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Der Kaiserbauer.

Eine erzgebirgische Dorfgeschichte von Karl May.

(Nachdruck verboten.)

1.

Initial AAm Eingange des Dorfes lag ein kleines einstöckiges Häuschen, dessen roth angestrichenes Fachwerk munter aus dem frischen Weiß der Wände hervortrat. An einem Fenster des Wohnstübchens saß Meister Peter Fährmann, der „Bonapartenschuster“ genannt, und betrachtete nachdenklich das gegenüber liegende Vordergebäude des stattlichen „Kaiserhofes“.

„Komm her, Vater; bitt’, geh’ auch herbei, Mutter; das Essen ist fertig!“ weckte ihn eine freundliche Stimme aus seinem Sinnen.

Die Eltern folgten der Einladung, stellten sich an ihre gewohnten Plätze und nachdem der Hausvater der schmucken Tochter zugenickt, faltete diese die Hände und betete:

„Komm, Herr Jesus, sei unser Gast,

Und segne, was Du bescheeret hast.

Amen, in Gottes Namen!“

„Heute mag es bei Kaisers hoch hergeh’n!“ bemerkte die Mutter, als das Klappern der Löffel und Messer etwas nachzulassen begann. „Wenn der Beutel so groß ist und voll, wie bei denen, so kann man sich bei der Brautschau schon sehen lassen. Aber, Bertha, Du willst heute wohl gar nichts essen?“

Das Mädchen senkte das Köpfchen tiefer über den fast noch unberührten Teller und schwieg. Der Vater überhob sie einer Antwort:

„Die richtige vornehme Frau bekommt der Wilhelm, das muß man sagen. Und fest scheint die Sache auch schon zu sein, denn sie ist ja schon gleich in der Kirche gewesen und hat mit ihrem Seidenstaate dagesessen wie die Prinzeß von „Schautmichan“.“

Man sah es dem offenen Gesichte des Sprechers an, daß nicht

der Neid ihm diese Worte in den Mund gelegt hatte. Der tiefe Mißmuth, welcher ihn überkam, so oft von seinem Nachbar, dem Kaiserbauer, die Rede war, hatte einen ganz anderen Grund, einen Grund, der weit, weit in die Vergangenheit zurückgriff und auf Ereignissen beruhte, über denen der Schleier der Verborgenheit ausgebreitet lag. —

Indessen saß drüben in dem Kaiserhofe das Gesinde in der Knechtestube bereits beim Essen, in dem Staatszimmer war nun auch angerichtet und der Hausherr erhob seine schwere Gestalt aus dem Polster des schwellenden Sopha’s, auf welchem er mit der zukünftigen Schwiegertochter gesessen hatte.

„Na, da kommt, setzt Euch her und laßt’s Euch schmecken! Steinmüller, Du hast mich brav ausgefüttert, als ich bei Dir zum Anspruch war; nun sieh’, ob der Kaiserhof auch ’was leisten kann! Aber wo bleibt denn der Wilhelm?“

Der Genannte, sein einziger Sohn und Erbe, erschien erst nach längerem Suchen und Rufen und machte Miene, sich neben der Mutter niederzulassen.

„Halt, Bursch’,“ gebot Kaiser; „heut ist Dein Platz ein anderer. Geh’ her zum Fräulein Gretchen und thu’ nicht, als könntest Du kein Mädel grade anschauen!“

Erst auf den besorgten Blick, welchen ihm die Bäuerin zuwarf, gehorchte dieser, aber obgleich seine Nachbarin sich alle mögliche Mühe gab, liebenswürdig zu scheinen, widmete er ihr nur die allernothwendigste Aufmerksamkeit, sah ernst und wortkarg vor sich nieder, und wie ein Teller da drüben im kleinen Häuschen, so wollte auch der seinige nicht leer werden. Trotz der zornigen Winke, welche der Vater ihm verstohlen gab, war er der Erste, welcher sich erhob und das Zimmer verließ.

„Hör’, Kaiser,“ gab der Müller seinem Unmuthe Ausdruck, „der Junge will mir nicht gefallen. Er ist doch ein Bursch’, der

sich sehen lassen kann; also warum thut er denn so zimperlich mit meiner Gret’? Die Steinmühle wird nicht viel geringer sein als der Kaiserhof, und meine Tochter darf nur die Hände hinaus thun, so hängt gleich an jedem Finger Einer. Das sollte der Wilhelm doch wissen!“

„Brauchst Dich nicht so in Eifer hinein zu reden, Steinmüller. Er ist sonst immer bei der Spritz’ und hat ganz Alles auf der rechten Stelle, aber mit der Gret’ scheint er eben noch ein wenig zaghaft zu sein. Trink’ nur immer weiter, ich bin gleich wieder da!“

Er stand auf und ging hinaus, um den Sohn zu suchen. Dieser stand hinter der Gartenhecke und beobachtete über die Straße hinweg Bertha, welche jetzt drüben mit dem Strickstrumpfe am geöffneten Fenster saß. Ihr Gesicht schaute wie ein liebliches Gemälde aus dem Rahmen hervor; es hatte, nur in weicheren Linien, denselben fremdartigen Schnitt, welcher die südliche Abstammung ihres Vaters verrieth. — —

Als 1813 die Franzosen unter Vandamme bei Kulm und Nollendorf von den Verbündeten geschlagen waren, hatten viele der Fliehenden ihren Weg über das Gebirge genommen und bei den freundlichen Dörflern wohlwollende Aufnahme und Pflege gefunden. Eines Abends war der Vater des jetzigen Kaiserbauers von einem französischen Sergeanten herausgeklopft und zu einem Wagen geführt worden, in welchem eine kranke Frau mit einem kleinen Knaben gelegen hatte. Auf das Zureden seiner Frau war er bereit gewesen, die Obdachlose aufzunehmen; dann hatte sich der Soldat entfernt und vorher in einem kaum verständlichen Deutsch zu verstehen gegeben, daß er gehen wolle, um seinen Herrn, einen hohen Offizier, zu suchen. Er war jedoch niemals zurückgekehrt. Die Kranke hatte nur noch wenige Tage gelebt und ihr Söhnchen war nach einiger Zeit von Gemeinde wegen an einen armen kinderlosen Flickschuster als den Mindestfordernden versteigert worden. Dieser hatte sich des Verwaisten in väterlicher Liebe angenommen, ihn in seinem Handwerke unterrichtet und ihm dann auch nach seinem Tode das alte Häuschen hinterlassen, an dessen Stelle der herangewachsene Findling, den der Volksmund in Beziehung auf seine Abstammung und die politischen Ereignisse, unter denen er in das Dorf gekommen war, nur den „Bonapartenschuster“ nannte, später das jetzige erbaute.

