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Der Giftheiner.

Eine Erzählung aus dem ErzgebirgevonKarl Hohenthal.

Es war ein wunderschöner Frühlingsmorgen, so warm und sonnig wie nur selten einer im Gebirge. Der freundliche Sonnenstrahl trank die glänzenden Thautropfen von den jungen Pflanzenspitzen und ließ die Nebelballen in wunderlichen Gestalten von Thal zu Berge steigen. Die schon längst aus dem Süden zurückgekehrten befiederten Sänger des Waldes hatten ihr Frühkonzert begonnen und ließen sich in ihrem fröhlichen Gezwitscher durch den Mann, welcher am Rande der Waldwiese an einem Baume lehnte, nicht stören. Er achtete ihrer ja gar nicht, sondern schaute so ernst und gedankenvoll hinaus in die blaue Ferne, als ob die Nähe mit ihrem blühenden, duftenden und jubilirenden Leben für ihn gar nicht vorhanden sei.

Doch ja, sie schwiegen plötzlich; er hatte seine Stimme erhoben und ließ ihren herrlichen Tenor mit einer Fülle ertönen, welche die Vögel verstummen machte, und wie heller Glockenklang über die Wipfel des zur Tiefe sich senkenden Waldes hinfluthete.

„So schwer wie der Fichtelberg

Ist mir das Herz,

Und so hoch wie der Fichtelberg

Wächst mir der Schmerz.

Es fließt von dem Fichtler

Manch’ Wasser ins Meer

Und kommt dann im Reg’n

Und Thau wieder her.“

Die Vögel fielen am Schlusse der Strophe applaudirend und mit verdoppeltem Eifer in ihre Weisen; er schien es nicht zu hören. Er sah auch nicht, daß ein Anderer sich ihm näherte und lauschend hinter ihm stehen blieb.

„Ich stand auf dem Fichtelberg,

Gab ihr die Hand

Sie ging von dem Fichtelberg

Fort in das Land.

Nun fällt von dem Fichtler

Manch’ sehnender Blick

Und bringt aus der Fern’ doch

Nur Thränen zurück!“

„Bravo, bravissimo!“ ließ sich der unbemerkte Horcher jetzt hören. „So aane Stimm’ wie dem Giftheiner seine giebts net wieder, so weit der Fichtler schaut, und so schöne Reim’ bringt erst recht gar niemand net fertig. Die Liebste ist ihm ausgeriss’n und hat ihm die Treu’ gebroch’n; darum singt er nun den Fichtelberg an und weint Syrup dazu. Warum weinst’ net Schwefelsäure oder Salpeterwasser? Das wär’ doch besser zu brauch’n!“

Der Sänger hatte sich ihm zugedreht und ohne eine Miene zu verändern ihn aussprechen lassen. Dann aber faßte er ihn mit einem unerwarteten Griffe bei der Brust, drückte ihn an den Stamm des nächststehenden Baumes und bearbeitete seine Wangen so kräftig mit der flachen Rechten, daß der Schall der Streiche weithin vernehmbar war.

„So, da hast’ Dein Geld für die schöne Red’, die Du gehalt’n hast, Kart’nbalzer! Ist’s genug, oder willst’ noch mehr?“

Die Ohrfeigen waren so überraschend schnell und ohne alle vorhergehende Einleitung über den Getroffenen hereingebrochen, daß er gar keine Zeit gefunden hatte, sich auf die Gegenwehr zu besinnen. Er schien diese letztere auch nicht für rathsam zu halten, denn kaum fühlte er sich von der starken Faust, die ihn gehalten hatte, befreit, so wich er, die Hände an das erglühte Gesicht legend, behutsam um einige Schritte zurück.

„Was thust’ mit mir, Giftheiner?“ sprudelte er hervor. „Vergreif’n thust Dich an mir? Das soll Dir vergolten werd’n; merk Dir die Schläg!“

„Da giebt’s net viel zu merk’n. Kannst’ sie ungezählt bekommen, so oft Du’s nur begehrst. Wenn Du Appetit darauf hast, so darfst’ nur den Namen sag’n, mit dem Du mich vorhin geruf’n hast.“

„Ist das etwa net der richtige für Dich, he? Wer hat denn dem Kantor das böse Zeug ins Gesicht gegoss’n, so daß es ihm fast ganz weggefressen word’n ist? Vom Himmel ist’s doch wohl net herabgeregnet, und es hat sich ja herausgestellt, daß Du am Tag vorher in der Apothek’ gewes’n bist!“

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„Kart’nbalzer,“ antwortete der Andere ruhig aber mit funkelndem Auge; „ich will’s net so mach’n wie Du und Deine Spießgesell’n, daß ich die Schuld auf Jemand’ werf’, dem ich doch nix beweis’n kann; aber ich sage Dir, die Sonn’ bringt’s schon noch an den Tag, wer’s gethan hat, und dann wird auch der Zahlaus net auf sich warten lass’n. Es sag’n viele Leut’, Du seist der schlechtest’ Kerle weit und breit im Land’ herum, ich aber waaß dies besser: net die Bosheit, sondern der Leichtsinn hat Dich verführt und ins Unglück gebracht. Doch merk, der Leichtsinn ist gefährlicher, als die Bosheit und kann net wie sie gebessert werd’n, denn ihm fehlt der feste Halt dazu. Dir geht das Wasser schon bis an den Mund und wird noch vollends über Dir zusammenschlag’n, wenn der liebe Gott net auf ganz absondre Weis’ Erbarmen mit Dir zeigt. Das Aug’, von dem die Bibel spricht und das Dich ärgert, muß heraus und unschädlich gemacht werd’n, weiter giebts nie kaane Rettung mehr für Dich. Geh fort Balzer; Du hast mir nix als Uebles zugefügt, aber wenn ich d’ran denk, was Du warst und Dich

jetzt grad wie den armen Sünder vor mir seh, so kannst’ mich fast sehr dauern!“

Es war so, wie die letzten Worte sagten. Der Angeredete stand mit niedergeschlagenen Augen vor dem Sprecher, und die Röthe, welche sich von den Wangen bis über seine Stirn verbreitete, hatte wohl außer der empfangenen Züchtigung auch noch eine andere, eine innere Ursache. Aber wie ihm vorher der Muth zur Gegenwehr entgangen war, so fehlte er ihm auch jetzt zur ehrlichen Selbsterkenntniß, und bei der Erinnerung an die Vergangenheit bäumte sich der falsche Stolz in ihm empor.

„Was ich gewes’n bin, das brauchst mir net zu sag’n! Der Teichbauer war ich, wenn Du nix dageg’n hast, und den Teichhof hab ich vertrunk’n und verspielt net aus Leichtsinn, wie Du meinst, sondern weil ich’s grad so und net anders gewollt hab. Und daran ist weiter niemand schuld als Du! Du hast mir die Kantoralwin’ abspenstig gemacht, und mir ist nachher Alles gleich gewes’n. Aber bekommen hast’ sie doch net, obgleich Du schier durch Himmel und

Höll’ gedrungen bist, und durch das Giftwasser ist’s denn gar aus geword’n. Das Aug’ reiß’ ich mir Deinetweg’n noch lange net heraus, Heiner, und zu erbarmen braucht sich auch niemand und Kaaner über mich; ich werd’ schon selbst allein noch mit mir fertig!“

„Das seh’ ich, und drum bin auch ich nun mit Dir fertig. Behüt’ Dich Gott, Balzer!“

„Aber ich noch net mit Dir! Meine Rechnung streich ich net eher, als bis ich Dich net mehr zu sehn vermag. Du hast aus dem Balthasar vom Teichhof den Kart’nbalzer gemacht, nun sollst’ auch merk’n, daß ich ihn spiel’ bis auf den letzt’n Trumpf.“

„Spiel fort, Balzer. Wirst net viel Trümpf’ mehr hab’n!“

Er nahm den in ein Tuch geschlagenen Vogelbauer, welcher neben ihm gestanden hatte, von der Erde auf und entfernte sich. Der heruntergekommene Teichbauer blickte ihm finster nach und warf die geballte Faust hinter ihm empor.

„Wart nur, Bursch; die Ohrschell’n sind Dir theuer angerechnet! Aber warum hab ich doch nur den Kerle net gleich darniedergeschlag’n? Das hätt’ er mir ’mal früher bieten soll’n. Ist’s

denn wahr, daß Spiel und Trunk den Mensch’n feig und zagig mach’n? Ich war doch sonst mehr als zu viel gleich mit dem Zuschlag’n bei der Hand, und hab mich vor dem Heiner niemals net gefürchtet! Mirweg’n mag’s immer so sein; es kömmt doch noch die Stund’, in der ich mit ihm Abschluß halt weg’n der Alwin’, weg’n dem Teichhof und weg’n Allem, was ich um seinetwill’n verloren und verjubelt hab. Die Flasch’ ist noch immer vorhand’n, die damals für ihn bestimmt war; er mag sich nur in Acht nehmen, daß sie net auch ’mal an den Recht’n kommt. Es sind wohl an die zwanzig Jahr’ verfloss’n, seit da mir seine hübsche Larv’ im Wege war; sie ist mir noch heut zuwiderer als der Tod, und wenn er sie net hütet, so kann sie gar bald der Visag’ des Kantors ähnlich sehn!“

Der, welchem diese Drohung galt, schritt über die Wiese und durch den angrenzenden Wald nach einem freien, von dürrem, vorjährigem Distelwerk bestandenen Platze.

„Pst, Heiner,“ klang es hinter einem dichten Dorngestrüpp hervor; „bleib stehn und rühr Dich net!“

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Der Angerufene folgte der Weisung und blickte forschend umher. Inmitten der kleinen Lichtung stand ein einzelner Strauch, dessen Zweigspitzen mit Leimruthen besteckt waren; der Lockvogel saß am Boden in einem Käfige, welcher den Blicken der mißtrauischen Beute durch allerlei grünes Blattwerk entzogen war. Eben hatte sich ein Flug von Hänflingen auf den Buschrand niedergelassen, und der hinter dem Dorngewirr verborgene Vogelsteller lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit den Stimmen der einzelnen Männchen unter ihnen.

„Hörst, Heiner, den da drüb’n auf der jungen Birk’, was der für aan „Di—ee—bli—ee“ hat? Der singt wie aan zweijähriger Alter und ist doch nur aan rother Frühjährling. Den muß ich hab’n!“

Nach einer kurzen Pause flüsterte er weiter:

„Schau den dort auf dem Ficht’nast, wie weich und zart dem sein klaanes Stimmchen klingt. Der ist vom letzt’n Herbst, und der Kenner zahlt wohl an die zwanzig Grosch’n für ihn auf. Ich muß ihn hab’n!“

Nach einem ferneren Schweigen zeigte er nach der Spitze einer Tanne.

„Alle Wetter, Heiner, ist das aan Schlag, den der da ob’n hat! Das wird aan Stellvogel, der die Flüge aus den Wolk’n ’runterzieht. Er ist unter Brüdern seine drei Thäler werth; ich muß ihn hab’n!“

Wieder lauschte er.

„Hörst Du ’was von dem unsrig’n? Kaan Laut, net aan einziger Mux ist zu vernehmen. Doch jetzt, jetzt fängt er an. Horch! „Cha cha cha di eee, di di di bli—eee, cha cha cha!“ So ists recht. Jetzt müss’n sie all’ auf die Ruthen fall’n! „Cha cha cha di—eee, cha cha — —“ Was ist denn das? Ist denn der Racker net recht bei Troste? „Zapp zapp zapp“ brüllt er, und nun sind sie dort über alle Berge! Anstatt sie fein hübsch anzulock’n, warnt er sie. Das ist doch grad’zu zum Närrischwerd’n!“

Er fuhr aus dem Gedorn heraus und auf den Vogel zu, nahm den Käfig von der Erde und schüttelte ihn mit grimmiger Geberde hin und her.

Heinrich oder vielmehr Heiner, wie der Gebirgler diesen Namen gern sich mundgerecht zu machen pflegt, folgte ihm lächelnd bis zu dem Ruthenstrauch.

„Laß’s gut sein, Vater! Der Vogel hat nix ver broch’n; er ist nur gegen Seinesgleich’n ehrlich gewes’n.“

„Aber geg’n mich net, der Nixnutz der! Mit wem hat er’s denn zu halt’n, he, mit mir oder mit dem Vogelzeug? Bei wem steht er denn in Kost und Brod, und von wem bekommt er denn seine Wartung und Pfleg’ wie sich’s schickt und gehört, he? Doch von mir! Ich lieg nun seit vier Uhr hier auf der Lauer und hab noch nix gefangen, nix gar nix, auch net den einzig’n Schwanz! Und warum? Entweder wenn ’was kommt, so sitzt er drin, putzt sich und hält den Schnabel, oder er schreit „zapp zapp“ und jagt mir damit den best’n Fang vom Busch. Er bekommt alle Tag’ dreimal frisches Wasser und feinen Rübs’n, Lein und Hanf dazu, das grüne Knusperzeug gar net gerechnet; aber den kann ich mit Servelatwurst, Eierpunsch und Schinkenknoch’n füttern, er bleibt doch bei seinem „Zapp!“ Das muß anders werd’n, und er soll aane Kur hab’n, die ihm den Kopf schon zurechtsetz’n wird!“

Man sah es dem guten Alten an, daß es mit seiner Rage nicht gar so schlimm gemeint sei, als es den Anschein hatte. Der Aerger stand ihm so drollig zu Gesicht, daß sich über die ernsten Züge Heiners ein helles Lächeln breitete.

„Bei solcher Kost thät ich fast selber mit. Meinst’ net, Vater?“

„Sei still, Bub’! Pfeifst auch immer anders, als ich will, und denkst alleweil’ nimmer an Das, was für uns gut und nöthig ist. Fast erst um zwei Uhr war’s, als ich von zu Haus’ fort bin. Früher, als die Mutter noch lebt’, da stand der Kaffee auf dem Tisch, die Frühstücksbemm’ war eingewickelt und es gab aan freundlich Wort mit auf den Weg; da stieg sichs gar lustig den Berg hinan, die Hantierung flog aus der Hand, und wenn ich heim kam, so wußt’ ich, was ich gefangen hatt’. Wie aber ist’s jetzt heut und alle Tag’? Vom Kaffee kaane Red’, vom Frühstück kaane Red’, von nix net kaane Red’. Verdross’n schieb ich mich den Berg hinan, und kehr ich heim, so hab’ ich nix gefangen und setz mich hin, stopf Strümpf’ oder setz Flicklapp’n auf die zerriss’ne Wäsch’. Wo kaane Frau im Haus’ ist, da giebts nur eitel Unordnung und Aergerniß, und kommt dann gar noch so aan verwünschtes „Zapp“ dazu, so ists gleich rein all’ mit mir. Das muß anders werd’n! Hast’s gehört?“

„Ja. Aber warum nimmst’ Dir denn kaane Frau, wenn Dir’s allein net mehr gefällt?“

„Ich? Wieder heirat’n? Bei Dir rappelts wohl im Kopf! Das müßt wohl auch aan schönes Weibs’n sein, dem solch aan alter Fink noch gut genug wär, und das Herzeleid will ich meiner

braven Alt’n net im Grab anthun, daß ich mich mit meinem grauen Kopf noch gar verschamerir! Du waaßt recht gut, wer an der Reih’ ist schon seit langer Zeit, aber Du thust net der gleich’n, und was man sagt, das ist in den Wind gesproch’n!“

„Ich find Kaane, die mir paßt, Vater!“

„Sei nur gleich still mit Deinem Find und Paßt, denn es steckt doch nix dahinter als die leere Ausred’! Wer nix sucht, der kann auch nix find’n, und wer nix findet, dem kann auch nix pass’n. Die Weiber flieg’n Aanem net wie die gebrat’nen Taub’n in den Mund; sie möchten’s zwar gern, aber es schickt sich net für sie, und darum muß man doch wenigstens die Hand ausstreck’n, wenn man Aane hab’n will. Mach nun bald endlich ’mal gehörig Anstalt; das Alter hast’ schon längst dazu!“

Der Alte war auf sein Lieblingsthema gekommen, bei dessen Besprechung er kein Ende zu finden pflegte.

„Ich hab den Stieglitz mitgebracht,“ meinte Heiner; „soll ich das Tuch fortnehmen?“

„Ja ja, komm mir nur schnell mit dem Stieglitz dazwisch’n, wenn ich von der Frau anfang! Ich will nur lieber gleich den Mund halt’n und nach Haus’ gehn; fangen thu ich doch nix und daheim giebts viel zu thun, zu kehr’n und zu wisch’n, die Bett’n zu mach’n, einzufeuern und Kartoffel zu schäl’n; man waaß vor lauter Arbeit net wo man anfangen soll, und kommt auch nimmermehr zu End’ damit. Wo kaane Frau im Haus’ ist, da giebts nur eitel Unordnung und Aergerniß. Ich geh!“

Er nahm das Hänflinggebauer vom Strauche, schlug ein Tuch darüber und schritt brummend davon. Heiner hing den Stieglitz an die Stelle seines pflichtvergessenen Kameraden und nahm dann in dem Verstecke seines Vaters Platz. Er hatte weniger auf seine äußere Umgebung als vielmehr auf die Regungen seines Innern Acht. Grad an einem so wundervollen Frühlingsmorgen wie heut und unter demselben Baume, an welchem der Kartenbalzer ihn vorhin überrascht hatte, war das Scheidewort zwischen ihm und der schönen, trügerischen Kantorstochter erklungen. Sein tiefes, treues Gemüth hatte den Verlust nicht zu überwinden vermocht und darum einer zweiten Liebe niemals Raum gegeben. Darüber waren die Jahre vergangen, aber Heilung für das Weh seines Herzens hatten sie ihm nicht gebracht.

Die Stimme des Lockvogels weckte ihn aus seinen Träumen. Ein kleiner Gefangener flatterte ängstlich kreischend mit der anklebenden Leimruthe von dem Busche zur Erde nieder. Er sprang auf und eilte hinzu. Die Freude über den Fang ließ ihn das Rauschen eines weiblichen Gewandes überhören.

„Du mußt doch aan recht böser Mann sein, daß Du dem Thierch’n net die Freiheit gönnst!“ klang eine sanfte, vorwurfsvolle Stimme neben ihm.

Er drehte sich um und fuhr dann bei dem Anblicke des jungen Mädchens wie vor einer Geistererscheinung mit abwehrenden Händen und weit geöffneten Augen zurück.

„Alwin’! Was thust hier auf dem Fichtler?!“

Sie blickte ihn erstaunt an.

„Mein Nam ist net Alwin’, sondern Alma! Aber sag, warum erschrickst’ vor mir?“

„Weil — weil — weil ich Dich net kenn’ und auch net gewußt hab, daß außer mir noch Wer hier zugeg’n ist.“

„Das sind doch kaane Gründ’, sich vor mir so zu entsetz’n,“ meinte sie, ihn mit ihren großen, braunen Augen prüfend überblickend. „Entweder Du bist trotz Deiner Körperstärk’ aan furchtsamer Bursch’ oder es ist bei Dir mit dem Gewiss’n net ganz richtig. Gieb her den Vogel; ich werd’ ihn wieder fliegen lass’n!“

Er hatte sich von der bei ihrem ersten Anblicke gezeigten Bestürzung erholt und lächelte jetzt über ihre resolute Art und Weise, mit ihm fertig zu werden.

„Das geht net so rasch wie Du denkst, Du klaaner General, Du! Wer bist’ denn eigentlich, daß Du das Kommandir’n so gut verstehst?“

„Ich bin die Tochter von der neuen Teichbäu’rin, die gestern eingezog’n ist.“

„Und wie ist denn Dein ganzer Nam’?“

„Er lautet Alma Smirnoff.“

„Das ist doch aan recht possierlich Wort! Aus welcher Sprach mag’s wohl herkommen?“

„Mein Vater war aan Russ’, und wir hab’n bisher in Warschau gewohnt.“

„In Warschau? Das ist gar weit von hier. Woher hast Du denn da die deutsche Sprach’ gelernt, und noch dazu so, wie wir sie hier im Erzgebirg’ sprech’n?“(Fortsetzung folgt.)

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Der Giftheiner.

Eine Erzählung aus dem ErzgebirgevonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Ich hab — ich bin — es war Jemand in unsrer Famil’, der mit mir fast gar net anders geredet hat als Euern Dialekt. Und wer bist denn Du?“

„Mein Nam’ heißt Heinrich Silbermann; mein Vater ist der Vogelhändler unt’n im Dorf.“

Sie trat schnell einen Schritt zurück und sah ihn mit einem Blicke an, aus welchem es wie mühsam zurückgehaltene Theilnahme und Freude strahlte.

„Der Silberheiner bist’, der so schöne Lieder dicht’n und so prächtig dazu singen kann?“

„Woher hast’ Dieses schon gewußt?“

„Die Mut — — es ist — davon bei uns gesprochen word’n,“ antwortete sie verlegen. „Vorhin stand ich da unt’n im Grund; weit ob’n sang Aauer zwaa Vers’, so schön, so prächtig, daß ich den Athem net hab gehen lass’n. Warst’ das auch?“

„Werd’s wohl gewes’n sein!“

„Da dank ich Dir gar sehr für den Gesang, Silberheiner! Es hat aan Herz und aan Gemüth darin geleg’n, daß ich gezwungen bin, Dir Abbitt zu thun von weg’n dem „bös’n Mann“, wie ich Dich genannt hab.“ Sie streckte ihm die kleine, feine weiße Hand entgegen und fuhr dann lebhafter fort: „Aber den Vogel, den mußt’ mir doch zeig’n! Oder net?“

„Da schau her! Es ist aan Stieglitz; der Vater will ihn brauch’n für die Kanarienheck’, und ich werd’ Freud’ anricht’n, wenn ich ihn bring.“

„Welch aan lieb’s und schön’s Vögele! Aber sieh den garstg’n Leim! Geht er auch wieder ab?“

„Freilich muß er wieder herunter! Ich hab schon mitgebracht, was ich aufstreich’n werd; paß auf! So da ist er geheilt und kann die Flügel wieder gebrauch’n.“

„Und was thust nun mit ihm? Soll er wirklich in den Käfig kommen?“

„Ja.“

„Aber wenn ich Dich nun recht schön bitt, ihn frei zu lassen!“

„So kann ich doch net ja sag’n. Der Vater ernährt sich von dem Vogelhandel, und wenn er nix fängt, so kann er auch nix verdienen. Er hat die ganze Nacht bis jetzt im Wald geleg’n und leer nach Haus’ gemußt, drum wird er sich freuen, wenn ich ’was bring, und wenn’s auch aan einzig Stück nur ist.“

„Dann will ich Dir den Stieglitz abkauf’n!“

„Grad den darf ich net verkauf’n, weil er zu den Kanari’n kommt.“

„Und doch wirst’ mir ihn ablass’n, Silberheiner. Ich geb Dir dafür was Du verlangst. Bitt, thu es doch!“

Er konnte kein Auge von ihr verwenden. War denn ein Traum aus alten, seligen Zeiten über ihn gekommenn, der seine Sinne und all sein Denken und Empfinden in süße, zauberische Fesseln schlug? Diese mit gar keinem Worte bezeichnende Stimme, diese tiefen, kristallhellen Augen, dieses warme, unter der Bitte zuckende Händchen, hatte er nicht oft in glücklicher Vergessenheit ihrem Klange gelauscht, hatte er nicht oft minutenlang den liebenden Blick in ihr fluthendes Licht getaucht, hatte er sie nicht einst wieder und immer wieder an seine vor Wonne schweigsamen Lippen gedrückt? Wie viel tausend Male hatte seine Hand wie segnend auf diesen vollen, seidenweichen Locken geruht, und doch — — doch hatte das Alles ein schnelles, jähes Ende genommen! Stand jetzt nach zwanzig Jahren vielleicht die Vergangenheit in verklärter Gestalt vor ihm, um die untergegangene Sonne wieder empor zu rufen?

„Wenn ich der Silberheiner bin,“ antwortete er endlich, „so bist’ wohl die Goldfee, der man nix abschlag’n darf? Gibst wirklich dafür, was ich verlang?“

„Ja.“

„Aber ich werd von Dir kaan Geld fordern. Alma! Die Freiheit ist auch für so aan Geschöpfle mehr werth als kalte, herzlose Münz.“

„Was willst’ denn?“

„Aan Kuß ist’s, für den ich Dir ihn geb.“

Eine glühende Röthe ergoß sich über ihr Gesicht.

„Silberheiner, das war net gut von Dir, das hätt’st net thun soll’n?“

„Warum net?“

„Weil — weil Du Dir selbst weh’ thust hier in meinem Herz’n.“

Er verstand ihre Worte nicht; er hielt ihre Hand gefaßt und strich ihr mit der Rechten leise und unbewußt liebkosend über die elastische Fülle des reichen Haares.

„Sag schnell, Alma, willst’ ihn oder net? Ich frag net wieder?“

Sie zögerte mit der Antwort; dann hob sie den feucht schimmernden Blick zu ihm empor und entschied:

„Es hat mich noch nie aan Mann geküßt, Heiner, auch der Vater net, denn der ist gestorb’n, noch eh’ ich auf der Welt gewes’n bin, und ich möcht lieber auch sterb’n, als daß ich solch aan — aan — leid’n möcht; Du aber sollst den Kuß hab’n, Du allein. Hier, nimm ihn!“

Mit tief gesenkten Wimpern reichte sie ihm die leise zuckenden Lippen dar.

„Alma!“

„Was ist’s? Warum zauderst’ jetzt?“

Er sah ihr mit einem unbeschreiblichen Blicke in das fragende Auge.

„Hier hast’ das Thierle umsonst; icb hab zuviel dafür verlangt!“

„Ist’s Dein Ernst?“

„Mein völliger!“

„So bitt, komm ’mal herab zu mir!“

Sie langte an ihm empor, zog seinen Kopf zu sich hernieder und küßte ihn zwei, drei Mal auf den Mund.

„Nun sollst’ ihn grad erst recht hab’n, und noch mehr obendrein, weil Du wieder brav bist! Und waaßt, Silberheiner, ich zahl damit noch lange net die Schuld, die Du zu fordern hast. — Jetzt ist der Vogel mein, und nun soll er auch die Freiheit wieder hab’n. Da schau, wie lustig er die Schwingen schlägt? Nun flieg ich auch davon. Leb’ wohl, Heiner, und vergiß die Alma net!“

Sie warf das leichte Tuch um die Schultern; es wehte beim Gehen wie Flügelschlag um ihre über die Lichtung dahineilende Gestalt, und noch lange, nachdem sie verschwunden war, stand er unbeweglich und blickte wie verzückt auf die knospenden Zweige, welche sich hinter ihr geschlossen hat­ten. —

Der Frühling war vergangen, und auch der Sommer rüstete zum Abschiede, denn bereits nahte der Herbst mit seinem eigenthümlichen Geruche, seiner früchtelösenden Reife und dem wehmüthigen Flüstern und Rascheln seiner fallenden Blätter. Auf den Wiesen sammelten sich die Schaaren der wanderlustigen Vögel, und in Busch und Wald erklang hier und da das klagende Ade eines einsam scheidenden Sängers, der zwischen den Strophen seines letzten Liedes probirend die kleinen, befiederten Schwingen schlug.

An Stelle der Forteilenden zogen andere Sänger in das Dorf.

„Im Lenz, da ziehn wir froh hinaus

Mit lautem Sing und Sang,

Ade, ade, lieb’s Vaterhaus,

Sei nimmer um uns bang!

Denn ist des Sommers Zeit dahin,

So kehr’n wir all’ zurück

Und grüßen mit vergnügtem Sinn

Der Heimath stilles Glück!“

erscholl es in vollem, kräftigem Chore vom Berge herab. Eine Schaar von Burschen und Mädchen, an ihrer Spitze der Silberheiner, nahte dem Dorfe. Die sorgfältig eingehüllten Instrumente, welche die Meisten von ihnen trugen, ließen erkennen, daß sie von einem musikalischen Wanderzuge zurückkehrten.

Da droben in den Bergen sprudelt der Quell heller und frischer, als in den Breiten des Niederlandes, und heller und frischer klingt auch das Lied aus der freier athmenden Brust. Wenn das Veilchen verstohlen zwischen dem jungen Grün der Ränder und Raine hervorlugt, verlassen Hunderte von Sängern und Sängerinnen die hochgelegene Heimath und ziehen hinaus in die Fremde, um mit dem Ertrage ihrer meist gut zusammengeübten Stimmen die Armuth der Ihrigen zu unterstützen. Die Mehrzahl von ihnen kehrt beim Herannahen der härteren Jahreszeit nach Hause zurück, Viele aber unternehmen auch weite, jahrelange Fahrten und tragen den Ruhm des deutschen Liedes über Berg und Thal, ja über den Ozean hinüber nach fremden Erdtheilen, wo der hagere Yankee, der sonnverbrannte Maure oder der schlanke Malaye den gemüthvollen Klängen lauscht, ohne ein Wort des Textes zu verstehen. Gar manche Preßnitzer oder Sonneberger Harfnerin hat das Weltmeer durchfurcht und vermag von fernen Kontinenten zu erzählen trotz eines „wohlgepflügten“ Seemannes.

An einem Fenster der Kantorwohnung stand ein Mann und lauschte dem nahenden Gesange. Sein Gesicht war furchtbar entstellt; es hatte ganz das Aussehen, als sei es mit Zangen zerrissen und mit einem glühenden Plätteisen wieder geglättet worden. Die

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Nahenden hatten jetzt das Dorf erreicht und ließen die letzte Strophe des Marsches erklingen:

„Im Lenz, da ziehn wir froh hinaus

Mit lautem Sing und Sang,

Jetzt ists nun mit dem Kos’n aus,

Doch, Liebch’n, wein’ net lang!

Noch ist die Haide net verblüht,

So klingt zur Sternenzeit

Am Fenster Dir aan traulich Lied:

Grüß Gott, Du süße Maid!“

„Der Giftheiner ist doch nicht nur der beste Sänger, sondern auch der bravste Dirigent, den ich kenne,“ murmelte der Mann. „Schade nur, daß er auch der schlechteste Mensch ist, den es nur geben kann! Seiner Truppe kommt keine andre gleich in Beziehung auf Stimmenharmonie und Exaktheit des Ausdruckes. Man könnte, obgleich er mir die besten Kräfte gestohlen hat, seine helle Freude an ihm haben, wenn man nicht gezwungen wäre, nur mit Abscheu an ihn zu denken. Und nicht nur um meine Sänger, auch um mein Kind, um mein einziges Kind hat er mich gebracht. O, Alwine, warum hast Du mir das gethan! Warum hast Du mich gezwungen, Dich zu verachten und der Sünde zu überlassen, in die Du Dich besinnungslos stürztest, weil Du die Schmerzen nicht zu würdigen wußtest, welche der Arzt seinem Kranken verursachen muß, um ihm die Heilung zu ermöglichen! Nun ist der Gram meine Speise und die Thräne mein Trank; der Kummer hat meinen Lebensweg verkürzt, und ich fahre in die Grube ohne den Frieden, den ein liebendes Auge über die letzten Augenblicke eines hinüberfliehenden Daseins strahlt. Mein Gott, mein Gott, warum muß ich das erleiden!“

Er senkte das ergraute Haupt tief und schwer hernieder und schlug die abgemagerten Hände faltend in einander. Seine blöden Augen sahen nicht die jetzt vorüberschreitenden Sänger; er hörte nichts von dem Jubel, welcher sich draußen über ihre Ankunft erhob; er bemerkte auch nicht, daß nach vergeblichem Klopfen Jemand eingetreten war und zwei warme, theilnahmsvolle Augen auf ihm ruhen ließ.

