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(iii)

Im fernen Westen.

Zwei Erzählungenaus dem Indianerlebenfür die JugendvonCarl May und Fr. C. von Wickede.

Mit 4 Bildern in Farbendruck.
Schlusslinie
Stuttgart.Verlag von Franz Neugebauer.

Im fernen WestenvonKarl May.

Schlusslinie

1.

Was das Kameel dem Araber, das Rennthier dem Lappen und der Eishund dem Eskimo, das ist das Pferd dem Prairiemanne. Der Geist der Savannen stürmt über die „dark and bloody grounds,“ über den „finstern und blutigen Boden“ des Westens, und streut Gefahren und Schrecken hinter sich, denen der muthige Jäger nur dann gewachsen ist, wenn er ein treues Roß unter sich hat, auf dessen Schnelligkeit und Ausdauer er sich verlassen kann.

Ich hatte das an mir selbst genugsam erfahren. Ich war über den Mississippi gegangen, um die Gegenden kennen zu lernen, in denen die unerbittliche Civilisation sich zum Todesstoße auf den „letzten unter den rothen Brüdern“ rüstet, hatte in mancherlei Gesellschaft die weiten Ebenen durchschritten, das Felsengebirge überstiegen und Californien erreicht. Dann war ich wieder umgekehrt, um den Rückweg nach dem Osten auf eine andere Breite zu verlegen, hatte aber die Erhaltung meines Lebens oft nur dem augenblicklichen Zufalle zu verdanken gehabt, und war den

unendlichen Beschwerden fast erlegen, weil ich während der ganzen Zeit meiner anstrengenden Wanderung nur ungenügend beritten gewesen war. Endlich aber hatte mir nach langem Bemühen zu einem guten Pferde zu kommen, das Glück gelächelt, und zwar in einer so ungewöhnlichen Weise, daß ich der launigen Göttin höchst dankbar sein mußte.

Unter den zahlreichen Stämmen der Indianer gibt es einen, welcher nicht allein von den weißen, sondern ebenso auch von den rothen Jägern mit einer außerordentlichen Geringschätzung bedacht wird; es ist derjenige der Apachen, welcher seine Jagdgründe jenseits des Gebirges hat, und sich durch seine Feigheit und Hinterlist auszeichnet, in Folge deren seine Angehörigen kaum anders als mit dem Schimpfnamen „Pimo“ bezeichnet werden. Da plötzlich aber tauchte unter diesen Pimo’s Einer auf, der die bisherige Ansicht über seine Stammesgenossen so zu Schanden machte, daß es eine Zeit gab, in welcher er an jedem Lagerfeuer und in dem ärmlichsten Boarraum gerade so wie im Salon des feinsten Hotels den stehenden Gegenstand der Unterhaltung bildete. Es war Winnetou, ein Häuptling der Apachen. Man erzählte sich Thaten von ihm, welche allerdings von Mund zu Mund vergrößert wurden, aber auch ohne diese Uebertreibung die Bewunderung selbst des verwettertsten Westmannes erregen mußten, eine Bewunderung, die um so verdienter war, als er die Lagerplätze der Seinen stets ganz allein zu verlassen pflegte, und ohne alle Begleitung Abenteuerzüge unternahm, auf denen er sich kühn durch feindliches Gebiet und bis in die entferntesten Winkel des weitgedehnten Savannenlandes wagte.

Er war nicht mehr jung; seine Vergangenheit tauchte sich

in ein geheimnißvolles Dunkel, über welches selbst seine Untergebenen keine Aufklärung zu geben vermochten, weil er schon seit seiner Jugendzeit sich mehr auf einsamen Streifzügen als in ihrer Mitte befunden hatte, und auch jetzt noch höchst selten und nur auf einige Tage zu ihnen zurückkehrte.

Mit diesem Manne war ich zusammengetroffen, als er eben im Begriffe stand, sich gegen eine Anzahl von Atabaskah’s zu vertheidigen, die ihn überfallen hatten. Der Beistand, welchen ich ihm dabei leistete, machte ihn mir zum Freunde; ich blieb einige Wochen lang an seiner Seite und erhielt beim Abschiede das unvergleichliche Pferd, welches er ritt, zum Geschenk. Er hatte nach Indianersitte demselben einen Namen gegeben, welcher auf die treffliche Eigenschaft hinwies, durch die es sich auszeichnete. Es hieß „Swallow“, Schwalbe, und war allerdings ein Thier, auf welches ich mich in jeder Lage und Gefahr verlassen konnte.

So kurze Zeit ich bei ihm gewesen war — ich hatte in ihm einen ausgezeichneten Lehrmeister besessen und gar Vieles gelernt, was ein guter Westmann können und verstehen muß. Noch beim Scheiden erklärte er mir, daß er bald wieder über die Berge gehen werde, und zwar dieses Mal, um die großen Hütten der Bleichgesichter aufzusuchen; und als ich den Wunsch äußerte, ihn wieder zu sehen, bestimmte er mir die westwärts von New-Venango gelegene Gravel-Prairie als Rendes-vous. —

Zwei Monate waren nun seit jener Begegnung vergangen; ich hatte kreuz und quer manche Strecke Weges zurückgelegt und hielt jetzt auf Venango zu, um Winnetou,

welcher ganz sicher Wort hielt, nicht auf mich warten zu lassen.

Der Tag war fast vergangen und die Sonne neigte sich allmälig demjenigen Theile der Rocky-Mountains zu, welcher die Grenze zwischen Nebraska und Oregon bildet. Ich wußte, daß die junge Niederlassung, welche sich unter dem Namen New-Venango so weit hinein in die Regionen des „far west“ geschoben hatte, in einer jener Schluchten liege, welche, Bluffs genanne, steil in die Fläche der Prairie einschneiden und gewöhnlich von einem Flüßchen durchzogen sind, welches entweder sputlos unter Felsen verschwindet, vielleicht auch im durchlassenden Boden langsam versiegt, oder auch, wenn seine Wassermasse bedeutender ist, dieselbe einem der größeren Ströme zuführt. Bisher aber hatte sich auf dem mit gelbblühendem Helianthus übersäeten Ebene kein Zeichen wahrnehmen lassen, welches auf die Nähe einer solchen Senkung schließen ließ. Das Pferd bedurfte der Ruhe; ich selbst war müde und von der langen Irrfahrt so angegriffen, daß ich mich mehr und mehr nach dem Ziele meiner heutigen Wanderung sehnte, wo ich einen tag lang gehörig Rast machen und dabei die ziemlich auf die Neige gegangene Munition wieder ergänzen wollte.

Schon gab ich es auf, dieses Ziel noch zu erreichen, da hob Swallow das Köpfchen und stieß den Athem mit jenem eigenthümlichen Laute aus, durch welchen das ächte Prairiepferd das Nahen eines lebenden Wesens signalisirt. Mit einem leisen Ruck war es zum Stehen gebracht, und ich wandte mich auf seinem Rücken, um den Horizont abzusehen.

Ich brauchte nicht lange zu forschen. Seitwärts von meinem Standpunkte bemerkte ich zwei Reiter, welche mich

erblickt haben mußten, denn sie ließen ihre Pferde weit ausgreifen und hielten gerade auf mich zu. Da die Entfernung zwischen ihnen und mir noch zu groß war, die Einzelheiten genau unterscheiden zu können, so griff ich zum Fernrohre und gewahrte zu meiner Verwunderung, daß die eine der beiden Personen nicht ein Mann, sondern, in dieser Gegend eine Seltenheit, ein noch ziemlich junger Knabe war.

„Alle Wetter, ein Kind hier mitten in der Prairie, und gar in ächter Trauerkleidung!“ fuhr es mir über die Lippen, und erwartungsvoll schob ich Revolver und Bowiemesser, welche ich vorsichtig gelockert hatte, wieder zurück. „Ist der Mann dabei einer jener extravaganten Yankees, welche zu allem Außerordentlichen fähig sind, oder ist es gar der „flats ghost,“ der Geist der Ebene, welcher nach dem Glauben der Indianer des Nachts auf feurigem Rosse und am Tage unter allerlei trügerischen Gestalten über die Woodlands reitet, um die weißen Männer in das Verderben zu locken, und der Knabe eine weiße Geißel, welchen er aus dem Osten entführt hat?“

Ich musterte mit einigem Bedenken meinen äußeren Adam, welcher allerdings nicht das Geringste von Alledem, was ein Gentleman in Gesellschaft an und um sich zu tragen pflegt, aufzuweisen hatte. Die Moccassins waren mit der Zeit höchst offenherzig geworden; die Leggins glänzten, da ich die löbliche Gewohnheit aller Jäger, die Hosenbeine bei Tafel als Serviette und Wischtuch zu gebrauchen, angenommen hatte, von Büffeltalg und Waschbärfett; das sackähnliche, lederne Jagdhemd, welches alle Temperaturen und atmosphärischen Kalamitäten mit anerkennungswerther Aufopferung ertragen hatte, gab mir das Aussehen einer

von Wind und Wetter maltraitierten Krautscheuche, und die Bibermütze, welche mein Haupt bedeckte, war mir nicht nur viel zu weit geworden, sondern hatte auch den größten Teil ihrer Haare verloren und schien zu ihrem Nachtheile mit den verschiedenen Lagerfeuern in sehr intime Bekanntschaft gerathen zu sein.

Glücklicherweise befand ich mich nicht im Parkett eines Opernhauses oder gar in dem duftenden Boudoir einer anspruchsvollen dame de la haute volée, sondern zwischen den Black-Hills und dem Felsengebirge und hatte auch gar keine Zeit, mich zu ärgern, denn noch war ich mit meiner Selbstbetrachtung nicht ganz zu Ende, so hielten die beiden schon vor mir; der Knabe hob den Griff seiner Reitpeitsche grüßend in die Höhe und rief mit heller, frischer Stimme:

„Good day, Sir! Was wollt Ihr finden, daß Ihr so an Euch herumsucht?“

„Your servant, mein Männchen! Ich knöpfe mein Panzerhemd zu, um unter dem forschenden Blicke Eures Auges nicht etwa Schaden zu leiden.“

„So ist es wohl sehr verboten, Euch anzusehen?“

„O nein, doch nehme ich natürlich an, daß mir die Erlaubniß zur Gegenbetrachtung nicht versagt wird.“

„Gegen einen Ritter mit Biberhelm und Karfunkelpanzer muß man gefällig sein. Schlagt Euer fürchterliches Visier also empor, und schaut mich an!“

„Danke, so wollen wir uns denn einmal nach Herzenslust begucken, wobei ich allerdings wohl besser wegkomme als Ihr, denn Euer Habitus ist noch ziemlich neu und gentlemanlike.“ Und meinen Mustang auf den Hinterbeinen herumdrehend, fügte ich hinzu: „So, da habt Ihr mich

von allen Seiten, zu Pferde und in Lebensgröße! Wie gefalle ich Euch?“

„Wartet ein wenig, und seht auch mich erst an!“ erwiderte er lachend, zog sein Thier vom in die Höhe und präsentirte sich durch eine kühne Wendung in derselben Weise, wie ich es gethan hatte. „Jetzt ist die Vorstellung eine vollständige, und nun sagt erst Ihr, wie ich Euch gefalle!“

„Hm, nicht übel! Wenigstens scheint Ihr mir passabel genug für den Ort hier. Und ich?“

„So so, la la! Nur muß man sich hüten, Euch näher zu kommen, als es gewisse Bedenken gestatten.“

„Ja, wenn man den Mann nicht rechnet, so ist der Reiter ganz prächtig,“ meinte sein Begleiter in wegwerfendem Tone, indem er Swallow mit bewunderndem Blicke betrachtete. Ich beachtete diese Beleidigung nicht und entgegnete dem Knaben, der eine für sein Alter außerordentlich gewandte Umgangsform zeigte:

„Eure Bedenken sind gerecht, Sir, doch wird mich die Wildniß entschuldigen, in der wir uns befinden.“

„Die Wildniß, so seid Ihr wohl fremd hier?“

„So fremd, daß ich bereits einen ganzen Tag lang die richtige Hausnummer vergebens suche.“

„So kommt mit uns, wenn Ihr sehen wollt, wie ungeheuer groß diese Wildniß ist!“

Er wandte sich der Richtung zu, welche ich verfolgt hatte, und ließ sein Pferd vom langsamen Schritte durch alle Gangarten bis zum gestreckten Galoppe übergehen. Swallow folgte mit Leichtigkeit, obgleich wir vom grauenden Morgen an unterwegs gewesen waren. Ja, das brave Thier schien zu bemerken, daß es sich hier um eine kleine

Probe handle, und griff ganz freiwillig in einer Weise aus, daß der Knabe zuletzt nicht mehr zu folgen vermochte und mit einem Ausrufe der Bewunderung sein Pferd parirte.

„Ihr seid außerordentlich gut beritten, Sir. Ist Euch der Hengst nicht feil?“

„Um keinen Preis, Sir,“ antwortete ich, verwundert über diese Frage.

„Laßt das Sir fort!“

„Ganz wie es Euch beliebt. Der Mustang hat mich aus so mancher Gefahr hinweggetragen, daß ich ihm mehr als einmal mein Leben verdanke und er mir also unmöglich feil sein kann.“

„Er hat indianische Dressur,“ meinte er mit scharfem Kennerblicke. „Wo habt Ihr ihn her?“

„Er ist von Winnetou, einem Apachenhäuptling, mit welchem ich zuletzt am Rio Suanca ein Weniges zusammenkam.“

Er blickte mich sichtbar überrascht an.

„Von Winnetou? Das ist ja der berühmteste und gefürchtetste Indianer zwischen Sonora und Columbien! Ihr seht gar nicht nach einer solchen Bekanntschaft aus, Sir.“

„Warum nicht?“ frug ich mit offenem Lächeln.

„Ich hielt Euch für einen Surweyer (Feldmesser) oder etwas Derartiges, und diese Leute sind zwar oft sehr brave und geschickte Männer, aber sich mitten zwischen Apachen, Nijoren und Navajoa’s hineinzuwagen, dazu gehört schon ein wenig mehr. Eure blanken Revolver, das zierliche Messer da im Gürtel und die Weihnachtsbüchse dort am Riemen oder gar noch Eure Paradehaltung auf dem Pferde stimmen wenig mit dem überein, was man an einem echten und rechten Trapper oder Squatter zu bemerken pflegt.“

„Ich will Euch ganz gern gestehen, daß ich wirklich

nur so eine Art Sonntagsjäger bin, aber die Waffen sind nicht ganz schlecht. Ich habe sie in der Front-Street in St. Louis, und wenn Ihr auf diesem Felde so zu Hause seid, wie es scheint, so werdet Ihr ja wissen, daß man dort für gute Preise auch gute Waare bekommt.“

„Hm, ich meine, daß die Waare ihre Güte erst beim richtigen Gebrauche zeigt. Was sagt Ihr zu dieser Pistole hier?“

Er griff in die Satteltasche und zog ein altes, verrostetes Schießinstrument hervor, welches einem viel in Gebrauch gewesenen Prügel ähnlicher sah als einer ordentlichen und zuverlässigen Feuerwaffe.

„Lo! Das Ding stammt jedenfalls noch von Anno Poccahontas her; aber es kann für den damit Geübten doch ganz gut sein. Ich habe Indianer oft mit dem armseligsten Schießzeuge zum Verwundern umgehen sehen.“

„Dann sagt einmal, ob sie auch das fertig gebracht haben!“

Er warf das Pferd zur Seite, schlug im raschen Trabe einen Kreis um mich, hob den Arm und drückte, ehe ich nur eine Ahnung von seiner Absicht haben konnte, auf mich ab. Ich fühlte einen leisen Ruck an meiner kahlhäutigen Kopfbedeckung und sah zu gleicher Zeit die Helianthusblüte, welche ich an die Mütze gesteckt hatte, vor mir niederfliegen. Es schien mir ganz, als wolle der sichere Schütze sich darüber informiren, was von meiner Sonntagsjägerei zu halten sei, und ich antwortete also auf die ausgesprochene Frage kaltblütig:

„Ich denke, so Etwas bringt Jeder fertig, obgleich es nicht Jedermanns Passion ist, seine Mütze hinzuhalten, da zufälliger Weise einmal ein Kopf darunter stecken kann.

Schießt also auf einen Andern nicht eher, als bis Ihr ihn überzeugt habt, daß Ihr mit Eurer Pulverspritze für einen guten Schuß zusammenpaßt!“

„Wherefore?“ fragte es da hinter mir. Sein Begleiter ritt einen hohen, schwerfälligen Gaul, der mit unsern Pferden nicht hatte Schritt halten können, und war darum erst im Augenblicke des Schusses wieder zu uns gestoßen. „Der Kopf eines Savannenläufers ist sammt der darauf sitzenden Pelzmütze mit einem Schusse Pulvers jedenfalls mehr als genug bezahlt!“

Der hagere, lang- und dünnhalsige Mann hatte eine ächte, verkniffene Yankeephysiognomie. Aus Rücksicht gegen seinen Gefährten ließ ich auch diese Grobheit unberücksichtigt, obgleich es mir vorkam, als ob meinem Schweigen von dem Knaben eine falsche Ursache untergelegt werde; wenigstens sah ich über sein Gesicht einen Ausdruck gleiten, in welchem wenig Anerkennung für den von mir gezeigten Mangel an Schlagfertigkeit zu lesen war.

Die ganze Begegnung kam mir sehr sonderbar vor, und hätte ich etwas Aehnliches in irgend einem Roman gelesen, so wäre der Verfasser sicher in den Verdacht gekommen, Unmögliches für möglich darzustellen. Jedenfalls, das war klar, mußte eine Ansiedlung in der Nähe sein, und da seit längerer Zeit der Kriegspfad keinen der wilden Stämme in diese Gegend geführt hatte, so konnte es selbst ein Knabe immerhin wagen, ein Stückchen in die Ebene hineinzureiten.

Nicht so klar war es mir, was ich eigentlich aus dem interessanten Jungen machen sollte. Er verriet eine Kenntniß des Westens und eine Uebung in den hier nothwendigen Fertigkeiten, daß ich wohl Ursache hatte, auf ganz

besondere Verhältnisse zu schließen. Es war daher wohl kein Wunder zu nennen, daß mein Auge mit der lebhaftesten Aufmerksamkeit auf ihm ruhte.

Er ritt jetzt eine halbe Pferdelänge vor und der Schein der sich dem Horizonte zuneigenden Sonne umfluthete ihn mit goldenen Lichtstrahlen. „Bräunlich und schön“, wie die heilige Schrift von dem Knaben David erzählt, zeigten seine eigenartigen Züge trotz ihrer noch jugendlichen Weichheit eine Festigkeit des Ausdruckes, welche auf frühzeitige Entwicklung des Geistes und kräftige Energie des Willens schließen ließ, und in der ganzen Haltung, in jeder einzelnen seiner Bewegungen sprach sich eine Selbständigkeit und Sicherheit aus, welche unbedingt verbot, das jugendliche Wesen als Kind zu behandeln, obgleich der Knabe nicht über sechzehn Jahre zählen konnte.

Ich mußte unwillkürlich an die Erzählungen denken, welche ich früher gelesen hatte, an Geschichten von der Kühnheit und Selbständigkeit, welche hier im „far west“ selbst Kindern zu eigen ist, und diese Selbständigkeit konnte nicht nur in Beziehung auf den Charakter, sondern auch in Betreff des pekuniären Vermögens gelten, sonst hätte er mich ja nicht vorhin nach dem Preise meines Pferdes fragen können.

Plötzlich zog er die Zügel an.

„Ihr wollt nach New-Venango, Sir?“

„Ja.“

„Und kommt aus der Savanne natürlich?“

„Wie Ihr mir ansehen könnt, ja.“

„Aber ein Westmann seid Ihr nicht!“

„Ist Euer Blick so scharf, um das sofort zu erkennen?“

„Ihr seid ein Deutscher?“

„Ja. Spreche ich das Englisch mit einem so bösen Accent, daß Ihr an demselben den Ausländer in mir erkennt?“

„Bös gerade nicht, aber doch so, daß man Eure Abstammung erkennt. Wenn es Euch recht ist, wollen wir uns unserer Muttersprache bedienen!“

„Wie, auch Ihr habt die gleiche Heimat?“

„Der Vater ist ein Deutscher; geboren aber bin ich am Quicourt. Meine Mutter war eine Indianerin vom Stamme der Assineboins.“

Nun war mir mit einem Male der eigenthümliche Schnitt seines Gesichtes und der tiefe Schatten seines Teints erklärlich. Seine Mutter war also todt, und der Vater lebte noch. Hier stieß ich jedenfalls auf außergewöhnliche Verhältnisse, und es war mehr als bloße Neugierde, was ich jetzt für ihn empfand.

„Wollt Ihr einmal da hinüber blicken?“ forderte er mich mit erhobenen Armen auf. „Seht Ihr den Rauch wie aus dem Boden emporsteigen?“

„Ah, so sind wir endlich am Bluff, den ich suchte und in dessen Senkung New-Venango liegt! Kennt Ihr Emery Forster, den Oelprinzen?“

„Ein wenig. Er ist der Vater von meines Bruders Frau, welche mit ihrem Manne in Omaha lebt. Ich komme von dort von einem Besuche zurück, und habe hier Absteigequartier genommen. Habt Ihr mit Forster zu thun, Sir?“

„Nein. Ich will nach dem Store, um mich mit einigem zu versorgen, und fragte nur, weil er als einer der bedeutendsten Oelprinzen Jedem, der in diese Gegend kommt, von Interesse sein muß.“

„Ihr habt ihn schon gesehen!“

„Nein!“

„Und doch! Ihr seht ihn sogar jetzt, denn er reitet an Eurer Seite! Unsere Vorstellung war eine mangelhafte, ist aber zu entschuldigen; die Prairie kennt keine Dehors.“

„Ich möchte diese Ansicht nicht theilen,“ erwiderte ich, ohne den Yankee mit einem einzigen Blicke zu beachten. „Ich meine sogar, daß die Prairie eine sehr scharfe Diskretion ausgebildet hat, deren Maßstab allerdings nicht der Geldbeutel, sondern das Gewicht des Mannes ist. Gebt einem Eurer arroganten Oelprinzen die Pistole, mit welcher Ihr so vortrefflich umzugehen versteht, in die Hand und schickt ihn nach dem Westen, er wird trotz seiner Millionen untergehen. Und fragt im Gegenfalle einen unserer berühmten Westmänner, die wie unbeschränkte Fürsten mit ihren Büchsen die weite Ebene beherrschen, nach dem Monney, welches er besitzt; er wird Euch in das Angesicht lachen. Da, wo der Mensch grad so viel wiegt wie die Gefahr, welche er zu überwinden vermag, leistet zum Beispiel meine „Patentmütze“ bessere Dienste, als der Besitz von einem Viertel- oder halben Dutzend von Oelquellen. Die Prairie schreibt ihre Gesetze und Komplimente nicht durch den Tanzlehrer, sondern mit dem Bowiemesser vor!“

Sein Auge blitzte mit einem raschen, leuchtenden Blicke von Forster auf mich herüber. Ich bemerkte, daß ich ihm aus der Seele gesprochen hatte. Dennoch aber konnte er eine Berichtigung nicht unterlassen.

„Ich will Euch nicht ganz Unrecht geben, Sir; aber es giebt doch vielleicht hier und da einen Trapper oder Squatter, der nicht lachen würde, wenn ich ihn nach dem „Metall“ fragte. Habt Ihr einmal von Old Firehand gehört?“

„Warum sollte ich nicht? Er ist einer der angesehensten unter den Waldläufern. Begegnet freilich bin ich ihm noch nicht.“

„Nun seht, er und Winnetou, den Ihr ja kennt, also ein Weißer und eine Rothhaut, gehören zu Denen, die ich meine. Diese beiden Männer kennen jedes „Open“ und jedes „Shut“ des Gebirges und könnten Euch zu Gold- und Silberlagern führen, von deren Dasein und Reichhaltigkeit kein Anderer eine Ahnung hat. Ich glaube nicht, daß Einer von ihnen mit irgend einem Oelmanne tauscht!“

„Pshaw, Harry,“ fiel Forster ein; „ich hoffe nicht, daß Du anzüglich sein willst!“

Er vermied zu antworten, und ich meinte kalt:

„Der Oelmann hätte diese Schätze jedenfalls nicht entdeckt und würde sich wohl auch hüten, ihre Ausbeutung mit seinem kostbaren Leben zu bezahlen. Uebrigens gebt Ihr wohl zu, mein junger Master, daß Eure Entgegnung nur eine Bestätigung meiner Behauptung enthält. Der richtige Jäger mag eine Ader aufgefunden haben, aber er verkauft gegen ihren Inhalt die kostbare Freiheit nicht, die ihm über alles geht. Doch da ist ja der Bluff und mit ihm unser Ziel.“

Wir hielten am Rande der Schlucht und blickten auf die kleine Niederlassung hinab, deren Häuserzahl ich mir höher vorgestellt hatte. Das vor uns liegende Thal bildete eine schmale Pfanne, welche, rings von steil aufsteigenden Felsen umschlossen, in ihrer Mitte von einem ansehnlichen Flusse durchströmt wurde, der sich zwischen nahe zusammentretendem Gestein unten einen Ausweg suchte. Das ganze unter uns liegende Terrain war mit Anlagen, wie sie die Petroleumerzeugung erfordert, bedeckt; oben, ganz nahe am

Wasser, befand sich ein Erdbohrer in voller Thätigkeit; am mittleren Laufe stand etwas vor den eigentlichen Fabrikräumlichkeiten ein trotz des Interims doch ganz stattliches Wohngebäude, und wo das Auge nur hinblickte, waren Dauben, Böden und fertige Fässer, theils leer, meist aber mit dem vielbegehrten Brennstoffe gefüllt, zu sehen.

„Ja, das ist der Bluff, Sir,“ antwortete Harry. „Da drüben seht Ihr den Store, zugleich Restauration, Boardinghouse und alles sonst noch Mögliche, und hier führt der Weg hinab, ein wenig steil zwar, sodaß wir absteigen müssen, aber doch immer noch ohne Lebensgefahr zu passiren. Wollt Ihr mitkommen?“

Ich schnellte mich rasch aus dem Sattel; auch er war abgesprungen und meinte:

„Nehmt Euer Thier an die Hand.“

„Swallow kommt von selbst nach. Steigt immerhin voran!“

Er ergriff die Zügel seines Pferdes; mein Mustang folgte ohne besondere Aufforderung, und während Forster mit seinem Gaule langsam und zaghaft nachgestiegen kam, hatte ich Gelegenheit, an dem Vorangehenden die Gewandtheit und Sicherheit des Schrittes zu bewundern. Diese Uebung hatte er sich ganz bestimmt nicht im Osten aneignen können, und mein Interesse für ihn wuchs von Minute zu Minute. Auf der Sohle des Thales angekommen, setzten wir uns wieder zu Pferde. Ich wollte mich verabschieden, weil ich annehmen mußte, daß die beiden direkt nach dem bereits angegebenen Wohngebäude reiten würden, während mein Weg mich nach dem Laden führte, da aber fiel mir Forster in die Rede:

„Laßt das sein, Mann! Wir kommen mit nach dem

Store, denn ich habe noch irgend eine Kleinigkeit mit Euch abzumachen!“

Es war mir um des interessanten Jünglings willen ganz lieb, die bisherige Gesellschaft noch für kurze Zeit genießen zu können, aber ich hatte keine Lust, Forster eine Frage über seine Kleinigkeit vorzulegen. Ich brauchte indes nicht lange zu warten, um Aufklärung über dieselbe zu erhalten. Bei dem „Store and Boardinghouse,“ wie die einfache Blockhütte mit Kreideschrift an ihrer Thüre bezeichnet war, angekommen, hatte ich kaum den Sattel verlassen, so war er auch von dem seinen herunter und faßte Swallow am Zügel.

„Ich werde Euch das Pferd abkaufen! Was kostet es?“

„Ich verkaufe es nicht!“

„Ich gebe zweihundert Dollars.“

Ich lachte verneinend.

„Zweihundert und fünfzig!“

„Gebt Euch keine Mühe, Sir!“

„Dreihundert!“

„Es ist mir nicht feil!“

„Dreihundert, und was Ihr hier aus dem Store nehmt, das bezahle ich obendrein!“

„Glaubt Ihr wirklich, daß ein Präriemann sein Pferd verkauft, ohne welches er vielleicht zu Grunde geht?“

„So gebe ich Euch das Meinige noch dazu!“

„Behaltet Euern Patentgaul immerhin; ich tausche ihn Euch nicht um ein einziges Haar aus meiner Mütze ab!“

„Aber ich muß das Pferd haben,“ versetzte er ungeduldig. „Es gefällt mir!“

„Das glaube ich Euch gern; doch bekommen könnt Ihr es nicht. Ihr seid zu arm, es zu bezahlen.“

„Zu arm?![“] Er warf mir einen Blick zu, der mich jedenfalls einschüchtern sollte. „Habt Ihr nicht gehört, daß ich Emery Forster bin? Wer mich kennt, der weiß sehr genau, daß ich im Stande bin, ein ganzes Tausend solcher Mustangs zu bezahlen!“

„Euer Geldbeutel ist mir ein sehr gleichgültiges Ding. Könnt Ihr wirklich ein gutes Pferd bezahlen, so geht zum Pferdehändler; das meinige aber laßt jetzt einmal los!“

„Ihr seid ein unverschämter Kerl, wißt Ihr’s! Ein Bursche, dem wie Euch die Füße aus den Schuhen gucken, sollte froh sein, daß ihm das Geld zu neuen Stiefeln so leicht geboten wird; er kommt dann wenigstens einmal auf ehrlichem Wege zu ihnen!“

„Emery Forster, nimm Deine Zunge in Acht, Du könntest sonst auf einem sehr ehrlichen Wege erfahren, daß der Mann, der nach Deiner Meinung mit einem Schusse Pulvers mehr als genugsam bezahlt ist, mit dieser Art von Geld schnell bei der Hand ist!“

„Oho, mein Junge! Hier ist nicht Savannenland, wo jeder Strolch thun kann, was ihm gerade beliebt. In New-Venango bin ich allein Herr und Gebieter, und wer sich nicht im Guten nach mir richtet, der wird auf andere Weise zu Verstand gebracht. Ich habe mein letztes Gebot gethan. Bekomme ich das Pferd dafür oder nicht?“

Ein jeder brave Westmann hätte jedenfalls schon längst nur mit der Waffe geantwortet; das Verhalten des Mannes verursachte mir aber Vergnügen anstatt Aerger, und anderntheils bewegte mich auch die Rücksicht auf seinen Begleiter zu einer größeren Selbstbeherrschung, als ich ihm allein gegenüber gezeigt hätte.

„Nein,“ antwortete ich daher ruhig. „Laßt es los!“

Ich langte nach dem Zügel, welchen er in der Hand hielt. Er gab mir einen Stoß vor die Brust, daß ich zurücktaumelte, und schwang sich in den Sattel.

„So, Mann, jetzt werde ich Dir zeigen, daß Emery Forster ein Pferd zu kaufen versteht, auch wenn es ihm verweigert wird. Hier steht das meinige, es ist Dein. Die Rechnung im Store werde ich berichtigen, und die Dollars kannst Du dir holen, sobald es Dir beliebt! Komm, Harry; wir sind fertig!“

Der Gerufene folgte nicht sofort, sondern hielt noch einige Augenblicke auf der Stelle und blickte mir gespannt in das Gesicht. Als ich aber keine Miene machte, mir nach Jägerart mein Eigenthum zurückzuholen, glitt es wie eine tiefe Verachtung über sein Gesicht.

„Wißt Ihr, was ein Coyote ist, Sir?“

„Ja,“ antwortete ich gleichmüthig.

„Nun?“

„Ihr meint den Präriewolf? Er ist ein feiges, furchtsames Thier, welches schon vor dem Bellen des Hundes flieht und nicht werth ist, daß man es beachtet.“

„Ihr habt recht mit Eurer Antwort; Ihr konntet sie auch leicht geben, denn -- Ihr seid ein Coyote!“

Mit einer unbeschreiblich geringschätzigen Handbewegung wandte er sich ab und folgte dem vorangerittenen „Herrn und Gebieter“ von New-Venango nach.

Ich schwieg, denn ich wußte, was ich that. Swallow war mir nicht verloren, und ließ ich ihn für eine kurze Zeit bei Forster, so war es mir vielleicht möglich, Harry, für den ich mich zu interessiren begann, wieder zu sehen. Aus seinem Munde ließ ich die letzten Worte nicht als Beleidigung gelten.

Aus dem Laden waren einige Männer getreten, welche unserer unerquicklichen Verhandlung beigewohnt hatten. Der Eine von ihnen band jetzt den Gaul Forsters an einen Pfahl und trat dann zu mir. Man konnte dem rothhaarigen und vertrunkenen Burschen auf tausend Schritte den Irländer ansehen.

„Laßt Euch den Handel nicht dauern, Master,“ meinte er; „Ihr kommt nicht schlecht dabei weg! Wollt Ihr längere Zeit in New-Venango bleiben?“

„Hab’ keine Lust dazu! Seid Ihr der Besitzer von diesem berühmten Etablissement hier?“

„Der bin ich, und berühmt ist es; da habt Ihr Recht; berühmt, so weit es nur immer Einen gibt, dem der Brandy gut über die Zunge läuft. Ihr seid vielleicht zu Eurem Glück hierher gekommen!“

„Wie so?“

„Das will ich Euch sagen! Ihr könntet hier bei mir bleiben, aber nicht bloß für heute, sondern für morgen und übermorgen und immer. Ich brauche einen Boardkeeper, der nicht gleich dreinspringt, wenn er einen derben Tritt bekommt. In unserem Geschäfte ist die Ambition oft ein recht überflüssiges und schädliches Ding, und ich habe ja vorhin gesehen, daß Ihr in dieser Beziehung einen guten Puff vertragt. Schlagt ein; es soll Euer Schade nicht sein!“

Ich hätte dem Manne eigentlich ins Gesicht schlagen mögen; doch war seine Offerte wirklich mehr lächerlich als ärgerlich, und so trat ich ohne Erwiderung in das Haus, um die nöthigen Einkäufe zu machen. Als ich nach dem Preise des Ausgewählten frug, blickte er mich erstaunt an.

„Habt Ihr denn nicht gehört, daß Emery Forster Alles

bezahlen will? Er wird Wort halten, und ich gebe Euch alle diese Sachen, ohne daß Ihr einen Penny dafür habt.“

„Danke! Wenn ich mir Etwas kaufe, so habe ich nicht das Geld eines Pferdediebes dazu nöthig.“

Er wollte einen Einspruch erheben, als er aber die Handvoll goldener Füchse bemerkte, welche ich unter dem Gürtel hervorzog, nahm seine Miene einen äußerst respektvollen Ausdruck an, und der Handel begann mit jener Schlauheit und Zähigkeit, welche in jenen Gegenden den Unkundigen auf das Glänzendste auszubeuten versteht.

Endlich wurden wir einig. Ich kam in den Besitz einer vollständig neuen Trapperkleidung und versah mich gegen schweres Geld mit einigem Proviant und so viel Munition, daß ich es nun wieder eine ganze Weile auszuhalten vermochte.

Der Abend war mittlerweile vollständig hereingebrochen, und tiefes Dunkel hatte sich über das Thal gesenkt. Es war nicht meine Absicht, in dem niedrigen und dunstigen Boarraum Herberge zu nehmen; ich warf daher den neuen, bis oben herauf gefüllten Fouragesack über die Schulter und trat hinaus in das Freie. Ich wollte zu Forster, um ihm eine richtigere Meinung über seine Herrscherrechte beizubringen.

Mein Weg führte längs dem Flusse hin, und was ich vorher nicht bemerkt hatte, das fiel mir jetzt, da meine Aufmerksamkeit nicht mehr von dem kleinen Begleiter in Anspruch genommen wurde, sofort auf: Der Oelgeruch, welcher das ganze Thal erfüllte, verstärkte sich in der Nähe des Wassers; der Fluß mußte also eine nicht unbedeutende Menge des Brennstoffes mit sich führen.

Der Gebäudekomplex, welchem ich zuschritt, lag vollständig -

vollständig schwarz vor mir; aber als ich eine leichte Krümmung des Weges zurückgelegt hatte und nun das Herrenhaus von vorn sehen konnte, fiel ein heller Lichtglanz von der Veranda herüber, und ich erkannte, daß eine kleine Gesellschaft dort versammelt sei. Als ich an der Fenz anlangte, welche den Vorplatz umschloß, vernahm ich ein leichtes Schnaufen, über dessen Ursache ich mir sofort im Klaren war.

Ich wußte, daß Swallow von keinem Fremden in einen Stall zu bringen sei. Man hatte ihn im Freien lassen müssen und gerade unter der Veranda angebunden, weil dort das Thier am besten zu bewahren war. Ich haßte das Lauschen; heut aber trieb mich ein unbestimmtes Etwas, diese Abneigung zu überwinden, und ich schlich mich leise über die dunklen Stellen des erwähnten Vorplatzes bis an das niedere Mauerwerk, in welches die Träger der leichten Ueberdachung eingesenkt waren. Ich befand mich jetzt ganz in der Nähe meines Pferdes und bemerkte zu meiner Genugthuung auch Harry, welcher in einer der Hängematten lag. Er war eben im Begriffe, dem neben ihm sitzenden Forster eine Auseinandersetzung zu machen. Keinen Blick von der Gesellschaft verwendend, befestigte ich den mitgebrachten Sack hinter dem Sattel Swallows. Das brave Thier hatte sich das Lederzeug nicht abnehmen lassen; hätte ich, als Forster mit ihm davonritt, einen Pfiff ausgestoßen, so hätte es ihn ganz sicher abgeworfen und wäre zu mir zurückgekommen.

„Es ist ein unnützes und lästerliches Unternehmen, dear uncle, und Du hast Dir die Sache wohl nicht ganz richtig berechnet,“ hörte ich den Knaben sagen.

„Willst Du mich etwa das Kalkuliren lehren? Die

Oelpreise sind nur deßhalb so gedrückt, weil die Quellen zu viel liefern. Wenn wir also, Einer wie der Andere, das Oel so einen Monat lang ablaufen lassen, so muß es wieder theuer werden, und wir machen Geschäfte, gute Geschäfte, sage ich Dir. Und diesen Coup werden wir ausführen; es ist so beschlossen, und ein Jeder wird sein Versprechen halten. Ich lasse aus dem unteren Loche jetzt Alles in unseren Venango-River fließen; bis die Preise steigen, werden wir weiter oben auch auf Oel getroffen sein, und da ich einen hinreichenden Vorrath von Fässern habe, so schicke ich dann im Verlaufe von wenigen Tagen eine Quantität Oel nach dem Osten, die mir Hunderttausende einbringt.“

„Das ist kein ehrliches Unternehmen, und mir scheint auch, Ihr habt die Quellen drüben im alten Lande und sonst noch wo dabei ganz außer Acht gelassen. Euer Verhalten wird die dortige Konkurrenz sofort zur äußersten Anstrengung spornen, und Ihr selbst gebt also dem noch schlafenden Gegner die Waffen in die Hand. Uebrigens sind ja die hier in den Staaten aufgestapelten Vorräthe so groß, daß sie für sehr geraume Zeit zureichen.“

„Du kennst den ungeheuren Bedarf nicht und hast also gar kein Urtheil, bist für ein solches überhaupt noch zu jung.“

„Das müßte denn doch sehr bewiesen werden!“

„Der Beweis liegt nahe. Hast Du mir nicht vorhin erst gestanden, daß Du Dich in dem Woodsmann oder was der Mensch eigentlich war, getäuscht hast? Ich hätte mir niemals träumen lassen, daß es Dir in solcher Gesellschaft gefallen könnte!“

Ich sah Harry erröthen, aber er antwortete schnell:

„Ich bin in solcher Gesellschaft aufgewachsen, das weißt Du ja, habe mein bisheriges Leben in den „dunklen Gründen“ verbracht und müßte den Vater nicht im Geringsten lieb haben, wenn ich diese „Gesellschaft“ bloß um ihrer äußeren Erscheinung willen verachten könnte. Es gibt Männer unter ihr, denen gar mancher Eurer noblen Gentlemans und stolzen Geldbarone an innerem Werthe nicht gewachsen ist. Und übrigens ist ja heut von einer Täuschung keine Rede, denn ich sagte nur, daß er mir erst anders geschienen habe, und zwischen Vermuthung und Behauptung pflege ich einen Unterschied zu machen.“

Forster wollte eine Entgegnung aussprechen, kam aber nicht dazu, denn in diesem Augenblicke geschah ein Donnerschlag, als sei die Erde mitten unter uns auseinandergeborsten. Der Boden erzitterte, und als ich das Auge erschrocken seitwärts wandte, sah ich im oberen Theile des Thales, da, wo der Erdbohrer thätig gewesen war, einen glühenden Feuerstrom fast fünfzig Fuß senkrecht in die Höhe steigen, welcher flackernd oben breit auseinander floß und, wieder zur Erde niedersinkend, mit reißender Schnelligkeit das abfallende Terrain überschwemmte. Zugleich drang ein scharfer, stechender, gasartiger Geruch in die Athmungswerkzeuge, und die Luft schien von leichtflüssigem, ätherischem Feuer erfüllt zu sein.

Ich kannte dieses furchtbare Phänomen, denn ich hatte es im Kanawhathale in seiner ganzen Schrecklichkeit gesehen, und stand mit einem einzigen Sprunge mitten unter der vor Schreck fast todesstarren Gesellschaft.