Während er sich im Laufe der Zeit ein zwar kleines, aber freundliches und musterhaft bewirthetes Besitzthum zusammengerundet hatte, war es mit Kaisers schneller vorwärts gegangen. Die früher nur mäßige Wohlhabenheit der Familie war in solcher Kürze zu einem offen zur Schau getragenen Reichthum geworden, daß sich die Nachbarn diese Veränderung nicht mit gewöhnlichen Gründen zu erklären vermochten. Hier mußte ein ganz besonderer Umstand obgewaltet haben, und da man keinen anderen kannte, so sprach man erst heimlich und sodann offener davon, daß die Habe jener verstorbenen Französin wohl bedeutender gewesen sei, als Kaiser angegeben hatte. Auf diese Vermuthung hindeutend, nannten die Dorfbewohner, wenn der alte Kaiser es nicht hörte, seine Besitzung auch wohl den „Franzosenhof“.

Wilhelm, der junge Kaiserbauer, kannte dieses Gerücht, es war zu alt und zu tief eingewurzelt, als daß es ihm hätte entgehen können, aber niemals hatte er mit solchem Ernste daran gedacht als jetzt, wo er aus Rücksicht auf das leidige Vermögen zu einem Schritte gezwungen werden sollte, von dem er fühlte, daß er ihm nie Heil und Segen bringen werde. Hatten die Leute die Wahrheit errathen, so war ja der Reichthum des Vaters ein unrechtmäßig erworbener, und wer war der rechtliche Besitzer? Niemand anders als der „Bonapartenschuster“, der Vater der hübschen Bertha, die neben ihm aufgewachsen und seine Schulkameradin gewesen war. Er mußte jetzt immer und immer wieder hinüberblicken zu ihr, und je länger er sie betrachtete, desto fester wurde sein Entschluß, die geplante Verbindung von sich abzuweisen, es koste was es wolle.

„Warum stehst Du hier und bleibst nicht drin in der Stube, wo Du hingehörst?“ frug die Stimme des Vaters neben ihm.

„Was hab’ ich in der Stube zu suchen?“

„So! Du weißt wohl plötzlich gar nicht mehr, weshalb ich die Gäste eigentlich geladen hab’?“

„Das weiß ich schon; aber warum grad auch ich mit dabei sein soll, das will mir nicht einleuchten. Die Margreth braucht mir zu viel Platz; ich bleib’ hier im Garten.“

„Das klingt ja ganz wunderschön! Der Kaiserbauer ist gar nicht mehr Herr im Hause; sein Bub’ macht, was er will, und führt den Trotz spazieren.“

„Nein, Vater, das hab’ ich niemals nicht versucht und möcht’s auch nimmer thun. Nun aber hat Dich der Pfiffikus, der Steinmüller, bethört mit schönen Reden, weil ihm das Wasser an der

Kehle steht und er sich nicht mehr anders zu helfen weiß. Er hat schlecht gewirthschaftet, und Du gehst in das Garn, weil er den Vornehmen spielt und das Fräulein Gretchen Dich hübsch am Barte zupft. Du kommst nicht aus dem Hause und hörst nichts von dem, was sich die Leut’ von ihm erzählen, er macht Dir ein X für ein U; ich laß mich aber nicht als Flicklappen auf dem Steinmüller seine Mehlsäcke setzen, die er noch nicht bezahlt hat, obgleich sie schon längst zerrissen sind!“

„Mach’ mir nur keine Faxen vor! Wie’s mit dem Müller steht, darüber braucht mich gar Niemand zu belehren; ich hab’ mir die Aecker besehen, die Wiesen und Gärten, das Hausgrundstück und auch die Bücher, die er führt; er ist ein reicher Mann, fast reicher noch als ich, und Du nimmst die Margreth. Am Nachmittag geht’s zum Tanz und heut über die Woche ist die Verlobung. Mach’s anders, wenn Du kannst. Jetzt aber geh’ hinein und schick’ ihn zu mir in die Oberstub’!“

Er war gewohnt, daß jedes seiner Worte Geltung finde, darum überzeugte er sich auch gar nicht erst, ob dem letzteren Befehle Gehorsam geleistet werde, sondern kehrte stracks in das Haus zurück. Dort begab er sich in das bezeichnete Zimmer und trat zu einer alten, mit zierlichem Schnitzwerke versehenen Wanduhr, welche er öffnete. Sie war jedenfalls ein Erb- und Familienstück und hatte wohl schon oft zu geheimen Zwecken gedient, wie ihr Inneres bewies, welches das eigentliche Uhrwerk und neben demselben ein geheimes Fach enthielt, welches Kaiser öffnete, um einige Kästchen und sorgfältig umwundene Packete hervor zu langen. Kaum hatte er die Vorrichtung wieder geschlossen und die Uhr in ihre vorige Stellung zurückgebracht, so trat der Steinmüller ein.

„Schieb’ den Riegel vor, Müller, und komm dann her, damit Du Dir die Steine und das Geschmeide anschaust!“

Er öffnete die Etuis und löste die Umhüllungen. Mit gierigen Augen und unter bewundernden Ausrufungen betrachtete der Müller den kostbaren und in allen Farben funkelnden Inhalt.

„Du bist ja nicht gescheidt, daß Du einen solchen Reichthum bei Dir unnütz im Kasten liegen läßt! Gib her, das muß ich greifen!“

Während er jeden einzelnen Schmuckgegenstand wie taxirend in den Händen wog, verzerrte die Habgier seine Züge, und ein anderer Mann als der Kaiserbauer hätte aus seinem unbeherrschten Lächeln sehr leicht auf Gedanken schließen können, die keiner lauteren Quelle entsprangen.