„Aber nein, ich will mich nicht mehr grämen!“ rief er, sich aufraffend. „Habe ich die Verschimpfirung meines Angesichts zu ertragen vermocht, so soll mich auch der Schimpf, welchen meine Ehre erlitten hat, nicht überwältigen. Ich habe die ungerathene Tochter aus dem Hause gewiesen, als sie wiederkam und unter Lügen um Gnade winselte; ich habe ihre Briefe verbrannt und vernichtet, ohne sie zu öffnen; ich werde auch noch den Gedanken an sie aus meinem Herzen reißen, und wenn sie mich nochmals aufsuchte, ich würde sie nicht sehen und nicht kennen. Sie hat den Vater verstoßen, hat ihn nicht mehr gemocht, und so will ich auch mit keinem Laute und keinem Hauche mehr ihr Vater sein!“

Die Eingetretene zog sich zurück und klopfte jetzt von Neuem. Er vernahm das Geräusch und wandte sich nach der Thür.

„Ist wer da?“

„Ja. Darf ich Sie stören, Herr Kantor?“ frug es mit leiser, belegter Stimme.

„Treten sie näher; ich vermag nicht weit zu sehen. Wer sind Sie?“

„Ich bin die Tochter der Teichbäuerin und komme, um Ihnen eine Bitte vorzutragen.“

„So sprechen Sie!“

„Ich habe mich in der Heimath viel und gern mit dem Klaviere beschäftigt. Mutter wünscht, daß ich meine Uebungen hier fortsetze und dabei Ihre Unterstützung finden möge. Sie würde selbst zu Ihnen gekommen sein, aber sie ist krank und darf das Zimmer nicht verlassen.“

Sie sprach langsam und verzagt. Er neigte sich ihr zu, als töne ihm ein bekannter Klang entgegen.

„Auch ich bin krank, mein Kind, und ertheile schon seit längerer Zeit keinen Unterricht mehr. Ich fühle mich nicht mehr stark genug zu der Anstrengung, welche dabei unvermeidlich ist.“

„Ich möchte Ihnen versichern, daß ich mich bemühen würde, diesen Umstand so viel wie möglich zu berücksichtigen. Ich glaube die Schwierigkeiten, mit denen die Anfängerin zu kämpfen hat, überwunden zu haben.“

Sein Ohr näherte sich ihr mehr. Welche Stimme war es doch, an der er ganz die nämliche Klangfarbe bemerkt hatte, und wie kam die Tochter einer Bäuerin zu so gewählten Ausdrücken. Ihre letzten Worte waren mit einer gewissen Zuversicht gesprochen; er konnte die Bittstellerin nicht so kurz und schroff abweisen, wie es erst vielleicht in seiner Absicht gelegen hatte.

„Dort steht das Klavier. Oeffnen Sie es und tragen Sie mir Etwas aus dem Gedächtniß vor!“

Sie trat zum Instrumente. Schon bei den ersten probirenden Akkorden fuhr sein gesenkter Kopf in die Höhe; nach wenigen Augenblicken stand er hinter ihr und verfolgte, die Hände auf die Lehne ihres Sessels gestützt, mit ungewöhnlicher Spannung ihr Spiel. Als sie geendet hatte, griff er unter die daliegenden Notenhefte, um ihr eins derselben vorzulegen.

„Ist Ihnen dieses Stück bekannt?“

„Nein.“

„Versuchen Sie einmal, es vom Blatte zu spielen!“

Sie folgte der Aufforderung und zwar mit einer Gewandtheit, die ihn in Erstaunen setzte.

„Mein Kind,“ entschied er, „ich kann nicht Ihr Lehrer sein; Sie spielen fast besser noch als ich. Aber wenn es Ihnen recht ist, so können wir wöchentlich einige Male zusammen musiziren. Es wird mir das ein Vergiiugen, eine liebe Erholung sein!“

„Ich danke Ihnen, Herr Kantor!“ antwortete sie freudig. „Darf ich Ihnen nicht auch Etwas vorsingen?“

Sie suchte unter den Noten. Da fiel ihr ein Titel in das Auge, bei dessen Anblicke es wie bei dem Wiedersehen eines lieben Freundes warm und licht über ihr Angesicht ging. Er konnte nicht erkennen, welche Blätter sie vor sich auseinanderschlug, aber beim Beginn der Einleitung fuhr er mit der Hand nach der Brust und machte eine Bewegung, als wolle er sie am Weiterspiele hindern. Doch da erklangen auch schon die ersten Worte des Liedes, welches er haßte, obgleich er es selbst in Musik gesetzt hatte, welches er nicht hören mochte, und doch seit Jahren Tag für Tag in Folge eines innern Gebotes hatte spielen müssen:

„O gräme nie ein Menschenherz,

Das Dein in treuer Liebe denkt.

Du hebst wohl nimmermehr den Schmerz,

Der sich in seine Tiefen senkt!“

Es entging ihm, daß der Vortrag nicht vom Blatte, sondern aus dem Gedächtnisse geschah; er verfolgte nicht das weiche, eindringliche Motiv der Melodie in seinen kunstgerechten und doch so einfachen Wiederholungen und Umkehrungen, er vernahm nur die Worte des Textes, deren Ernst ihn noch nie so gepackt hatte, wie jetzt unter dem Eindrucke einer Stimme, die wie ein ungelöstes Räthsel an sein Ohr schlug.

Schon längst war der letzte Ton verklungen und noch immer harrte das Mädchen vergebens auf ein Wort aus dem Munde des tief ergriffenen Mannes. Und als er endlich sprach, geschah es leise und wie abwesend, als sei er der Gegenwart entrückt und befinde sich mitten unter den Gestalten einer längst vergangenen Zeit.

„Wo der Silberheiner nur die Gedanken hernimmt zu all den Liedern, die er dichtet! Sie klingen Einem bis hinein in die innerste Seele; man kann ihnen nicht widerstehen, und so oft er ein neues fertig hat, muß ich es komponiren, ich kann nicht anders. „O gräme nie ein Menschenherz!“ War das etwa eine Prophezeiung, eine Warnung für mich? Er hat mich so lieb gehabt, fast wie ein Sohn, und als die Alwine das Lied zum ersten Male gesungen hat, da — die Alwine? Halt,“ rief er, sich rasch vom Stuhle erhebend und, plötzlich in die Gegenwart zurückgekehrt, sich an die Sängerin wendend; „jetzt weiß ich auf einmal, warum mich Ihre Stimme so ergriffen hat! Es ist die Stimme eines Wesens, welches mir unendlich lieb und theuer war und doch sich von mir trennte wie — wie die Scholle von der Küste: um von der Brandung fortgerissen und verschlungen zu werden. Ihre Laute klingen etwas zarter, weicher, nachgiebiger, nicht so sicher, entschieden und sonor wie diejenigen, welche ich meine, aber wenn Sie denselben Umfang besitzen, den Alwinens Stimme beherrschte, so könnte ich endlich, endlich wieder ein­mal — und vielleicht wäre es das letzte Mal — meine Weihnachtskantate zur Aufführung bringen. Bitte, lassen Sie uns einmal versuchen!“

Er griff in die Tasten, um die angegebene Prüfung vorzunehmen. Sie fiel ganz nach seinem Wunsche aus, und nun war aus dem finstern, melancholischen Manne auf einmal ein ganz Anderer geworden. Mit jugendlicher Ungeduld trat er an ein Büchergestelle, schlug den Vorhang zurück und brachte ein umfangreiches Notenpaket hervor, welches er von seiner Umhüllung befreite.

„Das ist die Kantate, zu welcher der Silberheiner die Verse gemacht hat. Das Gedicht ist ein wahres Meisterstück von ihm; kein Doktor und Professor könnte den Stoff besser behandeln, und die Aufführungen haben uns große Ehre eingetragen. Ich hatte die Soli’s im Tenor für ihn und die im Sopran für Alwine gesetzt, und da mir diese Beiden später nicht mehr verfügbar waren, so hat das Stück bisher unbenutzt gelegen, obgleich ich bei jedem Weihnachtsfeste dringend aufgefordert worden bin, es zur Aufführung zu bringen. Jetzt können Sie den Diskant übernehmen, und die Tenorpartie — ja, der Heiner bekommt sie nun und nimmermehr;

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er würde auch gar nicht bereit sein, sie zu singen; aber es giebt noch Einen im Dorfe, der eine leidliche Stimme dazu hätte, und das ist der Teichhofbalzer. Ich werde mir die Sache überlegen. Jetzt wollen wir einmal die Partitur hernehmen und sehen, ob Ihnen Ihre Aufgabe gefällt!“

Es war schwer, mit dem alten, menschenfeindlichen Dirigenten in Beziehung zu treten. Sie hatte das gewußt und bemerkte daher mit freudiger Genugthuung den unerwarteten Erfolg ihres fast mit Zagen unternommenen Besuches. Sie gab sich daher der beginnenden Uebung mit fröhlichem Eifer hin, und ihre Stimme drang, getragen von den vollen, rauschenden Akkorden des Piano’s, durch das geöffnete Fenster hinaus auf die Straße und hinüber in die Wohnung Silbermanns, wo der Vater die glückliche Rückkehr des Sohnes mit einem Thema feierte, welches den Angelpunkt einer jeden häuslichen Unterhaltung zu bilden pflegte.

„Ja, da bist’ nun wieder ’mal von der Reis’ nach Haus’, und nun beginnt die alte Sorg’ und Noth von Neuem. Da hast’ das schöne Geld, was auf Dein Antheil kommt, her auf den Tisch gezählt, und was wirst damit mach’n? In die Truh’ wirst’s steck’n, wo das andere auch schon ist, und da mag’s lieg’n bis zum jüngst’n Tag oder bis ’mal Aaner kommt, der’s mit den heilg’n zehn Gebot’n net genau nimmt. Jetzt machst’ im Winter neue Lieder und Gesäng’; im Frühjahr geht’s wieder hinaus in die Fremd’; das ist so die alte Leier, und ich armes Würm sitz daheim, einsam und verlass’n, und kann sehn, wie mir die Zeit vergeht! Zu thun hab’ ich alleweil’ ganz genug, das ist schon wahr, und bei dem Vogelzeug giebts auch zuweil’n aan wenig Zeitvertreib. Aber Mensch ist doch immer Mensch, und wenn Du geheirathet hättst, so wär doch Jemand bei mir, wenn Du net daheim bist, und ich braucht mich auch net so um nix und All’s zu bekümmern. Wo kaane Frau im Haus’ ist, da giebts nur eitel Unordnung und Aergerniß, und ich sag’ Dir, das muß anders werd’n, sonst lauf’ ich noch davon!“

„Thu’s net, Vater,“ lachte Heiner; „Du wärst sonst im Stand’ und kämst nachher wieder!“

„Ich? Wiederkommen? Fällt mir gar net ein! Wenn ich fort bin, so bin ich fort, und Du magst nachher schaun, wer Dir die Strümpf’ ausbessert und die abgeriss’nen Knöpf’ wieder festmacht! Ja, wenn die Alwin’ wiederkäm’, das lüderliche Ding, da wärst’ recht gleich bei der Hand, net wahr? Die sitzt Dir noch heut im Kopf und will auch nimmer heraus. Wie schön könntst’ Dich einricht’n mit dem Geld, und wie fein und lieblich wär’s, wenn hier im Haus’ aan hübsches Fraule schalt’n thät und walt’n! Ich glaub’, mir wär’s alle Tag’ als hätt’ der heilige Christ bescheert!“

„Ja, das wär’ ganz dieselbe Herrlichkeit, wie zum Frühjahr mit dem Hänfling, der auch der best’ war weit und breit und doch dann auf den „Zapp“ gefall’n ist, so daß Du ihn net länger brauch’n konnt’st! Aber horch, was ist das für aan Gesang da drüb’n beim Kantor?“

„Waaß’s net! Was geht mich dem sein Geklimper an?“

„Das ist — das ist ja mein Lied! Hörst Vater:

„„Drum sorge, daß kein Herzeleid

Du jemals hier verschulden magst.

Es kommt die Stund, es kommt die Zeit,

Wo Du die schwere Schuld beklagst!““

„Der Kantor, der mich net ersehen mag, läßt mein Lied singen! Und welche aane Stimm’ ist das! Ich — ich kenn’ sie — das ist niemand andres als — als die Alwin! Hörst, Vater? Horch!“

„Geh mir aus dem Weg mit der Stimm’ und sammt der Alwin’! Wo soll denn das Madel herkommen? Ich mag von ihr und all dem Kantorvolk net das Geringst’ mehr hören. Oder waaßt vielleicht net, warum? Ich will gar nimmer davon red’n, sonst könnt’ mir am End die Gall’ überlauf’n, und die ganze Sipp’ ist doch net werth, daß man sich darüber ärgert.“

Heinrich hatte das Fenster geöffnet. Er hatte die Worte des Vaters wohl kaum vernommen; er horchte hinüber nach der Schulwohnung, wo sich jetzt neue Klänge vernehmen ließen, denen er mit höchster Spannung lauschte.

„Das ist die Kantat’, eine Weihnachtskantat’, die er spielt. Und jetzt beginnt auch der Gesang!“

Es war ein tiefer, ein wunderbarer Eindruck, den die Töne auf ihn machten. Er schloß das Fenster und eilte zur Thür.

„Wo willst’ hin, Heiner?“ rief der Vater.

„Ich waaß net, aber meine Kantat’, die muß ich hör’n, die ist todt gewes’n seit — seit damals, und wenn sie wieder lebendig wird, so kann ich net davon bleib’n, sondern muß mit dabei sein!“

Der Vater machte Miene, ihn zurückzuhalten, aber vergebens; Heinrich war fort, über die Straße hinweg und nach dem Schulhause. Der Zutritt zu demselben war ihm verboten, wenigstens zu der Wohnung des emeritirten Kantors, aber dieses Verbot war ihm

jetzt gleichgültig. Er hörte seine beste Dichtung spielen und von einer Stimme singen, deren Klang alle Saiten seines Innern mittönen ließ; er mußte die Sängerin sehen, das war der Gedanke, welcher seine Schritte lenkte; alles andre war für den Augenblick vergessen.

„Es kann nur die Alwin’ sein, denn diese Stimm’ giebts nur aan einzig Mal in der Welt,“ murmelte er, indem er mit leichten Schritten die Treppe empor stieg. „Vielleicht ist sie endlich aus der Fremd’ zurückgekehrt und hat Verzeihung erhalt’n von dem Vater. Auch ich hab ihr schon längst Alles vergeb’n, wenn ichs auch nimmermehr vergess’n und überwinden kann, und drum will ich sie sehn, gleich heut, gleich jetzt, wo sie mir durch den Gesang zeig’n will, daß sie da ist!“

Er ergriff den Thürdrücker und öffnete leise. Der Kantor, welcher am Instrumente saß, vermochte in Folge seiner blöden Augen nicht, ihn zu sehen, und die Sängerin stand so von ihm abgewandt, daß er Beide unbemerkt beobachten konnte.

„Wer ist denn das? Die Alwin’ ists net, sondern die Alma von damals auf dem Fichtler droben. Wer vermag das zu erklär’n: sie ist das leibhaft’ge Konterfei von der Alwin’, und hat auch ganz ihren Ton, nur zarter, weicher und so innig, wie er bei der andern ganz niemals net gewes’n ist! Ich geh net hinein, aber hör’n muß ich sie bis zum letzt’n Laut, den sie singt. Ich waaß, wohin ich geh!“

Er stieg die Treppe wieder hinab und gelangte ungesehen in den Garten, welcher von einer dichten Tannenhecke umgeben war. In seinem hintersten Winkel befand sich eine lang, schmal und niedrig gehaltene Laube, ganz der Wohnung des australischen Laubenvogels nachgebildet. Seit langen, langen Jahren hatte kein Mensch eine pflegende Hand an sie ge legt; sie zeigte sich daher im höchsten Grade verwildert, und der Eingang zu ihr schien so verwachsen, daß außer Heinrich es niemand unternommen hätte, das Innere zu betreten. Dieser aber bog die widerstrebenden Zweige zur Seite und kroch hinein.(Fortsetzung folgt.)

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Der Giftheiner.

Eine Erzählung aus dem ErzgebirgevonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Hier war es vollständig dunkel, trotzdem draußen die Dämmerung erst hereinzubrechen begann, doch fand sich Heinrich so schnell zurecht, als weile er täglich an diesem mitten im Dorfe und doch so einsam und verlassen gelegenen Orte. Er streckte sich auf die schmale, mit dichtem Moose überzogene Bank und lauschte den Klängen, welche aus dem geöffneten Fenster in den Garten herniederflutheten.

Es war ihm so wundersam, so traum-, so märchenartig zu Muthe, als habe die Hand einer gütigen Fee ihn in den Schooß längst vergangener, seliger Zeiten zurückversetzt, nur daß die Gestalt, welche ihn gegenwärtig in Ton und Bild umschwebte, unendlich milder, süßer und reiner erschien, als das Wesen, welches sein ganzes Denken, Fühlen und Wollen damals ausschließlich für sich in Anspruch genommen hatte. Es war dieselbe Laube, in welcher er den Zauber ihrer Stimme eingeathmet, es waren dieselben Strophen, die er einst mit hingebendem Entzücken von ihren Lippen getrunken hatte; aber an diese Laube hatte sich das Gedächtniß einer schweren That geheftet, und diese Strophen, es ruhte der Fluch des Komponisten auf ihnen, den er einst dem Dichter in das Angesicht geschleudert hatte. Konnte diese That nie aufgeklärt, dieser Fluch nie hinweggenommen werden?

Die Dämmerung verdichtete sich zum dunklen Abend, die Töne verklangen und das Fenster wurde zugeschlagen. Heinrich lag noch immer regungslos und mit geschlossenen Augen; er hätte unter den verhauchten Klängen hier liegen und sterben mö­gen. — Da richtete er sich plötzlich empor. Das Geräusch sich leise nahender Schritte hatte sein Ohr erreicht. Er zog sich unhörbar in den Hintergrund der Laube zurück. Ein Arm drängte vorsichtig tastend das den Eingang verhüllende Geäst zurück, um Platz für eine leichte, schlanke Gestalt zu machen, welche näher trat.

„Alma,“ dachte Heinrich. „Woher kennt sie die Laube, und was will sie hier, jetzt, in dieser dunkeln und furchtsamen Stunde?“

Sie nahm vorsichtig auf der Bank Platz. Sollte er seine Anwesenheit zu erkennen geben, oder war es nicht möglich, daß sie wieder fortging, ohne ihn bemerkt zu haben? Eine ganze, lange Zeit verging, ehe sie sich regte. Da erhob sie den Arm, um sich von der Tiefe der Höhlung zu überzeugen, und streifte mit der Hand seine Schulter. Ein kurzer Ruf des Schreckes entfuhr ihren Lippen.

„Ist Jemand da?“

„Ja. Ich hab nur geschwieg’n, weil ich Dich net erschreck’n wollt.“

„Dadurch hast mich aber grad erst recht erschreckt. Sag, wer bist’ denn, und was willst hier in der Laub’?“

„Fast möcht zuerst ich frag’n, was denn Du hier willst. Du kannst mich net erkennen und hast mich auch erst aan einzig Mal gesehn.“

„Wo?“

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„Waaßt’s net mehr? Drob’n auf dem Fichtler, wo Du mir den Stieglitz abgefordert hast.“

Sie schwieg einige Augenblicke, vielleicht in verschämter Erinnerung an den freiwilligen Preis, welchen sie für die Befreiung des kleinen Sängers gegeben hatte.

„So bist wohl gar der Silberheiner?“

„Ja.“

„Ich denk, Du bist drauß’n im Land mit Deiner Musikgesellschaft!“

„Wir sind vorhin zurück. Hast net den Marsch gehört, den wir gesungen hab’n?“

„Ah, Ihr seid das gewes’n? Der Teichhof liegt so abseit vom Dorf, daß man das Neue immer nur am spätsten hört. Aber warum bist Du hier und net zu Haus’? Ich mein’, da giebts gar viel zu reden und erzähl’n, wenn man den Vater so lange net gesehen und gesproch’n hat!“

„Du hast ganz Recht; aber ich hab Dich halt singen hör’n, und da ists net anders gewes’n, als ich muß herüber in die Laub’, damit ich kaane Not’ verlier von dem Gesang.“

„Es war Deine Kantat’, die wir vorgehabt hab’n. Sag, wo nimmst nur all die guten Wort’ und schönen Reim’ hervor? Ich könnt so ’was schon gar niemals fertig bring’n.“

„Das ist kaan Verdienst, auf das man stolz sein darf, Alma, sondern aan Geschenk vom lieben Gott. Der Reim kommt ganz von sich selber, und die Sätz’ und Wörter, die sind auch gleich da, sobald das Herz voll ist. Grad hier in dieser Laub’ ist gar manch Gedicht fertig word’n, was noch niemand gesehen und geles’n hat.“

„So bist wohl öfters hier gewes’n?“

„Oefters? Was das Herz der Lieb’, das war sie mir, und was das Grab der Leich’, das ist sie mir geword’n. Da drauß’n hab ich zu sorgen und zu schaff’n, aber so oft ich hier sitz, bin ich todt. Waaßt’s net, was hier geschehen ist?“

„Sag, was?“ fragte sie ausweichend.

„Bitt, laß Dir’s von den Andern erzähl’n. Wie bist denn Du herbeigekommen? Hast die Laub’ vielleicht schon vorher gekannt?“

„Nein; ich war heut ganz zum erst’n Mal beim Kantor. Ich wollt — — ich dacht — — — ich sag Dir’s schon ein ander Mal. Gut’ Nacht, Heiner!“

„Halt, nein! Ich will wiss’n, warum Du — — —“

„Gut’ Nacht!“ klang es nochmals, dann war sie ihm entschlüpft.

Er lehnte sich zurück. Trotz der Dunkelheit war es ihm, als sei ein Licht-, ein Lebensstrahl in sein Grab gedrungen, unter dessen Wärme der erstarrte Puls von Neuem zu klopfen begin­ne. —

III.

Es war vor einer langen Reihe von Jahren, da läuteten mitten in der Woche die Glocken, und ein Zug schwarz gekleideter Männer und Frauen, voran der Kantor mit seinen Kurrendschülern, bewegte sich langsam durch das Dorf dem Kirchhofe zu.

Die Teichhofbäuerin wurde begraben.

Sie war eine Wittwe, eine gute Wirthin und brave Mutter gewesen und nicht mit leichtem, fröhlichem Herzen aus der Welt geschieden. Sie ließ eine große, schwere Sorge zurück, welche noch ihre letzten Stunden mit peinigender Angst erfüllt hatte. Ihr Sohn war das einzige Wesen, welches ihr nahe stand; nur für ihn hatte sie gearbeitet und geschafft, nur für ihn gewacht und gebetet, und als sie von ihm Abschied nahm, mußte es mit Bangigkeit geschehen.

„Tritt her, Balzer, und reich mir die Hand; es geht zu End’ mit mir!“

Draußen stand das Gesinde leise schluchzend; sie alle bedauerten, daß die Sterbende von ihnen scheiden sollte. Er trat zu ihr hin und legte die Rechte langsam in ihre schwache, zitternde Hand.

„Gräm’ Dich net, Mutter, wir müss’n alle sterb’n!“

„Das waaß ich, Balzer, und möcht’ auch ganz gern fort, aber es wird mir sauer zu gehn, von weg’n Dir.“

„Meinetweg’n laß Dich’s net bedrück’n, Mutter. Ich bin alt genug, um zu wiss’n, wie man das Leb’n zu nehmen hat.“

„Ja, alt genug wärst’ wohl, aber wiss’n thnst’s doch noch net. Was hast’ bis jetzt gethan? Getrunk’n, getanzt, gespielt, gerauft, weiter nix, und was die Flint’ zu sag’n hat die Du drob’n in Deiner Stub’ verborg’n hältst und mit der Du Dich des Nachts hinaus in den Forst schleichst, das brauch ich Dir nicht erst zu sag’n.“

„Das hat Alles net viel zu bedeut’n! Aan Bier ist kaane Sünd’, der Tanz auch net, und wenn sich Wer an mir vergreift, so hab ich auch das Recht, die Faust zu zeig’n. Und was die Flint’ betrifft, so hab ich noch nimmer gesehn, daß dem Wild der Heimathsschein am Halse hängt.“

„Es ist Diebstahl, Balzer, der richtige Diebstahl, denn wem der Wald gehört, dem ist auch Alles zu eig’n, was im Forste lebt. Und warum erwähnst’ net auch das Spiel?“

„Weil’s gar net nöthig ist. Die Kart’ ist kaan Teufelsbuch, wie Du immer sagst; sie gehört dem Mann zur Erholung und zum Zeitvertreib. Und was man heut verspielt, das läßt sich übersehn, man gewinnt’s ja morg’n wieder.“

„Das ist net wahr. Das Spiel ist eine Seuch, die Eure best’n Kräfte zehrt. Balzer, ich bitt’ Dich inständig, versprich mir, daß Du’s lass’n willst!“

„Mirweg’n, wenn Dir’s Ruhe bringt!“

„Aber fest, Balzer, fest mußt’ es versprech’n, net so leicht drüber weg!“

„Fest und sicher!“

„Und denk allzeit daran, welch große Straf’ es bringt, wenn man das bricht, was man am Sterbebett gelobt! und nun noch ’was, Balzer, was mir schon seit — — —“

„Noch immer ’was?“ unterbrach er sie. „Ist’s net genug?“

„Ich waaß, Du gehst hinter der Kantorsalwin’ her. Ist’s net so?“

„Ja. Woher hast’s gewußt?“

„Du selber sorgst dafür, daß es die Leut erfahr’n. Was soll der Silberheiner denk’n?“

„Der Silberheiner? Was geht der mich an? Er hat mit dem Mad’l nix zu schaff’n, und wenn sie mit ’nander schon einig wär’n, ich kehrte mich net dran, und der Kantor erst recht net. Ich waaß ganz genau, wie der Wind bläst. Der Kantor ist net umsonst als aan guter Rechner ausgeschreit; der Silberheiner hat nix, und ich bin der Teichbauer, sobald Du weggestorb’n bist. Die Alwin’ bekommt kaan Anderer als ich.“

„Aber sie paßt net zu Dir; sie paßt net auf den Hof; sie paßt nur auf den Tanz und ans Klavier. Nimm sie net, Balzer, nimm sie net; es wird nix als nur Unseligkeit daraus!“

„Das verstehst’ net, Mutter! Der Teichhof ist das beste Gut rundum, und die Alwin’ ist das reputirlichst’ Madel weit und breit; kommt Beid’s zusammen, so giebts aan gut Gesteck.“

„Auf kurze Zeit. Aber es wird net lang dauern, dann ist’s aus mit der Pracht und Herrlichkeit. Du sollst mich dauern und mein schöner Teichhof dazu, wenn er solch aane Sonntagspupp zur Herrin bekommt. Du wirst sehn, Du gehst mit ihr zu Grund’!“

„Darum laß Dir net angst sein, Mutter! Ich bin schon noch der Mann, der seine Sach’ beisammen hält. Und es ist ja auch noch gar net in dem Topf, in dem es kocht.“

„Am Best’n ist’s, es kommt gar niemals hinein. Balzer, wenn Dir die Mutter lieb ist, so versprich, daß Du die Alwin’ net nimmst. Sie hat kaan Herz; sie versteht nix von der Wirthschaft, und es sind doch noch viel Bess’re hier, wenn sie auch kaan so fein Gesicht aufweis’n können. Versprich mir’s, Balzer!“

„Gut, ich versprech’s.“

„Aber net blos zum Schein!“

„Nein.“

„So hab Dank! Jetzt werd’ ich müd. Geh, ruf die Andern und schick hernach den Pfarr’ herein!“

Er ging. Als er später zu ihr zurückkehrte, war sie todt.

Jetzt gaben ihr die Nachbarn das letzte Geleit. Balzer schritt in herkömmlich gebeugter Stellung hinter dem Sarge her, aber in seinem Auge war keine Thräne zu erkennen. Warum sollte er weinen? Das Trauerfest war zu geräuschvoll dazu, und als am Abende die Gäste beim Mahle saßen und die Männer das gebräuchliche Spiel vorschlugen, holte er die Karte herbei und dachte nicht im Geringsten daran, sich auszuschließen.

Am andern Tage ging er im Vollgefühle seines Reichthums, über den er nun endlich frei und selbständig zu verfügen vermochte, hinaus auf die Felder, um sich in dem Anblicke seiner ausgedehnten Liegenschaften zu sonnen. Da begegnete ihm der Kantor, welcher seinen Nachmittagsspaziergang machte.

Nach Wiederholung der bereits gestern ausgesprochenen Beileidsbezeugung meinte dieser, vorsichtig prüfend:

„Nun mußt Du Dich nach frischen Kräften umsehen, Balthasar, denn ohne eine tüchtige weibliche Hülfe hältst Du das schöne Gut nicht zusammen. Aber das Du will sich nun auch nicht mehr recht schicken; der reiche Teichhofer muß mit Ihr oder gar mit dem vornehmen Sie angeredet werden.“

„Laßt’s nur immer beim Alten, Herr Kantor; Ihr seid ja mein Lehrer gewesen. Und auch der Balthasar will mir gar net recht klingen; ich bin der Balzer und will auch nix andres hör’n. Mit den frisch’n Kräften, da habt Ihr freilich recht, und ich würd’ auch gern dafür sorg’n, wenn ich nur net gar zu weit darnach zu gehen braucht’.“

„Ist es denn gar so weit?“

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„Hinein ins Dorf und dann hinauf bis zur Schul’.“

„Bis zum Schulhause? Wie meinst Du das?“

„Weil da die Alwin’ wohnt.“

„Ah, was der Tausend! Gestern die Leiche im Hause und heut schon so aufgelegt zum Spasse?“

Der Kantor war ein tüchtiger Schulmann und besonders in Beziehung seines trefflichen Musikunterrichtes weithin berühmt; ebenso bekannt aber war er als ein Freund des greifbaren Besitzthumes, der nicht so leicht eine Gelegenheit, die ihm irgend welchen äußerlichen Vortheil bot, ungenützt vorübergehen ließ. Der Balzer war einer seiner aufgewecktesten Schüler gewesen und besaß eine Tenorstimme, die ihm der Kantor nicht niedrig anrechnete; ebensogut aber wußte dieser auch, daß der nunmehrige Teichbauer eine Reihe von Eigenschaften besaß, die nichts weniger als lobenswerth waren. Dennoch war dieser in seinen Augen als der Reichste im Orte ein sehr begehrenswerther Schwiegersohn, nur mußte man es verstehen, ihn unter gehörige Kontrole zu nehmen. Zudem war Alwine nach Ansicht ihres Vaters ein Mädchen, dessen Vorzüge selbst mit dem Werthe des Teichhofes nicht zu theuer bezahlt waren, und daher beschloß er, nur vorsichtig und zögernd zu verfahren.