„Löscht die Lichter aus, schnell, die Lichter aus! Der Bohrer ist auf Oel getroffen, und Ihr habt versäumt, alles Feuer in der Nähe zu verbieten. Nun breiten sich

die Gase aus und haben sich entzündet. Lichter aus, sonst brennt in zwei Minuten das ganze Thal!“

Ich sprang von einem der brennenden Armleuchter zum andern, aber im oberen Zimmer brannten die Lampen auch, und drüben vom Store her sah ich ebenfalls Lichtschimmer. Dazu hatte die Fluth des hochaufsprühenden Oeles, welches sich mit unglaublicher Raschheit über das ganze obere Thal ausbreitete, jetzt den Fluß erreicht, und nun galt es, alles einzusetzen für das nackte, bloße Leben.

„Rettet Euch, Ihr Leute! Lauft, lauft um Gottes willen! Sucht die Höhen zu gewinnen!“

Mich um weiter Niemand kümmernd, riß ich Harry empor in meine Arme und saß im nächsten Augenblick mit ihm im Sattel. Harry, mein Verhalten mißverstehend und die Größe der Gefahr nicht erkennend, sträubte sich mit Aufbietung aller seiner Kräfte gegen die Umschlingung; aber wie man in solchen Augenblicken stets eine auf das äußerste gesteigerte Körperstärke besitzt, so verschwand auch diese Anstrengung fast ganz unter der Gewalt, mit welcher ich ihn festhielt, und in rasendem Laufe trug Swallow, dessen Instinkt die Führung des Zügels und den Gebrauch der Sporen überflüssig machte, uns stromabwärts.

Der Bergpfad, welchen wir von der Savannenhöhe nach New-Venango herabgestiegen waren, konnte jetzt nicht mehr erreicht werden, denn der Glutstrom war schon an ihm vorübergefluthet. Nur abwärts konnten wir Rettung finden; aber ich hatte am Tage nichts einer Straße Aehnliches bemerkt und im Gegentheil gesehen, daß die Felswände so eng zusammentraten, daß sich der Fluß nur schäumend den Ausweg erzwingen konnte.

„Sagt,“ rief ich in ängstlicher Hast, „gibt es einen Weg, welcher hier unten aus dem Thale führt?“

„Nein, nein!“ stöhnte er unter der krampfhaften Anstrengung, von mir loszukommen. „Laßt mich fahren, sage ich Euch, laßt mich fahren. Ich brauche Euch nicht, ich bin mir selbst genug!“

Natürlich konnte ich auf dieses Verlangen nicht achten und musterte mit Aufmerksamkeit den nahe zusammentretenden Horizont, welchen die beiden schroff aufsteigenden Thalwände bildeten. Da fühlte ich einen Druck in der Gürtelgegend, und zugleich rief der Knabe:

„Was wollt Ihr mit mir? Laßt mich los; gebt mich frei, oder ich stoße Euch Euer eigenes Messer in den Leib!“

Ich sah eine Klinge in seiner Hand funkeln; er hatte mein Bowiemesser an sich gerissen. Ich hatte keine Zeit zu einer langen Auseinandersetzung, sondern vereinte nur mit einem raschen Griffe seine beiden Handgelenke in meiner Rechten, während ich mit dem linken Arme ihn immer fester umschloß.

Mit jeder Sekunde wuchs die Gefahr. Der glühende Strom hatte die Lagerräume erreicht, und nun sprangen die Fässer mit kanonenschußähnlichem Knalle und ergossen ihren sofort in heller Lohe brennenden Inhalt in das auf diese Weise immer mehr anwachsende und immer rascher vorwärts schreitende Feuermeer. Die Atmosphäre war zum Ersticken heiß; ich hatte das Gefühl, als koche ich in einem Topfe siedenden Wassers, und doch wuchsen Hitze und Trockenheit mit solcher Rapidität, daß ich innerlich zu brennen vermeinte. Fast wollten mir die Sinne schwinden; aber es galt nicht bloß mein Leben, sondern noch viel mehr dasjenige meiner kostbaren Bürde.

„Come on, Swallow, voran, voran, Swall —!“

Die fürchterliche Hitze versenkte mir das Wort im Munde; ich konnte nicht weiter sprechen. Es war aber auch ein solcher Zuruf gar nicht nothwendig, denn das brave, herrliche Thier raste ja mit einer schier unmöglichen Geschwindigkeit dahin. So viel sah ich, diesseits des Flusses war kein Ausweg. Die Flammen beleuchteten die Felswände hell genug, um sehen zu lassen, daß die letzteren nicht zu erklimmen seien, deshalb ins Wasser, ins Wasser — hinüber auf die andere Seite!

Ein leiser Schenkeldruck — ein Sprung des gehorsamen Mustangs, und hochauf schlugen die Wellen über uns zusammen. Ich fühlte neue Kraft, neues Leben durch meine Adern pulsiren, aber das Pferd war unter mir verschwunden. Doch das war jetzt gleich; nur hinüber — immer hinüber! Swallow war schneller gewesen als das lohende Element; jetzt aber kam es flammend und himmelhoch züngelnd den Fluß herab gewälzt und fand in dem aus der Quelle hineingeleiteten Petroleum immer neue Nahrung. In einer Minute, in einer Sekunde, ach, vielleicht schon in einem Augenblicke mußte es mich erreichen. Der jetzt bewußtlose Knabe hing mit todesstarren Armen an mir; ich schwamm wie noch nie, nie in meinem Leben, oder nein, ich schwamm nicht, sondern schnellte mich in wahnsinnigen Sätzen über die von zuckenden Lichtern bis auf den Grund hinab durchblitzte Fluth. Ich fühlte eine Angst, so furchtbar — so furchtbar — — — Da schnaufte es an meiner Seite. „Swallow, du treuer, wackerer — bist Du’s?“ — Hier ist das Ufer — — — wieder in den Sattel — ich komme nicht hinauf — es ist, als sei mir das innerste Mark verdorrt — — Herr Gott, hilf, ich kann nicht liegen

Illustration2

bleiben — — noch einmal — es gelingt — — Swallow, fort — fort — — wohin Du willst, nur hinaus, hinaus aus diesem Höllenbrande!“

Es ging weiter, nur das wußte ich; wohin, darnach fragte ich nicht. Die Augen lagen mir wie geschmolzenes Metall in ihren Höhlen, und das von ihnen aufgefangene Licht wollte mir das Hirn verbrennen; die Zunge strebte zwischen den trockenen Lippen hervor; ich hatte durch den ganzen Körper ein Gefühl, als bestehe er aus glimmendem Schwamme, dessen lockere Asche jeden Moment auseinanderfallen könne. Das Pferd unter mir schnaubte und stöhnte mit fast menschlichem Wehelaute; es lief, es sprang, es kletterte, es schoß über Felsen, Vorsprünge, Risse, Kanten und Spitzen mit tiger-, mit schlangenartigen Bewegungen. Ich hatte mit der Rechten seinen Hals umklammert und hielt mit der Linken noch immer den Knaben fest. Noch einen Satz, einen weiten, fürchterlichen Satz — endlich, endlich ist die Felswand überwunden — noch einige hundert Schritte vom Feuer hinweg und in die Prairie hinein, und Swallow blieb stehen; ich sank von ihm zur Erde nieder.

Die Aufregung, die Ueberanstrengung war so groß, daß sie die Ohnmacht besiegte, die sich meiner bemächtigen wollte. Ich raffte mich langsam wieder empor, schlang die Arme um den Hals des treuen, unvergleichlichen Thieres, welches an allen Gliedern zitterte, und küßte es unter konvulsivischem Weinen mit einer Inbrunst, wie wohl selten ein Liebender die Auserwählte seines Herzens geküßt hat.

„Swallow, du Köstlicher, ich danke Dir, Du hast mich, Du hast uns Beide erhalten. Diese Stunde soll Dir nie vergessen werden!“

Der Himmel glänzte blutig roth, und der Brodem des entfesselten Elements ruhte in dichten, schwarzen, von purpurnen Strahlen durchbrochenen Ballen über dem Herde der Verwüstung. Aber ich hatte keine Zeit zu diesen Betrachtungen, denn vor mir lag, das Messer noch immer krampfhaft festhaltend, Harry, bleich, kalt und starr, so daß ich ihn todt glaubte, ertrunken in den Fluthen des Wassers, während ich ihn den Flammen entreißen wollte.

Seine Kleidung war durchnäßt und legte sich eng an die leblosen Glieder; auf dem erbleichten Angesichte spielten die düsteren Reflexe der über den Rand der Ebene emporsprühenden Feuerstrahlen. Ich nahm ihn in die Arme, strich ihm das Haar über die Stirn, rieb ihm die Schläfe, legte, um seiner regungslosen Brust Athem zu geben, meinen Mund auf seine Lippen, kurz, that Alles, was ich in meiner eigenen Hilflosigkeit zu thun vermochte, um ihn in das Leben zurückzurufen.

Da — endlich — ging ein Zittern über seinen Körper, erst leise, dann immer bemerkbarer; ich fühlte das Klopfen seines Herzens und den Hauch des wieder erwachten Odems. Er erwachte, öffnete weit, weit das Auge und starrte mir mit einem unbeschreiblichen Ausdrucke in das Gesicht. Dann belebte sich der wiederkehrende Blick, und mit einem lauten Schrei sprang er empor.

„Wo bin ich — wer seid Ihr — was ist geschehen?“

„Ihr seid gerettet aus der Glut da unten!“

Bei dem Klange meiner Stimme und dem Anblicke des noch immer hochlodernden Brandes kehrte ihm die Besinnung wieder vollständig zurück.

„Glut —? Da unten —? Herrgott, es ist wahr, das Thal hat gebrannt, und Forsters — —“

Als besinne er sich bei dem letztgenannten Namen auf die Gefahr, in welcher er die Verwandten zurückgelassen hatte, erhob er drohend den Arm.

„Herr, Ihr seid ein Feigling, ein elender Feigling, ein Coyote, wie Ihr schon gehört habt! Ihr konntet sie retten, Alle, Alle, aber Ihr seid geflohen, wie der Schakal flieht vor dem Gebell eines elenden Hundes. Ich – verachte Euch: ich — — muß fort, fort zu ihnen!“

Er wollte fort. Ich hielt ihn bei der Hand fest.

„Bleibt! Es ist Nichts mehr zu thun; Ihr lauft nur in Euer eigenes Verderben!“

„Laßt mich. Ich habe mit Euch Memme nichts zu schaffen!“

Er riß seine Hand los und stürzte fort. Ich fühlte einen kleinen Gegenstand zwischen meinen Fingern. Es war ein Ring, den er sich bei dem kräftigen Rucke abgestreift hatte.

Ich folgte ihm; aber schon war er im Schatten der steil abfallenden Klippen verschwunden. Ich konnte dem Knaben nicht zürnen. Er war noch jugendlich, und die Katastrophe hatte ihm die Ruhe geraubt, welche zu einem richtigen Urteile stets unerläßlich ist. — — —

2.

„Uff!“ rief mein Begleiter; „mein weißer Bruder hat Recht. Hier ist der rothe Mann geritten. Laßt uns sehen, was er hier gewollt hat.“

„Winnetou, der große Häuptling,“ erwiderte ich, „ist weise und hat das Auge des großen Geistes. Er sieht sehr wohl, was sein böser Bruder hier gewollt hat; aber er versucht, mich auf die Probe zu stellen.“

Ueber das scharfgezeichnete Angesicht des Indianers glitt in flüchtiges Lächeln, als er, noch immer auf die Spur gebückt, antwortete:

„Und was denkt der weiße Freund von dieser Fährte?“

„Der Mann, welcher hier geritten, hat seine Gefährten gesucht. Auf jedem Hügel hat er sein Pferd angehalten, um sich nach ihnen umzusehen, und wir müssen also vorsichtig sein, wenn wir nicht unsere Skalps verlieren wollen.“

Winnetou — denn dieser, von welchem ich Swallow erhalten hatte, war es — richtete sich empor und maß mich mit einem langen, verwunderten Blicke.

„Mein bleicher Bruder kennt mich. Er hat mit mir den Lasso um die Hörner des Büffels geworfen und den Bär des Gebirges in der Höhle getödtet; er hat an meiner Seite gestanden gegen die Uebermacht der Arrapahus und hat die Mandans im Blute zu meinen Füßen gesehen; er zählte die Skalps an den Wänden meines Wigwams und sieht die Locken meiner Feinde an meinem Gürtel hängen. Winnetou hat seinen Stamm verlassen, um die großen Hütten der Weißen zu sehen, ihre Feuerrosse und ihre Dampfkanoes, von denen ihm der Freund erzählt hat; aber sein Haupt wird von keinem Messer berührt werden!“

„Der große Häuptling der Apachen hat Recht,“ nickte ich ihm zu und fuhr, auf die Spuren deutend, fort: „Aber hat er auch bemerkt, daß dieses Pferd hier müde gewesen ist?“

Statt aller Antwort folgte er, sein Thier am Lasso führend, der Fährte weiter und blieb endlich, auf den Boden zeigend, stehen.

„Hier hat er ausgeruht,“ und mit gespannter Miene setzte er hinzu: „Wird mein Bruder sehen, auf welchem Pfade er sich befindet?“

Ich untersuchte den Boden sorgfältig. Das Pferd war angepflockt gewesen und hatte die halbdürren Büschel des Prairiegrases abgefressen; der Reiter hatte am Boden gelegen und mit dem Köcher gespielt. Dabei war ihm der Schaft eines Pfeiles zerbrochen, und er hatte die beiden Bruchstücke ganz gegen die gewöhnliche Vorsicht der Indianer liegen lassen. Ich hob sie auf, um sie zu betrachten. Es war kein Jagd-, sondern ein Kriegspfeil gewesen.

„Er befindet sich auf dem Kriegspfade; aber er ist

noch jung und unerfahren, sonst hätte er die verrätherischen Stücke versteckt, und die Spuren seines Fußes sind nicht die eines erwachsenen Mannes.“

Winnetou gab durch einen beifälligen Laut seine Zufriedenheit kund. Bei unserer ersten Begegnung war er mir so zu sagen Lehrer gewesen und hatte mich gewöhnt, auf die unscheinbarste Kleinigkeit zu achten, da dies bei den vielfältigen Gefahren der Prairei unumgänglich nothwendig ist. Jetzt nun benutzte er jede Gelegenheit, um zu erfahren, ob seine Lehren von Erfolg gewesen seien.

Ein Blick auf die weiterlaufenden Eindrücke genügte, uns zu zeigen, daß der Mann erst vor Kurzem den Platz wieder verlassen habe; denn die Kanten derselben waren noch scharf, und die gestreiften oder zerdrückten Halme hatten sich noch nicht vollständig wieder erhoben. Winnetou breitete seine Decke aus und streckte sich, nachdem er das Pferd gefesselt hatte, auf dieselbe nieder.

Ich folgte ihm und zog zwei Cigarren aus der Seitentasche meines Jagdhemdes. Es waren die letzten von einigen Dutzend, welche ich vor mehreren Wochen in Venango mitgenommen hatte. Sie waren für eine besondere Gelegenheit stecken geblieben; da sich aber nichts dergleichen einzustellen schien, so konnten sie ebensogut auch jetzt verraucht werden.

Mit sichtbarer Begierde griff der brave Indianer zu, als ich ihm Eine derselben hinreichte, und wer die Enthaltsamkeit kennt, welche der Westen einem Jeden auferlegt, der wird ahnen, mit welcher Wonne wir uns dem seltenen Genuß hingaben, ich, die blauen Ringeln mit innigem Behagen ausblasend, Winnetou aber, den Rauch nach

Indianerweise erst hinunterschluckend und dann durch die Nase von sich gebend.

So verging eine geraume Zeit, während welcher kein Wort gewechselt wurde. Schweigsamkeit gehört selbst unter Gefährten zur Haupttugend, und ich beabsichtigte keineswegs, mir durch unzeitige Sprachseligkeit die Freundschaft und Achtung meines Begleiters zu verscherzen.

Endlich, nachdem die Cigarre längst verraucht und der letzte Rest derselben dann hinter den Lippen des Indianers verschwunden war, erhob er sich, und in kurzer Zeit ritten wir wieder, den Körper tief herabgebeugt und das forschende Auge am Boden, neben einander her.

Unsre Schatten wurden länger und länger; der Abend begann zu dunkeln und wir waren nun gezwungen, abzusteigen, wenn wir die Fährte nicht verlieren wollten. Aber ehe ich vom Pferde stieg, griff ich zum Fernrohre, um die Ebene vorher noch einmal abzusuchen.

Wir hielten gerade auf einer der zahlreichen wellenförmigen Erhebungen, welche sich in jenem Theile der Prairie wie die Wogen eines erstarrten Meeres an einander legen, und es war mir deshalb ein ziemlich freier Ausblick gestattet.

Kaum hatte ich das Glas am Auge, so fiel mir eine lange, gerade Linie auf, welche sich von Osten her längs des nördlichen Horizontes bis zum entferntesten westlichen Punkte hinzog. Voll Freuden gab ich Winnetou das Rohr und zeigte ihm die Richtung an, in welche er es zu führen hatte. Nachdem er einige Zeit hindurchgesehen, zog er es mit einem überraschten „Uff“ wieder ab und blickte mich mit fragendem Ausdrucke an.

„Weiß, mein Bruder, was für ein Pfad das ist? Es

ist nicht der Weg des Buffalo, auch hat ihn nicht der Fuß des rothen Mannes ausgetreten.“

„Ich weiß es. Kein Büffel kann die Strecke laufen, welche dieser Pfad durchführt, und kein Indsman (Indianer) vermag, ihn durch die Prairie zu ziehen. Es ist der Pfad des Feuerrosses, welches wir heut noch sehen wird.“

Rasch hob er das Rohr wieder empor und betrachtete mit regem Interesse den durch die Linsen nahegerückten Schienenstrang. Plötzlich aber sah ich einen Zug der Ueberraschung über sein ausgewettertes Gesicht gehen, und im nächsten Augenblicke war er abgesessen und zog sein Pferd raschen Laufes hinunter in das Wellenthal.

Natürlich mußte dieses Beginnen einen sehr triftigen Grund haben, und ich ahmte deshalb sein Verhalten ohne Verzug nach.

„Da drüben am Pfade des Feuerrosses liegen die rothen Männer,“ rief er. „Sie stecken hinter dem Rücken der Erhebung; aber ich sah eines ihrer Pferde!“

Er hatte wohlgethan, unseren erhöhten Standpunkt sofort zu verlassen, da wir auf demselben leicht bemerkt werden konnten. Zwar war die Entfernung selbst für das scharfe Gesicht eines Indianers eine sehr bedeutende; aber ich hatte während meiner Streifereien mehrere Male in den Händen dieser Leute Fernrohre gesehen. Die Kultur schreitet eben unaufhaltsam vorwärts, und indem sie den Wilden immer weiter zurückdrängt, bietet sie ihm doch die Mittel, sich bis zum letzten Manne gegen ihre Gewalt zu vertheidigen.

„Was sagt mein Bruder zu der Absicht dieser Leute?“ fragte ich.

Er schwieg. Augenscheinlich fiel es ihm schwer, sich ihr Verhalten zu erklären. Sie befanden sich auf dem Kriegspfade und hatten doch keine Wache aufgestellt. Sie mußten also wissen, daß in ziemlichem Umkreise kein Feind vorhanden sei, und da sie bei ihrer jedenfalls nicht bedeutenden Anzahl einen weiten Zug nicht vorhaben konnten, so wußte er mir keine Antwort zu geben. Mir hingegen schien ihr Vorhaben unschwer zu errathen, und, das Rohr aus seiner Hand nehmend, forderte ich ihn auf, mich hier zu erwarten und schlich mich vorsichtig vorwärts.

Obgleich ich fast überzeugt sein konnte, daß sie von unserer Nähe keine Ahnung hatten, suchte ich so viel wie möglich Deckung zu behalten und gelangte dadurch so weit an sie heran, daß ich, am Boden liegend, sie zählen und beobachten konnte.

Es waren ihrer dreiundsechzig, sämmtlich mit den Kriegsfarben bemalt und sowohl mit Pfeilen als auch mit Feuerwaffen bewehrt. Die Zahl der angepflöckten Pferde war bedeutend höher, und dieser Umstand bekräftigte meine Ansicht.

Da hörte ich einen leisen Athemzug hinter mir. Rasch das Messer ziehend, drehte ich mich um. Es war Winnetou, den es nicht bei den Pferden gelitten hatte.

„Uff!“ klang es von seinen Lippen. „Mein Bruder ist sehr kühn, soweit voranzugehen. Es sind Ogellalla’s, der kühnste Stamm der Sioux, und dort liegt Parranoh, der weiße Häuptling.“

Erstaunt sah ich ihn an.

„Der weiße Häuptling?“

„Hat mein Freund noch Nichts gehört von Parranoh, dem grausamen Häuptling der Atabaskah? Niemand weiß,

wo er hergekommen; aber er ist ein gewaltiger Krieger und im Rathe des Stammes unter die rothen Männer aufgenommen worden. Als die grauen Häupter alle zu Manitou, dem großen Geiste, gegangen waren, hat er das Kalumet erhalten und viele Skalps gesammelt. Dann ist er aber von dem bösen Geist verblendet worden, hat seine Krieger wie Niggers gehalten und fliehen müssen. Jetzt wohnt er im Rathe der Ogellalla’s und wird sie zu großen Thaten führen.“

„Kennt mein Bruder sein Angesicht?“

„Winnetou hat seinen Tomahawk mit ihm gemessen; aber der Weiße ist voller Tücke; er kämpft nicht ehrlich.“

„Er ist ein Verräther; ich sehe es. Er will das Feuerroß halten und meine Brüder tödten und berauben.“

„Die weißen Männer?“ fragte er erstaunt. „Er trägt doch ihre Farbe! Kann er das Roß halten?“

„Nein, und wenn er alle Indsmen, die einen Lasso schwingen können, zusammenbrächte, so könnten sie doch den Lauf desselben nicht hemmen. Aber wenn man seinen Pfad zerstört, so muß es stehen bleiben und wird seine eigenen Reiter tödten.“

Das Erstaunen des Häuptlings wuchs. Er hatte keinen Begriff von dem Wesen der Lokomotive und konnte meine Worte also auch nicht begreifen. Nach einer Weile des Schweigens, während welcher wir, wie überhaupt bisher, die vor uns lagernden Krieger scharf beobachteten, frug er:

„Was wird mein Freund thun?“

„Er wird warten und sehen, ob Parranoh den Pfad des eisernen Rosses zerstört, und dann seinen Brüdern entgegenreiten, um sie zu warnen.“

Er nickte.

„Winnetou wird ihm helfen. Wie viele Männer werden auf dem Rosse sitzen?“

„Ich weiß es nicht.“

„Werden sie dem Vater der Apachen freundlich gesinnt sein?“

„Sie werden meinem Freunde die Hände drücken, die große Pfeife mit ihm rauchen und ihm Pulver, Blei und Tabak geben, soviel er will.“

Sein Angesicht glänzte vor Freunde, und mit einem verächtlichen Neigen seines Kopfes meinte er:

„Wenn der Brüder meines Freundes halb so viele sind wie der Hundefresser dort, so werden wir diese voranschicken in die ewigen Jagdgründe.“

Das Dunkel des Abends senkte sich immer tiefer herab, so daß es immer schwieriger wurde, die feindlichen Gestalten im Auge zu behalten. Ich mußte über das Thun der Indianer genau unterrichtet sein und bat Winnetou, zu den Pferden zurückzukehren und dort auf mich zu warten. Er konnte mir Nichts nützen, da er die Beschaffenheit der Bahn nicht kannte, und fügte sich, wenn auch widerwillig, meinem Verlangen.

„Wenn mein Bruder in Gefahr ist, so mag er den Schrei des Prairiehuhnes ausstoßen. Ich werde dann kommen, ihm zu helfen.“

Er bewegte sich rückwärts, und ich schlug, immer am Boden kriechend und aufmerksam jedes Geräusch beachtend, eine schräge Richtung nach dem Bahnkörper ein. Lange dauerte es, ehe ich ihn erreichte. Dann aber überkroch ich ihn und hielt auf seiner andern Seite mit verdoppelter Vorsicht auf die Stelle zu, an welcher ich die Ogellalla’s gesehen hatte.

Da drang ein leise klingender Ton an mein Ohr. Ich horchte. Es war der Schall eines regelmäßig wiederkehrenden Schlages, und als ich die Ausschüttung erklomm und das Ohr an eine der Schienen legte, hörte ich ein so deutliches Hämmern und Klopfen, daß mir kein Zweifel übrig blieb.

Hier war nicht die mindeste Zeit zu versäumen, und nachdem ich nur eine kurze Strecke rückwärts geschlichen, erhob ich mich und sprang den Weg zurück, welchen ich gekommen war. Ich kannte den Punkt der Bahnstrecke nicht, an welchem wir uns befanden, und wußte ebenso wenig die Zeit, in welcher ein Zug vorüberkommen mußte. Das konnte alle Augenblicke geschehen, und zur Warnung war ein bedeutender Vorsprung nöthig. Ich befand mich in einer nicht unbedeutenden Aufregung und wäre von Winnetou, an welchen ich fast anrannte, beinahe verkannt und niedergestochen worden.

Nach einigen Worten der Verständigung saßen wir zu Pferde und bewegten uns in scharfem Trabe längs des Schienengleises nach Osten zu. Ein wenig Mondenschein wäre uns jetzt zwar willkommen gewesen, aber der klare Schimmer der Sterne genügte ja auch so ziemlich, uns die Strecke erkennen zu lassen.

Eine Viertelstunde verging und noch eine. Gefahr für den herannahenden Zug war also nicht mehr zu befürchten, sobald es nur gelang, uns bemerklich zu machen. Aber besser noch war es, wenn dies ohne Wissen der Indianer geschehen konnte, und bei dem platten Terrain war das durchdringende Licht, wie es die amerikanischen Maschinen bei sich führen, auf mehrere Meilen weit bemerklich. Also ließen wir die Pferde laufen und legten so, wortlos neben einander haltend, noch eine ansehnliche Strecke zurück.

Jetzt endlich schien es mir Zeit. Ich hielt an und sprang vom Pferde. Winnetou that dasselbe. Nachdem die Thiere gehörig gefesselt waren, sammelte ich einen Haufen ausgedorrten Grases, dessen trockenste Theile ich zu einer Art Fackel zusammendrehte. Mit Hülfe einigen aufgestreuten Pulvers war dieselbe leicht in Brand zu stecken, und nun konnten wir das Kommende ruhig erwarten.

Auf unseren Decken gelagert, lauschten wir in die Nacht hinein und verwandten fast kein Auge von der Richtung, aus welcher der Zug zu erwarten war. Winnetou sprach kein Wort; er verstand von dem, was ich vorhatte, wenig oder gar nichts und ließ mich ruhig gewähren. Außer dem Geräusche, welches die grasenden Pferde verursachten, war kein Laut zu hören als höchstens das leise Knispern eines auf Raub ausgehenden Käfers, und die Minuten dehnten sich zu einer immer peinlicher werdenden Länge.

Da, nach einer kleinen Ewigkeit, blitzte in weiter, weiter Ferne ein Licht auf, erst klein und kaum wahrnehmbar, aber nach und nach immer größer werdend.

„Der große Häuptling der Apachen wird jetzt das Feuerroß sehen. Es kommt.“

Winnetou erhob sich. Kein Laut seines Mundes gab Zeugniß von der Spannung, in welcher er sich befand. Ich nahm die Lunte zur Hand und schüttete Pulver auf.

Jetzt machte sich das Nahen der Wagen durch ein immer vernehmlicher werdendes Rollen bemerklich, welches nach und nach zu einem Geräusche anwuchs, das dem Grollen eines entfernten Donners glich.

„Das eiserne Roß hat eine böse Stimme,“ sprach Winnetou. „Wie sind seine Gedanken über den Stamm der Apachen?“

Er fühlte also doch eine Besorgniß um seine Sicherheit. Dem Feinde, selbst dem überlegenen gegenüber wäre ihm nicht das mindeste Bangen angekommen; die unbekannte und sich auf so schreckliche Weise ankündigende Macht des Dampfes aber störte doch seine Gemüthsruhe.

„Das ist nicht die Stimme des Feuerrosses, sondern das Zittern des Pfades, über welchen es daherfliegt.“

„Da muß das Wiehern seines Mundes noch fürchterlicher sein. Mein Bruder wird Winnetou nicht verlassen!“

Ich konnte nur ein kurzes Wort der Beruhigung aussprechen; denn der Augenblick war gekommen. Einen blendenden Lichtkeil vor sich herwerfend, brauste der Zug heran. Ich zog den Revolver und drückte los. Im Nu flammte das Pulver auf und brachte das dürre Gras in glimmenden Brand. Die Lunte schwingend, versetzte ich sie in helle Flamme und gab mit dem andern Arme das Zeichen zum Halten.

Der Maschinist mußte das Zeichen durch die Glastafeln des Wetterschutzes sofort bemerkt haben; denn schon nach den ersten Schwingungen des Brandes ertönte ein sich rasch und scharf wiederholender Pfiff, fast in demselben Augenblicke wurden die Bremsen angezogen und mit donnerndem Dröhnen flog die Wagenreihe an uns vorüber.

„Uff, Uff, Uff!“ rief voller Schrecken Winnetou; aber ich hatte nicht Zeit, auf sein ängstliches Erstaunen zu achten, sondern gab ihm nur ein kurzes Zeichen, mir zu folgen und sprang dem seine Geschwindigkeit zusehens verringernden Zuge nach.

Endlich hielt er. Ohne zunächst die sich von ihren erhöhten Plätzen herabbeugenden Beamten zu beachten, eilte ich an den Wagen vorüber bis vor die Lokomotive und

warf die Decke, welche ich vorsorglich von der Erde gerafft hatte, über den Reflektor und rief zu gleicher Zeit mit möglichst lauter Stimme:

„Lichter aus!“

Sofort verschwanden die Laternen. Die Angestellten der Pazificbahn sind ein geistesgegenwärtiges und schnell gefaßtes Völkchen.

„’s death!“ rief es von der Maschine herab; „warum verdeckt Ihr unsre Flamme, Mann? Ich hoffe nicht, daß da vorn irgend Etwas los ist!“

„Wir müssen im Finstern sein, Sir,“ antwortete ich; „es sind Indianer vor uns, und ich glaube sehr, daß sie die Schienen aufgerissen haben!“

„Alle Teufel! Wenn das so ist, so seid Ihr der bravste Kerl, der jemals durch dieses verfluchte Land stolperte.“ Und zur Erde herabspringend, drückte er mir die Hand, daß ich hätte aufschreien mögen.

In einigen Augenblicken waren wir von Neugierigen umringt, und ich mußte mich fast wundern über die bedeutende Anzahl von Leuten, die sich da aus den verschiedenen Wagen hervorpaddelten.

„Was ist’s, was giebt’s, warum halten wir?“ rief es rund im Kreise.

Mit kurzen Worten erklärte ich ihnen die Verhältnisse und brachte dadurch eine nicht geringe Aufregung unter den Männern hervor.

„Gut, sehr gut!“ rief der Ingenieur. „Zwar bringt das eine Störung im Betriebe hervor; aber das hat Nichts zu sagen gegen die prächtige Gelegenheit, den rothen Hallunken einmal Eins auf’s Fell zu brennen. Das ist in kurzer Zeit das dritte Mal, daß sie es wagen, Züge zu

überfallen und auszurauben; aber heut sollen sie sich geirrt haben und den Dank gleich in Summa bekommen. Jedenfalls haben sie geglaubt, daß dieser Zug Güter und wie gewöhnlich nur fünf bis sechs Leute bei sich habe. Glücklicher Weise aber haben wir einige Hundert Arbeiter geladen, und da diese Leute sämmtlich bewaffnet sind, so wird uns die Sache nur Spaß machen! Aber was steht denn da drüben für ein Mann? Bei Gott, eine Rothhaut!“

Er griff in den Gürtel und wollte sich auf Winnetou stürzen, welcher mir gefolgt war und nun in aufrechter, zuwartender Stellung seitwärts im Halbdunkel hielt.

„Bleibt ruhig hier, Sir! Es ist mein Jagdgenosse, der sich freuen wird, die kühnen Reiter des Feuerrosses kennen zu lernen.“

„Das ist was Anderes. Ruft den Mann her.“

Ich winkte dem Häuptlinge, und er trat langsamen Schrittes herzu, fuhr aber mit einem lauten Ausrufe des Schreckens wieder zurück; denn der Ingenieur war wieder auf den Wagen gestiegen, um die Dämpfe abzulassen, welche mit gellendem Zischen den Ventilen entströmten und die Umgebung der Maschine in eine weiße Wolke hüllten.

„Uff, Uff! Warum ruft mein Bruder Winnetou, wenn das Roß zornig ist?“

„Winnetou?“ rief es da laut im Hintergrunde, und ein Mann drängte sich hastig durch die Umstehenden. „Winnetou, der große Häuptling der Apachen, ist er hier?“

Es war ein Mann von wahrhaft riesigen Körperformen, wie ich in der Dunkelheit erkennen konnte; auch schien er mir nicht die Kleidung der ihm rasch Platz machenden Arbeiter, sondern das Gewand eines Präriejägers zu tragen.

Er stellte sich vor dem Häuptling auf und fragte mit hörbar freudigem Tone:

„Hat Winnetou die Gestalt und die Stimme seines Freundes vergessen?“

„Uff!“ antwortete mit ebensolcher Freude der Gefragte. „Wie kann Winnetou vergessen Old Firehand, den größten unter den weißen Jägern, obgleich er ihn seit vielen Sonnen nicht gesehen!“

„Glaub’s, glaub’s, alter Skalper, — geht mir mit Dir ja ebenso; aber —“

„Old Firehand?“ rief’s, ihn unterbrechend, rund im Kreise, und fast ehrerbietig traten die Anwesenden einen Schritt von dem Genannten zurück. Auch mir war der Name dieses berühmtesten unter den Indianerfeinden bekannt, an dessen Person sich Erzählungen von fast unglaublichen Kühnheiten knüpften, so daß ihn der Aberglaube der Prairiejäger mit einem durch immer neue Berichte wachsenden Nimbus umgab.

„Old Firehand?“ rief auch der Ingenieur. „Warum habt Ihr mir Euren Namen nicht genannt, als Ihr aufstieget, Mann? Ich hätte Euch einen besseren Platz angewiesen als jedem Andern, den man aus Gefälligkeit ein Stück mit in den Westen hineinnimmt!“

„Danke, Sir; war gut genug! Aber laßt uns die kostbare Zeit nicht verschwatzen, sondern berathen, was wir gegen die Indsmen vorzunehmen haben.“

Sofort gruppirte sich Alles, als wäre er selbstverständlich Derjenige, dessen Ansicht die beste sei, um ihn, und ich mußte meinen Bericht eingehender wiederholen.

„So seid Ihr also Winnetou’s Freund?“ fragte er, als ich geendet hatte. „Ich mag so leicht nicht von Jemandem -

jemandem was wissen; aber wem Der seine Achtung schenkt, der kann auch auf mich rechnen. Hier habt Ihr meine Hand! Und nun laßt Euch meine Meinung sagen, Ihr Leute: Wir bilden zwei Abtheilungen, welche zu beiden Seiten der Bahn sich an die Indianer schleichen. Zwei Führer haben wir ja, so daß wir uns nicht irren können. Während die Eine dieser Abtheilungen die Indsmen vorsichtig in einem Halbkreis umfängt und über die Schienen treibt, nimmt die Andere den Feind auf, so daß er in die Mitte kommt und vollständig aufgerieben wird. Aber nehmt Euch in Acht, daß wir nicht vor der Zeit bemerkt werden. Der Zug bleibt natürlich hier halten, und wem es nicht behagt, mit zu kommen, der bleibt bei ihm zurück.“

„Well, Sir, ich stimme bei!“ rief der Ingenieur. „Aber obgleich ich eigentlich meinen Posten nicht verlassen darf, will ich doch nicht umsonst ein Paar gesunde Fäuste besitzen. Ich würde es auf dem alten Feuerkasten nicht aushalten können, sobald ich Eure Büchse knallen hörte, und gehe also mit.“ Und sich zu seinem Personale wendend, fuhr er fort: „Ihr Andern bleibt bei den Wagen und gebt gut Acht; man weiß zuweilen nicht, was passiren kann. — Tom!“

„Sir!“ antwortete der Feuermann.

„Du verstehst so ziemlich, mit der Maschine umzugehen. Damit wir nicht erst wieder zurück zu gehen brauchen, kommst Du mit den Wagen nach, sobald Du ein Feuerzeichen erblickst. Aber langsam, so langsam wie möglich. Es wird jedenfalls am Trace etwas auszubessern geben.“ —

In kurzer Zeit lag tiefe Stille über der Gegend, und nicht das leiseste Geräusch verrieth, daß der auf der weiten

Ebene ruhende scheinbare Frieden die Vorbereitung einer blutigen Katastrophe in sich berge.

Zunächst hatten wir eine ansehnliche Strecke in aufrechter Stellung zurückgelegt; jetzt aber, nachdem wir die Nähe des muthmaßlichen Kampfplatzes erreicht hatten, legten wir uns nieder und krochen, Einer hinter dem Andern, auf Händen und Füßen die Böschung entlang.

Der Mond war mittlerweile aufgegangen und warf ein ruhiges, klares Licht über die Gegend, so daß es möglich war, in sehr geraume Entfernung zu blicken. Diese Helligkeit erschwerte zwar das Anschleichen, war uns aber in anderer Beziehung wieder von Vortheil. Bei der Gleichheit der Hebungen und Senkungen des Bodens wäre es uns im Dunkel nicht leicht geworden, den Ort genau zu bestimmen, an welchem wir die Ogellalla’s gesehen hatten, und möglicher Weise konnten wir also ganz unversehens auf sie stoßen; das war aber jetzt nicht zu befürchten.

Von Zeit zu Zeit im Vorwärtsdringen einen Augenblick innehaltend und mich vorsichtig erhebend, warf ich einen forschenden Blick über den Damm hinaus und gewahrte jetzt auf der seitwärts liegenden Erhöhung eine Gestalt, welche sich leicht kenntlich am Horizonte abzeichnete. Man hatte also jetzt eine Wache ausgestellt, und wenn der Mann sein Augenmerk nicht blos in die Ferne auf den von ihm erwarteten Bahnzug sondern auch auf die nähere Umgebung richtete, so mußte er unbedingt die Abtheilung von uns, welche sich auf der andern Seite des Schienenstranges fortbewegte, bemerken. Doch vertraute ich der Klugheit des Apachenhäuptlings, welcher mir schon öfters eine gradezu erstaunenswerthe Meisterschaft im Beschleichen gezeigt hatte.

Nach wenigen Minuten konnten wir die Uebrigen sehen, welche bewegungslos am Boden lagen. Eine kurze Strecke hinter ihnen hielten die angekoppelten Pferde, ein Umstand, der einen plötzlichen Ueberfall sehr erschwerte, da die Thiere leicht zu Verräthern werden konnten. Zu gleicher Zeit erblickte ich die Vorrichtung, welche die Indianer getroffen hatten, um den Zug aufzuhalten. Es waren mehrere Schienen ausgebrochen und mit den ausgehobenen Schwellen quer über das Gleis gelegt worden, und mit Schaudern dachte ich an das Schicksal, welches die Insassen der Wagen hätte treffen müssen, wenn das Vorhaben der Wilden nicht von uns bemerkt worden wäre.

Wir setzten unsre Bewegung so lange fort, bis wir uns der Truppe grad gegenüber befanden und blieben nun, die Waffen zum sofortigen Gebrauche bereit haltend, erwartungsvoll liegen.

Besser wäre es gewesen, den Angriff von unserer Seite aus zu übernehmen; aber die Disposition war nun einmal getroffen, und so mußten wir uns gedulden. Die Hauptaufgabe unserer Verbündeten war, zunächst den Posten unschädlich zu machen, ein Vornehmen, welches ich kaum einem andern als Winnetou zutraute. Der Mann konnte im hellen Mondenschein die geringste Kleinigkeit seiner Umgebung genau erkennen und mußte bei der ringsum herrschenden Ruhe das leiseste Geräusch bemerken. Und selbst wenn es gelang, ihn zu überraschen, so war es doch, um ihn durch einen gutgeführten Messerstich unschädlich zu machen, nothwendig, aufzuspringen, und dann mußte man ja sofort von den andern gesehen werden.

Mit mir zu Rathe gehend, wie diesem Uebelstande abzuhelfen sei, sah ich ihn plötzlich wie in den Boden hinein

verschwinden, im nächsten Augenblicke aber schon wieder in seiner früheren geraden Haltung aufrecht stehen. Nur einen einzigen, blitzesschnellen Moment hatte diese Bewegung in Anspruch genommen; aber ich wußte sogleich, was sie zu bedeuten hatte. Der jetzt scheinbar Wache Haltende war nicht mehr der Ogellalla, sondern Winnetou. Er mußte sich mit noch Einem bis unmittelbar an den Posten geschlichen haben und war in demselben Augenblicke, an welchem Letzterer von dem Anderen bei den Füßen niedergerissen und sofort eines Lautes unfähig gemacht wurde, kerzengrad in die Höhe gefahren.

Das war wieder eins seiner bewundernswerthen Indianerstücke, bei welchem ihm sicher nur Old Firehand geholfen haben konnte. Niemand weiter von uns hatte den Vorgang bemerkt, und da die Feinde in ihrer Unbeweglichkeit verharrten, so mußte er auch ihnen entgangen sein. Das Schwerste war somit glücklich vollbracht, und nun konnten wir in kürzester Zeit den Angriff erwarten.