„Der Vater hat nicht gewußt, wie er die Sachen los werden sollte, und ich auch nicht. Jetzt ist aber Dein Schwager Juwelenhändler und ich hab’ Vertrauen zu Dir gefaßt und Dir die Geschichte erzählt. Wenn mein Bub’ Deine Tochter nimmt, so kannst Du mich nicht verrathen, und Dein Schade soll’s nimmer sein, wenn Dir die Sache gelingt. Wird er die Steine kaufen?“

„Ich denk’! Er sagt, ich soll sie ihm nur bringen, damit er sie sehen und taxiren kann. Aber bald, noch diese Woche, weil’s ihm grad’ mit der Zahlung paßt.“

„Nein, das geht nicht. Erst muß die Heirath fertig sein, eh’ ich es wage. Ich hab’ Dir die Gegenstände nur gezeigt, um Dich zu überzeugen, daß ich die Wahrheit gesprochen hab’.“

„Warum nicht früher? Du wirst doch nicht glauben, daß ich Dich um das Deinige betrüge und dann mein Wort zurücknehme von wegen unsern Kindern!“

„Nein, das glaub’ ich schon nicht, denn so ’was bringst Du nicht zu Stande bei mir. Ich geb’ die Steine gar nimmer aus der Hand, bis ich das Geld einstecken kann, und Du sollst blos die Unterhandlung führen. Ich setze zu viel auf diese Karte, als daß ich mir nicht Alles ganz genau und reiflich überlegen sollte.“

„Ach, so ist das gemeint?“ frug der Müller, dem es kaum gelang, seine Enttäuschung nothdürftig zu verbergen. „So heb’ sie auf, aber schau auch zu, daß der Wilhelm Dir die Rechnung nicht verdirbt!“

„Dafür laß Du mich nur sorgen! Ich bin der Kaiserbauer, und wenn der was will, so ziehen zehn Pferde ihn nicht vom Platz hinweg!“

2.

Bertha, die hübsche Tochter des „Bonapartenschusters“, saß noch immer mit ihrer Arbeit am Fenster, als sie plötzlich ausrief:

„Vater, der Kaiser geht über die Straße. Ich glaub’ gar, er kommt zu uns!“

„Denk’ nur so was nicht, da müßte ja eher der Himmel einfallen.“

„Aber er kommt doch, und der Steinmüller ist auch dabei!“

Es war so, wie sie sagte. Die Thüre wurde geöffnet, doch blieben die beiden Männer auf der Schwelle stehen. Kaiser warf einen forschenden Blick hinein und frug dann:

„Ich hab’ mit Dir zu sprechen. Soll ich hinzutreten, oder kommst Du vielleicht heraus?“

„Wer mit mir zu reden hat, der kommt herein zu mir; so ist’s hier Sitt’ und Gebrauch. Was ist Euer Begehr?“

„Sollst’s gleich hören!“ Dann fügte er, zu seinem Begleiter gewandt, hinzu: „Tritt näher, Müller, und setz’ Dich; hier muß man sich selber helfen, wie’s scheint!“

„Wer’s nicht anders begehrt, ja“ meinte ruhig der Schuster, welcher sich nicht von seinem Sitze erhoben hatte. „Wer grüßt, bekommt den Stuhl, wer’s unterläßt, bleibt stehen. Nun aber sagt, was Ihr wollt!“

„Es ist ein Handel, den ich mit Dir machen will: Deine Hütte nämlich paßt mir schon seit lange nicht in die Aussicht; sie stört und ärgert mich, so oft ich bei mir herausschaue, doch ließ

ich’s gehen, weil ich bisher grad nicht die rechte Ursach’ hatte, eine Aenderung zu treffen. Jetzt aber wird der Wilhelm heirathen, und da soll das Häuschen weg und an seine Stelle ein Blumengarten kommen für die junge Frau. Was willst haben für die Hütte und für das Grundstück, auf dem sie liegt?“

Der Gefragte gab nicht gleich Antwort. Es war ein schwer zu beschreibender Ausdruck, welcher sich über seine Züge

breitete. Endlich meinte er lächelnd:

„Du glaubst gar nicht, Kaiserbauer, wie recht und willkommen mir Dein Anliegen ist! Es geht mir grad wie Dir: so oft ich aus dem Fenster sehe, ist mir Dein Hof im Weg; er stört und ärgert mich, Du weißt gar wohl, warum. Ein Tausch ist hier die beste und schnellste Hilfe. Dann schau ich aus dem Hof und Du aus der Hütte heraus, und es gibt nichts mehr, was uns die Aussicht verdirbt.“

„Willst Du mich etwa foppen, Bonapart?“

„Hör’, Kaiser, laß dies Wort bei Seite! Dein Vater war mein Vormund und Du kannst also wissen, wie der Name ist, den ich von meinem Pflegevater hab’. Man nennt mich Peter Fährmann hier bei mir; wo anders magst Du sagen, was Dir beliebt. Und was das Foppen anbelangt, so irrst Du Dich gar sehr. Ich mein’s im Ernst und will Dich auch nicht übervortheilen. Der

Tausch bringt Dir Profit: die Hütte ist mehr werth als der Hof; in ihr hat Treu und Ehrlichkeit gewohnt, so lange sie steht, und was das werth ist, kannst Du mir nicht bieten!“

„Was soll das bedeuten, he, Du Bonapartenschuster!“ rief Kaiser.

„Das kannst Dir selber sagen, Du Franzosenkaiser!“ lautete die Antwort. „Glaubst Du etwa, daß Du wie ein wirklicher Kaiser

hier im Dorf gebieten kannst, welches Haus fort muß und was für eines Du dulden willst? Denkst Du etwa, daß ich Dir für all Dein Geld und Gut den kleinsten Nagel geb’ von meinem Haus oder das geringste Kraut aus meinem Garten? Meinst etwa, der Peter Fährmann sei nicht so schwer wie der Inhaber vom Franzosenhof? Geh’ hinaus auf den Gottesacker, wenn Dir noch nichts bekannt ist, und laß Dir von der Todten, die dort in der Ecke liegt,

die Geschichte erzählen, die Dir von Nöthen ist, damit Du Demuth lernst. Dann wirst Du auch ohne Aerger zum Fenster hinausblicken können und nicht das „Grüß Euch Gott“ vergessen, wenn Du zum Nachbar kommst!“

Kaiser hatte nicht vermocht, den Sprecher zu unterbrechen. Der Ingrimm färbte sein Gesicht mit dunklem Roth; seine Fäuste ballten sich und mit drohender Miene trat er hart zu Fährmann heran.