„Und wenn’s nun net mein Spaß, sondern der richtige Ernst wär’, Herr Kantor?“

„Dann könnte man sich die Sache einmal überlegen.“

„Ueberleg’n? Warum? Ist Euch mein Hof zu gering, oder bin ich etwa net gut genug für die Alwin’?“

„Der Hof mag gehen; er wenigstens bleibt hübsch da, wo er ist und kann nicht im Wirthshause liegen oder sich im Walde herumtreiben. Mein Schwiegersohn soll ein Mann sein, vor dem die Leute Respekt haben.“

„Sagt mir einmal Jemand, der kaanen vor mir hat!“

„Das ist die rechte Art von Respekt nicht, Balzer, die Du bekommst. Die Sorte, die ich meine, bekommt nur Der, der Gesetz, Sitte und Anstand heilig hält.“

„Ach so! Und Ihr denkt, das bring ich nimmer fertig?“

„O doch, wenn Du nur willst; aber ich denke mir, Du hast bis jetzt noch nicht gewollt.“

„Nun gut, so werd ich’s von jetzt an woll’n!“

„Gilts wirklich?“

„Es gilt!“

„Schlag ein! Jugend hat nicht Tugend, das weiß ich ja am Besten, und ein tüchtig Weib kann auch einen etwas scheuen Mann in Ordnung halten. Die Alwine ist von dieser Art, nur muß auch ich dabei Etwas mit helfen dürfen.“

„Auf welche Weis’, Herr Kantor?“

„Ich müßte zum Beispiel Eure Wirthschaft durch eine strikte Buchführung unterstützen.“

„Wenn’s weiter nix ist! Geschrieb’n muß gar mancherlei werd’n, und wenn Ihr diese Arbeit an meiner Stell’ verricht’n wollt, so ist mirs recht. Ihr dürft ja nur ’mal kommen und Euch die Sach’ beschauen.“

„Das werde ich schon nächstens thun, obgleich die Angelegenheit nicht eben pressirt, denn Ihr seid beide noch jung, wenigstens die Alwine könnte recht gut noch ein Jährchen oder zwei warten, und ehe das Trauerjahr nicht vorüber ist, darfst Du auch nicht an die Hochzeit denken.“

„Warum net dran denk’n? Man könnt’ doch immerhin darauf zurüst’n, und die Verlobung wenigstens, die darf doch gehalten werd’n.“

„Denkst Du vielleicht, es kommt Dir Jemand zuvor?“

„Das wär am End’ net unmöglich. Man sieht ja was man sieht.“

„Was meinst Du, he?“

„Ich mein’ net ’was, sondern wen, den Silberheiner nämlich.“

„Pah, daran ist nicht zu denken. Sein Vater und ich sind immer gut nachbarlich Freund gewesen, und der Heiner ist mein bester Schüler, so lange ich im Amte bin. Darum habe ich mir allezeit Mühe mit ihm gegeben, so daß er in vielen Dingen gerade so viel gelernt hat wie ich. Seine Stimme ist noch besser als die Deinige, und im Dichten muß ich mich gar vor ihm verkriechen. Ich habe alle unsere Sängersleute zu unterrichten und zu prüfen, ehe sie die Reise antreten, und er geht mir dabei recht eifrig an die Hand. Er ist zu gebrauchen, und ich glaube gar, wenn er wollte, so könnte er sich ein eigen Chor zufammensetzen und mir Konkurrenz machen. Das Zeug dazu hat er vollkommen.“

„Das ist ja All’s recht schön, aber warum darf er mit der Alwin’ so oft beisammen sein?“

„Sie haben als Nachbarskinder von Jugend auf nur mit einander verkehrt; warum sollten sie sich jetzt auf einmal meiden? Zudem hat er ja stets die Soloparthien im Tenor und sie im Sopran; da müssen sie sehr oft und viel zusammen üben.“

„Auch draußen im Walde oder auf dem Tanzbod’n?“

„Im Walde?“

„Ja freilich! Oder wißt Ihr net, daß sie hinausläuft, wenn er drauß’n sitzt beim Vogelfang? Und beim Tanz hat sie es fast nur mit ihm zu thun, so daß aan Andrer fast gar nimmer an sie kommen kann. Meintweg’n mag’s bisher nur blos Bekanntschaft sein, aber daraus kann jede Minut ’was anders werd’n. Ich an Eurer Stell’ wollt besser Aug’nmerk auf solche Dinge hab’n.“

„Hm, ich kann Dir nicht ganz Unrecht geben. Der Heiner ist mir nöthig, doch als Schwiegersohn darf er mir deshalb nicht kommen, denn die Alwine ist ein Mädchen, bei der noch ganz andere Bursche anklopfen, und in dem Silbermann seiner Taubenhütte mag ich sie nicht sehen. Wenn es so kommen soll, da ist allerdings die Freundschaft aus. Hast Du schon mit ihr gesprochen?“

„Noch net, Herr Kantor.“

„So thue es so bald wie möglich, und dann schickst Du mir den Freiersmann. Es ist wahr, wir müssen vorbeugen, und wenn die Hochzeit noch vor dem Jahre wird, so kann man es entschuldigen; es sieht ja Jeder ein, daß Du für Dein großes Wesen eine Frau gar nicht entbehren kannst.“

Sie schieden.

Am nächsten Sonntag war Kirchweih, und im Saale ging es des Abends lustig her. Die Dorfbewohner hatten ihre Gäste mitgebracht und benutzten die Gelegenheit, ihre sonst so wohlgehegten Silberfüchse einmal springen zu lassen. Auch der Kantor war mit seiner Tochter anwesend. Unter Allen die Schönste, war sie auch heut schon aus dem Grunde viel umworben, weil sie nie einen gewöhnlichen Tanz besuchte und hier also zu den seltenen Erscheinungen gehörte.

Ihr Vater saß mit einigen der Gemeindeältesten an einem Ecktische, schenkte aber dem angeknüpften Gespräch wenig Aufmerksamkeit, sondern hatte sein Augenmerk verstohlen auf Alwine gerichtet. Sie tanzte jede Tour und zwar meist mit Heinrich Silbermann. Es ließ sich nicht leugnen, Beide gaben ein prächtiges Paar, dem die Augen der Zuschauer theils mit Neid, theils mit Bewunderung folgten. Das Augenpaar aber, welches am finstersten auf ihnen ruhte, gehörte dem Teichhofbalzer. Das Mädchen war ihm lieb, vielleicht mehr als Karte und Spiel, und wenn er die Herzlichkeit sah, mit welcher sie mit dem Heiner verkehrte, so wollten sich seine Fäuste ballen und ein grimmiger Haß gegen den Nebenbuhler loderte wild in ihm empor.(Fortsetzung folgt.)

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Der Giftheiner.

Eine Erzählung aus dem ErzgebirgevonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Da trat der Wirth zu ihm.

„Was stehst’ denn da wie verschneit und abgefror’n, Balzer? Ist Dir ’was über den Weg gelauf’n? Bist doch sonst immer lustig und fidel!“

„Soll man da net zornig werd’n, wenn Andere lustig umherschwanken und Unseraaner muß zusehen, daß die hübschesten Madels von der Seit’ abfall’n!“

„Aha! Ja, der Silberheiner ist der schönste Bursch drei Meilen in der Rund’ und immer bei der Spritz wenn’s brennt. Wie lang darfst net tanz’n?“

„Waaßt’s ja selber, zwölf Monat’, volle zwölf Monat’, das halt der Teufel aus!“

„Ja, das ist auch so aan Herkommen, das man fein belach’n sollt’. Wer stirbt, der ist gut aufgehob’n, im Himmel, sagt der Pfarr’, wo die Englein singen und springen „io io ewig in dulci jubilo“ wie’s in dem Lied steht „Wachet auf, ruft uns die Stimme.“ Und während Die da ob’n selig und guter Dinge sind, soll man hier unt’n über sie heulen und klag’n und sich kaan Vergnüg’n und nix vergönnen, was gut und fröhlich ist. Ich sage soviel: Wenn mir Wer stirbt, so tanz ich doch!“

„Und die Leut’?“

„Was gehn die mich an? Die schrein und jammern net mit mir, drum bin ich lustig mit ihnen. Bei unnützem Gebrauch muß man nur den rechten Muth hab’n, dennoch zu thun, was man will, dann hört es ganz von selber auf. Aber wenn Du wirklich trauern und net tanz’n willst, so hätte ich wohl ’was Anderes für Dich.“

„Was?“

„Es geht heut grausam über meine Küch, und der Brat’n fängt an, rar zu werd’n. Magst net hinaus gehn und aan Reh oder so’ was hol’n? Du waaßt, ich zahl Dir’s gut, und der Förster sitzt mit dem Gehülfen unt’n, so daß Du sie heut net zu fürchten brauchst.“

„Sollst ’was bekommen, Wirth, doch ists noch Zeit bis später; erst will ich sehn, ob mir net die Lust zum Tanz’n doch noch kommt. Weg’n der Leich’ laß ich mir net den besten Biss’n vor dem Mund wegschnappen. Bring noch aan Bier und den rechten Schnaps dazu.“

„Recht so, Balzer; wozu bist’ denn Teichbauer, wenn Du es net zeig’n darfst!“

Der Stachel, den ihm der selbstsüchtige Mann eingedrückt hatte, saß fest. Balzer sah die beobachtenden Blicke des Kantors, sah die Augen der beiden Liebenden in einander leuchten; er trank sich

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immer tiefer in den Aergr und die Aufregung hinein, und als er endlich gar bemerkte, daß der Heiner seinen Arm vertraulich um das Mädchen legte und leise in sie hin einflüsterte, da war sein Entschluß gefaßt.

Sobald die Töne des neuen Tanzes erklangen, schritt er über den Saal und auf Alwine zu.

„Komm mit, Alwin’!“

„Wohin?“

„Zum Galopp.“

„Zum Tanz? Bist wohl net recht klug, Balzer?“

„Ich bin so klug, wie jeder Andre auch. Die Musik ist grad ebenso für mich wie für Euch. Komm!“

„Nein, ich tanz net mit Dir und niemand anders auch. Geh fort, nach Haus’ und denk an Deine Mutter!“

„Ich kann auch hier an sie denk’n. Die ist gut versorgt und hat nix davon, wenn ich fort lammentir’. Also komm!“

„Ich hab gesagt, daß ich net mit Dir komm’, und dabei bleibts!“

Da trat Silbermann herbei.

„Alwin’, bist’ schon versagt?“

„Nein.“

„So giebt mir die Hand sonst geht der schöne Galopp zu End’!“

„Hier!“

Da schob sich Balzer zwischen sie.

„Halt, so geht’s net, als wie ihr denkt. Sie hat mir den Tanz versagt und darf ihn also net wieder geb’n. So ist’s hier Sitt’ und Regel, und wer dageg’n thut, der wird hinausgeschafft!“

„Es giebt Streit; der Balzer will tanzen!“ ging es von Mund zu Mund und die nicht Tanzenden drängten sich neugierig herbei. Heiner sah dem Gegner mit lachendem Auge in das erregte Gesicht.

„Schäm’ Dich, Teichhofbalzer, daß Du Deine brave Mutter so im Grab verschimpfirst! Aber davon will ich net weiter reden, denn das hast’ mit dem eigenen Gewiss’n abzuthun; doch merk’ Dir jetzt Eins: Es hat hier Jede das Recht, zu tanz’n mit wem es ihr beliebt; die Alwin mag Dich net, sondern mich, folglich tanz ich mit ihr. Hast ’was dageg’n, so gehe zum Saalordner; hinausgeschafft aber wird nur Der, welcher Unruh’ stiftet.“

Er nahm das Mädchen bei der Hand, um sie hinwegzuführen. Da faßte ihn Balzer am Arme, und es wäre sicher zu einem ernsten Zusammenstoße gekommen, wenn nicht eben jetzt der Kantor herbeigetreten wäre.

„Was geht hier vor, Alwine?“

„Der Balzer hat mich gefordert und will es nicht leiden, daß ich mit dem Heiner tanze.“

Da der alte, erfahrene Menschenkenner recht wohl wußte, welcher Grund den Teichbauer getrieben hatte, so sehr gegen den löblichen Gebrauch zu handeln, so sah er ihn nur strafend an und entschied dann:

„Wer Händel treibt, verdient Strafe. Du tanzest mit keinem von Beiden mehr!“

„Aber Vater!“ bat das Mädchen.

„Herr Kantor — —“ wollte der Heiner sich vertheidigen, der Angeredete aber schnitt ihm das Wort ab.

„Gut, gut, ich weiß schon, was ich thue. Sobald ich Dich mit einem von ihnen sehe, Alwine, gehst Du nach Hause!“

Das war ein Spruch, gegen den es trotz seiner Ungerechtigkeit keine Widerrede gab. Diese Ungerechtigkeit fühlte Heiner am meisten, und sie erregte ihn um so mehr, je unerklärlicher sie war. Alwine wurde zwar auch von ihr getroffen, aber das Mädchen schien sich bald beruhigt zu haben. Sie hatte zwar ihren liebsten und besten Tänzer verloren, an seiner Stelle aber zehn Andere gefunden, und so gab sie sich selbst dann noch dem Vergnügen hin, als der Vater nach Hause gegangen war.

Als dieser in die Nähe seiner Wohnung kam, trat ihm eine Gestalt entgegen, die auf ihn gewartet zu haben schien. Es war Heiner, der schon längst den Saal verlassen hatte, weil von einem Vergnügen für ihn keine Rede mehr sein konnte.

„Herr Kantor, darf ich Sie so spät und unterwegs ansprech’n?“

„Wenns etwas Wichtiges ist, ja.“

„Für mich ist’s wichtig genug. Womit hatt’ ich die Straf’ verdient, die Sie mir heute gegeben hab’n? Ich möcht’ das gern erfahr’n, damit ich’s wieder gut mach’n kann, was ich gefehlt hab’.“

„Gefehlt hast Du bisher nichts, und ich hoffe, daß es auch weiterhin nicht geschehen wird. Es war daher auch nicht eine Strafe für Dich, sondern eine Sicherheitsmaßregel, die zu treffen ich meine Gründe hatte.“

„Und doch war’s Straf’ für mich, denn gerade so und net anders hat es mich getroff’n. Und gerade der Sicherheit hätt’s schad’n können, wenn ich’s net mit Ueberwindung ertrag’n hätte. Ich habe nie Jemand nix zu Leide gethan, Ihnen net und der Alwin’ erst recht net, und da ich sie mit dem wüst’n Balzer verhandeln seh

und sie geg’n ihn in Schutz nehmen will, muß ich mit ihm gleiche Streich’ erleid’n!“

„Wer hat Dir aufgetragen, sie in Schutz zu nehmen, Heiner? War ich nicht zugegen? Uebrigens muß ich Dir sagen, daß sie außer dem meinigen bald auch noch einen andern Schutz haben wird, einen Schutz, der einen Unterschied zu machen weiß zwischen einem reichen Vierspänner und ei­nem — ei­nem — und dem Erben eines Vogelstellers. Gute Nacht!“

Er schritt weiter.

Wie vom Blitz getroffen blieb Heiner stehen. Was hatten diese dunklen, diese harten Worte zu bedeuten? Seine Stirn schmerzte ihn auf einmal, und seine Schläfe klopften mit fühlbarer Stärke. So stand er lange, lange Zeit, das Herz wie todt und leer. Dann auf einmal stieg es aus demselben empor heiß und gewaltig, mit unwiderstehlicher, wunderbarer Macht, und es durchfluthete ihn eine Klarheit, die ihm den kleinsten Gedanken ebenso wie den größten Wunsch seines Lebens auf einmal mit untrüglicher Deutlichkeit erkennen ließ. Dann trieb es ihn fort, hinweg, hinaus aus dem Dorfe, hinaus in Feld und Hag, wo er mit sich und seinem Sinnen allein herumwanderte, bis er die Mitternacht vom Thurme schlagen hörte. Da kehrte er zurück.

Am Gasthofe, aus dessen geöffneten Saalfenstern noch immer Musik und jubelndes Stimmengewirr erschallte, ging er vorüber und stand erst still, als er am Zaune des Schulgartens stand. Kein einziges Fenster des Hauses war erleuchtet.

„Sie ist noch net daheim; ich wart’, bis sie kommt, und red’ dann mit ihr.“

Er trat durch die stets offene Gartenpforte und schritt der Tannenhecke zu, in welcher sich der Kantor, der ein Liebhaber von gärtnerischen Sonderbarkeiten war, vor einiger Zeit jene niedrige australische Laube gebaut hatte. Er kroch in dieselbe hinein und streckte sich auf der Moosbank aus. Seinen auf ihn einstürmenden Gedanken nachhängend, achtete er nicht auf den Stundenschlag, und es mochte eine ziemliche Zeit vergangen sein, als er endlich leise Schritte nahen hörte, die auf die Tannen zukamen und unter ihnen halten blieben.

Wer war es? Alwine nicht, denn ein halb unterdrücktes Räuspern ließ eine männliche Stimme erkennen.

Wieder verging eine kurze Zeit; da erklangen Mädchenstimmen von jenseits des Zaunes herüber.

„Gute Nacht!“

„Gute Nacht, Alwin’; sei froh, Du bist in Sicherheit!“

Es war die Kantorstochter, die mit einigen ihrer Freundinnen, um der Aufdringlichkeit der Jungburschen zu entgehen, wie gewöhnlich den Weg hinter dem Dorfe herauf eingeschlagen hatte. Sie trat in den Garten und mußte, um zur Hausthüre zu gelangen, an den Tannen vorüber. Als sie bei denselben anlangte, rief es ihren Namen.

„Herrgott, ist denn Wer da?“

„Ja, ich bins.“

Der Vorhergekommene trat aus dem Dunkel der Bäume hervor und auf sie zu.

„Der Teichhofbalzer! Was willst’ hier in unserm Gart’n?“

„Auf Dich wart’n, um mit Dir zu red’n.“

„Jetzt? Nach Mitternacht? Das thut kaan braver Bursch’. Geh heim und komm am Tage zum Vater, wenn Du mit uns zu sprech’n hast!“

„Mit Dir hab ich zu sprech’n, nur mit Dir, und Zeit und Ort ist hier gerade recht dazu.“

„So mach’s kurz; ich muß hinein! Was hast vorzubringen?“

„Daß ich’s net wieder so ruhig leid’ wie heut, wenn Du mit dem Heiner schamerirst und mich mit dem Korb ablauf’n läss’st.“

„Wirst’s wohl noch leiden müss’n, so oft als Du mich aufforderst. Ich tanz net mit Dir.“

„Aber mit dem Heiner?“

„Ja.“

„Warum mit ihm, he?“

„Weil er mir besser gefällt als Du. Er ist net rüd und wüst wie Du und zehnmal hüb — — —“

Sie hielt erschrocken inne, über sich selbst erröthend, obgleich sie nicht fühlte, daß sie mit dem halb aussprochenen Worte die ganze Oberfläche ihres Innern verrathen hatte.

„Hübscher, sag’s nur aus, zehnmal hübscher ist seine feine Larv’, als mein häßlichs Gesicht.

Aber nur schad’, daß ich net ganz und gar abscheulich seh und kaane Larv’ aan Bauerngut aufwiegt. Wirst also doch noch mit mir tanz’n.“

„Fällt mir net ein, net um die Welt!“

„Net um die Welt, aber um den Teichhof. Die Bäuerin wird dem Bauer net den Galopp versag’n.“

„Bist Du toll? Such Dir die Bäuerin, woher Du willst, mich

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aber bekommst nun und nimmermehr dazu! Der, welcher mich hab’n will, muß ordentlicher sein und feiner als Du. Merk’s und pack Dich nun von dannen!“

„Er muß sein feiner — — So wie der Heiner — — siehst’, daß ich auch Vers’ machen kann, fast gerade wie er? Aber zier’ Dich net umsonst! Ich hab’ bereits mit dem Kantor gesproch’n, und der hat gesagt, ich soll’ ihm nur den Freier schicken. Von dem Heiner ist dabei die Red’ auch gewes’n; er mag sich ja nix einbild’n, sonst giebts aan falsch Exempel!“

Das Mädchen stand wortlos da und wußte nicht, ob sie ihren Ohren trauen solle; dann aber trat sie auf ihn zu und rief ihm zornig in das Gesicht:

„Du lügst, Du Schelm! An so ’was denkt der Vater all sein Lebtag’ net.“

„Er braucht auch net mehr dran zu denk’n und zu grübeln; es ist schon fix und fertig gemacht. Er war schon am Freitag auf dem Teichhof, um sich die Gelegenheit zu betracht’n. Er wird als Schwäher meine Bücher leit’n, so daß ich freie Zeit behalt’ für die Lieb’ und für die Frau.“

Dem Mädchen entfuhr ein Laut der Bestürzung. Der Vater war wirklich auf dem Teichhof gewesen, das wußte sie, und nun wurden ihr auch die verschiedenen Andeutungen klar, die ihr seit vorgestern von ihm unverständlich gewesen waren.

„Nun, stimmt die Sach? Morg’n zum Kirmeßmontag schick ich den Freier, Alwin’, und auf das, was dann passirt, will ich mir jetzt den Abschlag nehmen!“

Er umfaßte sie, und versuchte, sie zu küssen. Da brannte ihm eine schallende Ohrfeige im Gesicht.

„Hier hast’ den Abschlag, der auch Zuschlag ist, Du zuwiderer Mensch! Glaubst etwa gar, Du bist der Goliath und ich hab Furcht vor Dir? Ich flieh auch net, sondern hier steh ich und geh net von der Stell’, bis Du von hinnen bist. Geh fort!“

„Alwin’, ich will — — —“

„Geh fort, sonst ruf ich um Hülf’!“

„Es fällt mir gar net ein, daß — — —“

„Zum letzt’n Mal, geh fort!“

Er wollte nach ihr langen; da raschelte es hinter ihm, er wurde ergriffen, in die Höhe gehoben und lag, ehe er nur an Vertheidigung denken konnte, draußen vor dem Zaune an der Erde. Dort raffte er sich empor und überlegte. Sollte er gehen oder zurückkehren? Wer hatte ihn über den Zaun herübergeworfen? Drüben war Alles still, und kein Geräusch ließ sich vernehmen. Er horchte noch einige Minuten, dann wandte er sich und schritt langsam das Dorf hinab.

Alwine war bei dem so unerwarteten Erscheinen eines Dritten überrascht, ja beinahe erschrocken gewesen. Dann aber hatte sie ihn erkannt.

„Heiner!“ flüsterte sie freudig, als er zu ihr zurückkehrte. „Wie kommst hierher?“

„Ich war schon eher da als Du, und stak hier in der Laub’. Seit dem Galopp bin ich aufgewes’n im Dorf, im Hain und auf dem Feld. Ich mußte wart’n bis Du kommst, damit ich mit Dir red’n könnt’.“

„So hast auch die Red’ des Balzer vernommen?“

„Von Anfang bis zu End’.“

„Was sagst dazu, Heiner?“

„Daß der Balzer net gelog’n hat.“

„Woher ist Dir dies bekannt?“

„Vom Vater; ich hab mit ihm gesproch’n, als er nach Haus’ ging. Hör, was er sagt’!“

Er erzählte ihr wortgetreu seine Unterhaltung mit dem Kantor. Sie hörte an dem Beben seiner Stimme, wie aufgeregt er war, und legte begütigend die kleine Hand auf seinen Arm.

„Laß Dich’s net anfecht’n, Heiner; es ist noch lange net so schlimm, als wie Du meinst. Dem Vater sticht der Teichhof in die Aug’n und dem Balzer mein Gesicht; mir aber ist der Hof net halb so viel werth wie das Gesicht. Willst wiss’n, warum?“

„Sag’s, Alwin’!“

„Weil’s vielleicht Jemand giebt, dem’s auch gefällt.“

Er schwieg. Er wußte nicht warum, aber die Worte des Mädchens fielen nicht warm und wohlthuend, sondern schmerzhaft brennend in sein Herz.

„Aber wenn morg’n der Freiersmann kommt?“ frug er endlich.

„So bin ich net daheim.“

„Ist’s wahr?“

„Gewiß!“

„Wenn er nun net das Dorf und die Straß’ herauf, sondern die Straß’ gerade herüberkäm’?“

„Von wem?“ frug sie, als ob sie ihn nicht verstehe.

„Von — von — vom Vogelsteller.“

„So blieb ich vielleicht zu Haus’.“

„Soll er kommen, Alwin’?“

„Wie kann ich dies sag’n, Heiner? Dazu fehlt noch gar viel.“

„Was denn?“ frug er, sie an sich ziehend und sich mit überquellender Zärtlichkeit zu ihr niederbeugend.

„Geh, frag doch net. Ich bin bös auf Dich!“

„Doch aber net im Ernst!“

„Ganz und gar im Ernst.“

„So sag, warum?“

„Weil — weil — weil Du so schön zu dicht’n verstehst und im Thun bist doch gar anders.“

„Willst net aan Beispiel sag’n?“

„Hast’ mir net ’mal aan Liebesgedicht machen müss’n?“

„Ja. Hast’ es gemerkt?“

„Nein. Doch sag den Anfang!“

Ohne sich zu besinnen rezitirte er:

„In Deiner Liebe ruht mein Leben,

Ruht meine ganze Seligkeit.

O, laß nach Deinem Glück mich streben

Und sei mein eigen allezeit!“

„Schau, Du hast es net so vergess’n, wie ich. Es war so schön, so lieb und warm, und da hab ich gedacht, daß — — —“

Sie stockte. Er aber küßte ihre schmollenden Lippen zum ersten Male und ergänzte dann lächelnd:

„Du hast Dir gedacht, wie schön es sein müßt’, wenn ich Dich ’mal ans Herz nehmen und zu Dir sprech’n werd’, gerade wie im Gedicht. Ist’s net so?“

„Ja,“ gestand sie.(Fortsetzung folgt.)

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Der Giftheiner.

Eine Erzählung aus dem ErzgebirgevonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Dann hast’ gewartet immer fort vergebens, denn ich bin so viel anders gewes’n. Und nun ich Dich im Arme halt’, ist’s auch net so, wie Du Dirs ausgemalt und gezeichnet hast. Hab ich Recht?“

„Ja.“

„Alwin’, das ist net meine Schuld. Die Wirklichkeit ist kaan Gedicht und kaan Idyll; sie ist hart und macht, daß oft aan einzig Wort, aan einz’ger Blick dem Laut, der aus der Tief’ heraufquillt, den sel’gen Klang nimmt, der ihm eigentlich gehört. Doch komm, leg Dein Köpfle so recht fest an mich und sag: Hast’ mich lieb, Alwin’?“

„Ja, und Du?“

„Ich Dich noch viel, viel mehr!“ klang es langsam aus der untersten Brust empor. „Ich kann Dir gar net sag’n, was Du mir bist; aber ich bitt ich gar inständig, sei immer brav und treu zu mir, sonst müßt’ ich schier vergehn vor Gram und Herzeleid!“

Sie antwortete nicht; aber ihre Lippen ruhten auf seinem Munde und gaben ihm Kuß um Kuß in süßem Wechsel zurück.

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Es war ihm, als besitze er ein Königreich, dessen Werth und Herrlichkeit er erst jetzt erkenne, und er wurde nicht müde, ihren reinen, würzigen Athem zu trinken, bis sie endlich abwehrend ihn ermahnte:

„Nimm Dich doch auch in Acht, Heiner, Du verknitterst mir ja mein Band, gerade das, was mir am Best’n steht!“

„O laß das Band, Alwin’; das kann man wieder glätt’n!“

„Nein, das Bügeleis’n nimmt ihm den Glanz und auch die Farb’. Gut’ Nacht, Heiner!“

„Gut’ Nacht, Alwin’!“

Nach einem raschen Händedrucke war sie verschwunden. Heiner blieb stehen, bis das leichte Geräusch ihrer Schritte im Flur verklungen war, dann schritt er seinem Häuschen zu.

„Was so aan Mad’l doch gar eig’n ist, ’mitt’n in solcher Wonn’ und solchem Glück noch an das Band zu denk’n! Aber so ist’s recht, und so muß es sein, denn das ist aan Zeich’n, daß sie ’mal brav zu wirthschaft’n verstehn und das Unsrige zusammenhalt’n wird. Gut’ Nacht Alwin’, schlaf wohl,“ flüsterte er noch und suchte dann die Ruhe, die heut viel langsamer als gewöhnlich kam. — — —

IV.

Als Vater Silbermann am andern Morgen aufstand und in die Stube trat, blieb er erstaunt stehen. Heinrich saß am Fenster und blickte hellen Auges hinüber nach dem Schulhause, wo die Kantorstochter sehr eifrig an den Fenstern zu schaffen hatte.

„Wa — wa — was ist mir denn das? Warum bist’ net drauß’n auf dem Fichtler? Waast’ net, daß aan Zeisig bestellt ist und zwaa Meis’n dazu?“

„Laß gut sein, Vater, ich hab heut andre Sach’n vor!“

„Andre Sach’n? Möcht doch bald wiss’n, was das für wicht’ge Dinge sind!

