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Im Sonnenthau.

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Erzählung aus dem Erzgebirge von Karl May.

     

es war gegen Abend. Ein Wanderer, das volle Ränzchen auf dem Rücken und den Knotenstock in der Hand, schritt jugendlich elastischen Schrittes die Bergstraße dahin, welche in zahlreichen Windungen das Plateau der Höhe zu erreichen suchte. An einer Stelle, wo ein schmaler Waldpfad in die Chaussee mündete, blieb er nachdenkend stehen.

„Das muß der Steg sein, der grad’ auf die Forstschenk’ führt. Ich werd’ ihn geh’n, denn dann schneid’ ich eine gute Viertelstund’ von der Wanderung ab!“

Er sprang über den Chausseegraben und betrat den Wald, der hier frei von Unterholz war, so daß man dem Steige, welcher in grader Richtung emporstieg, gut zu folgen vermochte. So einsam es hier auf und zwischen den Bergen zu sein pflegte, nach einiger Zeit vernahm er entgegenkommende Schritte. Der biedere, treuherzige Gebirgsbewohner schreitet selbst an den Fremden nicht gern schweigsam vorüber; er muß wenigstens einen theilnehmenden Gruß mit ihm wechseln. Der Kommende war ein alter Mann, welcher den steilen Abhang nur mühsam hinabzusteigen vermochte.

„Grüß Gott, Alter!“

„Grüß Gott! Wohin, junger Mann?“

„Nach Gründorf hinauf.“

„Da hast’ noch anderthalb Stund’ zu gehn. Mach’ schnell, eh’ der Abend kommt, damit Dir nix passirt!“

„Nix passirt? Ist denn Gefahr dabei?“

„Kann sein! Bist wol fremd in der Gegend?“

„Ich war mehrere Jahr’ net hier.“

„So weißt’ auch nix von dem Grenzmeister?“

„Nein. Was ist mit ihm? Vor zwanzig Jahr’n hat er ’mal sein Wes’n hier gehabt.“

„Und jetzt nun wieder. Die Schmuggler und Wildfänger sind ihm unterthan; Niemand weiß, wer er eigentlich ist; aber er macht seine Sach’ so schlimm und verweg’n, daß der König sogar Militair hergeschickt hat, um ihn zu fangen. Beim Wies’nbauer in Gründorf liegt der Offizier.“

„Habt Dank für die Warnung! Geht dieser Steg zur Forstschenk’ hinauf?“

„Ja. Wirst dort Gesellschaft find’n. Der Offizier sitzt da, um von dem Umgang auszuruhn, und bei ihm der blinde Thorbauer aus Gründorf. Er ist in der Stadt gewes’n. Kannst vielleicht noch mit Platz find’n auf seinem Rollwägele. Gut’ Nacht!“

„Gut’ Nacht!“

Der Jüngling stieg von Neuem bergauf. Nachdem er mit dem Pfade mehrere Straßenkrümmungen durchschritten hatte, stand er auf der Höhe und sah die Forstschenke vor sich liegen. Er nahte ihr von der Waldseite und trat durch die Hinterthür ein, um sich von der anwesenden Wirthin ein Glas Bier geben zu lassen.

Er nahm in der Nähe des offenstehenden Fensters Platz und bemerkte einen draußen haltenden Korbwagen, an welchem der theilnahmslos vor sich hinblickende Knecht lehnte. An dem vor der Thür in die Erde eingemauerten Tische saßen die Beiden, von denen der Alte gesprochen hatte. Der Lieutenant war einer jener Schüler des Mars, die ihre wohlkosmetizirte Erscheinung für ebenso unwiderstehlich halten

wie die Klinge ihres Degens; das war ihm auf den ersten Blick anzusehen. Von seinem stutzerhaften Aeußern stach die hohe, einfache und schlicht gekleidete Gestalt des Thorbauern, aus dessen Gesicht zwei leb- und ausdruckslose Augen starrten, gewaltig ab. Sie hatten das Erscheinen des jungen Mannes nicht bemerkt und fuhren in ihrer laut gepflogenen Unterhaltung ungenirt fort.

„Ja,“ meinte der bei ihnen stehende Wirth, „Eure Red’ in aller Ehr’n, aber es können noch dreimal so viel Soldat’n kommen, wie Ihr habt, dem Grenzmeister kommt Ihr doch net bei. Ihm ist die ganze Grenz’ hier unterthan, davon hat er doch auch den Namen; seine eignen Leut’ wissen net, wer er ist, aber gehorsam sind sie ihm auf jedes Wort und jeden Wink, denn es soll gar schrecklich sein, mit ihm Feind zu werd’n. Drum steht er auch sonst überall gewaltig in Respect, so daß auch der beste Unterthan net wagt, etwas geg’n ihn zu thun. Wer’s dennoch unternimmt, der ist verlor’n. Ihr habt ja selber die Leich’n gefunden von denen, die ihm in den Weg gekommen sind. Es ist grad wie vor zwanzig Jahr’n. Wer ihn in Gefahr bringt, der muß sterb’n oder wird geblendet. Der Schubert hier kann auch ein Wörtle davon red’n!“

„Wieso?“ frug der Offizier.

„Weil grad’ auch ihm der Grenzmeister das Aug’nlicht genommen hat.“

„Euch, Thorbauer? Ist das wahr?“

„Leider!“ antwortete dieser, während es halb wie Trauer sich über sein Gesicht legte, halb wie Grimm über dasselbe zuckte.

„Erzählt, erzählt. Das muß ich hören!“

„Ich muß Euch sag’n, daß ich auch Soldat gewes’n bin. Ich war Korporal und wurd’ nachher hier bei der Grenz’ angestellt und in Gründorf stationirt. Der damalige Thorbauer hatt’ das einz’ge Kind, die Anna, das schönste und liebste Madel weit und breit, und es dauerte net lang, war ich mit ihr eins.“

„Und hast sie auch bekommen,“ fiel der Wirth ein, „obgleich der Wies’nbauer sie Dir wegschnapp’n wollt’ und ihr nachgegangen ist auf Schritt und Tritt. Er war kurz vorher aus dem Zuchthaus entlassen und wär’ vielleicht noch heut nix werth, wenn er die Wies’nbäuerin net bekommen hätt’. Sie war Wittwe, hatt’ nur das einz’ge Kind, den Heiner, und bracht’ ihm das Anwes’n mit, das er so viel vergrößert und verschönert hat.“

„Wie! Der Wiesenbauer, bei dem ich wohne, hat im Zuchthaus gesessen?“ frug der Offizier überrascht.

„Ja,“ antwortete der Wirth mit zweideutigem Lächeln, „aber er wird’s Euch nur net gesagt hab’n. Er war auch an der Grenz’ angestellt; aber es kam heraus, daß er’s im Stillen mit den Paschern hielt und viel Geld von ihnen bezog. Das hat ihn auf mehrere Jahr’ hinter Schloß und Riegel gebracht. Schad’ um die Wies’nbäu’rin, die mit ihm ein grausam schlimmes Loos gezog’n hat, und um den Heiner, der so gut und brav ist wie nur irgend Einer und nur den Sclav’ und Leibeig’nen gemacht hat, bis er zum Militair gezog’n wurd. Dess’ ist er froh gewes’n und hat sich auch net ein einzig Mal auf Urlaub blicken lass’n. Er muß nun bald los sein.“

„Morgen kommt er, wie mir der Wiesenbauer sagte,“ meinte der Offizier. „Aber, fahrt jetzt fort, Schubert!“

„Also,“ erzählte dieser weiter, „die Anna war reich, deshalb wollt’ ich’s gern vorwärts bringen und gab mir alle Müh’, meine Pflicht und noch mehr zu thun. Der Grenzmeister hatt’ grad angefangen, das Gebirg’ unsicher zu mach’n, und ich lag Tag und Nacht im Wald’, um ihm das Handwerk zu leg’n. Das hat er auch gewußt, denn es ist mir gar manche Drohung von ihm zugegang’n, aber es ist mir net eingefall’n, darauf zu hör’n. Da geh’ ich ’mal am Abend beim alt’n Schacht vorüber, den sie vor Zeit’n zugeschüttet hab’n, und seh darüber eine Helligkeit, als ob ein Feuer drunt’n angemacht sei. Leis’ schleich ich mich hinzu, kriech’ die Böschung hinauf und leg’ mich auf den Schutt, um in

den Zusammenbruch hinabzuschaun. Drunten sitz’n acht Männer um das Feuer; die Büchs’n lieg’n bei ihnen und die Packete auch, welche Schmuggelgut enthalten hab’n. Ich will gern hör’n, was sie sprechen, und ich schieb mich deshalb noch etwas weiter vor. Da aber giebt das Geröll nach, rollt hinab, und ich schieß hinunter, mitt’n unter sie hinein. Im Nu sind sie über mich her, und ich bin gefesselt und geknebelt eh’ ich mir’s verseh’. Gekannt hab ich net einen Einzigen von ihnen, sie mich aber auf der Stell’!“