Wirklich gewahrte ich auch nur kurze Zeit später eine Reihe dunkler Punkte, welche sich in einiger Entfernung hinter den Pferden immer weiter vorschob und das Bestreben zeigte, sich zu einem Halbkreise zu verengen. Ungesehen von den Indianern rückte sie näher und immer näher, und schon schien mir die vollständige Ueberrumpelung des Feindes sicher, da — zuckte ein flüchtiges Leuchten drüben auf, welchem ein lauter Knall folgte — es war irgend einem das Gewehr losgegangen.

Sofort standen die Ogellalla’s auf den Füßen, und kaum hatten sie die rasch heranstürmenden Gegner bemerkt, so saßen sie mit Gedankenschnelle im Sattel, warfen die

Pferde herum und stürmten im Galopp auf den Bahndamm zu.

Sie waren eines Ueberfalles nicht gewärtig gewesen und hatten also auch für den Fall eines solchen keine Verhaltungsmaßregeln besprochen. Deßhalb suchten sie, da sie die Ueberzahl der Weißen erkannten, zunächst aus der Nähe derselben zu kommen, um dann in einer sicheren Stellung einen Entschluß zu fassen. Daß auf der andern Seite des Dammes ein Hinterhalt liege, konnten sie nicht wissen, und es kam nun darauf an, ihre Flucht aufzuhalten.

Have care (Achtung)!“ rief ich, als sie nur noch einige Pferdelängen von uns entfernt waren. „Zielt auf die Pferde und dann drauf!“

Ich hatte einen Henrystutzen mit fünfundzwanzig Kugeln im Kolben, gegen Reiter eine fürchterliche Waffe, die ich auch nach Kräften gebrauchte. Schon bei unserer ersten Salve bildeten die Indsmen einen Knäuel, auf welchen sich die andern alle stürzten, während ich einstweilen meinen Standpunkt beibehielt, um Kugel auf Kugel aus dem sichern Laufe zu entsenden.

Der Kampf wüthete mit tödtlicher Erbitterung. Zwar war es einer kleinen Anzahl gelungen, unsre Linie zu durchbrechen und das Weite zu gewinnen; aber die bei weitem Meisten waren entweder von ihren verwundeten Pferden abgeworfen oder von unserer Uebermacht am Ausbrechen verhindert worden, und wenn sie auch wie die Teufel kämpften, so war es doch augenscheinlich, daß sie dem Untergange gewidmet waren.

Die ursprüngliche Verwirrung des Handgemenges löste allmälig sich in einen besser zu übersehenden Einzelkampf auf, welcher einem nicht betheiligten Zuschauer Gelegenheit

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gegeben hätte, Thaten zu beobachten, für welche der civilisirte Boden kaum einen Platz haben dürfte. Die Schaar der Bahnarbeiter bestand begreiflicher Weise zwar meist aus Leuten, welche in den Stürmen des Lebens ihre Kräfte geübt hatten; aber der Kampfart der Indianer war wohl Keiner von ihnen gewachsen, und wo nicht Mehrere von ihnen gegen einen Indsman standen, behielt dieser gewiß die Oberhand, und die Stätte bedeckte sich immer mehr mit den unter dem wuchtigen Hiebe des Tomahawk Gefallenen.

Nur drei von uns, Old Firehand, Winnetou und ich waren mit dieser Waffe versehen, und es zeigte sich allerdings, daß bei gleichen Waffen der intelligentere Europäer meist im Vortheile steht. Ich hatte das Gewehr längst aus der Hand gelegt und mich am Handgemenge betheiligt. Je geringer die Zahl der Feinde wurde, desto mehr glaubten die Arbeiter, ihre Pflicht gethan zu haben und traten beiseite, um sich zu erholen; um so mehr aber waren wir andern engagirt und hatten wirklich vollauf zu thun, um den Rest der Feinde zu bemeistern.

Winnetou kannte ich genugsam und ließ ihn also unbeachtet; mit Gewalt dagegen drängte es mich in die Nähe von Old Firehand, dessen Anblick mich an jene alten Recken mahnte, von denen ich als Knabe so oft und mit Begeisterung gelesen. Mit auseinander gespreizten Beinen stand er grad und aufrecht da und ließ sich von den andern die Indianer in das Schlachtbeil treiben, welches, von seiner riesenstarken Faust geführt, bei jedem Schlage zerschmetternd auf die Köpfe der Feinde sank. Die langen, weißen, mähnenartigen Haare wehten ihm ums entblößte Haupt und in seinem vom Monde hell beschienenen Angesichte sprach

sich eine Siegesgewißheit aus, welche den Zügen einen gradezu befremdenden Ausdruck gab.

Seitwärts von ihm und mir kämpfte ein Indianer, welcher seinen Gegnern sehr zu schaffen machte, so daß es ihm endlich doch gelang, sich einen Weg zu bahnen, um dem Schicksale der Uebrigen zu entgehen. Eben stieß er den letzten im Wege Stehenden weit ab von sich und wollte das Weite suchen, als sich ihm ganz unerwartet ein neuer Feind entgegenstellte. Es war Winnetou, der bei dem Anblicke des Wilden sofort herbeigesprungen kam, noch ehe ich die gleiche Absicht ausgeführt hatte.

„Parranoh!“ rief er, der sonst nach Indianersitte während des Kampfes den Mund nicht öffnete. „Will der Hund von Atabaskah laufen vor Winnetou, dem Häuptling der Apachen? Der Mund der Erde soll sein Blut trinken und die Kralle des Geiers soll zerreißen den Leib des Verräthers; aber sein Skalp wird zieren den Gürtel des Apachen.“

Er warf den Tomahawk weit von sich, riß das Messer aus dem mit Kopfhäuten geschmückten Gürtel und packte den weißen Häuptling bei der Kehle. Aber er wurde von dem tödtlichen Stiche abgehalten.

Als er gegen seine sonstige Gewohnheit sich mit so lautem Rufe auf den Ogellalla stürzte, hatte Old Firehand einen raschen Blick herüber geworfen, welcher das Gesicht des Feindes streifte. Trotz der Flüchtigkeit dieses Blickes aber hatte er doch ein Gesicht gesehen, welches er haßte mit der tiefsten Faser seines Innern, welches er lange, lange Jahre mit fürchterlicher Anstrengung, aber vergebens gesucht, und das ihm nun so unerwartet an diesem Orte vor die Augen kam.

„Tim Finnetey,“ schrie er, schlug mit den Armen die Indianer wie Grashalme auseinander und sprang mitten durch sie hindurch auf Winnetou zu, dessen soeben zum Stoße erhobene Hand er packte. „Halt, Bruder, dieser Mann gehört mir!“

Vor Schrecken starr stand Parranoh, als er seinen eigentlichen Namen rufen hörte; kaum aber hatte er einen Blick in das Angesicht Old Firehands geworfen, so riß er sich von der Hand Winnetou’s, der seine Aufmerksamkeit getheilt hatte, los und stürmte wie von der Sehne geschnellt von dannen. Im Augenblicke machte auch ich mich von dem Indianer, mit welchem ich während dieser Scene im Kampfe stand, los und setzte dem Fliehenden nach. Zwar hatte ich für meine Person keinerlei Abrechnung mit ihm zu halten, aber selbst wenn er auch nicht als der eigentliche Urheber des beabsichtigten Ueberfalles Anrecht auf eine Kugel gehabt hätte, so wußte ich doch, daß er ein Todfeind Winnetou’s sei und ebenso hatten mich die letzten Augenblicke belehrt, daß Old Firehand an der Habhaftwerdung seiner Person gelegen sein müsse.

Beide hatten sich ebenfalls augenblicklich zur Verfolgung in Bewegung gesetzt; aber ich wußte, daß sie den Vorsprung, welchen ich vor ihnen hatte, nicht verringern würden und mußte freilich auch zu gleicher Zeit bemerken, daß ich es mit einem außerordentlich guten Läufer zu thun hatte. Obgleich Old Firehand nach Dem, was ich von ihm gehört hatte, ein Meister in allen Fertigkeiten, welche das Leben im Westen verlangt, sein mußte, so befand er sich doch schon längst nicht mehr in den Jahren, welche einen Wettlauf auf Tod und Leben begünstigen, und Winnetou

hatte mir schon öfters eingestanden, daß er mich nicht einzuholen vermöge.

Zu meiner Genugthuung bemerkte ich, daß Parranoh den Fehler beging, ohne seine Kräfte gehörig abzumessen, Hals über Kopf immer gradaus zu rennen, und in seiner Bestürzung die gewöhnliche Taktik der Indianer, im Zickzack zu fliehen, nicht befolgte, während ich den Odem zu sparen suchte und in vollständiger Berechnung meiner Kräfte und der möglichen Ausdauer die Anstrengung des Laufes abwechselnd von einem Beine auf das andere legte, eine Vorsicht, welche mir stets von Vortheil gewesen war.

Die beiden Anderen blieben immer weiter zurück, so daß ich das Geräusch ihres Athems, welches ich erst dicht hinter mir gehört hatte, nicht mehr vernahm, und jetzt erscholl auch aus schon ziemlicher Entfernung die Stimme Winnetou’s:

„Old Firehand mag stehen bleiben! Mein junger, weißer Bruder wird die Kröte von Atabaskah fangen und tödten! Er hat die Füße des Sturmes, und Niemand vermag, ihm zu entkommen.“

So schmeichelhaft dieser Ruf für mich klang, ich konnte mich doch nicht umsehen, um zu gewahren, ob der grimme Jäger ihm auch Folge leiste. Zwar schien der Mond, aber bei der Trüglichkeit seines Schimmers mußte ich den Flüchtling immer fest im Auge behalten.

Bisher war ich ihm noch um keinen Schritt näher gerückt; aber als ich jetzt bemerkte, daß seine Geschwindigkeit im Abnehmen begriffen sei, holte ich weiter aus, und in kurzer Zeit flog ich so nahe hinter ihm her, daß ich sein keuchendes Schnaufen vernahm. Ich hatte keine andere Waffe bei mir, als die beiden abgeschossenen Revolver und

das Bowiemesser, welches ich jetzt zog. Das Beil hätte mich am Laufe gehindert und war deshalb schon nach den ersten Schritten von mir weggeworfen worden.

Da plötzlich sprang er zur Seite, um mich im vollen Jagen an sich vorüberschießen zu lassen und dann von hinten an mich zu kommen; aber ich war natürlich auf dieses Manöver gefaßt und bog in eben demselben Momente seitwärts, so daß wir mit voller Gewalt zusammenprallten und ihm dabei mein Messer bis an den Griff in den Leib fuhr. —

Der Zusammenstoß war so kräftig, daß wir beide zur Erde stürzten, von welcher er sich allerdings nicht wieder erhob, während ich mich augenblicklich zusammenraffte, da ich nicht wissen konnte, ob er tödtlich getroffen sei. Aber er bewegte kein Glied, und tief Athem holend, zog ich das Messer zurück.

Es war nicht der erste Feind, welchen ich niedergestreckt, und mein Körper zeigte manches Andenken an nicht immer glücklich bestandene Rencontres mit den kampfgewandten Bewohnern der amerikanischen Steppen; aber hier lag ein Weißer vor mir, der von meiner Waffe gestorben, und ich konnte mich eines beengenden Gefühles nicht erwehren. Doch hatte er den Tod jedenfalls verdient und war des Bedauerns also nicht werth.

Noch mit mir zu Rathe gehend, welches Zeichen meines Sieges ich mit mir nehmen solle, hörte ich hinter mir den eiligen Lauf eines Menschen. Rasch warf ich mich nieder; aber ich hatte Nichts zu befürchten; denn es war Winnetou, welcher mir in freundschaftlicher Besorgniß doch gefolgt war und jetzt an meiner Seite hielt.

„Mein Bruder ist schnell wie der Pfeil des Apachen, und sein Messer trifft sicher das Ziel.“

„Wo ist Old Firehand?“

„Er ist stark wie der Bär zur Zeit des Schneefalles; aber sein Fuß wird gehalten von der Hand der Jahre. Will mein Bruder sich nicht schmücken mit der Skalplocke des Atabaskah?“

„Ich schenke sie meinem rothen Freunde!“

Mit drei Schnitten war die Kopfhaut des Gefallenen vom Schädel gelöst. Ich hatte mich, um von dieser Prozedur nicht berührt zu werden, abgewandt, da war es mir, als bewegten sich einige dunkle Punkte langsam auf uns zu.

„Winnetou mag sich zur Erde strecken, er wird den Skalp des weißen Häuptlings vertheidigen müssen!“

Die Kommenden nahten sich mit sichtbarer Vorsicht; es war ungefähr ein halbes Dutzend Ogellalla’s, augenscheinlich von denen, welche uns entkommen waren, und kehrten zurück, jedenfalls um zu rekognosziren und etwa versprengte Ihrige aufzusuchen.

Der Apache kroch, tief zur Erde gedrückt, seitwärts, und ich folgte, seine Absicht errathend. Längst schon hätte Old Firehand bei uns sein müssen; aber vermuthlich hatte er, sobald Winnetou ihm aus den Augen gerathen war, eine falsche Richtung eingeschlagen. Jetzt bemerkten wir, daß die Nahenden Pferde bei sich hatten, welche sie am Zügel nachführten; auf diese Weise waren sie für alle Fälle zur schnellen Flucht bereit; uns aber konnte dieser Umstand gefährlich werden und wir mußten uns deshalb in den Besitz der Thiere setzen. Wir schlugen daher einen Bogen ein, eine Bewegung, welche uns in ihren Rücken und die Pferde zwischen uns und sie bringen mußte.

In dieser Entfernung vom eigentlichen Kampfplatze hatten sie natürlich keinen Todten vermuthet und stießen ein verwundertes „Hugh!“ aus, als sie einen regungslosen menschlichen Körper vor sich erblickten. Hätten sie vermuthet, daß er hier getroffen sei, so wären sie gewiß mit weniger Eile auf ihn zugeschritten; sie schienen aber anzunehmen, daß er sich verwundet aus dem Handgemenge bis hierher geschleppt habe, bückten sich unverzüglich auf ihn nieder und stießen, als sie ihn und seine Entstellung erkannten, ein unterdrücktes Wuthgeheul aus.

Das war der geeignete Augenblick für uns. Im Nu hatten wir sämmtliche Pferde, welche sie im Schrecken losgelassen hatten, bei den Riemen, saßen auf und jagten im Galopp den Unsrigen zu. An einem Kampfe konnte uns nichts gelegen sein; es war genug, daß wir, fast waffenlos, wie wir waren, den dreifach Ueberlegenen entkamen und außer dem Skalpe des feindlichen Anführers noch eine Anzahl Pferde mitbrachten.

Mit sehr verzeihlichem Vergnügen dachte ich an die verdutzten Gesichter, welche die Betrogenen uns jedenfalls nachschnitten, und selbst der so ernste Winnetou konnte ein lachendes „Uff“ nicht unterdrücken. Zugleich aber war eine kleine Sorge um Old Firehand sicher gerechtfertigt, da er ebenso gut wie wir mit einer Truppe der Verschlagenen zusammengetroffen sein konnte.

Und diese Sorge erwies sich als gerechtfertigt; denn wir fanden ihn bei unsrer Rückkehr zu dem Platze des Ueberfalles nicht vor, trotzdem seit unserer Entfernung eine geraume Zeit vergangen sein mußte.

Der Kampf war beendet; man befand sich beim Verbinden der Verwundeten und trug die Gefallenen zusammen.

In der Nähe derjenigen Stelle, an welcher die ausgerissenen Schienen lagen, brannten zwei hochlodernde Feuer, welche die nöthige Helle verbreiteten und zugleich dem Zugpersonale als Signal dienten.

„Da seid Ihr ja wieder!“ rief uns der Ingenieur entgegen, welcher ein Tuch um den verletzten Arm trug und die unbeschädigte Rechte zum Gruße hinstreckte. „Habt Euch brav gehalten, Alter; hätte einem Indsman so Etwas gar nicht zugetraut; werde es zu berichten wissen! Wohin führt Euch Euer Pfad?“

„Winnetou geht, zu sehen das mächtige Volk der Bleichgesichter,“ antwortete der Gefragte.

„Dann vergeßt ja nicht, nach Washington zu gehen, zur Stadt des großen Vaters, dem ich schreiben werde von dem tapfern und guten Häuptlinge der Apachen.“

„Winnetou wird ihn sehen und ihm sagen die Wünsche der rothen Männer.“

„Er wird die Worte unsers Bruders hören und mit Weisheit und Güte beantworten. Aber wo ist Old Firehand, den ich Euch nachjagen sah?“

„Mein weißer Bruder hat verloren die Fährte des rothen Mannes und ist auf einen neuen Feind gestoßen. Der Apache wird mit seinem jungen Freunde gehen, ihn zu suchen.“

Auch ich hegte diese Ansicht, da er längst wieder da sein mußte, wenn ihm nichts begegnet gewesen wäre. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schloß ich mich deßhalb dem Indianer, nachdem wir uns unsre Waffen wieder angeeignet, sie in den gehörigen Zustand gesetzt und die erbeuteten Pferde in Sicherheit gebracht hatten, an und

schritt mit ihm der Richtung zu, aus welcher wir soeben gekommen waren. —

Der Mond warf sein falbes, zweifelhaftes Licht über die vor uns ausgebreitete Weite; hinter uns flammten die beiden Feuerzungen empor, und am östlichen Punkte des Gesichtskreises wurde nun auch das scharfe Licht der nahenden Maschine sichtbar. Der Knoten, welcher uns für wenige Viertelstunden mit der Civilisation verband, war nur leicht geschlungen; vielleicht löste er sich schon in dem gegenwärtigen Augenblicke, welcher uns in die ungewisse und gefahrvolle Nacht hinausführte.

3.

Eine Reihe von Tagen war vergangen. Unser glücklich zurückgelegter Weg hatte uns mitten durch das Gebiet feindlicher Stämme geführt, und jetzt nun, wo die uns dabei drohenden Gefahren hinter uns lagen, konnten wir uns einmal nach Herzenslust ausruhen und pflegen.

Unsre Büchsen waren in den letzten Tagen, um durch den Knall derselben nicht die Rothhäute auf uns aufmerksam zu machen, stumm geblieben; aber trotzdem hatten wir, da wir an der Station der Bahnarbeiter mit hinreichendem Proviant und manchem Andern reichlich versehen worden waren, nicht Mangel gelitten und auch jetzt eben ließ Old Firehand den letzten Inhalt einer mitgenommenen Rumflasche in das heiße Wasser laufen und kostete mit sichtbarem Wohlbehagen den in dieser Breite so seltenen Trank.

Winnetou hatte die Wache und trat, von einem seiner Rundgänge zurückgekehrt, zum Feuer. Old Firehand bot ihm den dampfenden Becher.

„Will mein Bruder sich nicht ans Feuer setzen? Der Pfad des Rapaho führt nicht an diese Stelle.“

„Das Auge des Apachen steht immer offen; er traut nicht der Nacht; denn sie ist ein Weib.“

Nachdem er einen langen, behaglich schlürfenden Schluck gethan hatte, schritt er wieder in das Dunkel zurück.

„Er haßt die Frauen,“ warf ich hin, um den Anfang zu geben zu einer jener traulichen Unterhaltungen, welche, geführt unter ruhig flimmernden Sternen, für lange Jahre in der Erinnerung bleiben.

Old Firehand öffnete das an seinem Halse hangende Futteral und entnahm demselben die sorglich darin verwahrte kurze Pfeife, welche er gemächlich stopfte und dann in Brand steckte.

„Meint Ihr? Vielleicht auch nicht.“

„Seine Worte schienen es zu sagen.“

„Schienen,“ nickte der alte Jäger; „aber es ist nicht so. Es gab einmal Eine, um deren Besitz er mit Mensch und Teufel gekämpft hätte, und seit jener Zeit ist ihm das Wort „Squaw“ (Frau) entfallen.“

„Warum führte er sie nicht in seine Hütte?“

„Sie liebte einen Andern!“

„Darnach pflegt ein Indianer nicht zu fragen.“

„Aber dieser Andere war sein Freund.“

„Und der Name dieses Freundes?“

„Ist jetzt Old Firehand.“

Ich blickte überrascht empor. Hier stand ich vor einer jener Katastrophen, an denen der Westen so reich ist und welche seinen Gestalten und Ereignissen jenen energischen Charakter geben, durch welchen sie sich kräftig auszeichnen. Natürlich hatte ich kein Recht, weiter zu fragen; aber das Verlangen nach weiterem mußte sich deutlich in meinen Mienen aussprechen; denn er fuhr nach einer Pause fort:

„Laßt die Vergangenheit ruhen, Mann. Wollte ich von ihr sprechen, wahrhaftig, Ihr wärt trotz Eurer Jugend der Einzige, zu dem ich es thäte; denn ich habe Euch lieb gewonnen in der kurzen Zeit, die wir nun beisammen sind.“

„Danke, Sir! Kann Euch offen sagen, daß auch ich nicht ganz empfindungslos bin.“

„Weiß es, weiß es; Ihr habt’s ja reichlich bewiesen, und ohne Eure Hülfe wäre ich in jener Nacht verloren gewesen. Ich hatte in der Hitze, in welche mich der Anblick Tim Finnetey’s brachte, Eure Spur, welcher ich nicht schnell genug folgen konnte, weil mir vor kurzer Zeit ein Pfeil durch’s Bein gedrungen war, aus dem Auge gelassen und gerieth, nur mit dem Messer bewaffnet, zwischen eine Truppe der herumschleichenden Ogellalla’s, der sich dann noch Diejenigen zugesellten, welchen Ihr mit den Pferden davongegangen wart. Ich hatte einen teufelsmäßig harten Stand und blutete wie ein vielangeschossener Büffel, als Ihr endlich kamt.“

„Das muß gesagt sein, Sir, einer andern Mutter Sohn wäre in Eurer Lage der Muth in die Beine gefahren, und an der Ehre, lebendig davon zu kommen, hätte er vollkommen genug gehabt.“

„Pah, es hat noch nie eine Rothhaut sagen können, daß Old Firehand ihr den Rücken gekehrt habe. Es war nur ärgerlich, daß ich meine Rechnung mit Tim Finnetey nicht selbst ausgleichen konnte, und ich gäbe auf der Stelle diese meine Hand darum, wenn es mir vergönnt gewesen wäre, dem Hallunken mein eigenes Eisen zu schmecken zu geben.“

Bei diesen Worten zuckte eine ingrimmige Erbitterung über das sonst so ruhige und offene Gesicht des Sprechenden -

Sprechenden, und wie er mit wuthblitzenden Augen und festgeballten Fäusten mir so gegenüber lag, konnte ich nicht anders denken, als daß die erwähnte Rechnung mit diesem Parranoh oder Finnetey eine ganz außerordentliche gewesen sein müsse.

Ich gestehe gern, daß meine Wißbegierde immer größer wurde, und bei jedem Andern an meiner Stelle wäre es ebenso gewesen; aber ich mußte mich gedulden, was mir auch gar nicht schwer fiel, da ich von der Zukunft ganz sichere Aufklärung erwarten konnte.

Als ich ihn in der Nacht des Ueberfalles mit Winnetou aufsuchte, fanden wir ihn im Kampfe mit einer überlegenen Anzahl Indsmen, und die dabei erhaltenen Wunden hätten bei dem Mangel an Pflege in der Prairie in kurzer Zeit seinen Tod herbeigeführt. Glücklicher Weise aber bot sich uns in dem anwesenden Bahnzuge ein willkommenes Rettungsmittel, und mit Freude folgten wir der vom Ingenieur ausgesprochenen Einladung, bis an den nächsten und zugleich auch am Weitesten vorgeschobenen Verwaltungspunkt der damals noch im Baue begriffenen Bahn mit zu fahren und dort die Genesung des Verwundeten abzuwarten.

Diese Genesung war schneller vorgeschritten, als wir erwartet hatten, und so brachen wir nach verhältnißmäßig kurzer Zeit auf, um unsre unterbrochene Wanderung fortzusetzen und zunächst durch das Land der Rapaho’s und Pawnee’s bis an den Mankizila vorzudringen, an dessen Ufer Old Firehand seine „Festung“ hatte, wie er sich ausdrückte, die wir vielleicht in kurzer Zeit erreichen konnten, da wir schon vorgestern den Kehupahan überschwommen hatten.

Dort wollten ich für einige Zeit den Pelzjägern, welche er befehligte, mich anschließen und dann über Dakotah und die Hundeprairie die Seen zu gewinnen suche. Während dieses Beisammenseins bot sich hoffentlich Gelegenheit, einen Einblick in die Vergangenheit Old Firehands zu thun, und so verharrte ich jetzt schweigend in meiner Stellung, die ich nur zuweilen veränderte, um das Feuer zu schüren und ihm neue Nahrung zu geben.

Bei einer dieser Bewegungen funkelte der an meinem Finger steckende Ring im Strahle der Flamme. Old Firehands scharfes Auge hatte trotz der Schnelligkeit dieses Leuchtens den kleinen, goldenen Gegenstand genau erfaßt, und er fuhr mit betretener Miene aus seiner bequemen Lage empor.

„Was ist das für ein Ring, den Ihr hier tragt, Sir?“

„Es ist das Andenken an eine der schrecklichsten Stunden meines Lebens.“

„Wollt Ihr ihn mir einmal zur Betrachtung geben?“

Ich erfüllte seinen Wunsch. Mit sichtbarer Hast griff er zu, und kaum hatte er einen näheren Blick auf den Ring geworfen, so erklang die Frage:

„Von wem habt Ihr ihn?“

Es war eine unbeschreibliche Aufregung, die sich seiner bemächtigt hatte, und auf meine Antwort:

„Ich erhielt ihn von einem Knaben in New-Venango,“ stieß er hervor:

„In New-Venango? Wart Ihr bei Forster? Habt Ihr Harry gesehen? Ihr spracht von einer schrecklichen Stunde, von einem Unglücke?“

„Ein Abenteuer, bei welchem ich mit meinem braven Swallow in Gefahr kam, bei lebendigem Leibe gebraten

zu werden,“ erwiderte ich, die Hand nach dem Ringe ausstreckend.

„Laßt das!“ wehrte er ab. „Ich muß wissen, wie dieser Reif in Euren Besitz gekommen ist. Ich habe ein heiliges Anrecht auf ihn, heiliger und größer als irgend ein anderes Menschenkind!“

„Laßt Euch ruhig nieder, Sir. Verweigerte mir ein Anderer die Zurückgabe, so würde ich ihn dazu zu zwingen wissen, Euch aber will ich das Nähere berichten, und Ihr werdet dann mir wohl auch Euer Anrecht beweisen können.“

„Sprecht; aber wißt auch Ihr, daß dieser Ring in der Hand eines Mannes, dem ich weniger vertraute als Euch, sehr leicht sein Todesurtheil werden könnte. Also erzählt, erzählt!“

Er kannte Harry, er kannte auch Forster, und die Erregung, in welcher er sich befand, zeugte von dem großen Interesse, welches er an diesen Personen nahm. Ich hatte hundert Fragen auf der Zunge; aber ich drängte sie zurück und begann meinen Bericht von der damaligen Begegnung.

Auf den einen Ellbogen gestützt, lag er, das Feuer zwischen uns, mir gegenüber, und in jedem einzelnen seiner Züge sprach sich die Spannung aus, mit welcher er dem Laufe meiner Erzählung folgte. Von Wort zu Wort wuchs seine Aufmerksamkeit, und als ich zu dem Augenblicke kam, an welchem ich Harry vor mir auf das Pferd gerissen hatte, sprang er auf und rief:

„Mann, das war das Einzige, ihn zu retten! Ich zittre für sein Leben; rasch, rasch, sprecht weiter!“

Auch ich hatte mich in dem Wiederfühlen jener furchtbaren -

furchtbaren Aufregung erhoben und fuhr in meiner Schilderung fort. Er trat mir näher und immer näher; seine Lippen öffneten sich, als wolle er jedes einzelne meiner Worte trinken; sein Auge hing, weit aufgerissen, an meinem Munde, und sein Körper bog sich in eine Stellung, als säße er selbst auf dem dahinbrausenden Swallow, stürze sich selbst mit in die hochaufschäumenden Fluthen des Flusses und strebe selbst in fürchterlicher Angst die steile, zackige Felswand empor. Längst schon hatte er meinen Arm erfaßt, den er unbewußt drückte, daß ich hätte die Zähne zusammenpressen mögen, und laut und ächzend drängte sich der Athem aus seiner von fürchterlicher Besorgniß zusammengepreßten Brust.

„Heavens!“ rief er mit einem tiefen, tiefen Athemzuge, als er hörte, daß ich glücklich über den Rand der Schlucht gekommen sei und den Knaben also in Sicherheit gebracht habe. „Das war entsetzlich — fürchterlich! Ich habe eine Angst ausgestanden, als ob mein eigener Körper in den Flammen steckte, und doch wußte ich vorher, daß Euch die Rettung gelungen sei, denn sonst hätte er Euch ja den Ring nicht geben können!“

„Er hat es auch nicht gethan; ich streifte ihn wider Willen von seinem Finger, und er hat den Verlust gar nicht bemerkt.“

„So mußtet Ihr das fremde Eigentum dem Besitzer unbedingt zurückstellen.“

„Ich wollte es; doch er floh mich. Zwar folgte ich ihm, doch sah ich ihn erst am andern Morgen in Gesellschaft einer Familie wieder, welche dem Tode entgangen war, weil ihre Wohnung im obersten Winkel des Thales

lag und der Brand seine Richtung abwärts genommen hatte.“

„Und da spracht Ihr von dem Ringe?“

„Nein, man ließ mich gar nicht vor, und ich bin dann natürlich meines Weges fortgeritten.“

„So ist er, ja, so ist er! Er haßt nichts mehr als Feigheit und hat Euch für muthlos gehalten. Was ist aus Forster geworden?“

„Ich habe gehört, daß nur allein jene Familie davongekommen sei. Das Glutmeer, von welchem der Thalkessel erfüllt war, hat Alles verschlungen, was in seinen Bereich gekommen ist.“

„Es ist schrecklich und eine zu furchtbare Strafe für das allerdings unnütze und lächerliche Vorhaben, das Oel fortlaufen zu lassen, um den Preis desselben in die Höhe zu bringen!“

„Auch Ihr habt ihn gekannt, Sir?“ fragte ich jetzt.

„Ich war einige Male bei ihm in New-Venango. Er war ein stolzer, geldprotziger Mann, der wohl Ursache gehabt hätte, wenigstens mit mir etwas manierlicher umzuspringen.“

„Und Harry habt Ihr bei ihm gesehen?“

„Harry?“ sagte er mit einem eigenthümlichen Lächeln in seinem jetzt wieder ruhigen Angesichte. „Ja, bei ihm und in Omaha, wo der Junge einen Bruder hat — vielleicht auch noch sonst irgendwo.“

„Ihr könntet mir wohl etwas über ihn mittheilen!“

„Möglich, aber jetzt nicht, jetzt nicht! Eure Erzählung hat mich so mitgenommen, daß ich keine rechte Sammlung zu einer solchen Unterhaltung verspüre; aber zu gelegener Zeit sollt Ihr mehr über ihn erfahren, das heißt natürlich,

so viel ich selbst von ihm weiß. Hat er Euch nicht gesagt, was er in Venango wollte?“

„Doch! Er hatte dort nur Absteigequartier genommen.“

„So, so! Also Ihr behauptet, daß er der Gefahr dort wirklich und ganz bestimmt entgangen ist?“

„Ganz sicher.“

„Und schießen habt Ihr ihn auch sehen?“

„Wie ich Euch sagte, und zwar ganz vorzüglich. Er ist ein ganz ungewöhnlicher Junge.“

„So ist es. Sein Vater ist ein alter Skalper, der keine einzige Kugel gießt, die nicht ihren Weg zwischen die bewußten zwei Indianerrippen fände. Von ihm hat er das Zielen gelernt, und wenn Ihr etwa glaubt, daß er es nicht zur rechten Zeit und am richtigen Orte anzuwenden verstehe, so irrt Ihr Euch ganz gewaltig.“

„Wo ist dieser Vater?“

„Er ist bald da, bald dort zu finden, und ich darf wohl sagen, daß wir einander so ziemlich kennen gelernt haben. Es ist möglich, daß ich Euch helfe, ihn einmal zu sehen.“

„Das würde mir lieb sein, Sir!“

„Werden ja sehen, Mann; habt es an dem Sohne verdient, daß Euch der Vater Dank sage.“

„O, das ist’s nicht, was ich meine.“

„Versteht sich, versteht sich, kenne Euch gut genug; aber hier habt Ihr Euren Ring. Werdet später erst sehen, was es heißt, daß ich ihn Euch wieder zustelle. Für jetzt aber will ich Euch den Apachen schicken; seine Wache ist um. Legt Euch auf’s Ohr, damit Ihr früh am Tage munter seid. Wir werden morgen einmal unsere Gäule mitnehmen und zwei Tagereisen erzwingen müssen.“

„Zwei? Wollten wir morgen nicht blos bis zum Green-park?“

„Habe mich anders besonnen; good night!“

Good guard; vergeßt nicht, mich zu wecken, wenn ich Euch abzulösen habe!“

„Schlaft nur zu! Kann’s auch ’mal für Euch thun, die Augen offen halten; habt für mich genug gethan.“

Mir war ganz wunderbar zu Muthe. Ich wußte nicht, was ich von der Unterredung denken sollte, und als ich nun so allein dalag, gingen mir tausenderlei Vermuthungen durch den Kopf, von denen ich nicht eine einzige stichhaltig fand. Lange noch, nachdem Winnetou zurückgekehrt war und sich zum Schlafen in seine Decke gewickelt hatte, warf ich mich ruhelos von einer Seite auf die andere. Die Erzählung hatte mich aufgeregt; jener fürchterliche Abend ging mit allen seinen Einzelheiten immer von Neuem an meiner Seele vorüber; zwischen seinen grausigen Gestaltungen tauchte immer und immer wieder Old Firehand empor, und noch im letzten Ringen zwischen Wachen und Träumen klangen mir die Worte ins Ohr: „Schlaft nur zu; habt genug für mich getan!“ — —

„Als ich am andern Morgen erwachte, fand ich mich allein am Feuer; doch konnten die beiden Andern nicht weit entfernt sein, denn der kleine, blecherne Kessel hing mit dem kochenden Wasser über der Flamme und neben dem Stücke Bärenzunge, welches gestern Abend übrig geblieben war, lag der offene Mehlbeutel.

Ich wickelte mich aus meiner Umhüllung und schritt nach dem Wasser, um mich zu waschen.

Dort standen, im eifrigen Gespräche begriffen, die Gefährten, und ihre Bewegungen, als sie mich erblickten,

sagten mir, daß ich der Gegenstand ihrer Unterhaltung gewesen sei.

Kurze Zeit später waren wir zum Aufbruche bereit und schlugen eine Richtung ein, welche uns in einer Entfernung von vielleicht zwanzig Meilen vom Missouri parallel mit diesem Flusse auf das Thal des Mankizila zuführte.

Der Tag war kühl. Wir waren gut beritten, und da wir unsre Thiere während der letzten Tour geschont und immer gut gepflegt hatten, so legten wir nach und nach ein tüchtiges Stück grünes Land hinter uns.

Eigenthümlich war die Veränderung, welche ich heut in dem Verhalten meiner Gefährten zu mir bemerkte. Bisher hatten sich Beide zu mir gestellt wie alte, erfahrene Gönner zu einem wenn auch gelehrigen, aber doch noch unkundigen Schützlinge; jetzt aber lag eine deutlich erkennbare Rücksicht, ich möchte sagen Achtung in ihrem ganzen Benehmen, und es war mir ganz so, als ob in dem Blicke, den der eine oder andere zuweilen über mich gleiten ließ, etwas einer zurückgehaltenen Zärtlichkeit Aehnliches liege.

Es war überhaupt augenfällig, welch’ beinahe liebevolle Aufmerksamkeit und Ergebenheit die zwei Leute gegen einander zeigten. Zwei Brüder, die sich durch die Bande des Blutes mit jeder Faser des Innern an einander gefesselt fühlen, hätten nicht besorgter für einander sein können, und es dünkte mir, als begegne sich diese beiderseitige Fürsorge jetzt in meiner Person.

Als wir um die Mittagszeit Halt machten und Old Firehand sich entfernte, um die Umgebung des Lagerplatzes zu rekognosziren, streckte sich, während ich den Proviant hervorholte, Winnetou an meiner Seite nieder und meinte:

„Mein Bruder ist kühn wie die große Katze des Waldes und stumm wie der Mund des Felsens.“

Ich schwieg zu dieser sonderbaren Einleitung.

„Er ist durch die Flammen des Oeles geritten und hat nicht davon gesprochen zu Winnetou, seinem Freunde.“

„Die Zunge des Mannes,“ antwortete ich, „ist wie das Messer in der Scheide. Es ist scharf und spitz und taugt nicht zum Spiele.“

„Mein Bruder ist weise und hat Recht; aber Winnetou ist betrübt, wenn das Herz seines jungen Freundes sich ihm verschließt wie der Stein, in dessen Schooße die Körner des Goldes verborgen liegen.“

„Ist das Herz Winnetou’s geöffnet gewesen dem Ohre seines Freundes?“

„Hat er ihm nicht gesagt alle Geheimnisse der Prairie? Hat er ihm nicht gezeigt und gelehrt die Spur zu sehen, den Lasso zu werfen, den Skalp zu lösen und Alles zu thun, was ein großer Krieger können muß?“

„Winnetou hat es gethan; aber hat er auch gesprochen von Old Firehand, der seine Seele besitzt, und von dem Weibe, dessen Andenken nicht gestorben ist in seinem Herzen?“

„Winnetou hat sie geliebt, und die Liebe wohnt nicht in seinem Munde. Aber warum hat mein Bruder nicht erzählt von dem Knaben, den Swallow durch das Feuer trug?“

„Kennt ihn der Häuptling der Apachen?“

„Er hat ihn getragen auf seinen Armen; er hat ihm gezeigt die Blumen des Feldes, die Bäume des Waldes, die Fische des Wassers und die Sterne des Himmels; er hat ihn gelehrt, den Pfeil vom Bogen schießen und das

wilde Roß besteigen; er hat ihm geschenkt die Sprachen der rothen Männer und ihm zuletzt gegeben das Feuergewehr, dessen Kugel getödtet hat Ribanna, die Tochter der Assineboins.“

Erstaunt blickte ich ihn an. Es dämmerte eine Ahnung in mir auf, der ich kaum Worte zu geben wagte, und doch hätte ich es vielleicht gethan, wenn nicht gerade jetzt Old Firehand zurückgekehrt wäre und unsre Aufmerksamkeit auf das Mahl gerichtet hätte. Aber während desselben mußte ich immerfort an die Worte Winnetou’s denken, aus denen in Verbindung mit dem, was Harry mir gesagt hatte, fast hervorging, daß Old Firehand des letzteren Vater sei. Das Benehmen desselben bei meiner Erzählung am gestrigen Abende stimmte allerdings mit dieser Vermuthung überein; aber er hatte von diesem Vater als von einem Dritten gesprochen und nichts gesagt, was meine Vermuthung zu einer festen Ueberzeugung machen konnte.

Nach einigen Stunden der Ruhe brachen wir wieder auf. Als ob unsre Thiere wüßten, daß ein Ort mehrtägiger Erholung vor ihnen liege, trabten sie munter dahin, und wir hatten eine ziemliche Strecke zurückgelegt, als mit der hereinbrechenden Dämmerung der Höhenzug, hinter welchem das Thal des Mankizila liegt, uns so nahe getreten war, daß das Terrain sich zu erheben begann und wir uns durch eine Schlucht bewegten, welche, wie es schien, uns senkrecht auf den Lauf des Flusses führen mußte.

„Halt!“ tönte es da plötzlich aus den zur Seite stehenden Cottonsträuchern hervor, und zu gleicher Zeit ward zwischen den Zweigen der Lauf einer auf uns gerichteten Büchse sichtbar. „Wie heißt das Wort?“

„Tapfer!“

„Und?“

„Verschwiegen,“ gab Old Firehand die Parole, indem er mit scharfem Blicke das Gesträuch zu durchdringen suchte. Bei dem letzten Worte theilte sich dasselbe und ließ einen Mann hindurch, bei dessen Anblicke ich mich eines leisen Lächelns nicht erwehren konnte.

Unter der wehmüthig herabhängenden Krämpe eines Filzhutes, dessen Alter, Farbe und Gestalt selbst dem schärfsten Denker einiges Kopfzerbrechen verursacht haben würde, blickte zwischen einem Walde von verworrenen, schwarzgrauen Barthaaren eine Nase hervor, welche fast von erschreckenden Dimensionen war und jeder beliebigen Sonnenuhr als Schattenwerfer hätte dienen können. In Folge des gewaltigen Bartwuchses waren außer diesem so verschwenderisch ausgestatteten Riechorgane von den übrigen Gesichtstheilen nur die zwei kleinen, klugen Augen zu bemerken, welche mit einer außerordentlichen Beweglichkeit begabt zu sein schienen und mit einem Ausdrucke von schalkhafter List von einem zum andern von uns Dreien sprangen.

Diese Oberparthie ruhte auf einem Körper, welcher uns bis auf das Knie herab vollständig unsichtbar blieb und in einem alten, bockledernen Jagdrocke stak, welcher augenscheinlich für eine bedeutend stärkere Person angefertigt worden war und dem kleinen Mann vor uns das Aussehen eines Kindes gab, welches sich zum Vergnügen einmal in den Schlafrock des Großvaters gesteckt hat. Aus dieser mehr als zulänglichen Umhüllung guckten zwei dürre, sichelkrumme Beine hervor, welche in ausgefransten Leggins steckten, die so hochbetagt waren, daß sie das

Männchen schon vor einem Jahrzehnt ausgewachsen haben mußte und die dabei einen umfassenden Blick auf ein Paar Indianerstiefel gestatteten, in welchen zur Noth der Besitzer in voller Person hätte Platz finden können.