„Willst Du schweigen, oder soll ich Dir den Mund verstopfen! Du Herr von Habenichts wärst mir der Rechte, mich hier mit der Moral zu füttern. Ich will Dir nun weiter nichts mehr sagen, als daß Deine Hütte doch noch weg muß; was ich will, das will ich, da macht kein Mensch etwas dagegen, und Du erst recht nicht!“

Fährmann hatte sich erhoben und stand dem Bauer furchtlos gegenüber.

„Komm nicht von Sinnen, Kaiser, und achte auf Deine Rede, daß Du Dich nicht versprichst! Dies Häuschen bleibt mein, da macht kein König und auch kein — Kaiser ’was dagegen; halt nur den Hof da drüben fest, er steht mir sehr im Weg!“

Der Steinmüller hatte sich schon längst bis an die Thüre zurückgezogen; jetzt trat er herbei und ergriff den Arm des Bauers, indem er ihn, der abermals in Schmähungen ausbrechen wollte, mit sich aus der Stube fortzog. —

Bertha hatte gleich nach dem Eintritte der beiden Männer die Stube verlassen; sie ahnte, daß die Unterredung keine freundliche sein werde und vermied es daher, derselben beizuwohnen. Die Pforte des kleinen Gärtchens öffnend, trat sie hinaus auf das Feld. Dort stand ein wilder Apfelbaum; er hatte schon oft mit seinen Zweigen und Blättern zu ihren Träumen und Wünschen gerauscht, denn unter seinem schattigen Wipfel war ihr gewohntes Sonntagsplätzchen. Als sie zwischen den wogenden Aehren hervortrat, zog sie fast erschrocken den Fuß zurück. In dem weichen Grase lag Einer, den sie hier noch niemals getroffen und auch heute nicht erwartet hatte, obgleich ihre Gedanken soeben nur bei ihm gewesen waren.

„Wilhelm, Du hier?“ frug sie erröthend.

„Das magst Du wohl nicht gern leiden? Oder ist’s so ganz absonderlich, daß Du’s nicht allein hier hübsch und kühlich findest?“

„Gar nichts von Beidem. Ich dachte mir nur, daß Du nicht hier sein könntest, weil Du zu Hause gebraucht wirst.“

„Gebraucht? Von wem?“

„Von dem Besuch, der bei euch ist.“

„Um den bekümmere ich mich nicht, der Müller ist beim Vater und seine Prinzeß sieht sich mit der Mutter das Linnen an. Da bedarf man meiner nicht.“

„Ich hab’ gemeint, Du bist grad der, wegen dessen sie bei euch sind!“

„Das mag wohl sein. Ich soll die Gret’ nehmen, aber ich mag sie nicht!“

Er blickte finster vor sich nieder, während ihr Auge forschend auf ihm ruhte. Sie konnte kaum glauben, was er sagte; er war von Kindheit an seinem Vater in Allem fügsam gewesen, das wußte sie, und hatte mit keinem Mädchen jemals eine nähere Bekanntschaft geschlossen; daher hatte sie auch nicht im Geringsten gezögert, seine Verbindung mit der Müllerstochter als Thatsache hinzunehmen.

„Du magst sie nicht? Warum denn? Sie ist ja jung und hübsch und — vornehm genug!“

„Das gilt mir gleich! Ich werde überhaupt gar nimmer heirathen.“

„Du und nicht heirathen? Den Grund, den möcht’ ich doch erfahren!“

„Den kannst schon hören! Ich hab’ Eine lieb und die ist mir nicht gut; darum bleib’ ich ledig!“

„Du hast schon Eine lieb?“ frug sie mit sinkender Stimme. „Hier im Dorfe?“

„Ja, hier im Dorf!“

„Aber ich hab’ Dich doch noch mit Keiner gesehen, weder auf dem Tanz, noch sonst wo!“

„Ja, eben weil sie mich nicht leiden mag. Ich hab’ ihr ja noch gar nichts merken lassen.“

„Warum denn nicht? Du bist doch sonst kein Hasenfuß und schaffst gerade das am liebsten, was Andern schwierig fällt. Der Wilhelm vom Kaiserhof ist überall willkommen.“

„Meinst wirklich überall?“

„Ueberall!“ nickte sie.

„Auch bei Dir?“

Sie blickte schnell und erglühend zu ihm empor. Er hatte sich gleich bei ihrem Erscheinen vom Rasen erhoben und hielt jetzt ihre beiden Hände in den seinen.

„Wilhelm, treib nicht Spott mit mir! Du bist der Reichste und ich bin die Aermste im Ort!“

„Bertha, es ist kein Scherz und Spott, glaub’ mir, ich soll später Kaiserbauer werden, aber wenn ich mir die Bäuerin dazu nicht aus diesem Häuschen holen darf, so laß ich lieber den Hof fahren und thu ’was, woran der Vater nimmer denkt. Ich bin ihm gern gehorsam alle Zeit und überall, aber mein Herz gehört

nur mir allein und mein Leben auch; ich laß mir das Herz nicht todtschlagen und das Leben vergiften. Das sind die Punkte, wo der Vater keine Gewalt anlegen darf, und wenn er’s dennoch thut, so geh’ ich fort!“

Sie schwieg. Ihre Brust hob und senkte sich unter den auf sie einstürmenden Gefühlen und ihre Hände bebten leise in den seinigen.

„Hast Du mir denn gar nichts zu sagen, Bertha?“

„Was soll ich Dir denn sagen?“ frug sie.

„Sag: „Wilhelm, ich hab’ Dich lieb!“ zu mir!“

Er zog sie an sich, hob das rosige Gesichtchen zu sich empor und blickte sie bittend an.

„Ist’s wirklich Dein Ernst?“ frug sie erglühend.