„Holla, der Schubert!“ hat’s gerufen. „Wie gut, daß Keiner aus Gründorf dabei ist! Er will net auf uns’re Warnung hör’n, und nun müss’n wir ihn dem Meister bringen.“

„Ob ich gewollt hab’ oder net, das war ganz gleich; sie hab’n mir die Augen verbund’n und mich mit sich fortgeschleppt. Es ist immer durch Busch und Wald gegangen, bis wir endlich an einem Ort gehalten hab’n, wo der Bod’n weich und moosig gewes’n ist und es einen Geruch ringsum gegeben hat, den ich noch nie gefund’n und mir nachher scharf eingeprägt hab.“

„Bück’ Dich!“ hat’s geheiß’n, „und als ich’s thu, werd’ ich durch ein Loch geschob’n, durch welches sie mir folgen. Da sind wir in ein Gemach oder eine Höhl’ gelangt, wo ich hab’ aufrecht stehen können. Hier mußt’ ich mich niedersetzen auf den Sitz, der ein Klotz gewes’n ist, und dann blieb es still um mich, bis der Meister gekommen ist. Er hat Berathung gehalt’n mit leiser Stimme und ich konnt’ nix davon verstehn als nur zuletzt:“

„Er soll Euch net wiedererkennen!“

„D’rauf wird mir die Bind’ abgenommen, und als ich nun die Aug’n aufthu’ und um mich sehen will, da kracht ein Schuß mir grad vor dem Gesicht los, und ich stürz’ zusammen, aber net todt, sondern blos vor Schreck und Schmerz, denn das Pistol war nur mit Pulver gelad’n, das mir in die Aug’n gefahren ist. Ich hab’ gestöhnt und gewimmert vor Qual, sie aber hab’n darüber gelacht und mich zurückgeschafft in’s Dorf bis vor meine Thür.“

Er schwieg. Auch abgesehen von den Augen waren in seinem Gesicht die Spuren jenes fürchterlichen Schusses noch deutlich zu erkennen. Der Blick des Offiziers ruhte zwar mitleidig, aber doch nicht ohne Selbstbewußtsein auf ihm.

„Das war teuflisch raffinirt und grausam von den Hallunken,“ meinte er; „aber hättet Ihr eine bessere Taktik befolgt, so wäre es nicht geschehen. Ihr mußtet sofort Succurs holen und sie festnehmen, ohne sie erst ewig belauschen zu wollen!“

„Das ist Eure Ansicht, aber net die meine. Mir lag grad’ eben so viel an dem Meister wie an ihnen, und ich wollte sehn, ob er dabei sei, oder doch ’was über ihn zu vernehmen. Nachher hab’ ich lang’ darnieder geleg’n; die Aerzt’ sind gekommen, um an mir herum zu schneid’n und zu quacksalbern, aber das Aug’nlicht ist doch weg gewes’n, das hab’n sie mir net wiederschaff’n könn’n. Was wär’ nun aus mir geword’n mit der Pension, von der ich gar net red’n mag! Aber die Anna ist mir gut geblieb’n; sie hätt’ nun gar andre Parthie’n gehabt, und der Oppermann hat schier Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um sie mir abspenstig zu mach’n. Sie ist meine Frau geword’n, und ich hab’ nachher den Thorhof geerbt, der mich ernährt, trotz meiner armen Aug’n, die mir noch jetzt oft solch’n Schmerz bereit’n, daß mir nix hilft, als Sonnenthau, den ich mir holen lass’, um ihn aufzuleg’n.“

„Und der Grenzmeister?“

„Der ist schadlos ausgegangen. Die Behörd’ hat alles gethan, um seiner habhaft zu werd’n, es hat nix genutzt; denn ist auch ’mal ein Pascher oder Wild’rer festgenommen word’n, so hat er ihn doch net verrath’n, entweder weil er wirklich nix gewußt oder aus Angst vor ihm geschwieg’n hat. Doch ist es ihm mit der Zeit zu schwül geword’n, so daß er das Handwerk aufgegeben hat. Vielleicht ist’s auch nur mit größ’rer Still’ betrieben word’n, bis jetzt der neue Zolltarif auch neue Lockung giebt. Ich selber hab’ mich nachher wol tausendmal hinausführ’n lassen in den Wald

und ihn Strich um Strich durchgenommen, um den Geruch wiederzufind’n, der mir damals so aufgefallen ist, aber vergebens. Er ist so scharf und stechend gewes’n, gar net wie von einer Pflanz’ und doch dabei so fein wie von Hollunderblüth’. Wo der Geruch ist, da muß auch die Höhl’ sein, denn ich hab’ ihn sonst im ganz’n Wald niemals wo anders net getroff’n.“

„Habt Ihr denn auch keine Vermuthung gehabt, wer der Grenzmeister sein könne?“

„Davon red’ ich net. Die Vermuthung führt oft irr’; der Beweis, das ist die Hauptsach’!“

„Die Vermuthung hat auch ihre Gründe, welche, geschickt benutzt, zum Beweise führen können. Hätte ich nur den kleinsten Anhalt, so würde der Meister mein, darauf könnt Ihr Euch verlassen!“

„Ja, Ihr seid ein vornehmer Herr und viel klüger als Unsereins. Eure Taktik wird’s schon so weit bringen, daß Ihr ihn fangt — — oder er Euch. Jetzt aber muß ich heim. Wollt Ihr mit aufsteig’n, Herr?“

„Ich habe meine Recognoscirung beendet und nehme Euer Anerbieten an.“

Der Knecht saß schon auf dem Wagen; sie nahmen nun auch Platz und fuhren davon. Als der Wirth in die Stube trat, bemerkte er den Jüngling und rief, halb verlegen:

„Heiner, Du! Hast den Abschied erhalt’n?“

„Ja, Forstwirth. Ihr habt’s ja vorhin gehört, daß ich morgen kommen soll’.“

„Das ist wahr. Wirst Freud’ anricht’n bei der Mutter! Ich hab’ sie lange Zeit net gesehn, aber sie soll ganz abgekommen sein. Wirst schon merk’n, wo die Hilf’ herkommen muß.“

Während die Beiden noch ein Weilchen bei einander saßen, suchte der Wagen mit dem Lieutenant und dem Thorbauer in schneller Fahrt sein Ziel zu erreichen. Vor dem Dorfe angekommen, stieg der Erstere, sich bedenkend, aus.

„Warum fahrt Ihr denn net weiter mit?“

„Hab’ meine Absicht, Schubert. Es braucht Niemand zu wissen, daß wir heut mit einander gesprochen haben.“

„Schön, jetzt geht die Taktik los. Gebraucht sie nur zu Haus’ auch gut!“

Der Lieutenant schritt langsam dem voraneilenden Wagen nach. Es war ihm heut’ so mancherlei aufgefallen, und die letzten Worte des Thorbauern, so absichtslos sie gesprochen sein mochten, waren ganz geeignet, seiner Ahnung festern Halt zu geben. Zu Hause angekommen, ließ er den Wiesenbauer zu sich rufen.

„Oppermann, ich muß Euch, wie schon so oft, auch heut um einen guten Rath bitten. Allen Anzeichen nach haben nämlich die Pascher heut einen Coup vor, der über die Grenze hinüber nach Breitenbach gerichtet ist. Eure Ansicht hat sich schon so oft als praktisch erwiesen, daß ich nicht eher meine Dispositionen treffen möchte, als bis ich Euch gehört habe.“

„Von wem habt Ihr die Kunde?“ frug der Bauer gleichgültig.

„Das ist natürlich Amtsgeheimniß. Der Grenzmeister hat eben auch nicht lauter zuverlässige Leute.“

„Ist’s kostbares Gut?“

„Es scheint so. Nur bin ich mir über den Weg unklar, den sie einschlagen werden.“

„Wenn sie wirklich nach Breitenbach woll’n, so ist gar kein Zweifel darüber möglich. Unsereiner hat gar viel gehört und erfahr’n und kennt ihre Schlich’. Ueber den Tannenschlag gehn sie net, da ist’s heut zu licht, denn es war gestern Vollmond; folglich gehn sie durch die Steinbrüch’ und den Wassergrund hinab, einen dritten Weg giebt’s net.“

„So werde ich die Brüche und den Grund besetzen lassen. Ich vertraue Eurer Klugheit. Ihr seid früher Grenzer gewesen und habt also mehr Erfahrung als andere Leute.“

Er verließ den Hof augenblicklich wieder, um seine Anordnungen -

Anordnungen zu treffen. Der Bauer blickte ihm mit eigenthümlichem Lächeln nach.

