten an ihm vorübergekommen. Der Mann hatte viel gewagt indem er sich uns soweit näherte. Um so deutlicher aber


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hatte er gesehen, daß sein Vorhaben vollständig verunglückt sei und er von den Mbocovis nichts mehr hoffen dürfe.

Von hier aus führte die Fährte wieder zurück, erst nach Nord und dann nach West, um den See herum. Sie hielt sich stets in der Nähe des Ufers, ein Zeichen, daß der Sendador bestrebt gewesen war, über das Wasser hinüber zu sehen und zu beobachten, was im Dorfe und auf der Insel vorgehe. Er war einige Male stehen geblieben, aber nicht lange Zeit, denn er hatte es natürlich eilig, aus unserer Nähe zu entkommen. Später sahen wir, daß er an einem Busche angehalten hatte, um ein stark fingerdickes Stämmchen desselben zu schneiden.

»Weshalb mag er das gethan haben?« fragte Unica. »Doch wohl ohne besonderen Zweck?«

»O nein. Daß er sich einen Stock geschnitten hat, ist mir von Wichtigkeit. Wenn hier im Chaco sich einer einen Gehstock schneidet, um sich die Anstrengung des Wanderns zu erleichtern, so will er schnell vorwärts kommen und hat auch einen weiten Weg vor sich. Der Sendador ahnt jedenfalls nicht, daß er mir hier verraten hat, daß er nun direkt nach der fernen Pampa de Salinas aufgebrochen ist. Ein vorsichtiger Mann hätte sich den Stock nicht hier, sondern viel später geschnitten.«

»Folgen wir ihm noch weiter auf der Spur?«

»Nein. Ich weiß genug, und es ist ja gar nicht meine Absicht, ihm nachzujagen.«

»Aber vielleicht könnten wir ihn doch einholen!«

»Nein. Sehen Sie die Spur genau an und auch die weiße Holzfläche des Stumpfes, von welchem er den Stock genommen hat. Es sind wenigstens vier Stunden vergangen, seit er hier war, und so groß ist der Vorsprung, den er hat. Er kann schnell und ohne Aufent-


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halt [Aufenthalt] laufen. Wir aber müßten die Augen stets auf seiner Fährte haben, kämen also langsamer vorwärts, als er, und vermöchten nicht, ihn zu ereilen. Ich gedenke, ihn ganz gewiß droben in der Pampa de Salinas zu treffen.«

»Aber er geht direkt dorthin; Sie aber wollen erst nach der Laguna de Bambu; da versäumen Sie eine kostbare Zeit, welche er benutzen wird, eher hinauf zu kommen als Sie.«

»Er muß gehen; wir jedoch haben Pferde. Ich kenne den Weg nicht, werde mich aber erkundigen, ob es möglich ist, daß wir nicht zu spät dort ankommen.«

Wir kehrten zurück. Noch ehe wir das Dorf erreichten, drang uns aus demselben ein Appetit erweckender Bratengeruch entgegen. Auf dem Platze zwischen den Häusern, auf welchem die Paraden abgehalten zu werden pflegten, brannten viele Feuer, über denen an starken, hölzernen Spießen mächtige Braten geröstet wurden. Dabei waren Weiber mit allerlei Gefäßen thätig, um die verschiedenen Zuspeisen zu kochen und zu backen. Natürlich war auch die hoffnungsvolle Jugend in voller Thätigkeit. Ein Genremaler hätte die interessantesten Sujets mit davonnehmen können, denn es gab die heitersten Scenen und Situationen, welche man sich denken kann.

Am meisten Spaß machte mir ein etwa vierjähriger Bube, welcher an einem Feuer lag, über welchem mein Freund, der Virtuos der Riesensignalpfeife, ein Rinderviertel am Spieße drehte. Der Junge hatte es auf das herabtropfende Fett abgesehen. So oft ein Tropfen fiel, fing er ihn mit der Hand auf, brüllte dann vor Schmerz, weil das Fett natürlich brennend heiß war, leckte die Hand ab und hielt trotz des empfundenen Schmerzes den nächsten Tropfen doch wieder an. Um dem Kleinen einen praktischen Fingerzeig zu geben, fing ich mit dem Gewehr-


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kolben [Gewehrkolben] einen Tropfen auf, leckte ihn ab und nickte dem Buben zu, sich in derselben Weise eines Gegenstandes zu bedienen. Er schüttelte den Kopf, lachte mich aus und hielt die Hand wieder hin, um wie vorher abwechselnd zu heulen und zu lecken. Das Verbrennen seiner braunen Fingerchen schien ihm ganz dasselbe Vergnügen zu machen wie das Ablecken derselben; das Heulen war einfache Zugabe zum Fett.

