Der Armendoctor.
Novellevon K. Schrattenthal.
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Die drei Feldmarschalls.
Eine bisher unbekannte Episode aus dem Leben
des „alten Dessauer“von Karl May.
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Meister Müller und sein Geselle.
Eine deutsche Geschichte aus alter Zeitvon K. von Lenhard.
Alle Rechte, besonders das der Uebersetzung, vorbehalten.
Die drei Feldmarschalls.
Eine bisher unbekannte Episodeaus dem Leben des „alten Dessauer“.VonKarl May.
1.
Es war eine schlimme Zeit für Deutschland und ganz besonders auch für die Bewohner der brandenburgisch-hannoverschen Grenze. Friedrich der Große hatte gegen Maria Theresia von Oesterreich losgeschlagen. Kurfürst Georg August von Hannover, der als Georg II. auch König von Großbritannien war, hielt es als Reichsfürst und Garant der Pragmatischen Sanktion für seine Pflicht, gegen Preußen Front zu machen. Darum erhielt der Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau von Friedrich die Ordre, Brandenburg gegen einen Einfall Georgs zu schützen und legte längs der Scheidelinie zwischen den beiden Ländern seine „Buntröcke“ auf die Lauer, die, in einer langen Kriegsschule gestählt und abgehärtet, nicht sehnlicher wünschten, als hinüberstürmen und neuen Ruhm zu dem alten erwerben zu dürfen.
Leider ging dies nicht so schnell, als sie es erwarteten. Der Befehl lautete nicht auf Offensive, sondern nur auf den Schutz der Grenze; Leopold durfte
also nicht, wie er gern wollte. Das wußten die Hannoveraner sehr wohl und darum fühlten sie sich sicher. Sie blinzelten lustig hinter den Marksteinen herüber, huschten zuweilen auch etwas weiter als ratsam war, in das feindliche Gebiet hinein und trieben dabei allerlei Schabernack, der ganz geeignet war, die Geduld der Preußen auf eine harte Probe zu stellen.
In der an der Löcknitz und ungefähr eine halb Stunde von der Elbe gelegenen Stadt Lenzen im Kreise Westpriegnitz des Regierungsbezirks Postdam war Wochenmarkt. Die Bauern der Umgegend strömten schon am frühen Morgen herbei, um den Erlös für ihre Feld- und Gartenfrüchte zum Ankauf derjenigen Notwendigkeiten zu verwenden, welche ihnen auf ihren Dörfern nicht geboten wurden.
Sämtliche Gasthöfe und Schankwirtschaften des Ortes waren stark besucht: nirgends aber waren die Tische so dicht besetzt wie in dem „Blauen Stern“. Dort verkehrten die Landbewohner am liebsten, weil Fährmann, der Wirt, stets für ordentliche Stallung und gutes Futter sorgte, alle Neuigkeiten zu erzählen wußte und neben den besten Speisen und Getränken auch dieses und jenes zum Vorschein brachte, was einem klugen und verschwiegenen Manne von Nutzen sein konnte. Er stammte aus dem hannoverschen Lüchow, hatte viele alte Beziehungen über die Grenze hinüber und galt unter seinen näheren Bekannten für einen Mann, dem die berühmte Streusandbüchse des heiligen
römischen Reiches deutscher Nation nicht gar sehr an das Herz gewachsen sei.
In der hintersten Ecke der Schankstube, da, wo der Familientisch des Gastgebers stand, saß ganz allein eine kurze, dicke Gestalt, welche mit gelangweiltem Blick den Bewegungen Fährmanns folgte, der es sehr eilig hatte, die zahlreichen Gäste zu befriedigen. Schon einigemale hatte er beruhigend herübergewinkt oder im Vorbeistreifen ein halblautes „Ich komme gleich!“ gerufen, war aber zu sehr in Anspruch genommen, um bald Wort halten zu können.
Da endlich erhob sich der Dicke, griff nach Stock und Kopfbedeckung und rief: „Wirt, bezahlen!“
Jetzt holte Fährmann seine Frau zur Stellvertretung aus der Küche und trat dann herbei. „Ist’s denn gar so eilig zumal?“ zürnte er laut. „Könnt’ doch wohl warten, bis man die Hand frei hat!“ Leise aber setzte er, das Geld in Empfang nehmend, hinzu: „Hast Neuigkeiten?“
„Ja.“
„Geh’ in die Scheune, da ist’s sicher! Ich komm’ gleich nach.“
Der Dicke verließ grüßend die Stube. Fährmann ließ einige Minuten vergehen, ehe er ihm durch die Küche folgte.
Kaum aber hatte er die Thüre hinter sich, so bewegte sich auf dem Kanapee hinter dem Tische eine Gestalt, welche bisher laut schnarchend dort gelegen hatte, rieb sich gähnend die Augen, erhob sich langsam
und unsicher und stolperte dann wie noch halb schlaftrunken durch die Reihen der Gäste hinaus auf den Flur. Dort angekommen, sah sie sich vorsichtig um. Es war ein junger, hochgewachsener und breitschulteriger Mann von ungewöhnlich kräftiger Körperbildung. Als er sich unbeobachtet sah, verschwand sofort der schläfrige Ausdruck aus seinem Gesicht, die muntern Augen leuchteten befriedigt auf; mit einigen raschen Schritten trat er in den Hof und von da in den Pferdestall. Er schien zu wissen, daß dieser durch eine wenig oder gar nicht gebrauchte Thüre mit der Scheune in Verbindung stand.
Es befand sich kein Mensch im Stalle. Leise und vorsichtig zog er die Thüre auf und lauschte. Ein kaum vernehmliches Geflüster überzeugte ihn, daß die heimliche Unterredung auf der Tenne stattfand und er also ungesehen in denjenigen Teil der Scheune treten konnte, der von der Tenne gewöhnlich durch eine Bretterwand getrennt wird und den Namen Pansen zu führen pflegt. Er that es, zog die Thüre hinter sich zu und schlich sich mit unhörbaren Schritten an den Verschlag, hinter welchem die beiden standen. Er konnte jedes Wort vernehmen.
„Hier hast du das Geld, Fährmann! Einundzwanzig Thaler für einundzwanzig Rekruten, die du uns zugeschwenkt hast. Zähle sie durch; es geht im Finstern.“
Das Scheunenthor war geschlossen, so daß es ziemlich dunkel in dem Raume war. Ein leises, silbernes
Klingen ließ sich vernehmen; dann klang die gedämpfte Stimme des Wirtes: „Das Geld ist richtig. Soll ich fortfahren mit der Sendung?“
„Das versteht sich! Der Major von Zachwitz, der auf dem Schlosse liegt, ist sehr zufrieden mit den Kerls, die er von dir bekommen hat. Er will mehr haben und zahlt gern zwei Thaler für den Kopf, die wir dann teilen, du und ich. Das ist ein gutes Geschäft, von dem wir, wie es eingerichtet ist, keinen Schaden, sondern nur Gewinn haben können. Am liebsten sind ihm natürlich ausexerzierte Leute, für die er das Doppelte bietet. Kannst du denn nicht zuweilen auch so etwas schicken?“
„Will’s versuchen; wir haben ja zumal die ganze Stadt jetzt voll solcher Kerls, denen es gar nichts schaden kann, wenn sie des Königs Rock mit dem kurfürstlichen vertauschen.“
„Und was ich dir noch sagen wollte: könnten wir zuweilen einen Offizier im stillen kapern, so gäbe es ein Gaudium, von dem dein Beutel auch seinen Teil bekommen würde. Man kann so einen Herrn zwar nicht in der Weise zur Verwendung bringen wie einen Gemeinen; aber gefangen ist er doch und wird gezwungen, Neutralität zu schwören.“
„Das geht nicht, Hämmerlein. Ich kann doch unmöglich einen Offizier mit einem Auftrage zu dir über die Grenze hinüberschicken. Ich möchte nur sehen, wie der mich zumal andonnern würde!“
„Hast recht; aber geht’s nicht so, dann geht’s auf andere Weise. Es schleichen genug dieser Herren die Grenze auf und ab, um die Patrouillen zu überwachen und zu rekognoscieren, wie sie’s nennen. Wie du es anfängst, das ist deine Sache; aber du könntest sicher manches erlauschen und sofort Nachricht senden. Meinst du nicht?“
„Hm, will’s versuchen. Die Hauptsache ist, daß es auch etwas abwirft!“
„Darüber mach’ dir nur keine Sorgen. Und überdies solltest du schon um der Anna willen gut zu mir halten. Sie ist das einzige Kind, und dein Ludwig findet sicher im ganzen Lande keine bessere Gelegenheit.“
„Laß das gut sein, Fährmann. Ich will ihr den preußischen Wachtmeister schon versauern, daß ihr der Appetit nach ihm vergeht! Sie ist sonst nicht ohne Verstand und Ansicht; sie wird sich gewiß noch geben.“
„Ist er denn gar ein so ansehnlicher Kerl, daß er einem Mädchen wie der Anna den Sinn ganz und gar verdrehen kann?“
„Hübsch ist er, das muß man ihm lassen; lang, breit, stark wie ein Goliath, und dazu Courage im Leibe wie kein Zweiter. Er soll auch beim alten Dessauer gewaltig gut angeschrieben sein und zu allerlei Dienst benutzt werden, wozu Mut und Körperkraft erforderlich -
erforderlich ist. Das hat er beides in gutem Maße und ist noch obendrein schlau und listig wie ein Fuchs; das habe ich ja selbst schon oft erfahren.“
„Wie so?“
„Ja, das ist ja eben mein Aerger. Denke dir nur, er weiß, daß ich ihm nach dem Leder trachte, und kennt auch die sonstigen Gefahren sehr genau, die es drüben für ihn giebt. Dennoch wagt er sich öfters hinüber, wo er dann nicht nur hinter meinem Rücken mit dem Mädchen schameriert, sondern oft auch so dreist ist, bei mir einzukehren und ein Bier zu verlangen.“
„So laß ihn doch festnehmen! Das gäbe zumal gleich einen Ausexerzierten und schaffte ihn dir sofort vom Halse.“
„Das ist bald gesagt, aber nicht so leicht gethan wie du denkst. Er ist so stark, daß er es mit einem halben Dutzend kräftiger Kerls gern und gut aufnimmt. Auch kommt er nur dann herein, wenn er sicher ist, keine Uebermacht zu finden. Schicke ich dann heimlich nach Succurs, so ist er plötzlich fort wie weggeblasen, und ich habe den Aerger und das Nachsehen.“
„So laß ihn verfolgen, zumal er doch nicht verschwinden kann!“
„Hab’s öfters versucht, hilft aber nichts; denn er ist in Wustrow zu Hause und kennt die Gegend wie seine eigene Tasche. Ist er einmal fort, so will ich den sehen, der ihn findet! Ein einziges Mal nur ist er von einem Korporal und noch Zweien auf dem Heimwege gefaßt worden. Und was war die Folge? Er
hat die Drei durchgebläut, daß ihnen der Verstand vergangen ist, und sie dann mit ihren eigenen Waffen vor sich her und über die Grenze getrieben, wo man sie in preußisches Tuch gesteckt hat.“
„Da ist er ja ein ganz verzweifeltes Subjekt, das ich wahrhaftig gern einmal sehen möchte. Aber jetzt muß ich hinein. Hast du noch etwas zu sagen?“
Der Lauscher fand es geraten, sich jetzt zurückzuziehen. Er schlug denselben Weg ein, welchen er gekommen war, gelangte glücklich wieder in den Flur und trat mit verschlafenem Gesicht, anscheinend müde, in die Stube, wo er einen Schluck aus seinem Glase nahm und dann, wie vorhin, in abgewendeter Lage und das Gesicht unter die vorgestreckte Hand verbergend, sich auf das Kanapee streckte.
Der bald zurückkehrende Wirt schenkte ihm nicht die geringste Aufmerksamkeit; er war gewohnt, dergleichen verschlafene Gesellen bei sich zu sehen, und hatte mit den anderen Gästen genug zu thun.
Da öffnete sich die Thüre, und es trat ein Mann ein, der mit raschem Blick den Raum überflog und den hintersten Tisch als den einzigen erkannte, an dem noch Platz zu finden war. Mit langen Schritten wand er sich durch die Menge der Gäste und ließ sich auf demselben Stuhle nieder, den der geheimnisvolle Dicke vorher eingenommen hatte.
Die Anwesenden konnten nicht umhin, ihm ihre Aufmerksamkeit zu schenken, deren Grund in der überraschenden -
überraschenden Aehnlichkeit lag, welche er mit dem Wirt hatte. Beide waren lang und hager, aber sehnig gebaut; beide hatten die Sechzig jedenfalls überschritten, trugen denselben dunklen Schnurrwichs und konnten infolge ihrer beiderseitigen Gesichtszüge leicht für Brüder gelten. Der neu Angekommene trug einen blauleinenen Kittel, hatte eine dickstielige Lederpeitsche über die Schulter geschnallt und mußte trotz der frühen Tageszeit schon einen ansehnlichen Weg zu Fuß zurückgelegt haben; denn die wohlgeschmierten Aufziehstiefel, welche die ganze Länge seiner Beine bedeckten, waren bis über die Kniee herauf mit Staub und Schmutz bedeckt.
„Heda, Wirtschaft!“ rief er, als er nicht sofort nach seinem Begehr gefragt wurde, „soll man hier im „Blauen Stern“ etwa verdursten?“
„Nur sachte da hinten,“ antwortete Fährmann; „oder glaubt Er vielleicht, daß ich nur auf Ihn gewartet hab’?“
„Räsonniere Er nicht, sondern spute Er sich ein wenig, damit ich einen Krug Frisches bekomme!“
Bei dem Klange dieser tiefen, dröhnenden Stimme war der auf dem Kanapee Liegende zusammengezuckt, hatte aber seine Stellung ruhig beibehalten.
„Da hat Er sein Bier,“ meinte Fährmann, den Krug vor den Gast hinstellend, „und nun wird Er wohl zufrieden sein?“
„Wenn der Trunk gut ist, ja; sonst aber kann Er seine Brühe selber trinken.“
Er kostete, schnalzte wohlgefällig mit der Zunge und leerte dann das Gefäß in einem Zuge. „Noch einen!“ befahl er schmunzelnd.