„So, also erfahren hat er heut, daß ich Grenzer gewes’n bin; natürlich hab’n sie ihm dann auch gesagt, weshalb ich net dabei geblieb’n bin. Da ist’s nun freilich nix mehr mit dem an der Nas’ Herumführ’n. Aber dem Wies’nbauer kommt der Herr Offizier doch net gleich und dem Grenzmeister also auch net. Er spricht von Vertrau’n und hat doch nun seit heut grad das Gegentheil; folglich thut er, als will er die Steinbrüch’ und den Grund besetz’n und wird doch nun grad’ zum Tannenschlag gehn, weil er glaubt, daß ich ihn in die Irr’ weis’n will. Ich muß meine Vorkehrung darnach treff’n, noch eh’ die Depesch’ aus dem Baum’ geholt wird.“

Nach einer Weile des Nachsinnens fuhr er fort:

„Also einen Verräther oder wenigstens einen unvorsichtig’n Schwätzer hab’n wir unter uns! Ich werd’ auf morg’n eine Versammlung ausschreib’n und Gericht halt’n. Der Mensch wird entdeckt und — —“

Er machte eine drohende Bewegung und schritt dann den hinteren Gebäuden des Hauses zu. Im Stalle, wo eine Laterne brannte und er sich unbeobachtet sah, zog er die Brieftasche hervor und schrieb einige Zeilen auf ein Papier, welches er zusammenfaltete und zu sich steckte. Dann begab er sich in einen Schuppen, in dessen hinterstem Winkel sich allerlei Geröll befand. Dieses räumte er weg und hob einen Stein empor; unter demselben befand sich ein kleiner Raum, aus welchem er einige Gegenstände hervorzog, mit denen er den Hof verließ. Im Walde, welcher beinahe bis an denselben heranstieg, angekommen, machte er Gebrauch von ihnen. Zunächst legte er einen langen, buschigen Bart um das Gesicht und bog einen alten, zusammengedrückten Hut auseinander, den er aufsetzte. Die breite Krempe desselben bedeckte den oberen Theil des Gesichtes so vollständig, daß man nichts davon zu erkennen vermochte. Dann zog er über seinen bisherigen Anzug eine Weste, die er mit Tüchern und Flecken ausstopfte. Ein weiter Sackrock

vervollständigte die Ausstattung, die seiner hageren Gestalt einen solchen Umfang verlieh, daß er unmöglich erkannt werden konnte.

Nun drang er durch Dick und Dünn in gerader Richtung vorwärts und bekundete dabei eine solche Terrainkenntniß, daß er diesen Weg schon oft gemacht haben mußte. Nach einiger Zeit gelangte er an einen Pfad, welcher sich vom Dorfe herauf durch den Wald schlängelte. Er verfolgte ihn bis zu einer hohen, breitästigen Buche, durch deren Zweige der Mond seine ungewissen Strahlen warf. In diesem zweifelhaften Lichte gewahrte er eine Gestalt, welche sich am Stamme des Baumes zu schaffen machte. Er zog ein Messer aus der Tasche des Rockes, legte den Finger an den Mund und ließ einen leisen, eigenthümlichen Pfiff erklingen. Die Gestalt richtete sich empor und antwortete in der gleichen Weise. Im nächsten Augenblicke stand er bei ihr.

„Der Meister!“ ertönte es mit gedämpfter Stimme, aber doch so laut, daß es Einer vernahm, den Beide nicht bemerkt hatten. Es war Heiner, der unweit der Forstschenke die Straße verlassen hatte, um die Heimath eher zu erreichen. Auf dem weichen Boden beinahe geräuschlos dahinschreitend, fiel ihm plötzlich ein Rascheln der Zweige auf, welches sich von seitwärts her vernehmen ließ. Er blieb stehen und sah einen Mann aus dem sich hier befindlichen Unterholze treten, der nach kurzem Lauschen denselben Weg einschlug. Er folgte ihm. Bei der Buche blieb er, sich niederbeugend, halten, und wenige Augenblicke später machte der Pfiff des Wiesenbauers Heiner auch auf diesen aufmerksam. Er hörte den Ausruf des Andern, der ihn veranlaßte, sich eiligst hinter einem nahen Stamm zu verbergen, und vernahm auch das Meiste der nun folgenden kurzen Unterhaltung.

„Ja, der Meister! Hast’ die Depesch’ schon herausgenommen?“

„Ja.“

„Gieb sie wieder her! Es ist anders geword’n. So,

da hast’ den neuen Zettel, und daß mir zur Versammlung Keiner fehlt! Jetzt kannst gehen!“

Der Mann ging denselben Weg zurück, den er gekommen war.

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„Halt, noch ein Wort!“ meinte der Wiesenbauer, indem er auf ihn zuschritt. Der Angerufene kehrte zurück und Beide trafen gerade an dem Baume zusammen, an welchem Heiner lehnte; Beide bemerkten ihn auch zu gleicher Zeit, und da sie sofort erkannten, daß er alles bemerkt haben müsse, warfen sie sich im Augenblicke von zwei Seiten auf ihn. Ehe er sich nur zur Wehr setzen konnte, lag er auf dem Boden und das Messer Oppermann’s blitzte über ihm. In diesem Momente fiel ein Mondesstrahl in das Gesicht des sich unter der doppelten Last vergeblich Aufbäumenden und die erhobene Faust sank mit dem Messer wieder nieder. Der Grenzmeister mußte eine gewaltige Selbstbeherrschung besitzen, denn ohne den geringsten Laut der Ueberraschung erhob er sich und gebot dem Fremden:

„Lass’ ihn los und geh! Es ist ein sich’rer Mann!“

Auch Heiner sprang auf.

„Komm!“ gebot der Alte und schritt voran.

Unter Gefühlen, wie er sie noch nie gekannt hatte, gehorchte der junge Mann dieser Weisung. In der Nähe des Wiesenhofes angekommen, blieb der Voranschreitende stehen.

„Vater, um Gotteswillen, Du bist der Grenzmeister!“

„Schweig’, neugieriger Bub’, und danke Gott, daß ich’s selber und kein Andrer war, sonst hätt’st die Kling’ geschmeckt! Ich geh’ von hint’n in den Hof, Du aber wend’st Dich zur Straß’ und kommst nach zehn Minut’n durch das vordre

Thor. Aber sagst’ nur ein Wort von dem, was jetzt vorgefall’n ist, zu Jemand, eh’ ich mit Dir weiter gesproch’n hab’, so hast’s mit mir zu thun!“

Er ließ ihn stehen. Heiner blickte ihm mit angstvollem Herzen nach.

„Herrgott, was soll d’raus werd’n! Ich hab’ mich net auf die Heimat freuen können, und nun mein Fuß auf ihr steht, seh’ ich das Unglück vor mir, größer und mächt’ger, als ich mir’ s jemals denk’n konnt’!“

Der nächste Tag war ein Sonntag. Die Wiesenbäuerin war schon in der frühsten Morgenstunde wach und wunderte sich, als sie, in die Wohnstube tretend, den Bauer, der doch sonst sehr lang zu schlafen pflegte, auch schon munter fand. Er erwiederte mürrisch ihren freundlichen Gruß.

„Geh’ hinauf und weck’ den Heiner, ich muß ihn hab’n!“

Sie stieg die Treppe wieder empor und trat in die Kammer des noch fest schlafenden Sohnes, den die Aufregung des vergangenen Abends nur spät zur Ruhe hatte kommen lassen. Ein Kuß weckte ihn. Er schlug die Augen auf.

„Mutter!“

Er schlang die Arme um sie und erwiderte ihren Kuß.

„Ich hab’ soeb’n von Dir geträumt, von Dir und — und der Paulin’.“

„Heiner, laß den Namen net vom Vater hör’n! Du weißt, wie er mit Thorbauers steht. Jetzt sollst sogleich zu ihm herunterkommen!“

„Sogleich? Was will er denn?“

„Ich weiß es net. Er ist schon vollständig angezog’n, als wollt’ er ausgehn. Thu’s auch so!“

Als Heiner — wie der Gebirgler sich den Namen Heinrich gern zurechtlegt — die Treppe hinabstieg, kam der Stiefvater aus der Stube.

„Komm!“

„Wohin?“

„Wirst schon sehen! Den Kaffee kannst nach der Rückkehr trink’n, denn Du sollst net eher mit mir am Tisch sitz’n, als bis wir klar und einig sind!“

Also darum hatte sich der Bauer gestern weder beim Abendbrot noch auch später sehen lassen! Heiner ging an seiner Seite. Sie verließen das Dorf und betraten in der Richtung nach dem Wassergrunde zu den Wald. Der schmale Weg war rechts und links von jungen Tannen bestanden, zwischen denen sie rüstig dahinschritten, bis Oppermann horchend stehen blieb. Laute Schritte nahten.