In der Hand trug der Mann eine alte Flinte, die ich nur mit der äußersten Vorsicht angefaßt hätte, und als er sich so mit einer gewissen Würde auf uns zu bewegte, konnte ich mir keine größere Karrikatur eines Prairiejägers denken, als ihn.

„Sam Hawkens!“ rief Old Firehand. „Sind Deine Aeuglein blöde geworden, so daß Du mir die Parole abverlangst?“

„Meine es nicht, Sir! Halte aber dafür, daß ein Mann auf Posten auch zuweilen zeigen muß, daß er die Losung nicht vergessen hat. Willkommen im Bajou, Mesch-schurs! Wird Freude geben, große Freude.“

„Wer von den Männern ist vorhanden?“ fragte unser Anführer, indem er ihm vom Pferde herab die Hand schüttelte.

„Alle, außer Bill Bulcher, Dick Stone und Harris, meine ich, die fort sind, um „Fleisch zu machen“. Die kleine Sir ist auch wieder gekommen.“

„Weiß es, weiß es, daß er da ist. Wie ist’s sonst gegangen? Gab’s Rothhäute?“

„Danke, danke, Sir; könnte mich nicht besinnen, welche gesehen zu haben, obgleich“ — setzte er, auf sein Schießinstrument deutend, hinzu — „Liddy“ Hochzeitsgedanken hat.“

„Und die Fallen?“

„Haben gute Ernte gehabt, sehr gute, wenn ich mich

nicht irre. Könnt’s selbst sehen, Sir; werdet wenig Wasser im Thore finden, meine ich.“

Er drehte sich um und schritt, während wir weiter ritten, seinem Verstecke wieder zu.

Die kleine Scene hatte mir gezeigt, daß wir in der Nähe der Festung angekommen seien; denn Sam Hawkens stand jedenfalls als Sicherheitswache in kurzer Entfernung vom Zugange zu derselben, und mit Aufmerksamkeit musterte ich die Umgebung, um denselben zu entdecken.

Jetzt öffnete sich links eine enge Kluft, welche von so nahe an einandertretendem und oben von Brombeerranken überdachtem Gestein gebildet wurde, daß man beide Seitenwände mit den ausgespreizten Händen erreichen konnte. Die ganze Breite des Bodens nahm ein Bach ein, dessen hartes, felsiges Bette nicht die geringste Spur eines Fußes wiedergeben konnte und sein klares, durchsichtiges Wasser in das Flüßchen leitete, an dessen Rande wir in das Thal empor geritten waren. Old Firehand bog hier ein, und wir folgten, langsam gegen den Lauf des Wassers reitend. Jetzt verstand ich auch die Worte des Postens, daß wir wenig Wasser im Thore finden würden.

Kurze Zeit nur hatten wir die Richtung eingeschlagen, als die Felsen zusammenrückten und uns in so geschlossener Masse entgegentraten, daß der Weg hier zu Ende zu sein schien. Aber zu meinem Erstaunen ritt Old Firehand immer zu und ich sah ihn mitten durch die Mauer verschwinden. Winnetou folgte, und als ich die räthselhafte Stelle erreichte, bemerkte ich nun allerdings, daß die dichten, von oben herabhängenden, wilden Epheuranken nicht eine Bekleidung des Steines, sondern einen Vorhang bildeten,

hinter welchem die Oeffnung tunnelartig fortlief und in dichte Finsterniß führte.

Lange, lange Zeit und in verschiedenen Krümmungen folgte ich den beiden Voranreitenden durch das Dunkel, bis endlich wieder ein matter Tagesschein vor mir auftauchte und wir in eine ähnliche Kluft kamen wie diejenige, durch welche wir uns vorhin gewunden hatten.

Als dieselbe sich eröffnete, hielt ich überrascht an, und auch Winnetou ließ ein erstauntes „Uff“ hören.

Wir befanden uns nämlich am Eingange eines mächtigen und weit ausgedehnten Thalkessels, welcher rings von ungangbaren Felswänden umschlossen war. Ein blätterreicher Saum von Büschen umrahmte die mit lockigem Grase bestandene, fast kreisrunde Fläche, auf welcher mehrere Trupps von Pferden und Maulthieren weideten, zwischen denen sich zahlreiche Hunde herumtrieben, die theils jener wolfsähnlichen Race, welche den Indianern ihre Wacht- und Lastthiere liefert, theils aber auch den kleinen, schnell fett werdenden Bastardarten angehörten, deren Fleisch nächst dem des Panthers als der größte Leckerbissen gilt.

„Da habt Ihr meine Burg,“ wandte sich Old Firehand an uns, „in welcher es sich sicherer noch wohnen läßt als selbst in Abrahams Schooße.“

„Giebt es eine Oeffnung dort in den Bergen?“ fragte ich.

„Nicht soviel, daß ein „Stunk“ hindurchschlüpfen könnte, und von außen ist es fast unmöglich, die Höhen zu erklimmen. Es ist wohl schon manche Rothhaut da draußen vorübergeschlichen, ohne zu ahnen, daß diese schroffen Felsenzacken nicht eine kompakte Masse bilden, sondern ein so allerliebstes Thal umschließen.“

„Aber wie habt Ihr diesen köstlichen Ort entdeckt?“

„Ich verfolgte einen Raccon (Waschbär) in die Spalte, welche damals noch nicht vom Epheu verdeckt wurde, und habe natürlich sofort Besitz von dem Platze ergriffen.“

„Allein?“

„Erst, ja, und hundert Mal bin ich dem Tode entronnen, weil ich vor den Verfolgungen der rothhäutigen Hallunken hier ein sicheres und untrügliches Versteck fand. Später aber habe ich meine „Jungens“ mit hergenommen, wo wir nun unsre Häute sammeln und dem Schrecken des Winters trotzen können.“

Noch während der letzten Worte tönte ein gellender Pfiff weit über den grünenden Plan, und kaum war er erklungen, so öffneten sich an verschiedenen Stellen ringsum die Büsche, und es kamen eine Anzahl Gestalten zum Vorschein, denen man das Bürgerrecht des Westens auf mehrere tausend Schritte anzusehen vermochte.

Wir trabten der Mitte des Platzes zu und waren bald von den Leuten umringt, welche ihre Freude über die Ankunft Old Firehands in den kernigsten Ausdrücken kund gaben.

Mitten in dem Lärmen, der allerdings nur in dieser vollständigen Abgeschlossenheit erlaubt sein konnte, sah ich Winnetou beschäftigt, sein Pferd, von welchem er gestiegen war, abzusatteln. Als dies geschehen war, gab er dem Thiere mit einem leichten Schlage die Weisung, sich um das Abendbrod zu kümmern, nahm Sattel, Zaum und Decke auf die Schulter und schritt davon, ohne die Umstehenden eines Blickes zu würdigen.

Ich folgte, da unser Anführer zu sehr in Anspruch genommen war, um sich jetzt viel mit uns beschäftigen zu

können, seinem Beispiele, machte den braven Swallow vollständig frei und unternahm, die neugierigen Frager kurz abfertigend, eine Rekognition des Platzes.

Wie eine riesenhafte Seifenblase waren die Gesteinsmassen bei der Bildung des Gebirges von den plutonischen Gewalten emporgetrieben worden und hatten bei ihrem Zerplatzen eine hohle, nach oben offene und von außen unzugängliche Halbkugel gebildet, welche dem eingesunkenen Krater eines ungeheuren Vulkans glich. Luft und Licht, Wind und Wetter waren dann beschäftigt gewesen, den harten Boden zu zersetzen und der Vegetation zugänglich zu machen, und die angesammelten Wassermengen hatten sich nach und nach durch die eine Seite der Felswand gebohrt und den Bach gebildet, welcher heut unser Führer gewesen war. —

Ich wählte zu meinem Gange den äußersten Saum des Thales und schritt zwischen dem Gebüsch und der meist senkrecht aufsteigenden, oft sogar überhängenden Felswand entlang. In derselben bemerkte ich zahlreiche mit Thierfellen verschlossene Oeffnungen, welche jedenfalls zu Wohnungen oder Lagerräumen führten, deren die Jägerkolonie ja nothwendig bedurfte.

Jedenfalls bestand dieselbe aus mehr Personen, als sich uns bei dem Empfange gezeigt hatten, wenigstens konnte ich das aus der Anzahl der Squaws schließen, welche ich während meines Ganges erblickte; aber die meisten waren jedenfalls auf Jagdzügen abwesend und kehrten erst bei Beginn des Winters, dessen Nahen allerdings in nicht mehr langer Zeit zu erwarten war, zurück.

Während ich so dahin schlenderte, bemerkte ich auf einer der wie es schien unbesteigbaren Klippen eine kleine,

aus knorrigen Aesten aufgeführte Hütte. Von ihr aus mußte das ganze Thal mit allen seinen Einzelheiten vollständig zu überschauen sein und ich beschloß, hinaufzusteigen. Bald fand ich, wenn auch keinen Pfad, so doch die Spuren von Fußtritten, die sich da hinaufgearbeitet hatten, und folgte ihnen empor.

Nur noch eine kurze Strecke hatte ich zurückzulegen, da sah ich aus der schmalen und niederen Thüre eine Gestalt schlüpfen, welche wohl kaum durch mein Kommen gestört worden sein konnte; denn sie bemerkte mich gar nicht und trat, den Rücken mir zugewendet, an den Rand des Felsens und warf, das Auge mit der erhobenen Hand beschattend, einen Blick hinunter in die Tiefe.

Sie trug ein buntes, starkstoffiges Jagdhemde, an der äußeren Naht von der Hüfte bis zum Knöchel mit Fransen verzierte Leggins (Lederbeinkleider), und die kleinen Moccassins waren reich mit Glasperlen und Stachelschweinsborsten besetzt. Um den Kopf war turbanartig ein rothes Tuch geschlungen, und eine ebenso gefärbte Schärpe vertrat die Stelle des gewöhnlicheren Gürtels.

Als ich den Fuß auf die kleine Plattform setzte, vernahm die Person das Geräusch meiner Schritte und wandte sich schnell um. War es Wahrheit oder Täuschung? Ich rief freudig überrascht aus:

[„]Harry! Ist’s möglich?“ und trat mit raschen Schritten auf ihn zu.

Aber ernst und kalt blickte sein Auge, und kein Zug seines jetzt tiefer gebräunten Angesichtes verrieth auch nur die leiseste freundliche Regung über mein Kommen.

„Wenn es nicht möglich wäre, würdet Ihr mich nicht hier treffen, Sir. Aber die Berechtigung zur Frage ist

wohl mehr an mir als an Euch. Welche Ursache gab Euch die Erlaubniß, Euren Weg in unser Lager zu nehmen?“

War das ein Empfang, wie ich ihn verdient hatte? Kälter und gemessener als er erwiderte ich nur das eine Wort:

„Pshaw!“ (Pah) und glitt, ihm den Rücken wendend, vorsichtigen Fußes wieder hinab.

Es war also doch so, wie ich vermuthet hatte, daß er der Sohn Old Firehands sei, und nun war mir auch das andere so ziemlich klar. — —

Obgleich ich nur einen Knaben vor mir hatte, wollte mir das Verhalten desselben nach all dem Geschehenen doch einen kleinen Aerger verursachen. Die Behauptung Old Firehands, daß Harry mich für feig gehalten habe, stimmte allerdings mit der damaligen Aeußerung des Letzteren vollständig überein; aber es war mir absolut unmöglich, zu sagen, worin diese Feigheit denn eigentlich bestanden habe. Ich bezwang meine Verstimmung und kehrte nach dem Lagerplatze zurück. —

Es war Abend geworden. In der Mitte des weiten Thalkessels brannte ein hoch empor züngelndes Feuer, um welches sämmtliche anwesende Bewohner der „Festung“ sich versammelt hatten. Auch Harry, welcher, wie ich bald bemerkte, den Männern in jeder Beziehung gleichberechtigt war, hatte mitten unter denselben Platz genommen und betrachtete mich, wie es mir schien, mit weniger gehässigen Blicken als vorhin.

Es wurden eine Reihe selbsterlebter Abenteuer erzählt, denen ich aufmerksam lauschte, bis ich mich erhob, um nach alter Gewohnheit mich einmal nach meinem Pferde umzusehen. Ich verließ das Feuer und schritt in das

Dunkel hinaus, über welches sich der Himmel so freundlich, klar und sonnenhell ausbreitete, als strahlten seine Millionen Lichter nicht auf eine Erde hernieder, deren höchst organisirte Wesen sich mit den Waffen in der Hand einander gegenüber stehen, um sich zu zerfleischen.

Ein leises, freudiges Wiehern am Saume des Gebüsches, welches den Bach berandete, rief mich zu Swallow, welcher mich erkannt hatte und nun den Kopf zärtlich an meiner Schulter rieb. Er war mir doppelt lieb geworden, seit er mich durch Gluth und Fluth getragen, und liebkosend drückte ich meine Wange an seinen schlanken, weichen Hals.

Ein kurzes Schnaufen seiner Nüstern, welches mir als Warnungszeichen bekannt war, ließ mich zur Seite blicken. Eine Gestalt kam auf uns zugeschritten, und ich sah den Zipfel des um den Kopf geschlungenen Tuches sich bewegen. Es war Harry.

„Verzeiht, wenn ich störe,“ klang seine jetzt etwas unsichere Stimme. „Ich dachte an Euren Swallow, welchem ich das Leben zu danken habe, und wollte das brave Thier gern begrüßen.“

„Hier steht es. Ich werde diese Begrüßung nicht durch meine Gegenwart beeinträchtigen. Good night!

Ich wandte mich zum Gehen, hatte aber kaum ein Dutzend Schritte gethan, als ich den halblauten Ruf vernahm:

„Sir!“

Ich blieb stehen. Zögernden Fußes kam Harry mir nach, und das eigenthümliche Vibriren seiner Stimme verrieth die Verlegenheit, welche er nicht so schnell überwinden konnte.

„Ich habe Euch beleidigt!“

„Beleidigt?“ erwiderte ich kühl und ruhig; „Ihr irrt, Sir! Ich kann Euch gegenüber wohl Nachsicht, nie aber das Gefühl des Beleidigtseins empfinden.“

Es dauerte eine Minute, ehe er eine Antwort auf diese vielleicht unerwarteten Worte fand.

„Dann verzeiht meinen Irrthum.“

„Gern; ich bin an ihn gewöhnt.“

„Eure Nachsicht werde ich wohl nicht wieder in Anspruch nehmen.“

„Sie steht Euch trotzdem zu jeder Zeit zur Verfügung.“

Schon wollte ich mich wieder abwenden, als er mir mit einem schnellen Schritt nahe trat und die Hand auf den Arm legte.

„Lassen wir Persönlichkeiten jetzt unberührt. Ihr habt mit der größten Gefahr für Euer eigenes Leben mir dasjenige meines Vaters an einem Abende zweimal erhalten; ich muß Euch danken und wenn Ihr noch so böse und abstoßende Worte sprecht. Ich erfuhr erst vorhin, was Ihr gethan habt.“

„Jeder „Westmann“ ist zu dem bereit, was ich gethan habe, und es geschehen noch ganz andere Dinge als das ist, was Ihr da erwähnt. Was der Eine für den Andern thut, ist ihm von noch Anderen vielleicht schon zehnfach geschehen und kaum der Rede werth. Ihr dürft nicht nach dem Maßstabe urtheilen, welchen Eure Kindesliebe Euch in die Hand giebt.“

„Erst war ich es, jetzt aber seid Ihr’s, der ungerecht gegen Euch selbst ist. Wollt Ihr’s auch gegen mich sein?“

„Nein!“

„Dann darf ich wohl eine Bitte sagen?“

„Sprecht sie aus!“

„Zürnt mir, Sir; seid böse auf mich, so sehr Ihr nur immer könnt, wenn ich nicht recht thue, aber sprecht nicht wieder von Nachsicht! Wollt Ihr?“

„Ich will.“

„Danke! Und nun kehrt mit mir zum Feuer zurück, um den Andern gute Nacht zu sagen. Ich werde Euch Euren Schlafraum anweisen, und wir müssen bald die Ruhe suchen, da es morgen einen zeitigen Aufbruch geben wird.“

„Aus welchem Grunde?“

„Ich habe am Bee-fork meine Fallen gestellt, und Ihr sollt mit mir gehen, nach dem Fange zu sehen.“

Einige Minuten später standen wir vor einer der erwähnten Fallthüren, welche er zurückschlug, um mich in einen dunklen Raum zu führen, der indeß bald durch eine primitive und mit Hülfe des „Punks“ (Prairiefeuerzeug) entzündete Hirschtalgkerze erleuchtet wurde.

„Hier ist Euer bed-room (Schlafzimmer), Sir. Die Companymänner pflegen sich in diese Räume zurückzuziehen, wenn sie unter freiem Himmel einen Rheumatismus befürchten.“

„Und Ihr meint, daß dieser schlimme Gesell auch mir nicht unbekannt sei?“

„Will Euch das Gegenteil wünschen; aber das Thal ist feucht, da die rundum liegenden Berge dem Winde den Zutritt verwehren, und Vorsicht ist zu allen Dingen nütze, wie man drüben in der Heimat sagt. Schlaft wohl!“

Er bot mir die Hand und schritt dann mit freundlichem Kopfnicken hinaus.

Als ich allein war, blickte ich mich in der kleinen Klause um. Sie war nicht eine natürliche Höhle, sondern

durch menschliche Hand in das Gestein gehauen worden. Den felsigen Fußboden hatte man mit gegerbten Häuten belegt; ebenso waren die Wände mit denselben behangen, und an der hinteren Wand stand die Lagerstätte, bestehend aus einer allerdings nur aus glatten Kirschbaumstämmchen zusammengesetzten Bettstelle, über welche sich auf einer dicken Lage weißer Yutafelle eine sehr hinreichende Anzahl ächter Navajodecken breiteten.

Mehrere in den Ritzen eingeschlagene Holzpflöcke trugen Gegenstände, welche mich bald zu der Ueberzeugung brachten, daß Harry mir sein eigenes Kabinet abgetreten habe.

Nur die große Müdigkeit, welche ich nun doch fühlte, vermochte mich, in dem engen, abgeschlossenen Raume zu bleiben; denn wer seine Nächte in der Unendlichkeit der freien, offenen Prairie zugebracht hat, kann sich nur schwer entschließen, sich gleich darauf zur Benutzung desjenigen Gefängnisses zu bequemen, welches der civilisirte Mensch eine „Wohnung“ nennt.

Die Abgeschlossenheit meines „Boudoirs“ mochte doch wohl schuld sein, daß mich der Schlaf etwas fester als gewöhnlich in seine Arme nahm; denn noch hatte ich mich nicht erhoben, als ich durch eine weckende Stimme wach gerufen wurde.

„Pooh! (Hoho!) Mann, ich glaube gar, Ihr seid noch nicht ganz fertig, die Decken zu messen, meine ich. Streckt Euch noch ein wenig, aber nicht in die Länge, sondern in die Höhe; das wird gut sein, wie mir scheint!“

Ich sprang empor und sah mir den Störenfried, welcher unter der zurückgeschlagenen Thür stand, an. Es war Sam Hawkens. Während er gestern nur mit der Büchse versehen gewesen war, sah ich ihn jetzt in vollständiger

Trapperausrüstung meiner warten, ein Beweis, daß er uns begleiten werde.

„Bin gleich fertig, lieber Sam.“

„Hoffe es; der kleine Sir steht, denke ich, schon am hole (Loch, Thür).“

„Ihr geht mit?“

„Scheint so, wenn ich mich nicht irre. Der kleine Sir soll doch das „Gerät“ nicht etwa tragen, und Ihr“ — und dabei flimmerten die kleinen Augen höchst ehrenrührig aus dem Bartwalde hervor — „na, ich meine, daß Ihr auch noch keinen Truthahnbussard geschluckt haben werdet, Sir!“

„Möglich, werde es aber lernen.“

„Gut, hoffe es; scheint mir sonst kein so unrechter new-man, habe schon manchem noch Grüneren die Büchse halten gelehrt! Na, da seid Ihr ja fertig, denke ich. Kommt!“

Ich war innerlich belustigt über die Ansicht, welche der alte Waschbär über mich hegte. Allerdings war meine äußere Erscheinung wohl nicht ganz genau diejenige eines ächten, verwitterten Gebirgsmannes, und meine immer sorgfältig blank gehaltenen Waffen mochten wohl für das Auge eines solchen ein etwas spielzeugartiges Aussehen haben, aber ich war dieser Ansicht schon so oft begegnet, daß ich mich an sie gewöhnt hatte und unmöglich durch sie gekränkt werden konnte.

Vor die Thür tretend, bemerkte ich Harry welcher am Eingange der Schlucht unserer wartete. Sam nahm einige zusammengebundene Fallen auf, warf sie über die Achsel und schritt, ohne sich zu überzeugen, daß ich ihm auch nachfolgte, auf die unserer Harrenden zu.

„Lassen wir die Pferde hier?“

„Meine nicht, daß Euer Thier gelernt hat, ein regelrechtes Eisen zu legen oder einen Dickschwanz (Biber) vom Grunde des Flusses herauf zu angeln. Wir müssen die Beine auseinander nehmen, wenn wir zu rechter Zeit fertig sein wollen. Kommt also!“

„Muß doch erst nach dem Pferde sehen, Alter!“

„Ist nicht nothwendig, Sir! Der kleine Sir hat’s schon gethan, wenn ich nicht irre.“

Ohne daß er es wußte, sagte er mir mit den letzten Worten etwas höchst Erfreuliches. Harry hatte sich also schon bei grauendem Tage um Swallow bekümmert, ein Zeichen, daß er auch an seinen Herrn gedacht habe. Jedenfalls hatte sein Vater von mir gesprochen und den Anstoß zur Aenderung seiner Meinung gegeben. Eben wollte es mich wundern, daß er, der Wachsame, noch nicht zu sehen war, als er mit Winnetou und einem der Jäger durch den Bach gewatet kam.

„Good morning, Sir!“ grüßte er, mir die Hand bietend. „Habe mich draußen umgesehen und die Wache abgelöst. Seid Ihr schon ’mal mit auf Biber gewesen?“

„Nein.“

„So, da giebts also doch noch was Neues für Euch. Werdet aber nicht ohne Lehrmeister sein; der Junge weiß die Dämme zu säubern.“

Auch Winnetou grüßte mich mit einem in seiner Art freundlichen „Howgh!“ und machte dann Harry sein indianisches Kompliment:

„Der Sohn Ribanna’s ist stark wie die Krieger vom Ufer des Gila. Sein Auge wird viele Biber sehen und seine Hand nicht tragen können die große Zahl der Felle.“

Und den Blick bemerkend, welchen ich, nach Swallow suchend, über das Thal warf, meinte er beruhigend: „Mein guter Bruder kann gehen; sein Freund wird sorgen für das Roß, welches auch besitzt die Liebe des Apachen.“

Nachdem wir durch die Kluft gegangen waren, wandten wir uns, der Richtung, aus der wir gestern kamen, entgegengesetzt, nach links und schritten den Lauf des Wassers abwärts, bis wir an die Stelle gelangten, an welcher es sich in den Mankizila ergoß.

Dichtes, fast undurchdringliches Gestrüpp bestand die Ufer des Flusses, und die Ranken des wilden Weines kletterten an den engstehenden Stämmen empor, liefen von Zweig zu Zweig, ließen sich, fest ineinander geschlungen, von oben hernieder, stiegen am nächsten Baum wieder in die Höhe und bildeten so ein Wirrwarr, in welches man sich nur mit Hülfe des Messers Eingang zu verschaffen vermochte.

Sam, der Kleine, war immer vor uns hergegangen, und seine vollbepackte Gestalt erinnerte mich lebhaft an die slowakischen Mausefallenhändler, welche sich drüben in meinem freundlichen Heimathsstädtchen von Zeit zu Zeit sehen ließen. Trotzdem in der Nähe kein feindliches Wesen zu vermuthen war, vermied sein großbeschuhter Fuß mit bewundernswerther Behendigkeit jeden Punkt, welcher eine Spur seines leisen Trittes zurückbehalten konnte, und die kleinen Aeuglein streiften mit ununterbrochener Beweglichkeit bald rechts, bald links über die reiche Vegetation, welche trotz der späten Jahreszeit mit der Ueppigkeit zu wetteifern vermochte, welche die jungfräulichen Bottoms des Mississippithales hervorbringen.

Jetzt hob er einige Ranken in die Höhe und kroch, sich bückend, unter ihnen hindurch.

„Kommt, Sir,“ forderte Harry, ihm folgend, mich auf. „Hier zweigt unser Biberpfad ab.“

Wirklich zog sich hinter dem grünen Vorhange eine schmale, offene Linie durch das Dickicht und wir schlüpften, immer parallel mit dem Flusse, eine ansehnliche Weile zwischen dem Baum- und Strauchgewirr hindurch, bis Sam bei einem halb knurrenden, halb pfeifenden Laute, welcher vom Wasser her vernehmlich wurde, innehielt und, sich zu uns wendend, die Hand an den Mund legte.

„Wir sind da,“ flüsterte Harry, „und die Wache hat Verdacht geschöpft.“

Nach einer Weile, während welcher die tiefste Stille in der Umgebung herrschte, schlichen wir wieder vorwärts und gelangten an eine Biegung des Flusses, welche uns Gelegenheit bot, eine ansehnliche Biberkolonie zu beobachten.

Ein breiter, für einen vorsichtigen menschlichen Fuß gangbarer Damm war weit in das Wasser hinein gebaut, und die vierfüßigen Bewohner desselben waren eifrig beschäftigt, ihn zu befestigen und zu vergrößern. Drüben am andern Ufer sah ich eine Anzahl der fleißigen Thiere bemüht, vermittelst ihrer scharfen Zähne schlanke Stämmchen so zu durchnagen, daß sie in das Wasser fallen mußten; andere waren mit dem Transporte dieser Bäume beschäftigt, die sie schwimmend vor sich herschoben, und noch andere beklebten den Bau mit fettem Erdreiche, welches sie vom Ufer herbeibrachten und vermittelst der Füße und des breiten, als Kelle gebrauchten Schwanzes an das Holz- und Strauchwerk befestigten.

Mit Interesse betrachtete ich das Treiben des regsamen Völkchens und hatte ganz besonders meine Aufmerksamkeit auf ein ungewöhnlich großes Exemplar gerichtet, welches

in wachsamer Haltung auf dem Damme saß und allem Augenscheine nach als Sicherheitsposten fungirte. Da plötzlich spitzte der dicke Kerl die kurzen Ohren, machte eine halbe Drehung um seine Achse, stieß den schon erwähnten Warnungsruf aus und war im nächsten Augenblicke unter dem Wasser verschwunden.

Im Nu folgten die andern nach, und es war höchst possirlich zu sehen, wie sie beim Untertauchen den Hinterkörper in die Höhe warfen und der Wasserfläche mit dem platten Schwanze einen Schlag versetzten, daß es weithin schallte und das Wasser hoch in die Höhe spritzte.

Freilich war es nicht Zeit, sich humoristischen Betrachtungen hinzugeben; denn diese unerwartete Störung konnte blos durch das Nahen eines feindlichen Wesens hervorgerufen worden sein, und der größte Feind dieser friedlichen und so gesuchten Thiere ist — der Mensch.

Noch war deshalb der letzte der Biber nicht unter der Wasserfläche verschwunden, so lagen wir schon, die Waffe in der Hand, unter den tief herabhängenden Zweigen einiger Pinien und erwarteten mit Spannung das Erscheinen des unwillkommenen Gastes. Nicht lange dauerte es, so bewegten sich eine Strecke aufwärts von uns die Spitzen des Röhrichtes, und nur wenige Augenblicke später sahen wir zwei Indianer schleichenden Schrittes am Ufer herabkommen. Der Eine hatte mehrere Fallen über der Schulter hängen; der Andere trug eine Anzahl Felle, beide aber waren vollständig bewaffnet und beobachteten eine Haltung, welcher man es anmerkte, daß sie sich in Feindesnähe wußten.

„Zounds!“ zischte Sam durch die Zähne; „sind die Schurken über unsere Fallen gerathen und haben geerntet,

wo sie nicht gesät haben, wenn ich nicht irre. Wartet, Ihr Hallunken, meine Liddy hier mag Euch sagen, wem die Eisen gehören und die Pelze!“

Er nahm die Büchse langsam auf und machte sich schußfertig. Ich traute wirklich dem alten Kanonenrohre keinen nur einigermaßen leidlichen Schuß zu und war auch von der Nothwendigkeit, die beiden Rothhäute ohne Lärmen niederzustoßen, so sehr überzeugt, daß ich den alten Trapper am Arme faßte. Auf den ersten Blick hatte ich bemerkt, daß es Ogellalla’s seien, und die schwarze Tätowirung ihres Gesichtes gab mir die Gewißheit, daß sie sich nicht auf einem Jagdzuge, sondern auf dem Kriegspfade befanden. Sie waren also nicht allein in der Nähe und jeder Schuß konnte ihnen Helfer oder doch wenigstens Rächer herbeirufen.

„Nicht schießen, Alter! Nehmt das Messer. Sie haben den Kriegspfeil ausgegraben und sind also wohl nicht nur zu Zweien.“

Der kleine, schießlustige Mann sah mich mit einer eigenthümlich zweifelhaften Miene an und entgegnete:

„Das sehe ich natürlich auch, sollte ich meinen, und freilich ist es besser, sie im Stillen auszulöschen; aber mein altes Messer ist zu sehr abgeschliffen, als daß es sich durch zwei solcher Männer hindurchbeißen könnte.“

„Pah! Ihr nehmt den Einen und ich den Andern; come on!“

„Hm! Viere von unsern besten Fallen; kostet jede drei einhalb Dollars. Würde mich freuen, wenn sie zu den gestohlenen Häuten noch ihre eigenen beiden Felle hergeben müßten, meine ich; aber wenn Euch eins von ihren Messern

in die Seele fährt, Sir, dann habt Ihr Eure letzten Boudins gegessen, wenn ich mich nicht irre!“

„Vorwärts, Mann, ehe es zu spät ist!“

Die beiden Indianer standen jetzt, von uns abgewendet, gerade vor uns und suchten nach Fußspuren im Boden. Leise, leise schob ich mich, die Büchse zurücklassend und das Messer zwischen die Zähne nehmend, vorwärts. Da flüsterte es ängstlich ganz nahe an meinem Ohre:

„Bleibt, Sir! Ich werde es an Eurer Stelle thun.“ Harry sprach diese Worte.

„Danke, bringe es auch noch fertig!“

Mit diesen leise geflüsterten Worten hatte ich auch schon den Rand des Gebüsches erreicht, sprang empor, hatte im nächsten Augenblicke den mir am nächsten Stehenden der Indianer mit der Linken beim Nacken und stieß ihm mit der Rechten das Messer zwischen die Schultern, daß er sofort lautlos zusammenbrach. Rasch drehte ich mich mit der zurückgezogenen Klinge zur Seite, um nöthigenfalls den andern auch zu nehmen; aber auch dieser lag auf der Erde, und Sam stand mit ausgespreizten Beinen über ihm, hatte sich die lange Skalplocke um die Linke gewickelt, und zog ihm die losgeschnittene Kopfhaut vom Schädel.

„So, mein Junge; nun kannst Du in den ewigen Jagdgründen so viel Fallen stellen, wie es Dir beliebt, aber die unsrigen wirst Du dort nicht gebrauchen können.“

Und den blutenden Skalp im Grase abwischend, fügte er mit kurzem Lachen hinzu:

„Das eine Fell haben wir, und das andere — aber by god, Sir, Ihr habt einen sichern Stoß und dazu das Herz gradrichtig unter dem Pfeifenfutterale. Hätt’s nicht

gedacht, meine ich, saht mir so — so — so unverheirathet aus. Aber wollt Ihr Euch nicht Euren Skalp nehmen?“

„Meinen Scalp, Sam? Den werde ich am liebsten da behalten, wo er angewachsen ist.“

„Gut, gut, Sir; seid der rechte Mann, laßt Euch den Humor durch den Geruch eines Tropfens Indianersaft nicht verderben. Meinte aber dieses Rattenfell hier. Wollt wohl mir es lassen?“ setzte er schmunzelnd hinzu.

„Kann es nicht gebrauchen. Nehmt es!“

„Danke, Sir, danke. Macht mir das größeste Gaudium, einen solchen Schnitt thun zu können, meine ich. Habe auch Grund dazu. Da seht her!“

Er riß sich den traurigen Filz vom Kopfe und zog dabei die eigene langhaarige Haut mit ab. Ich erschrak fast über den den Anblick, welchen der kahle, blutigrothe Schädel bot.

„Was sagt Ihr dazu, Sir, wenn ich mich nicht irre? Hatte meine Haube von Kindesbeinen an ehrlich und mit vollem Rechte getragen und kein Lawyer (Advokat) hat es gewagt, sie mir streitig zu machen, bis so ein oder zwei Dutzend Pawnee’s um mich waren und mir die Haare nahmen. Bin dann nach Tekama gegangen und habe mir dort eine neue Haut gekauft. Nannten es eine Perrücke, und kostet mich zwei dicke Bündel Biberfelle, meine ich. Schadet aber Nichts; denn die neue ist zuweilen praktischer als die alte, besonders im Sommer; kann sie abnehmen, wenn mich schwitzt. Aber trotzdem hat manche Rothhaut dafür untergehen müssen, und ein Skalp macht mir mehr Vergnügen als der feinste Dickschwanz.“

Während dieser Worte hatte er sich Hut und Perrücke wieder aufgestülpt und dem zweiten Indianer die Kopfhaut -

Kopfhaut genommen. Der alte Mann war von mir unterschätzt worden. Er war trotz seiner unansehnlichen Gestalt eine jener eisernen, im Kampfe mit den Elementen und in tausenderlei Gefahren gestählten Naturen, wie sie der Westen so zahlreich bietet. Und als er unter derb scherzenden Worten aber mit von Haß und Grimm verzerrten Zügen und wuthblitzenden Augen sich über die Leiche beugte und raschzuckenden Schnittes mit dem Messer um Stirn und Schläfe derselben fuhr, machte er auf mich den Eindruck der wildesten Unversöhnlichkeit.

Ich wandte mich ab, von jenem vor mir selbst grauenden und der Reue ähnlichen Gefühle erfüllt, welches in den Herzen aller Derer wohnen sollte, welche die stolzen Nationen der amerikanischen Savannen heimathslos und vogelfrei erklärt, mit Gift, Feuer und Schwert gelichtet und zwischen die Kannons der Felsengebirge getrieben haben, wo ihnen nur die Wahl bleibt, ruhm- und ehrlos hinzusterben oder mit kämpfender Hand den Todesstoß zu empfangen.

Vor mir stand Harry. Sein Auge ruhte finster auf den beiden entseelten Körpern, und erst nach und nach, als er es zu mir erhob, bekam es einen freundlicheren Ausdruck.

„Warum nahmt Ihr den Skalp nicht für Euch, Sir?“ fragte er. „Habt schon Winnetou einen gelassen.“

Es war jetzt keine Zeit zu einer langen Auseinandersetzung, denn hinter jedem Baume konnte die Sehne eines Bogens schwirren oder der Hahn einer Büchse knacken, und es war vor allen Dingen nothwendig, das Lager zu alarmiren und die Jäger auf die Nähe der Indianer aufmerksam zu machen.

„Greift zu, Sam; wollen die Indsmen unsichtbar machen!“

„Habt Recht, Sir! Ist nothwendig das, meine ich. Aber der kleine Sir mag doch ein wenig hinter die Büsche treten; ich wette meine Moccassins gegen ein paar Ballettschuhe, daß es in kurzer Zeit hier rothe Männer geben wird.“

Harry folgte der Warnung des Alten, und ich verbarg mit seiner Hilfe die Leichen, welche wir vorsichtigermaßen nicht in das Wasser stoßen durften, unter dem Uferschilf. Als wir damit fertig waren, meinte Hawkens:

„So, das wäre gethan, und nun geht Ihr mit dem kleinen Sir nach der „Festung“ und warnt unsere Leute, während ich diese Spuren zurückgehen werde, um etwas mehr zu erfahren, als die beiden Braunen uns gesagt haben, scheint es mir.“

„Mögt nicht lieber Ihr zum Vater gehen, Sam Hawkens?“ fragte Harry. „Ihr versteht besser mit den Fallen umzugehen und vier Augen sehen mehr als zwei.“

„Hm! Wenn der kleine Sir es nicht anders will, so muß ich’s schon thun, meine ich; aber wenn „der Stock anders schwimmt“, als er es jetzt denkt, so mag ich nicht die Schuld haben.“

„Habt sie auch nicht, Alter! Wißt schon, daß ich nicht gern etwas anderes thue, als was mir beliebt. Eure zwei Skalps habt Ihr; muß sehen, daß ich mir mein Theil auch hole. Kommt, Sir!“

Er ließ den kleinen Trapper stehen und wand sich durch das Dickicht weiter vorwärts. Ich folgte ihm.

Obgleich es die Umstände erforderten, daß ich meine

volle Aufmerksamkeit auf die Umgebung richtete, konnte ich doch nicht umhin, an das Verhalten des Knaben zu denken, welcher mit der vollständigen Gewandtheit eines erfahrenen Waldläufers sich geräuschlos durch das Gestrüpp arbeitete und in jeder seiner Bewegungen ein Bild der angestrengtesten Vorsicht bot.

Es war nicht anders möglich, er mußte schon von Jugend auf mit dem Leben im „Jagdlande“ vertraut sein, mußte Eindrücke empfangen haben, welche seine Sinne geschärft, sein Gefühl gehärtet und dem Laufe seines Schicksales eine so ungewöhnliche Richtung gegeben hatten.

Wohl beinahe eine Stunde lang waren wir ununterbrochen vorwärts gedrungen, als wir an eine zweite Biberkolonie kamen, deren Bewohner aber nicht außerhalb ihrer Wohnungen zu erblicken waren.

„Hier hatten wir die Fallen gestellt, welche wir den Rothhäuten wieder abgenommen haben, Sir, und weiter droben theilt sich der Bee-fork ab, wo wir ursprünglich hinwollten. Doch wird’s wohl anders kommen, denn seht, die Spuren laufen nach dem Walde, aus welchem sie gekommen sind. Wir müssen sie verfolgen.“

Er stand im Begriffe, weiter zu gehen, als ich ihn zurückhielt.

„Harry!“

Er blieb stehen und sah mich fragend an.

„Wollt Ihr nicht lieber umkehren und das andere mir allein überlassen?“

„Wie kommt Ihr auf diesen Gedanken?“

„Kennt Ihr die Gefahren, welche unserer da vorn vielleicht warten?“

„Warum sollte ich nicht? Sie können unmöglich größer

sein als diejenigen, denen ich schon getrotzt und die ich überwunden habe.“

[„]Ich möchte Euch erhalten!“

„Das will ich und das werde ich ja auch. Oder glaubt Ihr etwa, daß mich der Anblick eines buntbemalten Mannes zu erschrecken vermöge?“

Wieder ging es vorwärts. Wir entfernten uns jetzt vom Flusse und schritten leicht zwischen den schlanken und freien Stämmen des Hochwaldes hin, welcher ein dichtes, grünes Dach über den mit feuchtem Moose überzogenen Boden wölbte; in Folge dessen weicher Beschaffenheit desselben wir die Fußeindrücke ohne besonderen Scharfsinn erkennen konnten.

Da blieb Harry, welcher immer noch voranschritt, stehen. Es waren jetzt die Spuren nicht von zwei, sondern von vier Männern zu erkennen, welche zusammen gegangen waren und sich hier getrennt hatten. Die beiden von uns unschädlich gemachten hatten die vollständige Kriegsbewaffnung getragen, und da ich annahm, daß eine größere Anzahl ihrer Stammesgenossen vorhanden sei, welche nur durch ein wichtiges Unternehmen veranlaßt sein konnten, einen so weiten Weg mitten durch das Gebiet feindlicher Horden zu machen, so kam ich jetzt auf den Gedanken, daß dieses Unternehmen vielleicht mit dem gestörten Bahnüberfalle in Verbindung stehe und einer jener Rachezüge sei, bei denen die Indianer Alles aufbieten, um eine erlittene Beleidigung oder einen gehabten Verlust quitt zu machen.

„Was thun?“ fragte Harry. „Diese Spuren führen in der Richtung nach unserem Lager, welches wir der Entdeckung nicht aussetzen dürfen. Verfolgen wir sie, oder teilen wir uns, Sir?“

„Und diese vierfache Spur geht jedenfalls zum Lager der Rothhäute, welche sich natürlich verborgen haben und die Rückkehr ihrer Kundschafter abwarten. Vor allen Dingen müssen wir dieses aufsuchen, um Gewißheit über ihre Zahl und Zwecke zu bekommen. Der Eingang zu unserer Ritterburg wird ja von einem Posten bewacht, der das Seinige schon thun wird, unser Geheimniß zu bewahren.“

„Ihr habt Recht. Gehen wir vorwärts!“

Der Wald lief von der Höhe, zu welcher das Flußthal emporstieg, eine ansehnliche Strecke in die Ebene hinein und war von tiefen, felsigen Rinnen durchschnitten, in welchen Farrenkraut und wildes Beergesträuch üppig wucherte. Eben nahten wir uns leise einer dieser Einsenkungen, als ich einen brenzlichen Geruch bemerkte und, dadurch aufmerksam gemacht, so daß ich mit schärferem Blicke die Waldung zu durchdringen suchte, eine leichte, dünne Rauchsäule wahrnahm, welche, oft unterbrochen oder auch ganz verschwindend, in spielender Bewegung gerade vor uns zu den Baumkronen in die Höhe stieg.