„Nun, schmeckt’s?“
„Besser, als man es bei Ihm denken sollte.“
Fährmann holte das Verlangte und nahm sich dann Zeit zu einigen neugierigen Fragen. Der Unbekannte schien ihm Interesse einzuflößen.
„Er muß schon weit gelaufen sein, daß Er einen solchen Durst hat. Man sieht es auch an Seinen Stiefeln. Woher des Wegs, he?“
„Weither.“
„So, da ist man zumal so klug wie vorher! Und wohin die Reise?“
„Weiterhin!“
„Donnerwetter, Alter, Er ist verteufelt kurz angebunden!“
„Kann Ihm nichts schaden.“
„Meint Er? Ihm wär’s vielleicht auch mehr von Nutzen, wenn Er zumal auf eine gut gemeinte Frage etwas reputierlicher antwortete. Man sieht und hört es Ihm doch gleich an, womit Er umgeht.“
„Ach! Nun, womit denn?“
„Doch nur mit dem lieben Vieh.“
„Da hat Er recht; denn eben jetzt habe ich diesen lieben Umgang. Er ist ein großer Scharfsinn, hört Er!“
„Pah! Wer täglich einige hundert Gäste bei sich sieht, der kennt den Viehhändler schon auf eine halbe
Stunde weit. Er will wohl nach der Lenzerwische, um Pferde oder Rinder einzukaufen?“
„Fällt mir gar nicht ein! Habe eine ganze Herde in Perleburg losgeschlagen und will nun ledig hinüber nach Clenze, wo ich zu Hause bin,“ antwortete er mit einem eigentümlichen Zucken der Bartspitzen.
„Da ist Er also ein Hannoveraner?“ fragte Fährmann, indem er sich einen Stuhl herbeizog und seinem soeben eingetretenen Sohne ein Zeichen gab, sich einstweilen der anderen Gäste anzunehmen. „Und in Clenze daheim? Da stammen wir ja gar nicht weit auseinander; meine Heimat ist Lüchow. Hat Er auch einen guten Paß, um zumal unangefochten durch die Sperre zu kommen?“
„Paß? Hm, woher soll ich ihn haben? Werde schon ohnedies hinüberkommen.“
„Da täuscht Er sich gewaltig!“ Der Wirt senkte den Kopf etwas tiefer, um von keinem anderen gehört zu werden, und flüsterte, nachdem er sich mit einem Blicke auf das Kanapee überzeugt hatte, daß der dort Liegende fest schlafe: „Wäre Er eher gekommen, so hätte sich Ihm eine gute Gelegenheit geboten, glücklich zu passieren.“
„Wie so?“
„Es war einer da bei mir, der alle Schliche kennt und Ihn gern mitgenommen hätte. Ich sage Ihm das, weil Er mein Landsmann ist und den Postdamer Flötenspieler gewiß auch nicht leiden mag.“
„Hm, Er ist ja ein guter Patriot! Wer ist es denn, der hier gewesen ist? Vielleicht ist mir der Mann auch bekannt; ich kenne die Sorte, zu der Er gehört, so ziemlich genau.“
„Wirklich? Ja, die Kurfürstlichen sind brave Leute und halten immer sehr gut zusammen. Ich kann Ihn gleich einmal auf seine politische Meinung prüfen, und wenn Er den Mann kennt, den ich zumal meine, so darf man Vertrauen zu Ihm haben. Er ist ein Gastwirt aus einem Orte an der Zehre. Nun?“
„Himmelelement, wohl gar der Hämmerlein aus Gartow, he?“
„Wer soll’s denn anders sein? Er kennt ihr? Woher denn, wenn ich fragen darf?“
„Hm, ich weiß nicht, ob ich es Ihm sagen kann.“
„Warum denn nicht, he?“
„Weil’s gefährlich ist. Der Hämmerlein hat so ein kleines Geschäft mit Leuten, die für einen hübsch gewachsenen Burschen immer ein gutes Auge haben, und ich bin gar oft — hm, versteht Er mich?“
„Vollkommen. Und da es so steht, will ich Ihm einen Weg beschreiben, auf dem er bequem hinüberkommt, ohne belästigt zu werden.“ Er griff in die Tasche und versuchte, seine Beschreibung durch eine auf die Tischplatte geworfene Zeichnung anschaulicher zu machen, die er mit der Kreide so geläufig ausführte, daß man merken mußte, er sei den betreffenden Weg schon oft selbst gegangen. „So, nun ist Er sicher, daß
Ihm die Leute des alten Grobians nicht in die Quere kommen.“
„Des alten Grobians? Wen meint Er denn da?“
„Nun, den Dessauer, der voller Flüche und Grobheiten steckt, wie der Hund voller Flöhe.“
„Ach so,“ klang es unter dem gewaltig zuckenden Schnurrbart hervor. „Wenn Er ihn so gut kennt, so nehme Er sich nur in acht, daß Er ihm nicht einmal in die Tatzen läuft; dann könnte Er erfahren, was so ein Floh für eine heillose Kreatur ist.“
„Pah, vor dem alten Kerl fürchte ich mich noch lange nicht.“
„Gut für Ihn. Jetzt aber adjes und schönen Dank für Seinen guten Rat.“
Er erhob sich, bezahlte seine Zeche und schritt zur Thüre hinaus. Draußen schlug er die Richtung nach dem Marktplatz ein. Dort begegnete ihm ein junger Cornet, welcher, den einfach gekleideten und beschmutzten Mann gar nicht beachtend, sporrenklirrend an ihm vorüber wollte. Mit einem raschen Griff aber hatte er ihn bei der Achselschnur.
„Halt! Front! Augen grad’ aus!“ kommandierte er. „Sage Er mir einmal, wo der Herr Oberstwachtmeister von Dennau in Quartier liegt?“
„Wer ist Er denn, Er Flegel, daß Er es wagt, einen Offiz-“
„Maul halten! Ordre pariert?“ donnerte es da dem erzürnten Kriegshelden entgegen. „Will Er Himmelelementer -
Himmelelementer mir wohl auf der Stelle meine Frage beantworten?“
Die Stimme des alten Viehhändlers klang so unwiderstehlich, daß der Angeschmetterte unwillkürlich den Arm erhob und, vorwärts zeigend, in kleinlautem Tone beschied: „Dort um die Ecke, das zweite Haus links, eine Treppe.“
„Schön! Augen rechts! Rechts abgeschwenkt! Marsch!“
Das an der Thüre des beschriebenen Hauses stehende Schilderhaus ließ dasselbe als das Quartier des Platzkommandanten erkennen. Der Händler schritt an der Schildwache vorbei, stieg die Treppe empor und öffnete die erste beste Thüre, die sich ihm entgegenstellte. Zwei Unteroffiziere befanden sich in dem Raume, den er betrat.
„Wer ist Er, und was will Er?“ fragte der eine ihn mit barscher Stimme.
„Ist der Herr Oberstwachtmeister von Dennau zu Hause?“
„Was will Er von dem Herrn?“
„Das geht Ihn wohl nichts an. Ich frage, ob der Herr Oberstwachtmeister zu Hause ist?“
„Und ich frage, was . . .“
„Will Er wohl sofort Seinen naseweisen Schnabel zuklappen, Er Tausendschwerenöter Er? Ich —“
„Schnabel? Naseweis?“ unterbrach ihn der Unteroffizier, auf ihn zutretend und ihn beim Arme packend. „Sofort komme Er mit herunter auf die Wache! Ich
werde Ihm den naseweisen Schnabel mit dem Stocke auf das Leder zeichnen lassen, daß . . .“
„Was ist denn das für ein heidenmäßiger Skandal hier außen?“ fragte es da mit scharfem Tone in das Räsonnement hinein. Es war der Oberstwachtmeister selbst, welcher sich in seinem Zimmer mit einigen Offizieren im Gespräche befunden hatte und zornig die Thüre aufriß. „Wer ist der Störenfried, der sich untersteht, hier in . . .“
„Der Störenfried?“ meinte der Viehhändler, indem er sich herumdrehte. „Seht ihn Euch doch einmal an, Herr Oberstleutnant!“
„Himmeldonnerw. . ., wollte sagen, bitte tausendmal um Verzeihung, Durchlaucht Excellenz! Konnte unmöglich wissen, daß . . .“
„Schon gut, schon gut! Macht aber ein andermal die Augen besser auf, ehe Ihr schimpft.“
Er trat in das Zimmer, wo ihn die überraschten Herren in strammer, vorschriftsmäßiger Haltung empfingen.
„Guten Morgen! Habt wohl nicht gedacht, daß heute solcher Besuch nach Lenzen kommt? Na, wollte ’mal sehen, wie’s hier geht und steht. Habt doch gestern meine Ordre empfangen, Herr Oberstwachtmeister, was?“
Der Gefragte stand vor ihm, die kleinen Finger an den Hosennähten und steif wie ein Ladestock.
„Zu Befehl, Excellenz, ja.“
„Habt Ihr den Kerl?“
„Darf ich gehorsamst fragen, welchen Kerl?“
„Welchen Kerl? Nun, wen anders als den Hämmerlein?“
„Hämmerlein? Habe den Namen noch nie gehört. Ich bitte unterthänigst, mich zu informieren, wer . . .“
„Hämmerlein . . . nie gehört . . . zu informieren?! Da sollen doch gleich zehn Millionen Grananten dreinschlagen! Ihr habt meine Ordre erhalten und bittet unterthänigst um Auskunft über den Hämmerlein?“
„Excellenz halten zu Gnaden, ich erlaubte mir, nach Empfang der Ordre sofort den Leutnant von Wrede in das Hauptquartier zu senden, um zu sagen, daß die Ordre . . .“
„Wrede . . . Hauptquartier . . . Ordre? Warum schickt Ihr mir eine Ordonnanz, da ich doch geschrieben habe, daß ich heute selbst kommen würde? Ich wollte die Untersuchung in eigener Person führen und frage jetzt zum zweitenmale, ob Ihr den Hämmerlein habt?“
Das Gesicht des Platzkommandanten war vor Verlegenheit hochrot geworden, und die anderen Offiziere warfen sich verstohlene Blicke zu, in denen eine lebhafte Besorgnis sich nicht verkennen ließ.
„Excellenz gestatten mir gütigst“ — er trat zum Schreibtische und zog ein beschriebenes Blatt aus einem dort liegenden Couvert —, „um Durchsicht dieser Zeilen zu bitten!“
Fürst Leopold — denn dieser war es — griff nach dem Papiere, trat an das Fenster und studierte eine ganze Weile an den schauderhaften Hieroglyphen herum, die sich seinem Blicke boten. Er war nie ein Freund
und Bewunderer der edlen Schreibkunst gewesen, und Meldungen zu lesen oder gar selbst die Feder zu führen, gehörte für ihn zu den größten Strapazen des Erdenlebens. Aber so eine Schrift, wie er sie hier sah, war nach seiner Absicht gar keine menschliche, war ihm geradezu noch niemals vor die Augen gekommen.
„Was ist denn das für ein dummer Wisch, he?“ fragte er endlich. „Das sieht ja gerade aus, als hätte einer die Hände und Füße in einen Tintenbottich gesteckt und wäre dann mit allen Vieren auf dem Papier herumgekrochen. Und so eine heillose Sudelei wagt Ihr mir zum Lesen zu geben!“ Seine Stirnadern begannen zu schwellen und seine Augen blitzten zornig im Kreise herum. „Da kann kein Mensch einen richtigen Buchstaben herausfinden. Werdet mir wohl sagen, welcher Esel das geschrieben hat?“
„Excellenz, darf ich gehorsamst bitten . . .“
„Bitten? Was denn?“
„Mir zu sagen . . .“
„Zu sagen? Was denn?“
„Was diese Zeilen enthalten?“
„Was . . . diese . . . Zeilen . . . enthalten? Seid Ihr denn verrückt geworden, verrückt einer wie der andere? Ich habe Euch ja gesagt, daß kein Mensch imstande ist, unter diesen schmierigen Klexen einen vernünftigen Buchstaben zu erkennen. Oder könnt Ihr’s vielleicht?“
„Nein.“
„Nicht? Und ich, der Fürst Leopold von Anhalt-Dessau, Feldmarschall des deutschen Reiches und Preußens, soll Schreiberdienste verrichten und Euch den schwarzen Schlamm zurechtkratzen?“
Sein Zorn war in stetem Wachsen begriffen. Er trat hart an den Oberstwachtmeister heran und fragte: „Also welcher Essenkehrer hat sich auf dem Wische herumgewälzt, und was hat der Fetzen hier mit meiner gestrigen Ordre zu schaffen?“
„Durchlaucht, dieses Schriftstück . . .“
„Schriftstück? Eine Klexerei ist’s! Nun also, diese Klexerei . . .“
„Ist von Excellenz höchst . . .“
„Alle Wetter, nur weiter! Ist von Excellenz höchst . . .“
„Höchsteigener Hand geschrieben worden.“
Der Fürst trat einige Schritte zurück, riß vor Erstaunen den Mund weit auf und sah dem Sprecher mit starrem Auge in das angstvolle Gesicht. Es dauerte eine ganze Zeit, ehe er zu sprechen vermochte: „Ich selbst . . . mit höchsteigener Hand geschrieben! Mensch, Herr Oberstwachtmeister, meine Herren, wollen Sie sich über Ihren Feldherrn lustig machen? Wäret ihr nicht Offiziere, ich ließe euch samt und sonders auf der Stelle krumm schließen. Glaubt vielleicht einer von euch, daß ich nicht schreiben oder gar mein Geschriebenes nicht lesen kann?“
„Excellenz, niemand wird wagen, so etwas auch nur zu denken; aber . . .“
„Das will ich euch allen auch geraten haben! Also, aber . . .“
„Aber ich bitte, gütigst die Unterschrift zu bemerken. Und hier ist das Couvert!“
„Die Unterschrift? Ich unterschreibe mich doch „Leopold“; aber hier ist weder L noch e noch o zu erkennen, und das „pold“ ist ganz und gar in der Tinte ersoffen. Zeigt einmal das Couvert! Hm, hm, . . . was soll denn eigentlich die Geschichte vorstellen?“
„Es ist die Ordre, welche Excellenz mir gestern sendeten.“
„Was? Meine Ordre ist’s? Und die kann der Herr Oberstwachtmeister nicht lesen, die giebt Er mir zurück, daß ich ihm sagen soll, was sie enthält? Alle Sternhagel, Blitz und Granatensplitter, jetzt geht mir endlich einmal die Geduld flöten, jetzt steigt mir’s in den Kopf, jetzt . . . was thue ich nur mit Euch, mit . . . mit . . .“
Mit dem Zeichen der höchsten Erregung stürmte er im Zimmer auf und ab, stampfte mit den Füßen und focht mit den Armen in der Luft.