Es ist gestern ausgemacht, daß Du heut Morg’n gehst, weil ich gestern in der Früh gwes’n bin, und nun ich aus der Kammer komm’, sitzt der Bursch’ am Fenster, guckt den Himmel an und läßt Fink’ Fink’ und Meis’ Meise sein. Hätt ich gewußt, daß Dir der Tanz so in den Gliedern liegt, so hätt’ ich mich selber aufgekrappelt und wär hinaufgestieg’n, denn haben muß ich die Vög’l, das geht nun ’mal net anders.“

„Es muß schon anders gehen, und waast’ warum, Vater?“

„Warum? Darum, weil nun der Morgen beinah vorüber ist und — aber was ist mir denn das? Die gut’n Hos’n hat er an, die Sonntagswest’ dazu, und die Uhr mit der goldnen Kett’ baumelt auch schon aus der Tasch’! Was sind das für Allotria am Montag früh? Und dabei ist der Of’n noch kalt, kaan Feuer brennt und kaan Kaffeewasser ist angesetzt. Hätt’st doch wenigstens das gethan! Ja, seit die Mutter todt ist, Gott hab sie selig, geht Alles drunter und drüber, und wenn ich mich net selber um die Sach’ bekümmere, so hört’s am End’ ganz und gar noch auf. Nein, was mich der Fink und die Meis’n dauern! Bekommen hätt’n wir sie sicher, denn gerade heuer ist das Zeug ganz närrisch, sich fangen zu lass’n; nun aber sind die zwanzig Grosch’n, die mir gebot’n wurden, rein zum Kukuk!“

„Das hat ja All’s noch Zeit bis morg’n, Vater, da geh ich gewiß hinaus; heut jedoch kann ich net, denn da hab ich aan’n ganz andern Fang vor.“

„Aan’n andern? Was denn und wo denn, wenn man frag’n darf?“

„Mach Feuer; ich will derweil’ die Vögel füttern, und dann beim Kaffee sollst den Handel hör’n!“

Schweigend verfolgte jetzt Jeder sein Geschäft, aber sobald die Tassen gefüllt waren, frug der Vater:

„Nun? Was willst’ fangen heut’?“

„Für Dich ’was Lieb’s und Gut’s.“

„Heraus nur damit!“

„Aane Schwiegertochter.“

„Aane Schwie — schwie — schw — — Kerl, bist verrückt oder gar hinübergeschnappt?“ Er nahm ganz erschrocken die Tasse vom Munde und schüttete sich dabei vor Ueberraschung die Hälfte ihres Inhaltes auf die Beine. „Was soll denn die Schwiegertochter hier im Haus? Wozu brauchst’ denn schon die Frau, Du zwanzigjähr’ger Grünschnabel Du? Bist ja selbst noch gar net flügge!“

„Hast net selber vorhin erst gesagt, daß All’s drunter und drüber geht, seit die Mutter todt ist? Was giebts denn da für bess’re Hülf, als daß ich heirath’?“

„Ja, sag nur vorerst, was willst’ mit der Frau? Sie soll wohl gar koch’n, wasch’n, scheuern, auskehr’n, die Wäsch verbessern und so weiter, he?“

„Natürlich!“

„Natürlich? Na, schau ’mal an! Das ist ja Alles meine Sach’

und meine Arbeit, die von Rechts weg’n nur ganz allein mir zukommt! Was thu denn ich nachher, wenn die Frau da ist?“

„Du hast’ dann immer noch genug zu schaff’n. Ich geb mein Sparniß her und Du Deine; wir bauen das Häusle aus und vergrößern das Geschäft; nachher geht nix mehr drunter und drüber und wir hab’n unsre Ordnung in Allem, wo es noth und bequemlich ist.“

„Hm, das klingt ganz gut und wär’ recht schön; aber die Harmonie, der Vertrag mit dem Weibsvolk, ob der auch da sein würd’! Ich pfeif so, sie trillert anders und Du schlägst auch zuwider hinein, das könnt’ mir net behag’n.“

„Das hast net zu befürcht’n, Vater, denn die ich mein’, mit der bist immer gut verkommen.“

„So kenn’ ich sie? Wer ist’s?“

„Die Alwin’ drüb’n in der Schul’.“

„Die Al — al — wi — win’? — Himmeltausenddoria, Mensch, wie kommst’ auf die?“

„Das fragst’ mich, Vater? Auf welch’ Andre soll ich denn etwa kommen?“

„Auf welch’ Andre? Auf alle Andern, nur net auf die. Der steht die Nas’ gar hoch und dem Alt’n noch neunmal mehr; die mag Dich net.“

„Sie mag mich, Vater.“

„So? I, schau doch an! Wer hat Dir das denn weiß gemacht?“

„Sie selber hat mir’s gesagt.“

„Sie selber? Hör’, Heiner, Spaß bei Seit’, da hat sie Dich zum Narr’n gehabt.“

„Mich? Bin ich etwa Der, der sich von Jemand foppen läßt?“

„Bisher noch net; diesmal aber bist über’s Ohr gehauen.“

„Wie so?“

„Daß Du der Alwin’ gut bist, ist gar net zu verwundern, denn sie ist die Schönst’ im Dorf, das einz’ge Kind, und Ihr seid mit ’nander aufgewachs’n von Tag zu Tag, von Stund’ zu Stund’. Daß sie Dich leid’n mag, ist auch ganz in der Ordnung, denn Du bist aan hübscher Bursch’, wie das ja so im Blut liegt, ordentlich, fleißig, verträglich und hast so Manches gelernt, wovon aan Andrer net ’mal den Namen kennt. So weit also wär’ All’s in guter Ordnung. Aber weil Du zu jung bist und die Welt und Menschheit noch net kennst, siehst Du das Weitere net.“

Er nahm einen tüchtigen Schluck, stand auf, griff zur Pfeife und steckte den im Kopfe niedergestoßenen Tabak bedächtig in Brand.

„Da ist zunächst das Madel; die scheint Dir wie lauter Gold und Karfunkel; meine Aug’n aber sind älter als die Dein’gen, und darum kenn’ ich die Kantormamsell besser als Du. Sie ist ganz versess’n auf ihr zart Gesicht und also eitel und voll Gefallgernigkeit. Was thut das Gesicht und die schöne Stimm’, und wenn man noch so stolz d’rauf ist? Sie beid’ können weg sein wie der Wind. Und was das Schlimmst’ noch ist, sie hat kaan Herz, kaan Gemüth und ist deshalb voll Laune und Unverträglichkeit. Oder hast’ net schon als Kind beim Spiel immer nachgeben müss’n und giebst heut noch nach bei jedem Ding und jeder Angelegenheit? Und merk Dir das: aan junges Ding, das kaane Mutter kennt und sich net am Geschwister bild’n kann, bleibt Eigensinn und Goldkind all sein Lebtag’.“

Heiner schwieg; es lag in den Worten des Vaters eine Wahrheit und Lebenserfahrung, der er augenblicklich nichts zu entgegnen vermochte.

„Unter all den Bursch’n, die sie kennt, hat sie Dich am gernst’n; aber laß ihr erst ’was Fremd’s schaun, so ’was mit Flitterkram und Tändelwerk, dann fällt sie ab und Du bist nachher trotz aller Lieb und Treu, trotz aller Klugheit und Vorsicht der Betrog’ne und der Narr’.“

„Da laß mich nur sorg’n, Vater! Die Lieb ist stark und kann All’s.“

„Ja, die Lieb’ ist stark und kann All’s, sogar betrüg’n, fortlauf’n und abspenstig werd’n, und dageg’n vermagst Du net zu sorg’n und gar niemand net. Der Lug und Trug kommt über Nacht, ganz eh’ wir’s uns versehn, und dann ist’s geschehn, noch eh’ wir daran denk’n und es verhüt’n können. Wieg’ nur aan einzig Mal ihre Red’, wenn sie mit Dir spricht, und Du wirst sehn, sie ist zu leicht. Das Madel ist ja von leichtem Sinn und ohne inn’re Stütz’; sie fällt und bricht um, sobald der widre Wind geflog’n kommt.“

Heiner mußte an ihre gestrige Aeußerung: „Mir ist der Hof net halb so lieb wie mein Gesicht“ denken, ebenso an das zerknitterte Band. Sie hatte zum Balzer gesagt, daß ihr der Silberheiner lieber sei als er, weil dieser hübscher sei. Und warum hatte sie nicht einmal den Anfang jenes Gedichtes gemerkt, welches er auf ihre eigne Aufforderung hin hatte fertigen müssen. Eine Andre hätte es auswendig gelernt und es sich tausendmal im Stillen hergesagt. Und nun fiel es ihm auch jetzt erst auf, daß sie sich in den ungerechten -

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ungerechten Befehl des Vaters so leicht gefunden und den Verlust so schnell durch Andre ersetzt hatte, während ihm nicht einmal der Gedanke gekommen war, den Tanz mit Andern fortzusetzen. Er schwieg auch jetzt, obgleich er eifrig nach Gründen suchte, die zur Widerlegung geeignet sein könnten.

„Ich könnt’ noch viel sag’n, aber es ist mehr als g’nug,“ fuhr der Vater fort; „jetzt kommt nun auch der Kantor. Es ist wahr, wir sind gut’ Freund’ gewes’n so lang als ich ihn kenn’, und er hat gar groß’n Dank mit Dir erworb’n. Doch was er that, ist auch net stets umsonst geschehn. Du bist ihm beigesprungen zu aller Zeit; gar mancher Dienst ist ihm von uns geschehn, und in seiner Vogelstub’ und in seinem Taubenschlag steckt viel, was ich ihm geschenkt oder um den halben Preis abgetret’n hab. Er ist trotz seiner Freundlichkeit zu Dir der rechte Eigennutz und thut nur Gut’s, um seine Ausbeut’ d’ran zu hab’n. Freundschaft ohne Nutzsinn hab nur ich gehalt’n, und wenn ich mit ihm rechnen wollt’, so könnt’st Du sehn, daß ich die Quittung hab. Sobald er merkt, wie’s mit Euch steht, ist’s aus mit der Nachbarschaft, d’rauf kannst’

Dich nur verlass’n. Dem steht die Nas’ weiter, als bis nur zu uns herüber; sein Sinn geht nur nach Ruhm in der Musik und dann nach Geld und Gut. Hätt’st’ von diesem genug, so könnt’st anfrag’n, so aber net. Wenn aan reicher Bauerssohn, der mit der Chais’ oder dem Amorikeng im Land herumkutschirt, den Freier schickt, der ist willkommen, den armen Vogelhändler aber schickt et fort. Ich glaub beinah’, daß sogar so aan Büdrian, wie der Teichhofbalzer, den Vorzug bekäm’ nur deshalb, weil er Vermög’n hat. Wenigstens hab ich am Freitag den Kantor nach dem Teichhof gehen sehn, was gewiß net ohne Grund geschehen ist.“

„Der Balzer soll die Alwin’ heirath’n und der Kantor will ihnen die Bücher führ’n,“ stieß Heinrich erbittert hervor.

„Siehst’, daß ich Recht behalt’? Teichhofbäu’rin also soll sie werd’n, und der Alte will die Bücher schreib’n, damit sie dem Balzer die Stange halt’n! Laß sie fahr’n; Du verlierst nix dabei, wirst sehen, net das Mindest’, net so viel als man vom Nagel herunterschabt!“

„Aber sie will den Balzer net.“

„Mag sein. Doch gieb sie ihm nur immer hin, dann hast’ jetzt weder Zank noch Aerger und später weder Gram noch Täuschung!“

„Ich kann net, Vater; ich hab’ sie zu innig lieb und sie mich auch. Ich lauf lieber in die weite Welt und komm nimmer wieder, als daß ich hier zuseh, daß aan Andrer sie bekommt.“

„So lauf, Du Tausendsapperlot, wenn Dir der alte Vater nix mehr gilt! Bekommen wirst’ sie doch auf keinen Fall, so viel ist sicher und gewiß.“

„Das mit dem Lauf’n war nur so die Red’, Vater, aber eh’ ich ’was verloren geb’, muß ich doch erst auch wiss’n, daß es wirklich verloren ist!“

„Ich sag Dir’s ja deutlich genug!“

„Du sagst mir Deine Meinung, doch zwischen Meinung und Scherheit ist aan gewalt’ger Unterschied. Wenn er sie mir net giebt und sie mich net mag, dann tret’ ich zurück, denn dann erst ist’s erwies’n, daß Du Recht hast.“

„So versuch’s und schick den Freiersmann hinüber!“

„Willst gehn, Vater?“

„Ich? Bist wohl net recht bei Trost! Mich bringst’ net mit zehn Pferd’n hinüber.“

„Wirst aber dennoch gehn!“ lächelte Heiner, der den Vater kannte.

„Warum, so frag’ ich Dich?“

„Weil Du der Vater bist, und wenn aan Andrer kommt, so lacht Dich der Kantor aus und sagt, Du hast Angst vor ihm.“

„Angst — ich — vor ihm? Fällt mir gar net ein! Wenn er das denkt, so geh’ ich gleich jetzt auf der Stell’ hinüber und nehm’s mit ihm auf. Ich bin aan ehrlicher Mann, hab niemand nix gethan und brauch mich also auch vor niemand net zu fürcht’n, und wenn’s der Papst oder gar der gestreng’ Herr Amtmann wär.“

„Also gehst’?“

„Ja; ich will ihm zeig’n, daß ich das Herz gerade da hab’, wo’s hingewachs’n ist. Es ist aan verlor’ner Gang, dies waaß ich sicher und gewiß, aber ich werd’ ihn thun um Deinetwill’n. Gift und Operment wird’s geb’n, so wie die Sach’ einmal gestellt ist, und je eher man’s schluckt, desto eher ist’s verdruckt. Dann wirst’ auch wieder den Verstand bekommen.“

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„Und wenn willst’ gehn? Der Balzer schickt den Freiersmann auf den Nachmittag.“

„So geh ich gleich nach Tisch’, damit ich eher komm’. Gleich jetzt werd’ ich mir den Sonntagsstaat ausputzen und — und — aber wie steht’s mit dem Strauß und dem Geschenk? Brauch ist Brauch; der muß gehalten werd’n.“

„Für den Strauß werd’ ich schon sorg’n, und das Ge­schenk? — Der Kantor hat sich schon längst aan Paar Schmalkaldener gewünscht, mit schwarzem Schwanz und schwarzer Brust, den Leib aber und die Halskraus’ weiß. Was sagst dazu?“

„Hm, der alte Taub’nfried braucht sich auch net gleich das Best’ und Theuerste zu wünsch’n! Mich selber kost’t das Paar neun blanke Thaler. Ich werd’ ihm lieber aan Paar Rothflügel geb’n; die sind vollplattig, mit rothem Fuß und Sporn und fast so selt’n wie die andern auch.“

„Sie kost’n auch acht Thaler, Vater, und wenn er sich die Schmalkaldener gewünscht hat, so wird’s wohl auf den Thaler net ankommen.“

„Meinetweg’n denn! Aber putz sie schön und gieb ihnen frisches Wasser, damit sie zuvor bad’n können.“

Somit war der schwere Entschluß gefaßt, und nach dem Mittagsessen schritt Silbermann, sonntäglich gekleidet, einen gewaltigen Strauß im Knopfloch und die Tauben in der Hand, über die Straße hinüber und trat in das Schulhaus.

Droben vor der Thür kam ihm Alwine tief erglühend entgegen. Sie hatte ihn kommen sehen und das Zimmer verlassen, um nicht Zeugin der gefürchteten Unterredung zu sein. Die liebliche Erscheinung des Mädchens verfehlte nicht, ihren mildernden Eindruck auf den alten Vogelhändler zu machen. Er nahm den Strauß von der Brust und gab ihr ihn.

„Hier hast das Bouquet, Alwin’; der Heiner hat’s gepflückt! Er schickt mich herbei, weshalb, das wirst’ wohl wiss’n. Gott geb’ sein Glück dazu!“

Dann trat er nach vorherigem Klopfen ein. Der Kantor empfing ihn mit verwundertem Gesicht.

„Was ist denn los bei Euch, Silbermann, daß Ihr des Mittags schon im Staate steckt?“

„Das sollt Ihr gleich erfahr’n, Herr Kantor, nur nehmt mir erst die Taub’n ab. Der Heiner sagt’, Ihr hättet Euch die Schmalkaldener gewünscht.“

„Zeigt her!“ Er war ein passionirter Taubenliebhaber und griff mit sichtlicher Begierde zu. „Wahrhaftig, ein Paar Schmalkaldener! Verkauft Ihr sie? Wie ist der Preis?“

„Nehmt sie geschenkt, wenn’s Euch recht ist!“

„Geschenkt — wie käme ich dazu? Ein Paar billige, wie es schon oft geschehen ist, ja; aber so eine theure Waare verschenkt man nicht, ohne daß man eine Absicht hat. Soll ich Euch vielleicht einen Gefallen thun, Nachbar?“

„Gefallen — hm, wie mann’s nimmt! Ich komm’ nämlich von weg’n Eurer Alwin’ und dem Hei­ner — —“

„Ach so — so — so — —!“ fiel schnell der Kantor ein. „Da nehmt einmal die Tauben wieder in die Hand. Wir wollen nachher sehen, ob ein solches Geschenk nicht über Eure Kräfte geht. Ich habe Gott sei Dank so viel, daß ich mir ein Paar kaufen kann, und Euch könnte das Geld ja später fehlen, Nachbar. In dieser Beziehung sind wir leider sehr ungleich gestellt.“

„Ja, das ist wahr, Herr Kantor; aber das Geld zählt net allein. Es giebt aan Vermög’n, das net nach dem Thaler gemessen werd’n kann, und daran sind wir Beid’, der Heiner und ich, net arm. Der Aane hat’s auf diese Weis’, und der Andre auf jene, und wenn sie nachher gut zusammengreif’n, so fehlt’s auch nimmermehr am rechten Seg’n. Der Heiner zum Beispiel und die Alwin’, die sind immer beisammen gewes’n und — — —“

„Und werden nicht immer beisammen bleiben,“ fiel ihm der Kantor in die Rede. „Ich errathe jetzt, weshalb Ihr kommt, Silbermann; aber macht Euch keine vergebliche Mühe. Meine Tochter ist schon so gut wie versprochen, und ich erwarte noch heut den Freiersmann.“

„Ich hab’s gehört; der Balzer wird ihn schick’n. Aber die Alwin’ mag nix von ihm wiss’n, und, nehmt mir’s net übel, Herr Kantor, ich mein, der Balzer ist kaan Mann für Eure Tochter.“

„Ob das Mädchen will oder nicht, das zählt wenig oder nichts in dieser Angelegenheit; ich bin Vater und werde für das Glück meines Kindes in der Weise sorgen, wie es mir mein Gewissen vorschreibt, auch dann, wenn sie sich dagegen sträubt. Und den Mann für sie werde ich wählen, ohne Euch oder Andere um ihre Meinung zu befragen, wie das sich ja von selbst versteht.“

„Ich bin auch gar net gekommen, Herr Kantor, um Euch gut’n Rath zu ertheil’n; aber die Gewalt des Vaters hat auch ihr End’,

wo sie aufhört, und was könnt Ihr thun, wenn das Madel durchaus net will und sich Euch widersetzt?“

„Das wird sie nicht. Und wenn sie es thät, aus ihr und dem Heiner wird nie ein Paar; er mag nach Seinesgleichen greifen. Ich hab es gewußt, daß Undank der Welt Lohn ist. Meine Barmherzigkeit hat ihn hochmüthig gemacht; aber ich werde dafür zu sorgen wissen, daß er mir nicht in meinen häuslichen Frieden bricht.“

„Undank? Der Heiner? Herr Kantor, wenn mein Junge undankbar ist, so giebts weder Lieb’ noch Dankbarkeit mehr in der Welt. Thut was Ihr wollt’ aber den Heiner greift mir net an! Er ist mir grad so viel und auch noch mehr werth als Euch die Alwin’, die Euch net sehr ans Herz gewachs’n sein kann, da Ihr sie zum Balzer zwingen wollt; und wenn er Euch ’was schuldet, so bitt’ ich um die Rechnung; wir werd’n zahlen, damit kaan Vorwurf weiter folgen kann!“

„Oho, Ihr sprecht ja heut in einem recht vornehmen Tone! Habt Ihr ihn etwa von Euren Gimpeln gelernt? Aber ich habe wirklich keine Lust, mich um Eures Burschen willen zu zanken. Nehmt Eure Tauben wieder mit und sagt ihm, er wär mir für die Alwine zu gering; sie ist zu gut für einen Vogelsteller; das konntet Ihr Euch denken!“(Fortsetzung folgt.)

71745.

Der Giftheiner.

Eine Erzählung aus dem ErzgebirgevonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Nein, das konnt’ ich mir net denk’n, vielmehr hab’ ich grad das Gegentheil gedacht, nämlich, daß der Heiner zu gut für Euer Madel ist; darum hab’ ich ihm gute Wort’ gegeben und ihm abgeredet, und grad weil er mir werther ist, als Euch die Alwin’, bin ich dennoch auf seine Bitt’ herbei gekommen, um ihm seinen Will’n zu thun, obgleich mir jede Andre lieber ist und ich auch gewußt hab’, daß Euch die Sach’ zuwider ist; denn der Hochmuth ist net dem Heiner sein Fehler, sondern der Eure. Aber er kommt zum Fall, und dann wird der „Vogelsteller“ net mehr niedriger sein als Ihr, zumal Ihr selber auch schon jetzt die ganze Stub’ voll Käfig’ hangen habt!“

Die Beleidigung seines Sohnes hatte den guten Silbermann so in Harnisch gebracht, daß ihm die Strafrede mit ungewöhnlicher Geläufigkeit von den Lippen floß. Der Kantor hörte ihn, staunend ob solcher Kühnheit des sonst so nachgiebigen Mannes, bis zu Ende. Dann aber brach er los:

„Fort, sage ich, fort, hinaus aus dem Zimmer! Und kommt mir ja nicht wieder in das Haus, sonst seid Ihr wieder draußen ehe Ihr es Euch verseht. Und wenn ich Euren Buben noch einmal bei meiner Tochter sehe, so lasse ich ihn sofort arretiren. Euch Gimpelpack muß man zeigen, wohin es gehört!“

„Gut, Herr Kantor, ich geh; aber in das Haus muß ich doch wiederkommen, und das werdet Ihr Euch fein hübsch gefallen lass’n. Ich bin beim Ortsvorstand’ und waaß recht gut, wem dies Haus gehört, Euch oder der Gemeind! Und wenn wir Sitzung hab’n, so bin ich auch mit hier in der Sammelstub, ohne daß Ihr drein zu red’n habt. Eure Tochter aber, wenn ich die ’mal bei dem Heiner seh, die laß ich net arretiren, denn dazu hab’ ich net das mindest’ Recht, sondern ich werd’ denk’n, daß sie bei ihm besser aufgehob’n ist als beim Vater, der sie verschachern will. Das „Gimpelpack“ nehm ich mit Dank von Euch an, obgleich es net nach Bildung klingt; aber niemand kann ’was geb’n, was er net hat. Lebt wohl, Herr Kantor!“

Er ging. Der Schulmann machte eine Bewegung, als wolle er sich ihm nachstürzen, doch beherrschte er sich noch und suchte sich durch einen Gang durch das Zimmer abzukühlen. Dies aber schien ihm nicht zu gelingen, den nach einiger Zeit erscholl mit hörbar aufgeregter Stimme der Ruf:

„Alwine.“

Das Mädchen trat herein. Sie war zum Ausgehen angekleidet.

„Wohin willst Du?“

Sie nannte eine Freundin, zu der sie geladen sei.

„Du bleibst zu Hause und sorgst für gute Bewirthung. Wir bekommen Besuch.“

„Wer ist’s, Vater?“

„Wen er schicken wird, das weiß ich noch nicht, aber es ist ein Bote des Teichhofbauers.“

„Und für den soll ich zurichten?“

„Ja, er kommt Deinetwegen.“

„Dann mag er immer bleiben. Ich weiß, was er will.“

„Wer hat es Dir gesagt?“

„Der Balzer selbst, der mich gestern Abend noch im Garten angefallen hat.“

71845.

„Nun, so brauch ich es nicht zu sagen. Ich werde ihm mein Jawort geben.“

„Thu das nicht, Vater!“

„Warum nicht?“

„Ich kann den Balzer nicht leiden.“

„Dem Heiner wegen, nicht wahr? Dem habe ich sagen lassen, daß er arretirt wird, wenn er sich noch einmal mit Dir sehen läßt; richte Dich darnach! Was den Balzer betrifft, so hat er seine Fehler, aber er wird sie ablegen, wenn die Frau es klug anfängt. Du nimmst ihn, und die Liebe kommt dann schon von selbst.“

„Vater, ich mag ihn nicht.“

„Schweig! Ich bin nicht in der Stimmung, große Reden und Erklärungen zu halten. Geh in die Küche und bring dann eine Flasche Wein mit herein!“

„Laß Dich bitten, Vater! Es ist ganz unmöglich, daß — — —“

„Gehst Du oder nicht!“

Er trat mit einer so drohenden Miene auf sie zu, daß sie sofort den Ausgang suchte.

Als nach einiger Zeit der Freiersmann kam, fand er den Kantor äußerlich ruhig und heiter. Es war ein Pathe des Teichhofbauers; er hatte sich festlich herausstaffirt und schien sich in einiger Verlegenheit zu befinden, dem Kantor gegenüber eine Rede halten zu müssen. Dieser empfing ihn in der leutseligsten Weise, nöthigte ihn zum Sitz und flößte ihm im Laufe der begonnenen Unterhaltung den nöthigen Muth ein. Endlich begann die erwartete Ansprache, die dann auch mit sichtlicher Anstrengung zu Ende gebracht wurde. Mehr des Herkommens wegen zögerte der Kantor mit der beabsichtigten Zusage.

„Ich muß doch wohl erst das Mädchen selber fragen, Nachbar. Sie wird gleich kommen!“

Er öffnete die Thür und rief ihren Namen. Es erfolgte keine Antwort. Nach einem zweiten und dritten ebenso vergeblichen Rufen ging er selbst zur Küche; er fand sie leer. Schon wollte er dem mühsam niedergerungenen und nun sich doppelt stark aufbäumenden Zorne in heftigen Worten Ausdruck geben, da vernahm er noch zur rechten Zeit Schritte, welche die Treppe heraufkamen. Es war der Pfarrer, welcher auf das ihm entgegengebrachte Willkommen mit ernstem Gruße nach dem Zimmer schritt. Als er den Gast bemerkte, nahm er das Wort:

„Dieser Mann ist im Auftrage des Teichbauern hier, Herr Kantor?“

„Ja.“

„Lassen Sie ihn für jetzt nach Hause gehen! Ich habe in einer Angelegenheit mit Ihnen zu sprechen, welche keinen Aufschub duldet.“

Der Bauer erhob sich bei diesen Worten und verabschiedete sich, gar nicht zufrieden damit, daß sein Auftrag die erwartete Erledigung nicht finden sollte. Da der Teichhof eine Strecke außerhalb des Dorfes lag, so schlug er einen Weg ein, welcher unweit des Schulhauses in das Freie führte. Er mußte hier an einem Feldstücke vorüber, welches Silbermann gehörte. Mitten auf demselben stand Heiner, auf die Hacke gestützt, und an seiner Seite Alwine. Der junge Mann lächelte, als er den Nahenden erblickte, und das Mädchen sah ihm mit trotziger Miene entgegen.

„Grüß Gott, Silberheiner! Was hast’ zur Kirmeß auf dem Acker zu schaffen?“

„Grüß Gott! Net viel von Bedeutung; aber es giebt so Dieses oder Jenes, was selbst dem Stillsten ’mal in die Glieder fährt, und das wollt’ ich mir herausarbeit’n.“

„Das machst’ recht! Es entsteht sonst allerlei schwerfällig’ Zeug daraus, welches nachher kaan Doktor und kaan Chirurgius wieder fortbringt. Grüß auch Dich, Alwin’! Hab’ Dich gesucht.“

„Aber net gefund’n!“

„Nein. Drum kannst’ mir gleich die Antwort geb’n auf Das, was ich dem Vater zu sagen hatt’.“

„Hat er net selber die Antwort ertheilt?“

„Nein, der Pfarrer kam dazwisch’n.“

„So sollt Ihr sie hör’n!“

„Waaßt’ denn, um was sich’s handelt?“

„Doch um mich und den Balzer!“

„Allzeit um nix andres.“

„So sagt ihm, daß ich ihn net mag, und weil der Vater mich zwingen will, so bin ich zum Herrn Pfarrer gegangen und hab ihn gebet’n, sich meiner anzunehmen. Das hat er mir zugesagt, und darum ist er zum Vater gegangen.“

„Was ich da hör’! Also Du magst ihn wirklich net?“

„Nein, jetzt net und niemals net. Wer’s mit der Kart’ und mit der Flint’ hält und dabei noch so ungeleckt und zudringlich ist, mit dem hab’ ich nix zu thun.“

„Soll ich ihm das wirklich sag’n?“

„Wort für Wort, eher mehr noch als weniger!“

„Das wird die schönste Supp’, die ich aufess’n muß. Ich glaub, er fährt mir mit den Fäust’n ins Gesicht!“

Der alte Mann sah rathlos zu Heiner hinüber, als wolle er diesen um Hülfe bitten.

„Ihr braucht Euch net zu fürcht’n,“ lachte der junge Mann, „denn mit diesen Fäust’n ist’s net weit her. Sagt ihm auch noch von mir, daß ich gern wiss’n möcht’, wie ihm der Zaunschwung heut’ Nacht bekommen ist.“

„Das versteh’ wer will, aber ich net!“

„Und daß Ihr uns Beid’ hier getroff’n habt, das braucht Ihr ihm net grad zu verschweig’n. Er wird sich drüber freun.“

„Hör ’mal, Heiner, jetzt fang’ ich beinah’ an, zu wiss’n, wo ich bin. Na, Glück zu meinetweg’n, und ausricht’n werd’ ich jede Silb’, die Ihr mir aufgetrag’n habt. Adjes!“(Fortsetzung folgt.)

73146.

Der Giftheiner.

Eine Erzählung aus dem ErzgebirgevonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Er nahm seinen Weg wieder auf. Er traf den Balzer im Garten des Teichhofes, wo er bei der brennenden Pfeife an das sicherlich günstige Resultat der heutigen Werbung dachte. Als er den Boten erblickte, sprang er auf; fast wäre ihm dabei die Pfeife entfallen.

„Schon wieder da? Ihr seid ja kaum erst fort! Was hat das zu bedeut’n?“

„Das hat zu bedeut’n, daß nix aus der Sach’ werden wird.“

Er stattete getreuen Bericht ab und verschwieg kein Wort von den Aufträgen Heiners und Alwinens. Die Stirnadern Balzers schwollen von Satz zu Satz immer stärker an, und als der Berichterstatter geendet hatte, warf er die Pfeife mit einem wilden Fluche zu Boden.

„Also ohne Antwort kommt Ihr nach Haus’, und Schimpferei bringt Ihr mit dazu? Aber so ist’s, wenn man den Nixnutz schickt; hätt ich den Ochs oder das Kalb gesandt, so hätt ich Antwort erhalt’n, so aber ist — — —“

„Gut, Balzer, schick den Ochs und das Kalb, mich aber bekommst’ niemals net wieder!“ unterbrach ihn der Freiersmann, drehte sich um und verließ mit möglichst eiligen Schritten den Garten.

Der Wüthende aber rannte in demselben umher wie ein losgerissener Stier und bemerkte dabei, über den Zaun blickend, den Silberheiner mit dem Mädchen, welche noch immer auf dem Felde standen. Beide Fäuste ballend, knirschte er:

„Dort stehn sie mit’nander und lach’n mich aus! Also er ist’s gewes’n, dem ich den Wurf zu verdank’n hab; er hat auf sie geharrt und Alles gehört. Aber ich werd’s ihm vergelt’n, bald, so bald wie möglich. Wie hat sie gesagt? Er ist ihr lieber als ich, weil er hübscher ist. Nimm Dein Gesicht in Acht, Vogelheiner, sonst

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kommt’s so weit, daß sie davor erschrickt. Der Balzer waaß sich zu helf’n, und mit ihm hast’s nun zu thun! — — —“

V.

Die schwere Zeit nach der Kirchweih war vergangen, Weihnachten war vorüber und auch die Osterglocken hatten ausgeklungen. Der Pfarrer hatte es damals durch seine Vermittelung so weit gebracht, daß der Kantor das Projekt verschoben hatte; aber nach sechs Monaten sollte die Verlobung und nach vollendetem Trauerjahr des Teichhofbauers die Hochzeit gefeiert werden.