„Ja, Bertha. Bitte, sag die Worte; ich will Dir’s lohnen all mein Lebenlang!“

„Wilhelm,“ flüsterte sie, den Kopf schamhaft an seine Brust legend, „ich hab’ Dich lieb, sehr lieb!“

„Und wirst mir gut sein, auch wenn ich arm bin und in Knechtesdienst gehe?“

„Auch dann und noch mehr!“ antwortete sie. „Aber thu’s nicht um meinetwillen, denn Du weißt, „des Vaters Segen baut den Kindern Häuser“, und ich könnte Dir doch nichts von Alledem wiedererstatten, was Du um mich dahingibst. Wilhelm, folg’ dem Vater, oder prüf’ Dich doch zuvor, eh’ Du den Schritt thust, der gar schwere Folgen hat!“

„Das hab’ ich schon gethan, schon Wochen lang, Bertha, denn die Geschichte mit der Gret’ ist nichts Neues. Der Müller ist ein ruinirter Mann und denkt sich durch die Verheirathung seiner Tochter mit mir wieder aufzuhelfen — ich möchte nur wissen, womit er’s dem Vater angethan hat! Der ist ganz in ihn und in seine Putzmamsell vernarrt und läßt sich nimmer rathen. Ich hab’ gewiß nichts unterlassen von dem, was ein guter und folgsamer Sohn in meiner Lage thun soll, und auch die Mutter ist ihm fast zu Füßen gefallen; er aber läßt nicht von seinem Sinn. Aber wenn man die Saite gar zu hoch spannt, so muß sie endlich platzen, und ich hab’ auch meinen Kopf, wenn’s gilt, ihn aufzusetzen für ein Recht, das ich mir trotz meiner Kindespflicht nicht rauben lassen darf. Er mag wohl zusehen, daß er über die Schwiegertochter nicht den Sohn verliert!“

„Da wär’ auch viel verloren, Du ungerathener Bub!“ erklang es zornig hinter ihm. Kaiser war mit dem Müller nicht direkt nach Hause zurückgekehrt, sondern hatte ihn zur Besichtigung von Fährmann’s Grundstück denselben Weg geführt, welchen Bertha vorher gegangen war. „Nimm gleich den Arm fort von der Dirne, sonst werd’ ich Dich lehren, mir Trotz zu bieten!“

Das Mädchen war, auf’s Aeußerste erschrocken, zusammengefahren und wollte sich aus Wilhelms Armen winden; er aber hielt sie fest.

„Ich hab’ nicht gemeint, Vater, daß es so gar schnell kommen werde,“ antwortete er, sich ruhig zu ihm wendend; „aber es ist mir eben recht, daß Du so früh schon siehst, wie es mit uns steht!“

„Was? Soll ich am End’ noch glauben, daß es kein Spaß ist, sondern Ernst da mit der Schusterpupp’?“

„Es ist der Ernst, Vater. Aber die „Pupp’“ laß weg; die Bertha hat mehr Sorg’ und Arbeit in der kleinen Fingerspitze, als in der ganzen Gret’ zu finden ist!“

„Dann laß aber sofort gleich los, sonst helf’ ich nach!“ drohte der ergrimmte Bauer, und als dem Befehle nicht augenblicklich Folge geleistet wurde, griff er zu und versuchte, die Beiden aus einander zu reißen. Bertha schrie laut auf unter dem Drucke seiner rücksichtslosen Hand.

„Vater, ich bitte Dich, geh’ nicht zu weit! Schlag’ auf mich, so viel Du Lust hast, ich werde mich nicht dagegen wehren, denn ich bin Dein Sohn, aber das Mädchen laß in Ruh’!“

„Wie —? Du willst mir gar noch drohen, mir, dem Vater?! Gib die Bettelbonapartin los, sag’ ich, oder ich schlag’ euch Beide zu Boden!“

„Nein, das soll nicht geschehen; vor dem kann ich Dich noch behüten, Vater!“ Er gab die zitternde Geliebte frei. „Geh’ nach Hause, Bertha, und grüß’ mir die Eltern; ich werde noch heute mit ihnen sprechen!“

„Das sollst Du mir nur wagen!“ herrschte Kaiser ihm zu. „Da hab’ ich auch ein Wort darein zu reden und Du sollst sehen, was ich dann thu’!“

„Ich werd’s zu tragen wissen; aber die Gret’ zwingst Du mir nicht auf! Leb’ wohl, Müller; wir sind mit einander fertig!“

Er ging; auch Bertha war schon längst hinter den hohen Getreidehalmen verschwunden.

„Hast’ so ’was für möglich gehalten, Steinmüller? Ich hab’

den Bursch noch niemals so gesehen; aber es wird sich schon zeigen, wessen Kopf der härteste ist!“

„Sie sind gleich hart, Kaiserbauer, dies hab’ ich ganz zur Genüge bemerkt,“ antwortete der Müller kalt. „Du wirst nicht weichen und er wird nicht weichen; so fahrt ihr erst noch ’mal recht zusammen und dann für immer aus einander. Aber das kann weder Dir noch mir ’was nützen. Ich brauch’ mein Kind gar Niemanden an den Hals zu werfen. Komm fort! Ich fahre nach Haus, um mir das wegen der Steine noch zu überlegen. Die Sache hat ihre zwei Seiten, und wenn sie vor’s Gericht käm’, so wär’s um mich geschehen. Am besten ist es immer, man zeigt so ’was gleich selber an, eh’ man sich in Gefahr begibt!“

„Steinmüller!“ rief Kaiser voll Schreck und Besorgniß.

„Ja, so ist’s!“ antwortete dieser mit nachdenklichem Kopfnicken.

Der Bauer blickte verlegen vor sich nieder und schritt schweigend an seiner Seite hin. Beim Hofe angekommen blieb er stehen.

„Hör’, Müller, wenn Du Dich auf die schlechte Seite legen willst, so kannst Du doch nichts ausrichten; mir kann ja nichts bewiesen werden, da Du keine Zeugen hast. Aber so weit soll’s auch gar nicht kommen! Ich nehme den Wilhelm jetzt gleich noch ’mal vor und Du wirst sehen, daß er sich fügen muß. Ich bin schon noch der Mann, den Trotzkopf gefügig zu machen!“

3.

Wilhelm kehrte von seinem Gange zu Bertha’s Eltern soeben in den Kaiserhof zurück, wo seine Mutter schon in lebhafter Besorgniß auf ihn wartete.