Dieser Rauch konnte nur von einem Indianerfeuer kommen; denn während der Weiße das Holz gleich in seiner ganzen Länge in die Glut wirft und dadurch eine breite und hochleckende Flamme hervorbringt, welche stets eine ansehnliche und oft verrätherische Menge Rauches erzeugt, schiebt der Wilde die Scheite nur mit den Spitzen in das Feuer, wodurch nur eine kleine Flamme mit kaum wahrnehmbarem Rauche entsteht. Winnetou hatte mich auf das Vortheilhafte der letzteren Weise aufmerksam gemacht und wiederholt gesagt: „Die Bruder macht mit seinem

Feuer so viel Hitze, daß er sich nicht dran setzen kann, um sich zu wärmen.“

Ich hielt Harry zurück und machte ihn auf meine Bemerkung aufmerksam.

„Streckt Euch hinter jenes Gestrüpp; ich werde mir die Leute ansehen!“

„Warum nicht auch ich?“

„Einer genügt; bei Zweien ist die Gefahr des Entdeckens eine doppelt große.“

Er nickte zustimmend und schritt, behutsam jede Spur verwischend, seitwärts, während ich, von Stamm zu Stamm Deckung suchend, gegen die Rinne schlich.

Auf dem Grunde derselben saßen und lagen eng aneinander gedrängt, eine solche Menge Rothhäute, daß die Vertiefung sie kaum zu fassen vermochte; unten am Ausgange derselben stand, bewegungslos wie eine eherne Statue, ein junger, langhaariger Bursche, und auch hüben und drüben am Rande bemerkte ich Wachen, denen mein Nahen glücklicher Weise vollständig entgangen war.

Ich versuchte, die Lagernden zu zählen, und nahm deshalb jeden Einzelnen ins Auge, hielt aber bald in größter Ueberraschung inne. Als der Nächste am Feuer saß — war es denn nur auch möglich? — der weiße Häuptling Parranoh oder Tim Finnetey, wie er von Old Firehand genannt worden war. Ich hatte in jener Nacht sein Gesicht beim Scheine des Mondes und dann beim Niederstoßen seiner Person zu deutlich gesehen, um mich jetzt täuschen zu können, und doch wurde ich irre an mir selbst; denn von seinem Kopfe hing die prächtigste Skalplocke herab, während Winnetou sie ihm doch genommen

und nicht eine Minute lang aus seinem Gürtel gebracht hatte.

Da machte der Wachtposten, welcher diesseits der Schlucht stand, eine Bewegung nach dem Orte zu, an welchem ich von einem Felsstücke verborgen, lag, und ich mußte mich deshalb schleunigst zurückziehen.

Glücklich bei Harry angelangt, winkte ich ihm, mir zu folgen, und schritt nun den Weg, welchen wir gekommen waren, wieder bis zu der Stelle zurück, an welcher sich die Spuren theilten. Von hier aus verfolgten wir die neue Fährte, welche durch das dichteste Pflanzengewirr immer gerade auf das Thal zu lief, durch welches wir gestern gekommen und von dem Posten angerufen worden waren.

Es war mir jetzt klar, daß uns die Ogellalla’s Schritt um Schritt gefolgt waren, um sich an uns zu rächen. Unser Aufenthalt bei den Bahnarbeitern während der Krankheit Old Firehands hatte ihnen Zeit gegeben, alle verfügbaren Kräfte zusammenzuziehen; aber warum sich wegen uns Dreien eine so große Zahl streitbarer Krieger versammelt hatte, warum sie nicht schon längst über uns hergefallen waren und statt dessen uns ruhig hatten ziehen lassen, das konnte ich nicht begreifen, wenn ich nicht annehmen wollte, daß Parranoh von der Jägerniederlassung wisse und seine Pläne auf sämmtliche Angehörigen derselben erstrecke.

Die beiden Vorangeschlichenen hatten uns gut Bahn gebrochen, so daß wir verhältnißmäßig schnell vorwärts kamen und uns gar nicht mehr weit von dem senkrecht unsere Richtung durchschneidenden Thale befinden konnten,

als ich ein leises Klirren vernahm, welches hinter einem dichten Gebüsch wilder Kirschenstämmchen hervorklang.

Harry mit einer Handbewegung bedeutend, sich zu verstecken, legte ich mich sogleich auf den Boden nieder, zog das Messer und kroch auf einem Umwege der erwähnten Richtung zu. Das Nächste nicht an diesen Ort Gehörige, was ich erblickte, war ein Haufen eiserner Biberfallen, neben welchem ein Paar krumme Beinchen sichtbar wurden, welche in riesigen Moccassins staken. Weiter heranschleichend, bemerkte ich auch einen langes, weites Sackhemde, auf dessen oberem Theile die breite, runzelige Krämpe eines uralten Filzhutes lag, und etwas abwärts von dieser Krempe sah ich die geraden und dornig abstehenden Spitzen eines verworrenen Bartes, aus welchem zwei kleine Aeuglein munter und aufmerksam durch das Blätterwerk lugten.

Es war Sam, der Kleine. Aber wie war er nur hierhergekommen, da ich ihn doch längst in der „Burg“ vermuthete? Das war jedenfalls leicht und sofort zu erfahren; ich durfte ihn ja nur fragen, und als ich deshalb so geräuschlos wie möglich an ihn herankroch, machte mir der Schreck, welchen er über den unvermutheten Ueberfall haben mußte, schon im Voraus Vergnügen.

Leise, ganz leise griff ich nach der Büchse, welche an seiner Seite lag, zog die alte, vorsündfluthliche Liddy an mich heran und öffnete den rostbedeckten Hahn derselben. Bei dem dadurch verursachten Knacken fuhr er so schnell herum, daß ihm das überhängende Zweigwerk Hut und Perrücke abstreifte, und als er seine eigene Büchse auf sich gerichtet sah, wurde unmittelbar unter der in allen Regenbogenfarben spielenden Papageynase ein mächtig großes

Loch sichtbar, welches vor Erstaunen immer weiter aufgerissen wurde.

„Sam Hawkens,“ flüsterte ich, „wenn Ihr Euren Mund nicht bald zumacht, werde ich Euch das ganze Dutzend Fallen hineinschieben, welches hier liegt!“

„Good lack, Ihr habt mich erschreckt, Mann, wenn ich mich nicht irre!“ antwortete der Trapper, welcher trotz seiner Bestürzung keinen einzigen unvorsichtigen Laut von sich gegeben hatte und schleunigst Hut und Perrücke ihren verlorenen Herrschersitz wieder anwies.

„Glaubt Ihr nun noch immer, daß ich ein new-man sei, dem Ihr lehren müßt, die Büchse zu halten?“

„Hol’ Euch der Teufel, Sir! Mir ist’s in alle Glieder gefahren, meine ich; denn wenn Ihr eine Rothhaut gewesen wäret, so —“

„So hättet Ihr Eure letzten Boudins gegessen gehabt, wie Ihr vorhin sagtet. Hier habt Ihr Euer Schießgewehr! Und nun sagt, wie Ihr dazu kommt, Euch hier schlafen zu legen.“

„Schlafen? Na hört ’mal, von Schlafen war wohl gar keine Rede, wenn Ihr mir auch auf den Leib gerückt seid, ohne daß ich es gemerkt habe. Hatte meine drei Gedanken eben nur bei den zwei Rattenfellen, welche ich mir noch holen wollte, und Ihr braucht da drinnen den Andern bei Leibe nicht zu erzählen, daß der alte Sam überrumpelt worden ist.“

„Werde still sein.“

„Wo habt Ihr den kleinen Sir?“

„Steht da hinten. Wir hörten Eure Fallen klirren, und ich mußte natürlich wissen, was das für Glocken wären.“

„Glocken? Ist’s so laut gewesen? Sam Hawkens, was bist Du für ein alter, dummer Waschbär! Liegt das alte Maulthier da, um Skalpe zu fangen, und macht dabei einen Lärm, der droben in Kanada zu hören ist, wie mir scheint! Aber wie seid Ihr denn in die Richtung gerathen? Seid wohl auch hinter den beiden Rothhäuten her?“

Ich bejahte diese Frage und erzählte ihm, was ich gesehen hatte.

„Hm, wird viel Pulver kosten, viel Pulver, Sir! Kam da mit meinen Fallen das Wasser herauf und sah plötzlich zwei Braune, wenn ich mich nicht irre, die spionirend dort am Rande des Gebüsches, kaum acht Schritte von uns entfernt, standen. Natürlich duckte ich mich ins Gesträuch und gewahrte nun, daß der eine abwärts, der andere aber aufwärts ging, um das Thal abzusuchen, Wird ihnen aber schlecht bekommen, meine ich! Ich ließ den einen an mir vorüber und machte mich dann hierher, um die Burschen zu fragen, was sie gesehen haben, wenn sie nachher hier wieder zusammentreffen.“

„Glaubt Ihr es?“

„Meine es! Wenn Ihr klug sein wollt, so macht Euch da hinüber auf die andere Seite, damit wir sie dazwischen kriegen, und laßt den kleinen Sir nicht länger warten. Könnte sonst vor lauter Ungeduld einen Fehler machen.“

Ich folgte der Weisung und kehrte zu Harry zurück. Nachdem ich ihm in kurzen Worten Bericht erstattet hatte, nahmen wir eine Sam gerade gegenüber liegende Stellung ein und warteten auf die Rückkehr der beiden Rothhäute.

Lange wurde unsere Geduld auf die Probe gestellt, und

es vergingen fast einige Stunden, ehe wir den leisen Schritt eines heranschleichenden Menschen hörten. Es war einer von den Erwarteten, ein alter, verwetterter Bursche, der für die erbeuteten Skalps so wenig Platz an seinem Gürtel gefunden hatte, daß er die Außennähte seiner weiten Hosen in dicken Lagen mit dem Haare seiner erlegten Feinde ausgefranst hatte.

Kaum war er in unseren Bereich getreten, als er auch schon von hüben und drüben gepackt und „ausgelöscht“ wurde. Ebenso erging es dem Andern, welcher nach kurzer Zeit erschien, und nun kehrten wir, vereint, wie wir ausgegangen waren, in die Festung zurück.

Vor dem Thore suchten wir den Posten auf, welcher hinter dem beschützenden Gesträuch verborgen gelegen und den spionirenden Wilden, der in einer Entfernung von kaum einigen Schritten an ihm vorübergeschlichen war, wohl bemerkt hatte.

Sam blickte ihn erstaunt an.

„Bist ein Greenhorn gewesen, Will, und wirst ein Greenhorn bleiben, bis Dich ’mal die red-men beim Schopfe haben, meine ich. Hast wohl geglaubt, der Braune gehe hier nur Ameisen fangen, daß Du das Eisen stecken gelassen hast?“

„Sam Hawkens, wirf die Schlinge um Deine Zunge, sonst thue ich jetzt an Dir, was ich vorhin unterlassen habe! Will Parker ein Greenhorn! Der Spaß wäre schon einige Körner Pulver werth, altes Coon. Aber Deiner Mutter Sohn ist wohl nicht klug genug, um einzusehen, daß man einen Kundschafter laufen läßt, um nicht die Uebrigen durch seinen Untergang aufmerksam zu machen?“

„Sollst Recht haben, Mann, wenn Du nämlich nicht zu Indianerfellen kommen willst, wie mir scheint. Da“ — bei diesen Worten zeigte er die erbeuteten Skalps vor, und über sein Gesicht ging ein entzücktes Grinsen, welches eine erdbebenartige Bewegung des chaotischen Bartwuchses hervorbrachte — „laß Deines Vaters Kind einmal diese prachtvollen Häute ansehen! Ist das Nichts, Will Parker, frage ich Dich, wie mir scheint, ist das Nichts?“

„Eins,“ zählte der Angeredete, und es klang fast wie eine Art Neid aus seiner Stimme, „zwei — aber beim alten „Caw“, Mensch, wo hast Du diese kostbaren Dinger her? — drei — hört’s noch nicht auf, Sam Hawkens, he? — vier — die hast Du doch nicht allein geholt, wie?“

„Allein, ganz allein, wenn ich die Zwei nicht zähle, die mir der — der — der junge Skalper da abgelassen hat.“

„Abgelassen?“ fragte der Andere erstaunt und warf mir einen Blick zu, in welchem sich der aufrichtigste Zweifel über meine geistige Zurechnungsfähigkeit aussprach.

„Magst’s wohl nicht glauben? hi — hi — hi — Will Parker, he? Hast ja ’nen echten Kingsfieldstahl und ’ne gute Kentuckybüchse; laß Nichts vorüberlaufen, dann hast Du auch ’was, wenn ich mich nicht irre.“

Mit den letzten Worten wandte er sich dem Wasser zu, drehte sich aber, ehe er zwischen den Felsen verschwand, noch einmal um und warnte den Wachehaltenden:

„Mache Deine Augen auf! Da drüben im „Gutter“ giebt’s ein ganzes Nest Pfeilmänner. Könnten ihre Nasen auch zwischen Deine Beine stecken wollen. Wäre schade um Dich, wenn ich mich nicht irre, schade!“

Tief unter den um ihn hängenden Fallen begraben, schritt er uns voran, und bald standen wir an dem Ausgange der Schlucht und konnten den Thalkessel überblicken. Ein scharfer Pfiff des alten Trappers genügte, um sämmtliche Bewohner unseres Versteckes herbeizurufen, und mit gespannter Aufmerksamkeit folgten alle dem Berichte unseres Abenteuers.

Schweigend hörte Old Firehand ihn bis zu Ende, aber als ich ihm von Parranoh sagte, entfuhr ihm ein Ausruf der Verwunderung und zugleich der Freude.

„Wär’s möglich, daß Ihr Euch nicht getäuscht hättet, Sir? Dann könnte ich meinen Schwur wahr machen und ihn zwischen meine Fäuste nehmen, wie es jahrelang mein einziger, mein heißester Wunsch gewesen ist.“

„Die Haare allein machen mich irre.“

„O, die sind gleichgültig! Sam Hawkens mag Euch als Beispiel dienen, und es ist doch nicht ganz unglaublich, daß Ihr ihn in jener Nacht nicht recht getroffen habt. Die Seinen haben ihn gefunden und mitgenommen. Während ich krank war, hat er sich erholt, hat uns beobachten lassen und ist uns dann gefolgt.“

„Aber warum griff er uns nicht an?“

„Weiß es nicht; wird aber jedenfalls seinen Grund haben, den wir auch erfahren. Seid Ihr müde, Sir?“

„Könnte es nicht behaupten.“

„Ich muß den Mann selbst sehen. Wollt Ihr mich begleiten?“

„Versteht sich. Nur muß ich Euch auf das Gefährliche dieses Ganges aufmerksam machen. Die Indianer werden vergebens auf ihre ausgesandten Späher warten, sich bald nach ihnen umsehen und die Todten finden. Wir

gerathen zwischen die Suchenden und werden vielleicht von den Unsrigen abgeschnitten.“

„Das Alles ist möglich; aber ich kann unmöglich bleiben und ruhig zuwarten, bis sie uns finden. Dick Stone!“

„Sir!“

„Hast Du es gehört, wohin es gehen soll?“

„Denke es.“

„Hole Deine Gun (Schießgewehr) und schnür’ Dich ein wenig fester, altes Gerippe! Wir sehen nach Rothhäuten.“

„Bin dabei, Sir; das muß so sein. Reiten wir?“

„Nein; es geht nur bis zum „Gutter“. Ihr Andern aber rührt die Hände und deckt die „Catches“ (Versteck für Häute) mit Rasen zu. Man kann nicht wissen, wie es geht, und wenn die Braunen je zwischen unsere Felsen kommen, sollen sie wenigstens nichts von dem finden, was sie brauchen können. Harris, Du gehst zu Will Parker, und Du, Bill Bulcher, magst auf Ordnung sehen, während wir fort sind!“

„Vater, laß mich bei Dir sein,“ bat Harry.

„Kannst mir zu nichts dienen, Kind. Ruhe Dich aus; wirst schon noch zur rechten Stelle kommen!“

Harry wiederholte seine Bitte; aber Firehand hielt an seiner Bestimmung fest, und so schritten wir bald wieder zu Dreien durch das Bett des Baches hinaus.

Dick Stone war nicht weniger ein Original wie Sam Hawkens. Unendlich lang und entsetzlich dürr und ausgetrocknet, hing seine knochige Gestalt weit vornüber, so daß es schien, als gebe es für seine Augen keine andere Perspektive als diejenige auf die beiden Füße, welche an ein paar Beine gewachsen waren, deren Ausdehnung einem angst und bange machen konnte. Ueber die festen, kernigen

Jagdschuhe hatte er ein Paar lederne Gamaschen geschnallt, welche noch ein gut Stück des Oberschenkels bedeckten; der Leib steckte in einem enganliegenden Kamisol, das mittelst eines breiten Gürtels, in und an welchem neben Messer und Revolver die verschiedensten kleinen Nothwendigkeiten staken und hingen, zusammengehalten wurde; um die breiten eckigen Schultern zog sich eine wollene Decke, deren Fäden die ausgedehnteste Erlaubniß hatten, nach allen Himmelsgegenden auseinander zu laufen, und der kurzgeschorene Kopf saß in einem Dinge, dessen Definition geradezu eine Sache der reinsten Unmöglichkeit war.

Draußen angekommen schritten wir nach einigen kurzen Weisungen an der Wache vorüber, dem Orte zu, an welchem sich Hawkens versteckt gehabt hatte. Die von dort nach der Schlucht führende Richtung war jedenfalls die für uns vortheilhafteste; denn wir hatten von beiden Seiten Deckung und waren sicher, denjenigen von den Indianern zu begegnen, welche annehmbarerweise ihren Versteck verlassen hatten, um nach dem Verbleiben der uns Begegneten zu sehen.

Winnetou hatte kurz nach unserem frühzeitigen Aufbruche am Morgen das Lager auch verlassen und war noch nicht zurückgekehrt. Er wäre uns auf dem jetzigen Gange der willkommenste Begleiter gewesen, und ich konnte, da ich ihn wirklich liebgewonnen hatte, mich einer leisen Sorge um ihn nicht erwehren. Es war ja ein Zusammentreffen mit dem Feinde so leicht möglich, und in diesem Falle war er trotz seiner Tapferkeit verloren.

Eben dachte ich an diesen Umstand, als sich plötzlich neben uns die Büsche theilten und der Apache vor uns stand. Unsere Hände, welche beim ersten raschelnden Laute

der Zweige nach den Waffen gegriffen hatten, fuhren von denselben zurück, als wir ihn erkannten.

„Winnetou wird gehen mit den weißen Männern, um zu sehen Parranoh und die Ogellalla’s.“

Erstaunt blickten wir ihn an. Er wußte also schon von der Anwesenheit der Indianer.

„Hat mein rother Bruder die Krieger der grausamsten Stammes der Sioux gesehen?“

„Winnetou muß wachen über seinen jungen Bruder und über den Sohn Ribanna’s. Er ist hinter ihnen gegangen und hat gesehen ihre Messer fahren in das Herz der rothen Krieger. Parranoh hat sich genommen den Schädel eines Mannes vom Volke der Osagen; sein Haar ist eine Lüge, und seine Gedanken sind voller Falschheit. Winnetou wird ihn tödten.“

„Nein, der Häuptling der Apachen wird ihn nicht berühren, sondern ihn mir lassen!“ entgegnete Old Firehand.

„Winnetou hat ihn schon einmal geschenkt seinem weißen Freunde!“

„Er wird mir nicht wieder entgehen, denn meine Hand —“

Nur das letzte Wort hörte ich noch; denn in dem Augenblicke, in welchem es gesprochen wurde, sah ich zwei glühende Augen hinter dem Strauche, welcher die Biegung der Fußspuren verbarg, hervorleuchten und hatte mit einem raschen Sprunge den Mann gepackt, dem sie angehörten.

Es war der, von welchem gesprochen wurde, Parranoh, und kaum stand ich vor ihm und warf ihm die Finger um die Kehle, so raschelte es zu beiden Seiten, und eine Anzahl Indianer sprangen hervor, ihrem Häuptlinge zu Hilfe.

Die Freunde hatten meine Bewegung gesehen und stürzten sich sofort auf meine Angreifer. Wie es kam, ich weiß es nicht, aber ich hatte den weißen Häuptling, welcher mir an Stärke und Geschicklichkeit doch weit überlegen war, unter mir. Meine Kniee auf seiner Brust, die Finger der Linken um den Hals und die Rechte um seine Hand, welche das Messer gepackt hatte, krümmte er sich unter mir wie ein Wurm und machte die wüthendsten Anstrengungen, mich von sich zu stoßen. Ich hatte keine Zeit, auch nur einen einzigen Blick auf das um mich herumwogende Getümmel zu werfen; denn bei dem geringsten Versehen meinerseits war ich verloren, und nie im ganzen Leben habe ich es mehr gefühlt, daß sich die Kräfte des Menschen im Augenblicke solcher Gefahr verdoppeln, ja verzehnfachen können.

Mit den Füßen wie ein angeketteter Stier um sich schlagend, versuchte er, in riesenkräftigen Rucken sich emporzuschnellen; der falsche, langbehaarte Schädel lag neben ihm, und die Augen traten weit mit Blut unterlaufen aus ihren Höhlen; vor dem Munde stand ihm der gährende Schaum der Wuth, und die nackte, von dem Skalpmesser Winnetou’s barbierte Kopfblöße schwoll unter der Anstrengung aller Fasern und Nerven und dem wilden Schlage des zusammengedrückten Pulses mit einer erschreckenden Häßlichkeit auf. Mir war, als hätte ich ein rasendes Thier unter mir, und mit mir jetzt unbegreiflicher Gewalt krampfte ich meine Finger um seine Kehle, so daß er einige Male konvulsivisch zusammenzuckte, den Kopf hintenüber legte und, die Augen verdrehend, unter einem immer leiser werdenden Zittern die Glieder von sich streckte; — er war besiegt.

Jetzt endlich blickte ich, mich erhebend, um mich, und es bot sich mir eine Scene, wie sie die Feder nie zu beschreiben vermag. Keiner der Kämpfenden hatte, aus Sorge, dem Feinde Hülfe herbeizurufen, eine Schußwaffe gebraucht, sondern nur das Messer und der Tomahawk waren thätig gewesen. Keiner von ihnen stand aufrecht, sondern Alle lagen am Boden und wälzten sich in ihrem oder dem Blute ihres Gegners.

Winnetou stand eben im Begriffe, einem unter ihm Liegenden die Klinge in die Brust zu stoßen; er bedurfte meiner nicht. Old Firehand lag auf einem der Gegner und versuchte, einen zweiten, welcher ihm den Arm zerfleischte, von sich abzuhalten. Ich eilte ihm zu Hülfe und schlug den Dränger mit seinem eigenen Beile, welches ihm entfallen war, nieder. Dann ging’s zu Dick Stone, welcher zwischen zwei todten Rothhäuten unter einem riesigen Manne lag, der sich alle Mühe gab, einen tödtlichen Stich anzubringen. Es gelang ihm nicht; das Beil des Stammesgenossen machte seiner Bemühung ein Ende.

Stone erhob sich und brachte seine Gliedmaßen in Ordnung.

„By god, Sir, das war Hülfe zur rechten Zeit! Drei gegen Einen ist doch, wenn man nicht schießen darf, ein wenig zu viel; habt Dank!“

Auch Old Firehand streckte mir die Hand entgegen und wollte eben sprechen, als sein Blick auf Parranoh fiel.

„Tim Finn — ists möglich? Der Häuptling selber! Wer hats mit ihm zu thun gehabt?“

„Mein junger weißer Bruder hat ihn niedergeworfen,“ antwortete Winnetou statt meiner, und bemerkend, daß der Todte nicht verletzt, sondern nur durch den Druck der Hand

besiegt worden war, fügte er mit einem Ausdruck des Erstaunens, wie ich ihn noch nie gehört hatte, hinzu: „Der große Geist hat ihm die Kraft des Büffels gegeben, der die Erde pflügt mit seinem Horne.“

„Mann,“ rief Old Firehand, „wie Euch, so hab’ ich noch keinen getroffen, so weit ich auch herumgekommen bin, und Ihr wollt nach dem Westen gekommen sein, nur um Steine und Pflanzen kennen zu lernen?“

Statt aller Antwort legte ich meine Hand auf seinen Arm. Die fast übermenschliche Anstrengung hatte meine Kräfte so überschritten, daß ich wie ein Frierender am ganzen Körper zitterte und kaum im Stande war, die Hand an der Stelle festzuhalten.

„Fühlt Ihr jetzt, was für ein gewaltiger Held ich bin, Sir? Der Schwächste wehrt sich, wenn es sein Leben gilt, und hier handelte es sich nicht blos um das Meinige; denn wenn er obenauf gekommen wäre, so war es vielleicht aus mit uns allen Vieren. Die Partei des Ueberlebenden von uns Beiden mußte siegen.“

„Aber wie ist es möglich, daß er mit den Seinen hier versteckt sein konnte, da Winnetou dort in der Nähe war?“

„Der weiße Häuptling ist nicht verborgen gewesen an der Seite des Apachen. Er hat bemerkt die Spuren seiner Feinde und ist ihnen nachgegangen auf ihrem Pfade. Seine Männer werden ihm nachkommen, und meine weißen Brüder müssen Winnetou schnell folgen in ihre Wigwams.“

„Hat Recht, der Mann!“ bekräftigte Dick Stone. „Das muß so sein, und wir werden sehen müssen, daß wir zu den Unsrigen kommen.“

„Gut,“ erwiderte Old Firehand, von dessen Arm das

Blut in hellen Strömen floß; „auf alle Fälle aber müssen wir die Spuren des Kampfes möglichst beseitigen. Gehe doch ein wenig vorwärts, Dick, damit wir nicht etwa überrascht werden.“

„Soll geschehen, Sir, aber nehmt mir doch zuerst einmal das Messer aus dem Fleische. Ich kann nicht gut zu dem Dinge kommen. Und erlaubt, daß ich zuvor meinen drei Vettern nach dem Kopfe sehe; es scheint ihnen in den Haaren zu liegen.“

Nachdem er ihnen die Skalps genommen, trat er zu mir.

Einer von den Dreien hatte ihm das Messer in die Seite gestoßen, und durch das Ringen war es immer weiter hineingedrungen. Glücklicherweise stak es an keiner gefährlichen Stelle und hinterließ bei seiner Entfernung eine für Stone’s Eisennatur nur leichte Wunde.

In kurzer Zeit war das Nothwendige gethan und Dick Stone wurde herbeigeholt.

„Wie bringen wir unsern Gefangenen fort?“ fragte Old Firehand.

„Er wird getragen werden müssen,“ antwortete ich. „Wird aber seine Schwierigkeiten haben, wenn er vollständig zur Besinnung kommt.“

„Tragen?“ fragte Stone. „Ist mir seit etlichen Jahren nicht so wohl geworden und möchte diesem alten Knaben dieses Herzeleid auch nicht antun.“

Mit einigen Schnitten trennte er eine Anzahl der nebenanstehenden Stämmchen von der Wurzel, nahm die Decke Parranoh’s wieder vor, schnitt sie in Streifen und meinte, uns vergnügt zunickend:

„Bauen da eine Schleife, einen Schlitten, ein Rutschholz -

Rutschholz oder so etwas zusammen, binden das Mannskind darauf fest und trollen uns damit von dannen. Das muß so sein!“

Der Vorschlag ward angenommen und ausgeführt, und bald setzten wir uns in Bewegung, die allerdings eine so deutliche Spur zurückließ, daß der hinterher gehende Winnetou alle Mühe hatte, sie nur einigermaßen zu verwischen.

4.

Es war früh am andern Tage. Noch hatten die Strahlen der Sonne nicht die Spitze der umliegenden Berge berührt, und tiefe Ruhe herrschte im Lager. Ich aber war längst schon wach und auf den Felsen gestiegen, wo ich Harry wieder gefunden hatte.

Unten im Thale wälzten sich dichte Nebelballen um die Büsche, oben aber war die Luft rein und klar und wehte mir mit ermunternder Kühle um die Schläfe. Drüben hüpfte ein Kernbeißer unter Brombeerranken auf und ab und lockte mit schwellender, pfirsichblüthrother Kehle sein unfolgsames Weibchen; etwas tiefer saß ein blaugrauer Katzenvogel und unterbrach seinen Gesang zuweilen durch einen possierlichen, miauenden Schrei, und von unten herauf ertönte die wundervolle Stimme des Entenvogels, der am Schlusse jeder Strophe seiner musikalischen Bravour mit einem lauten Entengequakel applaudirte. Meine Gedanken aber waren weniger bei dem Frühkonzerte, als vielmehr bei den Erlebnissen des vorhergehenden Tages.

Nach dem Berichte eines unserer heimkehrenden Jäger, welcher, still durch die Waldungen schleichend, die Ogelalla’s auch bemerkt hatte, waren diese in noch größerer Anzahl vorhanden, als wir angenommen hatten; denn er war

unten in der Ebene an einem zweiten Lagerplatze vorübergekommen, an welchem sich auch die Pferde befunden hatten.

Es war also mit Bestimmtheit anzunehmen, daß ihr Kriegszug nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen unsere ganze Niederlassung gerichtet war, und aus diesem Grunde und der bedeutenden Anzahl der Feinde wegen, durften wir unsere Lage keineswegs zu den beneidenswerthen rechnen.

Die Vorbereitungen, welche getroffen werden mußten, einem Ueberfalle zu begegnen, hatten den gestrigen Nachmittag und Abend in der Weise ausgefüllt, daß wir keine Zeit gefunden hatten, über das Schicksal unseres Gefangenen eine Bestimmung zu treffen. Er lag wohlgebunden und gut bewacht in einer der Felsenkammern, und noch vorhin erst, gleich nach meinem Erwachen, hatte ich mich von der Zuverlässigkeit seiner Fesseln überzeugt.

Die nächsten Tage, vielleicht schon die heutigen Stunden mußten uns wichtige Entscheidungen bringen, und es war wirklich ein außergewöhnlicher Ernst, mit welchem ich an meine gegenwärtige Lage dachte, als ich durch nahende Schritte aus dem Sinnen wachgerufen wurde.

„Guten Morgen, Sir! Der Schlaf scheint Euch ebenso geflohen zu haben, wie mich.“

Ich dankte dem Gruße und antwortete:

„Wachsamkeit ist die nothwendigste Tugend in diesem gefahrvollen Lande, Sir.“

„Fürchtet Ihr Euch vor den Braunen?“ fragte Harry lächelnd, denn dieser war es.

„Ich weiß, daß Ihr diese Frage nicht im Ernste aussprecht. Aber wir zählen im ganzen dreizehn Mann und haben einen zehnfach überlegenen Feind vor uns. Offen

können wir uns desselben gar nicht erwehren, und unsere einzige Hoffnung besteht darin, von ihm nicht entdeckt zu werden.“

„Ihr seht die Sache doch etwas zu schwarz. Dreizehn Männer von der Art und Weise unsrer Leute vermögen schon ein Erkleckliches zu leisten, und selbst wenn die Rot^hhäute unser Versteck aufspürten, würden sie sich nichts als blutige Köpfe holen.“

„Ich hege andere Meinung. Sie sind ergrimmt über unsern Ueberfall, noch mehr aber über den gestrigen Verlust ihrer Leute, und wissen jedenfalls ihren Häuptling in unsern Händen. Sie haben natürlich nach den Fehlenden gesucht, die Leichen gefunden und dabei Parranoh vermißt, und wenn eine so zahlreiche Horde um irgend eines Zweckes willen solche Strecken zurücklegt wie diese, so wird dieser Zweck auch mit der möglichsten Energie und Schlauheit zu erreichen gesucht.“

„Alles ganz recht, Sir, aber noch kein Grund zu schlimmen Befürchtungen. Ich kenne diese Leute auch. Feig und verzagt von Natur, wissen sie nur hinterrücks zu handeln und den Wehrlosen anzugreifen. Wir haben ihre Jagdgründe durchstreift vom Mississippi bis zum stillen Meere, von Mexiko bis hinauf zu den Seen, haben sie vor uns hergetrieben, uns mit ihnen herumgeschlagen, vor der Uebermacht fliehen und uns verbergen müssen, aber immer, immer wieder die Faust am Messer gehabt und die Oberhand behalten.“

Ich sah ihn an, antwortete aber nicht, und es mußte in meinem Blicke etwas der Bewunderung Unähnliches gelegen haben, denn nach kurzer Pause fuhr er fort:

„Sagt, was Ihr wollt, Sir, es gibt Gefühle im Menschenherzen -

Menschenherzen, denen der thatkräftige Arm gehorchen muß, gleichviel ob er der eines Mannes oder eines Knaben ist. Hätten wir gestern den bee-fork erreicht, so wäre Euch ein Grab zu Gesicht gekommen, welches zwei Wesen birgt, die mir die liebsten und theuersten gewesen sind auf der ganzen, weiten Erdenrunde. Sie wurden hingeschlachtet von Männern, welche dunkles Haar und braune Haut besaßen, und seit jenen schrecklichen Tagen zuckt mir’s in der Hand, wenn ich eine Skalplocke wehen sehe, und mancher Indianer ist blutend vom Pferde geglitten, wenn die Pistole blitzte, aus welcher das tödtende Blei in das Herz meiner Mutter fuhr und deren Sicherheit Ihr ja auch bei New-Venango kennen gelernt habt.“

Er zog die Waffe aus dem Gürtel und hielt sie mir vor die Augen. Dabei sprach er weiter:

„Ihr seid ein guter Schütze, Sir; aber aus diesem alten Rohre würdet Ihr auf fünfzehn Schritte nicht den Stamm eines Hikory treffen. Ihr mögt also denken, wie oft und viel ich mich geübt habe, um meines Zieles gewiß zu sein. Ich weiß mit allen Instrumenten umzugehen; aber wenn es sich um Indianerblut handelt, dann greife ich nur zu diesem da; denn ich habe geschworen, daß jedes Körnchen Pulver, welches jene mörderische Kugel trieb, mit dem Leben einer Rothhaut bezahlt werden müsse, und ich glaube, ich stehe nicht sehr weit von der Erfüllung dieses Schwures. Dasselbe Rohr, welches die Mutter niederstreckte, soll auch das Werkzeug meiner Rache sein!“

„Ihr bekamt die Pistole von Winnetou?“

„Hat er Euch davon erzählt?“

„Ja.“

„Alles?“

„Nichts, als was ich eben sagte.“

„Ja, sie ist von ihm. Doch setzt Euch, Sir! Ihr sollt das Nothwendigste erfahren, wenn die Sache auch nicht eine solche ist, über welche man viele Worte machen könnte.“

Er nahm neben mir Platz, warf einen beobachtenden Blick über das unter uns liegende Thal und begann:

„Vater war Oberförster da drüben im alten Lande und lebte mit seinem Weibe und einem Sohne in ungetrübtem Glücke, bis die Zeit der politischen Gährung kam, welche so manchen braven Mann um seine Ziele betrogen hat und auch ihn in den Strudel trieb, welchem er sich schließlich nur durch die Flucht zu entziehen vermochte. Die Ueberfahrt kostete ihm die Mutter seines Kindes, und da er nach der Landung mittellos und ohne Bekannte in einer andern und neuen Welt stand, so griff er zum Ersten, was ihm geboten wurde, ging als Surveyer nach dem Westen und ließ den Knaben bei einer wohlhabenden Familie zurück, in welcher derselbe als Kind aufgenommen wurde.

Einige Jahre verflossen ihm unter Gefahren und Abenteuern, welche aus ihm einen von den Weißen geachteten, von ihren Feinden aber gefürchteten Westmann machten. Da führte ihn eine Jagdwanderung hinauf an den Quicourt, mitten unter die Stämme der Assineboins hinein, und hier traf er zum ersten Male mit Winnetou zusammen, welcher von den Ufern des Colorado kam, um sich am oberen Mississippi den heiligen Thon für die Calumets seines Stammes zu holen. Beide waren Gäste des Häuptlings Tah-scha-tunga, wurden Freunde und lernten in dem Wigwam desselben Ribanna, seine Tochter kennen.

Sie war schön, wie die Morgenröthe, und lieblich wie

die Rose des Gebirges. Keine unter den Töchtern des Stammes vermochte die Häute so zart zu gerben und das Jagdkleid so sauber zu nähen wie sie, und wenn sie ging, um Holz zu holen für das Feuer ihres Kessels, so schritt ihre schlanke Gestalt wie die einer Königin über die Ebene und von ihrem Haupte floß das Haar in langen Strähnen fast bis zur Erde herab. Sie war der Liebling Manitou’s, des großen Geistes, war der Stolz des Stammes, und die jungen Krieger brannten vor Begierde, sich die Skalps der Feinde zu holen, um sie ihr zu Füßen legen zu dürfen.

Aber Keiner von ihnen durfte die Hand um ihre Hüfte legen; denn sie liebte den weißen Jäger, welcher schöner war und tapferer, als alle die rothen Männer und zu ihr sprach mit sanfter wohltönender Stimme, deren Klang tief in ihr Herze drang und ihren jungfräulichen Busen erschwellen ließ unter süßen, sehnsüchtigen Gefühlen.

Auch in seiner Seele war aufgegangen das Feuer des Verlangens; er folgte der Spur ihres Fußes, wachte über ihrem Haupte und sprach mit ihr wie mit einer Tochter der Bleichgesichter. Da trat eines Abends Winnetou zu ihm.

„Der weiße Mann ist nicht wie die Kinder seines Volkes. Aus ihrem Munde fallen die Lügen wie die Boudins aus einem Büffelmagen; er aber hat stets die Wahrheit gesprochen zu Winnetou, seinem Freunde.“

„Mein rother Bruder hat den Arm eines starken Kriegers und ist der Weiseste beim Feuer der großen Berathung. Er dürstet nicht nach dem Blute der Unschuldigen und ich habe ihm gegeben die Hand eines Freundes. Er spreche!“

„Mein Bruder hat lieb Ribanna, die Tochter Tah-schatungas?“

„Sie ist mir lieber als die Herden der Prairie und die Skalpe aller rothen Männer.“

„Und er wird gut mit ihr sein und nicht hart reden zu ihren Ohren, sondern ihr sein Herz geben und sie schützen gegen die bösen Stürme des Lebens?“

„Ich werde sie auf meinen Händen tragen, und bei ihr sein in aller Noth und Gefahr.“

„Winnetou kennt den Himmel und weiß die Namen und die Sprache der Sterne; aber der Stern seines Lebens geht hinunter, und in seinem Herzen wird es dunkel und Nacht. Er wollte die Rose vom Quicourt nehmen in seinen Wigwam und an ihre Brust legen sein müdes Haupt, wenn er zurückkehrt vom Pfade des Büffels oder von den Dörfern seiner Feinde. Aber ihr Auge leuchtet auf seinen Bruder und ihre Lippen sprechen den Namen des guten Bleichgesichtes. Der Apache wird gehen aus dem Lande des Glückes, und sein Fuß wird einsam weilen an den Wogen des Gila. Seine Hand wird nimmermehr berühren das Haupt eines Weibes, und nie wird die Stimme eines Sohnes dringen an sein Ohr. Doch wird er zurückkehren zur Zeit, wenn das Elenn durch die Pässe geht, und wird sehen, ob glücklich ist Ribanna, die Tochter Tah-scha-tunga’s.“

Er drehte sich um, schritt in die Nacht hinaus und war am andern Morgen verschwunden.

Als er zur Zeit des Frühlings zurückkehrte, fand er Ribanna, und ihre strahlenden Augen erzählten ihm besser als Worte von dem Glücke, welches ihr beschieden war. Er nahm mich, das erst einige Tage alte Kind, von ihrem

Illustration2

Arme, küßte mir den kleinen Mund und legte seine Hand betheuernd auf mein Haupt:

„Winnetou wird sein über Dir wie der Baum, in dessen Zweigen die Vögel schlafen und die Thiere des Feldes Schutz finden vor der Fluth, die aus den Wolken rinnt. Sein Leben sei Dein Leben und sein Blut wie Dein Blut. Nie wird der Hauch seines Athems stocken und die Kraft seines Armes erlahmen für den Sohn der Rose vom Quicourt möge der Thau des Morgens fallen auf Deine Wege und das Licht der Sonne auf Deine Pfade, damit Freude habe an Dir der weiße Bruder des Apachen.“

Jahre vergingen, und ich wuchs heran. Aber ebenso wuchs auch das Verlangen des Vaters nach dem zurückgelassenen Sohne. Ich nahm Theil an den muthigen Spielen der Knaben und ward erfüllt von dem Geiste des Krieges und der Waffen. Da konnte Vater seiner Sehnsucht nicht länger gebieten; er ging nach dem Osten und nahm mich mit. Mir ging an der Seite des Bruders und mitten im civilisirten Leben eine neue Welt auf, von der ich mich nicht trennen zu können vermeinte. Vater kehrte allein zurück und ließ mich bei den Pflegeeltern des Bruders. Bald aber regte sich das Heimweh nach dem Westen mit solcher Macht in mir, daß ich es kaum zu bewältigen vermochte und nach dem nächsten Besuche des Vaters mit ihm wieder in die Heimath ging.

Daselbst angekommen fanden wir das Lager leer und vollständig ausgebrannt. Nach längerem Suchen entdeckten wir ein Wampum, welches Tah-scha-tunga zurückgelassen hatte, um uns bei unserer Ankunft von dem Vorgefallenen zu benachrichtigen.