Der Letztere war ein fast täglicher Gast des Schulhauses geworden, wobei ihm Alwine so sorgfältig aus dem Wege ging, daß von einer Annäherung nicht die Rede sein konnte. Auch von einem Einflusse des Kantors auf den Wandel seines beabsichtigten Schwiegersohns war wenig oder nichts zu bemerken; der Teichbauer hieß der Kartenbalzer nach wie vor und machte diesem Namen keine Schande. Der Förster und noch Andere wußten von ihm zu erzählen, und es war wirklich zu verwundern, daß der Kantor so fest an dem einmal gefaßten Plane hielt. Nur seinem starren Kopf, der von keinem Weichen wußte, war dies zuzuschreiben.

Dabei aber kannte das ganze Dorf die Liebe zwischen Heiner und Alwine, und so sehr die letztere unter der strengsten Aufsicht ihres Vaters stand, man erzählte sich doch, daß die Beiden sich täglich träfen und sprächen, obgleich kein Mensch sie bei einem solchen Stelldichein getroffen und überrascht hatte. Zum Tanz durfte das Mädchen gar nicht mehr gehen; dafür mußte sie fleißig an ihrer Ausstattung arbeiten, obgleich sie dabei verblieb, den Balzer auf keinen Fall zu nehmen und selbst am Altare noch nein zu sagen.

Heiner war schon längst nicht mehr Mitglied der Sängerschule, und man konnte nicht sagen, ob er vom Kantor ausgestoßen worden oder selbst ausgetreten sei. Seine Lieder hatten stets einen bedeutenden Theil des Repertoirs ausgemacht und waren auf den Sängerzügen in alle Welt hinausgetragen worden; jetzt hörte man keines derselben mehr während der Unterrichtsstunden; doch ließ sich hier und da verlauten, daß der Kantor jedes neue zu kennen trachte und im Stillen musikalisch bearbeite. Die Gedichte des Vogelstellers waren stärker als der Haß des Musikmeisters.

Das letzte Weihnachtsfest war auch das erste gewesen, an welchem die Aufführung von Silberheiners Weihnachtskantate ausgefallen war, die stets nicht nur Ehre und Ruhm, sondern auch einen reichlichen Ertrag für die Sängerkasse gebracht hatte.

So war also Ostern schon vergangen, und da der noch auf den Fluren lastende Schnee die Feldarbeit verhinderte, so hatte man eine wandernde Schauspielertruppe, welche eine Reihe von Vorstellungen im Dorfe zu geben beabsichtigte, mit Freuden willkommen geheißen. Der Direktor derselben wohnte mit seiner Familie beim Kantor, welcher mit seiner Tochter an jedem Adende im Theater zu sehen war. Alwine hatte noch niemals einer Vorstellung beigewohnt; sie fühlte sich von dem Eindrucke derselben vollständig bezaubert, und das Entzücken, welches dieser Genuß ihr bereitete, dehnte seinen Einfluß nicht nur über ihr Wachen, sondern sogar über ihre Träume aus. Es erschloß sich ihr hier eine Welt voll Glanz und Flimmer, voll Schein und Täuschung, deren Gestalten aber die Bewunderung und den Applaus der biedern Dörfler ernteten. Sie fühlte sich von ihr angezogen, in sie hineingerissen wie in einen Strudel, der den unvorsichtigen Schwimmer schon von weitem packt, desto stärker und unwiderstehlicher wird, je näher man ihm kommt, und endlich mit seinen Wassern Alles verschlingt und überbraust, was er einmal ergriffen hat.

Sie war bald mehr in der Stube der Direktorin, als in ihrer eignen Wohnung, half mit Eifer bei der Herstellung oder Zurichtung all der werthlosen Requisiten, welche nur auf Lampenlicht berechnet sind, und vertiefte sich mit einer wahren Leidenschaft in die Lektüre der vorhandenen Bücher und Manuskripte, welche meist von andern Bühnen ausgemerzte Ritter-, Räuber-, Klosterstücke oder anderes untaugliches oder gar schädliches Zeug enthielten, voll von einem Leben, welchem nichts so fremd ist als die Wirklichkeit.

Als die männlichen Mitglieder der Truppe bemerken, welcher Gast bei der Direktion verkehrte, stellten sie sich weit öfter ein, als es in geschäftlicher Beziehung geboten war, und bald bildete das schöne Mädchen den Mittelpunkt eines Kreises, der ihr in der auffälligen und volltönenden Weise dieser Art von Künstlern den Hof machte. Sie wurde förmlich berauscht und konnte auf einmal nicht begreifen, daß sie sich von ihren bisherigen Verhältnissen befriedigt gefühlt hatte.

Eines Abends ließ sich kurz vor Beginn der Vorstellung die erste Liebhaberin als plötzlich unwohl melden. Sie hatte zwei

Lieder zu singen, welche so eng mit dem Stücke zusammenhingen, daß sie unmöglich gestrichen werden konnten. Der Direktor sah sich in eine Verlegenheit versetzt, für die ihm Alwine als Rettungsengel erschien. Sie war bei der Meldung zugegen, und als sie hörte, daß keine von den andern Damen die nöthige Stimme habe, meinte sie:

„Geht es nicht, daß die Lieder hinter der Scene gesungen werden?“

„Das geht allerdings; die betreffende Darstellerin müßte dann den Gesang mimisch vingiren, so daß die Zuhörer getäuscht werden. Aber auch für diesen Fall habe ich keine geeignete Kraft.“

„Der Vater geht heut nicht in das Theater, und wenn niemand etwas davon erfährt, so will ich den Vortrag übernehmen.“

„Sie? Sie singen?“ frug der Direktor rasch.

„Ja,“ antwortete sie mit erkennbarem Selbstbewußtsein.

„Aber Sie kennen die Einlagen wohl kaum!“

„Das thut nichts; ich singe sie prima vista.

Das war ein Kunstausdruck, den der gute Mann kaum selbst einmal gehört hatte und der ihn mit Respekt erfüllte. Er kramte in allerlei Schriften herum und brachte endlich einige Notenblätter zum Vorschein.

„Hier sind die Stimmen. Wollen Sie einen Blick darauf werfen?“

Sie that es und lächelte siegesgewiß.

„Hören Sie einmal!“

Sie begann zu singen. Der Direktor horchte überrascht auf, als er diese glockenreinen, festen und doch so einschmeichelnden Töne vernahm. Solch eine Stimme hatte er noch niemals gehört, und von Vers zu Vers wuchs seine Bewunderung. Als das Mädchen endete, schlug er enthusiastisch die Hände zusammen.

„Fräulein, Sie haben ein Fürstenthum, ein Königreich in Ihrer Kehle, und es ist wahrhaft jammerschade, daß diese seltene Gabe hier in diesem Erdenwinkel verkümmern soll. Widmen Sie sich der Kunst, und ich stehe Ihnen dafür, daß Sie Gold und Pretiosen die Hülle und Fülle haben und Grafen, Generale und Minister zu Ihren Füßen sehen werden! Wollen Sie den Vortrag übernehmen?“

„Ja,“ antwortete sie leise. Es schwindelte ihr.

„So werde ich dafür sorgen, daß niemand etwas merkt. Sie gehen zeitig in die Vorstellung und zwar gleich hinter die Coulissen, die Sie erst wieder verlassen, wenn das Publikum sich vollständig entfernt hat.“

So geschah es. Die Darstellerin gestikulierte so gut, daß die guten Bauern wirklich meinten, der Gesang sei ein Produkt ihrer Kehle. Auch Heiner befand sich unter ihnen. Er war der Einzige, welcher nicht in den stürmischen Applaus einfiel, vielmehr hatte sich seine Miene von Strophe zu Strophe verfinstert.

„Hast’s gehört, Heiner?“ frug sein Vater, welcher neben ihm saß. „Die hat aane Stimm’ grad wie die Alwin’, die sich schön wundern thät, wenn sie heut zugeg’n wär.“

„Sie ist zugeg’n, aber wundern thut sie sich net.“

„Zugeg’n? Ich seh doch nix von ihr!“

„Aber gehört hast’ sie. Sie steckt hinter der Scen’ und hat das Lied gesungen.“

„Wa—wa—was? Die Alwin’? Ich denk’, die Spielerin ist’s gewes’n. Sie hat doch den Mund auf- und zugeklappt und grad so gethan als ob sie singt.“

„Sie hat vielleicht kaane Stimm’, und da ist die Alwin’ für sie eingetret’n.“

„Wenn das wahr ist, so hört nun All’s und Verschiedenes auf! Läßt sich das Madel vom Kukuk verblend’n und singt gar schon im Theater. Die kann’s noch weit bringen in der Welt. Heiner, Heiner! Und Du vertrittst ihr immer noch die Brück’!“

Heiner antwortete nicht. Er sprach überhaupt kein Wort mehr, ging nach der Vorstellung schweigsam nach Hause und stieg ebenso schweigsam hinauf in seine Kammer. Dort setzte er, statt zur Ruhe zu gehen, sich an den kleinen Tisch und starrte, in trübe Ahnungen und Gedanken versunken, vor sich hin. Dann tauchte er die Feder ein, und Zeile um Zeile floß es auf das Papier:

„O gräme nie ein Menschenherz,

Das Dein in treuer Liebe denkt;

Du hebst wohl nimmermehr den Schmerz,

Der sich in seine Tiefen senkt!

O mach, daß keine Thränenfluth

Um Deinetwillen sich ergießt,

Die Thräne ist des Herzens Blut,

Mit dem das Leben auch entfließt.

Drum sorge, daß kein Herzeleid

Du jemals hier verschulden magst,

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Es kommt die Stund, es kommt die Zeit,

Wo Du die schwere Schuld beklagst!“

Er steckte die Verse zu sich, und als er vernahm, daß der Vater sich schlafen legte, blies er das Licht aus und stieg leise und vorsichtig die Treppe wieder hinab. Die Hausthür unhörbar öffnend und wieder verschließend, blickte er sich um, ob er unbeobachtet sei; dann huschte er über die Straße hinüber in den Schulgarten, wo er in der Laube Platz nahm.

Gerade als er über die Straße schlüpfte, kam eine andre Gestalt langs des Zaunes herbeigeschlichen und duckte sich bei seinem Anblicke schnell in das Dunkel der Umfassung nieder. Es war Balzer.

„Das ist der Heiner,“ flüsterte er, „der in den Gart’n geht. Endlich bin ich seinem Schlich auf der Spur. Rasch ihm nach, damit ich den Ort entdeck’, an dem er sich verbirgt!“

Im Nu war er über den Zaun hinüber und kam gerade recht, Heiner in seinem Schlupfwinkel verschwinden zu sehen.

„Schau, in die Laub’ also geht er! Und da hat er auch gesteckt

damals, als ich vom Kirmeßtanz herkam. Jetzt muß ich nun noch wart’n, ob die Alwin’ kommt!“

Seine Geduld wurde auf keine zu lange Prbe gestellt. Sie kam und frug, sich zum Eingang niederneigend:

„Bist’ da, Heiner?“

„Ja. Komm nur herein!“

Sie folgte dem Wunsche, nahm neben ihm Platz und wurde von seinen Armen umschlungen.

„Warst im Theater heut, Heiner?“

„Ja. Und Du?“

„Nein, sonst hättest’ mich ja gesehen.“

„Warum warst’ net?“

„Der Vater hatt’ zu schreib’n und allein’ durft’ ich net gehen.“

„Wie schade! Sonst hättest’ zwei Lieder gehört, die mir sehr gefallen hab’n. Also ins Theater darfst’ net ohne den Vater?“

„Nein.“

„Aber hinter die Couliss’n?“

„Heiner!“

„Wirst auch nein sag’n?“

Sie schwieg, und erst nach einer Weile antwortete sie unsicher: „Hast mich wohl erkannt?“

„Gleich beim erst’n Ton, Alwin’, hast’ mich wirklich lieb, so lieb, wie Du immer sagst?“

„Ja, Heiner.“

„Warum betrübst mich denn so?“

„Womit?“

„Die Leut’ erzähl’n, das Theater hätt’ es Dir angethan; ich seh vom Fenster aus, wie die Spieler um Dich scharwenzeln, und nun singst’ gar schon auf dem Podium! Hast net daran gedacht, ob es mich kränkt?“

„Nein. Es ist gar nix Unrechts dabei!“

„Ja, aan Vergehn ist’s net, das ist wahr; aber hat’s Dein Vater gewußt?“

„Ja.“

„Wirklich? Dann wundert mich’s von ihm. Aber daß Du zu mir thust, als seist’ net im Theater gewes’n, das ist aan Zeich’n, daß Dir das Gewiss’n dennoch geschlag’n hat.“

„Ich wollt’ Dich net belüg’n, sondern nur erst sehn, ob Du mich erkannt hast.“

„So! Dann bitt ich inständig, thu’s net wieder, Alwin’! Ich bin grad und ehrlich, mich hörst’ nie schmeicheln und schön thun; darum gefällts Dir bei den Spielern besser als bei mir, und ich hab schon zweimal hier gesess’n und vergebens auf Dich gewartet. Alwin’, das Theater ist schön von auß’n und bei Licht, aber am Tag und innen da wohnt eitel Unglück und Herzeleid. Glaub mir das und laß Dich net vom Schein verführ’n. Aan Blendwerk hält nie lange vor, und die Reu ist sicher hinterher.“

„Warum sagst’ das zu mir? Denkst etwa gar, ich thu ’was Unguts?“

„Nein, das denk ich net, dazu bist’ mir zu werth und rein; aber von Allem, was man sieht und hört, setzt sich ’was fest im Innern, und ich möcht’ net hab’n, daß auch der kleinste Hauch mir Deine Seel’ vertrübt. Schau, ich bin net stolz und aufgeblas’n, aber wenn ich wollt’, so könnt’ ich wohl auch sag’n, daß ich aan Künstler bin. Ich arbeit’ Tag und Nacht, damit ich geistig wachs’,

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und Du sollst die Fee werd’n, durch deren Lieb’ und Güt’ ich zum Ziel gelang’!“

„Hast wieder ’was geschrieb’n?“

„Nix als aan kurz’ Gedicht.“

„Hast’s mit?“

„Ja. Hier hast’s. Und wenn Du’s lies’st, so denk daran, daß ichs geschrieb’n hab, gleich als ich aus dem Theater kam!“

„Wenn’s gut ist, komponirts der Vater. All’ die Gedicht’, die Du mir bringst, steck ich in seine Bücher; dann findet er bald dies bald das und denkt, es stammt von früher her. Es wird die Zeit schon kommen, wo Ihr wieder einig seid.“

„Das geb der liebe Gott!“

Er zog sie fester an sich, und nun begannen sie in süßer Vergessenheit der Gegenwart an den köstlichsten Lustschlössern zu bauen, bis die gewöhnliche Zeit des Scheidens gekommen war. Sie traten aus der Laube und reichten sich die Hände.

„Hast’ morg’n wieder Zeit, Alwin’?“

„Ich weiß noch net, aber komm lieber erst übermorg’n um dieselbe Zeit, sonst wag’n wir zu viel.“

„Hast Recht. Schlaf wohl, meine Fee, und bleib immer gut und treu!“

„Gut’ Nacht!“

Ein leiser Kuß erklang, dann schieden sie.

Als sie sich entfernt hatten, erhob sich Balzer von der Erde. Er hatte dicht an der Laubenwand gelegen und beinahe jedes Wort vernommen.

„Jetzt hab ich ihn nun sicher! Also aan Künstler ist er, hahaha! Er soll bald erfahr’n, wie weit er kommt mit seiner Kunst und seiner hübsch’n Larv’. Dem Kantor muß ich’s sag’n, gleich morg’n früh, wo er den saubern Patron abfangen kann, und dann — — — doch nein, das könnt’ mich ja verrath’n. Ich darf von der Laub’ nix wiss’n, net das Geringst’, sonst geht mir’s an den Krag’n. Mit den Spielern mag sie immer schamerir’n, das schadet nix; sie gehn wieder fort und er ärgert sich darüber. Aber mit ihm soll’s aus werd’n, und das bald, dazu bin ich schon der Mann!“ —

Am andern Nachmittag saß der Kantor wie festgebannt am Klaviere, wo er an einem Manuskript arbeitete. Alwine lauschte und mußte heimlich lächeln, als er mit der Arbeit fertig war und nach den einleitenden Takten mit fester Baritonstimme begann:

„O gräme nie ein Menschenherz,

Das Dein in treuer Liebe denkt.“

Er hatte also den Zettel gefunden und war von den darauf befindlichen Worten an das Instrument getrieben worden. Das Lächeln auf ihrem Gesichte aber verlor sich nach und nach, denn die Töne, welche sie hörte, waren dem Texte angemessen und ganz geeignet, hinunter bis ins tiefste Herz zu dringen.

„Wie schön, wie schön; das schreib ich mir ab!“ meinte sie. „Es ist wirklich jammerschade um den Heiner, daß er nichts Besseres ist. Was könnte er für ein Dichter und mit seinem Tenor für ein Sänger werden, wenn er an ein Theater gehen wollte! Aber so einen Vorschlag darf ich ihm gar nicht machen, denn, so lieb ich ihn habe, mit seinen Ansichten ist und bleibt er doch vom Dorfe!“

Sie freute sich, daß sie ihn für heut nicht bestellt hatte, denn es war Ruhetag für die Schauspieler, und da kamen sie ganz sicher Abends zum Direktor.

Dieser schien die ungewöhnlich fleißigen Besuche seiner männlichen Mitglieder nicht außer der Ordnung zu finden. Er war ein schlauer Spekulant und hatte trotz der kurzen Zeit die Kantorstochter so gut kennen gelernt, daß er an dem Gelingen seiner Pläne nicht im Mindesten zweifelte. Alwine wurde daher, ohne daß sie es ahnte, in eine fein berechnete Behandlung genommen und fand nachher, von farbenprächtigen Bildern umgaukelt, nur spät erst den Schlaf.

Obgleich der Schnee noch auf den Feldern lag, aus den Gärten war er gewichen, und der Kantor begann nun, sich mit der Herstellung seiner Blumenbeete zu beschäftigen. Dabei bemerkte er in der unmittelbaren Nähe der Laube fremde Fußspuren, die seine vollste Aufmerksamkeit erregten. Er wußte, daß man sich von geheimen Zusammenkünften zwischen Heiner und Alwine erzähle, und es kam ihm der Gedanke, daß die Laube es sein könne, welche von ihnen dazu benutzt werde.

Er kroch hinein und untersuchte ihr Inneres auf das Sorgfältigste. Seine Bemühung war von Erfolg, denn am Boden lag eine Cigarrenspitze, die er sofort als das Eigenthum Heiners erkannte. Er legte sie wieder hin und verließ die Laube.

„Also so geht es hinter meinem Rücken her! Dem Burschen werde ich die Lust für allezeit vertreiben!“

Er lachte ingrimmig in sich hinein und begab sich wieder an seine Arbeit.

Am Abende besuchte er mit Alwine die Vorstellung, dann that er, als gehe er schlafen, schlich sich aber statt dessen hinab in den Garten. Zwar wußte er nicht, ob Heiner heut kommen werde, aber er hatte sich fest vorgenommen, alltäglich und so lange in der Laube Posto zu nehmen, bis er ihn atrappiren werde. Jetzt konnte Heiner allerdings noch nicht da sein; er hatte ihn im Theater gesehen und bemerkt, daß er am Schlusse desselben erst noch in die Gaststube getreten war. Darum beschloß er, sich in den hintersten Winkel der Laubhöhle zurückzuziehen und ruhig abzuwarten, was da kommen werde.

Am Ziele angekommen, bog er sich nieder und trat ein. Da fühlte er sich ergriffen, ein fürchterlicher Schlag schmetterte auf sein emporgerichtetes Gesicht nieder, ein Klirren wie von zerbrochenen Scherben folgte und dann ergoß sich eine Flüssigkeit über ihn, von welcher jeder Tropfen wie mit Messerschärfe in das Fleisch einschnitt. Er konnte nicht anders, ein fürchterliches Brüllen entquoll seiner Brust; dabei wollte er nach dem Uebelthäter fassen, griff aber in die Luft; er war verschwunden.

Alwine hatte die Stimme ihres Vaters erkannt und kam erschrocken herbeigeeilt.

„Vater, wo bist Du, was ist’s?“

„Der Heiner, der Heiner! Halt ihn fest, er hat mich mit kochendem Wasser überschüttet. O meine Augen, meine Augen!“

Sie fiel in sein Rufen ein, so daß einige zufällige Passanten herbeigerufen wurden, die den vor Schmerz wimmernden Kantor in seine Wohnung brachten. Der Dorfbader wurde schleunigst gerufen und ein Bote in die Stadt zum Arzte geschickt. Es stellte sich heraus, daß das Gesicht des Ueberfallenen mit einem Gefäß zerschlagen worden war, in welchem sich eine scharfe, ätzende Säure befunden hatte, die von einer ebenso schnellen wie fürchterlichen Wirkung gewesen war. Das Gesicht bot einen entsetzlichen Anblick, und auch die Hände, mit denen er es unwillkürlich zu schützen versucht hatte, waren in ihren Fleischtheilen zerrissen und zerfressen.

Der Arzt, welcher von dem Boten die Art und Weise der Verletzung erfahren hatte, brachte gleich die geeigneten Medikamente mit, welche die Schmerzen wenigstens soweit stillten, daß der Kranke eine zusammenhängende Darstellung des Vorganges zu geben vermochte. Auf seine Forderung hin wurde der im Orte stationirte Gensdarm gerufen, der nach kurzem Verhör des Kantors sich trotz der späten Stunde zu Silbermanns begab.

Das Haus war verschlossen, und erst nach langem Klopfen wurde geöffnet. Es war der alte Vogelhändler selbst, der verwundert über die außergewöhnliche Störung im Flur stand.

„Was soll’s sein?“

„Das werdet Ihr gleich hören! Ist Euer Sohn zu Hause?“

„Himmelelement, der Schandarm! Was wollt Ihr von dem Jungen?“

„Zunächst will ich wissen, wo er ist.“

„Nun wo anders denn als drob’n im Bett’!“

„So leuchtet mir einmal! Ich muß hinauf.“

„So? Hinauf müßt Ihr? Warum denn?“

„Nur immer vorwärts! Ich hab keine Zeit.“

„Na na na, da hinauf kommen wir heuer schon noch!“

Er leuchtete voran und öffnete die Kammerthür.

„Heiner, steh auf; hast’ Besuch!“

Es wurde ihm keine Antwort. Er trat näher und blieb verwundert vor dem Bette stehen.

„Leer, wahrhaftig leer und kaane Seel’ liegt drin!“

„Das hab ich mir gedacht,“ bemerkte der Sicherheitsbeamte.

„Er hat doch gut’ Nacht gesagt und ist heraufgegangen! wo mag er steck’n?“

„Das werde ich schon ausfindig machen!“

Er stieg die Treppe hinab und untersuchte jeden Winkel des kleinen Hauses.

„Aber warum sucht Ihr denn nach ihm?“

„Wegen ruchloser Körperverletzung.“

„Körperverletzung? Was hat er sich verletzt?“

„Sich nichts, aber Andern desto mehr.“

„Sich nix? Gut, dann bin ich zufried’n. Der Heiner ist kaan Raufbold, der ruchlos hinschlägt, wo er net hinschlag’n soll; freilich, wenn man ihm mit Absicht in die Quer kommt, so muß er sich wehr’n, das hab ich ihm selber gesagt, und nachher fackelt er auch net lang. Wen hat er denn vorgehabt?“

„Den Kantor.“

„Den? Wohl bekomm’s; weiter sag ich nix.“

„So! Da wißt Ihr wohl auch von der Sache?“

„Ich waaß nix, als daß für den Kantor geklopfter Senf aan

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heilsam Hausmittel ist. Aber was geht denn grad Euch die Geschicht’ an, he?“

„Weil Anzeige gemacht worden ist. Habt Ihr hier im Hause Salpeter- oder Schwefelsäure?“

„Ich wüßt doch net wozu?“

„War Euer Sohn kürzlich in der Stadt?“

„Ja, gestern, in der Apothek’.“

„Ach so! Was hat er da geholt?“

„Krimmitattri.“

„Was ist das?“

„Na Krimmitattri, was denn anders? Ich muß ihn trink’n, weil mir sonst nix hilft geg’n den Kopfschmerz, den ich zuweil’n hab’.“

„Ach so, Cremor tartari meint Ihr.“

„Auf aan tari mehr oder weniger kommt’s bei uns net an.“

„Und weiter hat er nichts gebracht?“

„Nein.“

„Ist die Kammer, in der er schläft, nur für ihn?“

„Ja.“

„So muß ich noch einmal hinauf!“

Während er in der Kammer nach einer Spur der Säure suchte, fand vor der australischen Laube eine heftige Unterredung statt.

Heiner hatte in seiner nach hinten gelegenen Kammer nichts von dem im Kantorsgarten statthabenden Wirrwarr gehört und war dann auf die gewöhnliche Weise und zur gewöhnlichen Zeit zum Stelldichein gegangen. Er hatte sich über die Scherben, die er am Boden der Laube fühlte, und auch über das Ausbleiben der Geliebten verwundert und stand eben im Begriff, nach langem Warten sein Versteck zu verlassen, als die Kantorstochter erschien.

„Heiner, um Gotteswill’n, Du bist noch hier!“

„Ja, aber ich wollt’ eb’n gehn. Warum erschrickst’ so darüber?“

„Weil die Polizei Dich sucht.“

„Mich? Unmöglich! Sag’, weshalb?“

„Weg’n dem Vater, den Du mit Gift verbrannt hast. O Heiner, warum bist — — —“

„Mit Gift verbrannt?“ fiel er ihr in die Rede. „Du phantasirst wohl, Alwin’!“

„So bist’s net gewes’n?“

„Ist er denn verbrannt?“

„Ach, fürchterlich!“

„Wo denn?“

„Hier in der Laub’! Und nun ist der Gensdarm hinüber, um Dich zu arretir’n.“

„Mich? Gut’ Nacht, Alwin’!“

Mit einem raschen Sprunge schwang er sich über den Zaun und stand nach wenig Augenblicken in seiner Wohnung vor dem Beamten.(Fortsetzung folgt.)

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Der Giftheiner.

Eine Erzählung aus dem ErzgebirgevonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Sie such’n mich?“

„Ja. Wo kommen Sie her?“

„Vom Kantorgart’n.“

„Was haben Sie dort gewollt?“

„Ich hab mit der Alwin’ gesproch’n.“

„So! Wann sind Sie hinüber?“

„Dies waaß ich net genau. Ich hab in der Laub’ gesess’n und auf sie gewartet. Denn erst jetzt hab ich von ihr erfahr’n, was passirt ist.“

„So, also erst jetzt — —!“

„Und daß Sie mich such’n. Drum bin ich gleich herüber gesprungen. Wer hat’s gethan, Herr Gensdarm?“

„Das wird sich finden. Jetzt aber gehen Sie mit mir.“

„Wohin.“

„Nach der Stadt auf das Amt.“

„Also arretirt! Ich bin’s aber doch net gewes’n!“

„Das zu ermitteln ist Sache des Untersuchungsrichters. Zunächst werde ich Sie einige Zeit beim Vorstand unterbringen, um den Thatort zu untersuchen. Ich hoffe, daß Sie mir keine Schwierigkeiten machen werden, die mich zu strengen Maßregeln veranlassen würden.“

„Wie soll das gehn?“ frug jetzt der Alte erregt. „Zum Vorstand soll er geschleppt werd’n und nachher ins Amt? Und gethan hat er nix? Das woll’n wir ’mal sehn, da bin ich auch noch da, und wer mir den Heiner angreift, den — — —“

„Sei ruhig, Vater!“ fiel Heiner ihm in die Rede. „Mit Zorn machst’ die Sach’ nur schlimm. Ich geh gutwillig mit, denn das ist das Best’, was ich thun kann. Ich bin unschuldig und werd’ gar bald wieder daheim sein bei Dir.“

„Ja, wenn Du selber willst, so muß ich ruhig sein; aber wenn ich Dich net schnell wieder hab’, so komm’ ich selber nach und lauf Sturm im Gericht!“

Heiner wurde abgeführt. Im Vorüberschreiten sah er die Wohnstube des Kantors hell erleuchtet, wo der Verletzte auf dem Sopha lag, an seiner Seite eine fremde Wartefrau. Alwine durfte nicht vor ihn; er hatte sie mit harten, drohenden Worten von sich gewiesen und ihr ein- für allemal verboten, sich vor ihm sehen zu lassen.

Sie saß in ihrer Kammer und weinte, und da es ihr hier zu traurig und einsam wurde, so ging sie zu Direktors, welche durch das Ereigniß wach gehalten worden waren und sie nach ihrer Weise zu trösten suchten.

Ueberhaupt zeigte der Prinzipal der Künstlertruppe sammt seiner ganzen Familie während der folgenden für das Mädchen allerdings schweren Zeit eine außerordentliche Theilnahme für dasselbe. Der Vater blieb unerbittlich gegen sie; er schob die ganze Schuld seines

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Unglückes auf ihren Ungehorsam und gerieth fast in Raserei, wenn sie einen Versuch machte, sich ihm zu nähern. Auch vor Gericht wurde sie gefordert, um ihre Aussage zu thun, aber den Geliebten bekam sie dabei nicht zu sehen. Sie ahnte nicht, daß mit ihm ihr bester Schutz von ihr genommen sei. Vom Vater verbannt und nun auf sich selbst angewiesen, dachte sie nicht daran, beim Pfarrer oder sonst im Orte Anschluß zu suchen, sondern gab sich mit ungetheiltem Vertrauen Direktors hin, welche durch ihre Einflüsterungen einen Entschluß in ihr zur Reife brachten, dessen Tragweite sie nicht abzusehen vermochte.

So vergingen einige Wochen. Die Schauspieler hatten den Ort verlassen und sich, man wußte nicht wohin gewandt. Da erhielt sie einen Brief, den sie nach seiner Lesung sofort vernichtete. Er schien ihr eine schon erwartete frohe Botschaft gebracht zu haben, die sie veranlaßte, sich gar eifrig mit den fertigen Stücken ihrer Ausstattung zu schaffen zu machen. Sie verriegelte ihre Stube und begann einzupacken.

Während dieser Beschäftigung fiel ihr Blick durch das Fenster und auf eine bekannte Gestalt, welche, das Vogelgebauer unter dem Arme, drüben aus dem Häuschen trat, einen froh grüßenden Blick herüberwarf und dann in einen Querpfad einbog, der nach dem Walde führte.

„Der Heiner!“ rief sie, halb froh, halb erschrocken. „Er ist frei, er ist wieder da; sie haben ihm nichts thun können! Soll ich noch einmal mit ihm sprechen? Ja, aber wissen darf er nicht, was ich vorhabe, sonst läßt er mich nicht fort von hier.“

Vom Vater unbeaufsichtigt, war es ihr jetzt leicht, das Schulhaus beliebig zu verlassen. Sie ging. Sie war mit Heiner als Kind oft im Walde herumgestrichen und kannte den Ort, wo er zu finden war. Den Berg emporsteigend, gelangte sie an eine Waldwiese, über welche der Blick frei schweifen konnte. Ihr Auge strich die Lichtung entlang und entdeckte den Gesuchten unter einer breitastigen Tanne, wo er im Moose lag. Sie eilte zu ihm hin.