„Ja, Mutter, ich war drüben,“ erwiederte er auf ihre Frage. „Aber weine doch nicht, vielleicht gibt der Vater noch nach! Mag’s kommen, wie es will, ich bin Dir doch nicht verloren.“

„Und was hat Fährmann gesagt?“

„Ich wär’ ein braver Bursch’ und ihm schon recht und lieb als Schwiegersohn, wenn ich arm wär’ und nicht der Sohn vom Kaiserbauer.“

„Und was wirst Du nun thun, wenn Du jetzt hinaufkommst zum Vater?“

„Das wird sich ganz nach dem richten, was er von mir fordert. Ich will nicht dringlich sein mit der Bertha; die Zeit wird schon das ihrige thun; aber er soll mich auch mit der Gret’ nicht treiben!“

„So geh’! Er wartet schon lang auf Dich.“

Als Wilhelm bei dem Bauer eintrat, befand sich derselbe sichtlich in einer gereizten Stimmung.

„Warum kommst Du nicht, sobald ich Dich rufen laß? Oder soll ich etwa gar den Herrn Sohn um Audienz bitten, wenn ich mit ihm zu reden hab’?“

„Ich war nicht zu Haus’ und hab’ erst jetzt erfahren, daß ich zu Dir kommen soll.“

„Wo bist Du gewesen?“

„Beim alten Fährmann.“

„Da bist Du gewesen? Also doch!“ rief er, während die Adern an seiner Stirn dunkler hervor traten. „Was hattest Du denn dort zu schaffen?“

„Nicht viel. Ich hab’ gesagt, daß ich die Bertha will.“

„Und was hat der Bonapartenschuster dazu gemeint?“

„Er sagte, die Sache hätte noch viel Zeit.“

„Da ist er klüger als ich dachte! Die Sache hat nicht allein noch viel Zeit, sondern sie ist überhaupt ganz unmöglich. Du heirathest die Gret’; ich hab’s gesagt und dabei bleibt’s!“

Wilhelm war gewohnt, in dieser Angelegenheit die Meinung des Vaters in möglichster Entschiedenheit und Kürze mitgetheilt zu erhalten, jetzt aber lag in Blick und Ton desselben eine Herzlosigkeit, die ihn empörte und jede Nachgiebigkeit von seiner Seite vollständig unmöglich machte.

„Ist dies Dein letztes Wort, Vater?“

„Mein letztes Wort!“

„Und ist an dieser Wahl nichts mehr zu ändern?“

„Nicht eine Silbe und nicht ein einziger Buchstab’!“

„So will ich noch einmal bitten, Vater, das letzte Mal! Dein Herz kann doch nicht ganz zu Stein geworden sein, und wenn —“

„Laß das Geschwätz! Du hast gehört was ich will, also wähl’: Die Gret’ und den Hof oder den Weg aus dem Hause!“

„Du willst’s, Vater, und des Menschen Wille ist sein Himmelreich, aber oft auch seine Hölle. Mag Dir das Letztere niemals zutreffen! Ich laß den Hof sammt eurer Gret’ und geh in die Fremde. Leb’ wohl, Vater!“

Er sprach es mit bebender Stimme und unter hervorbrechenden Thränen, indem er langsam herzutrat und die Hand zum Abschiede -

Abschiede bot. Eine solche Festigkeit hatte Kaiser nicht erwartet; aber statt ihn zur Erkenntniß zu bringen, steigerte sie vielmehr seinen Zorn bis zu einem Grade, der fast Wuth zu nennen war.

„So fahr’ denn hin, aber bleib’ mir ja mit Deiner Hand vom Leibe! Und wenn Du mir jemals wieder den Hof betrittst, so wirst Du hinausgejagt, das merke!“ Er riß einen Schrank auf, wühlte in alten Wäsch- und Kleidungsstücken herum, welche den Boden desselben bedeckten, und brachte eine zusammengebundene Rolle hervor. „Damit Du aber nicht ganz und gar leer von dannen schleichst, so will ich Dir das Erbe vom Bonapartenschuster mitgeben. Die Fetzen sind zurückgeblieben, als er versteigert worden ist! Nun aber marsch!“

„So leb’ denn wohl, Vater, und laß Dich nie gereuen, was Du an mir thust!“ sagte Wilhelm tief bewegt, indem er das Packet an sich nahm und damit hinwegschritt.

Als die Thüre sich hinter dem Fortgehenden geschlossen hatte, ließ sich Kaiser langsam auf den Stuhl nieder. Es war ganz anders gekommen, als er sich gedacht hatte. Nur allein von der Habsucht war er mit dem Müller zusammengeführt worden; dann hatte die Sorge um die Sicherheit ihm den Gedanken an eine Verbindung zwischen der Tochter desselben und seinem Sohne eingegeben, und diese Sorge war es auch gewesen, die ihn so schroff und starr gegen Wilhelm auftreten ließ. Der letzte Trumpf, auf den er sich verlassen hatte, war nun erfolglos ausgegeben und es klangen ihm die Worte „am besten ist’s immer, man zeigt so ’was gleich selber an“ gar ernst und drohend an das Ohr. Lange Zeit saß er so sinnend da, schlimme Befürchtungen stiegen in ihm auf und er fand kein Mittel, sie von sich abzuweisen. Gewiß war schon eine Stunde seit dem Weggehen Wilhelms verflossen — der Kaiserbauer überhörte das Oeffnen der Thüre und fuhr erst bei dem Klange einer bekannten Stimme aus seinem Brüten auf:

„Wach auf, Kaiser! Du hörst’s wohl gar nicht, daß man klopft und grüßt?“

„Was willst Du, Bonapartenschuster, — was hast Du in meinem Hause zu suchen!“

„Dich such ich. Aber laß das Schimpfen; ich warne Dich nicht zum dritten Mal! Der Wilhelm ist bei mir; er hat mir von Dir das Gewand gebracht, worein ich gekleidet war, als die Mutter mit mir in’s Dorf gekommen ist. Warum hast Du es nicht behalten?“

„Was soll ich mit den Lumpen thun? Dir sind sie wohl nöthiger als mir!“

„Da hast Du Recht, Kaiserbauer! Diese Lumpen sind mir nöthig gewesen schon lange, lange Zeit, und ich gäb’ viel darum, wenn ich sie früher gehabt hätte, denn ich habe in ihnen das gefunden, wornach mein Trachten ging so lang ich lebe. Schau her, ich will Dir’s zeigen!“