„Excellenz, diese Schrift ist . . .“
„Ist? Nun, was ist mit ihr?“
„Ist durch die Hände des ganzen Offiziercorps gegangen . . .“
„Offiziercorps geg— — Wa—wa—wa—was?! Des ganzen Offiziercorps? Was sagt Ihr mir da? Eine Ordre, die nur an den Oberstwachtmeister von Dennau gerichtet war, ist durch die Hände . . . Himmel -
Himmel . . . . des ganzen . . . Millionen . . . Offiziercorps gegangen . . . Hagelwetter! Und das nennt man militärische Diskretion! Na, macht Euch gefaßt, Ihr . . . Ihr . . .“
„Und keiner . . .“
„Was noch, he?“
„Hat sie lesen können.“
„Keiner? Kein einziger? Das wird immer toller!“
„Und da der Ordre doch Gehorsam geleistet werden muß . . .“
„Schwerebrett, das ist Euer Glück, das will ich mir auch ausgebeten haben!“
„So sendete ich den Leutnant sofort in das Hauptquartier, um . . .“
„Ach so, um den Befehl noch einmal schreiben zu lassen! Herr Oberstwachtmeister, nichts für ungut . . . aber . . . aber . . . o, ich gäbe gleich hundert Dukaten drum, wenn Ihr nicht Oberstleutnant, sondern . . . sondern . . . na, da ist der Befehl also noch gar nicht ausgeführt?“
„Halten zu Gnaden, nein!“
„Und das sagt Ihr mir . . . wirklich mir? Wo nehme ich heute nur diese übermenschliche Geduld her! Gebe ich da einen Befehl . . . dieser Befehl wird nicht befolgt . . . weil man nicht lesen kann . . . und nun soll ich meine eigene Ordre buchstabieren! Sagt mir doch in aller Welt, für wen sie geschrieben ist!“
„Für mich.“
„Gut! Wer hat sie also zu lesen?“
„Ich.“
„Sehr gut! Bin ich etwa der Herr Oberstwachtmeister von Dennau?“
„Nein.“
„Vortrefflich! War sie an mich gerichtet?“
„Nein.“
„Habe ich sie also zu lesen?“
„Nein.“
„Gut . . . sehr gut . . . vortrefflich! Merkt euch das, ihr Herren. Ich schreibe meine Ordres nicht für mich und habe also gar nicht notwendig, sie lesen zu können. Wer aber eine Ordre von mir bekommt und sie nicht lesen kann, der soll . . . der soll . . . hm, ja, ich bin heute nun einmal ausnahmsweise so unendlich nachsichtig und will annehmen, daß ich gestern nichts geschrieben habe. Also sollt ihr . . .“
In diesem Augenblick öffnete der diensthabende Korporal die Thüre und meldete: „Excellenz entschuldigen, ich soll sagen, der Heinz ist da.“
„Gut. Trete Er einmal näher!“
Der Mann folgte mit niedergeschlagenen Augen dem Befehl.
„Nun, Er Himmelhund, wie steht es denn mit dem naseweisen Schnabel? Will Er ihn mir denn noch auf das Leder zeichnen lassen?“
„Durchlaucht . . . Excellenz . . . ich ahnte nicht . . . ich . . . ich . . .“
„Na, jetzt kennt Er mich und wird’s wohl nicht wieder machen. Hier hat Er einen Gulden, und trinke
Er ein paar Krüge, um sich den Schnabel naß zu machen. Der Heinz soll eintreten!“
Der Soldat zog sich freudig dankend zurück und hielt den Eingang für einen Mann offen, der in parademäßiger Haltung hereinmarschierte, drei Schritte von der Schwelle entfernt die Fersen aneinanderschlug und, mit der Hand salutierend, im tiefsten Basse grollte: „Eingetroffen zu Bedienung, Dorchlaucht!“
„Schön, Heinz! War eher da als du. Wie kommt das?“
„Der alte Bagagewagen ging auseinander. Schändliches Gerümpel, Dorchlaucht!“
„Nicht räsonnieren, Heinz. Laß dir ein Zimmer anweisen. Werde bald nachkommen.“
„Zu Befehl, Dorchlaucht.“
Er machte kehrt und marschierte ab. Der Fürst wendete sich wieder an die Offiziere.
„Meine Herren, die Kurfürstlichen werden von Tag zu Tag dreister und gebärden sich gerade so, als ob wir nur zum Spaß an der Grenze ständen. Sie haben unter unseren Augen Werbestationen errichtet, die ihre Fangarme sogar herüber in das Brandenburgische strecken, und zu meinem Bedauern muß ich hören, daß eure Wachsamkeit sich von den Galgenvögeln täuschen läßt. Es muß einmal ein Exempel statuiert werden, ein gewaltiges Exempel, und darauf bezog sich die gestrige Ordre, die . . . die der Oberstwachtmeister samt seinem ganzen Offiziercorps nicht lesen konnte. Ich habe erfahren, daß die rührigste Station im Hause
des Gastwirths Hämmerlein zu Gartow zu suchen sei, und werde, da . . . da meine Ordre nicht gelesen werden konnte, die Sache einmal in die eigene Hand nehmen. Ich gehe heute nach Gartow und . . .“
„Excellenz,“ wagte Dennau, ihn zu unterbrechen, „bedenken doch gütigst die Gefahren, welche . . .“
„Papperlapapp! Ich gehe. Abgemacht, und nicht gemuckst! Wenn meine Offiziere sich täuschen lassen, so muß ich einmal die eigenen Augen offen halten, und überdies gehe ich in hinlänglicher Begleitung. Man lasse sofort den Wachtmeister Bellheimer von der Schwadron des Rittmeisters von Galen rufen.“
„Bellheimer? Entschuldigen Excellenz, der hat heute Morgen auf zwei Tage Urlaub erhalten.“
„Urlaub? In welcher Angelegenheit?“
„Auch uns ist das Treiben jenseits der Grenze, und besonders zwischen hier und Gartow, aufgefallen, obgleich unsere Nachforschungen leider bisher ohne Resultat geblieben sind. Bellheimer nun meldete sich gestern bei mir und versprach, der Sache ganz gewiß auf die richtige Spur zu kommen, wenn ich ihn auf zwei Tage entlassen wolle. Ich entsprach natürlich seinem Wunsche und glaube, daß er sich längst unterwegs befindet.“
„Ah . . . hm . . . braver Kerl, der Bellheimer! Kenne ihn . . . wird Wort zu halten suchen! Werde aber dennoch meinen Plan ausführen und nun ohne Begleitung gehen. Herr Oberstwachtmeister!“
„Excellenz?“
„Bin ich heut’ Abend punkt neun nicht zurück, so reitet Rittmeister von Galen mit seiner Schwadron hier ab und direkt nach Gartow, besetzt sofort das Schloß und den Gasthof des Wirtes Hämmerlein, wo er mich an einem der beiden Orte wohl finden wird. Verstanden?“
„Zu Befehl, Excellenz; doch gestatte ich mir eine Wiederholung meiner dringenden Bitte, um . . .“
„Keinen Widerspruch,“ klang es scharf und kurz; „weiß ganz allein, was ich thue!“ Dann fügte er in freundlicherem Tone hinzu: „Haben die Herren schon gefrühtstückt?“
„Nein.“
„Dann laden wir uns bei dem Herrn Oberstwachtmeister zu Gast, doch nur auf Brot und Bier; zu mehrerem bleibt mir nicht Zeit genug.“
Der Offizier war über dies Wendung der für ihn so ungünstig begonnenen Unterhaltung hoch erfreut, und bald saßen die Anwesenden in respektvoller Haltung mit ihrem Feldherrn an dem frugal besetzten Tisch. An Delikatessen durfte Dennau nicht denken; er kannte den Geschmack des Fürsten.
Unterdessen machte sich Heinz in dem ihm angewiesenen Zimmer mit dem wenigen Gepäck zu schaffen, welches er für seinen Herrn mitgebracht hatte. Er war Leib- und Kammer-Husar des Fürsten und eine wegen seiner derben Gutmütigkeit und Originalität ebenso
wie durch seinen oft bewiesenen Mut nicht nur in der nächsten Umgebung des Fürsten, sondern auch in allen Dessauer Landen und der ganzen Armee bekannte, geachtete und beliebte Persönlichkeit. In der Stadt Dessau geboren, war er mit Leopold in den Niederlanden, am Rhein, in Baiern, Oesterreich und Italien gewesen, hatte dessen sämtliche Feldzüge und Reisen mitgemacht. Er war ihm so lieb geworden und so mit ihm verwachsen, daß er dem strengen Herrn und Gebieter gegenüber manches sich erlauben konnte, was ein anderer bei Leib und Leben nicht hätte wagen dürfen. Dafür war er ihm auch mit ungewöhnlicher Treue ergeben; hatte um dieser Treue willen nicht geheiratet und wäre für ihn täglich hundertmal mit Freuden in den Tod gegangen.
Alle, denen der Fürst gewogen war, konnten auch auf die Freundschaft Heinrich Balzers, wie sein voller Name lautete, rechnen; und da der erstere schon öfters eine gewisse Gönnerschaft für den Wachtmeister Bellheimer an den Tag gelegt, so hatte auch Heinz ihn in sein altes Herz geschlossen und heute gleich nach seiner Ankunft nach ihm sich erkundigt. Leopold war ihm in allen Stücken ein nacheifernswertes Vorbild, und darum hielt er sich auch in seinem Aeußeren ganz seinem Herrn entsprechend. Er trug Haar und Bart gerade so wie dieser, hatte ganz dessen Gang, Haltung und Ausdrucksweise kopiert und hätte von einem, der wohl von dem „alten Dessauer“ gehört, ihn aber noch nicht gesehen hatte, recht gut für diesen gehalten werden
können. Er erzählte unendlich gern von seinen Erlebnissen und fand, wenn es keinen anderen Zuhörer gab für seine Geschichten, doch stets zwei willige Ohren: seine eigenen, denen er stundenlang mit einem Eifer, als hätte er einen zahlreichen Hörerkreis um sich, vorplaudern konnte. Ebenso war es eine seiner Haupteigentümlichkeiten, daß er nie Durchlaucht sagte, sondern ein für allemal das u in ein o verwandelte.
Jetzt befand sich aber der zweite diensthabende Korporal bei Heinz, um ihm beim Ordnen der mitgebrachten Bagage hülfreich an die Hand zu gehen.
„Also der Bellheimer ist wirklich auf Urlaub?“
„Ja, zwei Tage.“
„Weiß Er vielleicht weshalb?“
„Nein.“
„Hm, ja, er macht nie viele Worte, der brave Junge. Mord-Element, hab’ ihn fast ein wenig lieb und hätte ihn fürs Leben gern einmal wiedergesehen. Kann Er mir wohl sagen, ob der Wachtmeister irgendwo eine Liebste hat?“
„Nein.“
„Hm, könnte möglich sein, daß er eines Mädels wegen den Dienst im Stiche ließe. Traue ihm aber eine solche Dummheit eigentlich gar nicht zu. Hab’ auch nie dran gedacht, selbst nicht in meinen jungen Jahren. Ein einziges Mal nur hätte ich mich beinahe in ein rundes Lärvchen verguckt, und das war dazumal, als wir in Baiern Anno Vier an der Donau standen,
um bei Hochstädt dreinzuschlagen. Wir lagen bei einer jungen Witfrau in Quartier, ich und die Dorchlaucht nämlich; ich sage bei einer jungen, hübschen Witfrau, und die hatte, es ist Wort für Wort wahr, sogar ein Auge auf mich geworfen. Das war eigentlich auch gar nicht anders zu erwarten; denn wir waren zwei Kerls, nämlich ich und die Dorchlaucht, zwei Kerls, sage ich Ihm, lang und schlank, drall und schmuck, wie gemalt, und dazu jung, gesund und voll Race, wie ein arabischer Schimmel. Eines Tages nun stehe ich unter der Thüre und putze grad’ mein Lederzeug; da kommt sie die Treppe herab und stellt sich vor mich hin mit einem Blicke, als ob ich nur rasch zuzugreifen und meinen Schnurrwichs an ihr rotes Mäulchen zu wischen hätte. Korporal, ich sage Ihm, drei Finger breit über dem Magen fing es wirklich an zur Attacke zu trommeln, und wer weiß, was alles geschehen wäre! Aber da kommt es plötzlich die Straße herauf galoppiert, hält vor dem Hause, und wer steigt ab? — eine Ordonnanz vom Prinzen Eugenius, welche den Befehl bringt, daß . . .“
„Heinz!“ erscholl es da hinter dem Erzähler.
Er fuhr herum, erblickte den Fürsten, welcher vom beendigten Frühstücke kam, und streckte sich sofort in die reglementsmäßige stramme Haltung. Der Korporal war bei dem Klange der tiefen Stimme augenblicklich aus der Stube verschwunden.
„Dorchlaucht?“
„Ich gehe hinüber nach Gartow.“
„Hinüber nach Gartow? Aber, Dorchlaucht, das ist ja hannöversch!“
„Thut nichts. Zum Abende bin ich wieder hier. Hast Urlaub bis dahin.“
„Urlaub? Fällt mir nicht ein. Ich gehe mit.“
„Kann dich nicht brauchen!“
„Was? Hm, möglich; aber ich kann Dorchlaucht brauchen!“
„Geht nicht; basta, abgemacht! Will mal nachsehen, was die Kurfürstlichen für Vogelbauer haben; weiß einen Weg, auf dem ich sicher hinüber und herüber komme, und treffe dabei vielleicht auf den Bellheimer, der auch hinüber ist.“
„Soll ich die Pistolen hervorsuchen, Dorchlaucht?“
„Nein; hab’ genug an der Peitsche, die mit Blei ausgegossen ist. Kannst aufsitzen und mit dem Rittmeister von Galen nachkommen, wenn ich um neun noch nicht zurück bin.“
„Dorchlaucht, ich hab’ niemand ’was zu befehlen; aber, Schockschwernot, viele Hunde sind des Hasen Tod. Wenn sie Euch nun packen, dann . . . na, dann komme ich hinüber, und gnade Gott dem, der mir vor den Säbel kommt! Besser aber ist’s, ich gehe jetzt gleich mit.“
„Du bleibst!“
Der Ton, in welchem diese zwei Worte gesprochen wurden, war entscheidend. Der Fürst ging und Heinz verfolgte vom Fenster aus die hohe Gestalt, bis sie hinter der Ecke des Marktes verschwunden war. Er
hatte das Gefühl, als gehe sein Gebieter einem Unglück, einer großen Gefahr entgegen, und er mußte an sich halten, ihm nicht unbemerkt zu folgen.