„Schnell unter die Bäum’!“

Heiner that es und sah nicht, daß sein Vater, ehe er ihm folgte, einen zusammengeknitterten Zettel fallen ließ. Kaum hatten sie sich versteckt, so schritt eine Anzahl Soldaten, von einem Unteroffizier geführt, herbei. Schon waren die Ersten vorüber, da bückte sich einer der Folgenden und hob den Zettel auf, den er dem Unteroffizier überreichte, nachdem er selbst einen Blick darauf geworfen hatte.

„Ah,“ meinte dieser, „eine Entschädigung für den entgangenen Fang. Dieses Papier ist heut Nacht einem der Schmuggler entfallen und enthält den Befehl, die nächste Nacht am alten Schachte auf neue Ladung zu warten. Die Kerls gönnen sich wirklich keine Ruhe. Niemand wird sich über das Papier so freuen, wie der Herr Lieutenant!“

Sie setzten ihren Weg fort. Heiner hatte alles bemerkt und gehört und wunderte sich über das zufriedene Lächeln, welches über die harten Züge des Vaters glitt.

„Komm!“ gebot dieser, jetzt wieder aus dem Tannengewirr tretend und von Neuem voran schreitend.

Eine halbe Stunde mochten sie so gegangen sein, als der Weg sich in eine Reihe von Steinbrüchen senkte, welche völlig ausgebeutet und darum verlassen waren. Die nackten, kahlen Steinmauern stiegen senkrecht zum Himmel empor, und schon wollte Heiner sich fragen, was der Vater hier mit ihm zu suchen habe, als dieser noch vor dem Eingang in die Brüche sich seitwärts wandte und die steile Lehne des Berges

zu erklimmen begann. Dort oben lag ein stilles, verrufenes Fleckchen, „im Sonnenthau“ genannt, von dem man sich erzählte, es sei da nicht geheuer, weil hier des Nachts die Seelen der in den Steinbrüchen Verunglückten umgingen. Den arglosen und leichtgläubigen Bewohnern der Umgegend lag der Gedanke fern, daß diese Seelen recht gut mit Fleisch und Blut begabt sein könnten. Man mied also den Ort geflissentlich, und nur wer von den medizinischen Wirkungen des Sonnenthau’s Gebrauch machen wollte, wagte sich am hellen Tage einmal auf einige Minuten empor.

„Im Sonnenthau“ bestand aus einer schmalen, tiefen und feuchten Schlucht, deren Boden von hohem Wassermoos besetzt war, zwischen welchem in zahllosen Exemplaren das winzige Pflänzchen stand, welches ihr den Namen gegeben hatte. An den beiden Seiten liefen Brombeerranken und Farrenkräuter zwischen allerlei Gebüsch empor, unter dem sich einige wilde Hollunderbäume durch ihre Blüthendolden auszeichneten. Ein scharfer, durchdringender Geruch erfüllte den ganzen Platz, so daß Oppermann stehen blieb und nach der Ursache desselben suchte.

„Da sind ja dieselb’n Käfer wieder am Hollunder wie vor zwanzig Jahr’n! Das sind gar selt’ne Thier’, und ich möcht’ nur wiss’n, wie sie heißen mög’n!“

Heiner betrachtete die Hartflügler, welche die Bäume bis in die kleinsten Zweigspitzen bedeckten.

„Das ist die spanische Flieg’ oder Cantharid’, wie die Gelehrten sag’n, aus der das schlimme Zugpflaster gemacht wird.“

„Da bist’ ja ein richt’ger Naturgelehrter, wenn Du solche Sach’n kannst!“

Er führte ihn seitwärts, wo der Geruch weniger lästig wurde und gebot ihm, sich an seiner Seite niederzulassen. Nachdem er sich eine neue seiner guten Cigarren, derentwegen er bekannt war und die er nur beim Schlafengehen ausgehen ließ, angebrannt hatte, begann er:

„Heiner, wir hab’n bisher kein gutes Land mit ’nander

gepflügt; jetzt aber bist’ groß gewachs’n, hast Verstand bekommen und es soll anders werd’n. Ich hab’ Dich hier heraufgeführt, um Dir zu zeig’n, daß ich für Dich gearbeitet hab’ all’ diese Zeit her, und wenn Du mir Gehorsam leistest, so steht Dir ein großes Glück bevor.“

„Sprich, Vater!“ antwortete der Jüngling, der bei den Verheißungen des Alten sich beklemmt und beängstigt fühlte.

„Ja, ich werd’ sprech’n, und Du sollst mir ohne Red’ und Wort zuhör’n, bis ich fertig bin. Schau, da drüb’n geg’n Mittag liegt ein großes Land und geg’n Mitternacht auch ein mächt’ges Reich; beid’ thun schön und freundlich mit ’nander, und ist immer Krieg zwisch’n ihnen, net mit Säbel und Kanon’, sondern mit den Zahl’n, die auf dem Zollgebot stehn. Unser König verbietet mir, den Wein zu trink’n, der da drüb’n wächst, und wenn ich’s dennoch möcht’, so muß ich außer dem Preis noch ein Extrageld aus meiner Tasch’ an ihn zahl’n. Und Denen ihr König verbietet ihnen, unser Salz zu ess’n, nur desweg’n, weil’s bei uns bereitet ist, und wer trotzdem welches will, muß auch in die Extratasch’ greif’n. Aus Berlin, das so viele Meil’n von hier liegt, darf ich mir ohne Straf’ Stiefeln kauf’n, so viel ich will, und in Breitenbach, das keine Stund’ entfernt ist, darf ich’s net, wenn ich net so viel extra zahl’, daß ich sie beinah’ noch ’mal besohlen lass’n kann. Wenn ich meinem Knecht sag: Kauf Deinen Tabak vom Krämer und net im Kaufmannslad’n, so lacht er mich aus und thut dennoch, was er will. Und er hat das Recht dazu. Hab’ ich net dasselbe Recht auch geg’n den König, der mir das aufzwingt, was ich net mag und das verwehrt, was ich mir grad’ wünsch’ und billig kaufen könnt?“

„Vater, Du siehst die Sach’ ganz von der falschen Seit’. Ich denk — — —“

„Nix sollst’ denk’n, gar nix, sondern nur zuhör’n! Der Zoll ist eine Ungerechtigkeit, die uns den Beutel lichtet, und darum muß Jedermann sich dageg’n wehr’n so viel er kann, mit List oder Gewalt, je nachdem er’s vermag. Das hab’

ich gethan. Ich war ein armes Leut’ und bin dadurch emporgekommen. Pascherei und Schmuggel nennt man dies Geschäft, aber es ist nix als Nothwehr, zu der mich mein Vortheil und mein Gewiss’n treibt. Ja, ich bin der Grenzmeister; das weißt’ seit gestern Abend; ich bin stolz darauf, und auch Du sollst Dir eine Ehr’ d’raus ziehn, daß Du mein Gehülf’ und Nachfolger wirst. Da­rum — —“

Der Sohn ließ ihn nicht weiter sprechen; er erhob beide Hände abwehrend entgegen.

„Bitt’, Vater, sei still und hör’, was ich Dir zu sag’n hab’!“

„Nun?“

„Wenn Brot im Land gebraucht wird und Du verkaufst das Getreid’ dennoch über die Grenz’ hinüber, so hat der König das Recht, den Zoll zu setzen, und wenn hier bei uns die Leut’ auf Arbeit harren und Du läßt dennoch Deine Sach’ im Ausland mach’n, so kannst’ auch mehr bezahl’n, damit doch wenigstens etwas im Land verbleibt. Und dann hat der König net den Zoll gemacht, sondern Du selber, denn Du hast den Mann mit gewählt, der im Landtag für uns spricht. Was er nun dort sagt, das mußt’ auch respectir’n. Der Schmuggel ist net Nothwehr, sondern ein Verbrech’n, das große Straf’ verdient. Und wie hast’ ihn betrieb’n? Mit Mord und Schauderhaftigkeit; denk’ an den Thorbauer! Hast’ mir net selber gesagt, daß ich gestern verlor’n gewesen wär’, wenn ein Andrer mich getroff’n hätt’? Du bist mein Vater und ich kann Dich net anzeig’n und verklag’n; aber seit gestern ist mir das Herz verblutet, und ich will lieber sterb’n als mit Dir das Gleiche thun. Vater, laß’ ab von dieser Sach’! Und wenn Dich kein Grenzer und kein Richter findet, der liebe Gott faßt dennoch zu, wenn seine Zeit gekommen ist, und dann ist in einem Tage alles zernichtet und zerstört, was Dich viel Jahre gekostet hat. Der Grenzmeister hat große Macht, doch ist’s die Macht der Furcht, und der geringste Zufall kann ihn verderb’n.“