„Pack Dich schnell mit Deinem Kram hinweg!“

„Ganz wie Du willst! Ich wollte das Packet auf das Amt tragen, um mein Eigenthum von Dir zu fordern; aber der Wilhelm hat auch die Schrift gelesen, die zwischen dem Futter eingenäht war, und er hat mich um Gnade für Dich gebeten. Ich hab mich überwunden und ihm den Wunsch erfüllt, doch wenn Du selbst es anders willst, so kann ich auch wieder gehn. Behüt Dich Gott, Kaiserbauer!“

„Halt, Fährmann! Was meinst Du für ein Schreiben! Zeig’ es her!“

„Das bekommst Du jetzt nimmer in die Hand, aber sagen kann ich Dir’s genau. Meine Mutter hat damals gefühlt, daß sie auf den Tod krank war und Deinem Vater all ihr Hab und Gut übergeben, um es für mich aufzuheben. Ihr Vertrauen ist aber bald wieder geschwunden und da er ihr die Rückgabe verweigert und sie auch mit Niemanden zusammengelassen hat, so ist sie auf ein Mittel verfallen, mir dennoch das Meinige zu erhalten. So hat sie denn die ganze Sache niedergeschrieben und mit ihrer letzten Kraft das Papier mir in’s Gewand genäht, damit es später gefunden werden solle, und darauf ist sie gestorben. Nun hat Dein Vater mir mein Erbe gestohlen und nicht einmal das bischen Brod für mich gehabt, so daß ich versteigert worden bin wie ein Stück nichtsnutziges Gerümpel. Aber der liebe Gott hat’s besser mit mir gemeint und mich zu Leuten gebracht, die das Herz an der Stelle gehabt haben, wo bei den Kaiserbauern nur das böse Gewissen lebendig geworden ist. Er hat’s gefügt, daß die Schrift von dem Dieb selber ist verwahrt worden, ohne daß der es merken konnte, und daß ich heute grad dahin fassen mußte, wo sie verborgen war. Jetzt wird nun auch seine Drohung wahr: „Er sucht die Sünden der Väter heim an den Kindern, auf die sie übergehn, bis in das dritte und vierte Glied“. Dein Vater war der Stehler, Du bist der Hehler geworden, und nun schau zu, was weiter folgt!“

Kaisers Züge waren bei dem Beginn dieser Rede schreckensbleich

geworden; bald jedoch hatte er sich wieder gefaßt und entgegnete jetzt mit scheinbarer Ruhe:

„Das ist ja der schönste Roman, Bonapart, den ich jemals vernommen hab’, und nicht wahr, den hast Du Dir blos deshalb erdacht, weil ich Dir heut in die Quere gekommen bin? Solch eine Schrift kann Jeder machen, der Anderen eine Grube bereiten will; die gilt nichts bei mir und nichts vor Gericht. Du machst mir gar nicht bange!“

„Irr’ Dich nicht, Kaiser! Dein eigener Sohn und noch mehrere andere Zeugen sind dabei gewesen, als ich sie gefunden habe, und somit wird mir das Gericht schon glauben. Das Gewand ist nur in Deiner Hand gewesen, und Du wirst den Beweis gegen Dich selber doch wohl nicht hineingethan haben!“

„Zeig her die Schrift!“

„Die bekommst Du nicht! Bleib’ aber dort stehen, dann will ich Dir beweisen, wo sie gesteckt hat.“

Er öffnete das wieder mitgebrachte Kinderkleidchen, zog an einer geschützteren Stelle desselben das Futter von dem Zeuge und brachte aus dem Verstecke ein feines, engbeschriebenes und zusammengefaltetes Blatt hervor.

„Da schau’! Und auch das Verzeichniß ist dabei von dem, was sie Deinem Vater übergeben hat. Von dem Geld habt Ihr wohl den Hof gebaut, und der Schmuck, wer weiß, wohin der gerathen ist. Oder hast Du ihn vielleicht noch, Franzosen-Kaiser?“

„Für den Schimpf gibst Du mir den Wisch!“ klang es hastig. Mit einem raschen Schritte stand Kaiser vor Fährmann und faßte nach dem Papiere. Der Letztere zog es zurück, wurde aber von den Armen des Bauern so fest umschlungen, daß er sich nicht zu bewegen vermochte. „Her mit dem Zettel, sag’ ich; Du kommst mir nicht los, bis er zernichtet ist!“

„Und Du bekommst ihn nicht, und sollt’ es mein Leben kosten!“ stieß Fährmann keuchend aus der zusammengepreßten Brust hervor. Sie rangen mit Anstrengung aller ihrer Kräfte; Kaiser war stärker als sein Gegner und dieser merkte, daß er in’s Wanken komme. Er konnte nicht mehr schreien, faßte aber instinktiv nach einem Halt und — fühlte sich im nächsten Augenblicke aus der gefährlichen Umschlingung befreit. Er hatte die Gewichtsschnüre der neben ihm hängenden Uhr ergriffen und diese letztere von der Wand gerissen; Kaiser war von ihr an die Schläfe getroffen worden und besinnungslos zu Boden gesunken. Das alte Erbstück lag zerbrochen

neben ihm; der Kasten war aus den Fugen gegangen und ließ das verborgene Fach sammt dem nun bloßgelegten Inhalte sehen.

Fährmann gewahrte diesen seltenen Inhalt und hob, von einer plötzlichen Ahnung getrieben und den regungslos auf dem Fußboden liegenden Kaiserbauer darüber vergessend, eines der zierlichen Etuis auf. Es öffnend, entdeckte er eine kostbare goldene Uhr an einer ebenso werthvollen Kette. „Ist’s denn möglich? Das ist ja die Kette und Uhr, die auf dem Papier verzeichnet steht! Laß schnell weiter sehen!“

Er kniete nieder und öffnete mit zitternden Händen die Hüllen. Sie enthielten die sämmtlichen Schmuckgegenstände, welche die Verstorbene ihrem verlassenen Kinde hatte retten wollen; kein einziger fehlte, denn die Angst vor einer Entdeckung hatte die beiden Kaiserbauern von einem Verkaufe abgehalten.

Da ging die Thür auf und der Steinmüller trat ein. Mit einem raschen Blicke hatte er die Situation erfaßt.