So stand er noch lange Zeit am Fenster und blickte mit düsterem Auge auf die Straße hinab; da zuckte es plötzlich überrascht durch seine alten, treuen Züge.
„Tausend Schock . . . wer ist denn das? Ich glaube gar . . . ja, wahrhaftig, da kommt der Bellheimer gelaufen, der über die Grenze hinüber sein soll, und macht Beine, als müsse er in zwei Stunden die Lüneburger Heide messen. Der hat etwas auf dem Herzen und will damit zum Herrn Oberstwachtmeister. Wart’, ich fange ich ab!“
Er öffnete die Thüre, an welcher der Kommende vorüber mußte.
„Links abgeschwenkt; zu mir herein, Wachtmeister!“ kommandierte er. „Habe mit Ihm einiges zu reden.“
„Heinz!“ rief der Angeredete mit froher Miene. „Ihr hier im Hause? Da ist Seine Durchlaucht wohl noch nicht fort?“
„Warum?“
„Weil ich auf der Stelle mit dem Fürsten sprechen muß.“
„Da kommt Er um eine Viertelstunde zu spät.“
„Also doch schon fort! Wohin? Nicht wahr, nach Gartow hinüber?“
„Ja. Woher weiß denn Er dar?“
„Nachher, Heinz? Jetzt muß ich vor allen Dingen zum Herrn Oberstwachtmeister, sonst wird der Fürst
von den Kurfürstlichen gefangen. Komme auf dem Rückwege wieder herein.“
Der Kammerhusar ergriff ihn beim Arme und hielt ihn fest.
„Halt, Bellheimer; nicht von der Stelle! Wenn der Feldmarschall sich in Gefahr befindet, so steht der Heinz über dem Oberstwachtmeister und über allen Generalen. Heraus also mit Seiner Meldung! Wer will den Herrn fangen?“
„Der Fährmann und der Hämmerlein.“
„Fährmann — Hämmerlein? Bomben-Element, wer sind denn diese Hallunken?“
„Fährmann heißt der Wirt zum „Blauen Stern“ hier, und der Hämmerlein ist aus Gartow, auch ein Gastwirt.“
„Zwei Wirte? Und diese beiden Bierschlingels wollen sich an meine Dorchlaucht machen? Da werde ich zwischen sie hineinfahren, daß die Fetzen auseinanderfliegen! Wo hat Er denn die Kunde her?“
„Nachher, Heinz, nachher! Die Zeit ist kostbar; ich muß zum Platz-Kommandanten.“
Die Gelegenheit ersehend, daß Heinz seinen Arm losgelassen hatte, war er zur Thüre hinaus. Der Leibhusar wollte ihm nach, besann sich jedoch anders und riß einen Mantelsack auf, dem er zwei geladene Reiterpistolen entnahm.
„Zwei Schnapssieder — und die Dorchlaucht fangen, den Fürsten und Feldmarschall Leopold von Anhalt-Dessau Excellenz? Das ist verrückt, das ist
wahnsinnig, das ist Mord, Raub, Hochverrat und Majestätsüberfall. Ich laufe ihnen nach und schieße sie über den Haufen, wo ich sie nur finde! Aber warten muß ich doch, bis der Bellheimer wiederkommt. Hm, verwünschte Geschichte! So ist’s, wenn man dem Heinz bis neun Uhr Urlaub giebt, statt ihn mitzunehmen, wie sich’s gehört!“
Er ging mit langen, schweren Schritten hin und her, lauschte ungeduldig auf jedes Geräusch, welches sich draußen vernehmen ließ, und wühlte dazwischen ratlos in seinen Siebensachen herum nach Waffen und anderen Gegenständen, die ihm bei der Verfolgung der beiden „Schnapssieder“ von nöten schienen. So war wohl über eine Viertelstunde verflossen, und der Wachtmeister ließ noch immer auf sich warten.
„Bomben und Granaten, wo bleibt nur dieser ewige Wachtmeister? Derweilen können sie meine Dorchlaucht bis zu den Mongolen schleppen! Ich glaube, denen da oben ist der Schreck in den Verstand gefahren, und nun sitzen sie beisammen und lernen das königlich preußische privilegierte Gesangbuch der guten Stadt Pasewalk auswendig! Das zieht und zerrt und wartet und dehnt, grad’ wie der weise kaiserliche Hofkriegsrat zu Wien damals, als wir Anno Vier gegen die Baiern und die Franzosen marschierten. Aber der Prinz Eugen machte den langsamen Herren einen schnellen Strich durch die unendlich lange Rechnung. Es ist, als wär’s wie heute: wir lagen bei der jungen Witfrau in Quartier, nämlich ich und der Fürst, die
ein Auge auf mich geworfen hatte. Ich weiß wahrhaftig nicht, zu was das hätte führen sollen; denn eines schönen Morgens stehe ich unter der Thüre und putze grad’ mein Lederzeug, da kommt sie die Treppe herab, stellt sich vor mich hin und macht mir ein paar Augen, daß mir Hören und Sehen vergeht. Da kommt es zum Glück die Straße heraufgaloppiert, hält vor dem Hause, und wer steigt ab? — eine Ordonnanz vom Prinzen Eugenius, welche den Befehl bringt, daß . . .“
Bellheimer trat ein.
„Gott sei Dank, da ist Er ja endlich wieder! Nun schieße er aber schleunigst los.“
„Muß es kurz machen, Heinz hab’ keine Zeit; muß sofort mit nach dem „Blauen Stern“!“
„Nun?“
„Der Hämmerlein in Gartow macht den Seelenverkäufer, und der Fährmann schickt ihm jeden hüschen Burschen zu, dessen er habhaft werden kann. Er giebt ihm zum Scheine einen Auftrag an Hämmerlein, verspricht ihm einen guten Botenlohn, und wenn der Betrogenen dann hinüberkommt, so wird er festgehalten und muß die Muskete tragen.“
„Da soll doch gleich ein dickes Prasselwetter —“
„Der Hämmerlein hat eine Tochter, ein Mädchen wie ein Husar, und die ist meine Liebste.“
„Seine Liebste? Rappelt’s etwa bei Ihm? Wer eine Liebste hat, der ist . . .“
„Mag gut sein, Heinz; muß mich kurz fassen. Ich bin also oft hinüber und habe da so manches beobachtet, was mir verdächtig schien und mich auf die richtige Spur brachte. Gestern nahm ich Urlaub auf heut’ und morgen, um das Ding einmal genau zu untersuchen. Ich ging heut’ in den „Blauen Stern“, that verschlafen und vertrunken und legte mich aufs Kanapee, um unerkannt zu bleiben. Da kam der Hämmerlein aus Gartow und bestellte sich beim Wirte neue Burschen, Ausexerzierte und sogar Offiziere. Habe alles gehört und belauscht. Nachher kam auch der Fürst und setzte sich an meinen Tisch.“
„Die Dorchlaucht? Donner und Doria, davon weiß ich kein Sterbenswort! Er hat Ihn doch sofort erkannt?“
„Nein, ich trug keine Uniform und verdeckte das Gesicht mit der Hand. Hatte meine Gründe dazu. Der Wirt hielt ihn für einen Viehhändler aus Clenze, wurde gesprächig und beschrieb ihm einen Schleichweg nach Gartow. Einer von den Gästen aber hatte die Excellenz erkannt und sagte es nachher. Der Wirt erschrak, besann sich aber bald und schickte heimlich seinen Sohn, der mein Mädchen, die Anna, heiraten soll, zu Pferde hinüber nach Gartow zum Major von Zachwitz, um den Fürsten aufgreifen zu lassen. Habe alles beobachtet und belauscht. Dann that ich, als ob ich erwache. Fährmann schien mich für einen verlaufenen Strolch zu halten, der gut in den kurfürstlichen Rock passe, setzte sich zu mir und bat mich endlich -
endlich, ihm ein paar Zeilen nach Gartow zum Hämmerlein zu tragen. Ich sagte „Ja“, bekam das Papier und ging, aber nicht nach Gartow, sondern zum Platzkommandanten.“
„Das ist ja eine heidenmäßige Geschichte! Wie geht denn der Weg, den der Fährmann beschrieben hat?“
„Hab’ ihn schon dem Herrn Oberstwachtmeister beschrieben. Jetzt muß ich fort; der Korporal ruft.“
„Wohin denn wieder?“
„Zum „Blauen Stern“. Der Fährmann wird arretiert. Und eine Compagnie Grenadiere ist schon unterwegs, um den Fürsten womöglich noch zu ereilen.“
Mit der letzten Erklärung eilte er hinaus. Heinz starrte mit offenem Munde die Thüre an.
„Da hat man die Bescherung! Die Dorchlaucht in die Wicken, die Kurfürstlichen über sie her! Und die Grenadiere, die nutzen nichts, reineweg gar nichts; denn der Fürst hat Beine wie ein Storch und läuft noch über den jüngsten Schneidergesellen weg. Der ist schon längst über die Berge, und der Heinz, Donnerwetter, der steht da und hält Maulaffen feil! Vorwärts marsch, alter Esel, hinüber nach Gartow und die Excellenz herausgehauen! Ich habe Urlaub und kann gehen, wohin es mir beliebt.“
Er griff wieder nach den Pistolen, in deren mit Silber beschlagenen Schäften die fürstlich dessauische Krone eingraviert war.
„Hm; aber so kann ich doch unmöglich fort! Die Dorchlaucht ist als Viehhändler hinüber; das ist das
beste, das kann ich auch. Herunter mit den Gamaschen; ich ziehe die langen Stiefel an; einen blauen Kittel habe ich auch, und eine Peitsche kann ich in jedem Seilerladen haben. Also vorwärts, Heinz, und drauf auf die Hallunken, wie damals auf die Baiern und Franzosen, nämlich ich und die Dorchlaucht Anno Vier!“
2.
Im Speisezimmer seines Schlosses zu Gartow saß der hannoversche Landrat Andreas Gottlieb Freiherr von Bernstorff an der Seite des Majors von Zachwitz. Die beiden Herren pflegten nach Tische, wenn die Dame des Hauses mit den beiden Söhnen, von denen der Jüngere später als Diplomat so berühmt wurde, sich zurückgezogen hatte, noch eine Flasche alten Rebensaftes auszustechen, einen guten Knaster zu dampfen und über Krieg und Frieden sich zu unterhalten.
So auch heute. Die Streitigkeiten mit Preußen bildeten natürlich den Hauptgegenstand ihres Gespräches, welches ruhig und ohne den geringsten Zwiespalt von statten ging, da die beiden Männer zu der gleichen politischen Farbe sich bekannten und auch sonst eng befreundet waren.
„Gestern erhielt ich die Kunde,“ meinte der Major, „daß der Fürst von Dessau im Begriff stehe, die Besetzung der Grenzlinie in eigener Person zu inspicieren.“
„Ah! das wird ein lebhaftes Halloh unter der Bevölkerung der Linie geben; denn die Suite eines Feldmarschalls des Deutschen Reiches und Preußens muß sicher eine zahlreiche und glänzende sein.“
„Da irrt Ihr Euch sehr in dem alten Knasterbart. Zwar muß ich gestehen, daß ich ihn auch nicht gesehen habe; doch nach dem, was man von ihm hört, ist ihm sehr zuzutrauen, daß er inkognito von Posten zu Posten schleicht, um die Säumigen zu überraschen und nach Herzenslust anschwernötern zu können. Kennt Ihr ihn, Baron?“
„Von Ansehen, ja. Habe ihn vor zwanzig Jahren einigemale in Halle und auch in Magdeburg gesehen, und dieses Gesicht kennt man unter Tausenden heraus. Er wird gewaltig donnerwettern, wenn er drüben hört, was für gute Geschäfte Eure Werber machen.“
„Will’s glauben. Und es wird vielleicht noch besser werden mit diesen Geschäften. Es ist ja das einzige, was man thun kann, um sich und den Leuten die Langeweile zu verkürzen. Ich lobe mir einen frischen, fröhlichen Krieg. Dieses abspannende Zuwarten und Grenzwachen macht die Knochen mürbe und nudelt den Mut in die Breite wie einen Kuchenteig. Ginge es nach dem Dessauer, so hätte er schon längst dreingeschlagen, und wir könnten ihm herzlich dankbar dafür sein. Ich wollte, ich bekäme ihn einmal von Angesicht zu Angesicht zu sehen! Er ist ein wackerer alter Degenkopf, dem man, ob Freund oder Feind, doch sicher gut sein muß.“
„So laßt die Euern die Augen offen halten! Es wäre ja vielleicht möglich, daß er einige Schritte zu weit zur Seite liefe und dabei die Farben der Grenzpfähle verwechselte.“
„Das wäre allerdings ein Fang, wie’s keinen zweiten giebt; aber so wohl wird es uns nicht werden, dafür ist gesorgt.“
„Der Gastwirt Hämmerlein wünscht den Herrn Major zu sprechen,“ meldete der eintretende Diener.
„Soll kommen!“
Die kurze, dicke Gestalt des Wirtes schob sich unter tiefen Reverenzen durch den Eingang.