„Heiner!“

„Alwin’!“

Er war emporgesprungen, hatte sie umfaßt und drückte sie mit einer Innigkeit an sich, welche vollständig Zeugniß gab von der Sehnsucht, mit welcher ihn nach ihr verlangt hatte.

„Bist’ wieder frei?“

„Ja, aus Mangel an Beweis’n, wie sie sagt’n; aber ich werd’ so lang such’n, bis ich entdeck, wer’s gethan hat. Komm und setz’ Dich zu mir nieder! Hast wohl auch nach mir verlangt, weil Du mir nachkommst so weit den Berg herauf?“

„Sehr, Heiner! Und ich konnt’ herauf, weil der Vater denkt, ich bin den ganz’n Tag beim Pfarr’ zum Besuch. Da kann ich bei Dir bleib’n, so lang als es mir gefällt, und das will ich auch thun, denn es läßt sich net sag’n, ob’s gleich wieder so gut paßt.“

Sie ließen sich neben einander nieder und blieben da Stunde um Stunde, eine lange, lange Zeit. Er dachte nicht an seinen Vogel, sondern an nichts und niemand, als nur an sie, die heut so gut und zärtlich war wie noch niemals. Und als sie endlich doch ging und ihm verbot, sie zu begleiten, da sah er ihr noch tief, tief in die Augen und drückte Kuß um Kuß auf ihre willigen Lippen.

„Leb wohl, Heiner; das war der schönste Tag in meinem Leb’n!“

„Leb wohl, Alwin’; Dich und den Tag vergess’ ich nie, nie, nie!“

Sie winkte zurück und er winkte ihr nach, bis sie hinter den Bäumen verschwunden war; dann legte er sich wieder zur Erde und träumte von künftigem Glück und künftiger Seligkeit, bis der hereinbrechende Abend ihn zum Aufbruch mahnte.

— — — Am andern Morgen verbreitete sich die Kunde, daß die Kantorstochter während der Nacht den Ort verlassen habe. Ein Tagelöhner hatte ihren Koffer bis zur nächsten Poststation gefahren, und niemand erfuhr, wohin sie gegangen sei, auch der Heiner nicht. An ihrem schönsten Tage war ihr Herz voll Verrath gegen ihn gewesen. Er konnte dies nie verwin­den. — — —

VI.

Es ist ein unerbittliches Gesetz, welches Tage an Tage, Wochen an Wochen, Monden an Monden und Jahre an Jahre reiht. Keine Stunde, keine Sekunde darf stehen bleiben; sie geht, sie muß gehen, um der nächsten Raum zu geben, und mit ihnen geht der Mensch mit seinem Denken und Treiben, hinauf oder hinunter, bergan oder bergab, unaufhaltsam und ohne Stillstand, gezogen und getrieben von den guten oder schlimmen Gewalten, denen er die Herrschaft über sich einräumt. Und dieses Steigen oder Sinken des Menschen,

es ist mit seinen inneren und äußeren Erfolgen nicht nach kurzen Zeitspannen bemerkbar; seine Wirkungen wachsen stät und langsam aus sich heraus, und erst nach Jahren tritt die Veränderung zu Tage.

So war es mit dem Teichbauer zwar langsam, aber immerfort bergab gegangen. Es gehört eine schöne Zeit dazu, ein Anwesen wie den Teichhof durch die Gurgel zu jagen und die Karte zu zertrümmern, aber es war doch geschehen. Nun saß die fremde, vornehme und kranke Frau auf dem Hofe; der Balzer hatte bei einem seiner Spießgesellen eine armselige Dachstube bezogen; niemand wußte, wovon er sein Leben fristete, wenn es nicht der Wilddiebstahl war, der ihm den ärmlichen Unterhalt gewährte, und es kam endlich so weit, daß man ein scharfes Auge auf ihn richtete. Jetzt stand er vor dem Vorsteher, der ihn durch den Büttel zu sich beschieden hatte.

„Balzer, ich habe Ihn von Amtswegen rufen lass’n. Steh’ Er mir Red’ und Antwort auf die Frag’n, die ich an Ihn richt’n werd’!“

„Warum net, wenn Ihr net unnütz fragt!“

„Von unnützem Gered’ kann hier an dieser Stell’ wohl net das Gesag’ sein. Also, was treibt Er für Arbeit und wovon nimmt Er seine Nahrung her?“

„Ich treib’ was mir beliebt und leb von Dem, was mir schmeckt.“

„Gut! Das ist deutlich genug gesproch’n, so daß ich ganz genau merk’, woran ich mit Ihm bin. Wer sich vor seinem Vorgesetzt’n so dreist benimmt, wie Er, dem hält man kaane lange Red’ und macht kurz’ Federlesens mit ihm.“

„Mein Vorgesetzter? Vorsteher, was fällt Euch ein? Ich waaß kaan Wort davon, daß ich Euch mir voraufgestellt hab. Ihr thut, was Euch gefällt, ich bekümmere mich net darum, und wovon ich leb’, das ist meine Sach’ und geht Euch auch nix an.“

„Daß es mich ’was angeht, und daß ich Sein Vorgesetzter dennoch bin, das soll Er bald erfahr’n. Merk Er nur auf, was ich Ihm jetzt sag! Ich geb’ Ihm die volle Woch’ noch Frist, daß Er sich nach ordentlicher Arbeit umthut und mir dann persönlich meldet, wo Er im Dienst steht. Thut Er dies aber net, so kommt Er in das Gemeindehaus und unter die Aufsicht des Armenpflegers. So ist’s in der letzt’n Sitzung beschlossen word’n und das hab’ ich Ihm amtlich zu eröffnen. Jetzt kann Er gehn!“

Balzer wollte mit einer Entgegnung losbrechen, der Vorsteher aber, dies voraussehend, hatte bei dem letzten Worte die Thür zum Nebenraum ergriffen und ihn allein stehen lassen.

Es blieb ihm nichts übrig, als zu gehen. Draußen aber ballte er die Fäuste gegen das Haus und murmelte eine grimmige Verwünschung vor sich hin. Dann aber blieb er, wie von einem plötzlichen Gedanken befallen, stehen, dachte einige Augenblicke über denselben nach und schritt dann hastig vorwärts.

„Ja, das ist das Best’, was ich thun kann, und es ist verwunderlich, daß ich net schon längst darauf gekommen bin. Seit ich dies Mad’l gesehn hab’, läßt mir’s weder Ruh noch Rast. Ich bin der Lump, ja der Lump bin ich, so sag’n sie hier im Ort’, und auch fast alt geword’n; und sie ist reich und schön, so schön und vortrefflich und noch so jung; doch wenn ich den Teichhof wieder bekommen könnt, so wär’ ich gleich wieder der Mann, vor dem sie die Mütz’ abziehn, und dann wollt ich dem Vorsteher ’mal zeig’n, wer mein Vorgesetzter ist. Ich geh’, es bleibt dabei!“

Er schritt dem Teichhof zu. Es sah dort jetzt weit anders aus als zu seiner Zeit, und man merkte auf den ersten Blick, daß hier trotz der Krankheit der Herrin Alles sich im richtigen Zustande befand.

Unter der Thür stand Alma und fütterte aus einer Schüssel voll goldgelber Körner das um sie herumflatternde Geflügel. Als sie ihn erblickte, glitt es halb wie Furcht, halb wie Unmuth über ihr liebliches Angesicht.

„Grüß Gott, Jungfer! Ist die Bäu’rin zu Haus’?“

„Ja. Was wollt Ihr?“

„Ich hab’ mit ihr zu sprech’n.“

„Sagt’s mir, was Ihr begehrt! Es ist so gut, als hört’s die Mutter.“

„Ich muß mit ihr selber red’n.“

„Sie ist unwohl und läßt darum niemand zu sich, wenn’s net nöthig ist.“

„So sagt, daß es pressirt!“

„Wartet hier, bis ich wiederkehr’.“

Er setzte sich auf die vor der Thür stehende Bank. Seine Augen blickten zornig im Hofe umher.

„Das ist der Teichhof, der mir gehört’, und nun darf ich net ’mal eintret’n, sondern muß vor der Thür wart’n wie der Bettelbub’, dem nix gehört, als der Pfennig und aan finster Gesicht. Aber wart’ nur, mit dem Balzer ist’s noch lange net Matthäi am Letzt’n;

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er kommt schon wieder zu Courasch’, und dann pfeift die Flöt’ wieder nach seiner Art und Weis’.“

Das Mädchen kehrte zurück.

„Kommt herauf!“

Sie führte ihn die Treppe empor und öffnete eine Thür.

„Hier tretet ein!“

Die Fenster des Zimmers, in welchem er sich jetzt befand, waren von reichen Gardinen verhüllt, und die blauen Rouleaux, welche tief herabgelassen waren, dämpften das Tageslicht so weit, daß Dämmerung in dem Raume herrschte. In einem dunkelsammetnen Fauteuil ruhte, in leichte, weite Falten gehüllt, eine Frauengestalt, deren feine, blasse Züge kaum zu erkennen waren. Eine leise Stimme frug:

„Wer seid Ihr?“

„Der Balzer.“

„Ah, der frühere Besitzer meines Gutes! Ich sah Euch noch nicht, weil ich den Hof von der Gantkommission und nicht direkt aus Eurer Hand kaufte. Was wollt Ihr?“

„Ich wollt’ Euch meinen Dienst anbiet’n. Ihr seid krank und habt kaane Mannsperson bei Euch, die zum Recht’n sieht; da geht gar Viel’s derquer und der Schad’n bleibt net aus. Ich kenn’ jed’n Schrittbreit von dem Teichhof und dem, was zu ihm gehört, und waaß genau, was er verlangt. Die Leut sag’n all’, daß Euch der rechte Hausmeister fehlt, der für Euch sorgt und Aufsicht führt.“

„Sagen sie auch, daß Ihr der richtige Mann zu diesem Posten seid?“

Die Stimme klang lind und weich, aber es lag etwas in ihrem Tone, was den Balzer mit der Antwort zögern ließ. Sie fuhr fort:

„Ich will nicht bestreiten, daß ich einer männlichen Kraft bedarf, die den fehlenden Herrn ersetzt, doch grade Euch kann ich nicht dazu wählen.“

„Warum?“

„Es müßte Euer Ehrgefühl beleidigen, da Stellvertreter zu sein, wo Ihr früher Herr waret.“

„So nehmt mich wenigstens zum Knecht: ich will einmal gern auf den Hof!“

Er bemerkte nicht, daß er mit diesen Worten einen doppelten Fehler beging.

„Das geht ja noch viel weniger, mein Lieber, denn jeder Befehl, der Euch ertheilt würde, müßte Euch bitter treffen, und das will ich Euch nicht anthun.“

„Auch net als Taglöhner?“

„Ebenso wenig. Ich glaube doch, daß es Euch nicht schwer werden kann, im Dorfe zu finden, was Ihr sucht. Ich bin hier fremd und kenne Eure Ansprüche und Leistungen nicht so, wie Eure Bekannten.“

Es war eigenthümlich, diesem schwachen, kranken Wesen gegenüber fühlte Balzer nicht den Muth zur Gegenrede. Es war eine Art von Beklemmung plötzlich über ihn gekommen, die ihm das Geständniß entriß:

„Die mög’n nix von mir wiss’n und ich komm’ in das Armenhaus, wenn ich hier bei Euch net Hülf’ und Unterstützung find’.“

Es entstand eine Pause, während welcher die Augen der Frau mit eigenthümlichem Ausdrucke auf ihm ruhten; das war trotz der Dämmerung zu erkennen. Er aber blickte vor sich nieder und bemerkte es nicht.

„Könnt Ihr denn nichts Anderes beginnen?“

Er holte tief Athem.

„Dazu gehört Geld, und das hab’ ich net.“

Seine Augen flogen wie Hülfe suchend im Zimmer umher und fielen auf einen offen stehenden Schrank. In demselben stand eine eiserne Kassette, in welcher der Schlüssel steckte.

„So überlegt einmal, was Ihr anfangen könntet, und wenn ich gewiß sein kann, daß die Gutthat nicht weggeworfen ist, so werde ich Euch vielleicht beispringen, denn ich hoffe, daß ich nur Gutes von Euch höre.“

Bei diesen Worten mußte er daran denken, daß gerade das Gegentheil stattfinden werde, und das brachte den alten Geist wieder über ihn.

„So ist’s also nix mit dem Dienst?“

„Leider nein.“

„Dann behaltet auch die Gutthat für Euch. Der Balzer wird sich schon selber beispringen!“

Er warf die Thür krachend in das Schloß und ging.

Drunten im Hofe stand jetzt ein mit feinen Polstern ausgeschlagener und mit warmen Decken versehener Schlitten. Eine Magd trug die Wärmflasche herbei, und der Kutscher war beschäftigt, die Pferde anzuschirren. Sie blickten mißtrauisch auf die unordentlich gekleidete Gestalt des Vorübergehenden.

„So könnt’ man’s auch hab’n,“ murmelte er, „wenn der Giftheiner net gewes’n wär, der mir das ganze Leb’n verstört und vernichtet hat. Alles auf’s Schönst’ und Vornehmst’ ausgestattet, wie sich’s nur so wünsch’n läßt. Aber die Kass’ da drob’n ist noch besser als der Schlitt’n, und ich gebrauch’ sie nothwend’ger als die Madam, die so schön höflich grob sein kann. Sie mag nur immer nach mir frag’n, mir ist der Leumund gleich!“

Als er aus dem Feldwege in die Straße einbog, begegnete ihm Der, an welchen er soeben mit Grimm gedacht hatte.

„Der Heiner! Der Hallunk’ trägt sich gerade wie aan Baron, mit Marderpelz und Krimmermütz’. Ich straf’ ihn mit Verachtung und thu’, als ob ich ihn gar net bemerk’.“

Es war wirklich ein ganz stattlicher Anblick, welchen Heinrich Silbermann bot, und man merkte es, daß seine Sängerfahrten selbst auf den Stoff und Schnitt seiner Kleidung Einfluß gehabt hatten. Im Gebirge tritt der Winter früher ein als im Niederlande; es hatte seit einigen Tagen stark geschneit und eine tüchtige Schlittenbahn hingeworfen, welche unter seinen Schritten stark erknirschte. Wie er so dahinging mit seinen sichern, elastischen Bewegungen, sah er bedeutend jünger aus als er war und es war ein schneidender Kontrast, den die herabgekommene Gestalt des lautlos an ihm vorübergleitenden Feindes mit ihm bot.

Schon lag das Dorf eine ziemliche Strecke hinter ihm, als er lautes Schellengeläute vernahm. Er drehte sich um; ein Schlitten nahte sich im raschen Laufe des muthigen Gespannes. Alma saß darin. Sie sah den Dahinschreitenden und glaubte, es sei ein Herr aus der Stadt. Als sie aber im Vorbeifahren einen Blick in sein Gesicht warf, ließ sie sofort halten.

„Grüß Gott, Heiner! Hätt’ Dich beinah’ gar net erkannt, so stolz und vornehm schaust’ heut aus. Willst’ nach der Stadt?“

„Grüß Gott, Alma! Ja.“

„So steig mit ein! Oder halt, hast’ auch gelernt zu fahr’n?“

„Warum net?“

„So kannst’ die Zügel nehmen. Der Knecht wird zu Haus’ gebraucht und hat net gut abkommen können. Jetzt kann er heim lauf’n.“

Der Knecht stieg ab und übergab Heiner die Zügel mit der Peitsche. Dieser griff zu und wollte den verlassenen Sitz einnehmen.

„Nein, net da vorn, Silberheiner. Komm herein zu mir, da ist’s warm und wir können auch mit ’nander sprech’n!“

Er stieg ein, nahm die Pferde scharf zusammen, und fort gings in raschem Lauf. Er hatte mit dem herrlichen Mädchen nur zweimal gesprochen, sie überhaupt nur diese beiden Male getroffen, aber das ganze Dorf war von ihrer Schönheit, ihrer Herzensgüte und ihrem Lobe voll, und gerade die Art und Weise dieser zwei Begegnungen war ganz geeignet gewesen, sie für ihn unvergeßlich zu machen. Jetzt hatte sie selbst ihn aufgefordert, mitzufahren, ja, ihn selbst an ihre Seite genöthigt, und nun saß er neben ihr und wagte kaum, einen Blick auf den blauseidenen Schleier zu werfen, unter welchem sich ihre weichen, warm leuchtenden Züge verbargen wie die Frühlingssonne hinter leichtem Federgewölk.

„Fährst net gern Schlitt’n, Heiner?“ klang es schalkhaft aus den warmen Hüllen heraus.

„Sehr gern,“ antwortete er treuherzig.

„Aber net mit mir?“

„Mit Dir am Allerliebst’n, Alma. Warum denn net?“

„Weil Du so aan absonderlich’ Gesicht machst.“

„Sag, was willst’ für aan’s?“

„So wie damals, als — als — als — —“

Er wartete einige Augenblicke; als aber das sich besinnende Mädchen nicht fortfuhr, ergänzte er:

„Als damals auf dem Fichtler?“

„Ja, als Du zum letzt’n Male mit der Alwin’ droben gewes’n bist.“

„Mit der Alwin’?“ Sein offenes Gesicht nahm den Ausdruck tiefsten Erstaunens an. „Wie kommst’ dazu, davon zu wiss’n? Denn nur die Alwin’ und ich, wir haben’s gewußt.“

„Ich sag’s Dir später, Heiner!“

„Wann!“

„Wenn Du mir auch ’mal so viele Gedicht’ geschenkt hast wie ihr.“ Seine Verwunderung wuchs.

„Auch dies hast’ vernommen? Aber Du darfst ja doch kaan Gedicht von mir erhalt’n!“

„Weshalb.“

„Bei ihr durft’s geschehen, denn sie hat mich lieb — — gehabt.“

Er legte den Nachdruck auf das letzte Wort, und dabei ging es über sein Gesicht wie eine tiefe Traurigkeit.

„Dann hat sie Dich verlass’n!“

Er antwortete nicht, sondern neigte nur leise den Kopf. Da

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grub sich ihre kleine, behandschuhte Hand aus den Pelzen hervor und legte sich auf seinen Arm.

„Kannst sie wohl gar nie vergess’n, Heiner?“

„Was hilft’s, wenn ich d’ran denk! Der Leichtsinn ist besser d’ran als ich; der lacht und nimmt den Wechsel.“

Er schwang die Peitsche und ließ die Thiere weiter ausgreifen, als wolle er durch den rascheren Galopp der Erinnerung entgehen. Sie aber ließ ihn nicht los.

„Hättst auch ’was Andres find’n sollen!“

„Ich hab’s net vermocht. Und wenn ich’s gewollt hätt’, wohin sollt’ ich schaun?“

„Recht hast’, Heiner; sie sind für Dich zu schlecht.“

„Nein, zu schlecht net, Alma, sondern zu obenhin. Wer tief baut, will auch tief wohnen und dann verstand’n sein.“

„So willst’ allein bleiben fürs Leb’n?“

„Es kann net anders sein!“

Sie zog die Hand zurück und ließ den Blick mit tiefer Theilnahme auf ihm ruhen. Das junge Mädchen war innerlich weit über ihre Jahre hinaus entwickelt; sie mußte von einer ausgezeichneten Mutterhand geleitet worden sein, und ihr bisheriges Leben war vielleicht nicht blos ein Weg durchs Glück gewesen.(Fortsetzung folgt.)

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Der Giftheiner.

Eine Erzählung aus dem ErzgebirgevonKarl Hohenthal.

(Fortsetzung.)

Waaßt, Heiner, daß ich Dich gar oft schon gesehen hab?“ unterbrach sie das Schweigen wieder.

„Wo?“

„An Deinem Fenster, wenn ich beim Kantor bin. Er wollt’ die Kantat’ aufführ’n, aber es geht net, weil der Solotenor fehlt.“

„Er mag den Balzer nehmen!“

„Das macht’ er auch; aber der ist ja so fertig worden, daß niemand mit ihm singen möcht.’ Heut war er auf dem Teichhof bei der Mutter.“

„Der Balzer? Was hat er dort zu schaff’n?“

„Hausmeister wollt’ er werd’n, dann Knecht und nachher Tag’löhner.“

„Und was ist ihm für Antwort geschehn?“

„Die einz’ge die es giebt. Er hat gehen müss’n. Es mag ihn niemand mehr, und nur der Kantor spricht net ganz bös von ihm.“

„Weil er ihn hat zum Schwiegersohn machen woll’n. Der Balzer ist an mir und Allem schuld.“

„Der Balzer und das Theater, net wahr, Heiner?“

Fast hätte er mit einem Ruck die Pferde angehalten, so durchzuckten ihn diese Worte.

„Alma, bist’ etwa allwissend?“

„Nein,“ lächelte sie.

„So sag’, woher Du so All’s erfahren hast!“

„Schreib mir erst die Gedicht’!“

Hatte er ihr nicht gesagt, weshalb er das nicht dürfe? Und nun forderte sie ihn dennoch wieder auf!

„Sei doch net so schlimm zu mir, Alma!“

Verstand sie, was er sagen wollte und doch kaum selbst verstand? Sie schlug die Augen nieder, und der Schleier verhüllte seinem Blicke ihr tiefes Erröthen. Schon vor langer, langer Zeit, schon in der Ferne hatte sie von ihm gehört und seinen Namen gekannt. Obgleich noch Kind, war sie die einzige Vertraute einer reumüthigen Seele gewesen, welche täglich und stündlich an den einfachen erzgebirgischen Vogelsteller denken mußte, obgleich sie von allem Luxus eines reichen und hochgestellten Lebens umgeben wurde. Die kranken, bleichen Züge zuckten wehmüthig, wenn sie den Silberheiner nannten, und Alma war es dabei, als müsse sie einen Theil der Schuld auf ihre junge Seele nehmen, um sie zu sühnen für das einzige Wesen, welches ihr nahe stand. Nun war sie hier, hatte ihn gesehen, ihn gesprochen, er saß an ihrer Seite und — war es dieses Bedürfniß der Sühne oder war es etwas Anderes, sie hätte ihre Arme um ihn legen und ihm Frieden geben mögen, so gern, so unaussprechlich gern.

Sie hatten jetzt die Stadt erreicht. Heiner wandte sich ihr wieder zu.

„Wo steigst’ ab, Alma?“

„Im „Bären,“ Heiner. Fährst doch wieder retour?“

„Ich muß wohl. Hast doch sonst den Kutscher net!“

„Und wo hast’ zu thun?“

„In der Buchhandlung.“

„So gehst’ erst mit in die Stub’ und bestellst den Kaffee!“

Es war ihm wie im Traume. Woher war dieses Mädchen mit seiner geheimsten Vergangenheit so gut bekannt? Das Vertrauen, mit welchem sie ihn zu ihrem Ritter machte und die Selbstverständigkeit, welche sie bei Allem vorauszusetzen schien, begannen ihn verwirrt zu machen. Tausend viel höher Stehende als er hätten sich von ihrer Gunst beglückt gefühlt, sie vielleicht um hohen Preis zu

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erringen gesucht, und nun ward sie ihm, dem armen Vogelsteller, so ohne alle Anstrengung zu Theil!

Er konnte nicht weiter denken. Der Gasthof war erreicht, der herbeieilende Hausknecht nahm das Geschirr in Empfang und auch der Wirth kam, sobald er das Mädchen erkannt hatte, mit außerordentlicher Schnelligkeit vor die Thür und rief, das Käppchen vom Kopfe reißend:

„Willkommen, tausendmal willkommen, mein gnädigs Fräulein Komtess’. Tret’n Sie näher, herein in die Stub’, ins gute Zimmer. Es ist kaan Mensch d’rin; Sie sind ganz allein und ungestört!“

Komtesse? Heiner wußte nicht wie ihm geschah. Er schlug die Decken zurück, und ehe er zur Seite treten konnte, war sie aus dem Schlitten heraus, hatte ihre Hand auf seinen Arm gelegt und rauschte an seiner Seite am Wirthe vorüber in das Zimmer, dessen Thür der Kellner weit aufgerissen hatte.

„Kaffee!“ befahl er. Er hatte sich schnell in seine Rolle gefunden; sie sollte sich nicht über ihn zu beklagen haben.

„So,“ meinte sie, als sie mit seiner Hülfe abgelegt hatte und auf dem Sopha saß, „jetzt kommst’ herbei und thust Bescheid! Oder trinkst lieber ein Bier?“

Er verneinte mit einer Handbewegung und nahm ihr gegenüber Platz. Sie schenkte ein, gab ihm Milch und Zucker und hielt ihm dann das Bisquit vor.

„Willst’?“

„Bitte, erst nach Ihnen, Komtesse?“

Sie lachte glockenhell auf.

„Laß die Komtess’, Heiner, und bleib wie zuvor. Hast erst net gewußt, was ich bin und sollst es jetzt auch net wiss’n. Wir hab’n einige Tag’ hier gewohnt, eh’ wir auf den Teichhof zog’n, und daher kennt der Wirth den Titel. Und die Sprach’, bei der mußt’ erst recht fest bleib’n; der Dialekt ist herz’ger als das Hochdeutsch. Also nimm; ich bin die Hausfrau und komm’ darum erst nach Dir!“

„Was bin dann ich, Alma?“ frug er zulangend.

„Du bist noch nix, und willst’ was werd’n, so mußt’ schön folg’n.“

„Wem?“

„Mir; wem sonst? Aber sag’, was willst’ beim Buchhändler?“

„Es ist aan Bescheid, den ich mir hol’n will.“

„Worüber? Darf ich’s wiss’n?“

Er wurde sichtlich verlegen.

„Nun? Hast schon Lust, net zu folg’n?“

„Weg’n den Gedicht’n.“

„Ah? Erzähl’ mir’s doch!“

„Es waaß kaan Mensch davon, net ’mal der Vater, aber Dir will ich’s net vorenthalt’n. Ich bin net stolz auf die Gedicht’ und bild’ mir auch sonst nix ein, doch ist in unsrer Mundart noch nie ’was gedruckt word’n, obgleich sie ihre Berechtigung hat gerade so wie plattdeutsch, bayrisch, schwäbisch oder öst’reichisch Darum hab’ ich gedacht, ich wollt ’mal die Auswahl treff’n und in Verlag geb’n. Hätt’s geglückt, so wär’s mir die größte Freud’ und Ehr’ gewes’n.“

„Und nun willst’ sie hier dem obskur’n Bücherkrämer anbiet’n?“

„Ich hab’ sie versandt an große und berühmte Firmen und immer den Bescheid erhalt’n: „Ihre Gedicht’ zeug’n von Talent, aber wir mög’n net!“ So ist’s mehrere Jahr’ lang gewes’n, bis ich’s endlich müd’ geword’n bin. Nun will ich sie in Selbstverlag nehmen und dem Buchhändler hier in Kommission geb’n.“

„Hast’ denn Geld dazu?“

„Ich weiß net ob’s langt: daher will ich heut frag’n.“

„Wie viel hast?“

Er sah verlegen vor sich nieder.

„Sag’s!“ bat sie dringlich.

„Von dieser Ausgab’ darf der Vater nix wiss’n, obgleich ich meine Kass’ für mich hab. Er hat auch sein wenig Geld, aber das darf ich net rechnen. Darum hab ich meine Sparniß getheilt zwisch’n ihm, mir und dem Buch.“

„Und was kommt auf den Theil?“

„Tausend Taler und einig’s d’rüber.“

„Was? Ueber dreitausend Thaler hast’? Du bist’ viel, viel reicher als ich!“ rief sie in aufrichtiger Verwunderung.

„Reicher als Du? Was denkst’! Hast’ net den groß’n Teichbauerhof?“

„Der gehört doch net mein, sondern der Mutter; Du aber hast das Geld verdient mit saurer Arbeit, mit dem Hand’l, mit — — —“

„Mit dem Vogelhand’l net; was der bringt, lass’ ich dem Vater. Was ich hab’, stammt von der Sängerfahrt; die bringt ’was ein, wenn man zu spar’n versteht.“

„Und da willst’ so viel riskir’n? das ist nix, Heiner, da kommst’ um Dein Geld!“

„Meinst’ daß ich falsch spekulir’?“

„Nein; Dein Buch wird gehn und seine Leser find’n, aber es muß in gute Hand gelegt werd’n, und die find’st net hier im Ort.“

„Ich hab’ sie anderswo auch net gefund’n.“

„Hast’s falsch angefangen, Heiner! Schick’ die Gedicht’ wohin Du willst, sie werd’n gar net geles’n, denn wer kennt den Heinrich Silbermann von hier? Empfehlung mußt’ hab’n, Konnexion, und die Vorred’ muß aan berühmter Dichter oder Professor schreib’n. Und wenn nachher aan bekannter Verleger das Buch kauft, so hast Honorar und Ehr’ dazu.“

Heiner war ganz erstaunt über ihre Sachkenntniß.

„Das hab’ ich schon gewußt; aber woher den Dichter oder Professor nehmen und dann den Verleger? Doch sag’, Du sprichst ja so klug wie aan Buch!“

„Das ist net weit her. In Warschau, wo wir war’n, gab’s gar viel’ Künstler und Dichter, die bei uns verkehrt’n. Da hab’ ich viel von solchen Dingen sprechen hör’n. Hast’ das Manuskript fertig?“

„Natürlich. Hier in der Tasch’ ist’s, damit ich’s dem Buchhändler zeig’n kann.“

„Darf ich’s sehn Heiner?“

„Ja.“

Es war ihm anzusehen, wie schwer ihm diese Antwort wurde. Er brachte es auch nur höchst langsam hervor und schien große Lust zu haben, es wieder einzustecken. Schnell aber hatte sie es gefaßt und es ihm aus der Hand genommen.

„Zeig her!“

Ohne einen Blick hineinzuwerfen, steckte sie es in die Innentasche ihres Pelzes.

„Warum steckst’ es ein?“

„Weil Du Dein Geld behalt’n sollst, Heiner. Ich geb’s der Mutter, und dann wird’s gedruckt, darauf kannst’ Dich verlass’n.“

„Nein, Alma, das darf ich net zugeb’n; ich muß die Gedicht’ wieder hab’n. Bitt’, gieb sie mir zurück!“

„Willst’ schon wieder unfolgsam sein! Hier in der Tasch’ sind sie, und da bekommst sie net wieder heraus! Oder willst’ vielleicht mit mir ringen?“

„Das kann mir net einfall’n; wenn ich Dich gar schön bitt’, so giebst’ sie mir gutwillig wieder.“

„Nein, das ist nun abgemacht. Statt zum Buchhändler, gehst’ nun mit mir. Ich hab’ viel’ Einkäuf’ zu besorg’n, und da wirst’ mich führ’n!“

Seine fortgesetzten Bitten blieben erfolglos; er mußte sich in den Willen des schönen Mädchens ergeben. Der Lohn blieb auch nicht aus: er durfte fast den ganzen Tag an ihrer Seite bleiben, und es war ihm, als sei Alles hinter ihm versunken und eine neue Welt vor ihm aufgegangen, die sein zaudernder Fuß kaum zu betreten wagte.

Als sie den Schlitten wieder bestiegen, brach die Dämmerung bereits herein; aber der Schnee leuchtete und ließ die Straße gut erkennen. Die Pferde merkten, daß es heimwärts gehe, und es bedurfte weder der Zügel noch der Peitsche, um sie in schnellem Gang zu erhalten.