Der alte Desierto saß mit Pena und dem Häuptling nebst den ältesten seiner Krieger beisammen. Unica war, während ich dem Kleinen zusah, zu ihnen gegangen, um zu berichten, was wir gesehen hatten. Als ich dann folgte, sagte der Alte:

»Sie sind also wirklich der Ueberzeugung, daß der Sendador westwärts hinauf nach der Salinas will?«

»Ja,« antwortete ich.

»So kann er uns gefährlich werden, da sein Weg durch das Gebiet der Chiriguanos geht, welche wir überfallen und besiegt haben.«

»Was schadet das?«

»Unter Umständen sehr viel. Wie nun, wenn er sie, die wir zerstreut haben, sammelt und hierher führt?«

»Er wird sich hüten!«

»Meinen Sie? Wir fürchten sie nicht; aber unter einem solchen Anführer könnten sie uns doch gefährlich werden, besonders da wir jetzt so viele Gefangene zu bewachen haben.«

»Selbst wenn Ihre Vermutung richtig wäre, brauchten Sie nicht bange zu sein. Senden Sie nach andern Toba-Dörfern, um Krieger kommen zu lassen. Senden Sie ferner Späher aus, um die Chiriguanos beobachten zu lassen. Dann sind Sie sicher, wenigstens nicht unvorbereitet überfallen zu werden.«


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»Dieser Rat ist gut und ich werde ihn sofort befolgen.«

»Thun Sie das immerhin, obgleich ich es nicht für nötig halte. Es ist besser, man ist zu vorsichtig als nachlässig. Ich meinerseits nehme an, daß der Sendador sich gar nicht bei den Chiriguanos verweilt. Er wird ohne Unterbrechung nach der Pampa de Salinas gehen und sich nicht so lange aufhalten, wie er müßte, wenn Ihre Vermutung zuträfe.«

»Sie mögen recht haben, aber dennoch will ich meine Maßregeln treffen. Ich thue das um so mehr, als ich morgen mit Ihnen von hier fort muß.«

»Sie selbst wollen mit nach der Laguna de Bambu?«

»Natürlich! Oder meinen Sie, daß ich hier bleiben könne, nachdem ich erfahren habe, daß Horn sich als Gefangener dort befindet? Nein, ich muß unbedingt bei denen sein, welche ihn befreien.«

»Das ist mir lieb. Pena behauptet zwar, dort gewesen zu sein, aber ich denke, daß Sie den Weg doch vielleicht besser kennen als er.«

»Das ist gewiß.«

»Wie weit ist es bis hin?«

»Die Mbocovis sind natürlich viel länger unterwegs gewesen, weil sie sich vorher östlich nach dem >Kreuze unseres Herrn< gewendet haben. Wir aber werden eine gerade Linie reiten, meinetwegen durch dick und dünn, und in nicht ganz dreien Tagen dort sein.«

»Hm! Das ist eine lange Zeit! Inzwischen bekommt der Sendador einen zu großen Vorsprung.«

»Den holen Sie jedenfalls wieder ein. Er muß gehen und Sie reiten.«

»Wie weit ist es ungefähr von hier aus bis nach der Pampa de Salinas?«


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»Ich schätze die Luftlinie auf hundertfünfzig geographische Meilen.«

»So weit? Nun, dann ist mir freilich nicht bange, ihn einzuholen. Wenn die Luftlinie eine solche Länge besitzt und man rechnet die zu überwältigenden Bodenschwierigkeiten und sonstigen Hindernisse, so kann man getrost wenigstens zweihundert sagen. Rechnet man auf einen ausgezeichneten Fußgänger für eine solche lange Tour täglich fünf Meilen, so braucht der Sendador vierzig Tage, jedenfalls eine ausreichende Zeit, um ihm zu Pferde noch zuvorzukommen, zumal ich die Absicht habe, mich an der Laguna de Bambu nicht länger zu verweilen, als bis wir unsere Freunde befreit haben.«

»Und dann kehren Sie erst mit uns nach hier zurück?«

»Nein. Das ist mir unmöglich. Rechnen Sie zwei Tage für dort, drei hin und drei zurück, so wäre das ein Verlust von acht Tagen, selbst wenn wir uns dann hier nur für kurze Stunden verweilten.«

»Aber ich rechnete ganz bestimmt darauf, Sie hier noch zu besitzen, weil ich Ihrer noch bedarf.«