„So, das ist die Antwort, die ich bekomm? Bursch’,

glaubst etwa, Du willst mich hofmeistern? Was bringst’ den Thorbauer? Ihm ist sein Recht geschehn, denn wenn er mir die Anna net weggenommen hätt’, so wär’ ich an seiner Stell’. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Aber es ist gut, ich seh’, was ich von Dir zu erwart’n hab’. Ich wollt’ in Güt’ und Freundlichkeit mit Dir verkehr’n; Du willst aber net, nun, so geschieht’s in andrer Weis’. Merk’ also auf, was ich Dir jetzt sag’: Drüb’n über der Grenz’ wohnt der Kaufmann, mit dem ich das Geschäft mach’. Er hat eine Tochter und ich hab’ einen Sohn. Wir thun beid’ zusammen, damit auch der Gewinn beisammen bleibt. Heut kommt er mit ihr, und Du nimmst sie mit auf den Tanz. Zum Herbst ist die Hochzeit.“

„Vater!“

„Still! Was ich Dir sag’, das hat Dir der Grenzmeister befohl’n, und was der will, das führt er durch. Ich wollt’ Dich in das Geheimniß einweih’n, nun aber kann’s net geschehn. Komm’!“

„Ja, komm; es ist mir fürchterlich an diesem Ort. Hier ist die Höhl’, in der Ihr Euch versteckt; aber die Flieg’ und der Käfer da am Hollunder kann Euch verrath’n, wenn der liebe Gott es will!“

Der Wiesenbauer lachte höhnisch auf.

„Bist ja recht fromm geword’n! Es geschieht kein Zeich’n und kein Wunder mehr, und die Flieg’ hat keinen Mund, um zu sprech’n. Also bereit’ Dich vor auf den Besuch, der grad’ zu Deiner Heimkehr eingerichtet ist. Am Abend giebt’s Verlobung!“

„Es geht net, Vater! Wenn ich auch sonst nix dageg’n einzuwend’n hätt’, so will ich mich doch von Eurer Schuld frei halt’n.“

„Was soll das heiß’n? Willst’ uns anzeig’n?“

„Nein. Was Ihr bisher gethan habt, das liegt net auf meiner Seel’, da darf ich schweig’n. Doch bei all’m, was der Grenzmeister von jetzt an thut, bin ich der Mitschuldige, und das darf ich net leid’n!“

Der Wiesenbauer richtete sich hoch empor; die Adern seiner Stirn schwollen blauroth an, und sein Auge blitzte grimmig auf den Sprecher.

„So, also das hab’ ich an Dir zu erwart’n! Denk’, daß Du net mein Kind, sondern ein Fremder bist und daß ich Dich zernicht’n werd’, wenn Du mich nur den geringst’n Verrath ahnen läss’st!“

„Vater, ich hab’ Dir schon gesagt, ein einz’ger Tag kann all Dein Werk zerstör’n. Laß Dich bitt’n! Thu mir’s und der Mutter zu lieb, und — — —“

„Still! Ich mag keine Bitt’ vernehmen! Gestern hab’ ich Dich gerettet; heut geschieht’s net wieder, hier bleibst’ stehen auf der Stell’ und schwörst, meinen Will’n zu thun und auch fernerhin net das Geringste zu sag’n.“

„Ich kann net, Vater. Mein Gewiss’n ist mir höher, als die Furcht vor Dir. Und weil ich Dich net bitt’n darf, so laß uns weiter gehn!“

„Nein, net einen Schritt kommst’ von hier fort, bis wir fertig sind, und fertig werden wir auf diese oder die andere Weis’, dafür bin ich der Grenzmeister. Mein Werk steht fest, das zerstört mir kein Jahr, viel weniger ein Tag, darauf kannst Du Dich verlass’n. Du weißt zu viel und darfst net zurücktret’n. Also entscheid’ Dich für mich oder wider mich. Das Erst’ ist gut, beim Zweit’n bist verlor’n! Willst schwören oder net?“

Sie hatten „Im Sonnenthau“ verlassen und standen jetzt mehr am Rande des Steinbruches.

„Ich kann und darf net, Vater. Laß den Schmuggel, und ich will Dir stets ein guter und folgsamer Sohn sein der — — —“

„Still! Schwörst’ oder net?“

„Nein!“

„Zum dritt’n Mal, schwörst oder net?“

„Nein!“

„So fahr’ hin, mißrath’ner Bub!“

Mit aller ihm zu Gebote stehenden Kraft holte er aus,

Illustration3

um den Sohn in den Bruch hinabzustoßen; Heiner aber hatte das Fürchterliche geahnt; er sprang auf die Seite und ergriff den Vater, der sonst unter seiner eigenen Wucht hinabgestürzt wäre. Ihre Arme schlangen sich in einander, und es entstand ein Ringen, das um so entsetzlicher war, als es zwischen zwei Männern geschah, die sich durch die innigsten Bande vereint fühlen sollten. Heiner hatte für sein Leben zu kämpfen und mußte doch dabei bedacht sein, den Vater zu schonen. Dieser war stark und glaubte, seines Gegners ebenso schnell Meister zu werden als gestern. Aber er vergaß, daß da Zwei gegen Einen gewesen waren. Er fühlte sich nach und nach ermatten, und endlich gelang es dem jungen Manne, sich loszureißen. Schnell sprang er empor und war in der nächsten Secunde zwischen den Büschen verschwunden. Wie von der Hölle gehetzt, eilte er durch Busch und Dorn immer vorwärts und stand nicht eher still, als bis er das Dorf vor sich liegen sah. Da warf er sich zur Erde nieder und gab der inneren Erschütterung in einem lauten, herzerschütternden Schluchzen Raum.

So lag er lange, lange Zeit; die Klagelaute erstarben und er wurde ruhiger. Was sollte er thun? Er wußte sich weder Rath noch Hilfe und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, als wolle er von Welt und Leben nichts mehr sehen. Da rauschte es leise neben ihm und eine freundliche Stimme grüßte:

„Gut’n Morg’n! Wer ist denn das? Ich glaub’ gar, das ist der Heiner, der hier im Gras liegt und — — lieber Herrgott, hast ja geweint, Heiner!“

Er richtete sich empor und blickte die liebliche Erscheinung an, als wär’s im Traume.

„Grüß Gott, Paulin’! Ja, geweint hab’ ich. Komm, reich’ mir die Hand und laß Dich bei mir nieder!“

„Das wird net auf lange sein. Ich wollt’ vor der Kirch’ mich erst ein wenig auf der Flur umschaun, und nun wird’s gleich läut’n. Doch sag’, warum weinst’ an so einem schönen Sonntagsmorg’n? Ist Dir ’was Traurig’s begegnet, bei dem ich Dir ein Wenig helf’n kann?“

„Du kannst mir net helf’n, Paulin’, und ich kann Dir’s auch net sag’n, jetzt net, heut’ net; aber später wirst es vielleicht erfahr’n.“

„So sei jetzt auch fröhlich und guter Ding’. Wann bist’ nach Haus’ gekommen?“

„Gestern Abend.“

„Drum hab’ ich Dich noch gar net zu seh’n bekommen. Und wann bist’ heut’ fort?“

„Schon in der Früh’.“

„So weißt’ wol auch noch gar net, was für vornehmer Besuch bei Euch zugeg’n ist?“

„Ist er schon da?“

„Ja. Ein Wagen ist’s, so prächtig, daß kein Graf sich damit zu schämen braucht. Und wer saß drin? Ein fremder Herr mit einem Mädchen, das gar stattlich aufgeputzt war. Aber gut hat’s net ausgesehn; die Aug’n sind so spitz und schief gefahr’n, und der Herr hat dazu geblickt, als hätt’ er die Kirch’ mitsammt dem Thurm verschluckt.“

„Es ist die Braut, die ich bekommen soll!“

„Die Braut?“ frug das Mädchen, indem die Röthe von ihren Wangen wich. „So bist wol gar versproch’n?“

„Nein. Ich mag sie doch gar net, jetzt net und niemals net!“

„Ist’s auch wahr, Heiner?“

„Gewiß und wahrhaftig wahr!“

Die erbleichten Wangen rötheten sich wieder, und ihre kleine Hand ergriff die seine.