„Die Luft geht scharf, Alma; frierst net vielleicht?“

„Ein wenig ans Gesicht, sonst net.“

„So komm!“

Er schlang das Zügelende um den Arm, umfaßte sie und legte ihren Kopf an seine Schulter, wo sie der Zug nicht treffen konnte. Sie ließ es still geschehen und blieb regungslos in der Stellung, welche er ihr gegeben hatte. Die Straße ging heimwärts viel bergab, und da viel Schnittgerinne sie durchschnitten, so schlingerte der Schlitten oft in höchst bedrohlicher Weise.

„Hast’ net Angst daß wir umschütt’n?“ frug er sie.

„Bei Dir bin ich sicher!“ klang es leise, aber in einem Tone, der ihm bis ins tiefste Herz erklang.

Das Händchen war ihr aus dem Muff entglitten; er ergriff sie und hielt sie fest.

„Glaubst’ das wirklich?“

„Ja.“

Sie hob bei diesem Worte das Köpfchen zu ihm empor; er schob den Schleier ein wenig auf die Seite und neigte sich zu ihr nieder. Die Schnee- und Sternenhelle ließ ihr Gesicht in einem traumhaften Glanze erscheinen, zwischen welchem die großen, dunklen Augen wie aus unergründlichen Seelentiefen emporschauten. Dann ließ er den seidenen Flor wieder fallen und sprach kein Wort, bis der Schlitten vor dem Eingange des Teichhofes hielt. Der nach Hause geschickte Knecht ergriff die Pferde; die beiden Insassen stiegen aus.

„Hab Dank, Heiner, für den Schutz. Ich werd’s der Mutter erzähl’n!“ sprach Alma, ihm die Hand reichend.

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„Ich hab’ zu dank’n, net Du. Sag der Mutter den schönst’n Empfehl’, da ich net selber zu ihr darf!“

„Wirst schon auch noch dürf’n, wenn sie wieder wohler ist!“

Das schwere Kleid, in welchem sie heut ging, rauschte durch den helle erleuchteten Flur. Heiner trat in die dämmerige Nacht zurück und ging nach Hause. Wortkarg aß er sein Abendbrod, und ebenso wortkarg war er auch im Gesangverein, der heut seinen Versammlungsabend hatte. Die Erlebnisse des Tages beschäftigten ihn so, daß die Erinnerung daran ihn vollständig in Anspruch nahm, und als die Sänger sich zerstreuten, spürte er noch nicht das geringste Bedürfniß nach Schlaf und Ruhe, und unwillkürlich wandten sich seine Schritte dem Teichhofe zu.

Noch immer beschäftigte ihn die Frage, woher Alma Daten aus seiner Vergangenheit kannte, von denen nur er und Alwine wissen konnte; er fand jedoch keinerlei zureichende Antwort darauf. Eine Komtesse war sie, eine Gräfin; welch ein Unterschied zwischen ihr und ihm! Er mochte gar nicht daran den ken, denn dieser Gedanke wirkte erkältend auf die wunderbar selige Stimmung, in welcher er sich befand. Er gab sich derselben vollständig hin und fühlte nicht das mindeste von der Kälte, welche hier außen im Freien herrschte.

So war er an den mit dichtem Gebüsch bestandenen Rand des Teiches gekommen, der an der hinteren Seite des Hofes lag und ihm den Namen gegeben hatte. Er beschloß, die Gebäude zu umschreiten, war aber noch gar nicht weit am Wasser hingekommen, als es ihm war, als knirsche jenseits der vor ihm liegenden Ecke der Schnee unter vorsichtigen, mit Fleiß gedämpften Schritten. Er fühlte keine Lust, sich hier bemerken zu lassen und trat daher so tief wie möglich zwischen die Sträucher hinein.

Ein Mann kam um die erwähnte Ecke und blieb unweit seines Versteckes stehen. Er hatte sich das Gesicht geschwärzt, dennoch aber und trotz der ihn jedenfalls unkenntlich machenden sonderbaren Kleidung erkannte Heiner, daß es Balzer sei. Dieser warf einen beobachtenden Blick um sich, stieg dann über den Gartenzaun und glitt über den freien Raum des Gartens nach der Scheune hin, welche einen der Hintertheile des Hofes bildete. Was hatte der Mensch vor? Etwas Gutes sicherlich nicht, das zeigte die Schwärzung des Gesichtes. Aber ihm sofort zu folgen war nicht räthlich, weil dies wegen der Lichte des Gartens von ihm bemerkt worden wäre.

Heiner wartete daher einige Minuten, ehe er den Zaun übersprang und den im Schnee eingedrückten Fußspuren nachging. Sie führten auf eine Spalte, welche sich mit der Zeit zwischen der ausgefaulten Diele und dem abgeschliffenen Thore gebildet hatte und hinlänglich war, einen nicht zu starken Mann durchkriechen zu lassen. Nachdem er sich durch angestrengtes Horchen überzeugt hatte, daß der Verfolgte die Scheune bereits verlassen haben müsse, drängte er sich hindurch und gelangte so auf die Tenne. Eine Untersuchung derselben zeigte, daß eine vordere Pforte derselben geöffnet und unverschlossen sei. Er trat von hier auf den inneren Hof. Wohin hatte Balzer hier seinen Weg genommen?

Nach langem Suchen gewahrte Heiner ein geöffnetes Fenster, welches zur Erleuchtung des Treppenaufganges bestimmt war. Es hatte eine zerbrochene Scheibe gehabt und war also leicht aufzustoßen gewesen. Er stieg hinein. Lärm zu machen hielt er nicht für gut, da Balzer dadurch zur vorzeitigen Flucht veranlaßt werden konnte; er beschloß vielmehr, sich so leise wie möglich zwei Treppen hoch zu begeben, wo, wie er wußte, die Knechte schliefen. Diese vorsichtig zu wecken, war jedenfalls das Beste; dann konnte der Eindringling auf frischer That ertappt und festgenommen werden.

Mit der Oertlichkeit nicht bekannt, nahm er, auf dem Korridor angekommen, zu einem Zündhölzchen seine Zuflucht, dessen Aufleuchten ihm zwei Reihen Thüren und die obere Treppe zeigte. Schon hatte er den Fuß auf die untere Stufe gesetzt, als es ihm war, als seien in dem hinteren Zimmer Stimmen erklungen. Er glitt bis an die Thür; er hatte sich nicht getäuscht, aber sie war verschlossen.

„Heraus mit dem Schlüssel!“ hörte er jetzt vernehmlich die verstellte Stimme Balzers.

Hier war Gefahr im Verzuge. Rasch glitt er noch zur Nebenthür, um diese zu untersuchen. Sie ließ sich öffnen. Heiner trat ein und übersah nach drei Schritten die ganze Scene.

Das Zimmer, in welchem er sich befand, war dasjenige, wo Balzer heut mit der Besitzerin gesprochen hatte. Daneben lag der Schlafraum, zu welchem eine jetzt weit aufgerissene Verbindungsthür führte. Eine Nachtlampe, von einem chinesischen Schirme bedeckt, erhellte ihn nur spärlich. Die Damen waren wohl im Begriffe gewesen, zur Ruhe zu gehen, als Balzer bei ihnen eintrat. Er hatte den Schrank verschlossen gefunden, und da er sich in Folge der Schwärze für sicher hielt und von den wehrlosen Frauen keinerlei Widerstand erwartete, so hatte er sich ganz einfach zu ihnen begeben

und den Schrankschlüssel verlangt. In der Rechten ein scharfgeschliffenes Waidmesser, hielt er mit der Linken die Hofherrin gefaßt, deren Züge nicht zu erkennen waren. Alma hatte sich entsetzt an die Mutter geklammert; ihre aufgelösten Haare hingen wie ein reicher, kostbarer Schleier um die Gestalt, deren wundervolle Formen in dem leichten Negligée eine verrätherische Hülle fanden; sie bebte am ganzen Körper und ihre erschrockenen Augen hingen an dem verbrecherischen Eindringling, wie an einer gespenstigen Erscheinung.

„Still sollt Ihr sein, net den Mux dürft Ihr thun, sonst ist’s um Euch geschehn! Gebt den Schlüssel heraus zum Schrank, denn die Kassett’ muß ich hab’n!“

„Der Schlüssel bleibt mein,“ erwiderte die muthige Frau, „und wenn Ihr nicht sofort geht, so rufe ich meine Leute herbei!“

„Versucht’s nur, wenn Ihr könnt! Das Messer wird net spaß’n!“

Sie versuchte, sich von ihm loszureißen.

„Hül — — —“

Sie konnte den Hülferuf nicht vollenden; ein rascher Griff um ihren Hals benahm ihr die Möglichkeit dazu. Er holte mit dem Messer aus, da aber schmetterte ein fürchterlicher Faustschlag auf seinen Schädel nieder, so daß er im Augenblicke lautlos zusammenbrach.

„Da hast’ genug, Spitzbub’! Grüß Gott, Alma! War’s so zur recht’n Zeit?“

„Heiner!“

„Nur das eine Wort rief sie; aber es lag in demselben eine ganze Welt voll Entzücken, und dann sank sie mit einem herzerschütternden Schluchzen zu Boden.“

„Alma!“ rief er und „Mein Kind!“ ihre Mutter.

Sie knieten vor dem Mädchen, welches die Augen geschlossen hatte und unter konvulsivischen Bewegungen erzitterte.

„Die Essenz, Heiner, schnell, schnell!“

„Wo ist sie?“

„Dort auf der Toilett’ das Flaçon!“

Er brachte es herbei, und während er den Kopf des Mädchens in seinen Arm nahm, besprengte die Mutter das blutleere Gesichtchen mit den belebenden Tropfen.

Hinter ihnen regte es sich leise. Balzer erwachte aus seiner Betäubung und öffnete die Augen; die wiederkehrende Besinnung zeigte ihm, daß er unbeachtet sei; er erhob sich und verschwand geräuschlos im Dunkel des Nebenzimmers.

„Es hilft! Nun noch aan wenig Wasser, Heiner!“

Alma öffnete die müden Lider und sah die Beiden mit sich beschäftigt.

„Was ist’s — wo bin — — wo ist der fürchterliche Mann?“

Erst jetzt dachten sie an den Verbrecher. Heiner schnellte empor und stieß einen Ruf der Ueberraschung aus.

„Er ist fort!“

„Fort?“ frug die Mutter. „Das ist das Best’, was er thun konnt’. Immer laß ihn, Heiner! Er wird den Weg schon find’n.“

„Aber ich muß ihn doch festhalt’n; es ist der Balzer!“

„Das hab’ ich schon gewußt; aber es hat ihm nix genutzt, und da woll’n wir ihn ruhig laufen lass’n.“

„Laufen lass’n — den Räuber, den Mörder?“

„Ja, Heiner. Ich mag weg’n ihm net auf’s Gericht, und er wird auch ohne uns noch seine Straf’ bekommen.“

„Wie Ihr wollt, so ist mir’s recht; aber es ist net gut, wenn so aan Mensch frei davongehn darf!“

Sie hatte eine Hülle um den Kopf gelegt und so weit vorgezogen, daß sie das Gesicht überragte. Dann trat sie zu ihm und ergriff seine Hand.

„Heiner, die Rettung jetzt, die werd’ ich nie vergess’n. Ich sag’ ganz groß’n Dank! Aber wie ist’s denn so gut und glücklich gekommen?“

Er fand nur schwer die Worte, seine Anwesenheit beim Hofe zu erklären, und berichtete dann das Weitere.

Alma sprach kein Wort der Anerkennung, aber das glückliche Lächeln in ihrem jetzt wieder gerötheten Angesicht sprach deutlicher als Worte.

Jetzt endlich kam auch das Gesinde herbei, welches durch die Unruhe in den Räumen der Herrschaft aufmerksam geworden war.

„Es ist nix von Bedeutung, Ihr Leut’!“ meinte die Herrin. „Der Heiner hat Jemand durch die Scheun’ kriech’n sehn und es mir gemeldet. Schaut nach, ob Ihr Wen findet, und geht dann ruhig schlaf’n!“

Auch Heiner ging, nachdem er den freundlichsten Abschied erhalten hatte; aber er verließ die Umgebung des Hofes nicht eher, als bis die bald entdeckten Fußspuren ihm die Ueberzeugung gaben, daß auch Balzer heimgekehrt sei.

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Die Frauen blieben in einer leicht erklärlichen Aufregung zurück. Das Bedürfniß des Schlafes war ihnen vollständig vergangen, und so saßen sie bei einander und besprachen das Ereigniß in allen seinen erschütternden Einzelheiten.

„Du hast Dich bisher so von allem Verkehr zurückgezogen, Mama, damit man Dich nicht erkennen solle, und nun ist er doch bei Dir gewesen,“ meinte Alma schließlich.

„Aber er hat mich nicht erkannt.“

„Nein, sonst hätten wir es sicher merken müssen. Nicht wahr, nun erfüllst Du schon aus Dankbarkeit für seine heutige Hülfe meine Bitte?“

„In Beziehung seiner Gedichte? Ja. Ich habe das Manuskript noch gar nicht aufgeschlagen; ich wollte mir die Lektüre bis zu einer Stunde völliger Muse aufheben; da wir aber nun doch noch nicht zur Ruhe gehen, so laß uns einmal hineinsehen!“

Sie nahm die Schrift aus ihrem Verwahrsam und schlug die Blätter auseinander. Ihre feinen, leidenden Züge bekamen Leben, ihre Augen, erst so matt, begannen zu glänzen, und von Blatt zu Blatt rötheten sich ihre Wangen mehr und mehr. Sie traf auf viel, auf sehr viel Bekanntes, und allemal war es ein inniges,

glückliches Lächeln, mit welchem sie es begrüßte. Sie las selbst und laut; Alma hörte mit nicht geringerer Theilnahme zu; sie fühlte nicht, daß jedes auf die unglückliche Liebe des Dichters bezügliche Wort ihr Herz mit leisem Stachel traf, und als die letzte Zeile verklungen war, umarmte sie die Mutter innig und flüsterte tiefathmend:

„Er muß Dich sehr, sehr lieb gehabt haben!“

„Ja!“ entfuhr es langsam ihren Lippen. „Und diese Liebe habe ich mit schwarzem Undank belohnt!“

„Aber auch dafür gelitten, Mama! Der elende Glanz des Bühnenlebens, der böse Papa mit — — —“

„Er ist todt, Alma, und Du hast ihn nie gekannt; er war Aristokrat und Millionär und konnte es mir später nie verzeihen, daß er mir im Rausche der Jugend die Rechte der Frau eingeräumt hätte. Laß ihn ruhen. Es ist kein Wunder, daß das Andenken an Heiner nie verlöschen konnte, sondern vielmehr diesen mir in immer hellerem, edlerem Glanze zeigte.“

„Er wird Dir vergeben und Dich wieder lieben, Mama!“

Es war ein stilles, ergebungsvolles, beinahe trauriges Lächeln, mit dem die Mutter antwortete.

„Ich denke an kein Opfer, das er mir bringen müßte!“

Sie spielte mit einem Blatte, welches zwischen der letzten Seite und dem Einbande des Manuskriptes gelegen hatte. Es umwendend, bemerkte sie, daß es beschrieben sei. Sie las und gab es dann mit einem unbeschreiblichen Blicke der Tochter hin.

„Ein Opfer?“ hatte diese gefragt.

„Ja, ein Opfer. Lies selbst!“

Das Mädchen sah die wenigen Zeilen, und tiefe Gluth bedeckte ihr Gesicht bis zum Nacken herab. Sie las:

„Ich sah der Sonne letzten Strahl

Um dunkle Wolken sprüh’n

Und unter Küssen ohne Zahl

Die Tanne hell erglüh’n.

Ich sah den lieben Tannenbaum

Im gold’nen Morgenlicht,

Sie kam zurück; es war kein Traum,

Und dennoch war sie’s nicht.

Es war ihr Bild, nein, nicht ihr Bild,

Sie selbst war’s, doch verklärt

Und nun ist aller Schmerz gestillt,

Der, ach, so lang gewährt.“

Sie sagte nichts; aber als die Mutter ihre Arme um sie legte, da drückte sie das Köpfchen fest an den treuen, entsagungsfreudigen Busen und in ihren Wimpern glänzte ein großer, heller Thränentropfen.

„Alma, er wird mir verzeihen und glücklich sein!“

„Und der Großvater?“

„Er ist starr und unversöhnlich, doch wollen wir zu Gott bitten, daß er ihm das Herz lenkt und verzeihlich stimmt. Die Vorsehung ist eine liebevolle Mutter ihrer Menschenkinder; sie zählt die Thränen und läßt nicht eine davon verloren gehen. Auch die meinen werden getrocknet werden; diese Überzeugung und die Liebe zu meinem guten Kinde, sie allein haben mir die Kraft gegeben, die mich in allem Leide aufrecht erhält. Komm’, laß uns nun zur Ruhe gehen!“

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VII.

Die Wochenfrist war vergangen, und Balzer kam zum Vorsteher, um seine Meldung zu machen. Es fiel ihm schwer, dem Befehle Gehorsam zu leisten, aber er sah ein, daß er sich fügen müsse, und einen Trost hatte er dabei, nämlich den, dem Gemeindehause zu entgehen.

„Nun, was bringst’ für Botschaft?“

„Daß ich den Dienst hab.“

„Wo?“

„Beim Wirth.“

„Beim Wirth? Wozu hat dieser Dich denn nöthig? Er ist ja hinreichend mit Dienstleut’n versehn.“

„Ich geh’ für ihn spazier’n. Adjes, Vorsteher!“

Schnell war er zur Thür hinaus, wie vor acht Tagen der Vorsteher auch, und ging nach dem Wirthshause.

„Nun, was hat er gesagt?“ frug ihn sein neuer Dienstherr.

„Nix hat er gesagt der Hoffahrtspinsel. Ich hab ihm die Meldung gemacht und ihn dann sitzen lass’n.“

„Recht so! Nun bist’ bei mir, Balzer, hast den Unterschlupf hier und ich denk’, daß wir mit ’nander zufrieden sein werd’n. Du kannst gehn und kommen wie Dir’s paßt, aber Alles, was Du schießest, das ist mein, und die Preis’ hab ich Dir gesagt.“

„Schon gut; ’s ist All’s in Ordnung, Wirth!“

Er stieg empor in die Kammer, die ihm eingeräumt worden war und sah sich in derselben um. Es sah ärmlich genug darin aus. Er warf sich auf einen Stuhl und knirschte mit den Zähnen.

„So also ist’s gekommen, ganz anders, als ich’s gemeint hab! Der Wirth ist aan Fuchs, der ganz wohl waaß, weshalb er mich zu sich genommen hat. Er giebt mir dies Loch, und dafür schieß ich ihm das Wild für aan Lumpengeld. Und wer ist Schuld daran? Wer anders als der Giftheiner, dem ich All’s zu danken hab’, die Armuth, das Elend, Hunger und Kält’ und die Verachtung allorts, hier im Dorf und auch anderswo.“

Er stand wieder auf und ging, um sich zu erwärmen, in dem kahlen Raume auf und ab.

„Was hatt’ er auf dem Teichhof zu such’n, daß er da stand und mich niederschlug grad in dem Augenblick, wo meine Sach’ am Best’n stand? Geht er etwa der Alma nach, grad wie er’s mit der Alwin’ gemacht hat? Das mag er nur fein bleiben lass’n, denn“ — — er öffnete einen alten Koffer und nahm zwischen zerfetztem Lumpenkram einen Gegenstand hervor, den er empor­hielt — — „denn hier ist noch die Flasch’ von damals, und die Hälft’, die große Hälft’ ist noch drin. Ich hab mir’s aufgehob’n, und nun mag ich sein Gesicht net länger mehr sehn. Er soll noch heut den Zahlaus hab’n. Er muß auf den Abend in den Gesangverein, und wenn er nach Haus’ geht, so schlag’ ich ihm die Flasch’ grad auf den Kopf. Ja, so wird’s gemacht, und — — —“

Er hielt inne. Ein neuer Gedanke war ihm gekommen.

„Aber dann bin ich doch immer der Lump, der nix hat! Geld muß ich bekommen, und weil er mich im Teichhof gestört hat, so soll er dafür das Seinig’ hergeb’n. Er hat genug; er hat gespart und zusammengescharrt, der Geizhammel, und es liegt in der Truh, die in der Niederstub’ steht, und dem Alt’n seines mit, das wiss’n die Leut’ all und ich auch. Ich geh von hint’n in das Haus, nehm’ das Geld, und wart’ bis er kommt; dann geb’ ich ihm die Flasch’ und spring von dannen. Hier aber geh’ ich bei Zeit’n schlaf’n, damit ich net in Verdacht gerath.“

Der Plan war seines Meisters werth. Dieser legte sich die Werkzeuge zurecht, deren er vielleicht bedurfte, und begab sich dann in die Gaststube zurück, wo er einige verwandte Seelen fand, mit denen er sich zur Karte setzte. Als die Zeit gekommen war, schützte er große Müdigkeit vor, erhob sich und ging nach oben; heimlich aber schlich er sich dann fort.

Zunächst überzeugte er sich, daß Heiner wirklich bei den Sängern sei; dann begab er sich nach dessen Wohnung. Er wußte, daß der alte Silbermann gewohnt sei, zeitig schlafen zu gehen und ihm also nicht im Wege stehen werde. Dieser aber war so munter wie noch nie. Er hatte ganz ungewöhnlichen Besuch bekommen, einen Besuch, der ihn schon nach wenigen Minuten so vollständig für sich eingenommen hatte, daß er mit Fragen und Erzählen kaum fertig werden konnte.

Noch hatte nämlich Heiner sich nicht längst entfernt, so ging die Hausthür draußen und es klopfte. Auf das „Herein!“ des Vogelhändlers trat eine so wunderliebliche Mädchengestalt ein, daß er sie, als sie sich aus dem Pelze geschält hatte, mit großen, verwunderten Augen anblickte, als sei eine Fee in sein kleines Heim herabgestiegen.

„Gut’n Abend, Papa Silbermann!“

„Gut’n Abend! Hm, wer ist denn das?“

„Ich bin die Alma vom Teichhof.“

„Die Alma? Ja, ja; ich hab’ Dich noch gar net so recht gesehn, und darum kannt’ ich Dich auch net. Willkommen! Sag, was bringst?“

„Der Mutter ihr Geburtstag ist gar bald, und da sie so Freundin ist vom Vogelgesang, so wollt’ ich gern um gut’n Rath frag’n, ob ich ihr net aan Vögle kauf’n könnt’.“

„Warum denn net? Was willst’ denn für aan’s? Ich werd’ Dich gut bewahr’n!“

„Ja, grad was ich für aan’s will, dies waaß ich eben net; drum wollt’ ich frag’n.“

„So setz Dich doch ’mal nieder! Waaßt wohl auch net, was die Mutter gern hat?“

„Nein.“

„So nimm aan’n Kanaris!“

„Der schnattert zu sehr, und Mutter ist net wohl.“

„Oder aan Rothkehlchen?“

„Das dauert mich. Es ist den Wald gewohnt, und da mag ich’s net in die Stub’ sperr’n.“

„Ja, du Schalk, da darfst ja gar kaan Vögele kauf’n!“

„Dies hab ich auch gedacht; aber ich wollt doch ’mal sehn, was Ihr für welche habt.“

„O, Alles kannst’ bei mir bekommen, Alles; aber bei Tag’ mußt’ da sein, weil sie des Abends schlaf’n und da darf man sie net stör’n.“

„So will ich jetzt gehn und ’mal wiederkommen!“

„Warum gleich gehn? Kannst immer bleib’n, so lang es Dir gefällt. Oder fürchtest’ Dich vor mir?“

„Vor dem Silberpapa? O nein, der thut mir nix, der ist grad so lieb und gut wie der Heiner!“

„Ach so, da ist der Heiner lieb und gut? Davon hab ich noch nix gemerkt. Woher hast’s denn erfahr’n?“

„Ich hab’s gehört und auch gesehn, drob’n auf dem Fichtler und nachher, als wir in die Stadt gefahr’n sind.“

„Was! Auf dem Fichtler bist mit ihm gewes’n?“

„Freilich!“

„Und in der Stadt?“

„Ja. Er hat den Schlitt’n gefahr’n und dann sind wir den ganz’n Tag drin herumgelauf’n.“

„Was ich da All’s hör! Und davon hat er mir kaan Sterbenswort gesagt. Na wart’ nur, Bursch’; bin ich der Unnütz zu Haus’, der von nix zu wiss’n braucht, so sollst nun auch net erfahr’n, wer heut Abend bei mir ist!“

„Gut, vortrefflich! Wir woll’n jetzt die Verschwörung mach’n geg’n ihn, daß er nix erfährt, wenn ich ’mal hier bin. Schlagt ein, Papa Silbermann!“

„Auf der Stell! Hier ist die Hand, und das Komplott ist fertig. Aber willst denn wirklich wiederkommen?“(Fortsetzung folgt.)

77249.

Der Giftheiner.

Eine Erzählung aus dem ErzgebirgevonKarl Hohenthal.

(Forts. und Schluß.)

Wenn ich darf!“

„Ob Du darfst? Komm nur immer, Du liebs Vögle Du! Freilich, gefall’n wird Dir’s net sehr bei mir in der Männerwirthschaft. Aber das ist nun ’mal net anders; denn wo kaane Frau im Haus’ ist, da giebts nur eitel Unordnung und Aergerniß. Erst hab ich net gewollt, daß er mir die Schwiegertochter bringt, und nun will er net.“

„Warum denn net?“

„Nun warum denn anders, als weil ihm die Alwin’ noch im Kopf herumgeht!“

„Ist sie denn so gar aan absonderlich Madel gewes’n?“

„Das will ich meinen! Aan Madel wie aane Bachstelz, tipp tipp, zipp zipp, so wippt und schwippt sie auf und nieder, so glatt und schlank, aan Federle wie’s andre, aan Schwänzle wie aane

Schmerl, und aan Füßchen, aan Schnäbele, so fein und sauber, daß man nur das Netz gleich hinleg’n möcht, um das Ding zu fangen. Aber, aber — ich will weiter gar nix sag’n! Wie das von auß’n so zierlich, so adrett wippt und schnippt, so ists dann auch von innen, und der einfachst’ Hänfling ist mir lieber als so aan unstät Geschöpf, wenn er auch zuweil’n ’mal auf den „Zapp“ verfällt.“

Der gute Alte war auf sein Lieblingsthema gekommen, und verbreitete sich so ausführlich darüber, daß Alma nur selten ein Wort oder eine Frage einflechten konnte. Endlich aber fand sie doch Gelegenheit, sich zu erheben und Abschied zu nehmen. Er begleitete sie vor die Thür.

„So komm ja recht bald wieder und fall’ mir net! Es ist glatt’ auf der Straß’!“

„Will mich schon vorsehn! Also bei dem Komplott, da bleibts?“

„Versteht sich, versteht sich!“

Sie ging. Er trat nicht eher in das Haus zurück, als bis ihre Schritte vollständig verhallt waren.

„Sapperlot, ist das aan Madel! Dageg’n ist selber die Alwin’ nur kalt Wasser. Fürchtet sich net vor der Nacht und kommt so weit herauf, um der Mutter aane Freud’ zu mach’n, und ist doch so zärtlich und fein, daß man’s einwickeln möcht’ wie Marzipan. Ja, wer so ’mal diese Art bekommen könnt! Aber daran darf Aaner vom Dorf gar net denk’n!“

Er verschloß die Hausthür und ging schlafen.

Kaum war sein Kammerfenster erleuchtet, so erhob sich Balzer. Er hatte im Garten gesteckt und nur auf diesen Augenblick gewartet. Er kannte die Bauart des Häuschens nicht genau und hatte sich deshalb einen Lichtstumpf mitgebracht. Diesen brannte er an, sobald er in dem unverschließbaren Schuppen angekommen war. Der letztere war bis unter das Schindeldach mit Stroh und Reisig angefüllt; von ihm aus ging die Hinterthür in den Hausflur. Balzer untersuchte die Thür. Sie hatte kein Schloß und war von innen durch eine einfache Holzklinke zu öffnen, die in einen Haspen fiel. Er zog einen Drahthaken hervor, öffnete und trat in den Flur. Er merkte nicht, daß es hinter ihm leise zu knistern begann. Er hatte das Zündholz unachtsam von sich geworfen, so daß es in das dürre Reisig fiel.

Die Stubenthür war mit einem jener alten Drehschlösser versehen, welche keinen Schlüssel, sondern einen Drücker haben, dessen Innentheil aus einer Schraubenmutter besteht, welche, um zu öffnen, an den Schraubentheil des Schlosses geleiert wird. Die Einfachheit dieser Schlösser hat zur Folge, daß sie alle mit jedem beliebigen Drücker geöffnet werden können. Balzer war auch hierauf vorbereitet. Er zog einen Drücker aus der Tasche und öffnete.

Nachdem er die Thür leise wieder hinter sich zugezogen hatte, sah er sich in der Stube um. Die Truhe, welche er suchte, stand in dem hinteren Winkel. Er fand sie verschlossen und nahm nun Meisel und Zange zur Hand. Da diese Arbeit so leise wie möglich geschehen mußte, so nahm sie ziemlich lange Zeit in Anspruch. Es wurde ihm heiß dabei; daß diese Hitze noch eine andere Ursache habe, vermuthete er nicht im Geringsten.

Endlich sprang der Deckel auf und sein gieriger Blick verschlang das Innere. Hier hatte er jedenfalls eine sicherere Ernte zu halten, als im Teichhofe, denn er erblickte mehrere Schachteln, jede mit einer bestimmten Geldsorte gefüllt. Daneben lagen zwei Sparkassenbücher, ein Hypothekenschein und eine Anzahl alter Pretiosen nebst einer Uhr, jedenfalls das Eigenthum des älteren Silbermann.

Noch musterte er seine Beute, da schrak er plötzlich zusammen. „Feuer, Feuer!“ ertönte es draußen auf der Straße, und zu gleicher Zeit fielen krachende Schläge gegen die Hausthür. Schnell ergriff er ein Tuch, raffte Alles hinein, warf den Deckel zu, blies das Licht aus und eilte aus der Stube. Er wollte durch die Hinterthür entfliehen, blieb aber geblendet stehen, denn der Schuppen stand in Flammen, so daß das Feuer ihm den Ausgang verwehrte. Es blieb ihm kein anderer Weg, als vorn durch die Thür oder eines der Fenster; er war gefährlich genug, aber der einzige, den es gab.

Er trat also in die Stube zurück und zog den Vorstecker aus dem einen Ladeneisen. Draußen hatte sich bereits eine Menge Menschen versammelt, welche einzudringen versuchte. Da dies durch die Thür nicht gelang, so versuchte man es durch die Fenster. In demselben Augenblicke, als Balzer den Vorstecker entfernte, wurde von Außen an dem Laden gezogen. Dieser fuhr auf, eine kräftige Faust schlug an das Fensterkreuz, daß die Scheiben zersprangen; das Fenster wurde eingestoßen und es stieg Jemand in die Stube, um die Hausthür zu öffnen. Er bemerkte Balzer nicht und stürzte an ihm vorüber. Dieser erfaßte den Augenblick, und während die Draußenstehenden ihr Augenmerk auf den Eingang richteten, sprang er zum Fenster hinaus und über die Straße hinüber.