Tim Finnetey, ein weißer Jäger, war früher oftmals

in unserem Lager gewesen und hatte die Rose vom Quicourt zur Squaw begehrt; aber die Assineboins waren ihm nicht freundlich gesinnt, denn er war ein Dieb und hatte schon zu mehreren Malen ihre „Catches“ geöffnet. Er wurde abgewiesen und ging mit dem Schwur der Rache auf den Lippen. Vom Vater, der mit ihm in den Black Hills zusammengetroffen war, hatte er erfahren, daß Ribanna sein Weib sei, und er ging zu den Schwarzfüßen, um sie zu einem Kriegszuge gegen die Assineboins zu bewegen.

Sie folgten seiner Stimme und kamen zu einer Zeit, in welcher die Krieger auf einem Jagdzuge abwesend waren. Sie überfielen, plünderten und verbrannten das Lager, tödteten die Greise und Kinder und führten die jungen Frauen und Mädchen gefangen mit sich fort. Als die Krieger zurückkehrten und die eingeäscherte Stätte sahen, folgten sie den Spuren der Räuber, und da sie ihren Rachezug nur einige Tage vor unserer Ankunft angetreten hatten, so war es uns vielleicht möglich, sie noch einzuholen.

Laßt mich’s kurz machen! Unterwegs stießen wir auf Winnetou, welcher über die Berge gekommen war, die Freunde zu sehen. Er wandte auf des Vaters Bericht, ohne ein Wort zu verlieren, sein Pferd, und nie im Leben werde ich den Anblick der beiden Männer vergessen, welche lautlos, aber mit glühendem Herzen und drängender, angstvoller Eile den Weg der Vorangezogenen verfolgten.

„Wir trafen sie am Bee-fork. Sie hatten die Schwarzfüße ereilt, welche im Flußthale lagerten und erwarteten nur die Nacht, um über sie herzufallen. Ich sollte bei der Pferdewache zurückbleiben; aber es ließ mir keine Ruhe, und als der Augenblick des Ueberfalles kam, schlich ich

mich zwischen die Bäume vor und kam gerade an dem Rande des Gehölzes an, als der erste Schuß fiel. Es war eine furchtbare Nacht. Der Feind war uns überlegen, das Kampfgeschrei verstummte erst, als der Morgen zu grauen begann.

Ich hatte das Gewirr der wilden Gestalten gesehen, das Aechzen und Stöhnen der Verwundeten und Sterbenden gehört und betend im nassen Grase gelegen. Jetzt kehrte ich zur Wache zurück. Sie war verschwunden. Unsägliche Angst bemächtigte sich meiner, und als ich jetzt das Freudengeheul der Feinde vernahm, wußte ich, daß wir besiegt seien.

Ich versteckte mich bis zum Abend und wagte mich dann auf den Platz, wo der Kampf stattgefunden hatte.

Tiefe Stille herrschte ringsum, und der helle Schein des Mondes fiel auf die leblos daliegenden Gestalten. Gepackt von grausem Entsetzen irrte ich zwischen ihnen herum, und — da lag sie, die Mutter, mitten durch die Brust geschossen, die Arme krampfhaft um das kleine Schwesterchen geschlungen, dessen Köpfchen von einem tiefen Messerhiebe klaffte. Der Anblick raubte mir die Besinnung; ich fiel ohnmächtig über sie hin.

Wie lange ich dagelegen, ich wußte es nicht. Es wurde Tag und Abend und wieder Tag; da hörte ich leise Schritte in der Nähe. Ich richtete mich empor und — o der Wonne — ich sah den Vater und Winnetou, beide in zerfetzten Kleidern und mit Wunden bedeckt. Sie waren der Uebermacht erlegen und gefesselt fortgeschleppt worden, hatten sich aber loszumachen gewußt und waren entflohen.“

Tief Athem holend hielt Harry inne und richtete sein

Auge mit starrem Ausdrucke in die Weite. Dann sich rasch zu mir wendend, fragte er:

„Ihr habt noch Eure Mutter, Sir?“

„Ja.“

[„]Was würdet Ihr thun, wenn Jemand sie Euch tödtete?“

„Ich würde den Arm des Gesetzes walten lassen.“

„Gut. Und wenn derselbe zu schwach oder zu kurz ist, wie hier im Westen, so leiht man dem Gesetze den eigenen Arm.“

„Es ist ein Unterschied zwischen Strafe und Rache, Harry! Die erstere ist eine nothwendige Folge der Sünde und eng verbunden mit dem Begriffe göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit; die zweite aber ist häßlich und betrügt den Menschen um die hohen Vorzüge, welche ihm vor dem Thiere verliehen sind.“

„Ihr könnt nur deshalb so sprechen, weil Euch kein Indianerblut durch die kalten Adern rinnt. Wenn der Mensch aber sich freiwillig dieser Vorzüge entäußert und zur lebensgefährlichen Bestie wird, so darf er auch nur als eine solche behandelt und muß verfolgt werden, bis ihn die tödtende Kugel ereilt hat. Als wir an jenem Tage die beiden Todten in die Erde gescharrt und so den Angriffen der Aasgeier entzogen hatten, da gab es in den Herzen von uns Dreien kein anderes Gefühl, als das des glühendsten Hasses gegen die Mörder unseres Glückes, und es war unser eigenes Gelübde, welches Winnetou aussprach, als er mit tiefgrollender Stimme schwur:

„Der Häuptling der Apachen hat in der Erde gewühlt und den Pfeil der Rache gefunden. Seine Hand ist geballt; sein Fuß ist leicht, und sein Tomahawk hat die Schärfe des Blitzes. Er wird suchen und finden Tim

Finnetey, den Mörder der Rose vom Quicourt, und seinen Skalp nehmen für das Leben Ribannas, der Tochter der Assineboins.“

„War Finnetey der Mörder?“

„Er wars. In den ersten Augenblicken des Kampfes, als es schien, daß die überraschten Schwarzfüße unterliegen würden, schoß er sie nieder. Winnetou sah es, stürzte sich auf ihn, entriß ihm die Waffe und würde ihn getödtet haben, wenn er nicht von Andern gepackt und nach verzweifelter Gegenwehr gefangen genommen worden wäre. Zur Verspottung ließ man ihm die ungeladene Pistole; sie kam später als sein Geschenk in meine Hand und hat mich nie verlassen, mochte ich meinen Fuß auf die Trottoirs der Städte oder den Grasboden der Prairie setzen.“

„Ich muß Euch sagen, daß —“

Er schnitt mir die Rede durch eine hastige Handbewegung ab.

„Was Ihr mir sagen wollt, weiß ich und habe es mir tausendmal schon selbst gesagt. Aber habt Ihr noch nie die Sage vom „flats-ghost“ vernommen, welcher in wilden Stürmen über die Ebene braust und Alles vernichtet, was ihm zu widerstehen wagt? Es liegt ein tiefer Sinn in ihr, welcher uns sagen will, daß der ungezügelte Wille sich wie ein brandendes Meer über die Ebene ergießen müsse, bevor die Ordnung civilisirter Staaten hier festen Fuß fassen kann. Auch durch meine Adern pulsirt eine Woge jenes Meeres und ich muß ihrem Drange folgen, obgleich ich weiß, daß ich in der Fluth versinken werde.“

Es waren ahnungsvolle Worte, welche er hiermit aussprach, und es folgte ihnen eine tiefe, gedankenreiche Stille

welche ich endlich mit einer leisen Vorstellung zu unterbrechen wagte. Er hörte mich ruhig an und schüttelte dann den Kopf. Mit beredtem Munde gab er eine Schilderung des Eindruckes, welchen jene Schreckensnacht auf sein Gemüth hervorgebracht hatte, eine Beschreibung seines spätern Lebens, welches ihn zwischen den Extremen der Wildniß und Gesittung hin- und hergeworfen hatte, und ich fühlte, daß ich nicht das Recht habe, ihn zu tadeln.

Da ertönte von unten herauf ein scharfer Pfiff. Er unterbrach sich und meinte:

„Vater ruft die Leute zusammen. Kommt nach unten. Es wird Zeit, den Gefangenen vorzunehmen.“

Ich erhob mich und ergriff seine Hand.

„Wollt Ihr mir eine Bitte erfüllen, Harry?“

„Gern, wenn Ihr nichts Unmögliches von mir verlangt.“

„Ueberlaßt ihn den Männern!“

„Ihr bittet gerade das, was ich nicht gewähren kann. Tausend und abertausend Male hat es mich verlangt, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und den Tod entgegenschleudern zu können; tausend und abertausend Male habe ich mir diese Stunde ausgemalt mit allen Farben, welche der menschlichen Phantasie zu Gebote stehen; sie ist das Ziel meines Lebens, der Preis aller Leiden und Entbehrungen gewesen, die ich durchkämpft und durchkostet habe, und nun, da ich so nahe an der Erfüllung meines größten Wunsches stehe, soll ich auf die Erfüllung desselben verzichten? Nein, nein, und abermals nein!“

„Dieser Wunsch wird erfüllt werden, auch ohne Eure unmittelbare Betheiligung; der Menschengeist hat nach höheren Zielen zu streben, als dasjenige ist, welches Ihr

Euch vorgesteckt habt, und das Menschenherz ist eines heiligeren und größeren Glückes fähig, als es die Befriedigung auch des glühendsten Rachegefühles bietet.“

„Denkt, wie Ihr wollt, Sir, nur laßt mir meine Meinung ebenfalls!“

„So wollt Ihr meinen Wunsch nicht erfüllen!“

„Ich kann nicht, wenn ich auch möchte. Kommt herab!“

Die außergewöhnliche Entwicklung des reich angelegten Knaben flößte mir ein hohes Interesse für ihn ein; ich mußte den Starrsinn, mit welchem er seinen blutigen Willen festhielt, beklagen, und eigenthümlich berührt von unserer Unterhaltung, folgte ich ihm langsam nach.

Nachdem ich erst zu Swallow gegangen war, um dem braven Thiere meinen Morgengruß zu bringen, trat ich zu der Versammlung, welche rund um den jetzt an einen Stamm gebundenen Parranoh stand. Man berieth über die Art seines Todes.

„Ausgelöscht muß er werden, der Hallunke, wenn ich mich nicht irre,“ meinte eben Sam Hawkens; „aber ich möchte meiner Liddy nicht das Herzeleid anthun, dieses Urtheil auszuführen, meine ich.“

„Sterben muß er; das muß so sein,“ stimmte Dick Stone, mit dem Kopfe nickend, bei, [„]und es soll mir Freude machen, ihn am Aste hängen zu sehen; denn ein Anderes hat er nicht verdient. Was meint Ihr, Sir?“

„Wohl,“ antwortete Old Firehand. „Unser schöner Platz hier darf aber nicht mit dem Blute dieses Scheusals verunreinigt werden. Da draußen am bee-fork hat er die Meinen gemordet, und draußen an derselben Stelle soll er auch seine Strafe finden. Der Ort, welcher meinen Schwur gehört, soll auch die Erfüllung desselben sehen.“

„Erlaubt, Sir,“ fiel Stone ein, „warum soll ich den skalpirten Rothweißen umsonst auf dem Schleifholze hierher transportirt haben? Glaubt Ihr, daß ich ein Vergnügen daran finde, den Braunhäuten dafür nun meine Schmachtlocken zu überlassen?“

„Was meint Winnetou, der Häuptling der Apachen?“ fragte Old Firehand, die Gründe dieses Einwurfs begreifend.

„Winnetou fürchtet nicht die Pfeile der Ogellalla’s; er trägt in seinem Gürtel die Haut des Hundes von Atabaskah und schenkt den Leib des Feindes seinem weißen Bruder.“

„Und Ihr?“ wandte sich der Fragende jetzt auch zu mir.

„Macht’s kurz mit ihm! Furcht vor den Indianern wird wohl Keiner von uns haben; aber ich halte es nicht für nöthig, uns in nutzlose Gefahr zu begeben und dabei unsern Aufenthalt zu verrathen. Der Mensch ist ein solches Wagniß nicht wert.“

„Ihr könnt ja hier bleiben, Sir, um Euer Schlafkabinett zu bewachen,“ rieth mir Harry mit zweifelhaftem Achselzucken. „Was aber mich betrifft, so verlange ich unbedingt das Urteil an demselben Orte vollstreckt, an welchem die Opfer des Mörders liegen. Das Schicksal bestätigt mein Verlangen dadurch, daß es ihn uns hier und nirgends anderswo in unsere Hände gab. Was ich verlange, bin ich denen schuldig, an deren Grabe ich den Schwur gethan habe, nicht zu ruhen und zu rasten, bis sie gerächt seien.“

Ich wandte mich, ohne zu antworten, ab.

Der Gefangene stand aufrecht an den Stamm gelehnt und verzog trotz der Schmerzen, welche die tief in sein

Fleisch eindringenden Fesseln ihm verursachen mußten, und trotz der ernsten Bedeutung, welche die Verhandlung für ihn hatte, keine Falte seines von Alter und Leidenschaft durchfurchten Angesichtes. In seinen abschreckenden Gesichtszügen stand die ganze Geschichte seines Lebens geschrieben, und der Anblick des nackten, in blutigen Farben spielenden Schädels erhöhte den schlimmen Eindruck, welchen der Mann selbst auf den unparteiischen Beschauer machen mußte.

Nach einer längeren Berathung, an welcher ich mich unbetheiligt hielt, löste sich der Kreis auf, und die Jäger rüsteten sich zum Aufbruche.

Der Wille des Knaben war also doch durchgedrungen, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß uns daraus Unheil entstehen müsse. Old Firehand trat zu mir und legte die Hand auf meine Schulter.

„Laßt es ruhig gehen, wie es gehen will, Mann, und legt keinen falschen Maßstab an Dinge, welche nicht nach der Schablone Eurer sogenannten Bildung geschnitten sind.“

„Ich gestatte mir kein Urtheil über Eure Handlungsweise, Sir. Das Verbrechen muß seine Strafe finden, das ist einmal richtig; doch werdet Ihr mir nicht zürnen, wenn ich meine, daß ich mit der Exekution nichts zu thun habe. Ihr geht nach dem Bee-fork?“

„Wir gehen, und da Ihr Euch nun doch mit der Sache nicht befassen wollt, so ist es mir lieb, Jemanden hier zu wissen, dem ich die Sicherheit unseres Lagerplatzes anvertrauen darf.“

„Wird nicht an mir liegen, wenn etwas geschieht, was wir nicht wünschen, Sir. Wann kommt Ihr zurück?“

„Kann’s nicht bestimmt sagen; richtet sich nach Dem,

was wir draußen finden. Also lebt wohl, und haltet die Augen offen!“

Er trat zu Denen, welche bestimmt waren, ihn mit dem Gefangenen zu begleiten. Dieser wurde vom Baume losgebunden, und als Winnetou, welcher gegangen war, um sich von der Sicherheit der Passage zu überzeugen, zurückkehrte und die Meldung machte, daß er nichts Verdächtiges bemerkt habe, schob man Finnetey einen Knebel in den Mund und schritt dem Ausgange zu.

„Mein weißer Bruder bleibt zurück?“ fragte der Apache, ehe er sich dem Zuge anschloß.

„Der Häuptling der Apachen kennt meine Gedanken; mein Mund braucht nicht zu sprechen.“

„Mein Bruder ist vorsichtig, wie der Fuß, ehe er in das Wasser der Krokodile tritt; aber Winnetou muß gehen und sein bei dem Sohne Ribanna’s, welche starb von der Hand des Atabaskah.“

Er ging; ich wußte, daß meine Ansicht auch die seinige sei und er nur aus Sorge für die Andern und ganz besonders für Harry sich entschlossen hatte, ihnen zu folgen.

Nur wenige der Jäger waren zurückgeblieben, unter ihnen Dick Stone. Ich rief sie zu mir und machte ihnen die Mittheilung, daß ich beabsichtige, einmal hinauszugehen, um mir die Büsche anzusehen.

„Wird wohl nicht nötig sein, Sir,“ meinte Stone. „Der Posten steht da draußen und hält die Augen offen, und außerdem ist ja auch der Apache auf Umschau ausgewesen. Bleibt hier und pflegt Euch; werdet schon noch Arbeit bekommen.“

„In wiefern?“

„Na, haben ja Augen und Ohren, die Rothhäute,

und werden schon merken, daß es da draußen was zu fangen gibt. Sind schlaue Kerle; das muß so sein.“

„Gebe Euch vollständig Recht, Dick, und werde deshalb ’mal zuschauen, ob sich irgend Etwas regen will. Nehmt Ihr indessen den Ort hier in Eure Obhut! Werde nicht sehr lange auf mich warten lassen.“

Ich holte die Büchse und begab ich hinaus. Der Wachtposten versicherte mir, nichts Verdächtiges bemerkt zu haben; aber ich hatte gelernt, nur meinen eigenen Augen zu trauen und durchbrach den Saum des Gebüsches, um dasselbe nach Indianerspuren abzusuchen.

Gerade dem Eingange unsers Thalkessels gegenüber bemerkte ich einige abgeknickte Zweige und fand bei näherer Untersuchung des Bodens, daß hier ein Mensch gelegen und bei seiner Entfernung die Eindrücke, welche sein Körper auf das abgefallene Laub und den lockern Humusboden hervorgebracht, mit Sorgfalt verwischt und möglichst unbemerkbar gemacht hatte.

Man hatte uns also belauscht, unsern Aufenthalt entdeckt, und jeder Augenblick konnte uns einen Angriff bringen. Da ich aber schloß, daß der Feind zunächst wohl sein Augenmerk auf Parranoh und seine Eskorte richten werde, so war es vor allen Dingen nothwendig, Old Firehand womöglich noch rechtzeitig zu warnen, und ich beschloß, dem vorangegangenen Zuge schleunigst zu folgen.

Nachdem ich der Wache die nöthigen Anweisungen gegeben, schritt ich den Spuren unserer Leute, welche längs des Flusses sich aufwärts begeben hatten, nach und kam auf diesem Wege an dem Schauplatz unserer gestrigen Thaten vorüber. Wie ich geahnt, so war es geschehen; die Ogellalla’s hatten die Todten entdeckt, und aus

der Menge des niedergetretenen Grases war zu schließen, daß sie sich in bedeutender Anzahl an dem Orte eingefunden hatten, um die Leichname ihrer Brüder zu holen.

Noch war ich nicht sehr weit über diesen Punkt hinausgekommen, als ich auf neue Spuren stieß. Sie kamen seitwärts aus dem Gebüsch und führten auf dem Wege weiter, welchen unsere Jäger eingeschlagen hatten. Ich folgte ihnen, wenn auch mit möglichster Vorsicht, so doch mit größester Eile, und legte so in verhältnißmäßig kurzer Zeit eine bedeutende Strecke zurück, so daß ich bald die Stelle erreichte, an welcher sich das Wasser des Bee-fork in die Fluthen des Mankizila ergossen.

Da ich den Platz nicht kannte, an welchem die Exekution vor sich gehen sollte, so mußte ich meine Vorsicht jetzt verdoppeln und folgte, die Spuren nur von der Seite im Auge behaltend, ihrer Richtung durch das nebenanlaufende Gebüsch.

Jetzt machte das Flüßchen eine Biegung und grenzte an dieser Stelle eine Lichtung ab, von welcher sich der sogenannte „schwarze Wuchs“ zurückgezogen und den Gräsern den nöthigen Raum zur ungehinderten Entwickelung gelassen hatte. Mitten auf dem freien Platze stand eine Gruppe von Balsamfichten, unter deren Zweigen die Jäger in lebhaftem Gespräche saßen, während der Gefangene an einen der Stämme gebunden war.

Gerade vor mir, höchstens drei Manneslängen von meinem Standorte entfernt, lugten eine kleine Anzahl Indianer durch den Buschrand hinaus auf die Blöße und es war mir augenblicklich klar, daß die andern rechts und links abgegangen waren, um die Belauschten von drei Seiten -

Seiten einzuschließen, und durch einen plötzlichen Ueberfall niederzumachen, oder in den Fluß zu treiben.

Es war keinen Augenblick Zeit zu verlieren. Ich nahm den Henrystutzen an die Wange und drückte ab. Für die ersten Sekunden verursachten meine Schüsse das einzige Geräusch, welches zu hören war, denn sowohl Freunde wie Feinde befanden sich in lebhafter Ueberraschung über die unerwartete Durchkreuzung ihres Vorhabens. Sodann aber gellte ein markerschütterndes „ho — ho hi,“ der Kampfesruf der Indianer, fast hinter jedem Strauche hervor; eine Wolke von Pfeilen drang von allen Seiten aus dem Gebüsche, und im Nu war der Platz von heulenden, keuchenden und schreienden Menschen bedeckt, welche im wüthendsten Handgemenge mit einander kämpften.

Fast zu gleicher Zeit mit den Indianern war auch ich vorgesprungen, und kam gerade recht, einen der Rothhäute niederzuschlagen, welcher auf Harry eindrang. Dieser war emporgesprungen, und hatte die Pistole erhoben, um Parranoh niederzuschießen, war aber von dem Indianer, welcher die Absicht bemerkt hatte, daran verhindert worden. Mit dem Rücken gegeneinander oder die Baumstämme gelehnt, vertheidigten sich die Jäger mit allen ihnen zu Gebote stehenden Kräften, gegen die sie umzingelnden Wilden. Es waren lauter wohlgeschulte Trapper, welche schon manchen harten Strauß ausgefochten hatten und keine Furcht kannten; aber es war klar, daß sie hier der Uebermacht erliegen mußten, zumal sie vorhin den Indianern ein offenes Ziel geboten hatten und in Folge dessen fast alle verwundet waren.

Einige der Braunen hatten gleich im ersten Augenblicke sich auf Parranoh geworfen, um ihn seiner Bande

zu entledigen, und so sehr dies auch Firehand und Winnetou, welche von ihm weggedrängt worden waren, zu hintertreiben suchten, so war ihnen diese Absicht doch endlich gelungen. Mit einem kräftigen Schlage schleuderte der muskulöse Mann die Arme in die Luft, um das stockende Blut wieder in Bewegung zu bringen, entriß der Hand Einer seiner Leute den Tomahawk und knirschte auf Winnetou eindringend:

„Komm her, Du Hund von Pimo! Du sollst jetzt meine Haut bezahlen.“

Der Apache, welcher sich mit dem Schimpfnamen seines Stammes angeredet fühlte, drang sofort auf ihn ein; aber es war zu ersehen, daß er seinem Gegner, dessen Kräfte die Wuth verzehnfacht hatte, nur mit äußerster Mühe werde Stand halten können, zumal er schon verwundet war, und in demselben Augenblicke auch von beiden Seiten angefallen wurde. Old Firehand war rund von Feinden umgeben, und wir Andern waren so in Anspruch genommen, daß wir an eine gegenseitige Hülfe gar nicht denken konnten.

Längerer Widerstand wäre hier die größte Thorheit und ein falsches Ehrgefühl am unrechten Platze gewesen. Deshalb rief ich, Harry am Arme durch den Kranz der Feinde, welcher uns umgab, reißend:

„Ins Wasser, Männer, ins Wasser!“ und fühlte dasselbe auch schon im nächsten Augenblicke über mir zusammenschlagen.

Mein Ruf war trotz des laut tobenden Kampfes gehört worden, und wer sich loszumachen vermochte, folgte ihm. Der Fork war wenn auch tief, doch so schmal, daß es nur weniger Ruderschläge bedurfte, um das jenseitige -

jenseitige Ufer zu erreichen; aber in Sicherheit waren wir natürlich damit noch lange nicht, vielmehr beabsichtigte ich, die zwischen ihm und dem Mankizila auslaufende Landspitze zu durchschneiden und dann den letzteren zu überschwimmen, und schon winkte ich dem Knaben nach der Richtung hin, welche wir auf diese Weise einzuschlagen hatten, als die kleine krummbeinige Gestalt Sams im triefendem Jagdrocke und schwappernden Moccassins an uns vorüberschoß und, die kleinen Aeuglein schlau auf die verfolgenden Feinde zurückwerfend, mit einem raschen Satze seitwärts im Weidengestrüpp verschwand.

Sofort waren wir hinter ihm her; denn die Zweckmäßigkeit seines Vorhabens war zu einleuchtend, als daß ich an meinem vorherigen Plane hätte festhalten mögen.

„Der Vater, der Vater!“ rief Harry angstvoll. „Ich muß zu ihm; ich darf ihn nicht verlassen!“

„Kommt nur,“ drängte ich und zog ihn immer vorwärts. „Wir vermögen nicht, ihn zu retten, wenn es nicht schon ihm selbst gelungen ist!“

Mit möglichster Raschheit uns durch das Dickicht windend, gelangten wir schließlich wieder an den Bee-fork, und zwar oberhalb der Stelle, an welcher wir in das Wasser gesprungen waren. Sämmtliche Indianer hatten ihre Richtung auf den Mankizila zu genommen, und als wir drüben anlangten, konnten wir mit ziemlicher Sicherheit unsern Weg fortsetzen. Sam Hawkens aber schien zu zaudern.

„Seht Ihr dort die Büchsen liegen, wie mir scheint, Sir?“

„Die Indsmen haben sie abgeworfen, ehe sie in das Wasser gingen.“

„Hi, hi, Sir, sind das dumme Männer, uns ihre Schießhölzer liegen zu lassen, wenn ich mich nicht irre!“

„Ihr wollt sie haben? Es ist Gefahr dabei.“

„Gefahr? Sam Hawkens und Gefahr!“

In raschen Sprüngen, welche ihm das Ansehen eines gejagten Känguru gaben, eilte er davon und las die Gewehre zusammen. Ich war ihm natürlich gefolgt und zerschnitt die Bogen, welche zerstreut umherlagen vom Boden nehmend, deren Sehnen, so daß sie wenigstens für einige Zeit unbrauchbar wurden.

Niemand störte uns in dieser Beschäftigung, denn die Rothhäute ahnten sicherlich nicht, daß Einige von den Verfolgten die Verwegenheit besitzen könnten, nach dem Kampfplatze zurückzukehren. Hawkens hatte die Gewehre in den Händen, betrachtete sie mit mitleidigen Blicken und warf dann alle mit einander in das Wasser.

„Schönes Zeug, Sir, schönes Zeug! Können die Ratten hinein hecken in die Läufe, meine ich, ohne daß sie viel gestört werden. Aber kommt; es ist hier nicht geheuer, wenn ich mich nicht irre!“

Wir schlugen den geradesten Weg mitten durch Dick und Dünn ein, um so bald wie möglich das Lager zu erreichen. Nur ein Theil der Indianer war am Bee-fork gewesen, und da ich gesehen hatte, daß man uns belauscht und also Kenntniß von unserm Aufenthaltsorte genommen hatte, so stand zu vermuthen, daß die Uebrigen die Abwesenheit der Jäger zu einem Ueberfalle der Zurückgebliebenen benutzt hatten.

Noch hatten wir eine ziemliche Strecke zurückzulegen, als wir einen Schuß aus der Richtung des Thalkessels vernahmen.

„Vorwärts, Sir!“ rief Hawkens und beschleunigte seine Bewegungen. „Da vorn wirds lebendig, scheint es mir, und wir können die armen Braunen doch nicht so allein beim Vergnügen stehen lassen, wenn ich mich nicht irre.“

Harry hatte noch kein Wort wieder gesprochen, und mit angstvollen Zügen drängte er in hastiger Eile vorwärts. Es war gekommen, wie ich vorhergesagt hatte, und wenn ich auch nicht unternehmen konnte, einen Vorwurf auszusprechen, so sah ich es ihm doch deutlich an, daß er dieselbe Einsicht hegte.

Die Schüsse wiederholten sich, und es blieb uns kein Zweifel, daß die zurückgebliebenen Jäger in einem Kampfe mit den Indianern sich befanden. Hier war Hilfe nothwendig, und trotz der Unwegsamkeit des Gehölzes gelang es uns doch in Kurzem, das Thal zu erreichen, in welches der Ausgang unseres „Schlosses“ mündete. Wir hielten auf den Punkt zu, welcher diesem Ausgang gegenüber lag, und wo ich die Spuren des Indianers entdeckt hatte. Jedenfalls lagen die Rothhäute im Saume des Waldes verborgen und blockirten von da aus das Wasserthor. Wir mußten ihnen also in den Rücken kommen, wenn wir einen Erfolg erzielen wollten.

Da hörte ich seitwärts hinter uns ein Geräusch, als dringe Jemand in aller Eile durch die Büsche. Auf ein Zeichen von mir traten die beiden Anderen ebenso wie ich hinter das dichte Blätterwerk eines Strauches und erwarteten das Erscheinen Desjenigen, welcher dieses Geräusch verursachte. Wie groß war unsere Freude, als wir Old Firehand erkannten, hinter welchem Winnetou und noch zwei Jäger folgten. Sie waren also der Verfolgung entkommen, und wenn Harry seine Freude über das Wiedersehen -

Wiedersehen auch nicht in auffälliger Weise kundgab, so war ihm dieselbe doch in einer Weise anzumerken, welche mir die Ueberzeugung gab, daß sein Herz gar wohl mächtiger Gefühle fähig sei und mich mit ihm vollständig aussöhnte.

„Habt Ihr die Schüsse gehört?“ fragte Old Firehand hastig.

„Ja.“

„So kommt! Wir müssen den Unsrigen Hilfe bringen. Denn wenn der Eingang auch so schmal ist, daß ein einzelner Mann ihn recht gut zu vertheidigen vermag, so wissen wir doch nicht, was geschehen ist.“

„Nichts ist geschehen, Sir, wenn ich mich nicht irre,“ meinte Sam Hawkens. „Die Rothhäute haben unser Nest entdeckt, und sich nun davor gelegt, um zu sehen, was wir drinnen ausbrüten wollen, meine ich. Bill Bulcher, welcher die Wache hat, wird ihnen ein wenig Blei gegeben haben, und so hat der ganze Lärm also Nichts zu bedeuten, als daß wir uns noch einige Rattenfelle holen sollen.“

„Möglich, daß es so ist; aber wir müssen trotzdem vorwärts, um uns Gewißheit zu verschaffen. Auch ist zu bedenken, daß unsere Verfolger bald hier sein werden und wir es dann mit einer doppelten Anzahl Indianer zu thun haben.“

„Aber unsere versprengten Leute?“ warf ich ein.

„Hm, ja, wir brauchen jeden Arm so nothwendig, daß wir Keinen von ihnen entbehren können. Der Einzelne wird sich den Eingang nicht erzwingen können. Wir müssen also sehen, ob sich nicht vielleicht noch irgendwer zu uns finden will.“

„Meine weißen Brüder mögen bleiben hier an diesem

Orte. Winnetou wird gehen, um zu sehen, an welchem Baume die Skalpe der Ogellalla’s hangen.“

Ohne eine Antwort auf diesen Vorschlag abzuwarten, ging der Apache von dannen, und wir konnten nichts anderes thun, als ihm Folge leisten, indem wir uns niederließen, um seine Rückkehr zu erwarten. Während dieser Zeit gelang es uns wirklich, noch zwei von unsern zerstreuten Leuten an uns zu ziehen. Auch sie hatten das Schießen vernommen, und waren herbeigeeilt, um die vielleicht nothwendige Hilfe zu bringen. Der Umstand, daß wir Alle den geradesten Weg mitten durch den Wald eingeschlagen hatten, war die alleinige Ursache unseres glücklichen Zusammentreffens, und wenn es auch Keinen gab, der ohne Wunde dem Ueberfall entgangen war, so besaßen wir doch immer noch die gute Zuversicht, daß wir uns glücklich aus der Affaire ziehen würden. Wir waren ja neun Personen, eine Anzahl, die bei kräftigem Zusammengreifen schon Etwas auszurichten vermochte.

Es verging eine geraume Zeit, ehe Winnetou zurückkehrte; aber als er kam, sahen wir einen frischen Skalp in seinem Gürtel. Er hatte also einen der Indianer in aller Stille „ausgelöscht“, und unseres Bleibens konnte hier nun nicht länger sein; denn wenn der Tod eines der Ihrigen bemerkt wurde, so mußten die Indsmen sofort erkennen, daß wir hinter ihnen seien.

Auf Old Firehands Rath sollten wir eine dem Buschrande parallel laufende Linie bilden, dem Feinde in den Rücken fallen um ihn aus seinem Verstecke hinauszuwerfen. In Folge dessen trennten wir uns, nachdem wir unsere vom Wasserbade naß gewordenen Gewehre wieder schußfähig gemacht hatten, und kaum waren einige Minuten -

Minuten vergangen, so krachte eine der neun Büchsen nach der anderen. Jede Kugel forderte ihren Mann, und ein lautes Schreckensgeheul der Ueberraschten erfüllte die Luft.

Da unsere Linie eine ziemlich gedehnte war, und unsere Schüsse immer von Neuem fielen, so hielten die Wilden unsere Zahl für größer als sie war und nahmen die Flucht. Aber anstatt in den freien Thalraum hinaus zu gehen, wo ihre Körper uns ein sicheres Ziel geboten hätten, brachen sie zwischen uns durch und ließen die Gefallenen zurück, über welche die Jäger sofort herfielen, um ihnen die Kopfhaut zu nehmen.

Bill Bulcher, der Wachthabende, hatte das Nahen der Rothhäute bemerkt und sich zu rechter Zeit noch nach der „Festung“ zurückgezogen. Sie waren ihm gefolgt, hatten aber nach einigen Schüssen, die er und der herbeieilende Dick Stone von dem engen Felsengange aus, in den sie ihm nicht folgen konnten, unter sie gefeuert, sich wieder zurückgezogen und im Gebüsche festgesetzt, aus welchem wir sie jetzt vertrieben hatten.

Die beiden Genannten staken noch immer im Wasserthore; denn da sie sich nicht bloßgeben durften, so konnten sie nicht eher zum Vorschein kommen, als bis wir uns gezeigt hatten. Als dies geschehen war, standen sie und alle andern Zurückgebliebenen bei uns und hörten den Bericht über das Geschehene.

Der Letzte, der aus den Büschen kam, war Sam der Kleine, welcher allsogleich auf Dick Stone zusteuerte.

„Schau her, Mann, was für Arbeit mein Messer gemacht hat, meine ich!“

Unter dem Grinsen, mit welchem diese Worte gesprochen wurden, sträubte sich der Bartwald des alten Jägers

wie der Borstenbesatz eines Stachelschweines, und mit stolzem Augenfunkeln reckte er dem Angeredeten die eben erst abgezogenen Skalpe vor die Nase.

„Hm, ja! Hast sie Dir wohl wieder von Dem da schießen lassen?“

„Keine Beleidigung, altes Stunck! Sam Hawkens weiß schon eine Kugel dahin zu schicken, wo sie hingehört, wenn ich mich nicht irre; bei Dick Stone freilich kann es anders sein.“

„Nimm Dein Mundwerk unter die Serape, Mann, sonst springe ich Dir in den Bart. Wenn Dick Stone Skalpe braucht, wird er sich schon welche holen; das muß so sein.“

Mit einigen raschen Schritten ging er seitwärts, wo am Rande des Wassers drei Indianer lagen, welche beim ersten Vordringen auf die Wasserpforte unter den Kugeln der Jäger gefallen waren. Er löste ihnen die Kopfhäute, hing sich zwei von denselben an seinen eigenen Gürtel, und gab die Dritte an Bulcher.

„Hier, Bill, hast Du Dein Theil. Hat nicht viel Weisheit drunter gesteckt, sonst hätte sich der Braune nicht so weit an unsre Büchsen gemacht. Trag sie gesund und halte die fest, welche Dir über die Ohren gewachsen ist, alter Bison, damit Du nicht auch eine Haube brauchst wie Sam Hawkens, der Goliath!“

[„]Laßt’s gut sein, Leute, und macht, daß wir in Sicherheit kommen,“ meinte Old Firehand; „denn es wird wohl nicht lange dauern, so haben wir die Rothhäute wieder hier.“

„Wird mir lieb sein!“ brummte Sam Hawkens. „Habe mit ihnen ein Wörtchen zu reden wegen des Wasserspringens, meine ich. Aus dem Rocke triefts wie ein Wolkenbruch,

und in den Schuhen, na, da wate ich ’rum, als stäken meine alten Beine im Schlamme des Mississippi, wenn ich mich nicht irre. Mögen immer kommen; meiner Liddy juckt’s im Rohre.“

In diesem Augenblicke kam es von der Seite heraufgedonnert wie eine Heerde wilder Büffel. Sofort sprangen wir ins Gesträuch und machten uns schußfertig. Wie groß aber war unser Erstaunen, als wir eine Anzahl aufgezäumter Pferde erblickten, auf deren vorderstem ein Mann in Jägertracht saß, dessen Züge vor dem aus einer Kopfwunde rinnenden Blute nicht zu erkennen waren. Auch am Körper trug er mehrere Verletzungen, und es war ihm anzusehen, daß er sich in einer nicht beneidenswerthen Lage befunden hatte.

Gerade vor dem Orte, an welchem sich gewöhnlich der Posten befand, hielt er an und schien sich nach dem Letzteren umzusehen. Als er ihn nicht bemerkte, ritt er kopfschüttelnd weiter und sprang beim Wasserthore vom Pferde. Da ließ sich neben mir im Busche eine laute Stimme vernehmen:

„Jetzt lasse ich mich schinden und ausnehmen wie einen Dickschwanz, wenn das nicht Will Parker ist. So sauber fällt kein Anderer vom Pferde wie dieser Mann, meine ich!“

„Sollst Recht haben, altes Coon! Will Parker ist’s, das Greenhorn — weißt’s noch, Sam Hawkens? Will Parker und ein Greenhorn, hahaha!“ Und als wir Anderen nun auch hervortraten, rief er:

„Segne meine Augen. Da sind sie ja alle, die Springfüße, die mit meiner Mutter Sohne so tapfer vor den Rothhäuten herliefen! Na, Sir, nehmt’s nicht übel, aber zuweilen ist das Laufen besser, als irgend etwas Anderes.“

„Weiß es, Mann; doch sag’, was will’s mit den Pferden?“ frug Old Firehand.

„Hm! hatte so meine Ansicht, daß die Braunen den alten Will Parker überall eher suchen würden, als in ihrem eigenen Lager. Bin deshalb erst hinüber nach dem Gutter; war aber nichts mehr da zu finden. Darum machte sich das Greenhorn — hörst Du, Sam Hawkens, hahaha — das Greenhorn nach dem „couch,“ wo sie die Pferde hatten. Waren ausgeflogen, die Vögel, und hatten zwei bei den Thieren gelassen, damit sie mir ihre Felle geben sollten; ist ihnen auch nach Willen geschehen!“

Er zeigte dabei auf die Scalpe, welche in seinem Gürtel hingen.

„Hab’ sie mir selber geholt und nicht dem — dem — dem jungen Skalper da zu verdanken, Sam Hawkens. War böse Arbeit, sage ich, und hat mir einige Löcher eingetragen; aber Will Parker dachte, den Indsmen eine Freude zu machen, wenn er ihnen von ihren Pferden helfe. Habe die schlechten hinaus in die Prairie gejagt und die guten mitgebracht; da sind sie!“

„Hm, das muß so sein,“ rief Dick Stone vor Erstaunen über die Heldenthat des Sprechers.

„Freilich muß das so sein,“ antwortete Parker, „denn wenn wir den Pfeilmännern ihre Pferde nehmen, so kommt „ihr Holz ins Schwimmen“ und sie müssen elend untergehen. Aber da liegen ja drei von ihnen! Aha, hier gewesen, und darum war es im couch so leer. Seht Euch doch den Braunen an, Sir; ein Pferd wie „Tabak“, muß dem Häuptling gehören!“

„Den wir so schön an die Luft geführt haben, wenn

ich mich nicht irre,“ grollte Sam, der Kleine. „War ein heilloser Streich, meine ich.“

Old Firehand hörte den Vorwurf nicht. Er war zu dem Braunen getreten, und betrachtete das Thier mit bewundernden Blicken.

„Ein Kapitalroß,“ wandte er sich zu mir, „wenn mir die Wahl gelassen würde, so wüßte ich nicht, ob ich Swallow nähme oder diesen da.“

„Winnetou spricht mit der Seele des Rosses und hört den Puls seiner Adern. Er nimmt Swallow,“ entschied der Apache.

Da ließ ein scharf zischender Laut sich hören, ein Pfeil flog Hawkens an den Arm, fiel aber, von dem brettsteifen, eisenharten Leder des Aermels abgleitend, zur Erde und in demselben Augenblicke erscholl betäubendes „ho — ho — hi“ aus dem Dickicht hervor. Trotz dieser kriegerischen Demonstration aber ließ sich keiner der Wilden sehen, und Sam meinte, den Pfeil vom Boden nehmend und betrachtend:

„Hahaha, Sam Hawkens’ Rock und so ein dummes Gewächs durchgehen, meine ich! Habe dreißig Jahre lang einen Flicken auf den andern gesetzt und stecke nun drin wie San Jago in Abrahams Schooß, wenn ich mich nicht irre.“

Weiter hörte ich von seiner an das alte Kleidungsstück gerichteten Ode nichts, denn wir sprangen natürlich sofort in den Busch, um den unfreundlichen Gruß gehörig zu beantworten. Hätten wir uns in die „Burg“ flüchten wollen, so wäre das wegen der Enge des Einganges so langsam vor sich gegangen, daß, da wir alle ohne Deckung waren, Einer nach dem Andern weggeschossen werden konnte.

Auch mußten wir dann die erbeuteten Pferde im Stiche lassen, da ihr Transport durch die schmale Felsenwindung uns ungemein aufgehalten hätte, und vor Allem war aus dem Umstande, daß der Feind zu keinem Angriffe vorging, mit ziemlicher Sicherheit zu schließen, daß er nicht zahlreich genug sei und ihm die von mir und Sam hinweggenommenen oder doch wenigstens unbrauchbar gemachten Waffen fehlten.