»Nun wohl nicht mehr. Ich habe Sie vor Ihren Feinden gewarnt und, mehr noch als das, Ihnen dieselben in die Hand geliefert. Ich glaube nicht, daß ich Ihnen noch dienlich sein kann.«

»Sehr sogar, wenn auch nicht in der bisherigen Weise. Sie haben mich von meiner inneren Qual befreit. Bewahrheitet sich das, was Sennor Pena mir sagte, so brauche ich nicht länger in dieser Einsamkeit verborgen zu bleiben, sondern ich kann mit Ihnen nach Deutschland gehen.«

»Ah! Wollen Sie das?«

»Natürlich! Und Unica geht mit. Sie ist deutsch erzogen und fühlt eine außerordentliche Sehnsucht, Deutschland zu sehen und kennen zu lernen.«


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»Will sie dann wieder zurück nach hier?«

»Die Zeit war zu kurz, um mit ihr darüber zu sprechen. Der, den sie liebt, ist ein Deutscher. Gelingt es uns, ihn zu befreien, so wird es sich ja zeigen, ob er sich für das Hierbleiben oder für die Heimat entscheidet. Für beide ist auf alle Fälle gesorgt. Hier haben sie weder Sorge noch Not und können meine civilisatorischen Aufgaben vollenden. Gehen sie aber mit mir, so sind sie meine Kinder und Erben, und - - ich bin reich und kann ihnen alles bieten, was sie drüben brauchen. Darum hätte ich es gern, daß Sie hier blieben, bis die Entscheidung gefallen ist und wir uns Ihnen anschließen können.«

»Ich würde mich freuen, Sie mitnehmen und mit Ihnen sein zu können; aber in der Weise, wie Sie es darstellen, geht es doch nicht. Wir müssen unbedingt den Sendador haben. Aus den acht Tagen, welche ich vorhin berechnete, würden vierzehn Tage und mehr, also Wochen werden, und so lange dürfen wir nicht säumen. Ich muß unbedingt von der Laguna de Bambu sofort nach der Pampa de Salinas; das sehen Sie wohl ein?«

»Leider kann ich Ihnen nicht unrecht geben. Am liebsten würde ich gleich mit Ihnen reiten; aber das ist eben auch nicht möglich. Dennoch gebe ich den Plan, mit Ihnen zu reisen, nicht auf. Wohin werden Sie von der Salinas aus gehen?«

»Das werden erst die späteren Umstände ergeben. Welchen Weg habe ich einzuschlagen, um das Ziel am schnellsten zu erreichen? Komme ich da vielleicht über Tucuman?«

»Nein; das wäre ein Umweg. Sie müssen immer am Rio Salado hinauf und über Salta nach der Sierra de Cachi nach Bolivia hinein. Von da aus haben Sie nur


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noch einige Tagereisen immer gerade nördlich nach dem Salzsee.«

»Aber nach Tacuman will ich unbedingt,« fiel Pena ein, indem er sich an mich wendete. »Ich hatte Sie dorthin bestellt. Dort befindet sich mein gegenwärtiges Absteigquartier, und ich habe da Gelder zu heben und vieles zu ordnen.«

»Wohin wollen Sie dann?«

»Nach Deutschland. Ich habe diese Strapazen satt, und meine Ersparnisse reichen aus, drüben ohne Sorge zu leben.«

»So klappt ja alles auf das beste. Erwischen wir den Sendador und die Kipus, so müssen wir schon aus dem Grunde nach Tucuman, daß die letzteren Eigentum des dortigen Klosters werden sollen. Wir können also in Tucuman auf einander warten.«

»Das soll ein Wort sein!« rief der alte Desierto aus. »Aber wann? Wann werden Sie dort sein?«

»Das kann ich noch nicht sagen. In vierzig Tagen wird der Sendador auf der Salinas sein.«

»Nun, vielleicht berührt er bald eine Stadt und kauft sich ein Pferd. Dann geht es schneller.«

»Dann werden wir uns doppelt sputen. Sie aber wissen, was wir vorhaben und welche Zeit wir ungefähr dazu brauchen. Danach können Sie sich richten. Wer zuerst ankommt, der wartet auf die andern. Morgen früh wird hier zeitig aufgebrochen. Wie viele Leute nehmen Sie mit?«

»Es sind nur vierzig Mbocovis dort; da genügen sechzig Mann. Nicht?«

»Vollständig, zumal Ihre Leute alle Pferde haben und auch durch ihre Feuerwaffen den dortigen Roten überlegen sind. Sorgen Sie nur dafür, daß diese sechzig


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heute bei dem Triumphschmause des Guten nicht allzu viel thun, sonst sind sie morgen nicht mit fortzubringen!«