„Was bringt Er neues, Hämmerlein?“
„Darf ich sprechen, gnädigster Herr Major?“
„Warum nicht? Der Herr Baron kann immerhin hören, was Er zu sagen hat!“
„Ich war heut früh in Lenzen.“
„Wirklich? Hat Er den Fährmann aufgesucht?“
„Ja. Er hat seine Bezahlung erhalten und wird mit den Sendungen in der jetzigen Weise fortfahren.“
„Das ist ja schön! Ist er auf den weiteren Vorschlag eingegangen?“
„Auch das. Ich kenne ihn und weiß, daß er gut aufpassen und uns die Streifpatrouillen möglichst signalisieren wird.“
„Soll mir lieb sein, wenn er Wort hält, und Euer Schaden ist’s dann sicher nicht; jeder Arbeit ihren Lohn! Hat er noch etwas?“
„Nein. Ich hielt es nur für meine Pflicht, das Ergebnis der heutigen Unterredung gehorsamst zu melden.“
„Danke. Er kann also abtreten!“
Hämmerlein ging. Er hatte ein sehr bewegtes Leben geführt und manchen Thaler auf eine Weise verdient, von der niemand etwas zu erfahren brauchte. Sein anfangs kleines Heimwesen hatte sich dadurch nach und nach vergrößert; er war ein anerkannt wohlhabender Mann geworden und hatte nur den Wunsch, seine Tochter, die sein einziges Kind war, möglichst gut an den Mann zu bringen, seine Liegenschaften in flüssiges Kapital zu verwandeln und von den Zinsen desselben ein ruhiges und gemächliches Leben zu führen. Vor dieser Ruhe aber wollte er seine Thätigkeit einmal verdoppeln, um zu gute Letzt noch so viel wie möglich zum Bisherigen hinzuzufügen. Die moralische Natur des Geschäftes war ihm dabei vollständig gleichgültig; Geld hieß sein Zweck, und erreichte er ihn, so war alles andere Nebensache. Zu Hause stand ihm eine Ueberraschung bevor. Der wohlbekannte Braune Fährmanns stand gesattelt und gezäumt neben der Thüre, an einem Ringe befestigt, und in der Stube saß Ludwig, welcher soeben erst angekommen war, um sich seines wichtigen Auftrages zu entledigen.
„Was der Tausend, du bist’s Ludwig? Das ist ja die reine Hetzjagd. Kaum bin ich von euch in Lenzen fort und einen Augenblick daheim, so finde ich dich
schon hier! Dem muß etwas ganz Notwendiges zu Grunde liegen. Was führt dich denn so schnell herüber?“
„Sind wir allein?“
„Wie du siehst, ja. Die Anna weiß alles und kann wohl hören, was du sagst.“
„Es ist aber eine äußerst wichtige und verschwiegene Sache!“
Das Mädchen, welches nähend am Fenster gesessen hatte, erhob sich und schickte sich an, die Stube zu verlassen.
„Wenn der Herr Fährmann glaubt, daß ich mich für seine Rede interessiere, so kann ich ihm das Gegenteil beweisen. Ich gehe!“
„Bleib’!“ befahl der Vater. „Zwischen euch soll’s keine Heimlichkeiten geben.“
Sie setzte sich, von den beiden abgewendet, wieder nieder und fuhr in ihrer Beschäftigung fort.
„Ich dachte Euch noch einholen zu können,“ nahm der Bursche das Wort wieder auf; „aber Ihr müßt derb gelaufen sein. An der Grenze hatte ich allerlei Scherereien zu erleiden, die mich aufgehalten haben. Es ist nämlich gleich nach Eurem Weggange etwas passiert, was ungeheuer vorteilhaft für uns ausfallen kann; wenn Ihr Euch billig finden laßt, so bin ich bereit, es Euch mitzuteilen.“
„Du thust ja ganz ungeheuer wichtig! Was ist denn vorgefallen?“
„Das nachher erst; zuvor muß ich Euch eine Frage vorlegen.“
„Nun?“
„Ihr habt mir und dem Vater wegen der Anna Versprechungen gemacht, die bis heute noch nicht in Erfüllung gegangen sind; und wenn es bleibt, wie es ist, so kann ich lange warten, bis ich sie zur Frau bekomme!“
„Das klingt deutsch. Was hast du denn eigentlich an uns auszusetzen, he?“
„An Euch weniger, desto mehr aber an der Anna. Ihr habt sie mir versprochen, und ich komme, trotz der Gefahr, die ein lediger und gesunder Bursche bei Euch läuft, wöchentlich herüber, um sie zu sehen und mit ihr zu verkehren. Sie aber thut nicht dergleichen, läßt mich sitzen, wo ich sitze, und zieht mir, wenn ich ihr ja einmal nachgehe, ein Gesicht, als hätte sie den Heuboden verschluckt. Ihr ist der Bellheimer, der malitiöse Kerl, lieber als ich, und Ihr laßt Gottes Wasser über Gottes Land laufen, obgleich es nur auf ein Wort von Euch ankommt, um der Sache ein Ende zu machen. Ich kann der Mädels genug bekommen und brauche keiner nachzulaufen und gute Worte zu geben. Macht’s kurz, Hämmerlein: Soll ich sie haben oder nicht?“
„Hopp, hopp! das geht ja über Stock und Stein, als ob kein Augenblick mehr zu verlieren sei! Brennt dir’s denn gar so unter den Nägeln?“
„Das nicht, im Gegenteil, ich habe Zeit und kann mich auch einmal anderwärts umsehen. Aber mich
an der Nase herumführen lassen, dazu habe ich keine Lust. Und wenn wir Euch solche Dienste leisten, wie der jetzige ist, so dürfen wir auch auf ein verständiges Einsehen rechnen.“
„So! Welchen Dienst meinst du denn?“
„Ihr habt heut’ zum Vater gemeint, daß es dem Major ein großer Gefallen wäre, auch einmal einen Offizier von drüben wegschnappen zu können?“
„So ist’s. Was weiter?“
„Ihr könnt gleich heut schon einen haben, und was für einen!“
„Wirklich? Das glückte ja recht schnell. Was ist’s? Ein Leutnant?“
„Höher!“
„Ein Hauptmann oder Rittmeister?“
„Höher!“
„Ein Major?“
„Immer höher!“
„Dummheit! Doch nicht etwa gar ein Oberst?“
„Nein, noch höher!“
„Dann wär’s ein General. Aber das ist unmöglich, und der General bist du, nämlich ein Generalschwindler!“
„Was ich sage, das ist wahr. Es ist ein wundervoller, seltener Fang!“
„Also wirklich ein General?“
„Noch höher!“
„Donnerwetter! Junge, du hast entweder den Verstand verloren oder willst mich foppen; denn höher
gibt es bloß noch einen Einzigen, und das ist der Dessauer selbst.“
„Der ist’s auch!“
„Der? Wie soll denn der in unsere Hände kommen?“
„Leicht, kinderleicht.“
„Ich glaube, du hast das Fieber oder den Sonnenstich!“
„Keins von beiden. Uebrigens ist die Sache von großer Eile, sodaß ich keine Zeit für Euern Zweifel habe. Wollt Ihr ihn fangen oder nicht?“
„Es kann nicht wahr sein; es ist zu ungeheuerlich!“
„Dann sind wir also fertig. Adjes, Hämmerlein.“
„Halt, Junge! In der Welt ist manches Unmögliche möglich, und der Kuckuck könnte sich doch einmal den Spaß machen, den alten Eisenfresser uns herüber zu führen. Erzähl’ also einmal ausführlicher.“
„Da habe ich erst eine Bedingung zu machen.“
„Welche?“
„Gebt mir Gewißheit und Handschlag wegen der Anna, und Ihr sollt ihn fangen, sonst aber nicht!“
„Flunkerst du wirklich nicht?“
„Nein!“
„Gut! Hier die Hand; das Mädel ist dein, und in acht Wochen ist Hochzeit, wenn wir den Dessauer bekommen. Aber das Fanggeld gehört dann mir allein.“
„Zugestanden!“
„Anna, komm her und gieb dem Bräutigam die Hand!“
Das Mädchen erhob sich. Sie war fast um einen Kopf länger als ihr Vater, und Bellheimer hatte ganz recht gehabt, als er zu Heinz sagte: „ein Mädel wie ein Husar.“ Ihr Gesicht war hochgerötet, und ihr Auge blitzte, als sie zu den beiden trat. Ludwig legte den Arm um sie; im nächsten Augenblick aber fiel ihre Rechte laut klatschend auf seine Wange und fuhr ihm dann mit so unerwarteter Stärke vor die Brust, daß er zurücktaumelte und auf seinen Stuhl niedersank.
„Das ist mein Bescheid!“ rief sie mit zornig erregter Stimme. „Wenn der Vater den Menschenhändler macht, so muß ich es leiden, weil ich nicht anders kann; wenn er mich aber an einen Spion und Seelenverräter verschachern will, so geb’ ich zuerst gute Worte, und helfen diese nicht, so zeig’ ich, daß ich auch einen Willen hab’. Ich bin versehen und brauch’ den Lenzener nicht!“
Die letzten Worte klangen noch unter dem Eingange; dann fiel die Thüre hinter ihr zu.
Ludwig sprang wieder auf und hielt die Hand an das brennende Gesicht.
„Hämmerlein, was thätet Ihr an meiner Stelle?“
Der Gefragte war selbst so erstaunt und erschrocken über das Verhalten des mutigen Kindes, daß es eine Weile dauerte, ehe er sich auf die beste Antwort besinnen konnte.
„Ich würde drüber lachen, Ludwig. Die Anna hat ihre Mucken; sie hält dich für verzagt. Hättest du sie unter vier Augen vorgenommen, so wäre die Antwort anders ausgefallen. Im übrigen aber bin ich der Vater und werde mein Wort halten, welches ich dir gegeben habe. Ist dir’s recht?“
„Die Schelle ist nicht überzuckert gewesen, und mit einer Frau, die so dreinzuschlagen weiß, ist’s besser man bedenkt sich vorher ein weniges. Aber, Hämmerlein, ich kann nicht dafür; ich bin einmal vernarrt in sie und will’s versuchen. Hab’ ich sie fest, so soll ihr das Beohrfeigen schon vergehen!“
„So ist’s recht. Also in acht Wochen ist Hochzeit; hier noch einmal meine Hand darauf. Und nun erzähl’!“
„Das war nämlich so. Als Ihr kaum fort waret, kam einer, der war als Viehhändler gekleidet und hat nach einem Schleichwege zu Euch gefragt. Der Vater hat ihm geglaubt, daß er aus Clenze sei, und ihm den Weg gezeichnet. Ein Gast aber hat ihn erkannt, daß es der Dessauer war, der sich ja gern verkleidet im Volk herumzuschleichen pflegt. Und nun ist’s gewiß, daß er Lunte von unserem Handel bekommen hat und uns einmal belauschen will. Er wird kommen und sicher ganz allein. Der Vater hat mich sofort herübergeschickt, um Euch Nachricht zu geben, und ist nach dem Markte gegangen, um ihn zu beobachten; denn der Alte ist erst zum Stadtkommandanten gegangen, dem er doch seine Ankunft anzeigen muß.“
„Also ist’s noch unsicher, ob er kommt?“
„Nein, er kommt gewiß; denn was der sich einmal vorgenommen hat, das führt er auch durch. Ich bin hierher geeilt, noch ehe der Vater zurück war; aber wir haben ausgemacht, daß er über die Elbe fahren und dem ersten hannöverschen Posten Bescheid sagen soll.“
„Wie war der Fürst gekleidet?“
Der Gastwirtssohn beschrieb ihn so genau wie möglich.
„Da ist er ja außerordentlich leicht zu erkennen. Nun muß ich gleich wieder zurück zum Major; der wird schöne Augen machen, wenn ich ihm eine solche Botschaft bringe. Du bleibst doch hier, bis ich zurückkomme?“
„Nein; ich darf’s nicht wagen. Der Vater ist nicht daheim und ich auch fort; das könnte auffallen, zumal es sicher nicht verschwiegen bleibt, daß der Dessauer bei uns gewesen ist. Zudem machten sie mir schon vorhin an der Grenze große Schwierigkeiten. Ich hab’ gesagt, ich müsse nach Schneckenburg, und bin nun auch gezwungen, dorthin zu reiten. Ich will jenseits über Lanz und Wustrow heimkehren. Botschaft braucht Ihr uns nicht extra zu geben, denn wir werden von selbst erfahren, wie’s gegangen ist. Lebt wohl und setzt dem Mädchen nur ganz gehörig den Kopf zurecht!“
„Keine Sorge, mein Junge. Sie ist dein; dabei bleibt’s.“
Ludwig stieg auf und trabte von dannen. Hämmerlein aber schritt eilends dem Schlosse zu.
Die beiden Herren saßen noch immer plaudernd zusammen, als er gemeldet wurde.
„Der Hämmerlein wieder?“ fragte Major von Zachwitz. „Hat er doch etwas vergessen! Er mag eintreten.“
Der Wirt that dies mit einer so vergnügten und verheißungsvollen Miene, daß Zachwitz sofort fragte: „Nun, habt ihr wieder einen?“
„Noch nicht; aber er will ins Garn, Herr Major. Der Fährmann hat in so kurzer Zeit ganz prächtig Wort gehalten.“
„So!“ rief der Offizier sich erhebend. „Also etwas Höheres?“
„Nicht nur Höheres, sondern ganz und gar Hohes.“
„Da macht Er mich wirklich neugierig! Wer ist’s?“
„Ich bitte einmal gütigst zu raten.“
„Führt zu nichts. Thue Er den Mund auf!“
„Wenn es nun ein Oberst wär’, Herr Major?“
„Flunkere Er nicht, Hämmerlein.“
„Oder vielleicht ein General?“
„Soll ich Ihn hinauswerfen lassen?“
„Oder gar ein Feldmarschall, zum Beispiel der Dessauer selber?“
„Kerl, ich lasse Ihn Spießruten laufen, wenn Er glaubt, seinen Spaß mit mir treiben zu dürfen!“
„Ich rede im vollen Ernst!“
„Dann ist er übergeschnappt!“
„Das sagte ich zu dem jungen Fährmann auch, als ich eben nach Hause kam und von ihm die Botschaft hörte.“
„Der junge Fährmann? So ist also wirklich ein Fang angekündigt worden?“
„Ja, und ein Hauptfang, ein Kapitalfang, ein riesenmäßiger Fang. Was bekomme ich, Herr Major, wenn ich Euch wirklich noch heut’ den Dessauer in die Hände liefere?“
„Hämmerlein, spricht er wirklich mit Verstand und Ueberlegung?“
„Mit voller Ueberlegung!“
„Hm, dem alten Schwerenöter ist es wirklich zuzutrauen, daß er einmal inkognito einen kleinen Abstecher wagt. Was meint Ihr, Baron?“
„Sagtet Ihr nicht vorhin erst, daß er inspizieren wolle und dies wohl auf seine bekannte Weise thun werde?“
„Richtig! Hämmerlein, ich zahle Ihm fünfzig, hundert, ja zweihundert Thaler, wenn Er mir zu diesem Fange verhilft!“
„Dreihundert, Herr Major, dreihundert rund, wenn er festsitzt, und jetzt außerdem zehn für den Boten, dem ich sie vorgeschossen habe.“
„Er ist ein Jude, Hämmerlein!“
„Ich bin ein guter Christ und Hannoveraner. Gilt’s? Ich spreche nicht eher.“
„So mag es sein!“ Er griff in die Tasche und zählte ihm die verlangte Summe hin. „Hier sind die zehn
Thaler. Die dreihundert zahle ich Ihm aus, sobald ich den Alten haben. Nun rede Er!“
Der Wirt begann seinen Bericht, ließ weg, was die Klugheit ihm zu verschweigen gebot, und sprach ausführlicher als Ludwig, wo er es für nötig hielt.