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Heiner befand sich noch im Gesangvereinslokal als der Feuerruf erschallte. Die Sänger flogen sofort auseinander und auf die Straße.

„Wo brennt’s?“

„Bei Silbermanns!“ ertönte die Antwort.

Da sprang er, wie von der Feder geschnellt, allen Uebrigen

voran die Straße hinab. Eben als er den Platz erreichte, sah er Balzer aus dem Fenster springen.

„Der Brandstifter! Haltet ihn!“ rief er und schoß hinter ihm her.

Balzer wußte, daß Heiner im Laufen ihm überlegen sei. Alles Andre war verloren, aber das Geld und die Freiheit mußte gerettet werden. Er schoß an dem Zaune des Kantors hin, bog um die

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Ecke und schwang sich, seinen Vorsprung benutzend, in den Garten, wo er sich lautlos niederduckte, um den Verfolger an sich vorüberspringen zu lassen. Heiner aber war nicht der Mann, der sich täuschen ließ. Im nächsten Augenblicke sprang auch er herüber und hatte den sich wieder aufraffenden Flüchtling gerade an der verhängnißvollen Laube erreicht. Die helle Lohe beleuchtete die beiden Feinde, so daß Jeder deutlich den Haß aus dem Auge des Andern sprühen sah.

„Steh fest, Feuermann; jetzt entkommst mir net, wie dort im Teichhof!“

„Denkst? Hab’ Acht, Giftheiner, jetzt gilts!“

In die Tasche langend, riß er die Flasche heraus, schwang sie hoch em­por — — —

„Her mit der Waff’!“ rief Heiner, bäumte sich auf, riß ihm die Flasche aus der Faust und schlug sie ihm selbst auf den Schädel nieder. Wie im Teichhofe, brach der Getroffene lautlos zusammen.

Dies Alles war das Werk eines Augenblickes gewesen, so daß Diejenigen, welche seinen Ruf gehört hatten und gefolgt waren, erst jetzt an seiner Seite anlangten.

„Hier liegt er; es ist der Balzer. Nehmt ihn fest und verwahrt die Sach’, die er gestohl’n hat!“ gebot er und eilte über den Zaun wieder hinüber in das bereits brennende Haus. Dort hörte er den Ruf seines Vaters.

„Laßt All’s verbrennen, All’s, nur schafft mir die Vög’l hinaus, daß die armen Dinger net elend umkommen! Wo ist der Heiner? Ist er noch net da?“

„Hier bin ich, Vater! Hast’ das Geld?“

„Nein; es ist fort; die Truh’ ist erbroch’n.“

„So ist’s net verloren. Ich hab’ den Brandstifter festgenommen und er hat’s noch bei sich.“

Der angestrengten Thätigkeit der Rettenden gelang es, den größten Theil des Silbermann’schen Eigenthums zu bergen, das Häuschen selbst aber brannte vollständig nieder. Einer der Nachbarn trat zu Heiner.

„Hast’ für den Augenblick Zeit?“

„Wozu?“

„Sollst hinauf zum Kantor kommen.“

„Zu dem? Was will der mit mir?“

„Wirst’s schon sehen. Geh’ nur, er läßt Dich ganz freundlich bitt’n.“

Heiner drängte sich durch die Menge und betrat das Schulhaus seit langen, langen Jahren zum ersten Male wieder. Schon auf der Treppe vernahm er ein wüstes Geschrei, untermischt mit ganz entsetzlichen Klagelauten. Gerade auf demselben Sopha, wo damals der verletzte Kantor gelegen hatte, wand sich jetzt Balzer unter den fürchterlichsten Schmerzen und bot ganz denselben Anblick, wie ihn der Kantor gehabt hatte. Dieser trat mit seinen blöden Augen auf den Angekommenen zu.

„Bist’s, Heiner?“

„Ja.“

„Ich hab’ Dich zu mir geboten, um Abbitte zu thun.“

„Wofür?“

„Für alles Leid und Unrecht, welches ich Dir verursacht und angethan habe. Schau, dort liegt der Balzer, vor Schmerzen fast wahnsinnig, und seine Qualen haben ihm das Geständniß ausgetrieben. Die Säure hat damals Dir gegolten, aber mich getroffen; er hat es aus Eifersucht gethan. Auf dem Teichhof ist er eingebrochen, wo Du ihn vertrieben hast, und heut wollte er Dich erst bestehlen und Dir dann mit der Säure das Gesicht nehmen. Er hat sie sich zu diesem Zwecke so lange aufgehoben; Du aber hast die Waffe umgedreht, und nun liegt er da, ein Zeugniß des gerechten Strafgerichtes des Höchsten, der jede Schuld gerade in derselben Weise bestraft, in welcher sie begangen wurde. Kannst Du mir vergeben?“

Heiner schlug tieferschüttert in die dargebotene Hand ein.

„Ich kann und will, Herr Kantor! Ich bin zwar bös und zornig auf Euch gewes’n, aber gehaßt hab’ ich Euch doch niemals net; dazu hab ich Euch zu viel zu verdank’n“

„So mag die alte gute Nachbarschaft von Neuem zwischen uns bestehn! Eure Wohnung ist verloren. Kommt herüber zu mir bis sich eine bessere Aushülfe gefunden hat.“

„Ich nehme es an und werde auch den Vater herüberschicken!“

Die Kunde von dem Schicksale Balzers ging von Mund zu Mund, doch seine Höhe hatte es noch nicht erreicht. Der Gensdarm stellte sich ein, hörte die Aussage der betreffenden Zeugen, vernahm auch seine eigene Anklage, die er laut brüllend unter Flüchen und Verwünschungen ausstieß, und befahl, ihn zum Vorsteher zu transportiren. Alles wich dem Verruchten aus, als er durch die Menge halb getragen, halb geschleppt wurde, und mit Schaudern vernahm

man noch von Weitem seine gellende Stimme, mit welcher er bald Heiner, bald sich und bald Gott selbst die Schuld an seinen Qualen beimaß.

Der Erstere stand in der Nähe des niedergebrannten Hauses und starrte düster in den noch immer glühenden und qualmenden Schutt. Da legte sich eine kleine Hand auf seinen Arm.

„Heiner!“

Er drehte sich um.

„Alma!“

„Ja, ich bin’s. Ich hab’ mich von dem Knecht herführ’n lass’n, um Dir die Botschaft zu bringen von der Mutter.“

„Welche?“

„Du sollst zu uns kommen mit dem Vater und bei uns wohnen, so lang als es Euch gefällt.“

„Alma, ist’s wahr?“

„Ja. Die Mutter sagt, ich soll Dich zu niemand Anders lass’n.“

„Ich kann’s net annehmen. Ich mach’ Euch Last und Unruh’.“

„Nein. Der Hof ist groß und hat mehr Raum als nur für Euch. Und wenn Du meinst, daß Du uns überflüssig bist, so kannst’ ja Hofmeister oder Verwalter sein, bis Du wieder aufgebaut hast oder ’was Bessers findst!“

„Bleib stehn, Alma; ich muß den Vater frag’n!“

Er suchte diesen auf und traf ihn, als er eben aus dem Schulhause trat.

„Bist’ einig geword’n mit ihm, Vater?“

„Net gern. Aber was will ich mach’n? Du hast A gesagt, so muß ich wohl B sag’n. Er giebt uns die zwei Seitenstub’n, und so lass’n wir die Sach’n gleich heraufschaff’n.“

„Oder auch net.“

„Warum?“

„Es ist uns noch ’was Anders angebot’n word’n.“

„Von wem?“

„Von der Alma auf dem Teichhof.“

„Von der Alma? Die kenn’ ich doch gar net! Wer ist’s?“

„Die Tochter. Die Herrin läßt uns sag’n, wir soll’n bei ihr bleib’n, so lang es uns gefällt. Und wenn ich will, so kann ich Hofmeister oder Verwalter sein.“

„Du? greif zu, Heiner! So ’was kommt net alle Tag’, und beim Kantor hätt’ ich mich in alle Ewigkeit net wohl gefühlt. Der Vogelsteller paßt net zu ihm. Geh’ hinauf und sag’s ihm ab!“

Heiner that dies und kehrte dann zu der seiner harrenden Alma zurück.

„Nun, hast gefragt?“

„Ja. Wir kommen auf den Hof.“

„Das ist gut, Heiner! Ich geh gleich wieder nach Haus’ und schick die Leut’ herbei, um Deine Sach’n zu hol’n. Das ist bald gemacht; Hülf’ ist ja auch noch andre da, und so wird der Einzug schnell fertig werd’n.“

Sie ging mit dem Knechte zurück und bald langten vom Teichhofe drei Wagen an der Brandstätte an, auf welchen die geretteten Sachen recht gut Platz hatten. Als aufgeladen war, ging es das Dorf hinab — einer neuen, schönern Zukunft entgegen, wie es Heiner dünkte. Am Hause des Vorstehers hielt ein Schlitten, in welchen soeben der Gensdarm seinen Gefangenen laden ließ. Die Augen waren ihm zerstört, so daß er nichts mehr sehen konnte, und ein leises Wimmern gab Zeugniß, daß die Schmerzen noch nicht aufgehört hatten. Heiner mußte unwillkürlich an jene Worte denken, welche Balzer ihm auf dem Fichtelberg zugeworfen hatte: „Ich streich’ die Rechnung net eher, als bis ich Dich net mehr zu sehn vermag!“ Es war ihm nun ganz wörtlich sein Recht geschehen.

Im Teichhofe kam ihnen Alma entgegen und entschuldigte die Mutter, daß sie nicht zugegen sein könne, da sie sich leidend fühle. Dann wies sie ihnen die Zimmer an und war ganz besonders für die Unterbringung der Vögel besorgt, was die erworbene Zuneigung des alten Mannes um das Doppelte erhöhte.

Nun kamen Tage des Schaffens und der Sorge. Das Häuschen war versichert gewesen und der Schaden, den das Feuer verursacht hatte, also nicht bedeutend; aber es mußte doch gar viel überlegt, geordnet oder verändert werden, und wo es dabei einer weiblichen Hülfe bedurfte, war Alma stets bei der Hand.

„Heiner, ist sie wirklich Komtess’ gewes’n, eh’ sie auf den Teichhof kam?“

„Ja, Vater. Sie ist’s net nur gewes’n, sie ist’s auch noch.“

„So giebt’s auf der ganz’n Welt kaane schön’re, liebere und bess’re Komtess’ als sie. Aber ich wollt’ doch, sie wär’ aan Bauermadel!“

„Warum?“

„Hm, darum! Ich werd’ mich hüt’n und werd’s sag’n, es

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nützt doch nix. Aber nun siehst’ ja selber, was die Frau in der Wirthschaft zu bedeut’n hat, besonders wenn dem Mann das Haus abbrennt. Ohne sie kann er sich aus dem Wirrwarr gar net herausfind’n, und das ist sehr leicht zu erklär’n, denn wo kaane Frau im Haus’ ist, da giebt’s nur eitel Unordnung und Aergerniß!“

„So heirath’ doch; ich hab’ Dirs ja schon oft gesagt!“

„Hör’, Bursch’, komm’ mir net so, denn — — aber was ist denn das? Ich glaub gar, da kommt der Kantor! Da mach’ ich mich aus dem Staub!“

Wirklich trat der Genannte ein. Die Angelegenheit, welche ihn herbeiführte, mußte ihm am Herzen liegen, sonst hätte er mit seinen schwachen Augen nicht den ungewohnten Weg nach dem Teichhofe gesucht. Er hatte nach der Wohnung Heiners gefragt, und eine der Mägde brachte ihn herbeigeführt.

„Grüß Gott, Heiner! Darf ich Dich einmal besuchen?“

„Gern, Herr Kantor. Ich bin zu sehr in Geschäft’n gewes’n, sonst wär’ ich schon längst ’mal zu Euch gekommen.“

„Das konnte ich mir denken. Aber nun bist Du wohl einigermaßen in Ordnung?“

„Leidlich, ja.“

„Dann möchte ich eine Bitte aussprechen.“

„Welche?“

„Du weißt, wie hoch mir Deine Kantate gilt. Sie ist meine beste Komposition. Alter und Schicksal haben es nicht gut mit mir gemeint, und ehe ich sterbe, möchte ich sie gern noch einmal hören. Mache mir die Freude und übernimm wie früher den Solotenor!“

„Wenn es Euch wirklich Freud’ macht, so will ich es von Herz’n gern thun!“

„Hab Dank, Heiner!“ Er ergriff die Hand des jungen Mannes. „Und nun will ich Dir Eines sagen: wenn heut Alwine lebte und Du begehrtest sie zum Weibe, ich gäbe sie niemanden lieber als Dir!“

Er wankte hinaus. Heiner führte ihn bis vor den Hof. Alma bemerkte es und kam herbei.

„Was hat der Kantor bei Dir gewollt, Heiner?“

„Ich soll die Kantat’ mitsingen.“

„Und hast’ zugesagt?“

„Ja.“

„So mußt’ aber auch all’ Tag’ mit mir zu ihm in die Uebung gehn! Willst?“

„Nimmst mich denn gern mit?“

„Ungern net, aber gern!“ lachte sie und schlüpfte fort.

So kam es auch. Wenn die Dämmerung hereinbrach, wanderten sie nun täglich zum Kantor und nach der Uebung wieder zurück. Dabei legte sie vor dem Dorfe immer ihren Arm in den seinen, damit sie im Schnee nicht strauchle. Das waren selige Gänge für Heiner, denn dann war er mit ihr allein und konnte immer tiefere Blicke thun in den Reichthum ihres reinen, engelhaften Gemüthes.

Auf einem der Nachhausewege frug sie, mitten im Gespräch abbrechend:

„Wer singt den Sopran besser, Heiner, die Alwin’ oder ich?“

„Du.“

„Warum?“

„Weil Du im Herz’n stets Weihnacht’n hast; das klingt dann ächt und wahr. Nur Aans ist der Alwin’ besser gelungen, weil ihre Stimm’ größ’re Macht gehabt hat, nämlich die Arie „Ich verkünde große Freude.“ Das muß wie Engelsruf über alle Felder und Hirt’n hinwegbraus’n, und dazu ist Dein Organ zu zart.“

„Und nun sag’ auch, mit wem hast’ lieber gesungen, mit ihr oder mit mir?“

„Frag’ den Kantor!“

„Wie so?“

„Er sagt, daß ich mit Dir besser sing’ als mit der Alwin!“

„Aber auf sie hast’ Vers’ gemacht!“

„Warum, das hab ich Dir schon gesagt als wir damals zur Stadt fuhr’n.“

„So darfst’ bei mir net?“

Sie schlang die Hände über seinem Arm zusammen und hob ihr liebes Gesicht zu ihm empor.

„Nein!“

„Aber ich hab’ dich doch gerade damals darum gebet’n, Heiner!“

„Ich — ich darf net.“

„Sie schwieg nachdenklich, dann rezitirte sie halblaut:

„Es war ihr Bild, nein, nicht ihr Bild,

Sie selbst war’s, doch verklärt.

Und nun ist aller Schmerz — — —““

„Alma!“ fiel er erschrocken ein; „wo hast’ dies Gedicht her?“

„Gefund’n?“

„Wo, sag’ wo! Ich hab’s verlor’n oder versteckt und überall vergebens gesucht.“

„Willst’ es wieder hab’n oder darf ich es behalt’n?“

„Ich kann Dir’s net lass’n, ich darf Dir’s net lass’n. Gieb’s wieder zurück!“

„Bitt, Heiner, laß es mir!“

„Nein, nein, es gehört mir!“

„Dir! Und ich hab gedacht, es sei Jemand damit gemeint. Geh, Heiner, Du hast mit der Alwin’ viel lieber gesungen als mit mir! Willst es gleich hab’n, das Gedicht?“

„Ja,“ antwortete er zögernd und gepreßt.

„Da, nimm!“

Sie blieb stehen und zog an einer Schnur, die am Halse unter dem Kleide verlief. Es hing ein Medaillon daran, welches sie öffnete; es lag nichts als ein zusammengebrochener Zettel darin.

„Ist es das, Alma?“

„Ja. So nimm doch!“

Er zögerte.

„Und wirst’ dann bös auf mich sein?“

„Nein; das kann ich nie!“

Er hörte das leise Beben ihrer Stimme; er sah, daß die treuen, klaren Augen wie flehend zu ihm emporschauten, und neigte sich zu ihr nieder.

„Alma,“ sprach, nein, flüsterte er in jenem Tone, den man im Leben nur einmal kennt, „Hast’ erfahren, was Dein Nam’ bedeutet?“

„Ja, er heißt Seele.“

„Und kein andrer Nam’ hätt’ für Dich gepaßt, so viel’ tausend es auch giebt.“ Er zog sie an sich, und beinahe zitternd zwischen Hoffen und Fürchten er klang die leise, innige Frage: „Sag’, Alma, willst’ meine Seele sein, mein Glück, mein Leb’n und meine Seligkeit, jetzt und immerdar?“

„Darf ich denn, Heiner?“

„Ob Du darfst? Sag’ ja, Alma, sonst waaß ich net, was mit mir wird; ich muß eingehn, wie der Baum ohne Land, ich muß sterb’n, wie die Blum’ ohne Sonne oder wie der Gedank’ ohne das Wort, das ihn umschließt. Alma, Du hast mir den Tag wiedergegeb’n nach langer Nacht, laß es net wieder dunkler werd’n als es zuvor war! Sag’ also, magst’ meine Seele sein?“

„Ja!“ hauchte sie unter unaussprechlicher Wonne.

Er umarmte und er küßte sie nicht, aber er legte ihren Kopf an sein Herz und strich ihr mit der Hand lind über das volle, seideweiche Haar, welches unter dem zurückgefallen Kapuchon hervorquoll.

„So leg’ Dein Köpfle hierher, Du Engel Du; da soll er ruh’n und sicher sein vor allem Leid so lang mein Leben währt!“

Er hatte wie im Schwur die Hand erhoben, und der Sternenschein flimmerte in einer Thräne, die an seiner Wimper hing. Dann hüllte er sie sorgfältig ein, zog ihren Arm in den seinen und nahm den unterbrochenen Weg wieder auf. Kein Wort wurde weiter gesprochen; aber als er, im Hofe angekommen, sie von sich ließ, frug er:

„Sagst’ es der Mutter?“

„Ja.“

„Darf ich nachher zu ihr kommen?“

„Nein, Heiner. Sie wird Dich rufen lass’n! Willst’ das Gedicht noch wieder hab’n?“

„Behalt’s, Alma! Ich hab’s auf Dich gemeint gleich damals, als Du mich auf dem Fichtler trafst.“

Es war eigenthümlich. Er hatte die Herrin des Hofes erst ein einziges Mal gesehen, damals, als er dem Balzer nachging. Er fühlte ihr Wohlwollen, ihr freundliches Sorgen und Wirken Tag für Tag immer deutlicher, aber nur aus der Ferne. War sie wirklich so sehr krank, daß ihr ein kurzes Zusammensein mit Andern unmöglich wurde?

So kam das Weihnachtsfest heran, an dessen erstem Feiertage die Kantate öffentlich aufgeführt werden sollte. Die Kirche sollte ihren Raum dazu hergeben, und man wußte, daß aus der ganzen Umgegend eine zahlreiche Zuhörerschaft dazu herbeiströmen werde.

Am heiligen Abende war Hauptprobe. Sie war für den Nachmittag angesetzt und verlief zur vollständigen Zufriedenheit aller Betheiligten. Als sie beendet war, trat Alma zum Kantor.

„Herr Kantor, darf ich eine Bitte aussprechen?“

„Sprich, mein Kind!“

Er hatte ihr seine ganze Liebe geschenkt und, wenn sie auch nur zeitweilig bei ihm sein konnte, in ihrem Umgange Ersatz für die Verlorene gefunden.

„Mama hat so viel Schönes von der Kantate gehört und kann doch nicht zur Kirche kommen; da läßt sie fragen, ob Sie nicht die Güte haben und heut Abend für ein Stündchen zu uns kommen wollten. Wir haben ein sehr gutes Instrument, und ich und Heiner könnten ihr Einiges vortragen!“

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„Ich würde sehr gern kommen; aber der Weg und meine Au­gen — — —“

„Wir schicken den Schlitten, Herr Kantor.“

„Gut, so will ich zusagen!“

Er war einigermaßen neugierig, die Besitzerin des Teichhofes kennen zu lernen, die noch kein Bewohner des Ortes zu Gesicht bekommen hatte, und fuhr, als der Schlitten anlangte, seiner Bestimmung mit reger Erwartung entgegen. Heiner empfing ihn und nahm ihn zunächst mit zu sich.

„Nehmt zunächst bei mir aan Glas Wein, Herr Kantor! Man ist drüb’n noch zu sehr mit Anordnung der Bescherung beschäftigt.“

Es dauerte jedoch nicht lange, so kam Alma um sie zu rufen. Sie wurden in das Musikzimmer geführt. Heiner hatte diese renovirten und neu ausgestatteten Räume noch nicht betreten. Er und noch mehr sein Vater erstaunten über den Reichthum, welchen der Teichhof jetzt in sich schloß. Der Kantor bemerkte davon nichts; er suchte mit seinen kranken Augen nach der Herrin des Gutes.

Diese erhob sich aus einer Ottomane, welche durch die farbigen Lichtschirme im Dunkeln gehalten wurde, und bewillkommnete die Gäste mit ihrer leisen und, wie es schien etwas belegten Stimme. Dann nahm man Platz. Der Kantor setzte sich an das wirklich prachtvolle Instrument und Alma und Heiner sangen zu seiner Begleitung abwechselnd oder im Duett. So waren sich die Vorträge schon eine ganze Weile gefolgt, da bat Alma auf einen Wink der Mutter:

„Nun noch die Engelsarie, Herr Kantor!“

„Warum diese, Kind?“

„Weil sie den Eingang zur Weihnacht bildet, und dann will Mama bescheren.“

„So mag es sein. Aber schone Deine Stimme, damit sie morgen nicht versagt!“

Er griff in die Tasten. Das rauschte und brauste, das wogte und schwirrte, als sei der Himmel geöffnet und sende die Menge seiner Heerschaaren zur Erde nieder. Dann löste sich aus dem wallenden Tonmeere ein großgezeichnetes Thema, wiederholte sich und wechselte in den verschiedensten Gestaltungen, umwob sich mit glanzvollen Harmonien und begann dann nach einer ahnenden Pause:

„Ich verkünde große Freude,

Die Euch widerfahren ist,

Denn geboren wurde heute

Euer Heiland Jesus Christ!“

Während der Einleitung war Alma zu dem Armleuchter getreten, um die Schirme zu verstellen. Ihre Mutter hatte sich erhoben und ihre Stelle eingenommen. Sie sang. Erst wie unsicher und im Mezzoforte; nach und nach aber schwoll dieses zum festen, entschiedenen Forte an, so daß der Kantor erstaunt aufhorchte. Als er aber zu rascherem Tempo überging und hinter ihm das

„Jubelnd klingt es durch die Sphären,

Sonnen künden’s jedem Stern;

Weihrauch duftet auf Altären,

Glocken klingen nah und fern,“

mit einer Energie und in einem Tone erscholl, der wie Orgel- und Glockenklang das Zimmer erfüllte und nicht aus einer weiblichen Brust, sondern aus eherner, metallener Tiefe zu kommen schien, da riß es ihm vom Stuhle empor und zu der Sängerin herum.

„Alwine!!!“

„Vater!“

Seine Stirn zuckte unter den sie durchkämpfenden finsteren und hellen Gedanken; seine Augen wollten zornig aufblitzen ohne es zu vermögen, aber sein Herz hatte den Armen schon ihren Weg gezeigt; sie lagen um die Wiedergefundene und zogen sie an die halb widerstrebende, halb freudig klopfende Brust.

„Kannst Du mir vergeben?“

Seine Hände lösten sich wieder von ihrer Schulter.

„Du hast mich und Dich verlassen!“

„Dich, Vater, mich aber nie, nie!“

„Beweise es!“

„Höre meine Erlebnisse, aber nicht jetzt, sondern später! Ich war leichten Sinnes; meine Verblendung und die gefürchtete Verbindung mit dem Balzer trieb mich fort; nie aber habe ich mich und meine Ehre verschenkt. Dich habe ich verlassen und den Heiner verrathen, aber tausendfaches Leid ist mir gefolgt. Vergebt mir! Ich bringe Euch wieder, was ich Euch raubte, vielleicht noch mehr als das: ein herrliches, reines und schuldloses Gemüth, welches nie ein Hauch der Sünde trüben dürfte, Alma, die Ihr ja schon liebt. Ich mißachtete Eure Einfachheit und wurde eine gefeierte

Sängerin, später sogar das rechtmäßige Weib eines Grafen. Die Gräfin kehrt, zur Erkenntniß gelangt, zu Euch zurück, wirft den Titel hinter sich und will von Euch das von sich gestoßene Glück, den verlorenen Frieden erflehen. Werdet Ihr unbarmherzig sein?“

Die Hülle war ihr entfallen und sie stand vor ihnen in all der Schönheit, mit der sie ihr Talent emporgetragen und die sie trotz der langen Jahre nicht verloren hatte. Sie war nicht matt, nicht krank; sie hatte das Unwohlsein nur vorgeschützt, um bis heut verborgen bleiben zu können; der Eindruck, den sie machte, mußte jedes feindliche Gefühl verscheuchen.

„Heiner, bist Du groß genug, mir zu verzeihen!“

Er lehnte an der Wand, bleich wie diese selbst; er wollte sprechen und konnte nicht, und erst als Alma seine Hand erfaßte, da löste sich der Bann von seiner Brust.

„Alwin’, sei glücklich. Ich verzeihe Dir!“

„Und Du, Vater? Du kannst der Tochter nicht das Geschick bereiten, welches ihre Briefe gefunden haben! Du wolltest mich als Teichhofbäuerin sehen; jetzt bin ichs. Zürnst Du noch?“

„Alwine, Du hast mich besiegt!“

Und aus seiner Umarmung heraus bot sie auch Silbermann die Hand.

„Wollen wir wieder Freunde sein?“

Dem alten Manne standen die hellen Thränen in den Augen.

„In Gottes Namen, Alwin’. Ich hab wahrhaftig net geglaubt, daß so aan brav Weibsbild aus Dir werd’n könnt!“

„So kommt denn zur Bescherung!“

Die Flügelthüre öffnete sich und der helle Glanz eines reichbehangenen Tannenbaums strahlte ihnen entgegen. Unter demselben war ein Berg von Geschenken aufgehäuft. Durch die entgegengesetzte Thür drängte sich das Gesinde herbei und empfing Gaben, welche ihre Erwartung übertrafen. Das stimmte zum Jubel. Die noch ernste Miene des Kantors heiterte sich auf, als die Knechte und Mägde voller Witz und Zufriedenheit mit ihrer Beute abzogen.

„Jetzt sind wir wieder unter uns,“ begann Alwine, „und können nun auch an uns denken. Ich habe Dich wieder, Vater, das ist mir das köstlichste Weihnachtsgeschenk; und Du? Hier nimm; das ist Dein!“

Sie schob ihm Heiner zu.

„Er wird Dir ein besserer Sohn sein, als ich Dir eine Tochter war.“ Dann nahm sie Alma bei der Hand. „Ihr, Vater Silbermann, sollt Etwas erhalten, was Ihr Euch schon längst vergeblich gewünscht habt. Wo keine Frau im Hause ist, da ist eitel Unordnung und Aergerniß; nehmt Alma hin und sorgt dafür, daß sie an Heiner gut macht, was ich an ihm gesündigt habe. Seid Ihr zufrieden mit dieser Schwiegertochter?“

„Na und ob! Gotts Blitz, wenn sie net dem Heiner seine Frau werd’n sollt, so nähm ich sie am Liebst’n gleich für mich selber!“

„Und Du, Heiner, Du bist mit den Andern schon beschenkt genug; aber hier ist noch etwas ganz Besonderes für Dich. Das Honorar liegt hier unter dem Baume.“

Sie hielt ihm einen Prachtband entgegen, auf dessen Vorderseite die goldene Inschrift flimmerte: „Gebirgsklänge, von Heinrich Silbermann.“ Sie hatte ihr Wort gehalten und die Herausgabe seiner Gedichte vermittelt.

Neben diesen Herzensgaben gab es noch eine ganze Menge anderer Ueberraschungen, die alle für die Bedürfnisse der Empfänger berechnet waren. Diese einzige Stunde ließ alles Vergangene versinken, und sogar der alte Silbermann gab nach, als er von Alma überrumpelt wurde:

„Silberpapa, hast’ dem Kantorgroßvater auch schon das „Gimpelpack“ verziehen?“

„Noch net, Goldkind Du.“

„So thu’s ja gleich, nachher bekommst’ auch den erst’n Kuß von mir!“

„Ist’s wahr?“ frug er ungläubig und dennoch sich unwillkürlich den Mund wischend.

„Ja, aber sofort mußt’s thun!“

„Na, um diesen Preis verzeih’ ich aller Augenblick’ noch ganz andre Ding’. Hier ist die Hand, Nachbar; nun mag wirklich und von Herz’n Friede sein!“

Er empfing schmunzelnd die verheißene Belohnung. Sie war ihm ein überreicher Ersatz für das schöne Komplott, aus dem nun doch nichts werden konnte.

Keine noch so leise Erinnerung an längst vergangenes und nun vergebenes Unrecht trübte die Freude des Abends, und selbst Balzer, der sicher einer lebenslänglichen Gefängnißstrafe entgegenging, wurde ohne besondere Härte erwähnt. Als man aufbrach und Heiner sich für einige Augenblicke mit der Geliebten allein sah, meinte er:

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„Nun hast’ das Gedicht von mir, brauchst mir aber trotzdem net zu sag’n, woher Du All’s so gut gewußt hast. Ich hätt’ nimmermehr -

nimmermehr gedacht, daß so viel Leid noch solch aan gutes End’ nehmen könnt! Doch sag’, muß ich den ersten Kuß bis zur Hochzeit aufheb’n?“

Sie lächelte ihm glücklich zu.

„Hast’ in net schon auf dem Fichtler dreifach erhalt’n?“

„Das galt net mir; das war aus Mitleid für den Stieglitz.“

„Soll ich dann auch solch Mitleid hab’n mit Dir?“

„Ich bitt’ gar schön darum!“

Die Bitte wurde gewährt, und diese Mildthätigkeit schien die

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beiden Leute so in Anspruch zu nehmen, daß Papa Silbermann, der den Kantor bis an den Schlitten begleitet hatte, eine Erinnerung für nöthig hielt.

„Wo steckst’ denn, Heiner?“ frug er von unten herauf. „Ja, wo aane Frau ins Haus kommt, da giebt’s nur eitel Säumniß und Honigkuch’n. Oder soll etwa der Nachbar auf die Gut’ Nacht von Dir wart’n, bis die Pferd’ angefroren sind?“