»Darüber brauchen Sie nicht bange zu sein. Bestimmen Sie die früheste Stunde, und die Leute werden bereit stehen. Auch für andere Pferde will ich sorgen. W ich sehe, sind die Ihrigen nicht die allerbesten. Außer dem Braunen, welcher sich trotz aller Anstrengung vortrefflich gehalten hat, sind sie alle mehr oder weniger abgetrieben. Werden Sie mir gestatten, sie gegen bessere und schnellere umzutauschen?«

»Das darf ich doch wohl nicht zugeben.«

»Sie müssen es. Ich habe sonst gar keine Gelegenheit, Ihnen für alles, was wir Ihnen zu danken haben, erkenntlich zu sein, als in dieser Weise. Darum müssen Sie es mir erlauben, Ihnen für jeden Ihrer Genossen ein Handpferd mitzugeben. Man weiß nie, wie lange ein Pferd aushält, und so ist es auf alle Fälle besser, stets ein Reservetier bei sich zu haben. Außerdem erfordert die Pampa de Salinas, nach welcher Sie wollen, eine ganz andere Ausrüstung als Ihre jetzige. Da können Sie die Handpferde gleich als Packpferde benützen, denn ich werde mir erlauben, Sie mit allem zu versehen, was Sie dort brauchen.«

»Was wird das sein?«

»Vor allen Dingen warme Decken. Sie haben keine Ahnung, wie kalt da oben die Nächte sind und welche durchdringende Winde da wehen. Sodann auch Proviant.«

»Aber wir können doch unmöglich auf so lange Zeit Fleisch mit herumschleppen, welches verderben würde!«

»Wer sagt das? Sie bekommen Mehl, welches sich in dichten Ledersäcken monatelang hält. Außerdem darf es Sie nicht überraschen, wenn ich Ihnen die schönste Wurst anbiete. Ich habe meinen Roten das regelrechte


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Schlachten, Wurstmachen, Pöckeln und Räuchern gelernt. Einen gut verpackten geräucherten Schinken lege ich Ihnen auch bei, und ebenso können Sie einige Steinkrüge voll der besten Butter haben. Sie sehen, daß wir hier in leidlich civilisierten Umständen leben. Und wenn Sie sich mit all diesen Sachen nicht selbst schleppen wollen, so kann ich Ihnen die Last abnehmen, indem ich einige meiner Leute zu Ihrer Begleitung bestimme.«

»Das ist zu viel!«

»Nein. Es ist sogar notwendig. Sie dürfen sich nicht darüber sorgen, daß es unbrauchbare Leute sein werden. Ich suche Ihnen die gewandtesten heraus, welche so viel spanisch verstehen, daß Sie sich mit ihnen verständigen können. Sie werden später erfahren, daß diese Leute Ihnen auch außerhalb ihres eigentlichen Zweckes als Dolmetscher von großem Nutzen sein werden.«

»Meinen Sie, daß wir es mit fremden oder fremd redenden Völkern zu thun bekommen werden?«

»Ganz gewiß. Sie müssen wissen, daß es zwei rote Völkerschaften sind, deren Besitzungen Sie berühren werden, nämlich die Tobas und die ihnen feindlichen Chiriguanos.«

»Sind dieselben so verbreitet?«

»Außerordentlich. Sie leben nicht bloß hier im Gran Chaco, sondern ziehen sich bis in die Cordilleren hinauf und nach Bolivia hinein. Es ist sehr leicht möglich, daß Sie gerade an der Pampa de Salinas Abteilungen von ihnen treffen, welche Wollmäuse jagen, deren Pelzwerk jetzt sehr gesucht wird und deren feine Wolle auch von den Roten selbst vielfach verarbeitet wird.«

»Hm! Das klingt nicht allzusehr beruhigend. Zwei rote Völkerschaften, welche sich feindlich gesinnt sind. Das ist ja ganz dasselbe, wie wenn man oben in Nordamerika


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zwischen Sioux und Schwarzfüße oder zwischen Apachen und Comanchen geriete.«

»So ähnlich ist es freilich.«

»Der Sendador macht so ziemlich denselben Weg; also wird auch er auf sie treffen.«

»Er wird den Tobas ausweichen, da er gewiß ist, von ihnen feindlich behandelt zu werden. Aber desto sicherer wird er die Chiriguanos aufsuchen. Vielleicht wirbt er sich sogar bei denselben kriegerische Begleiter an, um sich wehren zu können, falls Sie ihn angreifen. Darum ist es geraten, Ihnen einige meiner Krieger mitzugeben, durch deren Hilfe Sie sich vorkommenden Falles mit den dortigen Tobas vereinigen können.«