Der Offizier folgte seinen Worten mit immer wachsender Spannung und wurde am Ende des Vortrages von seiner Aufregung im Zimmer auf und ab getrieben.
Es war nichts Kleines, was sich ihm da zu Ausführung bot. Er stand im Begriff, für ein Unternehmen sich zu entscheiden, dessen mögliche Folgen gar nicht abgesehen werden konnten, und durch welches er jedenfalls einen nicht geringen Grad von Verantwortlichkeit auf sich lud. Bald aber war er mit sich einig und drehte sich mit einer scharfen, raschen Schwenkung auf dem Absatz herum.
„Ich thu’s! Er kann gehen, Hämmerlein. Bleibe Er aber zur Hand; es ist möglich, daß ich Ihn noch brauche. Und Ihr, Baron, erlaubt mir, die begonnene Unterhaltung später fortzusetzen. Ich habe meine Vorkehrungen zu treffen.“
Der Wirt befand sich kaum einige Minuten daheim, so sah er eine Menge Ordonnanzen vor dem Quartier des Majors, welches zum Schloß gehörte, auf die Pferde steigen und, nach verschiedenen Richtungen auseinander eilend, der Grenze zusprengen.
Ungefähr halbwegs zwischen Lenzen und Gartow steht mitten im Walde an der damals nur schwer fahrbaren Vicinalstraße eine einsame Schenke, die sich gegenwärtig allerdings etwas behäbiger präsentiert als zur Zeit der schlesischen Kriege und des siebenjährigen Krieges, wo die ausgedehnten Föhrenbestände dieser Gegend die Unwegsamkeit erhöhten und den Verkehr erschwerten.
Der Wirt war ein finsterer, verschlossener Mann, der jedem Gaste gab, was er verlangte, und dann außer der Zahlung nicht weiter um ihn sich bekümmerte. Er war nicht auf Rosen gebettet in seinem abgelegenen Hause und konnte erst seit kurzer Zeit von einer wesentlichen Einnahme erzählen, die er den soldatischen Gestalten zu verdanken hatte, welche jetzt vom frühen Morgen bis zum späten Abend in seiner niedrigen und verräucherten Stube saßen, aßen, tranken, rauchten, spielten und trotz ihrer immerwährenden Lustigkeit jeden, der ein bestimmtes Alter überschritten hatte, unangefochten ließen. Kam aber einer, der noch frisch ins Leben schaute, der saß gar bald, er wußte selbst nicht wie, mitten unter ihnen und war dann plötzlich verschwunden, ohne daß jemand ihn wieder zu sehen bekam.
Doch das ging den Wirt nichts an. Die Zeche wurde stets ordentlich entrichtet, und für das andere hatte er keine Augen.
Es war kurz nach Mittag, als ein Mann gemächlich die Straße dahergeschritten kam, dessen Angesicht beim Anblicke der Schenke sich bedeutend aufheiterte.
Sein Oberkörper war in einen blau-leinenen Kittel eingehüllt; die Beine staken in weit heraufgezogenen Aufschlagestiefeln und über die rechte Schulter war eine wuchtige Peitsche geschlungen. Er mochte die Sechzig längst überschritten haben; doch stand ihm der schwarze Schnurrwichs ganz martialisch zu Gesichte, und seine Bewegungen zeugten trotz ihrer Gemächlichkeit von Kraft und einer in diesem Alter nicht mehr häufigen Gewandheit.
„Hm,“ brummte er schmunzelnd, „endlich finde ich so eine Hundebude, in der man sich den Straßenstaub hinunterspülen kann. Ich gehe hinein.“
Seine Schritte wurden länger und schneller, und schon hatte er das Haus fast erreicht, als ein Bedenken in ihm aufzusteigen schien.
„Wer wohl in der Hütte stecken mag? Sie sieht mir ganz verdächtig aus. Vielleicht haben gar die kurfürstlichen Jacken hier Station und fragen mich nach diesem und jenem, was sie nicht zu wissen brauchen. Mordelement, da fällt mir etwas ein! Der Fährmann im „Blauen Stern“ hat ganz meine Statur, mein Alter und auch sonst noch einige Aehnlichkeit. Wenn der herüberkommt, den fressen sie nicht. Also: ich bin der Fährmann aus Lenzen.“
Er trat ein. Ein Dutzend kräftiger Gestalten saß um eine lange Tafel herum und war teils mit Pfeife und Krug, teils auch mit einer schmutzigen Karte beschäftigt. Der Wirt hockte gähnend in der Ecke und
hatte bei dem Lärm, den die Gäste vollführten, den Eintritt des neuen Ankömmlings nicht gehört.
Dieser trat an einen leeren Tisch, ließ sich auf einen der primitiven Sessel fallen, nahm die Peitsche herab und klopfte mit dem Griff derselben auf die Platte, daß es krachte.
„Heda, alte Schlafmütze, schaff’ Bier!“
„Na — na —na — na, schlage Er mir nur den Tisch nicht entzwei. Wer so schreien kann wie Er, der ist noch lange nicht am Verdursten.“
„Brrr, nicht gezankt, sondern eingeschenkt, wenn Sein Regenwasser zu trinken ist.“
„Für Ihn ist’s gut genug.“
„Meint Er? Hm, so zeige Er einmal her!“
Er setzte den Krug an den Mund und kostete, zog aber sofort ein Gesicht, als hätte er einen Igel verschluckt.
„Was ist denn das für eine Seifensiederlauge? Schaffe Er schnell einen Schnaps, sonst zerrt mich’s auseinander!“
„Er scheint sich auch den Geier auf einen guten Schluck zu verstehen. Den Schnaps soll Er noch haben, sonst aber nicht weiter. Wer meine Getränke tadelt, der kann gehen, wohin es ihm beliebt, und meinetwegen die Gurgel mit Wagenschmiere sich einreiben.“
„Hat Er ein Mundwerk! Wer da hineingerät, der hat am längsten gepfiffen. Sage Er mir doch einmal, wie lange man noch bis Gartow zu gehen hat?“
„Grad’ so lange wie von Gartow bis hierher.“
„So! Da will ich Ihm einen guten Rat geben: gehe Er doch zu Seinem Kurfüsten und lasse Er sich von ihm als Oberlandeswegweiser anstellen. Er wird Ehre damit einlegen, Er alter Bullenbeißer, Er! Hier hat Er sein Geld, und nun . . .“
Er hielt mitten in der Rede inne. Draußen vor dem Hause hielt ein kleines Detachement Dragoner. Der Offizier war abgesessen und stand, die letzten Worte vernehmend und den Sprecher mit scharfem Blicke musternd, bereits unter der Thüre. Die anderen Gäste hatten sich bei seinem Anblick respektvoll erhoben.
„Wer spricht hier in dieser Weise von Seiner königlichen Majestät, unserem gestrengen und gnädigen Kurfürsten?“
„Ich, wenn’s Euch beliebt, Herr Leutnant.“
„Und wer seid Ihr?“
„Wer hat das Recht, danach zu fragen?“
„Jetzt und zunächst ich! Darf ich um Antwort bitten?“
„Warum nicht? Der Gastwirt Fährmann aus Lenzen giebt sie Euch gern.“
„Der . . . Gastwirt . . . Fährmann . . . aus Lenzen?“ fragte der Offizier lächelnd. „Und was hat dieser hier zu suchen? Für einen Unterthan des Königs von Preußen ist es in den gegenwärtigen Zeitläufen gefährlich, die Grenze zu überschreiten. Habt Ihr einen von dem hiesigen Grenzkommando unterzeichneten Erlaubnisschein?“
„Hab’ gar nicht an so ein Ding gedacht.“
„So! Dem Gastwirt Fährmann wäre eine solche Nachlässigkeit nicht zu verzeihen; der Feldmarschall Fürst Leopold von Anhalt-Dessau Durchlaucht und Excellenz aber kann sich unmöglich zu solchen Kleinigkeiten bequemen. Excellenz, darf ich bitten, sich mir bis Gartow anzuschließen?“
„Donner und Doria, Leutnant, was soll das heißen?“
„Das soll heißen, daß die sämtliche Grenzmannschaft sich in Alarm befindet, um den hohen Gast, welcher uns angezeigt ist, würdig zu empfangen. Ich habe die Ehre, Excellenz mein Pferd zur Verfügung zu stellen.“
„Das soll wohl heißen, daß ich gefangen bin, Er Schwerenöter?“ brauste es unter dem Schnurrwichs hervor. „Wie kann Er sich denn einfallen lassen, den Gastwirt Fährmann für den . . . den . . . den . . .“
„Durchlaucht,“ erwiderte der Angedonnerte fest, aber mit leise zuckendem Munde, „ein Gastwirt pflegt nicht einen Siegelring mit fürstlicher Krone und von solchem Werte zu tragen, wie ich ihn hier an diesem Finger bemerke, und der „Schwerenöter“, den ich so eben hörte, ist mir ein eben so sicherer Beweis, daß ich mich nicht irre.“
Der Offizier deutete bei diesen Worten auf die Hand des Verkleideten, an welcher der Ring glänzte. Der Bedrängte wendete sich zur Seite und warf einen Blick durch das Fenster. Draußen scharrte das Pferd des Leutnants ungeduldig mit den Hufen.
„Hm,“ brummte er leise vor sich hin. „Der Hengst ist nicht schlecht. Ich werde ihn probieren.“
Er warf sich auf den Leutnant, welcher eines so plötzlichen Angriffes nicht gewärtig war, schleuderte ihn zu Boden und sprang zur Thüre hinaus. Draußen ertönten einige rasche Fragen, dann laute Rufe. Der Offizier raffte sich empor und stürzte nach. Er kam gerade noch zur rechten Zeit, um einen der Seinigen vom Pferde zu ziehen, dieses selbst zu besteigen und dem kühnen Flüchtlinge nachzusprengen, der ventre à terre auf dem Rappen dahinjagte, ohne sich mit einem Blicke nach seinen Verfolgern umzusehen.
Der seines Tieres Beraubte trat zu den Gästen, welche auf die Straße geeilt waren und unter lebhaftem Schreien, Fluchen und Schimpfen die tolle Jagd beobachteten, bis eine Biegung der Straße sie ihren Augen entzog.
„Wißt Ihr, wer das war? Kein anderer als der Dessauer, der bei uns zu spionieren schleicht. Lange Stiefel, blauer Kittel, Treiberpeitsche, so ist er uns angesagt, und wir kamen eben her, um Euch Ordre zu bringen, jeden, der in dieser Kleidung hier einkehrt, festzunehmen und nach Schloß Gartow zu transportieren.“
Diese Kunde vergrößerte die Aufregung nur, statt sie zu dämpfen. Man trat in die Stube zurück, um die unerhörte Neuigkeit durch einige frische Krüge verdaulicher zu machen, und es dauerte lange, ehe die Stimmen in gemäßigterem Tone durch die rissigen Fenster drangen.
Da nahte ein Zweiter dem Hause. Er trug einen blauleinenen Kittel, ging in lang heraufgezogenen Stiefeln -
Stiefeln und hatte eine zusammengenestelte Peitsche von der linken Achsel auf die rechte Hüfte niederhängen. Er mochte die Sechzig überschritten haben, doch zeigte der gewaltige Schnurrwichs noch sein volle Schwärze, und die dunklen Augen blitzten gar munter auf den einladenden Zweig, der über der Thüre der Schenke befestigt war.
„Hm,“ brummte er, hier könnte man sich den Urlaub anfeuchten, wenn man die gehörige Zeit dazu hätte; aber ich muß direkt nach Gartow zu dem Hämmerlein, dem Galgenstrick, um meine Dorchlaucht herauszuhauen, und da . . . hm, zu einem Kruge bleibt mir doch wohl Zeit. Ich gehe hinein!
Als er in die Stube trat, richteten sich sofort aller Augen auf ihn und sämtliche Köpfe fuhren in Unheil verkündendem Geflüster zusammen.
„Rasch, Wirt, einen Krug!“ befahl er und trat dann ans Fenster. Die Eile, welche er hatte, ließ ihn nicht ans Niedersetzen denken.
„Werber! Hol’ mich der Kuckuck, das sind Werber!“ murmelte er in den Bart. „Das Gelichter kennt man auf den ersten Blick. Wer aber bin ich denn eigentlich, wenn mich einer fragt? Hm, da kann ich in eine ganz abscheuliche Patsche geraten. Wenn ich wüßte, daß sie den Fährmann, der gewiß in gutem Rufe bei ihnen steht, nicht grad’ persönlich . . . Mordelement, ich bin der Wirt zum „Blauen Stern“; basta punktum. Sie mögen mir nur kommen!“
Statt des Wirtes brachte einer der Werber den vollen Krug und setzte sich so in seine Nähe, daß er die Thüre deckte.
„Woher des Weges, Herr?“ fragte er mit einer Stimme, welche zwischen Respekt und Strenge hin und her vibrierte.
„Von Lenzen,“ klang es kurz.
„Das ist bös; wer da herüberkommt, wird angehalten. Wir sind wohl da zu Hause?“
„Wir? Wer denn?“
„Nun, Ihr.“
„Ach so! Ja.“
„Was habt Ihr für ein Zeichen?“
„Gastwirt.“
„Und der Name?“
„Fährmann, Gastwirt Fährmann im „Blauen Stern“ zu Lenzen. Nun aber laß Er mich ungeschoren. Ich habe mehr zu thun, als Ihm den Katechismus aufzusagen!“
Er trank seinen Krug leer, zog den Mund bis an die Ohren und langte in die Tasche.