„Wärst auch net glücklich geword’n mit ihr, Heiner! Sie sah aus wie die Sybill’, die zwanzig Männer net fürchtet.“

„Du schaust wol anders aus als sie, Paulin’?“

„Ich? Wie kommst’ auf mich?“

„Weil ich grad’ keine Andre hier zugeg’n hab’.“

„Geh’, Du Böser!“

Alles Herzeleid war für den Augenblick vergessen. Er erfaßte auch ihre andre Hand und blickte ihr innig in das verlegene Angesicht.

„Weißt’, warum ich die Braut net mag?“

„Warum?“

„Weil ich schon eine Andre kenn’, die mir’s angethan hat, an die ich allzeit gedacht hab’ in der Fremd’, als ich net zu Haus’ gewes’n bin.“

„Das muß eine gar Vortreffliche sein! Sag’ doch, wer es ist?“

„Du net!“

„Das weiß ich schon ganz von selber, denn die Paulin’ hat dem stolz’n Heiner ganz niemals ’was gegolt’n.“

„So komm her, in’s Ohr will ich Dir’s sag’n!“

Sie beugte sich zu ihm; er umfaßte sie, näherte den Mund ihrem Ohre und gab ihr statt der verheißenen Auskunft einen schnellen Kuß.

„Geh’, Heiner, das ist net wahr!“

„Glaubst’s net?“

„Soll ich denn?“

„Ja, Paulin’, Du sollst! Schau, ich hab’ nie und nirgends eine Freud’ gehabt als bei der Mutter und bei Dir, und darum ist meine ganze Lieb’ auch nur für Euch Beid’ bestimmt. Ich hab’ gestern und heut einen Schlag erhalt’n, den ich nie verwind’n werd’, wenn Du ihn mir net trag’n hilfst. Der liebe Gott hat Dich jetzt herausgesandt in mein Herzeleid, um mir den Weg zu zeig’n, wie ich etwas sühnen kann, das ich mir gar schwer auf mein Herz genommen hab’. Und was der liebe Gott schickt und fügt, das kann allzeit nur Glück und Seg’n bringen. Glaubst’ das, Paulin?“

„Ja, Heiner.“

„Und willst’ mich lieb hab’n, so ein ganz klein Wenig?“

„Net ein Wenig, Heiner, sondern viel, recht viel!“

„Das wird Dir auch der liebe Gott vergelt’n! Da hast’ meine Hand, daß Du dies Wort niemals bereuen sollst!“

„Aber Dein Vater?“

„Mit dem hab’ ich abgerechnet und wir sind quitt. Und der Deine?“

„O, der ist gut! Er mag von dem Wies’nbauer nix wiss’n, aber auf Dich hält er gar große Stück’ und beklagt Dich nur immer, Dich und die Mutter, daß Ihr so viel Heimsuchung zu erduld’n habt.“

„So darf ich zu Dir kommen?“

„Ja. Heut auf den Abend. Wirst’ kommen?“

„Ich komm’, Paulin’, aber net vor die Thür, sondern gleich in die Stub’.“

„So schickt sich’s auch, Heiner. Aber jetzt läutet’s in die Kirch’. Leb’ wohl!“

„Leb’ wohl und bet’ auch für mich; ich hab’s gar nö­thig!“ — — —

Am Nachmittage saß der Thorbauer an dem geöffneten Fenster, wo die wärmenden Strahlen der Sonne auf sein Gesicht fielen. Es war ewige Nacht um ihn, und wenn er das Gestirn des Tages nicht zu erblicken vermochte, so wollte er doch wenigstens ihre belebende Wirkung mit den Gefühle empfinden. Der periodisch wiederkehrende Schmerz seiner Augen hatte sich seit gestern von Neuem eingestellt, und als er jetzt die Bäuerin eintreten hörte, frug er:

„Hast noch Sonnenthau?“

„Nein; er ist letzthin all’ geword’n. Thun Dir die Aug’n wieder weh, Vater?“

„Ja.“

„Armer Schelm! Wie bekommen wir nun den Thau herab?“

„Der Knecht mag gehn.“

„Der hat heut’ frei und ist schon fort.“

„Ist die Paulin’ daheim?“

„Ja. Sie soll gehn? Willst’ ihr das wirklich zumuth’n?“

„Von weg’n den Gespenstern? Geh, Mutter, das ist unverständigs Gered’! Wie ist das Wetter drauß’n?“

„Gut. Die Sonn’ scheint mild und warm, und es blüht und duftet All’s, so daß es Einen gern hinauslockt in das Feld.“

„So geh’ ich mit! Ich bin gar lang net nach dem Wald gekommen und sehn’ mich zu ihm hin. Ruf’ sie und bring’ mir den Rock und die Mütz’!“

Die Tochter stellte sich ein, und bald schritten sie langsam auf demselben Wege hin, dem am Morgen der Wiesenbauer mit seinem Sohne gefolgt war. Den Stock in der einen Hand hielt er mit der andern die ihrige erfaßt, und es war gar beweglich anzuschauen, mit welcher Sorgfalt sie ihn leitete, damit sein unsicherer Fuß ja nicht strauchle. Dabei erklärte und beschrieb sie ihm alles, was seinem Auge verschlossen war, und wie der eine Sinn um desto schärfer wird, je mehr die Thätigkeit des andern ruht, so trank er den Duft des Waldes mit um so größerem Behagen, als er die Herrlichkeit der Natur nicht zu erblicken vermochte.

So gelangten sie zwischen die jungen Tannen, wo ihnen laute Stimmen entgegenschallten.

„Ich bin mit allem zufrieden, Oppermann; nur sagt, wo eigentlich der Heinrich bleibt!“

„Er wird zu Hause sein, wenn wir heimkommen.“

„Galant und aufmerksam scheint er nicht zu sein,“ bemerkte eine weibliche Stimme.

„Wer kommt?“ frug Schubert das Mädchen. „Der Wies’nbauer ist dabei?“

„Ja, mit dem Besuch, der heut’ gekommen ist.“

„So führ’ mich auf die Seit’.“

„Der Pfad ist schmal; es wird kaum zugehn.“

Sie stellte sich mit ihm an die Tannen, um die drei Personen vorüber zu lassen.

„Holla, der Thorbauer!“ rief jetzt Oppermann. „Mach’ Dich noch weiter hinüber, sonst schaff’ ich Raum!“

Der Angeredete drängte sich hart an die Zweige; eine Antwort gab er nicht.

„Noch net genug. Mach weiter!“

Er gab ihm einen Stoß, daß er wankte und zwischen die stechenden Zweige zu Boden fiel. Pauline ergriff ihn und half ihm empor.

„Schämt Euch, Wies’nbauer,“ rief das Mädchen, die, obgleich sonst zaghaft, hier ihre Entrüstung nicht zu bemeistern vermochte; „solch Held’nstück bringt keine Ehr’!“

„Lass’ ihn gehn, Paulin; ich streit’ mich net mit ihm, denn ich weiß, daß ich in ihm den „Meister“ find’!“

Er gab dem letzten Worte einen eigenthümlich bezeichnenden Nachdruck und ergriff ihre Hand. Sie setzten ihren Weg jetzt schweigsam fort, das Zusammentreffen mit den drei Personen, hatte in Beiden Gefühle erweckt, denen sie innerlich Rechnung tragen mußten.

„Ist der Steinbruch bald da?“ frug endlich Schubert. „So geht es links empor!“

Es verursachte ihm große Mühe, die steile Lehne zu überwinden; er glitt öfters aus und athmete hoch auf, als sie endlich oben angelangt waren.

„Jetzt rechts hinüber, Paulin’, bis die Schlucht beginnt.“

Sie war noch nie an diesem Ort gewesen und mußte sich auf seine Weisung verlassen. Bald standen sie am Ziele.

„Hier ist die Schlucht mit dem Wassermoos am Bod’n, Vater, und hier steht auch — — —“

Sie hielt mitten in der Rede verwundert inne. Der Thorbauer stand da als sei eine unerwartete Erscheinung vor seine lichtlosen Augen getreten. Er hielt die Arme halb ausgestreckt, und seine Nasenflügel zitterten unter der Hast, mit welcher er den Geruch der Canthariden einsog.

„Paulin’,“ rief er dann, beinahe laut jubelnd, „weißt’, wo wir sind?“

„Im Sonnenthau!“

„Ja, aber noch wo anders. Hier ist die Höhl’, in der ich geblend’t word’n bin.“

„Ist’s wahr, Vater?“ frug das Mädchen erschrocken.