Der ganze Lärm war Nichts weiter gewesen, als eine Kundgebung des kriegerischen Muthes der Indianer; denn trotzdem wir weit in das Gebüsch eindrangen, bekamen wir doch keinen von ihnen zu Gesichte. Sie hatten sich schleunigst zurückgezogen, um auf Verstärkung zu warten, und wir waren durch das unschädliche Ereigniß nun doch so weit gewitzigt worden, daß wir nicht länger halten blieben, sondern uns in den sicheren Thalkessel begaben.

Einer der vorher zurückgebliebenen und also nicht ermüdeten Jäger ward als Wache aufgestellt, während die Andern nach ihren Wunden sahen und dann sich um das Mahl versammelten oder der Ruhe pflegten.

Am Feuer, welches den Versammlungsort aller Derer bildete, welche das Bedürfniß, sich auszusprechen, fühlten, ging es lebhaft her. Jeder der um dasselbe Herumsitzenden hatte nothwendig seine Thaten zu erzählen und seine Ansicht auszusprechen. Alle waren der freudigen Meinung, daß von den Wilden nichts zu befürchten sei. Die Zahl der erbeuteten Skalpe war eine ansehnliche, das Abenteuer siegreich bestanden, und keine der Wunden zeigte eine gefährliche Beschaffenheit. Zudem schien unser Aufenthaltsort ein vollständig sicherer zu sein; für Proviant und Munition war reichlich gesorgt, und so konnten die Feinde den

Eingang belagern, so lange es ihnen gefiel, oder sich die Köpfe an den ringsum starrenden Felsen einrennen.

Auch Old Firehand theilte diese Ansicht, und nur Winnetou schien ihr nicht beizustimmen. Er lag abseits von den andern in der Nähe seines Pferdes und schien in tiefe, ernste Gedanken versunken.

„Das Auge meines rothen Freundes blickt finster, und seine Stirne trägt die Falten der Sorge. Welche Gedanken wohnen in seinem Herzen?“ fragte ich, zu ihm tretend.

„Der Häuptling der Apachen sieht den Tod durch die Pforte dringen und das Verderben von den Bergen steigen. Es flammt das Thal von der Glut des Feuers, und das Wasser ist roth vom Blute der Erschlagenen. Winnetou spricht mit dem großen Geiste. Das Auge der Bleichgesichter ist blind geworden vom Hasse, und ihre Klugheit ist den Gefühlen der Rache gewichen. Parranoh wird kommen und nehmen die Skalpe der Jäger; aber Winnetou ist gegürtet zum Kampfe und wird anstimmen den Todtengesang auf den Leichen seiner Feinde.“

„Wie soll der Ogellalla betreten das Lager unserer Jäger? Er vermag nicht durch das Thor zu dringen.“

„Mein weißer Bruder spricht Worte, aber er glaubt ihnen nicht. Vermag eine Büchse aufzuhalten die Zahl der rothen Männer, wenn sie durch die Enge brechen?“

Er hatte Recht. Gegen eine geringe Anzahl Feinde konnte es wohl einem Einzigen glücken, den Paß zu verteidigen, nicht aber gegen eine so bedeutende Horde, wie sie uns gegenüberstand; denn wenn auch nur stets eine Person einzudringen vermochte, so stand ihr doch eben auch nur Einer entgegen, und wenn die Hintersten nachdrängten,

so konnten wohl einige der Vorderen getödtet, nicht aber das Eindringen der Uebrigen verhütet werden.

Ich hatte das Old Firehand gesagt, er aber mir geantwortet:

„Und wenn sie es wagen, so wird es uns leicht sein, sie nach einander auszulöschen, so wie sie durch die Schlucht kommen.“

Das klang wahr, und ich mußte mich zufrieden geben, obgleich ich wußte, daß der kleinste Umstand hinreichend sein konnte, diese Wahrheit zu Schanden zu machen.

Als der Abend hereinbrach, wurde die Wachsamkeit natürlich verdoppelt, und trotzdem ich auf meinen ausdrücklichen Wunsch erst zur Zeit des Morgengrauens Posten zu stehen hatte, zu welcher Zeit die Indsmen am liebsten ihre Ueberfälle vornehmen, so ließ es mir doch nirgends Ruhe, und ich hielt mich für alle Fälle bereit.

Die Nacht lag still und ruhig über dem Thale, in dessen Vordergrunde das Feuer brannte und sein zitterndes Licht über die Umgebung warf. Swallow, welcher sich in dem von Bergen umschlossenen Raume frei bewegen konnte, weidete im dunklen Hintergrunde des Kessels; ich ging, nach ihm zu sehen, und fand ihn ganz am Rande der steilansteigenden Höhen. Nachdem ich mit ihm die gewöhnlichen Liebkosungen gewechselt hatte, wollte ich mich eben wieder entfernen, als ein leises Gepolter mich lauschen machte.

Auch das Pferd hob den Kopf in die Höhe; aber da der kleinste Athemzug unsere Gegenwart verrathen konnte, so ergriff ich es beim Riemen und deckte die Hand auf die sich unter dem Verdachte schon erweiternden Nüstern. Während wir von obenherab nicht leicht bemerkt werden konnten,

war es mir möglich, von unten hinauf gegen den lichten Himmel jeden Gegenstand zu erkennen, und mit angestrengtem Auge suchte ich nach der Ursache, welche den herabgefallenen Stein von seinem Orte gelöst hatte.

In den ersten Augenblicken nach dem Falle des Steines war nichts Auffallendes zu bemerken. Jedenfalls hatte man das von dem Steine verursachte Geräusch ebensogut bemerkt, wie ich, und wartete nun eine Weile, um sich zu überzeugen, daß dasselbe nicht gehört oder beachtet werde.

Diese Ansicht war eine richtige, denn nachdem ich mich einige Zeit lang ruhig verhalten hatte, sah ich zuerst mehrere Gestalten, welche sich von dem dunklen Felsen lösten und nach unten stiegen; bald aber gewahrte ich eine ganze Reihe Indianer, welche Einer hinter dem Andern über den Kamm der Höhe kamen und mit langsamen, vorsichtigen Schritten dem Ersten folgten, welcher mit der Oertlichkeit außerordentlich vertraut zu sein schien und kaum noch zweier Minuten bedurfte, um die Thalsohle zu erreichen.

Hätte ich meinen Stutzen bei mir gehabt, so wäre es mir leicht gewesen, ihn durch einen Schuß herunter zu holen und damit zugleich das nothwendige Alarmsignal zu geben. Er war der Führer, und die anderen durften bei dem gefahrdrohenden Terrain sich keinen Schritt weiter wagen, wenn er ihnen weggeschossen wurde. Aber leider hatte ich nur die Revolver im Gürtel, welche für einen Fernschuß untauglich waren.

Gab ich mit ihnen das Lärmzeichen, so waren die Feinde doch unten, ehe Hilfe herbeikommen konnte, und ich befand mich dann in der gefährlichsten Lage; denn selbst wenn ich mich zurückziehen wollte, so mußte ich meinen

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von mehreren Sträuchern gedeckten Standort verlassen und mich den Schießgewehren der Rothhäute blosgeben. Deßhalb befolgte ich eine andere Taktik.

Parranoh, — denn dieser war jedenfalls der Vordere — welcher allem Anscheine nach seinen jetzigen Weg nicht zum ersten Male zurücklegte, befand sich soeben in der Nähe einer Felsklippe, welche er umklettern mußte. Konnte ich dieselbe vor ihm erreichen, so mußte er mir gerade in die Kugel laufen, und ich stieg deßhalb kurz entschlossen nach oben. Hinter dem Felsblocke verborgen und von ihm gedeckt, konnte ich ihnen allen Trotz bieten und sie einzeln, wie sie kamen, auslöschen.

Kaum hatte ich den ersten Schritt gethan, so fiel vorn am Wasserthore ein Schuß, welchem bald mehrere folgten. Ich begriff sofort die Klugheit der Indianer, welche einen Scheinangriff auf den Eingang vornahmen, um unsere Aufmerksamkeit von dem eigentlichen Punkte der uns drohenden Gefahr abzulenken. Mit verdoppelter Eile und Anstrengung kletterte ich deswegen empor und war der Klippe schon so nahe, daß ich sie bereits mit der Hand erreichen konnte, als die lockere Steinmasse unter mir nachgab und ich kopfüber von Stein zu Stein, von Riff zu Riff den zurückgelegten Weg wieder hinunterstürzte und, unten angekommen, für einige Momente die Besinnung verlor.

Als ich wieder zu denken vermochte und die Augen öffnete, sah ich die ersten der Indsmen nur noch wenige Schritte von mir entfernt und sprang, obgleich furchtbar zerschlagen und zerquetscht, in die Höhe, feuerte die Schüsse des einen Revolvers rasch hinter einander auf die dunklen Gestalten ab, warf mich auf Swallow und galoppirte

dem Feuer zu; — ich durfte das brave Pferd nicht irgend einer Gefahr aussetzen, indem ich es zurückließ.

Die Ogellalla’s, welche sich nun doch bemerkt sahen, stießen ihren schon wiederholt vernommenen Schlachtruf aus und stürmten, wie sie Einer nach dem Andern den Boden des Kessels erreichten, mir nach.

Am Lagerplatze vom Pferde springend, fand ich ihn von den Jägern verlassen; sie hatten sich am Eingange zusammengeschaart und waren auf meine Schüsse hin eben nach der Richtung unterwegs, aus welcher sie dieselben gehört hatten. Ich wurde von ihnen mit hastigen Fragen empfangen.

„Die Indianer kommen,“ rief ich; „rasch in die Höhlen!“

Es war dies das einzige Mittel, uns vom Untergange zu retten, mit welchem wir von der Uebermacht bedroht waren. In den Höhlen waren wir sicher und konnten von ihnen aus nicht nur den Indsmen Stand halten, sondern sie bis auf den letzten Mann niederschießen. Deßhalb eilte ich schon noch während meines Rufes nach dem „Boudoir“, welches mir zur Schlafstelle gedient hatte; aber es war zu spät.

Die Rothhäute waren mir auf dem Fuße gefolgt und ganz gegen ihre gewöhnliche Art und Weise, obgleich sie sich noch nicht gesammelt hatten, sofort auf die Jäger eingedrungen, welchen die unerklärliche Anwesenheit des Feindes so überraschend kam, daß sie erst an Abwehr dachten, als die feindlichen Waffen unter ihnen zu arbeiten begannen.

Vielleicht hätte ich meinen Zufluchtsort noch zu erreichen vermocht; aber ich sah Harry, Old Firehand und Will Parker vom Feinde bedroht und sprang ihnen zu Hilfe.

„Fort, fort, an die Felswand!“ rief ich, mitten in den Knäuel hineinfahrend, so daß die Angreifer für einen Augenblick aus der Fassung gebracht wurden und wir Raum gewannen, das senkrecht aufsteigende Gestein zu erreichen, wo wir den Vortheil hatten, im Rücken gedeckt zu sein.

„Muß das sein, wenn ich mich nicht irre?“ rief uns eine Stimme aus einem im Felsen befindlichen Risse entgegen, welcher gerade so breit war, daß sich ein Mann hineinzwängen konnte. „Nun ist Sam Hawkens, der alte Trapper, verrathen!“

Das listige Männlein war der Einzige gewesen, der seine Geistesgegenwart bewahrt und die wenigen Sekunden benutzt hatte, sich zu salviren. Leider machten wir ihm diese Bemühungen erfolglos, indem wir gerade den Ort, an welchem sich sein Versteck befand, zum Ziele unseres Laufes wählten. Trotzdem aber streckte er schleunigst die Hand nach Harry aus und faßte ihn beim Arme.

„Der kleine Sir mag mit hereinkommen in das Nest, meine ich: ist gerade noch Platz für ihn, wie mir scheint.“

Natürlich waren die Rothhäute uns gefolgt und drangen mit wilder Energie auf uns ein, und ein Glück war es, daß in Folge des Scheinangriffes die Jäger alle ihre Waffen bei sich führten. Freilich waren im Nahekampf die Büchsen vollständig nutzlos, desto erfolgreicher aber wüthete das Schlachtbeil unter den Wilden.

Nur Hawkens und Harry machten Gebrauch von ihren Schießgewehren. Ersterer lud und Letzterer, welcher voran im Risse stak, gab die Schüsse ab, die zwischen Old Firehand und mir aus der Spalte hervorblitzten.

Es war ein wilder, grauenhafter Kampf, wie kaum

die Phantasie ihn sich auszumalen vermag. Das halberloschene Feuer warf seinen flackernden, dunkelglühenden Schein über den Vordergrund des Thales, auf welchem sich die einzelnen kämpfenden Gruppen wie der Hölle entstiegene und einander zerfleischende Dämone abzeichneten. Durch das Geheul der Indianer drangen die ermunternden Rufe der Trapper und die scharfen, kurzen Laute der Revolverschüsse; der Erdboden schien zu erzittern unter den schweren, stampfenden Tritten der mit einander ringenden Feinde.

Es blieb uns kein Zweifel darüber, daß wir verloren seien. Die Zahl der Ogellalla’s war eine zu bedeutende, als daß wir hoffen durften, uns gegen sie zu halten. Eine zufällige Wendung zu unsern Gunsten war ebenso wenig zu erwarten wie die Möglichkeit, uns durchzuschlagen, und deßhalb hegte ein Jeder die vollständige Ueberzeugung, daß er in kurzer Zeit aufgehört haben werde, zu den Lebenden zu gehören. Aber nicht umsonst wollten wir sterben, und wenn wir uns auch in das uns bestimmte Schicksal ergaben, so wehrten wir uns doch nach allen Kräften und mit derjenigen Kaltblütigkeit, welche dem Weißen ein so großes Uebergewicht über den rothen Bewohner der amerikanischen Steppen gibt.

Mitten in dem blutigen Ringen gedachte ich des alten Elternpaares, welches ich in der Heimath zurückgelassen hatte und dem nun keine Kunde mehr von dem in die Ferne gezogenen Sohne zukommen sollte, gedachte — doch nein, ich warf diese Gedanken alle von mir, denn der gegenwärtige Augenblick erforderte nicht nur die kräftigste körperliche Anstrengung, sondern auch die größte geistige Aufmerksamkeit.

Ich hatte vorhergesehen, wie es kommen werde, hatte gerathen und gewarnt und nun mußte ich die Fehler der Andern mitbüßen, und wie ich dem Tode geweiht war, so auch er, dem trotz Allem und Allem mein ganzes Sinnen und Trachten gehört hatte, die nun hart hinter mir mit unerschrockenem Mannesmuthe sein Leben vertheidigte und doch dem Schicksale, welchem er auf der falschen Richtung seiner Lebensbahn früher oder später entgegen geführt werden mußte, unwiderruflich verfallen war. Es überkam mich ein noch nie gefühlter Ingrimm und eine Erbitterung, welche meine Kräfte verdoppelte, so daß ich den Tomahawk mit solcher Nachdrücklichkeit handhabte, daß es anerkennend aus der Spalte scholl:

„Recht so, Sir, recht so! Sam Hawkens und Ihr, das paßt zusammen, meine ich. Schade, daß wir ausgelöscht werden! Könnten noch manches Rattenfell mit einander holen, wenn ich mich nicht irre.“

Wir kämpften still und lautlos; es war eine ruhige, aber desto fürchterlichere Arbeit, und die Worte des kleinen Fallenstellers wurden deshalb deutlich gehört. Auch Will Parker hatte sie vernommen und rief, trotz der gestern erhaltenen Verletzungen mit der umgedrehten Büchse die wuchtigsten Hiebe austeilend:

„Sam Hawkens, blick hierher, altes Coon, wenn Du sehen willst, wie es zu machen ist. Heraus aus dem Loche mit Dir, und sage, ob das Greenhorn — hahaha, Will Parker ein Greenhorn, hörst Du es, Sam Hawkens? — ob das Greenhorn etwas gelernt hat?“

Kaum zwei Schritte von meiner Rechten entfernt stand Old Firehand. Stets war es mir bisher vorgekommen, als ob der Leumund etwas zu schmeichelhaft von ihm erzähle, -

erzähle, und es mochte wohl auch sein, daß das Alter ihn nach und nach immer mehr beeinflußte; jetzt aber schien die volle, strotzende Jugendkraft in ihn zurückgekehrt zu sein, und die Art und Weise, wie er mit beiden Händen im Leben der ihn umdrängenden Gegner wühlte, flößte mir die größeste Bewunderung ein.

Ueber und über mit Blut bespritzt, lehnte er an der Felsenmauer. Die langen, grauen Haare hingen in zusammengeklebten Strähnen von seinem Kopfe; die ausgespreizten Beine schienen in der Erde zu wurzeln, und in der einen Faust das schwere Beil, in der andern das scharfe, leichtgekrümmte Messer, hielt er die mächtig an ihn Drängenden von sich ab. Noch mehr als ich war er mit Wunden bedeckt; aber noch hatte keine derselben ihn zum Falle gebracht, und ich mußte immer wieder von Neuem meinen Blick auf seine hohe, reckenhafte Gestalt richten.

Da entstand eine Bewegung in dem Knäuel der Rothhäute, und Parranoh erschien, sich eine Bahn durch ihre dichte Menge brechend. Kaum erblickte er Firehand, so rief er:

„Endlich habe ich Dich; denk an Ribanna, und stirb!“

Er wollte sich an mir vorüber auf ihn stürzen; da packte ich ihn bei der Schulter und holte zum tödtlichen Hiebe aus. Mich erkennend, sprang er zurück, so daß mein Tomahawk die Luft durchsauste.

„Auch Du?“ brüllte er. „Dich muß ich lebendig haben. Gebt ihm ein Lariat!“

An mir vorbeispringend, noch ehe ich das Beil wieder schwingen konnte, erhob er die Pistole; der Schuß krachte; Old Firehand schlug die Arme weit aus einander in die Luft, sprang mit einem mächtigen, krampfhaften

Satze vorwärts mitten unter die Feinde und stürzte dann lautlos zusammen.

Es war mir, als sei die Kugel in meine Brust gefahren, so durchzuckte mich der Fall des Helden; ich schlug den Indianer, mit welchem ich es in diesem Augenblicke zu thun hatte, nieder und wollte auf Parranoh los, als ich eine dunkle Gestalt bemerkte, welche sich mit schlangenhafter Behendigkeit durch die Feinde wand und gerade vor dem Mörder die geschmeidigen Glieder in die Höhe streckte.

„Wo ist die Kröte von Atabaskah? Hier steht Winnetou, der Häuptling der Apachen, zu rächen den Tod seines weißen Bruders!“

„Ha, der Hund von Pimo! Fahr’ zum Teufel!“

Mehr hörte ich nicht. Der Vorgang hatte meine Aufmerksamkeit in so hohem Grade in Anspruch genommen, daß ich die Verteidigung meiner selbst versäumte. Eine Schlinge legte sich mir um den Hals, ein Ruck — zu gleicher Zeit fühlte ich einen schmetternden Schlag auf den Kopf, und ich verlor das Bewußtsein. —

Als ich erwachte, war es vollständig dunkel und still um mich, und ich besann mich vergebens auf die Art und Weise, wie ich in diese Finsterniß gekommen sei. Ein brennender Schmerz, welchen ich im Kopfe fühlte, erinnerte mich endlich an den empfangenen Schlag, und nun reihten sich die Einzelheiten des Vergangenen zu einem vollständigen Bilde des Geschehenen an einander. Zu dem erwähnten Schmerze kam noch die Qual, welche mir von den empfangenen Wunden und den Fesseln verursacht wurde, die man mir mit raffinirter Festigkeit um die Hände und Füße gelegt hatte, so daß sie mir tief in das Fleisch einschnitten -

einschnitten und ich kaum zu irgend welcher Bewegung fähig war.

Da hörte ich ein Geräusch neben mir, als ob ein Mensch sich räuspere.

„Ist noch Jemand hier?“ fragte ich.

„Hm, freilich! Fragt der Mann gerade so, als ob Sam Hawkens Niemand wäre, wenn ich mich nicht irre.“

„Ihr seid es, Sam? Sagt doch um aller Welt willen, wo wir sind!“

„So leidlich unter Dach und Fach, Mann. Haben uns in die Lederhöhle gesteckt; wißt’s schon, wo die Felle lagen, meine ich, die wir so schön vergraben haben. Sollen aber keines finden, sage ich, keines!“

„Und wie ists mit den Andern?“

„Passabel, Sir. Old Firehand ist ausgelöscht, Dick Stone ist ausgelöscht, Will Parker ist ausgelöscht — war doch ein Greenhorn, der Mann, hihihi, ein Greenhorn, sage ich, wollt’s aber nicht glauben, wenn ich mich nicht irre — Bill Bulcher ist ausgelöscht, Harry Korner ist ausgelöscht, Alle, Alle sind ausgelöscht, nur Ihr brennt noch und der Apache; auch der kleine Sir lebt ein wenig, wie mir scheint — und Sam Hawkens, hm, vielleicht haben sie auch ihn noch nicht ganz ausgelöscht, hihihi!“

„Wißt Ihr es gewiß und wahrhaftig, daß Harry wirklich noch lebt, Sam?“ fragte ich angelegentlich.

„Denkt Ihr wohl, daß so ein alter Skalper nicht weiß, was er sieht, Mann? Haben ihn da neben uns gesteckt in das andere Loch und Euren rothen Freund dazu. Wollte gern auch mit da hinein, habe aber keine Audienz bekommen, wie mir scheint.“

„Wie steht es mit Winnetou?“

„Loch an Loch, Sir! Wird, wenn er davonkommt, aussehen wie der alte Rock, in welchen sie Sam Hawkens so vorsichtig eingeschnallt haben: Flick an Flick und Fleck auf Fleck, meine ich.“

„An das Davonkommen ist wohl nicht zu denken. Aber wie kam er lebendig in ihre Hände?“

„Gerade so wie Ihr und ich. Hat sich gewehrt wie ein Heide — hm, ist doch wohl auch einer, wenn ich mich nicht irre, hihihi — wollte lieber untergehen, als sich am Pfahle braten lassen, half aber nichts; wurde doch niedergeschlagen und halb entzwei gerissen. Nicht davon kommen wollt Ihr? Sam Hawkens hat große Lust dazu, wie mir scheint.“

„Was thut man mit der Lust, wenn es nicht möglich ist.“

„Nicht möglich? hm, klingt gerade wie Will Parker! Sind gute Leute, die Braunen, gute Leute; haben dem alten Coon hier Alles genommen; Alles, die Pistole, die Pfeife — hihihi, werden sich wundern, wenn sie dran riechen; duftet ganz wie Stunk! Wird ihnen aber gerade lieb sein — auch die Liddy ist zum Teufel — die arme Liddy; was für ein Schakal wird sie nun wohl nehmen! — und der Hut und die Haube — werden sich wundern über den Skalp, hihihi, kostete mich zwei dicke Bündel Dickschwanzfelle damals in Dekama; wißts ja schon, meine ich — aber das Messer haben sie ihm gelassen, dem Sam Hawkens; steckt im Aermel. Der alte, graue Bär da steckte es hinein, als er merkte, daß es mit dem Quartiere in der Ritze vorüber sei, wie mir scheint.“

„Das Messer habt Ihr noch? Werdet wohl nicht gut dazu kommen können, Sam!“

„Meine es auch, Sir; müßt dem Sohne meiner Mutter schon ein wenig helfen!“

„Komme gleich! Wollen sehen, was in dieser Sache zu thun ist.“

Noch hatte ich nicht begonnen, mich zu ihm hinzuwälzen, die einzige Bewegung, durch welche es mir möglich war, an ihn zu kommen, als die Fellthüre geöffnet wurde und Parranoh mit einigen der Indianer eintrat. Er hielt den Feuerbrand, welchen er in der Hand trug, so, daß der Schein desselben uns überleuchtete. Ich gab mir nicht die Mühe, für noch bewußtlos zu gelten, würdigte ihn aber keines einzigen Blicks.

„Da haben wir Dich ja endlich!“ knirschte er mich an. „Bin Dir bisher ein Kleines schuldig geblieben, sollst Dich aber nun jetzt nicht zu beklagen haben. Kennst Du den da?“

Er hielt mir einen Skalp vor das Gesicht; es war derjenige, welchen Winnetou ihm selbst genommen. Er wußte also, daß ich es war, der ihn damals niederstach. Der Apache hatte ihn nicht darüber aufgeklärt, deß war ich sicher, da ich wußte, er werde jede an ihn gerichtete Frage mit stolzem Schweigen beantworten, aber Finnetey hatte mich an jenem Abende vielleicht beim Scheine des Feuers bemerkt oder im Augenblicke unsers Zusammenprallens einen Blick in mein Gesicht geworfen. Als ich nicht antwortete, fuhr er fort:

„Sollt es auch erfahren, Ihr alle, wie es ist, wenn man die Haut über die Ohren gezogen bekommt; wartet nur ein wenig, bis es Tag geworden ist; sollt Eure Freude an meiner Dankbarkeit erleben!“

„Wird Euch nicht so wohl werden, wie mir scheint!“

meinte Hawkens, der es nicht über das Herz bringen konnte, ruhig zu sein. „Wäre doch neugierig, welche Haut dem alten Sam Hawkens über das Ohr gezogen werden sollte; habt die Meinige ja schon in den Händen, ist vom Hair-dresser (Friseur) gemacht worden — wie hat Euch die Arbeit gefallen, alter Yambarico?“

„Schimpfe nur zu! Wirst schon noch Haut genug haben, um geschunden werden zu können.“ Und nach einer Pause, während welcher er unsere Fesseln besichtigt hatte, fragte er:

„Habt wohl nicht geglaubt, daß Tim Finnetey Eure Mausefalle hier kennt? War in dem Thale, noch ehe der — der Hund von Firehand, verdamme seine Seele, etwas von ihm geahnt hat, und wußte auch, daß Ihr Euch hergemacht hattet, Der da hat mir’s erzählt!“

Er zog ein Messer aus dem Gürtel und hielt den hölzernen Griff desselben vor Sams Augen. Dieser warf einen Blick auf die eingeschnittenen Buchstaben und rief:

„Fred Owins? hm, war ein Hallunke allezeit! Will wünschen, daß er das Messer hat selber kosten müssen, scheint mir.“

„Keine Sorge, Mann! Dachte, sich mit dem Geheimnisse loszukaufen, war aber Nichts, haben ihm Leben und Haut genommen, gerade so, wie Ihr es auch erfahren sollt, nur umgedreht, erst die Haut und dann das Leben.“

„Macht, was Ihr wollt! Sam Hawkens ist mit seinem Testamente fertig; hat Euch das Ding vermacht, das sie Perrücke nennen, wenn ich mich nicht irre. Könnts gut gebrauchen, hihihi!“

Parranoh versetzte ihm einen Fußtritt und schritt, gefolgt von seinen schweigsamen Begleitern, wieder hinaus.

Eine Weile verhielten wir uns schweigend und bewegungslos; -

bewegungslos; dann aber, als wir uns sicher glaubten, warfen wir uns gegenseitig herum, so daß wir endlich hart neben einander zu liegen kamen. Obgleich mir die Hände fest an einander gebunden waren, gelang es mir doch, das Messer aus seinem Aermel zu ziehen, und mit Hilfe desselben ihm die Armfesseln zu durchschneiden. Dadurch bekam er die Hände frei, und einige Augenblicke später standen wir mit ungebundenen Gliedern aufrecht vor einander und frottirten uns die durch die Bande taub gewordenen Körperteile.

„So recht, Sam Hawkens; scheinst mir kein so unebenes Geschöpf zu sein!“ belobte sich der kleine Mann selbst. „Hast zwar schon in mancher schlimmen Patsche gesteckt; aber so bös ist es doch noch nie gewesen wie heute. Soll mich verlangen, wie Du die Ohren aus der Mütze bringen wirst, wenn ich mich nicht irre!“

„Laßt uns vor allen Dingen sehen, wie es draußen steht, Sam!“

„Meine es auch, Sir; ist das Nothwendigste.“

„Und dann vor allen Dingen Waffen. Ihr habt ein Messer, ich aber bin vollständig leer.“

„Wird sich schon was finden lassen!“

Wir traten an die Thür und zogen die beiden Felle, welche als Portièren dienten, ein wenig auseinander.

Eben brachten einige der Indianer die beiden Gefangenen aus der Nebenhöhle gezogen, und vom Lagerplatze kam Parranoh herbeigeschritten. Es war jetzt schon ziemlich hell geworden, so daß wir das Thal vollständig überblicken konnten. Nicht weit vom Wasserthore entfernt war Swallow mit dem von dem armen Will Parker erbeuteten Braunen in Zwist gerathen, und der Anblick des mir

an das Herz gewachsenen Thieres ließ mich auf eine Flucht zu Fuße, die jedenfalls die gerathenste war, sofort verzichten. In nicht gar zu großer Entfernung davon graste der starkknochige und ausdauernde Klepper Winnetou’s, ein Pferd, welchem sein Werth nur schwerlich anzusehen war, und wenn es uns gelang, zu einigen Waffen zu kommen, und die Thiere zu erreichen, so war es vielleicht möglich, zu entkommen.

„Seht Ihr etwas, Sir?“ kicherte Hawkens.

„Was?“

„Hm, da drüben den alten Burschen, welcher sich so behaglich im Grase wälzt.“

„Sehe ihn.“

„Und auch das Ding, das daneben am Steine lehnt?“

„Auch das.“

„Hihihi, legt dem alten Coon da das Schießholz so mundrecht in den Weg! Wenn ich wirklich Sam Hawkens heiße, so muß das auch die Liddy sein, meine ich, und einen Kugelbeutel wird der Mann wohl auch haben!“

Ich konnte nicht viel auf die Freude des kleinen Helden achten, denn Parranoh nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Leider war es mir nicht möglich, zu verstehen, was er zu den beiden Gefangenen sprach, und es dauerte eine geraume Zeit, ehe er von ihnen ging; aber seine letzten Worte, welche er mit erhobener Stimme sprach, vermochte ich deutlich zu hören, und sie klärten mich auf über den Inhalt seiner ganzen Rede.

„Mach’ Dich gefaßt, Pimo! Der Pfahl wird eben eingeschlagen, und Du,“ — setzte er, sich mit einem haßerfüllten Blicke zu Harry wendend, hinzu — „wirst an seiner Seite gebraten.“

Er gab seinen Leuten einen Wink, die Gefesselten nach dem Platze zu bringen, an welchem sich die Indsmen um das jetzt wieder helllodernde Feuer gelagert hatten, und schritt dann in hochaufgerichteter und würdevoller Haltung davon.

Jetzt galt es, schleunigst zu handeln, denn waren die beiden einmal in die Mitte der Versammlung gebracht, so war keine Hoffnung mehr, zu ihnen zu kommen.

„Sam, kann man sich auf Euch verlassen?“

„Hm, weiß es nicht, wenn Ihr’s nicht wißt! Müßt’s ’mal probiren, wie mir scheint.“

„Ihr nehmt Den rechts und ich den Linken. Dann rasch die Riemen entzwei!“

„Und dann zu Liddy, Sir!“

„Seid Ihr fertig?“

Er nickte mit einem Ausdrucke im Gesichte, dem man deutlich das Vergnügen an dem bevorstehenden Streiche anmerkte.

„Nun, dann drauf!“

Mit leisen aber raschen Sprüngen schnellten wir hinter den die Gefangenen nach sich schleppenden Indianern her, und obgleich sie gezwungen waren, eine in Folge ihrer Last gegen uns gewandte Haltung einzunehmen, gelang es uns doch, unbemerkt an sie zu kommen.

Sam stieß den Einen von hinten mit so gut geführtem Stiche nieder, daß der Getroffene lautlos zusammenbrach; ich aber riß, da ich vollständig waffenlos war, dem Andern zuerst das Messer aus dem Gürtel, und zog es ihm dann mit solchem Drucke durch die Kehle, daß der Schrei, welchen er auszustoßen im Begriffe gestanden hatte,

als ein pfeifendes Gurgeln sich durch die Schnittwunde drängte und er ebenfalls niedersank.

Einige rasche Schnitte befreiten die Gebundenen von ihren Fesseln, so daß sie sich frei sahen, noch ehe bei der Raschheit des ganzen Vorganges derselbe von irgend einem der Feinde bemerkt worden war.

„Vorwärts; holt Euch Waffen!“ rief ich, da ich wohl einsah, daß ohne dieselben ein Entkommen nicht denkbar war, riß dem von mir Getödteten den Schießbeutel vom Leibe und stürmte Winnetou nach, welcher in richtiger Erfassung der Umstände nicht nach dem Thore zu, sondern mitten unter die am Feuer Lagernden hineinsprang.

Wie in jedem Augenblicke, in dem es sich um Tod und Leben handelt, der Mensch ein ganz anderer ist als sonst, so gab auch uns die Erwägung dessen, was auf dem Spiele stand, die nothwendige Behendigkeit. Noch ehe sich die Ueberfallenen besonnen hatten, waren wir schon, die ihnen entrissenen Waffen in der Hand, zwischen ihnen hindurch.

„Swallow, Swallow!“ rief ich dem Pferde zu, saß wenige Augenblicke später auf seinem Rücken, sah Winnetou auf das seinige springen und Hawkens den ersten besten Spritzer besteigen.

„Herauf zu mir, um des Himmelswillen rasch!“ bedeutete ich Harry, welcher vergebens versuchte, auf Finneteys Braunen zu kommen, welcher wie rasend um sich schlug. Ich ergriff ihn beim Arme, riß ihn zu mir empor und wandte nach dem Ausgange um, durch welchen soeben Sam verschwand.

Es war ein Moment der höchsten Aufregung. Wüthendes Geheul erfüllte die Luft; Schüsse krachten; Pfeile

schwirrten um uns, und dazwischen tönte das Getrappe und Schnauben der Pferde, auf welche sich die Wilden warfen, um uns zu verfolgen.

Ich war der Hinterste von uns Dreien und kann unmöglich sagen, wie ich durch den engen, gewundenen Paß hinaus ins Freie kam, ohne von dem Feinde erreicht zu werden. Hawkens war nicht mehr zu sehen; Winnetou bog rechts in das Thal hinab, welches wir vor einigen Tagen bei unserer Ankunft heraufgeritten waren, und blickte sich dabei nach mir um, ob ich ihm folgen werde.

Eben standen wir im Begriffe, die Biegung zurückzulegen, da fiel hinter uns ein Schuß, und ich fühlte, wie Harry zusammenzuckte. Er war getroffen worden.

„Swallow, mein Swallow, greif aus!“ ermunterte ich in höchster Angst das Thier, und in demselben rasenden Laufe wie damals nach der Explosion in New-Venango schoß es vorwärts.

Als ich mich umblickte, sah ich Parranoh auf seinem Mustang dicht hinter mir; die Andern wurden mir durch die Krümmungen des Weges versteckt. Obgleich ich nur einen flüchtigen Blick auf ihn werfen konnte, bemerkte ich doch den wüthenden Ingrimm, mit welchem er uns zu ereilen trachtete, und verdoppelte meine Zurufe an das brave Pferd, von dessen Schnelligkeit und Ausdauer Alles abhing; denn wenn ich auch einen Kampf mit dem wilden Manne nicht scheute, so wurde ich doch durch den Knaben an jeder freien Bewegung verhindert und konnte nichts thun als nur vorwärts streben.

Wie im Sturme flogen wir an dem Laufe des Wassers entlang. Winnetou’s Fuchs schleuderte die langen, knochenstarken Glieder von sich, daß die Funken stoben und das

lockere Geröll hinter ihm einen förmlichen Steinregen bildete. Swallow hielt ihm gleichen Schritt, obgleich er doppelte Last zu tragen hatte; aber, obwohl ich mich nicht mehr umblickte, wußte ich doch, daß Parranoh uns hart auf den Fersen blieb; denn der Hufschlag seines Braunen ließ sich in steter Nähe vernehmen.

„Ihr seid verwundet, Harry?“ fragte ich im vollen Jagen.

„Ja.“

„Und gefährlich?“

„Nein — ich denke wenigstens nicht!“

Das lebenswarme Blut rann ihm aus seiner Wunde über meine Hand, mit welcher ich ihn um den Leib gefaßt hielt. Er war mir zu lieb geworden, als daß mich dies nicht mit der lebhaftesten Besorgniß erfüllt hätte.

„Werdet Ihr den Ritt aushalten können?“

„Ich hoffe es.“

Ich feuerte das Pferd zu immer rasenderem Laufe an. Es führte nicht umsonst den Namen „Swallow“. Wie eine Schwalbe flog es dahin; seine Hufe schienen kaum den Boden zu berühren.

„Haltet Euch nur fest, Harry. Wir sind schon halb gerettet!“

„Es liegt mir Nichts am Leben. Laßt mich immerhin herunterfallen, wenn meine Last Euch hindert, zu entkommen!“

„Nein, Ihr sollt leben. Ihr habt ein Anrecht dazu!“

„Jetzt nicht mehr, da der Vater todt ist. Ich wollte, ich wäre mit ihm gefallen!“

Eine Pause folgte, während welcher wir unsern Lauf oder vielmehr unsern Flug fortsetzten.

„Ich bin schuld an seinem Tode,“ klagte sich jetzt der Knabe an. „Wäre ich Euch gefolgt, so wäre Parranoh in der „Festung“ niedergestoßen worden, und die Indsmen hätten ihn nicht getödtet!“

„Laßt das Geschehene. Wir haben mit der Gegenwart zu thun!“

„Nein, laßt mich herab. Parranoh bleibt zurück und wir können Athem holen!“

„So wollen wir’s versuchen!“

Mit dem festen Vorsatze, Stich zu halten, blickte ich zurück.

Längst hatten wir den Lauf des Wassers verlassen und waren in die freie Ebene eingebogen, über welche wir parallel mit dem Saume des uns zur Linken liegenden Waldes dahinflogen. Parranoh war jetzt eine ziemliche Strecke zurückgeblieben, und Swallow bewies sich also dem Braunen weit überlegen. Hinter dem weißen Häuptlinge, einzeln oder in kleinen Gruppen, folgten die Indianer, welche die Verfolgung nicht aufgeben wollten, trotzdem wir immer größeren Vorsprung gewannen.

Mich wieder umdrehend, sah ich, daß Winnetou abgesprungen war und hinter seinem Pferde stand. Er lud die erbeutete Büchse. Auch ich parirte meinen Hengst. Ich ließ Harry niedergleiten, stieg nach und legte ihn in das Gras. Zum Laden blieb mir nicht mehr Zeit; denn Parranoh war schon zu nahe. Ich sprang also wieder auf und griff zum Tomahawk.

Der Verfolger hatte unsere Bewegung wohl bemerkt, ließ sich aber von der Hitze fortreißen und stürmte, das Schlachtbeil schwingend, auf mich ein. Da krachte der Schuß des Apachen; der Feind zuckte zusammen

und stürzte, zu gleicher Zeit von meiner Waffe getroffen, mit tief gespaltenem Haupte vom Pferde.vWinnetou wandte den leblosen Körper mit dem Fuße um und sprach:

„Die Schlange von Atabaskah wird nicht mehr zischen und den Häuptling der Apachen nennen mit dem Namen eines Pimo. Mein Bruder nehme seine Waffen zurück.“

Wirklich trug der Gefallene Messer, Beil, Revolver und Stutzen von mir; ich nahm eiligst mein Eigenthum wieder an mich und sprang zu Harry zurück, während Winnetou den Braunen einfing.

Mit Genugthuung bemerkte ich, daß die Verwundung, welche von einem Streifschusse herrührte, nicht gefährlich sei. Zum Verbinden war keine Zeit, denn während des gehabten Aufenthaltes waren uns die Indsmen fast so nahe gekommen, daß sie uns mit ihren Kugeln erreichen konnten. Wir saßen wieder auf, und fort ging es mit erneuter Schnelligkeit.

Da plötzlich blitzte es zu unserer Linken hell und glänzend auf wie Waffenschimmer; eine zahlreiche Truppe Reiter flog von dem Waldessaume her zwischen uns und die Verfolger hinein, schwenkte gegen diese um und stürmte in gestreckten Galopp ihnen entgegen.

Es war ein Detachement Dragoner von Wilkes Fort, welche durch einen Streifzug in die Gegend geführt worden waren.

Kaum hatte Winnetou die Helfer erblickt, so riß er seinen Gaul herum, schoß an ihnen vorüber und mit hochgeschwungenem Tomahawk unter die Ogellalla’s hinein, welche kaum Zeit gehabt hatten, den Lauf ihrer Pferde

zu hemmen. Ich hingegen stieg ab, um nach der Wunde Harry’s zu sehen.

Sie war nicht gefährlich. Ich zog das Messer und schnitt, da mir nichts Anderes zur Verfügung stand, einen Streifen meines Jagdhemdes los, mit Hülfe dessen ich in der Eile einen nothdürftigen Verband anlegte, um wenigstens die Blutung zu stillen.

„Werdet Ihr aufsitzen können, Harry?“

Er lächelte und trat zu dem Braunen, dessen Zügel mir Winnetou im Vorübersprengen zugeworfen hatte. Mit einem Sprunge saß er oben.

„Nun das Blut nicht mehr fließt, fühle ich von der Wunde nichts mehr. Dort fliehen die Rothen. Vorwärts, ihnen nach, Sir!“

Es war so, wie er sagte. Ihres Anführers beraubt, dessen Zuruf sie zum Widerstande ermuthigt oder wenigstens ihre Flucht geregelt hätte, jagten sie, die Dragoner immer in ihren letzten Gliedern, denselben Weg zurück, welchen wir gekommen waren, und es war also zu vermuthen, daß sie in unserem Thalkessel ihre Zuflucht suchen wollten.

Jetzt ließen wir wieder ausgreifen, schossen an den zahlreich am Boden liegenden gefallenen Indianern vorüber und erreichten in Folge der Schnelligkeit unserer Thiere die Soldaten noch eine ziemliche Strecke vor dem Wasserthore.