„Was bekommt Er für das Bier?“
Jetzt traten die anderen herbei.
„So weit sind wir noch nicht! Habt Ihr einen Passierschein aufzuweisen?“
„Passierschein? Er hat wohl noch nicht recht ausgeschlafen. Ich bin passiert; wozu brauche ich da noch einen solchen Wisch?“
„So beweist uns wenigstens, daß Ihr wirklich der Gastwirt Fährmann seid.“
„Beweisen? Wozu?“
„Weil der Fährmann schon einmal dagewesen ist.“
„Schon einmal . . . hm, der Halun . . . hm. Das ist nicht wahr! Bin ich’s gewesen?“
„Nein.“
„Na also, folglich war ich’s nicht. Macht Platz, Ihr Schwerenöter, ich kann . . .“
„Schwerenöter? Excellenz, ich muß ganz gehorsamst die Waffe ausbitten! Ew. Durchlaucht . . .“
„Excellenz . . . Durchlaucht . . . Waffen ausbitten? Den Henker sollt Ihr haben, ihr Pack, aber nicht meine Waffen. Gebt Raum!“
Er machte Miene die Thüre zu gewinnen, sah sich aber augenblicklich umringt und festgehalten. Mit einem gewaltigen Rucke riß er sich los und zog die beiden Pistolen hervor. Schnell aber war er wieder gepackt; es entstand ein angestrengtes Ringen. Die Schüsse entluden sich, einige Schreie zeigten, daß sie getroffen hatte — aber, wie Heinz heut’ zum Fürsten gesagt hatte: viele Hunde sind des Hasen Tod; er wurde übermannt und gefesselt. Die aufgeregten Männer nahmen wegen der Schüsse auf seinen vermeintlichen hohen Stand keine Rücksicht.
Nach kaum einer Viertelstunde saß er auf dem Holzwagen des Wirtes und wurde, von einer alten, mageren Mähre gezogen, unter vier Mann Bedeckung nach Gartow transportirt.
Der Wagen konnte noch nicht gar weit gekommen sein, da kam ein Dritter auf das Haus zugeschritten. Ueber dem blauen Leinwandkittel trug er eine Peitsche, und die langen Stiefel waren bis nahe an den Unterleib herangezogen. Er konnte die Sechzig überschritten haben, doch schien nicht dieses Alter, sondern ein anderer Umstand schuld an dem trüben, müden Ausdrucke seines Gesichtes zu sein.
„Hm,“ brummte er, indem er die Spitzen seines matt niederhängenden Schnurrbartes in die Höhe zog, „das nenne ich doch Glück beim Unglücke! Wäre ich daheim gewesen, so hätten sie mich weggeholt, und ich hinge vielleicht schon jetzt drei Ellen hoch am Stricke; so aber bin ich dem Dessauer nachgeschlichen, um Gewißheit zu haben, daß er auch wirklich herüber ist, und wurde bei der Heimkehr unterwegs gewarnt. Hätte ich nicht noch Zeit gefunden, beim Schwäher die Kleider zu wechseln, so hätte man mich erkannt und ich wäre gar nicht durchgekommen; so eng wie heut’ ist die Linie noch nie besetzt gewesen. Nun aber weiß ich weder Rat noch That. Ich muß zum Hämmerlein; der wird zu helfen wissen. Vorher aber einen Trunk. Bin zwar noch nie in diesem Loche eingekehrt; aber Durst geht über Geschmack!“
Er trat ein und bestellte sich einen Krug Bier.
Die Anwesenden sahen sich beinahe verblüfft an und berieten leise über die Maßregeln, welche sie zu nehmen hätten. Endlich erhob sich einer und trat herbei.
„Gut Wetter heut’, nicht?“
„Hm, ja.“
„Seid wohl schon weit gegangen?“
„Nicht gar sehr weit.“
„Woher?“
„Von Lenzen.“
„Seid wohl da bekannt?“
„Bin da zu Hause.“
„Kennt Ihr den Fährmann, den Wirt zum „Blauen Stern“?“
„Den kenn’ ich ganz genau; denn ich bin es zumal selber.“
„Aha! Habt Ihr einen Passierschein bei Euch?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Weil mein Geschäft so eilig war, daß ich mir keinen besorgen konnte.“
„Wißt Ihr’s schon von dem Dessauer?“
„Was? Daß er heimlich herüber ist?“
„Aha! Aber das wißt Ihr noch nicht, daß seit einer Stunde schon zwei Fährmänner aus dem „Blauen Stern“ hier eingekehrt sind?“
„Das ist nicht möglich!“
„Und Ihr seid der Dritte. Wie kommt es denn, daß Euch der Dreispitz zu klein und der Kittel zu kurz und zu weit ist, he?“
„Da müßt Ihr meinen Schneider fragen; ich kann nicht dafür.“
„Wollt wohl auch nach Gartow, wie die anderen?“
„Ja, nach Gartow will ich.“
„Das ist ja schön. Wir gehen mit.“
Während dieser Verhandlung kam ein Vierter die Straße entlang. Er hielt sich stets am Saume des Waldes, als sei er jeden Augenblick bereit, sich hinter das Gebüsch desselben zurückzuziehen. In der Nähe der Schenke angekommen, schlug er sich in das Dickicht, bis er auf einen schmalen Waldpfad stieß, den er mit eiligen Schritten verfolgte.
Es war Bellheimer, den es nicht in Lenzen gelitten hatte. Er war über die Elbe gegangen und schlug nun den kürzesten Weg nach Gartow ein, wo seine Gegenwart seiner Meinung nach von Nutzen sein konnte. Der Pfad war ein schnurgerader Richtweg, der die gewöhnliche Gehzeit fast um die Hälfte kürzte, so daß der kühne Wachtmeister gar bald den Waldessaum erreichte und nun den Flecken mit seinem Schlosse vor sich liegen sah.
Ein scharfer Blick über die Gegend zeigte ihm, daß er seinen gewöhnlichen Weg ohne Gefahr verfolgen könne; nur die unbetretenen Raine benutzend und seiner Gestalt die gebückte Haltung eines alten, müden Mannes gebend, schob der Vielverfolgte, dem bei einer etwaigen Erkennung jedenfalls Kampf und Gefangenschaft, vielleicht gar der Tod eines Spions drohte, sich zwischen den bereits abgeernteten Feldern hindurch bis an die hinteren Gartenzäune des Ortes. Denen entlang schlich er weiter, bis er eine Pforte erreichte, durch welche er nach vorherigem Spähen vorsichtig schlüpfte. Eine
hochgewachsene Mädchengestalt war mit Trocknen der Wäsche beschäftigt.
„Pst, Anna!“ klang es leise aus dem Buchengebüsch an ihr Ohr.
Sie drehte sich um. Eine Hand winkte zwischen den Blättern hervor. Erschrocken und erfreut zugleich trat sie näher.
„Heinrich, um Gotteswillen, du hier? Heut’ und am hellen Tage!“
„Ich konnte nicht anders, Anna. Sprich, wo ist dein Vater?“
„Ach Gott, der liegt im Bette, ohne Verstand und Besinnung!“
„Was ist’s mit ihm?“
„Ich weiß es nicht. Als sie den ersten Dessauer brachten —“
„Dessauer? Den ersten?“
„Ja. Sie haben zwei gefangen und wissen nicht, welcher der richtige ist.“
„Gefangen? Alle Wetter, also doch! Nun, dein Vater?“
„Da wurde er zum Major gerufen, und kurze Zeit darauf brachten sie ihn getragen. Ich hörte nur, daß er einen fürchterlichen Faustschlag erhalten hat.“
„Ah — so! Sind Gäste drin?“
„Kein Mensch.“
„Knecht und Magd?“
„In den Wald nach Streu gefahren.“
„Der Ludwig aus dem „Stern“ war hier.“
„Das weißt du? Er hat den Fürsten verraten und vom Vater dafür die Zusage, von mir aber eine gute Ohrfeige erhalten. Ach, Heinrich, was thue ich nur?“
„Bist mir wirklich gut, Anna?“
„Ach, von Herzen!“
„So thue heut’, was ich dir sage.“
„Ich will’s!“
„Auch wenn’s schwer ist?“
„Auch dann. Es kann nicht mehr so fortgehen wie jetzt. Ich lasse lieber alles im Stiche und geh’ fort, so weit meine Füße mich tragen.“
„So soll es heut’ fest werden. Komm mit herein zum Vater.“
„Heinrich, das geht nicht! Wenn man dich . . .“
„Vorwärts, Anna; ich weiß schon, was ich thu’!“
Er konnte getrost das Haus betreten: es war niemand vorhanden, der ihn hätte verraten können. Denn sämtliche Bewohner Gartows, die nicht durch Arbeit gebunden waren, befanden sich in der Nähe des Schlosses, um das unerhörte Ereignis zu beobachten, daß zwei Fürsten von Dessau gefangen seien, von denen doch nur einer der richtige sein konnte.
Der Major, welchem zwei Schwadronen zur Verfügung standen, hatte seine Vorkehrungen so gut getroffen, daß ihm der Erwartete nicht entgehen konnte. Als nun der betreffende Posten von Fährmann die Nachricht brachte, daß der Fürst wirklich unterwegs sei, wurde er seiner Sache ganz gewiß und kehrte zum
Baron zurück, um in seiner Gesellschaft den hohen Arrestanten zu erwarten.
Da erklang Pferdegetrappel vom Hofe herauf; sporenklirrende Schritte ließen sich auf dem Korridor vernehmen, und unangemeldet trat ein schweißtriefender Offizier ein.
„Leutnant Helmerding, woher so eilig?“
„Herr Major, wir haben ihr!“
„Wo?“ rief dieser aufspringend.
„Unten im Hofe . . . auf der Treppe . . . nein, ich höre ihn schon draußen vor der Thüre!“
„Laßt ihn eintreten. Das Nähere werde ich nachher wohl erfahren.“
Der Leutnant stieß die Thüre auf und ließ den Gefangenen eintreten.
Der Major trat diesem respektvoll entgegen. „Durchlaucht, ich habe die höchst schätzenswerte Ehre . . .“
„Dummheit!“ donnerte es ihm entgegen. „Verdammt große Ehre, einen Gastwirt aufzugreifen und für einen Fürsten zu halten!“
Der Major trat betroffen zurück. „Ein Gastwirt! Höre ich recht?“
„Frage Er nur Seine Leute. Wenn Er sich blamieren will, mich geht die Sache nichts mehr an!“ Rasch war er an der Thüre zum Erkerzimmer, stieß diese auf, trat hinein, und im nächsten Augenblick bewies das Klirren von Schlüssel und Riegel, daß er sich eingeschlossen habe.
Der Major riß das Fenster auf, befahl zwei Mann Wache mit scharf geladenem Gewehr unter das Kabinett und ließ dann den Leutnant wieder eintreten, der einen ausführlichen Rapport abstatten mußte. Der Hengst hatte gestolpert und war unter seinem Reiter gestürzt, wodurch der letztere in die Hände seiner Verfolger geraten war.
Zachwitz befand sich in der größten Ratlosigkeit. Er konnte den Gefangenen weder vernehmen noch untersuchen lassen, da bei der Gewaltthätigkeit, welche dieser während des Transportes bewiesen hatte, von einem Aufsprengen der Thüre nichts Gutes zu erwarten war. Und für den Fall, daß es der Fürst doch sei, war ja die möglichste Rücksicht und Schonung geboten.
„Baron,“ sagte er diesen, „habt Ihr in wiedererkannt?“
„Hm, bin mir darüber noch sehr im Zweifel.“
„Herr Leutnant, Ihr seid für jetzt entlassen. Der Hämmerlein soll kommen, aber schleunigst!“
Der Verlangte erschien nach kurzer Zeit.
„Er kennt doch den Fährmann ganz genau?“
„Das will ich meinen.“
„Beschreibe Er ihn mir.“
Er that es. Das Signalement paßte genau auf den Gefangenen.
„Lasse Er sich eine Leiter geben,“ befahl der Major mit gedämpfter Stimme, „und steige Er einmal vorsichtig -
vorsichtig zum Erkerfenster empor, um einen Blick auf den Mann zu werfen. Das soll entscheiden.“
Der Wirt folgte dem Gebote; kaum aber hatte er mit der Stirne die Fensterhöhe erreicht, so wurde ein Flügel schnell aufgerissen, und eine geballte Faust sauste mit solcher Wucht auf seinen Kopf hernieder, daß er an der Leiter herabrutschte und besinnungslos zur Erde stürzte.
Zachwitz wollte eben den Befehl erteilen, die Thüre nun doch aufzusprengen, als der verabschiedete Leutnant erschien.
„Halten zu Gnaden, Herr Major, ein zweiter Gefangener! Darf er eintreten?“
„Ein Zweiter? Herein mit ihm!“
Heinz trat ein. Er war an den Armen gebunden. Hinter ihm erschienen die Transporteure mit den beiden Pistolen.
„Einstweilen abtreten!“ befahl er ihnen und wendete sich mit sichtlicher Unsicherheit an den Gefangenen.
„Wie kommt es, daß man Euch gefesselt hat?“
Heinz warf einen raschen Blick im Zimmer umher und sah die Thüre zur Erkerstube sich bewegen, in welcher, vom Major ungesehen, der Fürst erschien.
Dieser hatte den Kammerhusaren durch das Fenster bemerkt und leise geöffnet.
„Ja,“ antwortete er, „wie kommt es, daß man einen Gastwirt für einen Feldmarschall hält und ihn doch in schimpfliche Bande schlägt? Beantworte Er sich Seine kluge Frage selber!“
Mit zwei Schritten war er draußen beim Fürsten, und im Nu klirrte das Schloß hinter ihm.
Zachwitz stand vollständig steif vor dem Baron, der auch das Oeffnen des Nebenraumes zu spät bemerkt hatte.
„Was sagt Ihr dazu, Herr von Bernstorff?“ stieß er endlich hervor.