»Wenn es so ist, kann es mir gar nicht einfallen, Ihr Anerbieten zurückzuweisen, sondern ich nehme es mit großem Danke an.«

»Recht so! Uebrigens sind nicht Sie es, der zu danken hat, sondern wir. Was wäre aus uns geworden, wenn Sie uns nicht aufgesucht hätten und wir von den Mbocovis unerwartet überfallen worden wären! Außerdem beabsichtige ich doch, Sie später in Tucuman zu treffen und mich Ihnen anzuschließen. Was ich zu Ihrer Sicherheit und Bequemlichkeit thue, das thue ich also für mich selbst. Sie wollen den Sendador unschädlich machen. Gelingt Ihnen das, so säubern Sie das hiesige Gebiet von einem Menschen, welcher die meiste Schuld an den Feindseligkeiten zwischen uns und den benachbarten Völkern trägt. Darum liegt es in unserm eigenen Interesse, Sie möglichst zu unterstützen und zum Gelingen Ihres Vorhabens beizutragen. Also sprechen Sie ja nicht von schuldiger Dankbarkeit Ihrerseits! Und nun sind wir mit dieser Angelegenheit fertig und wollen uns ganz und ausschließlich mit der Gegenwart beschäftigen. Wir sind


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einer großen Gefahr glücklich entronnen und haben dabei große Vorteile davongetragen, Vorteile, welche uns die Uebermacht über unsere Feinde für lange Zeit sichern. Deß dürfen wir froh sein, und so wollen wir jetzt allen Ernst bei Seite werfen und an der rundum herrschenden frohen Stimmung teilnehmen.«

Das war sehr vernünftig gesprochen, und ich weigerte mich gar nicht, diesem Vorschlage zu folgen. Eine ausführliche Beschreibung des Festes zu liefern, ist nicht geboten. Es wurde ungeheuer gegessen und getrunken. Ich sah Kinder an der Erde sitzen, welche mit der einen Hand den Bauch hielten, weil er ihnen von dem vielen Essen wehe that, und doch mit der andern Bissen in den Mund stopften, aus deren einen ich zwei oder drei für mich geschnitten hätte. Der Indianer erträgt den Hunger mit Leichtigkeit, aber wenn er einmal ins Essen kommt, so leistet er auch mehr, als man für menschenmöglich hält.

Ohne Musik ging es nicht ab. Mein Liebling that das seinige, um meine Bewunderung über sein Pusten in die Riesenpfeife wo möglich noch zu steigern. Um ihm zu zeigen, daß diese Bemühung nicht vergeblich sei, schnitt ich während der Tafelmusik ein handgroßes Stück Fleisch von dem Braten und trat gerade in einem Augenblicke zu ihm, an welchem er mit aller Macht in das Instrument blies. Er setzte für einen Moment ab, um Atem zu holen, und da stopfte er sich den riesigen Bissen in den Mund und schob so lange nach, bis er in demselben verschwunden war. Ich wäre gewiß daran erstickt; der rote Virtuos aber wälzte den Bissen in die eine Backe und blies sofort wieder darauf los, als ob es gelte, das Leben sämtlicher Stammesangehörigen dadurch zu retten. Der Beweis meiner Anerkennung wurde mit dem höchsten Stolze entgegengenommen; wenigstens glaubte ich das den Blicken


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entnehmen zu dürfen, welche er mir mit vor Anstrengung weit hervortretenden Augen zuwarf.

Es wurde auch getanzt. Die Bewegungen waren mimisch; einen Takt gab es nicht. Pena kam auf die Idee, mich aufzufordern, den Roten einen Walzer vorzutanzen, und ich willigte lachend ein. Wir drehten uns zu der gar nicht passenden Musik einigemale im Kreise herum und setzten uns dann wieder nieder. Wir hatten gar nicht beabsichtigt, ein Beispiel oder Vorbild zu liefern. Darum waren wir höchst überrascht, als die Roten sich anfaßten und nun auch zu Paaren im Kreise schwenkten. Aber wie! Es war ein wahres Wunder, daß die Beine nicht davonflogen.

Auch der Abend wurde mit Essen, Trinken und Tanzen ausgefüllt. Der Jubel währte bis tief in die Nacht hinein. Nur diejenigen Männer, welche für den Ritt nach der Laguna de Bambu bestimmt waren, suchten für kurze Zeit die Ruhe, die sie aber bei dem nicht endenwollenden Lärm nicht finden konnten. - - -


Kapitel 4


Einführung zu "Am Rio de la Plata/In den Cordilleren"


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