Es kam sehr viel darauf an, die Wilden sich nicht in der Felsenwindung festsetzen zu lassen, sondern gleich mit ihnen einzudringen; deshalb trieb Swallow durch Busch und Dorn, über Stock und Stein an der ganzen Reihe der Verfolgenden vorüber und war bald an der Seite

Winnetous, welcher sich immerfort würgend an die Fersen der Flüchtenden geheftet hatte.

Jetzt bogen sie links nach dem Thore ein, und eben wollte der Vorderste sein Pferd in die Enge lenken, als aus derselben ein Schuß fiel und er leblos vom Thiere stürzte. Sofort krachte es zum zweiten Male; der Nächste ward bügellos, und da die bestürzten Wilden sich auf diese Weise den Eingang verwehrt und zu gleicher Zeit von uns fast umzingelt sahen, so brachen sie in der Richtung nach dem Mankizila durch und flohen, immer wieder verfolgt von den Dragonern, dem Wasserlaufe entlang davon.

Nicht geringer als die Bestürzung der Wilden war auch mein Erstaunen über die Schüsse, welche unsere Absicht so kräftig unterstützten oder vielmehr unnöthig machten. Aber ich sollte nicht lange im Zweifel über den muthigen Schützen sein, denn noch war der Hufschlag der Davonreitenden nicht verhallt, so lugte aus einem Walde von struppigen Barthaaren eine gewaltige Nase, über welcher ein paar kleine, listige Aeuglein funkelten, vorsichtig hinter der Felskante hervor, und da kein feindliches Wesen zu bemerken war, so schoben sich die übrigen Körperteile vertrauensvoll hinter dem rekognoszirenden Riechorgane her.

„Segne meine Augen, Sir! Welche Büchse hat denn auch Euch wieder hierher geschossen, wenn ich mich nicht irre?“ fragte der kleine Mann, ebenso erstaunt über meinen Anblick, wie ich über den seinen.

„Sam, Ihr seid’s? Wie kommt denn Ihr in das Thor? Habe Euch doch mit diesen meinen eigenen Augen fortreiten sehen!“

„Fortreiten, Sir?“ Danke für den Ritt! War eine

Bestie, die gar nicht von der Stelle kam und ihre alten Knochen mir so zwischen den Beinen herumschüttelte, daß diesem alten Coon die seinigen auseinandergegangen wären, wenn er das dumme Thier nicht hätte laufen lassen. Bin dann wieder zurückgeschlichen, hihihi; dachte mir, daß die Rothen alle hinter Euch her seien und die „Festung“ leer gelassen haben würden, wie mir scheint. Fand es auch so. Haben sich schön gewundert, als sie wieder zurückkamen, und machten Gesichter, meine ich, Gesichter, hihihi! Aber wo bringt Ihr denn die Commisleute her, Sir?“

„Stießen unterwegs auf uns, Sam; kamen grad zur rechten Zeit.“

„Glaube es. Aber kommt nur herein, wenn ich mich nicht irre; liegen Alle noch da, Alle, wie sie niedergemacht worden sind, meine ich.“

Winnetou war uns vorangegangen, und wir folgten ihm, die Pferde nachziehend. Im Innern der „Burg“ angekommen, sahen wir ihn an der Stelle stehen, an welcher wir gestern so heiß gekämpft hatten; zu seinen Füßen lag die Leiche eines Mannes, welchen wir sofort Alle erkannten: es war Old Firehand.

Die starken Glieder lang ausgestreckt, lag er auf dem Rücken, so daß wir die Wunde sahen, welche die Kugel Parranoh’s in seine Brust gerissen hatte. Die Augen waren geschlossen; um die eingefallenen Wangen und den fest zusammengekniffenen Mund lag noch der Ausdruck muthiger Todesverachtung, die ihm bis zum letzten Augenblicke seines thatenreichen Lebens treu geblieben war. Eins aber machte uns schaudern: der nackte, blutigrothe Schädel; man hatte ihn skalpirt, und die prachtvollen langen, grauen Locken — wo waren sie nur? Parranoh hatte sie nicht bei

sich gehabt — ah, dort am Pfahle hingen sie als Siegestrophäe bei den anderen Skalpen. Harry konnte den Anblick nicht ertragen und warf sich laut schluchzend über den geliebten Todten. Wir traten zurück, um seinem Schmerze seine Rechte zu lassen. Es war einer der trübsten Augenblicke meines Lebens, und selbst im Auge Winnetou’s, des festen, stolzen und unerschütterlichen Mannes, glänzte es wie eine Thräne, als er, die Hand schwer auf meine Schulter legend, sagte:

„Die Seele des Apachen ist dunkel, und sein Herz ist ohne Licht; er möchte sein Haupt legen neben das seines Freundes und todt sein wie er. Mein weißer Bruder wache mit ihm über den Sohn Ribanna’s, der Rose vom Quicourt!“ — — —

Es war mehrere Wochen später, als wir zu Vieren in jene Gegend kamen, wo ich Harry zum ersten Male gesehen und bei ihrem Erscheinen an den Flats-ghost gedacht hatte. Sie ritt auf Parranoh’s Braunen dicht an meiner Seite, so daß wir uns von damals unterhalten konnten. Schon vor mehreren Tagen hatten wir von einigen Westmännern gehört, daß der Schwiegersohn Forsters, also Harry’s Bruder, von Omaha nach New-Venango gezogen sei, um die vom Feuer zerstörten Besitzungen des verunglückten Oelprinzen wieder in den früheren Stand zu setzen.

Ihm galt unser Besuch, und wir waren gewillt, uns bei ihm von den gehabten Strapazen ganz gehörig auszuruhen. Old Firehand lag am Bee-fork bei seinem Weibe und Kinde begraben und um ihn herum die Männer, welche

mit ihm gefallen waren. Das Erbe der Todten gehörte uns, und wir hatten mit Hilfe der Dragoner Alles nach Wilkes Fort gebracht, um zu gelegener Zeit unsere Verfügung darüber zu treffen.

Sam der Kleine ritt an Winnetou’s Seite uns voran; ich folgte mit Harry. Er war seit dem Tode des Vaters und Parranoh’s Untergang um Jahre voraus gereift.

„Erinnert Ihr Euch noch, Sir, daß ich Euch hier nach der Mütze schoß?“ fragte er.

Ich nickte lächelnd.

„Und da drüben lag ich, als Ihr mich aus den Gluthen gerettet hattet.“

„Der Dank gehört Swallow!“

„Euch nicht minder! Könnt Ihr mir mein schlimmes Betragen verzeihen, dessen ich mich anklagen muß?“

Er bot mir mit bittendem Blicke die Hand herüber. Ich schlug ein.

„Von Herzen gern, Harry. Was Ihr thatet, geschah im Irrthum!“

„Uff!“ erscholl es da vor uns. Der Apache hatte den Rand des Bluffs erreicht und blickte mit Staunen hinunter auf die Niederlassung, welche sich mit ächt amerikanischer Schnelligkeit auf der Stätte der Verwüstung wieder erhoben hatte. „Ist hier das Thal, aus welchem mein weißer Bruder den Sohn Ribanna’s gerettet hat?“

„Ja,“ antwortete Harry. „Gerade hier an diesem Felsen hat Swallow uns durch Rauch und Flammen emporgetragen, und dort, nicht weit von hier, habe ich im Ringen den Reif verloren, den sein jetziger Besitzer mir bis heut noch nicht zurückerstattet hat.“

Ich wollte eine Bermerkung machen, wurde aber durch

den Zuruf Sam Hawkens verhindert. Er war längs des Randes fortgeritten und hatte den Pfad gefunden, welcher abwärts führte.

„Wenn nur dieses alte Coon hier wüßte, was der kleine Sir da hinten für ein Meeting abzuhalten hat. So macht doch vorwärts, wie mir scheint, Ihr Leute, hebt Euch nach New-Venango, oder wie das Ding sonst heißen mag, sonst geht Ihr um den Sand herum wie der Dickschwanz um die Falle, wenn ich mich nicht irre. Nur frisch hinab, sie werden Euch und den Sohn meiner Mutter da unten nicht verzehren! Der kleine Sir wäre schon appetitlich dazu, aber Sam, der alte Hawkens, hihihi — —“

Lustig vor sich hin kichernd, betrachtete er seine allerdings nichts weniger als reizende Gestalt und schickte sich an, sein Pferd den steilen Hang hinabzuführen. Wir folgten ihm. Wir hatte die Ruhe nöthig, welche uns hier nach langer Irrfahrt winkte. —

Sagen und Legenden vom Mississippiwiedererzählt vonFr. C. von Wickede.

Schlusslinie

Wie die Nachkommen aller Nationen, die auf dem Welttheater, wenn auch glanzlos und ohne einflußreiche Spuren zurückzulassen, eine Rolle gespielt haben, bewahren auch die verschiedenen Indianerstämme Nordamerika’s eine Menge Sagen und Legenden, welche, obgleich in der Ueberlieferung vielleicht mannigfach entstellt und daher nicht immer ganz zuverlässig, dennoch den eigenthümlichen Charakter der vor dem Andrängen der Kultur nach und nach verschwindenden Racen zeigen.

Viele dieser Sagen haben sich nach dem Aussterben einzelner Stämme von Mund zu Munde durch die Voyageurs und Waldläufer fortgepflanzt, und sind so zur Kenntniß des weißen Mannes gelangt. Diese werden sich als amerikanische Sagen erhalten, so lange noch rothe Männer auf dem Boden ihrer Väter wandeln. Andere aber werden mit ihnen zu Grunde gehen und wir von einzelnen Stämmen kaum mehr als ihre Namen und ihre einstigen Wohnsitze berichten können.

Die Fußspuren auf dem Convogaskafelsen.

Lange vorher, ehe die Franzosen das Besitzrecht ihrer Eroberungen am östlichen Mississippi an die Engländer abtraten, war unter dem Stamme der Illinois, welche zur Familie der Algonkiner gehörten, ein Häuptling, welcher wegen seiner Behendigkeit, sowie seiner Weisheit, im Rathe die gefleckte Schlange genannt worden war. Obgleich ein Lamm in seinem Wigwam, war er der Schrecken seiner Feinde, und wenn er mit seinen Kriegern den Kriegspfad betrat, kehrte keiner zurück, dessen Gürtel nicht mit Skalpen behangen gewesen wäre. Unter ihm waren die Illinois eine große Nation geworden und sowohl ihre Nachbarn, die Shawnees und Kickapoos, wie auch die entfernteren Stämme der Dakotahs, Osagen, Kansas und Missouris mußten ihm unterliegen. Die Schlange war stets in den vordersten Reihen der Kämpfer, und obgleich mancher Pfeil sein Fleisch zerrissen und der Hieb manches Tomahawks ihm gefährlich gewesen war, schien sein Leben gegen alle Waffen gefeit zu sein. Sechzig Skalpe von Feinden, die er mit eigener Hand getödtet hatte, hingen über der Thür seiner Hütte, und jeder Kriegszug fügte diesen Siegestrophäen neue hinzu.

Seine Squaw war stolz darauf, das Weib eines großen Häuptlings zu sein, und nie kehrte er in seine Hütte zurück, ohne daß sie ihn mit Jubel willkommen hieß. Wenn er abwesend war, sei es auf dem Kriegspfad oder auf der Jagd, pflegte sie ihrem Sohne von den Heldenthaten

seines Vaters zu erzählen, damit er einst seiner würdig sein sollte.

Da sie ihrem Manne von Herzen zugethan war, beschloß sie einst, um sowohl ihm als seinem Volke einen Beweis ihrer Hingebung und Verehrung zu geben, ihm ein Jagdkleid aus Hirschleder anzufertigen, auf welchem sein Totem, umgeben von einer Anzahl gebrochener Pfeile, welche die Zahl der erschlagenen Feinde bedeuteten und nationenweise kreisförmig zusammengestellt waren, mit Lederstreifen hineingestickt war. Es war eine langwierige und beschwerliche Arbeit. Aber ihre Ausdauer wurde reichlich belohnt durch die Freude, welche die Schlange darüber empfand und die Anerkennung, welche er ihrer Geschicklichkeit zollte.

Dieses Jagdkleid trug der große Häuptling fortan bei jedem Kampf und war er seither unwiderstehlich gewesen, schien er jetzt dadurch unüberwindlich geworden zu sein. Es machte ihn zum Schrecken seiner Feinde, und mancher Krieger verlor sein Leben in dem Versuche, sich desselben zu bemächtigen. Bei seiner Heimkehr hatte die Squaw jedesmal neue gebrochen Pfeile hinzuzufügen, um die mitgebrachten Skalpe zu verzeichnen.

Eines Tages war die Schlange lange einem angeschossenen Hirsche gefolgt und hatte sich, vom langen Marsche und der Sonnenhitze ermüdet, unter einen Baum gelegt, um auszuruhen. Da überkam ihn der Schlaf. Ein dumpfes Brummen über seinem Kopfe erweckte ihn. Instinktmäßig sprang er auf und griff nach seinem Bogen. Da sah er einen ungeheuren Bären von dem Baume, unter welchem er gelegen hatte, herabsteigen. Ehe er noch Zeit hatte, einen Pfeil auf die Bogensehne zu legen, stand der Bär

schon neben ihm, um ihn zu umarmen. Die Schlange sprang einen Schritt zurück, zog den steinernen Tomahawk aus dem Gürtel und versetzte dem Thier einen gewaltigen Schlag auf den Kopf. Derselbe betäubte es indessen nur für einen Augenblick und wüthend gemacht, stürzte es sich auf den Angreifer. Mit großer Gewandtheit wich dieser dem Gegner aus und versetzte ihm noch einen Hieb auf den Kopf, welcher es zu Boden fällte. Aber der Bär war noch keineswegs getödtet und schien entschlossen, sein Leben bis zum Aeußersten zu vertheidigen. Als die Schlange im Begriff war, dem Bären das Messer ins Herz zu stoßen, erhob dieser sich noch einmal und während der Indianer von seiner Waffe Gebrauch machte, schlug er seine Zähne in dessen Schulter und zerriß ihm die Kopfhaut mit seinen Tatzen. Ein erneuter Schlag auf den Schädel veranlaßte endlich den Bären, seinen Halt loszulassen und zur Erde fallend, den Indianer als seinen Sieger anzuerkennen. Aber selbst noch im Todeskampfe hatte er mit der Tatze die Lende des Kriegers so zerfleischt und dessen Unterleib derartig verletzt, daß derselbe nicht im Stande war, das Blut zu stillen. Da stellte sich der stolze Häuptling aufrecht auf die Füße und ließ einen dreimaligen lauten Kriegsruf ertönen, welchen der Wind weithin durch die Wälder trug. Die Abnahme seiner Kräfte sagte ihm, daß er nicht im Stande sein werde, allein sein heimathliches Dorf zu erreichen, und so hoffte er, daß einige Krieger seines Stammes ihn hören und zu seinem Beistande kommen würden.

Der Ruf ward aus weiter Ferne erwidert und er erkannte in der Antwort die Stimme der Seinigen. Beruhigt, daß ihm Hilfe erscheinen werde, legte er sich wieder auf den Boden nieder, um die Ankunft seiner Freunde zu

erwarten. Als dieselben ihn sterbend fanden, machten sie eine Bahre aus Aesten, um ihn auf derselben in das heimathliche Dorf zu schaffen. Das Fell des Bären wurde ihm als Lager gegeben und er empfand beim Anblick seiner Beute eine Linderung seiner Schmerzen.

Als er in seiner Hütte ankam, schien der Kummer sein Weib überwältigen zu wollen. Als er ihr aber bedeutete, daß sie die Squaw der gefleckten Schlange sei, und es ihr nicht gezieme, über den Tod eines Häuptlings zu klagen, welcher auf seiner Siegestrophäe heimgetragen wäre, bezwang sie ihren Schmerz. Dann nahm sie das Jagdkleid zur Hand, um darauf zur Erinnerung an die letzte Heldenthat ihres Gatten einen Bären einzuwirken. Diese Arbeit unterbrach sie nur, wenn ihres Gatten Pflege es nothwendig machte. Mit Stolz blickte derselbe auf die künstliche Arbeit und ein Lächeln des Triumphs spielte um seine bleichen Lippen, als er das Register seiner Heldenthaten vor seinen Augen ausgebreitet sah. Dann winkte er seinem Sohne Convogaska, einem Knaben von nahezu siebenzehn Jahren, aber in seiner körperlichen Entwicklung einem Manne gleich.

„Was Deine Mutter mit geschickter Hand geschaffen hat,“ sagte er zu ihm, „sei Dir ein theures Vermächtniß, welches Dich lehren soll, in meine Fußstapfen zu treten. Trage das Jagdkleid, wenn Du den Kriegspfad betrittst, — es wird Deinen Arm stark machen und Du brauchst nicht die Zahl Deiner Feinde zu zählen. Nie aber lasse es in die Hände derselben fallen, sonst wird der große Geist sich von unserem Volke abwenden.“

Dann versammelte er alle seine Braven um sich, ließ das Jagdkleid vor sich ausbreiten und begann seinen Todtengesang, -

Todtengesang, in welchem er den Manitu bat, ihn nach den himmlischen Jagdgründen der guten Indianer zu führen.

Als der große Häuptling gestorben war, begannen viele der feindlichen Stämme auf’s Neue ihre Einfälle in das Gebiet der Illinois und führten Skalpe und Gefangene mit sich fort. Vergeblich fochten die ihres seitherigen Führers Beraubten mit unverminderter Tapferkeit. Aber es fehlte ihnen der Geist, der ihre Bewegungen seither geleitet hatte. Dennoch verzagten sie nicht, denn sie wußten, daß ihnen in der Person seines Sohnes ein Häuptling erstehen würde, von dem sie hofften, daß er im Stande sein werde, an den Bedrängern Rache zu üben. Aber zwei bange Jahre vergingen, ehe die ersehnte Zeit herankam, wo derselbe zum Mann erklärt werden sollte.

Endlich nahte der Augenblick und Convogaska, jetzt neunzehn Jahre alt, war bereit, die ihm aufzuerlegende Probe zu bestehen. Stark wie ein Büffel und schnell wie das Elenthier, verstand er nicht minder den Gebrauch des Speers, wie den des Tomahawks und des Bogens. Wenn er dessen Sehne spannte, war er gewiß, daß sein Pfeil sein Ziel erreichte.

Die Probe, welche er abzulegen hatte, bestand nach der Sitte seines Volkes darin, daß er in der Einsamkeit des Waldes außerhalb des Dorfes eine längere Fastenzeit beobachtete. Als er sich an den bestimmten Ort zurückzog, nahm er seines Vaters Jagdkleid mit sich, um durch dessen Anblick seinen Muth und seine Entschlossenheit zu stärken.

Ungefähr um dieselbe Zeit war eine auserlesene Truppe von Missouris ausgezogen, um einen ihrer gewöhnlichen Handstreiche gegen die Illinois auszuführen. Sie schlichen

wie listige Füchse bis nahezu an das Dorf der Letzteren, als sie plötzlich zwei Illinoiskrieger vor sich sahen, welche einen Hirsch geschossen hatten, den sie im Begriffe waren, auszuweiden. Da dieselben unvorsichtig laut sprachen, ließ der Häuptling der Missouris seine Leute Halt machen, weil er deren Unterhaltung zu belauschen wünschte. Leise wie eine Katze, näherte er sich der Stelle, wo die beiden Jäger standen und hörte, daß sie von Convogaska sprachen, wobei sie des Umstandes erwähnten, daß er das sonderbar gearbeitete Jagdkleid seines Vaters bei sich habe.

Es würde dem Missourihäuptling ein Leichtes gewesen sein, die beiden Illinois, welche an keine Gefahr zu denken schienen, in einem plötzlichen Ueberfall zu erschlagen, aber da ihm Alles an dem Besitz des Jagdhemdes lag, von dem er glaubte, daß es seinen Namen berühmt machen könne, so zog er den Pfeil, welchen er schon auf die Sehne gelegt hatte, wieder zurück und ließ die beiden Jäger ungestört ihre Arbeit verrichten. Lautlos, wie er gekommen war, schlich er sich dann wieder zu seinen Kriegern zurück, und theilte ihnen die wichtige Nachricht mit, welche er erlangt hatte. Der Plan, der von ihm alsbald entworfen wurde, war, Convogaska zu überraschen, sich in Besitz des Jagdhemdes zu setzen, und da dessen Eigenthümer, in Folge des langen Fastens geschwächt, nicht viel Widerstand bieten könnte, ihn als Gefangenen mit fortzuführen.

Als sie die Stelle erreichten, wo Convogaska saß, fanden sie ihn Angesichts des Jagdhemdes, welches er vor sich ausgebreitet hatte, kühne Pläne zu Heldenthaten schmieden. Aber das Ohr des Jünglings ließ sich nicht durch den Eulenschrei, welchen die Angreifer als Erkennungszeichen

verabredet hatten, täuschen, und die beiden ersten Missouris, welche ihn beschleichen und binden wollten, fielen unter den Schlägen der gewaltig geschwungenen Keule. In dem verzweifelten Kampfe, welcher jetzt folgte, wurde indessen Convogaska selbst übermannt, zu Boden geworfen und gebunden. Ehe es aber seinen Gegnern gelang, ihn vollständig zu bewältigen, ließ er den Kriegsruf seines Vaters ertönen, um seine Stammesgenossen gegen die Uebermacht zu Hilfe zu rufen. Im nächsten Augenblick ward der Ruf vom Dorfe her beantwortet und der feindliche Häuptling, welcher schon das Herannahen der Hilfe bringenden Illinois vernahm, sah sich genöthigt, den Rückzug anzutreten und behielt selbst nicht die Zeit, den Skalp seines Gegners mitzunehmen. Er nahm jedoch das Jagdhemd zu sich und versetzte dem Jüngling, um ihn unschädlich zu machen, einen Schlag auf den Kopf mit seinem steinernen Tomahawk, daß derselbe besinnungslos zu Boden sank.

Als die Illinoiskrieger zur Stelle kamen, fanden sie nur den anscheinend leblosen Körper des hoffnungsvollen Sohnes ihres alten Häuptlings neben den zuckenden Leichen der beiden von ihm erschlagenen Missouris. Ohne Zögern folgten sie der Spur der Räuber während der Nacht und stellten die Verfolgung erst gegen Tagesanbruch ein, als sie bemerkten, daß dieselben über den Mississippi entkommen waren.

Die bei Convogaska zurückgebliebenen Krieger, welche noch Lebenszeichen in ihm entdeckten, trugen ihn mit großer Vorsicht in das Dorf, wo er mit lautem Weheklagen und Jammern empfangen wurde. Der Verlust des Jagdkleides, welcher in den Augen ihres frühern Häuptlings gleichbedeutend mit dem Untergang des Stammes sein sollte,

wirkte fast noch niederschlagender auf sie, als die gefährlichen Verletzungen, die der junge Mann erhalten hatte.

Viele Tage und Wochen schwebte derselbe in großer Gefahr. Aber sein kräftiger Körper triumphirte endlich und das heftige Fieber, in welches er verfallen war, ließ nach. Dennoch schritt seine Genesung nur langsam voran, und nur die große Sorgfalt seiner Mutter brachte es endlich dahin, daß er die Hütte wieder verlassen konnte. Ihr Benehmen gegen ihn war indessen ein auffallend kühles und er glaubte den Grund desselben zu kennen.

Schon wenige Tage darauf versuchte er seine Kräfte in Gesellschaft mehrerer Stammesgenossen auf der Jagd, aber er fand, daß seine Schwäche noch zu groß war und daß erst mit der Zeit die alte Spannkraft und Ausdauer zurückkehren werde.

Eines Abends, als er neben dem Feuer in der Hütte Platz genommen hatte, und seine Mutter das Hirschfleisch bereitete, fragte sie ihn, wann er das Jagdhemd seines Vaters wieder holen wolle. „Morgen,“ antwortete der Jüngling, in dessen Brust bei der Erinnerung an die ihm widerfahrene Schmach, Schamgefühl und Stolz um die Herrschaft rangen.

„So nimm die Waffen Deines Vaters,“ entgegnete die Mutter, indem sie vom Hirschgeweih den Bogen und den mit Pfeilen gefüllten Köcher der gefleckten Schlange nahm und ihrem Sohne reichte. „Gehe in das Land der Missourihunde und kehre nicht zurück ohne das Jagdhemd Deines Vaters. Dein Schritt sei leise wie der des Fuchses und Dein Auge wachsam, wie das des Hirsches auf der

Prairie, wenn Du in der Dunkelheit um ihre Wigwams schleichst. Ich habe keinen Sohn mehr, wenn derselbe nicht das Gewand zurückbringen kann, auf dem ich, zur Ehre unseres ganzen Stammes, ihres großen Häuptlings Heldenthaten einwob.“

„Convogaska wird gehen,“ entgegnete der junge Mann, während ein unheimliches Feuer in seinen Augen glühte. „Er wird seines Vaters Jagdkleid wieder bringen oder den Missouris seinen Skalp lassen.“ Dann verließ er die Hütte und stürzte in die Nacht hinaus.

Mit Tagesanbruch sah er den Vater der Gewässer vor sich, auf dessen anderem Ufer die Missouris ihre Wohnsitze hatten. Die Schwierigkeit, den breiten, reißenden Strom zu überschreiten, schreckte ihn nicht. Ein trockener Baumstamm, den er am Ufer liegend fand, ward ins Wasser geschafft, und von demselben unterstützt, theilte er mit starkem Arm die Wogen.

Wohl ward er hin und wieder von der gewaltigen Strömung mit fortgerissen, aber er kämpfte unverdrossen dagegen an, bis er endlich das jenseitige Ufer erreicht hatte. Er stand jetzt auf einem ihm völlig unbekannten Boden, und dennoch drang er in die dichten Wälder ein, nur geleitet von dem, was er aus den Berichten älterer Krieger über das Dorf der Missouris erfahren hatte. Am vierten Tage fand er sich Angesichts des Höhenzuges, welcher die Ufer des Missouriflusses beherrscht. Er bestieg einen der Hügel und schaute gegen Sonnenuntergang. Da sah er vor sich aus einer Klärung mehrere Rauchsäulen aufsteigen, welche ihn darauf schließen ließen, daß er dem Dorfe nahe sei. Vorsichtig schlich er näher und der Anblick einer

großen Menge von Hütten sagte ihm, daß seine Wahrnehmung richtig gewesen sei. In einer Felsenhöhle, welche zur Winterszeit wohl der Schlupfwinkel eines Bären gewesen sein mochte, verbarg er sich bis zum Einbruch der Nacht.

Der Himmel schien seinen Plänen günstig zu sein, denn ein dichter Wolkenschleier legte sich über das ganze Firmament. Behutsam und geräuschlos näherte er sich jetzt dem Dorfe und schaute in die Wigwams, deren Inneres durch Kienfackeln erhellt war. Endlich kam er an einen, welcher geräumiger und bequemer schien wie die übrigen. Ein Astloch in der Thür desselben erlaubte ihm, das Innere zu überschauen. Er zweifelte nicht daran, daß er vor der Hütte eines Häuptlings stand. Zu seiner Ueberraschung sah er, auf ihren Büffelfellen ausgestreckt, zwei Krieger liegen, von denen der Eine von ihnen als derjenige erkannt wurde, welcher ihm den Schlag mit dem Tomahawk versetzt hatte. Zu seiner nicht geringen Freude entdeckte er unfern von demselben, auf dem Geweihe eines Elenhirsches hängend, das geraubte Jagdkleid.

Plötzlich knurrte ein Hund im Innern der Hütte und veranlaßte den Missourihäuptling, sich von seinem Lager zu erheben. Convogaska trat einen Schritt zurück, um bei der Helle des Lichtscheines, welchen die geöffnete Thür auf die Umgebung warf, nicht gesehen zu werden. Gleichzeitig aber hatte er seinen Bogen bereit gemacht und als der Häuptling heraustrat, um die Ursache der Unruhe des Hundes zu erforschen, schwirrte sein Pfeil von der Sehne und durchbohrte dem Feinde das Herz. Mit einem gewaltigen Sprunge setzte er alsdann über den Getödteten hinweg und drang in den Wigwam ein, und ehe der andere

Krieger im Stande war, nach seinen Waffen zu greifen, war der todbringende Tomahawk des jungen Mannes auf den Schädel des Gegners gefallen. In der nächsten Minute war des Vaters Jagdkleid und die beiden blutenden Skalpe der Gefallenen in seinen Händen und der muthige Jüngling selbst, mit dem Kriegsruf seines Stammes auf der Lippe, auf dem Rückzuge begriffen.

Das Allarmzeichen, welches er gegeben hatte, versetzte das ganze Dorf in Aufruhr und die Wuth der Krieger kannte keine Grenzen, als sie fanden, daß ihr Häuptling und einer ihrer ersten Krieger in ihrem eigenen Wigwam getödtet und ihrer Skalpe beraubt worden waren.

Der Hund, welcher des Flüchtlings Spur gefolgt war, brachte die Truppe, welche sich sofort zu seiner Verfolgung aufmachte, bald auf seine Fährte. Aber unaufhaltsam, das Herz voll Hoffnung und Freude, stürmte Convogaska fort und das Geheul seiner Verfolger beschleunigte nur noch seine Eile. Der Morgen graute, der Mittag kam, die Sonne senkte sich wieder und Verfolger und Verfolgter mäßigten ihre Eile. Selbst die Nacht brachte ihnen keine Ruhe. Indessen hatten die Verfolger vor Convogaska einigen Vortheil voraus, da sein Körper durch lange Krankheit geschwächt war, und am zweiten Tage seiner Flucht fühlte sich derselbe auch so erschöpft, daß er nicht weiter konnte. Er mußte jetzt zu einer List seine Zuflucht nehmen und versuchen, die Missouris von seiner Spur abzulenken, indem er sich südlich gegen den Missourifluß wandte, hoffend, jene würden an den Mississippi vordringen. In einer Erdhöhle, welche von dichtem Gesträuch überhangen war, beschloß er, sich einige Stunden

der Ruhe zu gönnen und seinen Hunger mit den Beeren, welche das Gesträuch bot, und einem mitgenommenen Stück gedörrten Hirschfleisches zu stillen.

Gegen seinen Willen verfiel er hier in einen tiefen Schlaf, aus dem er durch einen heftigen Schmerz in der Seite erweckt wurde. Vor ihm stand ein riesiger Missourikrieger, welcher, nachdem er seinen Pfeil auf ihn abgeschossen hatte, mit wüthendem Geschrei auf ihn eindrang. Schon schwang er den Tomahawk über seinem Haupt, als Convogaska, gelenkiger als er, zur Seite sprang und seine Waffe nach ihm schleuderte. Tödtlich getroffen, sank der Missouri zu Boden, und im nächsten Augenblick hing dessen blutiger Skalp an des Siegers Gürtel. Aber schon eine Minute darauf zeigte sich zwischen den Büschen die dunkle Gestalt eines andern Kriegers. Nur Entschlossenheit konnte jetzt den jungen Mann retten. Sein Pfeil schwirrte von der Sehne und der Feind fiel, ins Herz getroffen, ehe er auch nur Zeit zum Angriff fand.

Aber jetzt war keine Zeit zu verlieren, denn ohne Zweifel war der Kriegsruf des ersten Missouri von den Genossen gehört. Noch war der Mississippi weit entfernt und es war fraglich, ob er denselben, geschwollen und wund wie seine Füße waren, erreichen würde; denn sicher konnte er sich vorher nicht wähnen. Wie ein flüchtiger Hirsch stürmte er vorwärts, aber selbst in seiner Eile die Vorsicht nicht vergessend. Dennoch fanden die Missouris seine Spur und folgten derselben wie Bluthunde dem angeschossenen Wilde.

Endlich nach mehrstündigem Laufen sah er beim hellen Sternenschein das ersehnte Ziel vor sich. Nur noch wenige

Schritte und er konnte in die Fluthen tauchen, die ihn sicher hinübertragen würden. Mit klopfendem Herzen schnürte er das Jagdkleid zusammen, band es auf den Rücken, nahm den Bogen und einen Pfeil in die Linke und den stets bereiten Tomahawk in die Rechte, als sich ihm plötzlich, seither hinter einem Baume verborgen, ein Missourikrieger entgegen warf. Vor Aufregung zitternd, ließ der Jüngling seine schwere Waffe auf dessen Schädel fallen, aber die nachdringenden Verfolger ließen ihm nicht die Zeit, sich das neuen Skalps zu bemächtigen. Von allen Seiten hörte er sie heranstürmen und es war augenscheinlich, daß sie ihn nicht das Ufer erreichen lassen würden. Nur noch eine neue List konnte ihn retten und diese suchte er darin zu finden, daß er eine hohe Fichte erklomm, deren ästiger Stamm ihm erlaubte, mit der Geschwindigkeit eines Eichhörnchens die hohe Krone zu erreichen. Unter dem Schutze der Nacht war ihm dies unbemerkt gelungen und er hörte, wie seine Verfolger vergebens das Ufer abspähten. Indessen entfernte sich keiner von ihnen, so daß er annehmen mußte, sie hätten die Art seines Rückzuges bemerkt, und beabsichtigten nur den Morgen zu erwarten, um seinen Schlupfwinkel zu entdecken.

Mit Tagesanbruch sammelte sich auch in der That der ganze Trupp unter dem Baume. Nachdem sie lange Zeit von verschiedenen Richtungen in die Höhe geblickt und sogar einige aus ihrer Mitte auf die benachbarten Bäume geschickt hatten, um ihn zu erspähen, ließen sie plötzlich ein schreckliches Jubelgeschrei ertönen, um ihm kund zu thun, daß er entdeckt sei.

Des jungen Mannes Muth sank, als er schließlich die

Aufforderung an sich ergehen hörte, sich seinen Feinden zu überliefern. Aber die Ueberzeugung, daß er sich des Ruhmes, den ihm sein Vater hinterlassen hatte, würdig zeigen müsse, ließ ihn ein solches Verlangen mit Hohnlachen beantworten. Dennoch konnte er sich nicht verbergen, daß seine rachsüchtigen Feinde Mittel finden würden, ihn zum Herabsteigen zu zwingen. Hunger und Feuer waren Gegner, denen er auf die Dauer nicht widerstehen konnte. Unschlüssig, ob er freiwillig seinen einstweilen noch sichern Schlupfwinkel verlassen und sein Leben so theuer als möglich verkaufen, oder abwarten solle, was die heulende Rotte unter ihm beginnen würde, blickte er in die Ferne, in der Richtung seiner Heimath und bat den großen Geist, ihm zur Ehrenrettung seines Namens ein Mittel der Rettung zu zeigen. Da war es ihm, als ob die Gestalt seines Vaters vor ihm auftauche und dessen Stimme ihm zuflüstere, an dem sicheren Orte auszuharren bis zur Nacht, wo er ihm ein Zeichen geben wolle, wie er seinen Feinden entkommen könne. Er beschloß, diesem geisterhaften Flüstern seines Vaters zu folgen, den nur der Manitu zu seiner Befreiung gesandt haben konnte, und auszuharren bis zum Einbruche der Dunkelheit. Der Tag wurde ihm bange und beschwerlich und die Missouris ließen kein Mittel unversucht, ihn zum Herabsteigen des Baumes zu veranlassen. Sie schossen von den benachbarten Bäumen auf ihn, aber das dichte Laubwerk verhinderte den geraden Flug ihrer Pfeile und als sie versuchten, den Baum zu erklimmen, fanden sie, daß dessen Umfang dies nicht zulasse.

Endlich erlöste ihn die eintretende Dunkelheit von den Belästigungen der Feinde, welche indessen weit entfernt waren, den Ort zu verlassen. Als die Mitternachtsstunde

herannahte und die Lichter der Nacht am Himmel angezündet waren, hörte er ein sonderbares Rauschen in den Lüften und eine Stimme sprach zu ihm:

„Jetzt ist Deine Zeit gekommen, mein Sohn. Deine Wächter schlafen fest und Du wirst ungesehen von Deinem Baume auf jene große Eiche hinübersteigen können, welche ihre breiten Aeste weithin über dem felsigen Ufer ausbreitet. Von einem dieser Aeste wirst Du Dich herabschwingen und der große Geist wird Deine Füße hart machen, damit sie nicht durch den Fall zerbrochen werden. Ich werde Dir den Weg zeigen.“

Trotz der Dunkelheit sah Convogaska die Gestalt seines Vaters in hellem Lichte und ward von demselben so sicher nach dem hohen Eichbaum hinüber geführt, als ob er auf dem ebenen Boden gegangen wäre. Als sie dort angekommen waren, bezeichnete ihm die geisterhafte Form der gefleckten Schlange den Ast, von dem er sich herabfallen lassen sollte.

„Wende Dein Gesicht jenem hellen Sterne zu, der am nordöstlichen Himmel steht,“ sagte er, „und ehe Du Deinen Halt losläßt, laß den Kriegsruf Deines Volkes ertönen, um den Missourihunden zu zeigen, daß Du sie auch in der größten Noth nicht fürchtest.“

Convogaska that, wie ihm befohlen war, und als er seinen wilden Kriegsruf im Walde wiederhallen hörte und sich versichert hatte, daß die Missouris ihn in der Höhe schweben sahen, ließ er den Halt los und fiel mit solcher Gewalt auf den Felsen unter ihm herab, daß derselbe unter seiner Last erdröhnte.

Die Missouris waren, durch seinen herausfordernden

Ruf auf sein Beginnen aufmerksam gemacht, Zeugen gewesen von dem gefährlichen Sprung und erwarteten seine blutige Leiche auf der Felsplatte liegen zu sehen. Wie erstaunten sie aber, als sie ihn aufrecht vor ihnen stehen und triumphirend die Hand erheben sahen. Mehr als ein Dutzend Pfeile wurden im nächsten Augenblick auf ihn abgeschossen. Aber der Flüchtling war bereits aus ihrem Bereich in den Fluthen des Mississippi. Wohl versuchten einige, ihm zu folgen, aber bei dem Vorsprung, der er gewonnen hatte, reichten ihre Kräfte nicht aus, ihn zu überholen. In ohnmächtiger Wuth erschöpften sie sich in leeren Drohungen, welche der rüstige Schwimmer mit Hohnlachen beantwortete.

Er erreichte sicher das östliche Flußufer, gönnte sich dort eine kurze Rast und trat dann, von nagendem Hunger getrieben, in den Wald, hoffend auf der Wanderung nach der Heimath so viel Waldfrüchte zu finden, wie er zur Nahrung bedurfte. Zwei Tage angestrengten Marsches brachten ihn in das Dorf seines Stammes, wo man ihn schon für verloren geglaubt hatte. Als er aber das wiedergewonnene Jagdkleid seines Vaters und die Siegeszeichen an seinem Gürtel zur Schau trug, war des Jubels kein Ende. Die ältesten Häuptlinge überhäuften ihn mit Lobeserhebungen und führten ihn im Triumph in die Versammlungshütte des Stammes. Hier erklärte er ihnen, wie er es angefangen habe, sich wieder in den Besitz des ihm geraubten Jagdkleides zu setzen und welche Kämpfe er dabei zu bestehen gehabt hatte. Man lobte seinen Muth, sowie seine Entschlossenheit und Ausdauer und gewährte gern sein Verlangen, eine Anzahl Krieger seiner Führung

anzuvertrauen, um sich an der Truppe Missouris, die ihm so sehr zugesetzt hatten, zu rächen.

Ehe er indessen mit diesen aufbrach, ging er in die Hütte seiner Mutter, um ihr zu sagen, daß er sich seines Vaters würdig gezeigt habe.

„Convogaska ist der Sohn eines großen Häuptlings,“ sagte sie, „und sein Gesicht wird nicht in eine Wolke verhüllt werden, wenn die Feinde seines Volkes herannahen. Das Auge des jungen Adlers ist scharf und seine Schwingen kennen keine Ermüdung. Nimm Speise und Trank zu Dir, dann bekleide Dich mit den Mokkassins Deines Vaters und der Manitu wird Deine ferneren Schritte leiten.“

Von dem liebenden Auge seiner Mutter gefolgt, zog er dann mit seinen Begleitern wieder zum Mississippi hinab, durchschnitt denselben in einem mitgenommenen Kanoe, fand aber nicht mehr die Missouris auf der Stelle, wo er sie verlassen hatte. Er zeigte dann seinen Begleitern die luftige Höhe, von der er herabgesprungen war. Als sie aber an der von Ferne bezeichneten Stelle auf der Felsplatte ankamen, erscholl ein allgemeiner Ausruf der Ueberraschung, denn in dem harten Gestein zeigten sich deutlich ausgeprägt zwei männliche Fußspuren, welche durch Convogaska’s Sprung herbeigeführt waren.

Convogaska wurde ein größerer Krieger, als selbst sein Vater, die gefleckte Schlange gewesen war. Er stellte den alten Ruhm seiner Nation wieder her und sein Name war bei allen Indianerstämmen des Mississippithales gefürchtet. Nach seinem Tode aber verloren die Illinois nach und nach den mühsam erlangten Einfluß wieder und wurden in den unausgesetzten Kämpfen mit andern Stämmen und den Bleichgesichtern gänzlich aufgerieben.

Die Fußspuren auf dem Felsen aber sind Jahrhunderte lang erhalten geblieben und waren bis zum Untergange des tapfern Volkes fortwährend Gegenstand der Bewunderung. Im Jahre 1816 indessen ließ der damalige Eigenthümer des Grund und Bodens, auf dem sich der Fels befand, das Stück Stein mit den Spuren heraushauen und verkaufte es an die Sekte der Harmoniten, welche es für den Thürpfeiler ihrer Kirche in St. Louis verwandten.

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