„Gar nichts, gar nichts; ich glaube, mir träumt es! Vernehmt einmal die Leute!“
Es geschah. Auch die Pistolen wurden untersucht und als jedenfalls dem Fürsten gehörig befunden. Welcher von beiden war der echte Leopold, wenn einer von ihnen es überhaupt war? Der Major beschloß, die Ankunft seiner beiden Rittmeister, welche auf Inspektion geritten waren, abzuwarten und dann mit ihnen das Nötige zu beraten. Noch aber war keiner von ihnen zurückgekehrt, als der dritte Gefangene gemeldet wurde.
„Ein Dritter! Das wird immer toller! Herein mit ihm?“
Fährmann trat ein. Zachwitz stellte sich vorsichtig zwischen ihn und die Nebenzimmerthüre.
„Wollt Ihr mir wohl . . .“
Er konnte nicht weiter sprechen. Zwei Fäuste faßten ihn von hinten, während er sah, daß der Arretierte von zwei anderen blitzschnell weggezogen wurde. Dann fühlte er sich frei, und als er sich umwendete, war die Thüre wieder verschlossen. Jetzt war es ihm wirklich unmöglich, ein schallendes Gelächter zurückzuhalten -
zurückzuhalten. Der Baron stimmte ein. Die Situation hatte trotz ihres Ernstes auch eine so komische Seite, daß sie unbedingt zum Lachen hinriß.
In dieser Lustigkeit wurden die beiden Männer durch die Rückkehr des einen Rittmeisters, dem bald auch der andere folgte, überrascht. Der sofort gebildete Rat verhörte zunächst die Begleiter des Sternwirtes und beschloß dann, die Thüre mit Gewalt zu öffnen und die Gefangenen, wenn die Vernehmung derselben zu keinem Resultate führte, unter hinreichender Bedeckung noch heute an das Hauptquartier abzuliefern.
Schon erhob sich der Major, um diesen Beschluß gemäß zu handeln, als die Tochter Hämmerleins gemeldet wurde. Sie konnte nur etwas auf die Sache Bezügliches bringen und wurde sofort vorgelassen.
„Herr Major,“ bat sie, „der Vater läßt um eine sofortige geheime Unterredung ersuchen. Er hat in Beziehung der Gefangenen eine wichtige Mitteilung zu machen.“
„Gut, mein Kind! Hat er sich erholt?“
„So, daß er sprechen kann, ja.“
„So sag’, ich käme gleich. Meine Herren, ich kehre jedenfalls bald zurück und bitte, mit den beschlossenen Maßregeln bis dahin zu warten.“
Die Unterredung mußte eine sehr wichtige sein; denn statt des Majors kam nach kurzer Zeit Anna wieder und bestellte im Auftrage des letzteren den älteren Rittmeister, dann nach einer Pause den jüngeren und endlich auch den Leutnant von Helmerding. Sie
gingen nach einander und überließen die Aufsicht über das Gefangenenzimmer endlich dem Baron, welcher außerordentlich gespannt auf den Ausgang der Sache war und die Rückkehr der Offiziere mit Ungeduld erwartete.
Nach und nach wurde er unruhig. Er befand sich allein im Zimmer. Die Besatzung stand an der Grenze auf Posten oder war auf Patrouille abwesend; sämtliche dienstfreie Offiziere waren nach einander zu Hämmerlein gegangen und im Schlosse selbst gab es kaum ein Dutzend Soldaten, auf deren Beistand er rechnen konnte, wenn es den Gefangenen einfiel, ihr Zimmer zu verlassen.
Da klangen rasche Schritte auf dem Korridor; die Thüre ging auf, und ein junger Offizier in der Uniform eines Dragoner-Majors trat ein. Den Schloßherrn erblickend, fragte er, sich verbeugend: „Der Herr Baron von Bernstorff?“
„Derselbe! Und wer giebt mir die Ehre?“
„Der Wachtmeister Heinrich Bellheimer, Herr Baron, der sich nur einstweilen in die Kleidung des gefangenen Majors von Zachwitz geworfen hat, um Euch zu bedeuten, daß Ihr ein Kind des Todes seid, wenn Ihr zu mucksen wagt!“
Er zog eine Pistole hervor, schritt an dem erbleichenden und vor Schreck sprachlosen Manne vorüber und schlug an die Nebenzimmerthüre.
„Aufgemacht!“
„Werda?“ brummte es von innen.
„Wachtmeister Bellheimer von Lenzen herüber!“
Das Schloß klang; es wurde vorsichtig geöffnet, und hinter einer kleinen Spalte erschien der Schnurrbart Heinzens.
„Mordelement, er ist’s wirklich! Auf mit dem Loche!“
Er trat in das Zimmer, hinter ihm der Fürst. Bellheimer wendete sich an den letzteren: „Er ist der Lieferant Hillmann?“
„Wenn Er nichts dagegen hat!“ klang es schnell entschlossen. „Was will Er?“
„Seine Durchlaucht, der Herr Feldmarschall Excellenz hat erfahren, welche Gefahr Ihm einer eingebildeten Aehnlichkeit wegen droht, und mich mit einem Detachement herübergesendet, um Ihm aus der Klemme zu helfen. Nehme Er die geborgten Pistolen, die der Major von Zachwitz hier liegen gelassen hat, und komme Er mit mir. Vorwärts, Fährmann, heraus aus der Bude!“
Der Fürst und Heinz hatten sich in die Lage, auch ohne sie vollständig zu begreifen, sofort gefunden, und verließen das Gemach, ohne den Baron mit einem einzigen Blicke zu beachten. Fährmann wäre jedenfalls lieber zurück geblieben, hegte aber viel zu großen Respekt vor Bellheimers Pistole, als daß er sich hätte weigern mögen.
„Herr Baron, Ihr bleibt hier an dieser Stelle, bis ich wiederkehre!“ befahl der Wachtmeister noch, und folgte dann dem Voranschreitenden nach.
Unten standen, von zwei Soldaten, gehalten, vier gesattelte Pferde.
Der Fürst machte dem Wachtmeister Augen, als wollte er ihn mit ihrem Blicke in Flammen setzen, saß aber mit Heinz sofort im Sattel.
„Kann Er reiten?“ fragte Bellheimer den Sternwirt. „So steige Er auf! Ich voran, Er in der Mitte und die beiden da hinter Ihm!“
Im scharfen Trabe ging es vom Schlosse fort, durch den Flecken und hinaus ins freie Feld. Am Wege stand Anna mit einem kleinen Bündel in der Hand.
„Komm herauf zu mir!“ meinte der Wachtmeister, indem er ihr die Hand entgegenstreckte.
„Was soll das Mädchen?“ fragte Leopold.
„Werd’s nachher sagen.“
Wieder vorwärts ging es so scharf wie möglich durch die Felder und den Wald, an der einsamen Schenke vorüber und immer weiter, ohne daß ein feindliches Wesen sich sehen ließ. So erreichte man endlich die Elbe unterhalb Mödlich. Ein Kahn lag hart am Wasser; es wurde abgestiegen. Bellheimer trat zum Fürsten.
„Darf Fährmann wissen, mit wem er gefangen war?“
„Nein.“
„So bitte ich, vorauszufahren. Ich komme mit ihm nach und werde ihn dem Herrn Oberstwachtmeister von Dennau abliefern.“
„Und das Mädchen?“
„Wird jetzt mit rudern und mir dann den Kahn herüber bringen.“
So geschah es.
Auch hier ließ sich kein Hannoveraner sehen. Drüben stand ein preußischer Posten. Er rief den Kahn an, bekam die Losung und ließ die beiden Männer passieren. Anna brachte das Fahrzeug zurück. Die Pferde wurden an den Stern gekoppelt, wo Bellheimer, das Steuer führend, sie beaufsichtigte. Fährmann mußte mit zum Ruder greifen; so gelangte man glücklich hinüber. Hier wurden die Tiere an das Gesträuch gebunden, um später abgeholt zu werden. Dann nahm Bellheimer seinen Gefangenen fest am Arme und schritt mit ihm und dem treuen Mädchen dem nahen Lenzen zu.
Dort angekommen, fanden sie die Schwadron des Rittmeisters von Galen, welche zum Ausrücken bereit gewesen war, soeben aber den Befehl erhalten hatte, wieder abzusitzen.
Kaum hatte Bellheimer den Sternwirt abgeliefert, so wurde er zum Fürsten beordert. Er fand ihn allein.
„Bellheimer, Er Tausendschwerenöter, wie hat Er denn das alles fertig gebracht?“ wurde er von ihm empfangen.
Der Wachtmeister erzählt alles von heute früh bis auf den letzten Augenblick. Anna hatte sich am Schlosse nach der Lage der Gefangenen erkundigen und dann die Offiziere holen müssen. Diese waren einzeln, wie sie kamen, von Bellheimer überwältigt worden. Den Major, welcher ähnlicher Statur mit ihm war, hatte
er zum Kleiderwechsel gezwungen, ihn und seine Kameraden durch Fesseln unschädlich gemacht und sich dann auf das Schloß begeben, wo die in diesem Augenblick herrenlosen Soldaten seine Befehle, in der Meinung, er sei vom Hauptquartier gesendet, sofort respektiert hatten. Es waren ihrer nur wenige gewesen, deren Mehrzahl er mit Befehlen an die Außenposten gesandt hatte, um sich den Rückweg frei zu machen; die anderen hatten ihm die Pferde der vier mit Hämmerlein eingeschlossenen Offiziere satteln müssen.
Der Fürst hörte mit immer wachsender Verwunderung zu.
„Bellheimer, Er ist ein ganzer Kerl — Er ist ein ganz gefährlicher Hallunke, vor dem man sich in acht zu nehmen hat. Darum soll Er von heut’ an stets in meiner Nähe sein. Will Er Leutnant werden?“
„Excellenz —“
„Schon gut! Er tritt aus dem Regiment und wird als Offizier mein Zeltmeister. Verstanden?“
„Zu Befehl, Excellenz! Ich weiß nicht, welche Worte . . .“
„Maul gehalten. Und sein Mädchen, das um Seinetwillen den Vater im Stiche gelassen, der allerdings den Strick verdient, soll auch mit mir zufrieden sein. Was sie heut’ verloren hat, das soll ihr die Ausstattung wiederbringen, für die ich Sorge trage werde. Schicke Er sie bis zur Hochzeit nach Dessau. Ich will ihr ein paar Worte an meine Anne-Liese
mitgeben, die für sie sorgen wird. Den Sternwirt hat Er doch richtig abgeliefert?“
„Zu Befehl, ja.“
„Schön. Dem will ich lehren, unsere Landeskinder an den Feind zu verkaufen! Spricht der Himmelhund heut’ zu mir, der Dessauer stecke voller Grobheiten, wie der Hund voller Flöhe! Wart’, er soll den feinsten Strick bekommen, der zu finden ist, und seinen Jungen, den Verräter, den werde ich bei der Parabel nehmen, daß ihm die Anna vergehen soll! Jetzt aber mache Er, daß Er fortkommt; Er weiß ja, was Er dem Bernstorff versprochen hat, sonst sitzt und schwitzt und wartet der auf Ihn bis zum jüngsten Tag.“
Die Frau des Oberstwachtmeisters hatte sich Annas liebreich angenommen und ihr für jetzt ein Asyl bei sich eröffnet. Bellheimer mußte sich bei der freundlichen Dame bedanken.
Dann aber ging’s zu Heinz, der schon längst mit Ungeduld auf ihn gewartet hatte.
„Mord-Element, läßt Er ewig sitzen! Gleich komm Er her hier neben mich und erzähle Er, wie es Ihm gelungen ist, uns aus der Tinte herauszufischen.“
Der Bericht begann von neuem, und der alte brave Leibhusar war ein ebenso aufmerksamer Zuhörer wie der Fürst.
„Ist Er ein Mordkerl, Bellheimer! Ich bin Ihm immer gut gewesen, jetzt aber muß ich Ihn geradezu umarmen. So! Und nun will ich Ihm eins noch sagen, Wachtmeister . . .“
„Halt; es hat sich ausgewachtmeistert, Heinz.“
„Wie so?“
„Weil ich von jetzt an Zeltmeister Ihrer Durchlaucht mit Leutnants-Rang bin.“
„Ist’s wahr, Goldjunge? Viktoria, der Knoten ist gerissen! Wer weiß, was nun noch alles aus Ihm wird! Aber freilich, verdient hat Er’s reichlich; denn kein Mensch darf wissen, in welch ein sauberes Loch wir uns geritten haben, und die Sache muß Geheimnis bleiben.“
„Ich werde zu schweigen wissen.“
„Ja, ja, das weiß ich; aber das Mädchen, die Anna, der . . . Husar?“
„Die ebenso wie ich.“
„Will’s hoffen! Er hat sich da etwas ganz Extrafeines herausgelesen, das muß man sagen. Das Mädel ist nett und sauber, grad’ wie . . . wie die junge Witfrau, bei der wir damals Anno Vier in Quartier lagen, nämlich ich und die Dorchlaucht. Es ging damals gegen die Baiern und Franzosen, und sie hatte wahrhaftig ein Auge auf mich geworfen, so daß ich oft kaum wußte, wohin ich sehen sollte. Eines Tages nun stehe ich unter der Thüre und putze grad’ mein Lederzeug, da kommt sie die Treppe herab und macht mir ein Gesicht, als ob es gleich zum Altare gehen sollte. Ich strecke auch schon alle zehn Finger nach ihr aus, da kommt es die Straße heraufgaloppiert, hält vor dem Hause, und wer steigt ab? — eine Ordonnanz vom Prinzen Eugenius, der den Befehl bringt, daß . . .“
„Darf ich eintreten?“ fragte es da schüchtern am Eingange. Es war Anna, die den Geliebten suchte.
Heinz hatte Unglück mit dieser seiner Lieblingsgeschichte. Er brachte sie nie weiter als bis zu dem Befehle des Prinzen Eugenius; doch war er auch jetzt zu gutmütig, als daß er dem Störenfried hätte zürnen können. Er nickte Anna vielmehr ganz freundlich zu und meinte: „Ja, kommen Sie nur immer herein, Jüngferchen; dem Wachtm . . . wollte sagen, dem Herrn Leutnant wird’s heute Abend lieber sein als damals Anno Vier, und Ihr kleines Plapperment hört er gewiß zehnmal lieber, als die Beschreibung von meiner jungen Witfrau — die sich allerdings auch sehen lassen konnte.“