Er hatte Wilhelm fortgehen sehen und erkannt, daß die geplante Heirath nun nicht zu Stande komme; hier lagen jetzt die verhängnißvollen Schmucksachen zerstreut auf dem Fußboden, kam das Gesinde dazu, so war öffentlich bewiesen, daß der Bauer ein Dieb und Hehler sei, und das bot ihm für die erlittene Enttäuschung

wenigstens eine Rache, die er sich nicht versagen konnte. Seine Stimme drang schallend hinunter in den Wohnraum, aus welchem, die Bäuerin voran, alle darin Befindlichen herbeieilten.

Seine Absicht wurde jedoch von Fährmann durchkreuzt. Dieser schlug die Thür zu und trat den Leuten entgegen.

„Geht nur zurück! Den Bauer hat eine Schwäche überfallen und nur die Frau darf hinein.“

Die ruhige Mahnung genügte, denn der Schuster war Allen als ein unbescholtener und braver Mann bekannt, dem man vertrauen konnte. Sie zogen sich schweigend zurück und der Müller folgte ihnen; es fehlte ihm die nöthige Entschlossenheit, die eingeleitete Rache auch auszuführen. —

Drüben im kleinen Häuschen saßen drei Personen und warteten mit ängstlicher Sorge auf die Rückkehr Fährmann’s. Schon brach die Dämmerung herein und noch immer kam er nicht. Das breite Thor des Kaiserhofes öffnete sich und ließ den Wagen des Müllers hindurch. Die Brautschau war vorüber und Niemand rief den zwei Scheidenden ein freundliches Abschiedswort nach. Da kam einer der Knechte langsam über die Straße und blickte durch das offene Fenster in die Stube.

„Bist Du noch hier Wilhelm?“

„Ja. Was soll’s?“

„Sollst gleich zum Vater kommen und die Bertha mit der Mutter zur Bäuerin. Es muß ganz ’was Absonderlichs geben. Der Müller wollte mit seiner Puppe nicht fort; er schwatzte viel unverständiges Zeug vom Gericht und vom Rubin und Diamant, es konnte kein Mensch daraus klug werden, und da hat ihn der Bauer endlich gar hinausgejagt. Mach schnell! Ich glaube, der Vater hat geweint, der Fährmann auch, und die Mutter sitzt noch jetzt am Herd und wischt sich die Augen.“

Das waren gute Zeichen. Mit klopfendem Herzen eilte Wilhelm den beiden Anderen voran und trat nach wenigen Augenblicken in dieselbe Stube, in welcher ihn der Vater vor so kurzer Zeit vom Hofe verwiesen hatte.

Dieser saß an der Seite des Schusters auf dem Kanapee und hielt die Kreide in der Hand. Die Tischplatte vor ihm war mit Zahlen beschrieben.

„Geh’ her, Wilhelm, ich hab Dir ’was zu sagen!“ sprach er mit mattem Lächeln. „Du bist heute widerständig gewesen gegen meinen Willen; ich will dennoch versuchen, ob Dir wirklich mein Befehl nichts gilt. Du hast geglaubt, daß wir reich sind; es ist aber nicht wahr. Mein Vater hatte ein großes Kapital geborgt vom Fährmann und den Hof davon gebaut. Wie das zugegangen ist, das wirst Du später schon noch erfahren. Jetzt nun ist die Summe mit den Zinsen so hoch angewachsen, daß mir kein Stein vom Hof verbliebe, wenn ich sie zurückzahlen sollte. Der Peter ist nicht so arm wie Du denkst; er braucht das Geld jetzt nimmer und will’s der Bertha zur Beigabe schenken, wenn sie heirathet. Ich mag aber die Schande nicht erleben, daß ich vom Kaiserhof weg muß, und darum befehle ich Dir jetzt, daß Du die Bertha zur Frau nimmst. Mit der Gret’ hast Du Recht gehabt, Wilhelm, mit der „Schusterpupp’“ aber will ’mal ich Recht behalten!“

„Vater — — —!“

„Mach’s kurz! Willst Du oder willst Du nicht?“

„Ob ich will! Mit tausend Freuden! Sie ist unten bei der Mutter. Darf ich sie herbeiholen?“

„Ja geh’ und bring’ sie.“

Schnell wie der Wind war er zur Thür hinaus.

„Hier hast Du meine Hand, Kaiserbauer,“ meinte Fährmann; „Du hast die Probe bestanden und sollst nun auch mit mir zufrieden sein!“

„Was wirst Du denn nun jetzt beginnen? Dein Vater muß ein gewaltig großer Herr gewesen sein; denk’ nur an das Wappen auf dem Ring und an der Berloque! Willst Du nicht nachforschen nach der Familie, zu der Du gehörst?“

„Nein. Die Mutter hat auf ihrem Todtenbette den Zettel nicht ganz bis zu Ende fertig gebracht und den Namen nicht mehr hinzufügen können; gewiß fühlte sie, daß es zu Ende ging und hat nur noch mit letzter Kraft das Papier in mein Gewand genäht, und auf dem Wappen ist auch nichts zu lesen. Ich bin und bleibe der Schuster Fährmann und passe nicht unter vornehme Leute! Zufriedenheit ist mehr werth als äußerer Schein, und ein Schuster, der seine Pflicht erfüllt, ist auch nichts Schlechteres als ein Graf, der das Seinige versteht. Ich bleibe in meinem Häuschen!“

„Und ich? Darf ich auf meinem Hofe bleiben?“ frug Kaiser in trübem Scherz. „Peter, Du hast mir die Hölle so heiß gemacht, wie’s kein Pfarrer zu Stande gebracht hätte, doch ich habe jetzt eingesehen, daß ich gar viel an Dir gut zu machen habe, und ich werd’s nach Kräften thun!“

Als die Anderen herbeikamen, fanden sie die beiden Männer Hand in Hand neben einander sitzen. Ein einziger Nachmittag hatte die Entzweiung eines ganzen Menschenalters ausgeglichen; der Abend war hereingebrochen, und als nun traulicher Lampenschimmer die Stube erhellte, beleuchtete er einen Kreis glücklicher Personen, unter denen es Einen gab, der erst jetzt erkannte, worin der wahre Reichthum bestehe — den alten Kaiserbauer.