„Ja. Riechst net den Geruch, so fein wie Hollunder und so scharf dabei, daß es dem Kopf weh thut. Was mag das sein!“

„Das sind die Käfer, Vater, die hier am Hollunder sitz’n; Tausend und aber Tausend sind’s, die bab’n den Geruch.“

„Käfer? Also darum hab’ ich den Geruch net wieder gefund’n, obgleich ich später hier gewes’n bin! Die müss’n selt’n sein und kommen wol net alle Jahr’ herbei. Aber das ist die gerechte Vorsehung, die ihnen und mir gebot’n hat, nach dem „Sonnenthau“ zu gehn.“

„Soll ich welchen pflück’n? Er steht in hellen Hauf’n hier.“

„Nein, nein! Ich fühl’ net den geringst’n Schmerz mehr in den Aug’n; die Höhl’ will ich hab’n, die Höhl’ muß ich find’n, und Du mußt such’n, bis sie entdeckt ist.“

„Aber wo, Vater?“

„Hier in der Schlucht. Sie ist net groß und bald abgesucht. Es muß ein Loch geb’n, eine Oeffnung, die grad’ so groß ist, daß ich hindurchkriech’n kann. Such’ nur, von Schritt zu Schritt, von Zoll zu Zoll, hüb’n und drüb’n, doch net weit hinauf; es muß am Bod’n sein!“

Das Mädchen hielt die Nachforschung mit der allergrößten Genauigkeit, während der fieberhaft erregte Vater das Resultat kaum erwarten konnte. Es war kein befriedigendes.

„Es ist nix zu sehn, nix als Stein’ und Moos und Strauch und Farrenkraut.“

„So ist der Eingang so versteckt, daß man ihn net bemerk’n kann; aber die Höhl’ ist da, ganz sicher da. Sie führt in die Seit’ hinein, und wenn man auf ihr steht, muß man den hohlen Ton bemerk’n. Jetzt führst’ mich empor zum Rand; ich selber werd’ ringsum untersuch’n!“

Sie leitete ihn bis zur Kante der Schlucht empor; er schritt hart an derselben hin und stampfte von Schritt zu Schritt mit dem Fuße. Seine Vermuthung erfüllte sich schon

nach kurzer Zeit; es erklang unter seinen Tritten, als stehe er über einem leeren Raume.

„Hörst’, Paulin’, hier ist sie!“

Er stampfte stärker.

„Vater, um Gotteswill’n, Du fällst hinein!“

Zur Herstellung der Höhle war eine kleine Seitenschlucht benutzt worden. Man hatte dieselbe mit jungen Stämmen überlegt und auf diesen von moosigem Rasen eine Decke hergestellt, welche stark genug gewesen war, jeden Darüberschreitenden zu tragen. Das war jedenfalls zu einer Zeit geschehen, an welcher „Im Sonnenthau“ nur den Eingeweihten bekannt war. Während dieser langen Frist nun war das Holzwerk von der Fäulniß ergriffen und die Decke schadhaft geworden. Der Thorbauer brach hindurch.

Der Fall konnte ihn nicht verletzt haben, denn im nächsten Augenblick frug er herauf:

„Paulin’, wo bist’?“

„Hier auf dem Dach. Hast’ Dich verletzt, Vater?“

„Nein; es ist net tief.“

Die Sorge um ihn hatte sie an den Rand des entstandenen Loches getrieben; da wich der Boden auch unter ihr; sie fiel zu ihm hinab. Beide waren im ersten Augenblicke ganz erschrocken darüber, fühlten sich aber durch die Bemerkung beruhigt, daß auch sie nicht den geringsten Schaden gelitten habe.

„Nun, auf diese Weis’ ist’s gut, daß Du mit herunter bist,“ meinte der Thorbauer. Schau, hier stoß’ ich an den Klotz, auf dem ich damals gesess’n hab’. Nun such’ einmal, wie es hier ausschaut!

Die Decköffnung sandte genug Licht, um den ganzen Raum mit seinem Inhalt zu erkennen. Der hintere Theil war bis oben mit den verschiedensten Arten von Schmuggelgut angefüllt; an den Wänden hingen mehrere Schießgewehre; auch eine Lampe wurde entdeckt, und an der Erde stand en kleines Fäßchen, dessen Spund- und Zapfenloch zugesteckt waren.

„Ist ’was drin?“

„Ja, es ist schwer.“

Sie zog den Zapfen heraus; das Fäßchen fiel dabei um, und ein Theil seines Inhalts rieselte auf den Boden. Es war Pulver.

Nachdem sie alles bis auf das Kleinste durchforscht hatten, ohne den Eingang zu entdecken, war ihre nunmehrige Sorge darauf gerichtet, auf welche Weise es ihnen möglich sei, den Ort wieder zu verlassen. Nach einigem Nachdenken entschied der Blinde:

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„Zum Loch können wir net hinaus, es ist net mit den Händ’n zu erlangen, und der Rand würd’ auch nachgeb’n. Wir klettern da hint’n auf die Packet’ und grab’n uns durch die Deck’. Erst schaffst’ das herabgefall’ne Land bei Seit’, daß es net entdeckt wird, und hernach, wenn wir drauß’n sind, mach’n wir die Löcher wieder zu. Die Pascher dürf’n net bemerk’n, daß Jemand hier gewes’n ist. Ich mach’ sofort die Anzeig’, und wenn es glückt, so werd’n sie all’ hier abgefang’n.“

Dieser Plan wurde ausgeführt. Zwar kostete es dem hülflosen Blinden und dem schwachen Mädchen viel Zeit und Anstrengung, in das Freie zu gelangen und alle Spuren ihrer Anwesenheit zu verwischen; endlich aber kamen sie doch damit zu Stande und verließen nun den verhängnißvollen Ort, ohne an ihre frühere Absicht, sich Sonnenthau zu holen, mehr zu denken.

Der Rückweg wurde mit der möglichsten Schnelligkeit zurückgelegt, und, im Dorfe angekommen, gebot der Alte:

„Führst’ mich net nach Haus’, sondern zum Grenzer, aber so, daß der Wies’nbauer es net bemerkt.“

„Warum dieser net?“

„Weil ich meine Ursach’ hab’! Wirst es schon auch noch erfahr’n!“ —

Unterdessen saß der Genannte bei seinem Besuche und mußte sich alle Mühe geben, seine zornige Aufregung zu bemeistern. Er hatte mit Sicherheit angenommen, daß die dem Sohne gegebene Lection ihre Wirkung nicht verfehlen und dieser im Laufe des Tages nach Hause kommen werde. Aber er kam nicht. Stunde um Stunde verging; die Gäste wurden immer unruhiger, und endlich erhob sich der Geschäftsfreund und verließ das Zimmer.

„Herr Oppermann,“ sprach das Mädchen, „denkt Ihr Sohn etwa, es giebt bei uns keine jungen Herren? Mehr als genug, besonders wenn man nicht arm an Vermögen und Bildung ist. Höflicher und aufmerksamer aber sind sie jedenfalls!“

„Sobald er kommt, soll er den Lohn empfangen, der Trotzbub’ der!“

„Aber er wird nicht kommen!“

„Er muß. Ich hab’s ihm gebot’n, und wenn er sich net besinnt und nachgiebt, so soll er sehn, was ich mit ihm thu’!“

„Ach so! Er ist mit unserm Plane also gar nicht einverstanden? Das hätten Sie uns früher sagen sollen!“

Sie stand auf und rauschte mit einer Miene, die ihre ganze Indignation darlegen sollte, aus der Stube. Oppermann folgte ihr eilig und bemerkte zu seinem Schrecken, daß ihr Vater hatte anspannen lassen.

„Was! Du willst fort?“

„Ja. Ich dränge mein Mädchen Niemandem auf. Ueber das Geschäft sprechen wir später, wenn Du ’mal hinüber kommst!“

Alle Bitten und Vorstellungen des Wiesenbauers halfen

nichts. Der Wagen rollte fort, und Oppermann ließ seine Wuth der Frau und dem Gesinde bis zur Entrüstung fühlen.

Während dem war es dunkel geworden, und der Grenzer kam, um nach dem Lieutenant zu fragen.

„Er ist fort, schon seit einer ganz’n Weil’. Kann ich’s vielleicht ausricht’n?“

„Es ist nichts von Bedeutung,“ meinte der Beamte vorsichtig, „sondern nur eine Privatsache.“ Dann entfernte er sich wieder.

Nach dem Abendbrot, welches Oppermann schweigend einnahm, verließ auch er den Hof. Nachdem er dieselben Vorbereitungen wie gestern getroffen hatte, schritt er auf Umwegen dem alten Schachte zu. In der Nähe desselben angekommen, stieß er seinen Signalpfiff aus und sah nach wenigen Augenblicken eine Anzahl Schmuggler um sich versammelt.

„Ihr wißt, wem’s heut’ gilt?“

„Dem Offizier.“

„Gut. Er ist mit seinen Leut’n beim Schacht. Ich will nur ihn; die Andern können lauf’n. Er wird sie vertheilt hab’n. Spürt jetzt ’mal vor, wo er sich befindet!“

Nach einiger Zeit kehrten die ausgesandten Lauscher zurück und brachten die Nachricht, daß der Lieutenant ganz allein auf einem Stein sitze, während er seine Leute längs des Weges aufgestellt habe.

„So holt ihn; aber net einen Laut darf er ausstoß’n!“

Der Unteroffizier, welcher heute den Zettel erhalten hatte, lehnte unweit des Schachtes an einem Baume. Er konnte im Mondenschein den Ort erkennen, an welchem sein Vorgesetzter sich niedergelassen hatte. Da war es ihm, als finde dort eine ungewöhnliche Bewegung statt. Er duckte sich auf die Erde nieder und kroch hinzu. Der Lieutenant war fort, aber sein Tschako lag neben dem Steine. Mit einigen raschen Sprüngen war der Unteroffizier zurück, eilte bis in die Mitte der Aufstellung und rief die Leute zusammen.

„Sie haben den Lieutenant gefangen! Wir müs­sen — —“

Da kam es den Weg herauf gekeucht, als stehe etwas Hochwichtiges auf dem Spiele.

„Wer da!“ unterbrach sich der bestürzte Sprecher.

„Der Grenzer! Ist der Herr Lieutenant hier? Ich habe soeben erst erfahren, daß er sich am Schacht befinde und ihm eine außerordentliche Mittheilung zu machen!“

„Sie sehen uns grade seinetwegen in der größten Bestürzung. Er hatte sich abseits von uns postirt und ist von den Paschern aufgehoben worden. Wir müssen augenblicklich zur Verfolgung schreiten.“

„Aber wissen Sie, nach welcher Richtung? Nein? Ja, das kann ich mir wol denken! Doch seien Sie außer Sorge; wir werden ihnen den Coup sofort vergelten, es soll ihr letzter sein!“

Er berichtete nun von der Anzeige des Thorbauers, welche auch hier eine außerordentliche Wirkung hervorbrachte. Es wurde schnell Berathung gehalten, und in Kurzem war der Platz verlassen.

Die Gefangennahme des Lieutenants war vollständig unbemerkt, wie die Pascher vermeinten, gelungen. Er wurde in lautloser Stille, gebunden und geknebelt, nach „Im Sonnenthau“ geführt, wo heute große Versammlung sein sollte.

Der Grenzmeister schritt voran. Trotz der Vorsicht, welche zu beobachten war, hatte er ein Zündholz hervorgezogen und sich eine seiner Cigarren angebrannt. Es war sein Stolz, nie mit einer Pfeife gesehen zu werden. Sie nahmen nicht den gewöhnlichen Weg, sondern schritten durch den lichten Wald in grader Richtung auf ihr Ziel los. Sie hatten hier noch nie etwas Verdächtiges bemerkt und stiegen daher ohne vorherige Recognition in die Schlucht hinab.

Oppermann bückte sich und faßte einen sorgfältig mit Moos bekleideten Stein, welcher auf einer unsichtbaren Rolle lief, aber sich fest in die Schluchtwand einlegte. Er zog ihn zurück und schickte sich an, durch das so entstandene Loch zu kriechen. Schon befand er sich halb im Innern der Höhle,

als er einen fürchterlichen Schrei ausstieß und zurückfuhr. Er hatte mit dem brennenden Cigarrenende den Boden gestreift und war damit in das Pulver gerathen, welches Pauline grade vor dem Steine verschüttet hatte. Es war explodirt und ihm in das Gesicht und die Augen geflogen. Alle Vorsicht vergessend, schnellte er sich empor und rief:

„Ich bin geblendet, die Aug’n sind mir verbrannt! Es hat Pulver vor dem Loch geleg’n und ist mir an die Cigarr’ gekommen!“

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In der nun entstehenden Aufregung bemerkten die Pascher nicht, daß sie umzingelt wurden. Da erscholl es über ihnen:

„Halt! Ergebt Euch!“

Im Scheine des Mondes sahen sie die blanken Läufe zahlreicher Gewehre auf sich gerichtet; im Nu hatten sie auch die ihrigen erfaßt. Die Schüsse krachten von oben und unten, dann erfolgte ein Zusammenprall, der sich nach und nach in einen erbitterten Einzelkampf auflöste.

Oppermann war bei dem Rufe des Unteroffiziers zusammengeschreckt. Er konnte nichts sehen und wußte sich rettungslos verloren. Aber wie, wenn er dennoch zu entkommen vermochte! Durch listiges Entschleichen war dies nicht möglich, da ihm das Augenlicht geraubt war. Er vergaß seine Schmerzen, zog das Messer und stürzte sich vorwärts. Der Zufall wollte, daß er auf eine Lücke stieß, durch welche er gelangte, unbehindert zwar, aber doch nicht unbemerkt. Der Grenzer sah ihn und eilte ihm nach. Der Fliehende vernahm die Schritte. In weiten Sprüngen

stolperte er nach rechts hinüber, um das junge Tannicht zu erreichen, aber er hatte die Richtung verfehlt; noch ein Sprung, der Boden verschwand unter seinen Füßen und mit einem gräßlichen Schrei stürzte er in die Tiefe des Steinbruches.


Nach dem Abendessen hatte Pauline ihren Eltern gesagt, wer heute kommen werde. Der Thorbauer hatte aufgehorcht und dann nichts gesagt als:

„Der Bursch’ ist mir willkommen; er soll net entgelt’n, was der Vater thut. Aber, Paulin’, sag’ ihm nix von heut!“

Heiner war dann auch gekommen und von den Eltern seines Mädchens freundlich empfangen worden. Er hatte erzählt, daß er sich mit dem Vater verfeindet habe und bis zum Austrage der Sache in Dienst gehen werde. Noch saßen sie beisammen, da klopfte es und der Grenzer trat ein.

„Thorbauer, ich muß Euch berichten, daß wir sie haben.“

„So? Wirklich? Gott sei Dank! Den Meister auch?“

Heiner horchte auf.

„Ja. Und wißt Ihr, wer es ist? Der Wiesenbauer!“

Er kannte den Sohn des Genannten nicht und begann den Vorgang zu erzählen. Dann entfernte er sich mit der Versicherung, daß das Verdienst Schubert’s die rechte Anerkennung finden solle.

„Also den Offizier hatt’n sie erwischt? Ja, das war die gute Taktik! Und der Grenzmeister ist also doch — — Heiner!“

Der Angeredete hatte starr und todtenbleich dagesessen, und kein Laut war über seine Lippen gekommen. Jetzt erhob er sich.

„Gut’ Nacht!“

„Was willst’, Heiner? Bleib’!“ gebot Schubert.

„Der Sohn des Grenzmeisters darf nimmer bleib’n. Er muß fortgehn in die weite Welt, wo ihn Niemand kennt!“

„Du bleibst! Geh’ her und setz’ Dich nieder!“

Dem Zureden der braven Leute gelang es, ihn zu beruhigen. Er begann zu erzählen von all dem Leid, was er mit der Mutter zu ertragen gehabt hatte und verschwieg auch die letztvergangenen Ereignisse nicht. Als er geendet hatte, reichte ihm der Thorbauer die Hand hinüber.

„Siehst’, Heiner, es giebt einen Gott, der grad so straft, wie man sündigt! Er hat mich geblendet und ist durch mich wieder geblendet word’n, wie der Lieutenant mit angesehen hat; er hat Dich in den Bruch stürz’n woll’n und liegt nun selber todt darin. Sein Bau ist an einem einz’gen Tag zusammengebroch’n, wie Du ihm geweissagt hast. Nun geh’ und tröst’ die Mutter; Paulin’ mag Dich begleit’n. Dann schickst’ die Knecht’ hinaus zum Bruch und läß’st ihn holen. Du hast schwer zu trag’n; doch komm’ zu uns, wir werd’n Dir gern helf’n, es zu überstehn!“

Heiner ging, um die Mutter auf das Geschehene, von dem sie vielleicht noch nichts wußte, vorzubereiten. Pauline schloß sich ihm an.

„Weißt’ nun, Paulin’, warum ich heut’ geweint hab?“ frug er sie unterwegs.

„Nun weiß ich’s, Heiner.“

„Und willst’ mich dennoch lieb behalt’n?“

„So lieb wie erst. Nun brauchst’ auch net in den Dienst zu gehn. Die Flieg’ am Hollunder hat ihre Schuldigkeit gethan, und Du bist Wiesenbauer geword’n. Der Gram und die Sorg’ hat ein End’, und wenn das jetz’ge Leid erst überstand’n ist, so wird das Glück einkehr’n bei uns und bei der Mut­ter!“ — — —